Neue Rheinische Zeitung. Nr. 90. Köln, 31. August 1848.men, man stürmt einige Waffenläden, man baut Barrikaden, man schießt die königlichen Truppen nieder, man zieht vor das Schloß und ehe man noch seine Forderungen gestellt hat, da ist auch schon Alles bewilligt und friedlich geht man wieder nach Hause. Nichts ist amüsanter! --" "Seltsam!" -- bemerkte Frau Maria und sah mich mit ihren dunkelblauen Augen so feierlich an, wie ein stiller Abendhimmel. "Gehören Sie auch zu den Leuten, welche Revolutionen machen?" Die Medicäerin faßte meinen Arm mit beiden Händen; es wurde mir unheimlich zu Muthe. -- "Theuere Maria, ich liebe alle schönen Frauen und ich liebe Sie vor allen Andern. --" Da hatten wir die größere Hälfte des Domes durchschritten und näherten uns den Festern Ludwigs des Baiern. Unbemerkt von der übrigen Gesellschaft, konnte ich bisher mit meiner göttlichen Begleiterin reden, da wollte der Zufall, daß uns der heilige Christoph bemerkte und von seinem Postamente herabsteigend, unsern Schritten folgte. Nichts ist mir unangenehmer, als eine so enorme Leibeslänge, wie sie der heilige Christoph besitzt. Ich glaubte, der Republikaner Karl Heinzen rückte mir auf den Pelz und ich bekam einen Todesschrecken. Maria bemerkte meine Verlegenheit und lächelte. "Trösten Sie sich, der heilige Christoph wird Ihnen nichts zu Leide thun; er ist ein ehrlicher, guter Mann, der stets auf's zärtlichste um mich besorgt ist; thun Sie, als ob Sie ihn gar nicht sähen!" -- Ich gehorchte, aber der heilige Mann, mit seinem großen Stock, ärgerte mich; ich kann diese ungeschlachten, charakterfesten Menschen nicht leiden. "Die schönen Fenster schenkten uns Herr Ludwig," fuhr ich zu Marie fort, "volksfreundliche Demokraten haben behauptet, es sei eine wahre Schande, daß er seine Bauern nur mit Steuern pfefferte, um alles Geld wieder für die Kunst wegzuwerfen. Ich muß Ihnen gestehen, ich bin durchaus anderer Meinung; es ist mir lieber, daß die geduldigen baierischen Bauern etwas weniger Speck gegessen und Bier getrunken haben und daß wir die Fenster besitzen, als wenn es umgekehrt wäre." Maria war ganz im Anblick der schönen Fenster versunken. "Sehen Sie, theuere Freundin, links in der Ecke bemerken Sie die heilige Cäcilia, Katharina und Klara; die Steinigung des h. Stephanus und Bruno den Karthäuser, der nicht mit Bruno Bauer, dem Philosophen, zu verwechseln ist. Der letztere hätte freilich auch ein Heiliger werden können; seit er sich aber auf die Politik geworfen hat, da ist es aus mit ihm; er hat keine Chance mehr. Im zweiten Fenster sehen Sie den heiligen Geist, die Kirchenväter und das baierische Wappen und darunter Ludovicus I. Bavariae rex Donator 1848. Das dritte schmücken die vier Evangelisten; aus dem Rahmen des vierten schauen Abraham, Noah, David, Salomo u. s. w., lauter berühmte Männer; das fünfte Fenster zeigt uns eine Menge Heiliger beiderlei Geschlechts, deren Namen mir leider entfallen sind. Zur Buße für dies sündige Vergessen werde ich sie nächstens noch einmal auswendig lernen. -- O, ich bin entsetzlich zurückgegangen; in früheren Jahren war ich nicht nur mit allen Heiligen der Stadt Köln bekannt, nein, ich verstand mich auch auf alle unsere Historien, Sagen und Legenden so gut wie der Dr. Ernst Weyden, ja, ich wußte noch viel komischeres Zeug als er. Uebrigens sagen Sie mir aufrichtig, wie gefallen Ihnen diese Glasmalereien?" Maria schaute nach den alten Fenstern der gegenüber liegenden Seite und schüttelte mit dem Kopfe: "Man sieht, daß Jahrhunderte zwischen diesen und jenen liegen." "Sie haben recht, theuere Freundin, es will den Malern jetziger Zeit nicht mehr gelingen jene frommen, verrenkten Schenkel verrauschter Jahrhunderte hervorzubringen. Leute, die Cigarren rauchen und die in's Theater gehen um Charlotte von Hagen zu hören, oder die Beine Fanny's zu bewundern, sie sind für die heilige Malerei verdorben. Vergebens werden sich die armen Düsseldorfer und Münchner anstrengen, einen erträglichen heiligen Geist, einen schönen Engel oder dergleichen Ueberirdisches zu Tage zu fördern -- sie sind kalte nüchterne Menschen, sie werden die naiven Fehler der Alten nie erreichen. Die Geister der Weisen sitzen in den Wolken und lachen über sie. Lachen wir über beide!" Während ich sprach, hatte ich mich fester an die schöne Medicäerin geschmiegt, und ich weiß nicht was ich gewagt hätte, wenn nicht der heilige Christoph mit einer wahrhaft beunruhigenden Gewissenhaftigkeit hinter uns her gestolpert wäre. "Drücken Sie sich," raunte ich ihm daher von der Seite zu, "Sie verstehen ja doch nichts von der Kunst; Sie sind gar nicht an ihrem Orte; entfernen Sie sich, frommer Freund!" Der heilige Christoph maß mich von oben bis unten. Seine großen dummen Augen blinkten gläsern wie zwei Fenster. Maria schaute ihn an und nickte herablassend; es war kein Zweifel mehr, Christoph war eifersüchtig! "Soll ich ihn fordern auf krumme Säbel, auf Pistolen?" Ich zitterte vor Wuth; da wandte sich meine Freundin und zog mich hinauf den hallenden Säulengang und es rauschte ihr Kleid wie ein Mährchen der Scheherezade. "Sie haben mir noch gar nicht gesagt wer Sie sind?" fuhr Maria fort und blickte mich fragend an. Es war mir unangenehm so ohne Weiteres ausgeforscht zu werden. Der heilige Christoph spitzte die Ohren und kam wieder ganz in unsere Nähe. "Ich treibe ein heiliges Handwerk, theuere Freundin, ich bin ein Spötter!" Der große Christoph stutzte; Maria sah mich verwundert an. Die herrliche Frau wurde immer schöner. Das Mondlicht fiel durch die Fenster König Ludwigs und streute Diamanten und Saphire auf sie herab -- und immer stürmischer kochte mir es in den Adern. "Ja, ich bin ein spottender Schriftgelehrter, heiliger Christoph," fuhr ich dann zu dem Ungeschlachten fort, "und nehme er sich in Acht, guter Freund, sonst werde ich ihn zausen und lächerlich machen, daß er d'ran denken soll bis an den jüngsten Tag. Was langweilt er uns durch seine überflüssige Gegenwart? Schere er sich zurück auf sein Postament, sonst werde ich es aufnehmen mit meiner profanen Feder gegen seinen gegen Schmidt, -- in der That, die Herren von der Rechten sind seine Kritiker! Hr. Lychnowski schließt die Sitzung. Diesen Freund indeß behalten wir uns für den nächsten Artikel vor; einen Redner vom Kaliber des Hrn. Lychnowski bricht man nicht übers Knie! (Fortsetzung folgt.) !!! Frankfurt, 28. August. 67. Sitzung der National-Versammlung. Präsident von Gagern. Beginn 1/2 10 Uhr. Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über den Artikel III. der Grundrechte des deutschen Volkes. Rieser (im Namen des Prioritätsausschusses) erstattet Bericht über ein Gesetz für Unverletzlichkeit der Abgeordneten. Der Ausschuß beantragt: Ein Abgeordneter darf vom Augenblick seiner Wahl an bis 8 Tage nach seinem Austritt aus der Versammlung, außer bei Ergreifung auf frischer That, nicht verhaftet werden. Kein Abgeordneter darf wegen irgend einer in seiner Funktion als Abgeordneter gethanen Aeußerung gerichtlich verfolgt werden. Zachariä (für den völkerrechtlichen Ausschuß) bringt zwei Berichte: 1. betreffs der aus der Wahl zur National-Versammlung ausgeschlossenen Besatzung von Luxemburg. 2. betreffs einer neuen Petition wegen der im Juni-Aufstand zu Paris betheiligten und von der französischen Regierung eingesperrten Deutschen. Diese beiden Berichte werden sogleich vorgenommen. Nro. 1. Die Eingabe der Luxemburger Offiziere wird dem Verfassungs-Ausschuß als Material zum Entwurf des zukünftigen Wahlgesetzes über geben. Nro. 2 wird durch die Erklärung des Minister Heckscher, betreffs der in Paris beim letzten Aufstand betheiligten Deutschen als mit erledigt erachtet. Kerst (im Namen des Marine-Ausschusses): Der Marine-Ausschuß hat beschlossen, die sämmtlichen an die National-Versammlung eingegangenen Beiträge zur deutschen Flotte dem Finanzministerium zu übergeben. 68,000 Gulden stehen bis jetzt zur Verfügung. Der Ausschuß bemerkt, daß vorzugsweise die weniger bemittelten Klassen und Frauen und Jungfrauen beigesteuert haben. Tagesordnung: §. 13 der Grundrechte. Kauzer, Pfarrer aus Würtemberg, begrüßt aus vielen Gründen den §. 13 mit Freude. Den durch denselben abgeschafften Staatsreligionen weint er keine Thräne nach. Der Geist der Demokratie, der über die Erde geht, klopft auch an die Thüre der Kirche. Er hofft, die Kirche wird die Prüfung der Freiheit bestehen. (Bravo). Beckeraty (Finanzminister) empfiehlt den Paragraphen so zu lassen, wie der Ausschuß ihn giebt. Moritz Mohl: (Schluß!) Es giebt kein größeres Unglück als das der Israeliten, die kein Vaterland haben und auf der ganzen Erde verstreut sind. (Im Centrum Einer sehr laut: Nein!) Wir wollen deshalb human sein gegen die Juden aber doch gehen uns die Rechte des deutschen Volkes jederzeit vor. Die armen Landleute wurden bisher von den Juden ausgesaugt. Wenn ein Jude einmal einen Fuß in die Hütte des Bauern gesetzt hat, so ist der Bauer verloren. Diese Frage wird mich zwar unpopulair machen, aber dennoch will ich weiter sprechen. Man wird mir die lange Unterdrückung der Juden entschuldigend vorhalten, aber die Israeliten werden immer wie ein Tropfen Oel auf dem Wasser der deutschen Bevölkerung schwimmen. (Verhöhnung, Zischen). Dr. D. Riesser aus Hamburg (Jude) spricht im Namen einer seit Jahrtausenden unterdrückten Volks- (?) Klasse gegen die ungerechten Angriffe des Herrn Mohl. Die Nationalitäten können allerdings nur dann sich recht vermischen, wenn sie volle Freiheit der gemischten Ehen, also auch zwischen Juden und Christen aussprechen. Der Vorwurf des Schachers ist lächerlich So lange Sie den Schacher selbst nicht aufheben, müssen die Juden eben so gut schachern können, wie die Christen, wie es auch geschieht. Ich bin stolz darauf, in dieser Sache Partei zu sein. (Bravo). Osterrath will für dasselbe Prinzip wie der vorige Redner, für die Duldsamkeit, sprechen. Das, was Mohl über die Juden gesagt, sei nicht wahr. Der Polizeistaat hätte sich mit den Juden, Quäkern und Menoniten vertragen. Der "freie Staat" (des bürgerlichen Schacherthums) würde es wohl noch viel eher können. v. Linde aus Mainz (heftig: Schluß, Schluß!) Gagern: Will die Versammlung die Debatte über § 13 schließen? Nein. v. Linde spricht sehr lange und sehr langweilig. Rheinwaldt (läuft schnell auf die Tribüne). M. H., ich habe den Antrag gestellt, Ligourianer, Redemptoristen und Jesuiten aus dem deutschen Reiche zu verbannen. (Gagern bemerkt, daß dieser Antrag zu §. 24 gehört.) Der Redner scheint anderer Ansicht zu sein; spricht lang und breit über die Jesuiten. Wenn in Deutschland ein politischer Verein bestände, die neue Freiheit zu vernichten, Sie würden ihn gewiß verbieten. (Edles Vertrauen in diese klassische Versammlung.) Ein solcher Verein ist, wenn auch unter religiöser Form, der Jesuitenverein. Spricht sehr lange nach irgend einem Buche von der Organisation des Ordens. Reichensperger, der Trierer Jesuitenfreund, fordert von Hrn. Rheinwaldt Beweise für das, was er von den Jesuiten gesagt hat. Die Versammlung beschließt, daß diese Dinge zu §. 24 gehören. Hierauf schließt man die Diskussion über §. 13, und es spricht wie gewöhnlich noch eine Zeit lang Hr. Beseler. Die Amendements werden zur Unterstützung verlesen. Grävell's sämmtliche Amendements werden mit Gelächter begrüßt und finden keine Unterstützung. Moritz Mohl's Amendement wegen der Juden fällt unter Bravo ganz durch. -- Abstimmung. 1) über §. 11. Der Antrag des Ausschusses: "Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit." einstimmig angenommen. Ein Zusatz von Plathner: "Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen." angenommen. (Links und Centrum: Bravo! Rechts: Zischen.) Ein zweiter Zusatz von Plathner: "Niemand darf seiner religiösen Ueberzeugung wegen benachtheiligt oder zur Verantwortung gezogen werden." giebt ein zweifelhaftes Resultat. Man zählt die Stimmen. Gagern: Der Antrag ist mit 217 gegen 199 Stimmen angenommen. (Links: Bravo!) Gagern (nach einer kleinen Pause): Es war ein Irrthum. Der Antrag ist mit 217 gegen 199 Stimmen verworfen. (Großes Gelächter. Rechts: Bravo! Links: Namentlich abstimmen!) Abstimmung über §. 12. Wird nach dem Verfassungsausschuß angenommen. Gagern: Hiermit sind alle Anträge zu diesem Paragraphen beseitigt. Vogt (vom Platze): Nein! Der zweite Satz meines Amendements nicht. (Dieser heißt nämlich: "Zum Zwecke dieser Religionsübung darf jede von den Gesetzen nicht verbotene Handlung vorgenommen werden.") Gagern: Ich glaube bei meinem Beschluß beharren zu müssen. (Rechts: Ja! Links heftig: Nein!) Eisenmann erklärt sich für Vogt's Ansicht. (Vogt macht ihm vom Platze aus höhnische Komplimente.) Gagern: Es bleibt dabei (basta!). -- Man geht zur Abstimmung von §. 13. Mit Verwerfung der Backhausischen u. m. A. Anträge und mit Verwerfung eines Antrages von Martens wird auch §. 13 in der Fassung des Ausschusses angenommen. §. 11 lautet demnach: "Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen." §§. 