Neue Rheinische Zeitung. Nr. 90. Köln, 31. August 1848.Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 90. Köln, Donnerstag den 31. August 1848. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Die Polendebatte in Frankfurt). Frankfurt (Nationalversammlung). Berlin. (Vereinbarungssitzung). Wien. (Nachträge über den 23. -- Reichstag. -- Die Presse und die Literaten). Düsseldorf. (Freiligrath verhaftet). Italien. Genua. (Das franz. Geschwader. Die Zwingburgen. Protest der Modenesen) Turin. (Der politische Klub. Angebliche Revolution in Rom. Uebereinkunft zwischen Welden und den Päbstlichen). Franz. Republik. Paris. (Amnestie-Petition. Bourgeois und Arbeiter. Kriegsaussichten. Nationalversammlung). Großbritannien. London. (Unterhaus. Powell. Hardinge). Belgien. Gent. (Louis Blanc). Deutschland. ** Köln, 26. August. - Die Polendebatte in Frankfurt. Zweiter Tag. Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. Das Domfest von 1848. (Schluß statt Fortsetzung.) Ich erkannte die Medicäerin auf der Stelle, denn was man liebt, das erkennt man sogleich und ich liebe alle Frauen und Mädchen, die Marie heißen. Es ist mir unbegreiflich, wie ein schönes Mädchen anders heißen kann, als Marie. Gespenstisch rauschte Marien's Gewand, geisterhaft bewegten sich die brüsseler Spitzen ihres seligen Nackens und traurig prächtig schaute die königliche Frau auf mich herab, als ich ihr in jener Domtraumnacht zitternd den Arm bot. "Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, ich war immer davon überzeugt, daß Sie noch lebten und wenn ich Nachts an jenem Hause vorbei kam, in dem unser Rubens geboren wurde und in dem Sie gestorben sein sollen, da blieb ich nicht selten an der Thüre stehen und zog die Schelle und erkundigte mich nach Ihnen und fragte, ob ich Sie nicht sprechen könne. -- -- Herr Wagner, der jetzige Besitzer des Hauses, der in solchen Augenblicken, mit der Nachtmütze auf dem Kopfe, etwas ärgerlich an's Fenster trat, erklärte mir jedes Mal, daß Frau Maria von Medicis längst todt sei und im Dome begraben liege, und als ich ihm einst sehr entschieden widersprach, da nannte er mich sogar einen Esel und schüttete mir eine Karaffe Wasser auf den Kopf -- aber ich ließ mich durch nichts irre machen, ich blieb bei meinem alten Glauben und sieh, ich habe mich auch nicht getäuscht! --" Langsam waren wir die Halle hinab geschritten und hatten uns von den übrigen Domgeistern entfernt. Von jeher zog ich es vor, mit schönen Frauen allein zu sein. "Sie sehen, Frau Maria, das Innere des Domes wird bald vollendet sein. Wenn die hohen Gäste der Domfeier nur fortfahren, recht tüchtig beizusteuern, so werden wir auch in zehn oder zwölf Jahren mit unsern Thürmen bis in die Wolken reichen -- gleicht nicht schon jetzt das ganze Gebäude einer versteinerten bethovenschen Symphonie? --" "Von welchen Gästen sprechen Sie?" -- fragte mich Maria. "Nun, vom Könige von Preußen und vom Kaiser Barbarossa! --" "Barbarossa?" -- versetzte meine Begleiterin verwundert. "Allerdings! Er ist auferstanden aus dem Kyffhäuser; drei englische Rasiermesser zerbrach man beim Scheren seines rothen, durch den Tisch gewachsenen Bartes. --" "Aber was will der alte Herr nochmals auf der Oberwelt anfangen? --" "Er will ein einiges, freies Deutschland herstellen, einig im Innern und stark nach Außen. Mit der deutschen Einigkeit selbst, soll dann auch das Symbol derselben, der Kölner Dom, vollendet werden. --" "Aber Sie glauben ja, daß der Dom erst in zehn oder zwölf Jahren fertig werde?" "Nun, so lange wird es auch mit der deutschen Einigkeit dauern, vielleicht noch länger. Herr Barbarossa wird sich noch oft rasiren lassen müssen, ehe er mit seiner Arbeit fertig ist." "Es ist unbegreiflich, wie ein alter Mann am Abende seines Lebens noch dergleichen zu unternehmen