12 und 13 bleiben nach dem Vorschlage des Verfassungsausschusses unverändert. Einige Abgeordnete von Tyrol erklären nach der Abstimmung zu Protokoll, daß sie zwar für diese Paragraphen gestimmt haben, aber die Hoffnung aussprächen, bei Anwendung dieser Maßregeln werde man in Tyrol mit Rücksicht auf die eigenthümlichen Verhältnisse dieses Landes (nach Prof. Gasser: mit Schonung) verfahren. Diese Erklärung verursacht Erstaunen, Widerspruch und Mißbilligung. Man verlangt die Namen zu hören. Gagern fragt die Versammlung, ob sie die auf der heutigen Tagesordnung stehende Wahl eines Finanzausschusses heute noch vornehmen wolle? Man ist zu sehr angestrengt und beschließt dies für morgen. Schluß der Sitzung 2 1/2 Uhr. Morgen: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte. 103 Berlin, 28. August. Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. -- Tagesordnung: Berathung des Gesetzes über die Errichtung der Bügerwehr. -- Nachdem mehrere Geschäftsangelegenheiten beseitigt sind, wird zuerst, das in den letzten Sitzungen berathene und amendirte Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit Habeas-Corpus-Akte -- einstimmig angenommen. -- Hierauf folgen die dringenden Anträge und Interpellationen. Abg. Berends. Interpellation an den Minister des Innern wegen der in der Nacht von Sonnabend zu Sonntag stattgehabten ungesetzlichen Haussuchungen und Beschlagnahme von Munition in den Lokalen des Handwerkervereins, welche Gründe dazu vorlagen und ob man nicht den ausführenden Polizeibeamten deshalb in Anklagestand versetzen werde? -- Wird mit starker Majorität als dringend anerkannt. -- Der Minister des Innern antwortet: von dieser Angelegenheit außer dem was er aus allgemeinen Gesprächen gehört habe, nichts erfahren zu haben. Er wird bis zur Freitagssitzung die amtlichen Berichte darüber einfordern und die nöthige Auskunft ertheilen. -- Abg. Fretzdorff. (Kaufmann aus Stettin, Freihändler.) dringende Inpellation: "ob es gegründet, daß mit den Zollvereinsstaaten ohne Vorbehalt der Zustimmung der Versammlung eine sofortige Erhöhung der bestehenden Eingangs-Abgaben auf seidene, halbseidene und wollene Waaren vereinbart worden ist, und wodurch diese, dem Geiste der Zeit und dem wahren Interesse des Landes durchaus widerstrebende Maaßnahme ihre Rechtfertigung finden soll." -- (Die Majorität erkennt diese Interpellation als dringend an.) Der Handelsminister Milde. Was die Frage anbetrifft, so beantworte ich sie allerdings mit: ja, der größte Theil der Staaten des Zollvereins haben zu der beabsichtigten Steuererhöhung bereits ihre Zustimmung ertheilt. Es handelt sich nicht darum den Steuer-Tarif zu erhöhen, sondern da eine fremde Macht die Ausfuhr-Prämie für verschiedene Fabrikate erhöhet hat, um den Zollverein mit ihren Fabrikaten zu überschwemmen, so ist eine Gegenmaßregel unsererseits durchaus nothwendig und dies kann nur vermittelst einer Steuererhöhung geschehen. (Schöne "Vereinbarung" zweier Staaten zur wechselseitigen Steuererhöhung. Abg. Fretzdorff erwidert, daß auch er dem Jammer im ganzen Lande vorbeugen wolle, aber woher kommt dieser Jammer? durch ein falsches und schlechtes Steuersystem. Man richte ein, mit den neuesten nationalökonomischen Grundsätzen übereinstimmendes Steuersystem ein, dann wird der Noth besser vorgebeugt als durch Schutzzölle. Minister Hansemann verspricht, daß die angeordnete Maßregel wieder aufgehoben werden solle, wenn Frankreich seine Ausfuhr-Prämien wieder wie früher ermäßigt. Die Regierung kann aber augenblicklich nicht anders handeln. Belgien und andere Staaten haben in gleichen Fallen ebenso gehandelt -- Der Abg. Euler verliest den Bericht der Central-Abtheilung über die Gesetzes-Vorlage betreffend die Errichtung der Bürgerwehr und fügt demselben noch ungefähr folgendes hinzu: Nach dem vorgelegten Entwurfe scheine der Zweck der Bürgerwehr ein vorherrschend polizeilicher zu sein, eine Verschmelzung derselben mit der Landwehr sei nicht angebahnt von einer Stellung zur Linie aber gar keine Rede. -- Die neue Zeit gestatte den früheren Gegensatz zwischen Volk und Militär nicht mehr, sondern verlange, daß beide in einander aufgehen. -- Eine allgemeine Volksbewaffnung nach gleichen Grundsätzen biete dazu die vermittelnde Hand. Sie zerfalle in Linie (stehendes Heer) und Bürgerwehr, welche die Landwehr als Unterabtheilung in sich schließe. -- Die Bürgerwehr müsse den Anfangs- und Endpunkt der ganzen Wehr-Verfassung bilden. u. s. w. Minister des Innern: giebt eine langweilige Geschichte der "Volkbewaffnung" nach der Marzrevolution. Versichert daß die Regierung mit Befriedigung wahrgennommen, daß ihre Grundsätze in den Abtheilungen Billigung gefunden, und erklärt sich mit den am Entwurf vorgenommenen Aenderungen einverstanden. -- Abg Dr. Jakoby: Ich erkläre mich gegen den Gesetz-Entwurf. Derselbe ist offenbar dazu bestimmt diejenigen Forderungen zu erfüllen, die in den Tagen der Märzrevolution von allen deutschen Stämmen gestellt wurden. Damals lautete der allgemeine Ruf: Verminderung der stehenden Heere und allgemeine Volksbewaffnung. Stehende Heere sind als Hauptstütze des Absolutismus erkannt. Die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung wollte man nicht länger der Polizei und dem Militär sondern der selbstständigen Bürgerwehr überlassen. Der Unterschied zwischen Bewaffneten und Unbewaffneten sollte gänzlich aufhören. Prüfen wir hiernach den Gesetz-Entwurf. Die Bürgerwehr erhält zwar Waffen, bleibt aber ein völlig isorlirtes Institut das nie eine allgemeine Volkswehr werden kann. Das Institut der Landwehr macht nur den Bürger zu einem unbewaffneten Soldaten. -- Die politische Ruhe des Staates muß künftig allein der Bürgerwehr überlassen sein. Ordnung muß zwar bestehen, aber eine Ordnung ohne Freiheit, die wir 33 Jahre gehabt, ist gar nichts werth. Das vorgelegte Gesetz, weit entfernt die Königlichen Verheissungen zu erfüllen, kann ich nur als Nothgesetz ansehen. -- Nachdem noch mehrere Redner für und gegen das Gesetz im Allgemeinen gesprochen gehet man zur Berathung der einzelnen Paragraphen über. Es ereignete sich hierbei ein interessanter Zwischenvorfall. Der Minister des Innern hatte bisher den Gebrauch geltend gemacht jedesmal nach dem Schluß der Debatte nochmals das Wort für die Regierungsgrundsätze zu ergreifen, um die Zweifelhaften zu kaptiviren. Als heute der Minister dieses Kunststückchen bei Berathung des § 1. wieder angebracht hatte, trat endlich der ministerielle Abg. Zacharia dagegen auf, was die Linke nie gewagt. Es stehe ja in diesem Fall keinem Andern mehr das Recht zu den Minister zu widerlegen; will er noch sprechen so muß er es vor dem Schluß der Debatte thun, damit man ihm etwas erwidern könne. -- Der Präsident Grabow erklärt, daß dieser Uebelstand nicht ihm zur Last fallen könne, indem die Geschäftsordnung hierüber undeutlich sei, indem sie die Bestimmung enthalte: "Die Minister können zu jeder Zeit das Wort verlangen." (Ruf: während der Debatte, aber nicht nach dem Schluß!) Er stelle nun anheim der Kommission zur Verbesserung der Geschäftsordnung diesen Gegenstand zu überweisen. Obgleich zu den einzelnen Paragraphen verschiedene Amendements gestellt wurden, so werden doch die §§. 1-6, die allgemeinen Bestimmungen enthaltend, unverändert angenommen. Sie lauten: §. 1. Die Bürgerwehr hat die Bestimmung, die verfassungsmänige Freiheit und die gesetzliche Ordnung zu schützen und bei Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde mitzuwirken. -- In ihren dienstlichen Versammlungen darf sie über öffentliche Angelegenheiten nicht berathen. §. 2. Die Bürgerwehr soll in allen Gemeinden des Königreiches bestehen. §. 3. Durch königliche Verordnung kann aus wichtigen, in der Auflösungs-Ordre anzugebenden Gründen die Bürgerwehr einzelner Gemeinden oder Kreise ihres Dienstes enthoben oder aufgelös't werden. -- Die Dienstenthebung darf nicht länger als 6 Monate dauern. Im Falle einer Auflösung muß die Verordnung wegen der neuen Organisation der Bürgerwehr binnen 3 Monate erfolgen. §. 4. Wenn die Bürgerwehr einer Gemeinde oder eines Kreises den Requisitionen der Behörden Folge zu leisten sich weigert oder sich in die Verrichtungen der Gemeinden, der Verwaltungs- oder gerichtlichen Behörden einmischt, so kann der Verwaltungs-Chef des Regierungsbezirkes unter Angabe der Gründe sie vorläufig ihres Dienstes entheben. -- Diese Dienstenthebung hört nach Ablauf von 4 Wochen von selbst auf, wenn nicht innerhalb dieser Zeit die Bestätigung derselben oder die Auflösung der Bürgerwehr nach §. 3. erfolgt. §. 5. Die Bürgerwehr gehört zum Ressort des Ministers des Innern. §. 6. Die Mitglieder der Bürgerwehr dürfen sich ohne Befehl ihrer Anführer weder zu dienstlichen Zwecken versammeln noch unter die Waffen treten, -- Die Anführer dürfen diesen Befehl nicht ohne Requisition der zuständigen Civilbehörden ertheilen, ausgenommen, soweit es sich um die Vollziehung des Dienstreglements handelt. (§. 65.) §. 7. Jedes Mitglied der Bürgerwehr leistet vor dem Gemeinde-Vorsteher, in Gegenwart des Befehlshabers der Bürgerwehr, folgende feierliche Versicherung: "Ich gelobe Treue dem Könige und Gehorsam der Verfassung und den Gesetzen des Königreiches." Nur der letzte Paragraph ruft eine äußerst lebhafte Debatte hervor. Folgende Amendements werden gestellt: Die Worte: "Treue dem Könige" zu streichen, vom Abg. Reichenbach. Statt: "Königreiches" zu sagen: "Staates", vom Abg. Temme. "Jedes Mitglied wird vom Gemeindevorsteher in Gegenwart des Befehlshabers durch Handschlag auf die Verfassung verpflichtet," vom Abg. Weichsel. Abg. Reichenbach: Mein Amendement verlangt die Auslassung der Worte: "Treue dem Könige". Als wir bei'm Beginne unserer Sitzungen die Volkssouverainetät proklamiren wollten, wurde dieses Prinzip nicht anerkannt, sondern das Volk habe mit dem Könige eine Verfassung zu vereinbaren. Beide Theile sind daher gleichberechtigt, und beide müssen der vereinbarten Verfassung Treue geloben, nicht aber, daß die eine kontrahirende Partei der andern noch eine besondere Treue gelobte. Wie wäre dieser Eid zu erfüllen, wenn der König die Verfassung verletzt. Abg. Jung spricht für den gänzlichen Wegfall des Eides sowohl bei der Bürgerwehr als bei allen Staatsämtern. Es sind Männer in dieser Versammlung, welche einen Eid geschworen, der mit ihrem Berufe, eine Verfassung mit dem Könige zu vereinbaren, nicht in Einklang zu bringen sei. Abg. D'Ester: Der Diensteid ist eine Lüge. -- Man hat von dieser Stelle von der Treue und Wahrhaftigkeit des deutschen Wortes gesprochen, es hat auch deutsche Worte gegeben, die keine Wahrheit waren. -- Die Gemeindeverfassung, welche vor zwei Jahren dem Rheinlande gegeben wurde, schreibt keinen Diensteid vor. Nachdem noch viele Redner für und gegen den §. 7 gesprochen haben, wird derselbe unverändert mit kleiner Majorität angenommen. 61 Wien, 25. August. Immer mehr Thatsachen werden über das meuchelmörderische Verfahren der National- und Munizipalgarde bekannt, welche die Bestialität des gebildeten Besitzes bekunden; aber auch Rachethaten des Volks treten ihnen zur Seite. Hören Sie einige davon. Am 23. um halb 9 Uhr hatten sich vor dem Stierböck'schen Kaffeehause auf der Donauseite mehre Menschen versammelt, welche ihre Meinung über die vorgefallenen Unruhen austauschten. Einer der Sprecher behauptete: "Den Arbeitern geschehe Recht, man solle diese Hunde alle erschießen und aufhängen." Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so erscholl der Ruf: "Nieder mit ihm!" Der Betroffene zog sich bis zur Mauer zurück, wo er von der Menge umringt wurde. Plötzlich stieß er einen fürchterlichen Schrei aus und fiel durch einen Messerstich in's Genick zu Boden. Der Thäter ist noch nicht ermittelt. In der Herrngasse (Vorstadt Leopold) fielen auf die erste Decharge gegen 15 Personen, Weiber und Kinder. Die Arbeiter fielen in die Knie und baten mit aufgehobenen Händen um ihr Leben. Es nützte nichts. Man stürzte über sie her und hieb sie zusammen. -- Im Gemeindehause in der Leopoldstadt äußerte ein Garde sein Bedauern darüber, blos zwei niedergeschossen zu haben. -- Die neusten Hieb- und Schießwunden der Todten, deren es den meisten Berichten zufolge 51 gibt, und Verwundeten (an 200) zeigen sich am Rücken; Beweis der Tapferkeit dieser deutschen Spießbürger-Niederträchtigkeit! Gestern kamen Männer, Weiber und Kinder in's Hospital der barmherzigen Brüder und suchten ihre Angehörigen; Mütter suchten ihre Kinder, Weiber ihre Männer; es war ein Bild des schrecklichsten Jammers, Die Schlächterei hatte damit ihren Anfang genommen, daß die Arbeiter im Prater mit der Munizipalgarde in Konflikt geriethen, weil erstere eine ausgestopfte Figur, den Minister Schwarzer vorstellend, hängen und beerdigen wollten. Munizipal- und Nationalgarde stürzten auf sie ein und mordeten, was ihnen vorkam men, man stürmt einige Waffenläden, man baut Barrikaden, man schießt die königlichen Truppen nieder, man zieht vor das Schloß und ehe man noch seine Forderungen gestellt hat, da ist auch schon Alles bewilligt und friedlich geht man wieder nach Hause. Nichts ist amüsanter! —“ „Seltsam!“ — bemerkte Frau Maria und sah mich mit ihren dunkelblauen Augen so feierlich an, wie ein stiller Abendhimmel. „Gehören Sie auch zu den Leuten, welche Revolutionen machen?