wagt. --" "Gewiß! denn mit den deutschen Fürsten ist nicht zu spassen. Als gestern die Nationalversammelten vor den König traten, um ihn im Auftrage ihrer Kollegen hier am Rheine zu begrüßen, da sagte er ihnen: "Die Bedeutsamkeit Ihrer Versammlung verstehe ich sehr wohl, meine Herren. Ich sehe sehr wohl ein, wie wichtig Ihre Versammlung ist! --" Die Stimme Sr. Majestät nahm hier einen sehr ernsten, schneidenden Ton an. -- "Vergessen Sie aber auch nicht, daß es noch Fürsten in Deutschland gibt" -- hier legte Se. Majestät die Hand auf's Herz und sprach mit ungemeinem Nachdruck -- "und vergessen Sie nicht, daß Ich dazu gehöre!" -- "Daran erkenne ich einen König! --" "Allerdings, und Se. Majestät sprach mit so viel Wärme, daß sich der größte Theil der Nationalversammelten durch die glänzende Rhetorik Sr. Majestät hinreißen ließ und auf's lebhafteste und herzlichste applaudirte. Man sah nie ein schöneres Schauspiel, es war ein eigentlicher Kunstgenuß. --" "Aber wer sind denn diese Nationalversammelten?" -- fragte mich Maria weiter. "Gnädige Frau, es sind schwache, sterbliche Menschen. Menschen, die sich gelegentlich von der Tribüne reißen und die sich einander ausschimpfen. Es sind nur wenige Götter unter ihnen, und diese Götter sollen auch eigentlich nur Halbgötter sein, oder sehr heruntergekommene Götter. Diese Nationalversammelten waren es, die den alten Barbarossa in der Tiefe des Kyffhäusers aufsuchten und ihn dazu veranlaßten, die Geschicke des Vaterlandes auf's Neue in seine Hand zu nehmen. Barbarossa schüttelte den langen, rothen Bart und fragte seinen Zwerg, ob die Raben noch um den Berg flögen. Der Zwerg schaute aus einer Bergritze, wie aus einem Fenster, und als er sich davon überzeugt hatte, daß die häßlichen schwarzen Thiere in Folge der Wiener und Berliner Ereignisse wirklich etwas eingeschüchtert seien, da meldete er dies seinem Herrn und der alte Barbarossa nahm die Einladung der Deputirten an und stieg herauf in der alten Pracht und Herrlichkeit zum großen Verdruß aller Fürsten und aller Poeten, namentlich der letztern, die nun nicht mehr vom Kyffhäuser singen können und von dem langen Barte, dem Zwerg und den Raben. Vielleicht haben sie später wieder dazu Gelegenheit. --" "Sagen Sie mir doch, was verstehen Sie unter den Wiener und Berliner Ereignissen? --" "Revolutionen, theuere Freundin! --" "Drücken Sie sich gütigst deutlicher aus -- ich bin zu lange -- abwesend gewesen, als daß ich gleich wüßte, was sie mit -- Revolutionen meinen. --" "Volksbelustigungen, verehrte Frau! Man rottet sich zusam- Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 90. Köln, Donnerstag den 31. August 1848. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Die Polendebatte in Frankfurt). Frankfurt (Nationalversammlung). Berlin. (Vereinbarungssitzung). Wien. (Nachträge über den 23. — Reichstag. — Die Presse und die Literaten). Düsseldorf. (Freiligrath verhaftet). Italien. Genua. (Das franz. Geschwader. Die Zwingburgen. Protest der Modenesen) Turin. (Der politische Klub. Angebliche Revolution in Rom. Uebereinkunft zwischen Welden und den Päbstlichen). Franz. Republik. Paris. (Amnestie-Petition. Bourgeois und Arbeiter. Kriegsaussichten. Nationalversammlung). Großbritannien. London. (Unterhaus. Powell. Hardinge). Belgien. Gent. (Louis Blanc). Deutschland. ** Köln, 26. August. – Die Polendebatte in Frankfurt. Zweiter Tag. Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. Das Domfest von 1848. (Schluß statt Fortsetzung.) Ich erkannte die Medicäerin auf der Stelle, denn was man liebt, das erkennt man sogleich und ich liebe alle Frauen und Mädchen, die Marie heißen. Es ist mir unbegreiflich, wie ein schönes Mädchen anders heißen kann, als Marie. Gespenstisch rauschte Marien's Gewand, geisterhaft bewegten sich die brüsseler Spitzen ihres seligen Nackens und traurig prächtig schaute die königliche Frau auf mich herab, als ich ihr in jener Domtraumnacht zitternd den Arm bot. „Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, ich war immer davon überzeugt, daß Sie noch lebten und wenn ich Nachts an jenem Hause vorbei kam, in dem unser Rubens geboren wurde und in dem Sie gestorben sein sollen, da blieb ich nicht selten an der Thüre stehen und zog die Schelle und erkundigte mich nach Ihnen und fragte, ob ich Sie nicht sprechen könne. — — Herr Wagner, der jetzige Besitzer des Hauses, der in solchen Augenblicken, mit der Nachtmütze auf dem Kopfe, etwas ärgerlich an's Fenster trat, erklärte mir jedes Mal, daß Frau Maria von Medicis längst todt sei und im Dome begraben liege, und als ich ihm einst sehr entschieden widersprach, da nannte er mich sogar einen Esel und schüttete mir eine Karaffe Wasser auf den Kopf — aber ich ließ mich durch nichts irre machen, ich blieb bei meinem alten Glauben und sieh, ich habe mich auch nicht getäuscht! —“ Langsam waren wir die Halle hinab geschritten und hatten uns von den übrigen Domgeistern entfernt. Von jeher zog ich es vor, mit schönen Frauen allein zu sein. „Sie sehen, Frau Maria, das Innere des Domes wird bald vollendet sein. Wenn die hohen Gäste der Domfeier nur fortfahren, recht tüchtig beizusteuern, so werden wir auch in zehn oder zwölf Jahren mit unsern Thürmen bis in die Wolken reichen — gleicht nicht schon jetzt das ganze Gebäude einer versteinerten bethovenschen Symphonie? —“ „Von welchen Gästen sprechen Sie?“ — fragte mich Maria. „Nun, vom Könige von Preußen und vom Kaiser Barbarossa! —“ „Barbarossa?“ — versetzte meine Begleiterin verwundert. „Allerdings! Er ist auferstanden aus dem Kyffhäuser; drei englische Rasiermesser zerbrach man beim Scheren seines rothen, durch den Tisch gewachsenen Bartes. —“ „Aber was will der alte Herr nochmals auf der Oberwelt anfangen? —“ „Er will ein einiges, freies Deutschland herstellen, einig im Innern und stark nach Außen. Mit der deutschen Einigkeit selbst, soll dann auch das Symbol derselben, der Kölner Dom, vollendet werden. —“ „Aber Sie glauben ja, daß der Dom erst in zehn oder zwölf Jahren fertig werde?“ „Nun, so lange wird es auch mit der deutschen Einigkeit dauern, vielleicht noch länger. Herr Barbarossa wird sich noch oft rasiren lassen müssen, ehe er mit seiner Arbeit fertig ist.“ „Es ist unbegreiflich, wie ein alter Mann am Abende seines Lebens noch dergleichen zu unternehmen wagt. —“ „Gewiß! denn mit den deutschen Fürsten ist nicht zu spassen. Als gestern die Nationalversammelten vor den König traten, um ihn im Auftrage ihrer Kollegen hier am Rheine zu begrüßen, da sagte er ihnen: „Die Bedeutsamkeit Ihrer Versammlung verstehe ich sehr wohl, meine Herren. Ich sehe sehr wohl ein, wie wichtig Ihre Versammlung ist! —“ Die Stimme Sr. Majestät nahm hier einen sehr ernsten, schneidenden Ton an. — „Vergessen Sie aber auch nicht, daß es noch Fürsten in Deutschland gibt“ — hier legte Se. Majestät die Hand auf's Herz und sprach mit ungemeinem Nachdruck — „und vergessen Sie nicht, daß Ich dazu gehöre!“ — „Daran erkenne ich einen König! —“ „Allerdings, und Se. Majestät sprach mit so viel Wärme, daß sich der größte Theil der Nationalversammelten durch die glänzende Rhetorik Sr. Majestät hinreißen ließ und auf's lebhafteste und herzlichste applaudirte. Man sah nie ein schöneres Schauspiel, es war ein eigentlicher Kunstgenuß. —“ „Aber wer sind denn diese Nationalversammelten?