“ Die Medicäerin faßte meinen Arm mit beiden Händen; es wurde mir unheimlich zu Muthe. — „Theuere Maria, ich liebe alle schönen Frauen und ich liebe Sie vor allen Andern. —“ Da hatten wir die größere Hälfte des Domes durchschritten und näherten uns den Festern Ludwigs des Baiern. Unbemerkt von der übrigen Gesellschaft, konnte ich bisher mit meiner göttlichen Begleiterin reden, da wollte der Zufall, daß uns der heilige Christoph bemerkte und von seinem Postamente herabsteigend, unsern Schritten folgte. Nichts ist mir unangenehmer, als eine so enorme Leibeslänge, wie sie der heilige Christoph besitzt. Ich glaubte, der Republikaner Karl Heinzen rückte mir auf den Pelz und ich bekam einen Todesschrecken. Maria bemerkte meine Verlegenheit und lächelte. „Trösten Sie sich, der heilige Christoph wird Ihnen nichts zu Leide thun; er ist ein ehrlicher, guter Mann, der stets auf's zärtlichste um mich besorgt ist; thun Sie, als ob Sie ihn gar nicht sähen!» — Ich gehorchte, aber der heilige Mann, mit seinem großen Stock, ärgerte mich; ich kann diese ungeschlachten, charakterfesten Menschen nicht leiden. „Die schönen Fenster schenkten uns Herr Ludwig,“ fuhr ich zu Marie fort, „volksfreundliche Demokraten haben behauptet, es sei eine wahre Schande, daß er seine Bauern nur mit Steuern pfefferte, um alles Geld wieder für die Kunst wegzuwerfen. Ich muß Ihnen gestehen, ich bin durchaus anderer Meinung; es ist mir lieber, daß die geduldigen baierischen Bauern etwas weniger Speck gegessen und Bier getrunken haben und daß wir die Fenster besitzen, als wenn es umgekehrt wäre.“ Maria war ganz im Anblick der schönen Fenster versunken. „Sehen Sie, theuere Freundin, links in der Ecke bemerken Sie die heilige Cäcilia, Katharina und Klara; die Steinigung des h. Stephanus und Bruno den Karthäuser, der nicht mit Bruno Bauer, dem Philosophen, zu verwechseln ist. Der letztere hätte freilich auch ein Heiliger werden können; seit er sich aber auf die Politik geworfen hat, da ist es aus mit ihm; er hat keine Chance mehr. Im zweiten Fenster sehen Sie den heiligen Geist, die Kirchenväter und das baierische Wappen und darunter Ludovicus I. Bavariae rex Donator 1848. Das dritte schmücken die vier Evangelisten; aus dem Rahmen des vierten schauen Abraham, Noah, David, Salomo u. s. w., lauter berühmte Männer; das fünfte Fenster zeigt uns eine Menge Heiliger beiderlei Geschlechts, deren Namen mir leider entfallen sind. Zur Buße für dies sündige Vergessen werde ich sie nächstens noch einmal auswendig lernen. — O, ich bin entsetzlich zurückgegangen; in früheren Jahren war ich nicht nur mit allen Heiligen der Stadt Köln bekannt, nein, ich verstand mich auch auf alle unsere Historien, Sagen und Legenden so gut wie der Dr. Ernst Weyden, ja, ich wußte noch viel komischeres Zeug als er. Uebrigens sagen Sie mir aufrichtig, wie gefallen Ihnen diese Glasmalereien?“ Maria schaute nach den alten Fenstern der gegenüber liegenden Seite und schüttelte mit dem Kopfe: „Man sieht, daß Jahrhunderte zwischen diesen und jenen liegen.“ „Sie haben recht, theuere Freundin, es will den Malern jetziger Zeit nicht mehr gelingen jene frommen, verrenkten Schenkel verrauschter Jahrhunderte hervorzubringen. Leute, die Cigarren rauchen und die in's Theater gehen um Charlotte von Hagen zu hören, oder die Beine Fanny's zu bewundern, sie sind für die heilige Malerei verdorben. Vergebens werden sich die armen Düsseldorfer und Münchner anstrengen, einen erträglichen heiligen Geist, einen schönen Engel oder dergleichen Ueberirdisches zu Tage zu fördern — sie sind kalte nüchterne Menschen, sie werden die naiven Fehler der Alten nie erreichen. Die Geister der Weisen sitzen in den Wolken und lachen über sie. Lachen wir über beide!“ Während ich sprach, hatte ich mich fester an die schöne Medicäerin geschmiegt, und ich weiß nicht was ich gewagt hätte, wenn nicht der heilige Christoph mit einer wahrhaft beunruhigenden Gewissenhaftigkeit hinter uns her gestolpert wäre. „Drücken Sie sich,“ raunte ich ihm daher von der Seite zu, „Sie verstehen ja doch nichts von der Kunst; Sie sind gar nicht an ihrem Orte; entfernen Sie sich, frommer Freund!“ Der heilige Christoph maß mich von oben bis unten. Seine großen dummen Augen blinkten gläsern wie zwei Fenster. Maria schaute ihn an und nickte herablassend; es war kein Zweifel mehr, Christoph war eifersüchtig! „Soll ich ihn fordern auf krumme Säbel, auf Pistolen?“ Ich zitterte vor Wuth; da wandte sich meine Freundin und zog mich hinauf den hallenden Säulengang und es rauschte ihr Kleid wie ein Mährchen der Scheherezade. „Sie haben mir noch gar nicht gesagt wer Sie sind?“ fuhr Maria fort und blickte mich fragend an. Es war mir unangenehm so ohne Weiteres ausgeforscht zu werden. Der heilige Christoph spitzte die Ohren und kam wieder ganz in unsere Nähe. „Ich treibe ein heiliges Handwerk, theuere Freundin, ich bin ein Spötter!“ Der große Christoph stutzte; Maria sah mich verwundert an. Die herrliche Frau wurde immer schöner. Das Mondlicht fiel durch die Fenster König Ludwigs und streute Diamanten und Saphire auf sie herab — und immer stürmischer kochte mir es in den Adern. „Ja, ich bin ein spottender Schriftgelehrter, heiliger Christoph,“ fuhr ich dann zu dem Ungeschlachten fort, „und nehme er sich in Acht, guter Freund, sonst werde ich ihn zausen und lächerlich machen, daß er d'ran denken soll bis an den jüngsten Tag. Was langweilt er uns durch seine überflüssige Gegenwart? Schere er sich zurück auf sein Postament, sonst werde ich es aufnehmen mit meiner profanen Feder gegen seinen gegen Schmidt, — in der That, die Herren von der Rechten sind seine Kritiker! Hr. Lychnowski schließt die Sitzung. Diesen Freund indeß behalten wir uns für den nächsten Artikel vor; einen Redner vom Kaliber des Hrn. Lychnowski bricht man nicht übers Knie! (Fortsetzung folgt.) !!! Frankfurt, 28. August. 67. Sitzung der National-Versammlung. Präsident von Gagern. Beginn 1/2 10 Uhr. Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über den Artikel III. der Grundrechte des deutschen Volkes. Rieser (im Namen des Prioritätsausschusses) erstattet Bericht über ein Gesetz für Unverletzlichkeit der Abgeordneten. Der Ausschuß beantragt: Ein Abgeordneter darf vom Augenblick seiner Wahl an bis 8 Tage nach seinem Austritt aus der Versammlung, außer bei Ergreifung auf frischer That, nicht verhaftet werden. Kein Abgeordneter darf wegen irgend einer in seiner Funktion als Abgeordneter gethanen Aeußerung gerichtlich verfolgt werden. Zachariä (für den völkerrechtlichen Ausschuß) bringt zwei Berichte: 1. betreffs der aus der Wahl zur National-Versammlung ausgeschlossenen Besatzung von Luxemburg. 2. betreffs einer neuen Petition wegen der im Juni-Aufstand zu Paris betheiligten und von der französischen Regierung eingesperrten Deutschen. Diese beiden Berichte werden sogleich vorgenommen. Nro. 1. Die Eingabe der Luxemburger Offiziere wird dem Verfassungs-Ausschuß als Material zum Entwurf des zukünftigen Wahlgesetzes über geben. Nro. 2 wird durch die Erklärung des Minister Heckscher, betreffs der in Paris beim letzten Aufstand betheiligten Deutschen als mit erledigt erachtet. Kerst (im Namen des Marine-Ausschusses): Der Marine-Ausschuß hat beschlossen, die sämmtlichen an die National-Versammlung eingegangenen Beiträge zur deutschen Flotte dem Finanzministerium zu übergeben. 68,000 Gulden stehen bis jetzt zur Verfügung. Der Ausschuß bemerkt, daß vorzugsweise die weniger bemittelten Klassen und Frauen und Jungfrauen beigesteuert haben. Tagesordnung: §. 13 der Grundrechte. Kauzer, Pfarrer aus Würtemberg, begrüßt aus vielen Gründen den §. 13 mit Freude. Den durch denselben abgeschafften Staatsreligionen weint er keine Thräne nach. Der Geist der Demokratie, der über die Erde geht, klopft auch an die Thüre der Kirche. Er hofft, die Kirche wird die Prüfung der Freiheit bestehen. (Bravo). Beckeraty (Finanzminister) empfiehlt den Paragraphen so zu lassen, wie der Ausschuß ihn giebt. Moritz Mohl: (Schluß!) Es giebt kein größeres Unglück als das der Israeliten, die kein Vaterland haben und auf der ganzen Erde verstreut sind. (Im Centrum Einer sehr laut: Nein!) Wir wollen deshalb human sein gegen die Juden aber doch gehen uns die Rechte des deutschen Volkes jederzeit vor. Die armen Landleute wurden bisher von den Juden ausgesaugt. Wenn ein Jude einmal einen Fuß in die Hütte des Bauern gesetzt hat, so ist der Bauer verloren. Diese Frage wird mich zwar unpopulair machen, aber dennoch will ich weiter sprechen. Man wird mir die lange Unterdrückung der Juden entschuldigend vorhalten, aber die Israeliten werden immer wie ein Tropfen Oel auf dem Wasser der deutschen Bevölkerung schwimmen. (Verhöhnung, Zischen). Dr. D. Riesser aus Hamburg (Jude) spricht im Namen einer seit Jahrtausenden unterdrückten Volks- (?) Klasse gegen die ungerechten Angriffe des Herrn Mohl. Die Nationalitäten können allerdings nur dann sich recht vermischen, wenn sie volle Freiheit der gemischten Ehen, also auch zwischen Juden und Christen aussprechen. Der Vorwurf des Schachers ist lächerlich So lange Sie den Schacher selbst nicht aufheben, müssen die Juden eben so gut schachern können, wie die Christen, wie es auch geschieht. Ich bin stolz darauf, in dieser Sache Partei zu sein. (Bravo). Osterrath will für dasselbe Prinzip wie der vorige Redner, für die Duldsamkeit, sprechen. Das, was Mohl über die Juden gesagt, sei nicht wahr. Der Polizeistaat hätte sich mit den Juden, Quäkern und Menoniten vertragen. Der „freie Staat“ (des bürgerlichen Schacherthums) würde es wohl noch viel eher können. v. Linde aus Mainz (heftig: Schluß, Schluß!) Gagern: Will die Versammlung die Debatte über § 13 schließen? Nein. v. Linde spricht sehr lange und sehr langweilig. Rheinwaldt (läuft schnell auf die Tribüne). M. H., ich habe den Antrag gestellt, Ligourianer, Redemptoristen und Jesuiten aus dem deutschen Reiche zu verbannen. (Gagern bemerkt, daß dieser Antrag zu §. 24 gehört.) Der Redner scheint anderer Ansicht zu sein; spricht lang und breit über die Jesuiten. Wenn in Deutschland ein politischer Verein bestände, die neue Freiheit zu vernichten, Sie würden ihn gewiß verbieten. (Edles Vertrauen in diese klassische Versammlung.) Ein solcher Verein ist, wenn auch unter religiöser Form, der Jesuitenverein. Spricht sehr lange nach irgend einem Buche von der Organisation des Ordens. Reichensperger, der Trierer Jesuitenfreund, fordert von Hrn. Rheinwaldt Beweise für das, was er von den Jesuiten gesagt hat. Die Versammlung beschließt, daß diese Dinge zu §. 24 gehören. Hierauf schließt man die Diskussion über §. 13, und es spricht wie gewöhnlich noch eine Zeit lang Hr. Beseler. Die Amendements werden zur Unterstützung verlesen. Grävell's sämmtliche Amendements werden mit Gelächter begrüßt und finden keine Unterstützung. Moritz Mohl's Amendement wegen der Juden fällt unter Bravo ganz durch. — Abstimmung. 1) über §. 11. Der Antrag des Ausschusses: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.“ einstimmig angenommen. Ein Zusatz von Plathner: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen.“ angenommen. (Links und Centrum: Bravo! Rechts: Zischen.) Ein zweiter Zusatz von Plathner: „Niemand darf seiner religiösen Ueberzeugung wegen benachtheiligt oder zur Verantwortung gezogen werden.“ giebt ein zweifelhaftes Resultat. Man zählt die Stimmen. Gagern: Der Antrag ist mit 217 gegen 199 Stimmen angenommen. (Links: Bravo!) Gagern (nach einer kleinen Pause): Es war ein Irrthum. Der Antrag ist mit 217 gegen 199 Stimmen verworfen. (Großes Gelächter. Rechts: Bravo! Links: Namentlich abstimmen!) Abstimmung über §. 12. Wird nach dem Verfassungsausschuß angenommen. Gagern: Hiermit sind alle Anträge zu diesem Paragraphen beseitigt. Vogt (vom Platze): Nein! Der zweite Satz meines Amendements nicht. (Dieser heißt nämlich: „Zum Zwecke dieser Religionsübung darf jede von den Gesetzen nicht verbotene Handlung vorgenommen werden.“) Gagern: Ich glaube bei meinem Beschluß beharren zu müssen. (Rechts: Ja! Links heftig: Nein!) Eisenmann erklärt sich für Vogt's Ansicht. (Vogt macht ihm vom Platze aus höhnische Komplimente.) Gagern: Es bleibt dabei (basta!). — Man geht zur Abstimmung von §. 13. Mit Verwerfung der Backhausischen u. m. A. Anträge und mit Verwerfung eines Antrages von Martens wird auch §. 13 in der Fassung des Ausschusses angenommen. §. 11 lautet demnach: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen.“ §§. 12 und 13 bleiben nach dem Vorschlage des Verfassungsausschusses unverändert. Einige Abgeordnete von Tyrol erklären nach der Abstimmung zu Protokoll, daß sie zwar für diese Paragraphen gestimmt haben, aber die Hoffnung aussprächen, bei Anwendung dieser Maßregeln werde man in Tyrol mit Rücksicht auf die eigenthümlichen Verhältnisse dieses Landes (nach Prof. Gasser: mit Schonung) verfahren. Diese Erklärung verursacht Erstaunen, Widerspruch und Mißbilligung. Man verlangt die Namen zu hören. Gagern fragt die Versammlung, ob sie die auf der heutigen Tagesordnung stehende Wahl eines Finanzausschusses heute noch vornehmen wolle? Man ist zu sehr angestrengt und beschließt dies für morgen. Schluß der Sitzung 2 1/2 Uhr. Morgen: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte. 103 Berlin, 28. August. Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. — Tagesordnung: Berathung des Gesetzes über die Errichtung der Bügerwehr. — Nachdem mehrere Geschäftsangelegenheiten beseitigt sind, wird zuerst, das in den letzten Sitzungen berathene und amendirte Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit Habeas-Corpus-Akte — einstimmig angenommen. — Hierauf folgen die dringenden Anträge und Interpellationen. Abg. Berends. Interpellation an den Minister des Innern wegen der in der Nacht von Sonnabend zu Sonntag stattgehabten ungesetzlichen Haussuchungen und Beschlagnahme von Munition in den Lokalen des Handwerkervereins, welche Gründe dazu vorlagen und ob man nicht den ausführenden Polizeibeamten deshalb in Anklagestand versetzen werde? — Wird mit starker Majorität als dringend anerkannt. — Der Minister des Innern antwortet: von dieser Angelegenheit außer dem was er aus allgemeinen Gesprächen gehört habe, nichts erfahren zu haben. Er wird bis zur Freitagssitzung die amtlichen Berichte darüber einfordern und die nöthige Auskunft ertheilen. — Abg. Fretzdorff. (Kaufmann aus Stettin, Freihändler.) dringende Inpellation: „ob es gegründet, daß mit den Zollvereinsstaaten ohne Vorbehalt der Zustimmung der Versammlung eine sofortige Erhöhung der bestehenden Eingangs-Abgaben auf seidene, halbseidene und wollene Waaren vereinbart worden ist, und wodurch diese, dem Geiste der Zeit und dem wahren Interesse des Landes durchaus widerstrebende Maaßnahme ihre Rechtfertigung finden soll.“ — (Die Majorität erkennt diese Interpellation als dringend an.) Der Handelsminister Milde. Was die Frage anbetrifft, so beantworte ich sie allerdings mit: ja, der größte Theil der Staaten des Zollvereins haben zu der beabsichtigten Steuererhöhung bereits ihre Zustimmung ertheilt. Es handelt sich nicht darum den Steuer-Tarif zu erhöhen, sondern da eine fremde Macht die Ausfuhr-Prämie für verschiedene Fabrikate erhöhet hat, um den Zollverein mit ihren Fabrikaten zu überschwemmen, so ist eine Gegenmaßregel unsererseits durchaus nothwendig und dies kann nur vermittelst einer Steuererhöhung geschehen. (Schöne „Vereinbarung“ zweier Staaten zur wechselseitigen Steuererhöhung. Abg. Fretzdorff erwidert, daß auch er dem Jammer im ganzen Lande vorbeugen wolle, aber woher kommt dieser Jammer? durch ein falsches und schlechtes Steuersystem. Man richte ein, mit den neuesten nationalökonomischen Grundsätzen übereinstimmendes Steuersystem ein, dann wird der Noth besser vorgebeugt als durch Schutzzölle. Minister Hansemann verspricht, daß die angeordnete Maßregel wieder aufgehoben werden solle, wenn Frankreich seine Ausfuhr-Prämien wieder wie früher ermäßigt. Die Regierung kann aber augenblicklich nicht anders handeln. Belgien und andere Staaten haben in gleichen Fallen ebenso gehandelt — Der Abg. Euler verliest den Bericht der Central-Abtheilung über die Gesetzes-Vorlage betreffend die Errichtung der Bürgerwehr und fügt demselben noch ungefähr folgendes hinzu: Nach dem vorgelegten Entwurfe scheine der Zweck der Bürgerwehr ein vorherrschend polizeilicher zu sein, eine Verschmelzung derselben mit der Landwehr sei nicht angebahnt von einer Stellung zur Linie aber gar keine Rede. — Die neue Zeit gestatte den früheren Gegensatz zwischen Volk und Militär nicht mehr, sondern verlange, daß beide in einander aufgehen. — Eine allgemeine Volksbewaffnung nach gleichen Grundsätzen biete dazu die vermittelnde Hand. Sie zerfalle in Linie (stehendes Heer) und Bürgerwehr, welche die Landwehr als Unterabtheilung in sich schließe. — Die Bürgerwehr müsse den Anfangs- und Endpunkt der ganzen Wehr-Verfassung bilden. u. s. w. Minister des Innern: giebt eine langweilige Geschichte der „Volkbewaffnung“ nach der Marzrevolution. Versichert daß die Regierung mit Befriedigung wahrgennommen, daß ihre Grundsätze in den Abtheilungen Billigung gefunden, und erklärt sich mit den am Entwurf vorgenommenen Aenderungen einverstanden. — Abg Dr. Jakoby: Ich erkläre mich gegen den Gesetz-Entwurf. Derselbe ist offenbar dazu bestimmt diejenigen Forderungen zu erfüllen, die in den Tagen der Märzrevolution von allen deutschen Stämmen gestellt wurden. Damals lautete der allgemeine Ruf: Verminderung der stehenden Heere und allgemeine Volksbewaffnung. Stehende Heere sind als Hauptstütze des Absolutismus erkannt. Die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung wollte man nicht länger der Polizei und dem Militär sondern der selbstständigen Bürgerwehr überlassen. Der Unterschied zwischen Bewaffneten und Unbewaffneten sollte gänzlich aufhören. Prüfen wir hiernach den Gesetz-Entwurf. Die Bürgerwehr erhält zwar Waffen, bleibt aber ein völlig isorlirtes Institut das nie eine allgemeine Volkswehr werden kann. Das Institut der Landwehr macht nur den Bürger zu einem unbewaffneten Soldaten. — Die politische Ruhe des Staates muß künftig allein der Bürgerwehr überlassen sein. Ordnung muß zwar bestehen, aber eine Ordnung ohne Freiheit, die wir 33 Jahre gehabt, ist gar nichts werth. Das vorgelegte Gesetz, weit entfernt die Königlichen Verheissungen zu erfüllen, kann ich nur als Nothgesetz ansehen. — Nachdem noch mehrere Redner für und gegen das Gesetz im Allgemeinen gesprochen gehet man zur Berathung der einzelnen Paragraphen über. Es ereignete sich hierbei ein interessanter Zwischenvorfall. Der Minister des Innern hatte bisher den Gebrauch geltend gemacht jedesmal nach dem Schluß der Debatte nochmals das Wort für die Regierungsgrundsätze zu ergreifen, um die Zweifelhaften zu kaptiviren. Als heute der Minister dieses Kunststückchen bei Berathung des § 1. wieder angebracht hatte, trat endlich der ministerielle Abg. Zacharia dagegen auf, was die Linke nie gewagt. Es stehe ja in diesem Fall keinem Andern mehr das Recht zu den Minister zu widerlegen; will er noch sprechen so muß er es vor dem Schluß der Debatte thun, damit man ihm etwas erwidern könne. — Der Präsident Grabow erklärt, daß dieser Uebelstand nicht ihm zur Last fallen könne, indem die Geschäftsordnung hierüber undeutlich sei, indem sie die Bestimmung enthalte: „Die Minister können zu jeder Zeit das Wort verlangen.“ (Ruf: während der Debatte, aber nicht nach dem Schluß!) Er stelle nun anheim der Kommission zur Verbesserung der Geschäftsordnung diesen Gegenstand zu überweisen. Obgleich zu den einzelnen Paragraphen verschiedene Amendements gestellt wurden, so werden doch die §§. 1-6, die allgemeinen Bestimmungen enthaltend, unverändert angenommen. Sie lauten: §. 1. Die Bürgerwehr hat die Bestimmung, die verfassungsmänige Freiheit und die gesetzliche Ordnung zu schützen und bei Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde mitzuwirken. — In ihren dienstlichen Versammlungen darf sie über öffentliche Angelegenheiten nicht berathen. §. 2. Die Bürgerwehr soll in allen Gemeinden des Königreiches bestehen. §. 3. Durch königliche Verordnung kann aus wichtigen, in der Auflösungs-Ordre anzugebenden Gründen die Bürgerwehr einzelner Gemeinden oder Kreise ihres Dienstes enthoben oder aufgelös't werden. — Die Dienstenthebung darf nicht länger als 6 Monate dauern. Im Falle einer Auflösung muß die Verordnung wegen der neuen Organisation der Bürgerwehr binnen 3 Monate erfolgen. §. 4. Wenn die Bürgerwehr einer Gemeinde oder eines Kreises den Requisitionen der Behörden Folge zu leisten sich weigert oder sich in die Verrichtungen der Gemeinden, der Verwaltungs- oder gerichtlichen Behörden einmischt, so kann der Verwaltungs-Chef des Regierungsbezirkes unter Angabe der Gründe sie vorläufig ihres Dienstes entheben. — Diese Dienstenthebung hört nach Ablauf von 4 Wochen von selbst auf, wenn nicht innerhalb dieser Zeit die Bestätigung derselben oder die Auflösung der Bürgerwehr nach §. 3. erfolgt. §. 5. Die Bürgerwehr gehört zum Ressort des Ministers des Innern. §. 6. Die Mitglieder der Bürgerwehr dürfen sich ohne Befehl ihrer Anführer weder zu dienstlichen Zwecken versammeln noch unter die Waffen treten, — Die Anführer dürfen diesen Befehl nicht ohne Requisition der zuständigen Civilbehörden ertheilen, ausgenommen, soweit es sich um die Vollziehung des Dienstreglements handelt. (§. 65.) §. 7. Jedes Mitglied der Bürgerwehr leistet vor dem Gemeinde-Vorsteher, in Gegenwart des Befehlshabers der Bürgerwehr, folgende feierliche Versicherung: „Ich gelobe Treue dem Könige und Gehorsam der Verfassung und den Gesetzen des Königreiches.“ Nur der letzte Paragraph ruft eine äußerst lebhafte Debatte hervor. Folgende Amendements werden gestellt: Die Worte: „Treue dem Könige“ zu streichen, vom Abg. Reichenbach. Statt: „Königreiches“ zu sagen: „Staates“, vom Abg. Temme. „Jedes Mitglied wird vom Gemeindevorsteher in Gegenwart des Befehlshabers durch Handschlag auf die Verfassung verpflichtet,“ vom Abg. Weichsel. Abg. Reichenbach: Mein Amendement verlangt die Auslassung der Worte: „Treue dem Könige“. Als wir bei'm Beginne unserer Sitzungen die Volkssouverainetät proklamiren wollten, wurde dieses Prinzip nicht anerkannt, sondern das Volk habe mit dem Könige eine Verfassung zu vereinbaren. Beide Theile sind daher gleichberechtigt, und beide müssen der vereinbarten Verfassung Treue geloben, nicht aber, daß die eine kontrahirende Partei der andern noch eine besondere Treue gelobte. Wie wäre dieser Eid zu erfüllen, wenn der König die Verfassung verletzt. Abg. Jung spricht für den gänzlichen Wegfall des Eides sowohl bei der Bürgerwehr als bei allen Staatsämtern. Es sind Männer in dieser Versammlung, welche einen Eid geschworen, der mit ihrem Berufe, eine Verfassung mit dem Könige zu vereinbaren, nicht in Einklang zu bringen sei. Abg. D'Ester: Der Diensteid ist eine Lüge. — Man hat von dieser Stelle von der Treue und Wahrhaftigkeit des deutschen Wortes gesprochen, es hat auch deutsche Worte gegeben, die keine Wahrheit waren. — Die Gemeindeverfassung, welche vor zwei Jahren dem Rheinlande gegeben wurde, schreibt keinen Diensteid vor. Nachdem noch viele Redner für und gegen den §. 7 gesprochen haben, wird derselbe unverändert mit kleiner Majorität angenommen. 61 Wien, 25. August. Immer mehr Thatsachen werden über das meuchelmörderische Verfahren der National- und Munizipalgarde bekannt, welche die Bestialität des gebildeten Besitzes bekunden; aber auch Rachethaten des Volks treten ihnen zur Seite. Hören Sie einige davon. Am 23. um halb 9 Uhr hatten sich vor dem Stierböck'schen Kaffeehause auf der Donauseite mehre Menschen versammelt, welche ihre Meinung über die vorgefallenen Unruhen austauschten. Einer der Sprecher behauptete: „Den Arbeitern geschehe Recht, man solle diese Hunde alle erschießen und aufhängen.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so erscholl der Ruf: „Nieder mit ihm!“ Der Betroffene zog sich bis zur Mauer zurück, wo er von der Menge umringt wurde. Plötzlich stieß er einen fürchterlichen Schrei aus und fiel durch einen Messerstich in's Genick zu Boden. Der Thäter ist noch nicht ermittelt. In der Herrngasse (Vorstadt Leopold) fielen auf die erste Decharge gegen 15 Personen, Weiber und Kinder. Die Arbeiter fielen in die Knie und baten mit aufgehobenen Händen um ihr Leben. Es nützte nichts. Man stürzte über sie her und hieb sie zusammen. — Im Gemeindehause in der Leopoldstadt äußerte ein Garde sein Bedauern darüber, blos zwei niedergeschossen zu haben. — Die neusten Hieb- und Schießwunden der Todten, deren es den meisten Berichten zufolge 51 gibt, und Verwundeten (an 200) zeigen sich am Rücken; Beweis der Tapferkeit dieser deutschen Spießbürger-Niederträchtigkeit! Gestern kamen Männer, Weiber und Kinder in's Hospital der barmherzigen Brüder und suchten ihre Angehörigen; Mütter suchten ihre Kinder, Weiber ihre Männer; es war ein Bild des schrecklichsten Jammers, Die Schlächterei hatte damit ihren Anfang genommen, daß die Arbeiter im Prater mit der Munizipalgarde in Konflikt geriethen, weil erstere eine ausgestopfte Figur, den Minister Schwarzer vorstellend, hängen und beerdigen wollten. Munizipal- und Nationalgarde stürzten auf sie ein und mordeten, was ihnen vorkam <TEI> <text> <body> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="ar090_002" type="jArticle"> <p><pb facs="#f0002" n="0456"/> men, man stürmt einige Waffenläden, man baut Barrikaden, man schießt die königlichen Truppen nieder, man zieht vor das Schloß und ehe man noch seine Forderungen gestellt hat, da ist auch schon Alles bewilligt und friedlich geht man wieder nach Hause. Nichts ist amüsanter! —“</p> <p>„Seltsam!“ — bemerkte Frau Maria und sah mich mit ihren dunkelblauen Augen so feierlich an, wie ein stiller Abendhimmel. „Gehören Sie auch zu den Leuten, welche Revolutionen machen?“ Die Medicäerin faßte meinen Arm mit beiden Händen; es wurde mir unheimlich zu Muthe. —</p> <p>„Theuere Maria, ich liebe alle schönen Frauen und ich liebe Sie vor allen Andern. —“</p> <p>Da hatten wir die größere Hälfte des Domes durchschritten und näherten uns den Festern Ludwigs des Baiern.</p> <p>Unbemerkt von der übrigen Gesellschaft, konnte ich bisher mit meiner göttlichen Begleiterin reden, da wollte der Zufall, daß uns der heilige Christoph bemerkte und von seinem Postamente herabsteigend, unsern Schritten folgte. Nichts ist mir unangenehmer, als eine so enorme Leibeslänge, wie sie der heilige Christoph besitzt. Ich glaubte, der Republikaner Karl Heinzen rückte mir auf den Pelz und ich bekam einen Todesschrecken. Maria bemerkte meine Verlegenheit und lächelte. „Trösten Sie sich, der heilige Christoph wird Ihnen nichts zu Leide thun; er ist ein ehrlicher, guter Mann, der stets auf's zärtlichste um mich besorgt ist; thun Sie, als ob Sie ihn gar nicht sähen!» — Ich gehorchte, aber der heilige Mann, mit seinem großen Stock, ärgerte mich; ich kann diese ungeschlachten, charakterfesten Menschen nicht leiden.</p> <p>„Die schönen Fenster schenkten uns Herr Ludwig,“ fuhr ich zu Marie fort, „volksfreundliche Demokraten haben behauptet, es sei eine wahre Schande, daß er seine Bauern nur mit Steuern pfefferte, um alles Geld wieder für die Kunst wegzuwerfen. Ich muß Ihnen gestehen, ich bin durchaus anderer Meinung; es ist mir lieber, daß die geduldigen baierischen Bauern etwas weniger Speck gegessen und Bier getrunken haben und daß wir die Fenster besitzen, als wenn es umgekehrt wäre.“ Maria war ganz im Anblick der schönen Fenster versunken. „Sehen Sie, theuere Freundin, links in der Ecke bemerken Sie die heilige Cäcilia, Katharina und Klara; die Steinigung des h. Stephanus und Bruno den Karthäuser, der nicht mit Bruno Bauer, dem Philosophen, zu verwechseln ist. Der letztere hätte freilich auch ein Heiliger werden können; seit er sich aber auf die Politik geworfen hat, da ist es aus mit ihm; er hat keine Chance mehr. Im zweiten Fenster sehen Sie den heiligen Geist, die Kirchenväter und das baierische Wappen und darunter Ludovicus I. Bavariae rex Donator 1848. Das dritte schmücken die vier Evangelisten; aus dem Rahmen des vierten schauen Abraham, Noah, David, Salomo u. s. w., lauter berühmte Männer; das fünfte Fenster zeigt uns eine Menge Heiliger beiderlei Geschlechts, deren Namen mir leider entfallen sind. Zur Buße für dies sündige Vergessen werde ich sie nächstens noch einmal auswendig lernen. — O, ich bin entsetzlich zurückgegangen; in früheren Jahren war ich nicht nur mit allen Heiligen der Stadt Köln bekannt, nein, ich verstand mich auch auf alle unsere Historien, Sagen und Legenden so gut wie der Dr. Ernst Weyden, ja, ich wußte noch viel komischeres Zeug als er. Uebrigens sagen Sie mir aufrichtig, wie gefallen Ihnen diese Glasmalereien?“</p> <p>Maria schaute nach den alten Fenstern der gegenüber liegenden Seite und schüttelte mit dem Kopfe: „Man sieht, daß Jahrhunderte zwischen diesen und jenen liegen.“</p> <p>„Sie haben recht, theuere Freundin, es will den Malern jetziger Zeit nicht mehr gelingen jene frommen, verrenkten Schenkel verrauschter Jahrhunderte hervorzubringen. Leute, die Cigarren rauchen und die in's Theater gehen um Charlotte von Hagen zu hören, oder die Beine Fanny's zu bewundern, sie sind für die heilige Malerei verdorben. Vergebens werden sich die armen Düsseldorfer und Münchner anstrengen, einen erträglichen heiligen Geist, einen schönen Engel oder dergleichen Ueberirdisches zu Tage zu fördern — sie sind kalte nüchterne Menschen, sie werden die naiven Fehler der Alten nie erreichen. Die Geister der Weisen sitzen in den Wolken und lachen über sie. Lachen wir über beide!“</p> <p>Während ich sprach, hatte ich mich fester an die schöne Medicäerin geschmiegt, und ich weiß nicht was ich gewagt hätte, wenn nicht der heilige Christoph mit einer wahrhaft beunruhigenden Gewissenhaftigkeit hinter uns her gestolpert wäre. „Drücken Sie sich,“ raunte ich ihm daher von der Seite zu, „Sie verstehen ja doch nichts von der Kunst; Sie sind gar nicht an ihrem Orte; entfernen Sie sich, frommer Freund!“ Der heilige Christoph maß mich von oben bis unten. Seine großen dummen Augen blinkten gläsern wie zwei Fenster. Maria schaute ihn an und nickte herablassend; es war kein Zweifel mehr, Christoph war eifersüchtig! „Soll ich ihn fordern auf krumme Säbel, auf Pistolen?“ Ich zitterte vor Wuth; da wandte sich meine Freundin und zog mich hinauf den hallenden Säulengang und es rauschte ihr Kleid wie ein Mährchen der Scheherezade.</p> <p>„Sie haben mir noch gar nicht gesagt wer Sie sind?“ fuhr Maria fort und blickte mich fragend an. Es war mir unangenehm so ohne Weiteres ausgeforscht zu werden. Der heilige Christoph spitzte die Ohren und kam wieder ganz in unsere Nähe. „Ich treibe ein heiliges Handwerk, theuere Freundin, ich bin ein Spötter!“ Der große Christoph stutzte; Maria sah mich verwundert an. Die herrliche Frau wurde immer schöner. Das Mondlicht fiel durch die Fenster König Ludwigs und streute Diamanten und Saphire auf sie herab — und immer stürmischer kochte mir es in den Adern. „Ja, ich bin ein spottender Schriftgelehrter, heiliger Christoph,“ fuhr ich dann zu dem Ungeschlachten fort, „und nehme er sich in Acht, guter Freund, sonst werde ich ihn zausen und lächerlich machen, daß er d'ran denken soll bis an den jüngsten Tag. Was langweilt er uns durch seine überflüssige Gegenwart? Schere er sich zurück auf sein Postament, sonst werde ich es aufnehmen mit meiner profanen Feder gegen seinen</p> </div> <div xml:id="ar090_003" type="jArticle"> <p>gegen Schmidt, — in der That, die Herren von der Rechten sind seine Kritiker!</p> <p>Hr. Lychnowski schließt die Sitzung. Diesen Freund indeß behalten wir uns für den nächsten Artikel vor; einen Redner vom Kaliber des Hrn. Lychnowski bricht man nicht übers Knie!</p> <p> <ref type="link">(Fortsetzung folgt.)</ref> </p> </div> <div xml:id="ar090_004" type="jArticle"> <head><bibl><author>!!!</author></bibl> Frankfurt, 28. August.</head> <p>67. Sitzung der National-Versammlung. Präsident von Gagern. Beginn 1/2 10 Uhr. Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über den Artikel III. der Grundrechte des deutschen Volkes.</p> <p>Rieser (im Namen des Prioritätsausschusses) erstattet Bericht über ein Gesetz für Unverletzlichkeit der Abgeordneten. Der Ausschuß beantragt: Ein Abgeordneter darf vom Augenblick seiner Wahl an bis 8 Tage nach seinem Austritt aus der Versammlung, außer bei Ergreifung auf frischer That, nicht verhaftet werden. Kein Abgeordneter darf wegen irgend einer in seiner Funktion als Abgeordneter gethanen Aeußerung gerichtlich verfolgt werden.</p> <p>Zachariä (für den völkerrechtlichen Ausschuß) bringt zwei Berichte:</p> <p>1. betreffs der aus der Wahl zur National-Versammlung ausgeschlossenen Besatzung von Luxemburg.</p> <p>2. betreffs einer neuen Petition wegen der im Juni-Aufstand zu Paris betheiligten und von der französischen Regierung eingesperrten Deutschen.</p> <p>Diese beiden Berichte werden sogleich vorgenommen.</p> <p>Nro. 1. Die Eingabe der Luxemburger Offiziere wird dem Verfassungs-Ausschuß als Material zum Entwurf des zukünftigen Wahlgesetzes über geben.</p> <p>Nro. 2 wird durch die Erklärung des Minister Heckscher, betreffs der in Paris beim letzten Aufstand betheiligten Deutschen als mit erledigt erachtet.</p> <p>Kerst (im Namen des Marine-Ausschusses): Der Marine-Ausschuß hat beschlossen, die sämmtlichen an die National-Versammlung eingegangenen Beiträge zur deutschen Flotte dem Finanzministerium zu übergeben. 68,000 Gulden stehen bis jetzt zur Verfügung. Der Ausschuß bemerkt, daß vorzugsweise <hi rendition="#g">die weniger bemittelten Klassen</hi> und Frauen und Jungfrauen beigesteuert haben.</p> <p>Tagesordnung: §. 13 der Grundrechte.</p> <p>Kauzer, Pfarrer aus Würtemberg, begrüßt aus vielen Gründen den §. 13 mit Freude. Den durch denselben abgeschafften Staatsreligionen weint er keine Thräne nach. Der Geist der Demokratie, der über die Erde geht, klopft auch an die Thüre der Kirche. Er hofft, die Kirche wird die Prüfung der Freiheit bestehen. (Bravo).</p> <p>Beckeraty (Finanzminister) empfiehlt den Paragraphen so zu lassen, wie der Ausschuß ihn giebt.</p> <p>Moritz Mohl: (Schluß!) Es giebt kein größeres Unglück als das der Israeliten, die kein Vaterland haben und auf der ganzen Erde verstreut sind. (Im Centrum Einer sehr laut: Nein!) Wir wollen deshalb human sein gegen die Juden aber doch gehen uns die Rechte des deutschen Volkes jederzeit vor. Die armen Landleute wurden bisher von den Juden ausgesaugt. Wenn ein Jude einmal einen Fuß in die Hütte des Bauern gesetzt hat, so ist der Bauer verloren. Diese Frage wird mich zwar unpopulair machen, aber dennoch will ich weiter sprechen. Man wird mir die lange Unterdrückung der Juden entschuldigend vorhalten, aber die Israeliten werden immer wie ein Tropfen Oel auf dem Wasser der deutschen Bevölkerung schwimmen. (Verhöhnung, Zischen).</p> <p>Dr. D. Riesser aus Hamburg (Jude) spricht im Namen einer seit Jahrtausenden unterdrückten Volks- (?) Klasse gegen die ungerechten Angriffe des Herrn Mohl. Die Nationalitäten können allerdings nur dann sich recht vermischen, wenn sie volle Freiheit der gemischten Ehen, also auch zwischen Juden und Christen aussprechen. Der Vorwurf des Schachers ist lächerlich So lange Sie den Schacher selbst nicht aufheben, müssen die Juden eben so gut schachern können, wie die Christen, wie es auch geschieht. Ich bin stolz darauf, in dieser Sache Partei zu sein. (Bravo).</p> <p>Osterrath will für dasselbe Prinzip wie der vorige Redner, für die Duldsamkeit, sprechen. Das, was Mohl über die Juden gesagt, sei nicht wahr. Der Polizeistaat hätte sich mit den Juden, Quäkern und Menoniten vertragen. Der „freie Staat“ (des bürgerlichen Schacherthums) würde es wohl noch viel eher können.</p> <p>v. Linde aus Mainz (heftig: Schluß, Schluß!)</p> <p>Gagern: Will die Versammlung die Debatte über § 13 schließen? Nein.</p> <p>v. Linde spricht sehr lange und sehr langweilig.</p> <p>Rheinwaldt (läuft schnell auf die Tribüne). M. H., ich habe den Antrag gestellt, Ligourianer, Redemptoristen und Jesuiten aus dem deutschen Reiche zu verbannen. (Gagern bemerkt, daß dieser Antrag zu §. 24 gehört.) Der Redner scheint anderer Ansicht zu sein; spricht lang und breit über die Jesuiten. Wenn in Deutschland ein politischer Verein bestände, die neue Freiheit zu vernichten, Sie würden ihn gewiß verbieten. (Edles Vertrauen in diese klassische Versammlung.) Ein solcher Verein ist, wenn auch unter religiöser Form, der Jesuitenverein. Spricht sehr lange nach irgend einem Buche von der Organisation des Ordens.</p> <p>Reichensperger, der Trierer Jesuitenfreund, fordert von Hrn. Rheinwaldt Beweise für das, was er von den Jesuiten gesagt hat.</p> <p>Die Versammlung beschließt, daß diese Dinge zu §. 24 gehören. Hierauf schließt man die Diskussion über §. 13, und es spricht wie gewöhnlich noch eine Zeit lang Hr. Beseler.</p> <p>Die Amendements werden zur Unterstützung verlesen. Grävell's sämmtliche Amendements werden mit Gelächter begrüßt und finden keine Unterstützung. Moritz Mohl's Amendement wegen der Juden fällt unter Bravo ganz durch. — Abstimmung. 1) über §. 11.</p> <p>Der Antrag des Ausschusses: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.“ einstimmig angenommen.</p> <p>Ein Zusatz von Plathner: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen.“ angenommen. (Links und Centrum: Bravo! Rechts: Zischen.)</p> <p>Ein zweiter Zusatz von Plathner: „Niemand darf seiner religiösen Ueberzeugung wegen benachtheiligt oder zur Verantwortung gezogen werden.“ giebt ein zweifelhaftes Resultat. Man zählt die Stimmen.</p> <p>Gagern: Der Antrag ist mit 217 gegen 199 Stimmen angenommen. (Links: Bravo!)</p> <p>Gagern (nach einer kleinen Pause): Es war ein Irrthum. Der Antrag ist mit 217 gegen 199 Stimmen <hi rendition="#g">verworfen</hi>. (Großes Gelächter. Rechts: Bravo! Links: Namentlich abstimmen!)</p> <p>Abstimmung über §. 12. Wird nach dem Verfassungsausschuß angenommen.</p> <p>Gagern: Hiermit sind alle Anträge zu diesem Paragraphen beseitigt.</p> <p>Vogt (vom Platze): Nein! Der zweite Satz meines Amendements nicht. (Dieser heißt nämlich: „Zum Zwecke dieser Religionsübung darf jede von den Gesetzen nicht verbotene Handlung vorgenommen werden.“)</p> <p>Gagern: Ich glaube bei meinem Beschluß beharren zu müssen. (Rechts: Ja! Links heftig: Nein!)</p> <p>Eisenmann erklärt sich für Vogt's Ansicht. (Vogt macht ihm vom Platze aus höhnische Komplimente.)</p> <p>Gagern: Es bleibt dabei (basta!). — Man geht zur Abstimmung von §. 13. Mit Verwerfung der Backhausischen u. m. A. Anträge und mit Verwerfung eines Antrages von Martens wird auch §. 13 in der Fassung des Ausschusses angenommen.</p> <p>§. 11 lautet demnach: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen.“ §§. 12 und 13 bleiben nach dem Vorschlage des Verfassungsausschusses unverändert.</p> <p>Einige Abgeordnete von Tyrol erklären nach der Abstimmung zu Protokoll, daß sie zwar für diese Paragraphen gestimmt haben, aber die Hoffnung aussprächen, bei Anwendung dieser Maßregeln werde man in Tyrol mit Rücksicht auf die eigenthümlichen Verhältnisse dieses Landes (nach Prof. Gasser: mit Schonung) verfahren. Diese Erklärung verursacht Erstaunen, Widerspruch und Mißbilligung. Man verlangt die Namen zu hören.</p> <p>Gagern fragt die Versammlung, ob sie die auf der heutigen Tagesordnung stehende Wahl eines Finanzausschusses heute noch vornehmen wolle? Man ist zu sehr angestrengt und beschließt dies für morgen.</p> <p>Schluß der Sitzung 2 1/2 Uhr. Morgen: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte.</p> </div> <div xml:id="ar090_005" type="jArticle"> <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 28. August.</head> <p>Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. — Tagesordnung: Berathung des Gesetzes über die Errichtung der Bügerwehr. — Nachdem mehrere Geschäftsangelegenheiten beseitigt sind, wird zuerst, das in den letzten Sitzungen berathene und amendirte Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit Habeas-Corpus-Akte — einstimmig angenommen. —</p> <p>Hierauf folgen die dringenden Anträge und Interpellationen.