“ — fragte mich Maria weiter. „Gnädige Frau, es sind schwache, sterbliche Menschen. Menschen, die sich gelegentlich von der Tribüne reißen und die sich einander ausschimpfen. Es sind nur wenige Götter unter ihnen, und diese Götter sollen auch eigentlich nur Halbgötter sein, oder sehr heruntergekommene Götter. Diese Nationalversammelten waren es, die den alten Barbarossa in der Tiefe des Kyffhäusers aufsuchten und ihn dazu veranlaßten, die Geschicke des Vaterlandes auf's Neue in seine Hand zu nehmen. Barbarossa schüttelte den langen, rothen Bart und fragte seinen Zwerg, ob die Raben noch um den Berg flögen. Der Zwerg schaute aus einer Bergritze, wie aus einem Fenster, und als er sich davon überzeugt hatte, daß die häßlichen schwarzen Thiere in Folge der Wiener und Berliner Ereignisse wirklich etwas eingeschüchtert seien, da meldete er dies seinem Herrn und der alte Barbarossa nahm die Einladung der Deputirten an und stieg herauf in der alten Pracht und Herrlichkeit zum großen Verdruß aller Fürsten und aller Poeten, namentlich der letztern, die nun nicht mehr vom Kyffhäuser singen können und von dem langen Barte, dem Zwerg und den Raben. Vielleicht haben sie später wieder dazu Gelegenheit. —“ „Sagen Sie mir doch, was verstehen Sie unter den Wiener und Berliner Ereignissen? —“ „Revolutionen, theuere Freundin! —“ „Drücken Sie sich gütigst deutlicher aus — ich bin zu lange — abwesend gewesen, als daß ich gleich wüßte, was sie mit — Revolutionen meinen. —“ „Volksbelustigungen, verehrte Frau! Man rottet sich zusam- <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="0455"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No 90. Köln, Donnerstag den 31. August 1848.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div type="contents" n="1"> <head>Uebersicht.</head> <p><hi rendition="#g">Deutschland</hi>. Köln. (Die Polendebatte in Frankfurt). Frankfurt (Nationalversammlung). Berlin. (Vereinbarungssitzung). Wien. (Nachträge über den 23. — Reichstag. — Die Presse und die Literaten). Düsseldorf. 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Es ist mir unbegreiflich, wie ein schönes Mädchen anders heißen kann, als Marie.</p> <p>Gespenstisch rauschte Marien's Gewand, geisterhaft bewegten sich die brüsseler Spitzen ihres seligen Nackens und traurig prächtig schaute die königliche Frau auf mich herab, als ich ihr in jener Domtraumnacht zitternd den Arm bot.</p> <p>„Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, ich war immer davon überzeugt, daß Sie noch lebten und wenn ich Nachts an jenem Hause vorbei kam, in dem unser Rubens geboren wurde und in dem Sie gestorben sein sollen, da blieb ich nicht selten an der Thüre stehen und zog die Schelle und erkundigte mich nach Ihnen und fragte, ob ich Sie nicht sprechen könne. — —</p> <p>Herr Wagner, der jetzige Besitzer des Hauses, der in solchen Augenblicken, mit der Nachtmütze auf dem Kopfe, etwas ärgerlich an's Fenster trat, erklärte mir jedes Mal, daß Frau Maria von Medicis längst todt sei und im Dome begraben liege, und als ich ihm einst sehr entschieden widersprach, da nannte er mich sogar einen Esel und schüttete mir eine Karaffe Wasser auf den Kopf — aber ich ließ mich durch nichts irre machen, ich blieb bei meinem alten Glauben und sieh, ich habe mich auch nicht getäuscht! —“</p> <p>Langsam waren wir die Halle hinab geschritten und hatten uns von den übrigen Domgeistern entfernt. Von jeher zog ich es vor, mit schönen Frauen allein zu sein.</p> <p>„Sie sehen, Frau Maria, das Innere des Domes wird bald vollendet sein. Wenn die hohen Gäste der Domfeier nur fortfahren, recht tüchtig beizusteuern, so werden wir auch in zehn oder zwölf Jahren mit unsern Thürmen bis in die Wolken reichen — gleicht nicht schon jetzt das ganze Gebäude einer versteinerten bethovenschen Symphonie? —“</p> <p>„Von welchen Gästen sprechen Sie?“ — fragte mich Maria.</p> <p>„Nun, vom Könige von Preußen und vom Kaiser Barbarossa! —“</p> <p>„Barbarossa?“ — versetzte meine Begleiterin verwundert.