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Berends</hi>. Interpellation an den Minister des Innern wegen der in der Nacht von Sonnabend zu Sonntag stattgehabten ungesetzlichen Haussuchungen und Beschlagnahme von Munition in den Lokalen des Handwerkervereins, welche Gründe dazu vorlagen und ob man nicht den ausführenden Polizeibeamten deshalb in Anklagestand versetzen werde? — Wird mit starker Majorität als dringend anerkannt. —</p> <p>Der Minister des Innern antwortet: von dieser Angelegenheit außer dem was er aus allgemeinen Gesprächen gehört habe, nichts erfahren zu haben. Er wird bis zur Freitagssitzung die amtlichen Berichte darüber einfordern und die nöthige Auskunft ertheilen. —</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Fretzdorff.</hi> (Kaufmann aus Stettin, Freihändler.) dringende Inpellation: „ob es gegründet, daß mit den Zollvereinsstaaten ohne Vorbehalt der Zustimmung der Versammlung eine sofortige Erhöhung der bestehenden Eingangs-Abgaben auf seidene, halbseidene und wollene Waaren vereinbart worden ist, und wodurch diese, dem Geiste der Zeit und dem wahren Interesse des Landes durchaus widerstrebende Maaßnahme ihre Rechtfertigung finden soll.“ — (Die Majorität erkennt diese Interpellation als dringend an.)</p> <p>Der Handelsminister <hi rendition="#g">Milde</hi>. Was die Frage anbetrifft, so beantworte ich sie allerdings mit: ja, der größte Theil der Staaten des Zollvereins haben zu der beabsichtigten Steuererhöhung bereits ihre Zustimmung ertheilt. Es handelt sich nicht darum den Steuer-Tarif zu erhöhen, sondern da eine fremde Macht die Ausfuhr-Prämie für verschiedene Fabrikate erhöhet hat, um den Zollverein mit ihren Fabrikaten zu überschwemmen, so ist eine Gegenmaßregel unsererseits durchaus nothwendig und dies kann nur vermittelst einer Steuererhöhung geschehen. (Schöne „Vereinbarung“ zweier Staaten zur wechselseitigen Steuererhöhung.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Fretzdorff</hi> erwidert, daß auch er dem Jammer im ganzen Lande vorbeugen wolle, aber woher kommt dieser Jammer? durch ein falsches und schlechtes Steuersystem. Man richte ein, mit den neuesten nationalökonomischen Grundsätzen übereinstimmendes Steuersystem ein, dann wird der Noth besser vorgebeugt als durch Schutzzölle.</p> <p>Minister <hi rendition="#g">Hansemann</hi> verspricht, daß die angeordnete Maßregel wieder aufgehoben werden solle, wenn Frankreich seine Ausfuhr-Prämien wieder wie früher ermäßigt. Die Regierung kann aber augenblicklich nicht anders handeln. Belgien und andere Staaten haben in gleichen Fallen ebenso gehandelt —</p> <p>Der Abg. <hi rendition="#g">Euler</hi> verliest den Bericht der Central-Abtheilung über die Gesetzes-Vorlage betreffend die Errichtung der Bürgerwehr und fügt demselben noch ungefähr folgendes hinzu:</p> <p>Nach dem vorgelegten Entwurfe scheine der Zweck der Bürgerwehr ein vorherrschend polizeilicher zu sein, eine Verschmelzung derselben mit der Landwehr sei nicht angebahnt von einer Stellung zur Linie aber gar keine Rede. — Die neue Zeit gestatte den früheren Gegensatz zwischen Volk und Militär nicht mehr, sondern verlange, daß beide in einander aufgehen. — Eine allgemeine Volksbewaffnung nach gleichen Grundsätzen biete dazu die vermittelnde Hand. Sie zerfalle in Linie (stehendes Heer) und Bürgerwehr, welche die Landwehr als Unterabtheilung in sich schließe. — Die Bürgerwehr müsse den Anfangs- und Endpunkt der ganzen Wehr-Verfassung bilden. u. s. w.</p> <p>Minister des Innern: giebt eine langweilige Geschichte der „Volkbewaffnung“ nach der Marzrevolution. Versichert daß die Regierung mit Befriedigung wahrgennommen, daß ihre Grundsätze in den Abtheilungen Billigung gefunden, und erklärt sich mit den am Entwurf vorgenommenen Aenderungen einverstanden. —</p> <p>Abg Dr. <hi rendition="#g">Jakoby:</hi> Ich erkläre mich gegen den Gesetz-Entwurf. Derselbe ist offenbar dazu bestimmt diejenigen Forderungen zu erfüllen, die in den Tagen der Märzrevolution von allen deutschen Stämmen gestellt wurden. Damals lautete der allgemeine Ruf: Verminderung der stehenden Heere und allgemeine Volksbewaffnung. Stehende Heere sind als Hauptstütze des Absolutismus erkannt. Die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung wollte man nicht länger der Polizei und dem Militär sondern der selbstständigen Bürgerwehr überlassen. Der Unterschied zwischen Bewaffneten und Unbewaffneten sollte gänzlich aufhören. Prüfen wir hiernach den Gesetz-Entwurf. Die Bürgerwehr erhält zwar Waffen, bleibt aber ein völlig isorlirtes Institut das nie eine allgemeine Volkswehr werden kann. Das Institut der Landwehr macht nur den Bürger zu einem unbewaffneten Soldaten. — Die politische Ruhe des Staates muß künftig allein der Bürgerwehr überlassen sein. Ordnung muß zwar bestehen, aber eine Ordnung ohne Freiheit, die wir 33 Jahre gehabt, ist gar nichts werth. Das vorgelegte Gesetz, weit entfernt die Königlichen Verheissungen zu erfüllen, kann ich nur als Nothgesetz ansehen. —</p> <p>Nachdem noch mehrere Redner für und gegen das Gesetz im Allgemeinen gesprochen gehet man zur Berathung der einzelnen Paragraphen über.</p> <p>Es ereignete sich hierbei ein interessanter Zwischenvorfall. Der Minister des Innern hatte bisher den Gebrauch geltend gemacht jedesmal nach dem Schluß der Debatte nochmals das Wort für die Regierungsgrundsätze zu ergreifen, um die Zweifelhaften zu kaptiviren. Als heute der Minister dieses Kunststückchen bei Berathung des § 1. wieder angebracht hatte, trat endlich der ministerielle Abg. Zacharia dagegen auf, was die Linke nie gewagt. Es stehe ja in diesem Fall keinem Andern mehr das Recht zu den Minister zu widerlegen; will er noch sprechen so muß er es vor dem Schluß der Debatte thun, damit man ihm etwas erwidern könne. —</p> <p>Der Präsident <hi rendition="#g">Grabow</hi> erklärt, daß dieser Uebelstand nicht ihm zur Last fallen könne, indem die Geschäftsordnung hierüber undeutlich sei, indem sie die Bestimmung enthalte: „Die Minister können zu jeder Zeit das Wort verlangen.“ (Ruf: während der Debatte, aber nicht nach dem Schluß!) Er stelle nun anheim der Kommission zur Verbesserung der Geschäftsordnung diesen Gegenstand zu überweisen.</p> <p>Obgleich zu den einzelnen Paragraphen verschiedene Amendements gestellt wurden, so werden doch die §§. 1-6, die allgemeinen Bestimmungen enthaltend, unverändert angenommen. Sie lauten:</p> <p>§. 1. Die Bürgerwehr hat die Bestimmung, die verfassungsmänige Freiheit und die gesetzliche Ordnung zu schützen und bei Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde mitzuwirken. — In ihren dienstlichen Versammlungen darf sie über öffentliche Angelegenheiten nicht berathen.</p> <p>§. 2. Die Bürgerwehr soll in allen Gemeinden des Königreiches bestehen.</p> <p>§. 3. Durch königliche Verordnung kann aus wichtigen, in der Auflösungs-Ordre anzugebenden Gründen die Bürgerwehr einzelner Gemeinden oder Kreise ihres Dienstes enthoben oder aufgelös't werden. — Die Dienstenthebung darf nicht länger als 6 Monate dauern. Im Falle einer Auflösung muß die Verordnung wegen der neuen Organisation der Bürgerwehr binnen 3 Monate erfolgen.</p> <p>§. 4. Wenn die Bürgerwehr einer Gemeinde oder eines Kreises den Requisitionen der Behörden Folge zu leisten sich weigert oder sich in die Verrichtungen der Gemeinden, der Verwaltungs- oder gerichtlichen Behörden einmischt, so kann der Verwaltungs-Chef des Regierungsbezirkes unter Angabe der Gründe sie vorläufig ihres Dienstes entheben. — Diese Dienstenthebung hört nach Ablauf von 4 Wochen von selbst auf, wenn nicht innerhalb dieser Zeit die Bestätigung derselben oder die Auflösung der Bürgerwehr nach §. 3. erfolgt.</p> <p>§. 5. Die Bürgerwehr gehört zum Ressort des Ministers des Innern.</p> <p>§. 6. Die Mitglieder der Bürgerwehr dürfen sich ohne Befehl ihrer Anführer weder zu dienstlichen Zwecken versammeln noch unter die Waffen treten, — Die Anführer dürfen diesen Befehl nicht ohne Requisition der zuständigen Civilbehörden ertheilen, ausgenommen, soweit es sich um die Vollziehung des Dienstreglements handelt. (§. 65.)</p> <p>§. 7. Jedes Mitglied der Bürgerwehr leistet vor dem Gemeinde-Vorsteher, in Gegenwart des Befehlshabers der Bürgerwehr, folgende feierliche Versicherung:</p> <p rendition="#et">„Ich gelobe Treue dem Könige und Gehorsam der Verfassung und den Gesetzen des Königreiches.“</p> <p>Nur der letzte Paragraph ruft eine äußerst lebhafte Debatte hervor.</p> <p>Folgende Amendements werden gestellt:</p> <p>Die Worte: „Treue dem Könige“ zu streichen, vom Abg. Reichenbach. Statt: „Königreiches“ zu sagen: „Staates“, vom Abg. Temme.</p> <p>„Jedes Mitglied wird vom Gemeindevorsteher in Gegenwart des Befehlshabers durch Handschlag auf die Verfassung verpflichtet,“ vom Abg. Weichsel.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Reichenbach</hi>: Mein Amendement verlangt die Auslassung der Worte: „Treue dem Könige“. Als wir bei'm Beginne unserer Sitzungen die Volkssouverainetät proklamiren wollten, wurde dieses Prinzip nicht anerkannt, sondern das Volk habe mit dem Könige eine Verfassung zu vereinbaren. Beide Theile sind daher gleichberechtigt, und beide müssen der vereinbarten Verfassung Treue geloben, nicht aber, daß die eine kontrahirende Partei der andern noch eine besondere Treue gelobte. Wie wäre dieser Eid zu erfüllen, wenn der König die Verfassung verletzt.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Jung</hi> spricht für den gänzlichen Wegfall des Eides sowohl bei der Bürgerwehr als bei allen Staatsämtern. Es sind Männer in dieser Versammlung, welche einen Eid geschworen, der mit ihrem Berufe, eine Verfassung mit dem Könige zu vereinbaren, nicht in Einklang zu bringen sei.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">D'Ester:</hi> Der Diensteid ist eine Lüge. — Man hat von dieser Stelle von der Treue und Wahrhaftigkeit des deutschen Wortes gesprochen, es hat auch deutsche Worte gegeben, die keine Wahrheit waren. — Die Gemeindeverfassung, welche vor zwei Jahren dem Rheinlande gegeben wurde, schreibt keinen Diensteid vor.</p> <p>Nachdem noch viele Redner für und gegen den §. 7 gesprochen haben, wird derselbe unverändert mit kleiner Majorität angenommen.</p> </div> <div xml:id="ar090_006" type="jArticle"> <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 25. August.</head> <p>Immer mehr Thatsachen werden über das meuchelmörderische Verfahren der National- und Munizipalgarde bekannt, welche die Bestialität des gebildeten Besitzes bekunden; aber auch Rachethaten des Volks treten ihnen zur Seite. Hören Sie einige davon.</p> <p>Am 23. um halb 9 Uhr hatten sich vor dem Stierböck'schen Kaffeehause auf der Donauseite mehre Menschen versammelt, welche ihre Meinung über die vorgefallenen Unruhen austauschten. Einer der Sprecher behauptete: „Den Arbeitern geschehe Recht, man solle diese Hunde alle erschießen und aufhängen.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so erscholl der Ruf: „Nieder mit ihm!“ Der Betroffene zog sich bis zur Mauer zurück, wo er von der Menge umringt wurde. Plötzlich stieß er einen fürchterlichen Schrei aus und fiel durch einen Messerstich in's Genick zu Boden. Der Thäter ist noch nicht ermittelt. In der Herrngasse (Vorstadt Leopold) fielen auf die erste Decharge gegen 15 Personen, Weiber und Kinder. Die Arbeiter fielen in die Knie und baten mit aufgehobenen Händen um ihr Leben. Es nützte nichts. Man stürzte über sie her und hieb sie zusammen. — Im Gemeindehause in der Leopoldstadt äußerte ein Garde sein Bedauern darüber, blos zwei niedergeschossen zu haben. — Die neusten Hieb- und Schießwunden der Todten, deren es den meisten Berichten zufolge 51 gibt, und Verwundeten (an 200) zeigen sich am Rücken; Beweis der Tapferkeit dieser deutschen Spießbürger-Niederträchtigkeit! Gestern kamen Männer, Weiber und Kinder in's Hospital der barmherzigen Brüder und suchten ihre Angehörigen; Mütter suchten ihre Kinder, Weiber ihre Männer; es war ein Bild des schrecklichsten Jammers,</p> <p>Die Schlächterei hatte damit ihren Anfang genommen, daß die Arbeiter im Prater mit der Munizipalgarde in Konflikt geriethen, weil erstere eine ausgestopfte Figur, den Minister <hi rendition="#g">Schwarzer</hi> vorstellend, hängen und beerdigen wollten. Munizipal- und Nationalgarde stürzten auf sie ein und mordeten, was ihnen vorkam</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0456/0002]
men, man stürmt einige Waffenläden, man baut Barrikaden, man schießt die königlichen Truppen nieder, man zieht vor das Schloß und ehe man noch seine Forderungen gestellt hat, da ist auch schon Alles bewilligt und friedlich geht man wieder nach Hause. Nichts ist amüsanter! —“
„Seltsam!“ — bemerkte Frau Maria und sah mich mit ihren dunkelblauen Augen so feierlich an, wie ein stiller Abendhimmel. „Gehören Sie auch zu den Leuten, welche Revolutionen machen?“ Die Medicäerin faßte meinen Arm mit beiden Händen; es wurde mir unheimlich zu Muthe. —
„Theuere Maria, ich liebe alle schönen Frauen und ich liebe Sie vor allen Andern. —“
Da hatten wir die größere Hälfte des Domes durchschritten und näherten uns den Festern Ludwigs des Baiern.
Unbemerkt von der übrigen Gesellschaft, konnte ich bisher mit meiner göttlichen Begleiterin reden, da wollte der Zufall, daß uns der heilige Christoph bemerkte und von seinem Postamente herabsteigend, unsern Schritten folgte. Nichts ist mir unangenehmer, als eine so enorme Leibeslänge, wie sie der heilige Christoph besitzt. Ich glaubte, der Republikaner Karl Heinzen rückte mir auf den Pelz und ich bekam einen Todesschrecken. Maria bemerkte meine Verlegenheit und lächelte. „Trösten Sie sich, der heilige Christoph wird Ihnen nichts zu Leide thun; er ist ein ehrlicher, guter Mann, der stets auf's zärtlichste um mich besorgt ist; thun Sie, als ob Sie ihn gar nicht sähen!» — Ich gehorchte, aber der heilige Mann, mit seinem großen Stock, ärgerte mich; ich kann diese ungeschlachten, charakterfesten Menschen nicht leiden.
„Die schönen Fenster schenkten uns Herr Ludwig,“ fuhr ich zu Marie fort, „volksfreundliche Demokraten haben behauptet, es sei eine wahre Schande, daß er seine Bauern nur mit Steuern pfefferte, um alles Geld wieder für die Kunst wegzuwerfen. Ich muß Ihnen gestehen, ich bin durchaus anderer Meinung; es ist mir lieber, daß die geduldigen baierischen Bauern etwas weniger Speck gegessen und Bier getrunken haben und daß wir die Fenster besitzen, als wenn es umgekehrt wäre.“ Maria war ganz im Anblick der schönen Fenster versunken. „Sehen Sie, theuere Freundin, links in der Ecke bemerken Sie die heilige Cäcilia, Katharina und Klara; die Steinigung des h. Stephanus und Bruno den Karthäuser, der nicht mit Bruno Bauer, dem Philosophen, zu verwechseln ist. Der letztere hätte freilich auch ein Heiliger werden können; seit er sich aber auf die Politik geworfen hat, da ist es aus mit ihm; er hat keine Chance mehr. Im zweiten Fenster sehen Sie den heiligen Geist, die Kirchenväter und das baierische Wappen und darunter Ludovicus I. Bavariae rex Donator 1848. Das dritte schmücken die vier Evangelisten; aus dem Rahmen des vierten schauen Abraham, Noah, David, Salomo u. s. w., lauter berühmte Männer; das fünfte Fenster zeigt uns eine Menge Heiliger beiderlei Geschlechts, deren Namen mir leider entfallen sind. Zur Buße für dies sündige Vergessen werde ich sie nächstens noch einmal auswendig lernen. — O, ich bin entsetzlich zurückgegangen; in früheren Jahren war ich nicht nur mit allen Heiligen der Stadt Köln bekannt, nein, ich verstand mich auch auf alle unsere Historien, Sagen und Legenden so gut wie der Dr. Ernst Weyden, ja, ich wußte noch viel komischeres Zeug als er. Uebrigens sagen Sie mir aufrichtig, wie gefallen Ihnen diese Glasmalereien?“
Maria schaute nach den alten Fenstern der gegenüber liegenden Seite und schüttelte mit dem Kopfe: „Man sieht, daß Jahrhunderte zwischen diesen und jenen liegen.“
„Sie haben recht, theuere Freundin, es will den Malern jetziger Zeit nicht mehr gelingen jene frommen, verrenkten Schenkel verrauschter Jahrhunderte hervorzubringen. Leute, die Cigarren rauchen und die in's Theater gehen um Charlotte von Hagen zu hören, oder die Beine Fanny's zu bewundern, sie sind für die heilige Malerei verdorben. Vergebens werden sich die armen Düsseldorfer und Münchner anstrengen, einen erträglichen heiligen Geist, einen schönen Engel oder dergleichen Ueberirdisches zu Tage zu fördern — sie sind kalte nüchterne Menschen, sie werden die naiven Fehler der Alten nie erreichen. Die Geister der Weisen sitzen in den Wolken und lachen über sie. Lachen wir über beide!“
Während ich sprach, hatte ich mich fester an die schöne Medicäerin geschmiegt, und ich weiß nicht was ich gewagt hätte, wenn nicht der heilige Christoph mit einer wahrhaft beunruhigenden Gewissenhaftigkeit hinter uns her gestolpert wäre. „Drücken Sie sich,“ raunte ich ihm daher von der Seite zu, „Sie verstehen ja doch nichts von der Kunst; Sie sind gar nicht an ihrem Orte; entfernen Sie sich, frommer Freund!“ Der heilige Christoph maß mich von oben bis unten. Seine großen dummen Augen blinkten gläsern wie zwei Fenster. Maria schaute ihn an und nickte herablassend; es war kein Zweifel mehr, Christoph war eifersüchtig! „Soll ich ihn fordern auf krumme Säbel, auf Pistolen?“ Ich zitterte vor Wuth; da wandte sich meine Freundin und zog mich hinauf den hallenden Säulengang und es rauschte ihr Kleid wie ein Mährchen der Scheherezade.
„Sie haben mir noch gar nicht gesagt wer Sie sind?“ fuhr Maria fort und blickte mich fragend an. Es war mir unangenehm so ohne Weiteres ausgeforscht zu werden. Der heilige Christoph spitzte die Ohren und kam wieder ganz in unsere Nähe. „Ich treibe ein heiliges Handwerk, theuere Freundin, ich bin ein Spötter!“ Der große Christoph stutzte; Maria sah mich verwundert an. Die herrliche Frau wurde immer schöner. Das Mondlicht fiel durch die Fenster König Ludwigs und streute Diamanten und Saphire auf sie herab — und immer stürmischer kochte mir es in den Adern. „Ja, ich bin ein spottender Schriftgelehrter, heiliger Christoph,“ fuhr ich dann zu dem Ungeschlachten fort, „und nehme er sich in Acht, guter Freund, sonst werde ich ihn zausen und lächerlich machen, daß er d'ran denken soll bis an den jüngsten Tag. Was langweilt er uns durch seine überflüssige Gegenwart? Schere er sich zurück auf sein Postament, sonst werde ich es aufnehmen mit meiner profanen Feder gegen seinen
gegen Schmidt, — in der That, die Herren von der Rechten sind seine Kritiker!
Hr. Lychnowski schließt die Sitzung. Diesen Freund indeß behalten wir uns für den nächsten Artikel vor; einen Redner vom Kaliber des Hrn. Lychnowski bricht man nicht übers Knie!
(Fortsetzung folgt.)
!!! Frankfurt, 28. August. 67. Sitzung der National-Versammlung. Präsident von Gagern. Beginn 1/2 10 Uhr. Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über den Artikel III. der Grundrechte des deutschen Volkes.
Rieser (im Namen des Prioritätsausschusses) erstattet Bericht über ein Gesetz für Unverletzlichkeit der Abgeordneten. Der Ausschuß beantragt: Ein Abgeordneter darf vom Augenblick seiner Wahl an bis 8 Tage nach seinem Austritt aus der Versammlung, außer bei Ergreifung auf frischer That, nicht verhaftet werden. Kein Abgeordneter darf wegen irgend einer in seiner Funktion als Abgeordneter gethanen Aeußerung gerichtlich verfolgt werden.
Zachariä (für den völkerrechtlichen Ausschuß) bringt zwei Berichte:
1. betreffs der aus der Wahl zur National-Versammlung ausgeschlossenen Besatzung von Luxemburg.
2. betreffs einer neuen Petition wegen der im Juni-Aufstand zu Paris betheiligten und von der französischen Regierung eingesperrten Deutschen.
Diese beiden Berichte werden sogleich vorgenommen.
Nro. 1. Die Eingabe der Luxemburger Offiziere wird dem Verfassungs-Ausschuß als Material zum Entwurf des zukünftigen Wahlgesetzes über geben.
Nro. 2 wird durch die Erklärung des Minister Heckscher, betreffs der in Paris beim letzten Aufstand betheiligten Deutschen als mit erledigt erachtet.
Kerst (im Namen des Marine-Ausschusses): Der Marine-Ausschuß hat beschlossen, die sämmtlichen an die National-Versammlung eingegangenen Beiträge zur deutschen Flotte dem Finanzministerium zu übergeben. 68,000 Gulden stehen bis jetzt zur Verfügung. Der Ausschuß bemerkt, daß vorzugsweise die weniger bemittelten Klassen und Frauen und Jungfrauen beigesteuert haben.
Tagesordnung: §. 13 der Grundrechte.
Kauzer, Pfarrer aus Würtemberg, begrüßt aus vielen Gründen den §. 13 mit Freude. Den durch denselben abgeschafften Staatsreligionen weint er keine Thräne nach. Der Geist der Demokratie, der über die Erde geht, klopft auch an die Thüre der Kirche. Er hofft, die Kirche wird die Prüfung der Freiheit bestehen. (Bravo).
Beckeraty (Finanzminister) empfiehlt den Paragraphen so zu lassen, wie der Ausschuß ihn giebt.
Moritz Mohl: (Schluß!) Es giebt kein größeres Unglück als das der Israeliten, die kein Vaterland haben und auf der ganzen Erde verstreut sind. (Im Centrum Einer sehr laut: Nein!) Wir wollen deshalb human sein gegen die Juden aber doch gehen uns die Rechte des deutschen Volkes jederzeit vor. Die armen Landleute wurden bisher von den Juden ausgesaugt. Wenn ein Jude einmal einen Fuß in die Hütte des Bauern gesetzt hat, so ist der Bauer verloren. Diese Frage wird mich zwar unpopulair machen, aber dennoch will ich weiter sprechen. Man wird mir die lange Unterdrückung der Juden entschuldigend vorhalten, aber die Israeliten werden immer wie ein Tropfen Oel auf dem Wasser der deutschen Bevölkerung schwimmen. (Verhöhnung, Zischen).
Dr. D. Riesser aus Hamburg (Jude) spricht im Namen einer seit Jahrtausenden unterdrückten Volks- (?) Klasse gegen die ungerechten Angriffe des Herrn Mohl. Die Nationalitäten können allerdings nur dann sich recht vermischen, wenn sie volle Freiheit der gemischten Ehen, also auch zwischen Juden und Christen aussprechen. Der Vorwurf des Schachers ist lächerlich So lange Sie den Schacher selbst nicht aufheben, müssen die Juden eben so gut schachern können, wie die Christen, wie es auch geschieht. Ich bin stolz darauf, in dieser Sache Partei zu sein. (Bravo).
Osterrath will für dasselbe Prinzip wie der vorige Redner, für die Duldsamkeit, sprechen. Das, was Mohl über die Juden gesagt, sei nicht wahr. Der Polizeistaat hätte sich mit den Juden, Quäkern und Menoniten vertragen. Der „freie Staat“ (des bürgerlichen Schacherthums) würde es wohl noch viel eher können.
v. Linde aus Mainz (heftig: Schluß, Schluß!)
Gagern: Will die Versammlung die Debatte über § 13 schließen? Nein.
v. Linde spricht sehr lange und sehr langweilig.
Rheinwaldt (läuft schnell auf die Tribüne). M. H., ich habe den Antrag gestellt, Ligourianer, Redemptoristen und Jesuiten aus dem deutschen Reiche zu verbannen. (Gagern bemerkt, daß dieser Antrag zu §. 24 gehört.) Der Redner scheint anderer Ansicht zu sein; spricht lang und breit über die Jesuiten. Wenn in Deutschland ein politischer Verein bestände, die neue Freiheit zu vernichten, Sie würden ihn gewiß verbieten. (Edles Vertrauen in diese klassische Versammlung.) Ein solcher Verein ist, wenn auch unter religiöser Form, der Jesuitenverein. Spricht sehr lange nach irgend einem Buche von der Organisation des Ordens.
Reichensperger, der Trierer Jesuitenfreund, fordert von Hrn. Rheinwaldt Beweise für das, was er von den Jesuiten gesagt hat.
Die Versammlung beschließt, daß diese Dinge zu §. 24 gehören. Hierauf schließt man die Diskussion über §. 13, und es spricht wie gewöhnlich noch eine Zeit lang Hr. Beseler.
Die Amendements werden zur Unterstützung verlesen. Grävell's sämmtliche Amendements werden mit Gelächter begrüßt und finden keine Unterstützung. Moritz Mohl's Amendement wegen der Juden fällt unter Bravo ganz durch. — Abstimmung. 1) über §. 11.
Der Antrag des Ausschusses: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.“ einstimmig angenommen.
Ein Zusatz von Plathner: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen.“ angenommen. (Links und Centrum: Bravo! Rechts: Zischen.)
Ein zweiter Zusatz von Plathner: „Niemand darf seiner religiösen Ueberzeugung wegen benachtheiligt oder zur Verantwortung gezogen werden.“ giebt ein zweifelhaftes Resultat. Man zählt die Stimmen.
Gagern: Der Antrag ist mit 217 gegen 199 Stimmen angenommen. (Links: Bravo!)
Gagern (nach einer kleinen Pause): Es war ein Irrthum. Der Antrag ist mit 217 gegen 199 Stimmen verworfen. (Großes Gelächter. Rechts: Bravo! Links: Namentlich abstimmen!)
Abstimmung über §. 12. Wird nach dem Verfassungsausschuß angenommen.
Gagern: Hiermit sind alle Anträge zu diesem Paragraphen beseitigt.
Vogt (vom Platze): Nein! Der zweite Satz meines Amendements nicht. (Dieser heißt nämlich: „Zum Zwecke dieser Religionsübung darf jede von den Gesetzen nicht verbotene Handlung vorgenommen werden.“)
Gagern: Ich glaube bei meinem Beschluß beharren zu müssen. (Rechts: Ja! Links heftig: Nein!)
Eisenmann erklärt sich für Vogt's Ansicht. (Vogt macht ihm vom Platze aus höhnische Komplimente.)