</p> <p>„Allerdings! Er ist auferstanden aus dem Kyffhäuser; drei englische Rasiermesser zerbrach man beim Scheren seines rothen, durch den Tisch gewachsenen Bartes. —“</p> <p>„Aber was will der alte Herr nochmals auf der Oberwelt anfangen? —“</p> <p>„Er will ein einiges, freies Deutschland herstellen, einig im Innern und stark nach Außen. Mit der deutschen Einigkeit selbst, soll dann auch das Symbol derselben, der Kölner Dom, vollendet werden. —“</p> <p>„Aber Sie glauben ja, daß der Dom erst in zehn oder zwölf Jahren fertig werde?“</p> <p>„Nun, so lange wird es auch mit der deutschen Einigkeit dauern, vielleicht noch länger. Herr Barbarossa wird sich noch oft rasiren lassen müssen, ehe er mit seiner Arbeit fertig ist.“</p> <p>„Es ist unbegreiflich, wie ein alter Mann am Abende seines Lebens noch dergleichen zu unternehmen wagt. —“</p> <p>„Gewiß! denn mit den deutschen Fürsten ist nicht zu spassen. Als gestern die Nationalversammelten vor den König traten, um ihn im Auftrage ihrer Kollegen hier am Rheine zu begrüßen, da sagte er ihnen: „Die Bedeutsamkeit Ihrer Versammlung verstehe ich sehr wohl, meine Herren. Ich sehe sehr wohl ein, wie wichtig Ihre Versammlung ist! —“ Die Stimme Sr. Majestät nahm hier einen sehr ernsten, schneidenden Ton an. — „Vergessen Sie aber auch nicht, daß es noch Fürsten in Deutschland gibt“ — hier legte Se. Majestät die Hand auf's Herz und sprach mit ungemeinem Nachdruck — „und vergessen Sie nicht, daß Ich dazu gehöre!“ —</p> <p>„Daran erkenne ich einen König! —“</p> <p>„Allerdings, und Se. Majestät sprach mit so viel Wärme, daß sich der größte Theil der Nationalversammelten durch die glänzende Rhetorik Sr. Majestät hinreißen ließ und auf's lebhafteste und herzlichste applaudirte. Man sah nie ein schöneres Schauspiel, es war ein eigentlicher Kunstgenuß. —“</p> <p>„Aber wer sind denn diese Nationalversammelten?“ — fragte mich Maria weiter.</p> <p>„Gnädige Frau, es sind schwache, sterbliche Menschen. Menschen, die sich gelegentlich von der Tribüne reißen und die sich einander ausschimpfen. Es sind nur wenige Götter unter ihnen, und diese Götter sollen auch eigentlich nur Halbgötter sein, oder sehr heruntergekommene Götter. Diese Nationalversammelten waren es, die den alten Barbarossa in der Tiefe des Kyffhäusers aufsuchten und ihn dazu veranlaßten, die Geschicke des Vaterlandes auf's Neue in seine Hand zu nehmen. Barbarossa schüttelte den langen, rothen Bart und fragte seinen Zwerg, ob die Raben noch um den Berg flögen. Der Zwerg schaute aus einer Bergritze, wie aus einem Fenster, und als er sich davon überzeugt hatte, daß die häßlichen schwarzen Thiere in Folge der Wiener und Berliner Ereignisse wirklich etwas eingeschüchtert seien, da meldete er dies seinem Herrn und der alte Barbarossa nahm die Einladung der Deputirten an und stieg herauf in der alten Pracht und Herrlichkeit zum großen Verdruß aller Fürsten und aller Poeten, namentlich der letztern, die nun nicht mehr vom Kyffhäuser singen können und von dem langen Barte, dem Zwerg und den Raben. Vielleicht haben sie später wieder dazu Gelegenheit. —“</p> <p>„Sagen Sie mir doch, was verstehen Sie unter den Wiener und Berliner Ereignissen? —“</p> <p>„Revolutionen, theuere Freundin! —“</p> <p>„Drücken Sie sich gütigst deutlicher aus — ich bin zu lange — abwesend gewesen, als daß ich gleich wüßte, was sie mit — Revolutionen meinen. —“</p> <p>„Volksbelustigungen, verehrte Frau! Man rottet sich zusam- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0455/0001]
Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 90. Köln, Donnerstag den 31. August 1848. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Die Polendebatte in Frankfurt). Frankfurt (Nationalversammlung). Berlin. (Vereinbarungssitzung). Wien. (Nachträge über den 23. — Reichstag. — Die Presse und die Literaten). Düsseldorf. (Freiligrath verhaftet).