Gagern: Es bleibt dabei (basta!). — Man geht zur Abstimmung von §. 13. Mit Verwerfung der Backhausischen u. m. A. Anträge und mit Verwerfung eines Antrages von Martens wird auch §. 13 in der Fassung des Ausschusses angenommen.
§. 11 lautet demnach: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren oder sich irgend einer religiösen Genossenschaft anzuschließen.“ §§. 12 und 13 bleiben nach dem Vorschlage des Verfassungsausschusses unverändert.
Einige Abgeordnete von Tyrol erklären nach der Abstimmung zu Protokoll, daß sie zwar für diese Paragraphen gestimmt haben, aber die Hoffnung aussprächen, bei Anwendung dieser Maßregeln werde man in Tyrol mit Rücksicht auf die eigenthümlichen Verhältnisse dieses Landes (nach Prof. Gasser: mit Schonung) verfahren. Diese Erklärung verursacht Erstaunen, Widerspruch und Mißbilligung. Man verlangt die Namen zu hören.
Gagern fragt die Versammlung, ob sie die auf der heutigen Tagesordnung stehende Wahl eines Finanzausschusses heute noch vornehmen wolle? Man ist zu sehr angestrengt und beschließt dies für morgen.
Schluß der Sitzung 2 1/2 Uhr. Morgen: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte.
103 Berlin, 28. August. Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. — Tagesordnung: Berathung des Gesetzes über die Errichtung der Bügerwehr. — Nachdem mehrere Geschäftsangelegenheiten beseitigt sind, wird zuerst, das in den letzten Sitzungen berathene und amendirte Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit Habeas-Corpus-Akte — einstimmig angenommen. —
Hierauf folgen die dringenden Anträge und Interpellationen.
Abg. Berends. Interpellation an den Minister des Innern wegen der in der Nacht von Sonnabend zu Sonntag stattgehabten ungesetzlichen Haussuchungen und Beschlagnahme von Munition in den Lokalen des Handwerkervereins, welche Gründe dazu vorlagen und ob man nicht den ausführenden Polizeibeamten deshalb in Anklagestand versetzen werde? — Wird mit starker Majorität als dringend anerkannt. —
Der Minister des Innern antwortet: von dieser Angelegenheit außer dem was er aus allgemeinen Gesprächen gehört habe, nichts erfahren zu haben. Er wird bis zur Freitagssitzung die amtlichen Berichte darüber einfordern und die nöthige Auskunft ertheilen. —
Abg. Fretzdorff. (Kaufmann aus Stettin, Freihändler.) dringende Inpellation: „ob es gegründet, daß mit den Zollvereinsstaaten ohne Vorbehalt der Zustimmung der Versammlung eine sofortige Erhöhung der bestehenden Eingangs-Abgaben auf seidene, halbseidene und wollene Waaren vereinbart worden ist, und wodurch diese, dem Geiste der Zeit und dem wahren Interesse des Landes durchaus widerstrebende Maaßnahme ihre Rechtfertigung finden soll.“ — (Die Majorität erkennt diese Interpellation als dringend an.)
Der Handelsminister Milde. Was die Frage anbetrifft, so beantworte ich sie allerdings mit: ja, der größte Theil der Staaten des Zollvereins haben zu der beabsichtigten Steuererhöhung bereits ihre Zustimmung ertheilt. Es handelt sich nicht darum den Steuer-Tarif zu erhöhen, sondern da eine fremde Macht die Ausfuhr-Prämie für verschiedene Fabrikate erhöhet hat, um den Zollverein mit ihren Fabrikaten zu überschwemmen, so ist eine Gegenmaßregel unsererseits durchaus nothwendig und dies kann nur vermittelst einer Steuererhöhung geschehen. (Schöne „Vereinbarung“ zweier Staaten zur wechselseitigen Steuererhöhung.
Abg. Fretzdorff erwidert, daß auch er dem Jammer im ganzen Lande vorbeugen wolle, aber woher kommt dieser Jammer? durch ein falsches und schlechtes Steuersystem. Man richte ein, mit den neuesten nationalökonomischen Grundsätzen übereinstimmendes Steuersystem ein, dann wird der Noth besser vorgebeugt als durch Schutzzölle.
Minister Hansemann verspricht, daß die angeordnete Maßregel wieder aufgehoben werden solle, wenn Frankreich seine Ausfuhr-Prämien wieder wie früher ermäßigt. Die Regierung kann aber augenblicklich nicht anders handeln. Belgien und andere Staaten haben in gleichen Fallen ebenso gehandelt —
Der Abg. Euler verliest den Bericht der Central-Abtheilung über die Gesetzes-Vorlage betreffend die Errichtung der Bürgerwehr und fügt demselben noch ungefähr folgendes hinzu:
Nach dem vorgelegten Entwurfe scheine der Zweck der Bürgerwehr ein vorherrschend polizeilicher zu sein, eine Verschmelzung derselben mit der Landwehr sei nicht angebahnt von einer Stellung zur Linie aber gar keine Rede. — Die neue Zeit gestatte den früheren Gegensatz zwischen Volk und Militär nicht mehr, sondern verlange, daß beide in einander aufgehen. — Eine allgemeine Volksbewaffnung nach gleichen Grundsätzen biete dazu die vermittelnde Hand. Sie zerfalle in Linie (stehendes Heer) und Bürgerwehr, welche die Landwehr als Unterabtheilung in sich schließe. — Die Bürgerwehr müsse den Anfangs- und Endpunkt der ganzen Wehr-Verfassung bilden. u. s. w.
Minister des Innern: giebt eine langweilige Geschichte der „Volkbewaffnung“ nach der Marzrevolution. Versichert daß die Regierung mit Befriedigung wahrgennommen, daß ihre Grundsätze in den Abtheilungen Billigung gefunden, und erklärt sich mit den am Entwurf vorgenommenen Aenderungen einverstanden. —
Abg Dr. Jakoby: Ich erkläre mich gegen den Gesetz-Entwurf. Derselbe ist offenbar dazu bestimmt diejenigen Forderungen zu erfüllen, die in den Tagen der Märzrevolution von allen deutschen Stämmen gestellt wurden. Damals lautete der allgemeine Ruf: Verminderung der stehenden Heere und allgemeine Volksbewaffnung. Stehende Heere sind als Hauptstütze des Absolutismus erkannt. Die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung wollte man nicht länger der Polizei und dem Militär sondern der selbstständigen Bürgerwehr überlassen. Der Unterschied zwischen Bewaffneten und Unbewaffneten sollte gänzlich aufhören. Prüfen wir hiernach den Gesetz-Entwurf. Die Bürgerwehr erhält zwar Waffen, bleibt aber ein völlig isorlirtes Institut das nie eine allgemeine Volkswehr werden kann. Das Institut der Landwehr macht nur den Bürger zu einem unbewaffneten Soldaten. — Die politische Ruhe des Staates muß künftig allein der Bürgerwehr überlassen sein. Ordnung muß zwar bestehen, aber eine Ordnung ohne Freiheit, die wir 33 Jahre gehabt, ist gar nichts werth. Das vorgelegte Gesetz, weit entfernt die Königlichen Verheissungen zu erfüllen, kann ich nur als Nothgesetz ansehen. —
Nachdem noch mehrere Redner für und gegen das Gesetz im Allgemeinen gesprochen gehet man zur Berathung der einzelnen Paragraphen über.
Es ereignete sich hierbei ein interessanter Zwischenvorfall. Der Minister des Innern hatte bisher den Gebrauch geltend gemacht jedesmal nach dem Schluß der Debatte nochmals das Wort für die Regierungsgrundsätze zu ergreifen, um die Zweifelhaften zu kaptiviren. Als heute der Minister dieses Kunststückchen bei Berathung des § 1. wieder angebracht hatte, trat endlich der ministerielle Abg. Zacharia dagegen auf, was die Linke nie gewagt. Es stehe ja in diesem Fall keinem Andern mehr das Recht zu den Minister zu widerlegen; will er noch sprechen so muß er es vor dem Schluß der Debatte thun, damit man ihm etwas erwidern könne. —
Der Präsident Grabow erklärt, daß dieser Uebelstand nicht ihm zur Last fallen könne, indem die Geschäftsordnung hierüber undeutlich sei, indem sie die Bestimmung enthalte: „Die Minister können zu jeder Zeit das Wort verlangen.“ (Ruf: während der Debatte, aber nicht nach dem Schluß!) Er stelle nun anheim der Kommission zur Verbesserung der Geschäftsordnung diesen Gegenstand zu überweisen.
Obgleich zu den einzelnen Paragraphen verschiedene Amendements gestellt wurden, so werden doch die §§. 1-6, die allgemeinen Bestimmungen enthaltend, unverändert angenommen. Sie lauten:
§. 1. Die Bürgerwehr hat die Bestimmung, die verfassungsmänige Freiheit und die gesetzliche Ordnung zu schützen und bei Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde mitzuwirken. — In ihren dienstlichen Versammlungen darf sie über öffentliche Angelegenheiten nicht berathen.
§. 2. Die Bürgerwehr soll in allen Gemeinden des Königreiches bestehen.
§. 3. Durch königliche Verordnung kann aus wichtigen, in der Auflösungs-Ordre anzugebenden Gründen die Bürgerwehr einzelner Gemeinden oder Kreise ihres Dienstes enthoben oder aufgelös't werden. — Die Dienstenthebung darf nicht länger als 6 Monate dauern. Im Falle einer Auflösung muß die Verordnung wegen der neuen Organisation der Bürgerwehr binnen 3 Monate erfolgen.
§. 4. Wenn die Bürgerwehr einer Gemeinde oder eines Kreises den Requisitionen der Behörden Folge zu leisten sich weigert oder sich in die Verrichtungen der Gemeinden, der Verwaltungs- oder gerichtlichen Behörden einmischt, so kann der Verwaltungs-Chef des Regierungsbezirkes unter Angabe der Gründe sie vorläufig ihres Dienstes entheben. — Diese Dienstenthebung hört nach Ablauf von 4 Wochen von selbst auf, wenn nicht innerhalb dieser Zeit die Bestätigung derselben oder die Auflösung der Bürgerwehr nach §. 3. erfolgt.
§. 5. Die Bürgerwehr gehört zum Ressort des Ministers des Innern.
§. 6. Die Mitglieder der Bürgerwehr dürfen sich ohne Befehl ihrer Anführer weder zu dienstlichen Zwecken versammeln noch unter die Waffen treten, — Die Anführer dürfen diesen Befehl nicht ohne Requisition der zuständigen Civilbehörden ertheilen, ausgenommen, soweit es sich um die Vollziehung des Dienstreglements handelt. (§. 65.)
§. 7. Jedes Mitglied der Bürgerwehr leistet vor dem Gemeinde-Vorsteher, in Gegenwart des Befehlshabers der Bürgerwehr, folgende feierliche Versicherung:
„Ich gelobe Treue dem Könige und Gehorsam der Verfassung und den Gesetzen des Königreiches.“
Nur der letzte Paragraph ruft eine äußerst lebhafte Debatte hervor.
Folgende Amendements werden gestellt:
Die Worte: „Treue dem Könige“ zu streichen, vom Abg. Reichenbach. Statt: „Königreiches“ zu sagen: „Staates“, vom Abg. Temme.
„Jedes Mitglied wird vom Gemeindevorsteher in Gegenwart des Befehlshabers durch Handschlag auf die Verfassung verpflichtet,“ vom Abg. Weichsel.
Abg. Reichenbach: Mein Amendement verlangt die Auslassung der Worte: „Treue dem Könige“. Als wir bei'm Beginne unserer Sitzungen die Volkssouverainetät proklamiren wollten, wurde dieses Prinzip nicht anerkannt, sondern das Volk habe mit dem Könige eine Verfassung zu vereinbaren. Beide Theile sind daher gleichberechtigt, und beide müssen der vereinbarten Verfassung Treue geloben, nicht aber, daß die eine kontrahirende Partei der andern noch eine besondere Treue gelobte. Wie wäre dieser Eid zu erfüllen, wenn der König die Verfassung verletzt.
Abg. Jung spricht für den gänzlichen Wegfall des Eides sowohl bei der Bürgerwehr als bei allen Staatsämtern. Es sind Männer in dieser Versammlung, welche einen Eid geschworen, der mit ihrem Berufe, eine Verfassung mit dem Könige zu vereinbaren, nicht in Einklang zu bringen sei.
Abg. D'Ester: Der Diensteid ist eine Lüge. — Man hat von dieser Stelle von der Treue und Wahrhaftigkeit des deutschen Wortes gesprochen, es hat auch deutsche Worte gegeben, die keine Wahrheit waren. — Die Gemeindeverfassung, welche vor zwei Jahren dem Rheinlande gegeben wurde, schreibt keinen Diensteid vor.
Nachdem noch viele Redner für und gegen den §. 7 gesprochen haben, wird derselbe unverändert mit kleiner Majorität angenommen.
61 Wien, 25. August. Immer mehr Thatsachen werden über das meuchelmörderische Verfahren der National- und Munizipalgarde bekannt, welche die Bestialität des gebildeten Besitzes bekunden; aber auch Rachethaten des Volks treten ihnen zur Seite. Hören Sie einige davon.
Am 23. um halb 9 Uhr hatten sich vor dem Stierböck'schen Kaffeehause auf der Donauseite mehre Menschen versammelt, welche ihre Meinung über die vorgefallenen Unruhen austauschten. Einer der Sprecher behauptete: „Den Arbeitern geschehe Recht, man solle diese Hunde alle erschießen und aufhängen.“ Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so erscholl der Ruf: „Nieder mit ihm!“ Der Betroffene zog sich bis zur Mauer zurück, wo er von der Menge umringt wurde. Plötzlich stieß er einen fürchterlichen Schrei aus und fiel durch einen Messerstich in's Genick zu Boden. Der Thäter ist noch nicht ermittelt. In der Herrngasse (Vorstadt Leopold) fielen auf die erste Decharge gegen 15 Personen, Weiber und Kinder. Die Arbeiter fielen in die Knie und baten mit aufgehobenen Händen um ihr Leben. Es nützte nichts. Man stürzte über sie her und hieb sie zusammen. — Im Gemeindehause in der Leopoldstadt äußerte ein Garde sein Bedauern darüber, blos zwei niedergeschossen zu haben. — Die neusten Hieb- und Schießwunden der Todten, deren es den meisten Berichten zufolge 51 gibt, und Verwundeten (an 200) zeigen sich am Rücken; Beweis der Tapferkeit dieser deutschen Spießbürger-Niederträchtigkeit! Gestern kamen Männer, Weiber und Kinder in's Hospital der barmherzigen Brüder und suchten ihre Angehörigen; Mütter suchten ihre Kinder, Weiber ihre Männer; es war ein Bild des schrecklichsten Jammers,
Die Schlächterei hatte damit ihren Anfang genommen, daß die Arbeiter im Prater mit der Munizipalgarde in Konflikt geriethen, weil erstere eine ausgestopfte Figur, den Minister Schwarzer vorstellend, hängen und beerdigen wollten. Munizipal- und Nationalgarde stürzten auf sie ein und mordeten, was ihnen vorkam
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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