Italien. Genua. (Das franz. Geschwader. Die Zwingburgen. Protest der Modenesen) Turin. (Der politische Klub. Angebliche Revolution in Rom. Uebereinkunft zwischen Welden und den Päbstlichen).
Franz. Republik. Paris. (Amnestie-Petition. Bourgeois und Arbeiter. Kriegsaussichten. Nationalversammlung).
Großbritannien. London. (Unterhaus. Powell. Hardinge).
Belgien. Gent. (Louis Blanc).
Deutschland. ** Köln, 26. August. – Die Polendebatte in Frankfurt. Zweiter Tag.
_ Das Domfest von 1848. (Schluß statt Fortsetzung.)
Ich erkannte die Medicäerin auf der Stelle, denn was man liebt, das erkennt man sogleich und ich liebe alle Frauen und Mädchen, die Marie heißen. Es ist mir unbegreiflich, wie ein schönes Mädchen anders heißen kann, als Marie.
Gespenstisch rauschte Marien's Gewand, geisterhaft bewegten sich die brüsseler Spitzen ihres seligen Nackens und traurig prächtig schaute die königliche Frau auf mich herab, als ich ihr in jener Domtraumnacht zitternd den Arm bot.
„Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, ich war immer davon überzeugt, daß Sie noch lebten und wenn ich Nachts an jenem Hause vorbei kam, in dem unser Rubens geboren wurde und in dem Sie gestorben sein sollen, da blieb ich nicht selten an der Thüre stehen und zog die Schelle und erkundigte mich nach Ihnen und fragte, ob ich Sie nicht sprechen könne. — —
Herr Wagner, der jetzige Besitzer des Hauses, der in solchen Augenblicken, mit der Nachtmütze auf dem Kopfe, etwas ärgerlich an's Fenster trat, erklärte mir jedes Mal, daß Frau Maria von Medicis längst todt sei und im Dome begraben liege, und als ich ihm einst sehr entschieden widersprach, da nannte er mich sogar einen Esel und schüttete mir eine Karaffe Wasser auf den Kopf — aber ich ließ mich durch nichts irre machen, ich blieb bei meinem alten Glauben und sieh, ich habe mich auch nicht getäuscht! —“
Langsam waren wir die Halle hinab geschritten und hatten uns von den übrigen Domgeistern entfernt. Von jeher zog ich es vor, mit schönen Frauen allein zu sein.
„Sie sehen, Frau Maria, das Innere des Domes wird bald vollendet sein. Wenn die hohen Gäste der Domfeier nur fortfahren, recht tüchtig beizusteuern, so werden wir auch in zehn oder zwölf Jahren mit unsern Thürmen bis in die Wolken reichen — gleicht nicht schon jetzt das ganze Gebäude einer versteinerten bethovenschen Symphonie? —“
„Von welchen Gästen sprechen Sie?“ — fragte mich Maria.
„Nun, vom Könige von Preußen und vom Kaiser Barbarossa! —“
„Barbarossa?“ — versetzte meine Begleiterin verwundert.
„Allerdings! Er ist auferstanden aus dem Kyffhäuser; drei englische Rasiermesser zerbrach man beim Scheren seines rothen, durch den Tisch gewachsenen Bartes. —“
„Aber was will der alte Herr nochmals auf der Oberwelt anfangen? —“
„Er will ein einiges, freies Deutschland herstellen, einig im Innern und stark nach Außen. Mit der deutschen Einigkeit selbst, soll dann auch das Symbol derselben, der Kölner Dom, vollendet werden. —“
„Aber Sie glauben ja, daß der Dom erst in zehn oder zwölf Jahren fertig werde?“
„Nun, so lange wird es auch mit der deutschen Einigkeit dauern, vielleicht noch länger. Herr Barbarossa wird sich noch oft rasiren lassen müssen, ehe er mit seiner Arbeit fertig ist.“
„Es ist unbegreiflich, wie ein alter Mann am Abende seines Lebens noch dergleichen zu unternehmen wagt. —“
„Gewiß! denn mit den deutschen Fürsten ist nicht zu spassen. Als gestern die Nationalversammelten vor den König traten, um ihn im Auftrage ihrer Kollegen hier am Rheine zu begrüßen, da sagte er ihnen: „Die Bedeutsamkeit Ihrer Versammlung verstehe ich sehr wohl, meine Herren. Ich sehe sehr wohl ein, wie wichtig Ihre Versammlung ist! —“ Die Stimme Sr. Majestät nahm hier einen sehr ernsten, schneidenden Ton an. — „Vergessen Sie aber auch nicht, daß es noch Fürsten in Deutschland gibt“ — hier legte Se. Majestät die Hand auf's Herz und sprach mit ungemeinem Nachdruck — „und vergessen Sie nicht, daß Ich dazu gehöre!“ —
„Daran erkenne ich einen König! —“
„Allerdings, und Se. Majestät sprach mit so viel Wärme, daß sich der größte Theil der Nationalversammelten durch die glänzende Rhetorik Sr. Majestät hinreißen ließ und auf's lebhafteste und herzlichste applaudirte. Man sah nie ein schöneres Schauspiel, es war ein eigentlicher Kunstgenuß. —“
„Aber wer sind denn diese Nationalversammelten?“ — fragte mich Maria weiter.
„Gnädige Frau, es sind schwache, sterbliche Menschen. Menschen, die sich gelegentlich von der Tribüne reißen und die sich einander ausschimpfen. Es sind nur wenige Götter unter ihnen, und diese Götter sollen auch eigentlich nur Halbgötter sein, oder sehr heruntergekommene Götter. Diese Nationalversammelten waren es, die den alten Barbarossa in der Tiefe des Kyffhäusers aufsuchten und ihn dazu veranlaßten, die Geschicke des Vaterlandes auf's Neue in seine Hand zu nehmen. Barbarossa schüttelte den langen, rothen Bart und fragte seinen Zwerg, ob die Raben noch um den Berg flögen. Der Zwerg schaute aus einer Bergritze, wie aus einem Fenster, und als er sich davon überzeugt hatte, daß die häßlichen schwarzen Thiere in Folge der Wiener und Berliner Ereignisse wirklich etwas eingeschüchtert seien, da meldete er dies seinem Herrn und der alte Barbarossa nahm die Einladung der Deputirten an und stieg herauf in der alten Pracht und Herrlichkeit zum großen Verdruß aller Fürsten und aller Poeten, namentlich der letztern, die nun nicht mehr vom Kyffhäuser singen können und von dem langen Barte, dem Zwerg und den Raben. Vielleicht haben sie später wieder dazu Gelegenheit. —“
„Sagen Sie mir doch, was verstehen Sie unter den Wiener und Berliner Ereignissen? —“
„Revolutionen, theuere Freundin! —“
„Drücken Sie sich gütigst deutlicher aus — ich bin zu lange — abwesend gewesen, als daß ich gleich wüßte, was sie mit — Revolutionen meinen. —“
„Volksbelustigungen, verehrte Frau! Man rottet sich zusam-
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(2017-03-20T13:08:10Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jürgen Herres: Konvertierung TUSTEP nach XML
(2017-03-20T13:08:10Z)
Maria Ermakova, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Frank Wiegand: Konvertierung XML nach DTA-Basisformat
(2017-03-20T13:08:10Z)
Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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