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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 112. Köln, 26. September 1848.

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v. Mühlfelds Antrag, welcher den Ausschußantrag theilt, wird angenommen.

Hierauf der von Mühlfeld gestrichene Theil des Ausschußantrages ebenfalls angenommen. (Großes Gelächter) Also ist der Ausschußantrag mit einigen Umständen - angenommen!!!

Hierauf wird Punkt 4, nämlich Einsammlung der Wahlzettel, der Tagesordnung erledigt. (S. oben.)

Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte.

Schluß um 1/2 2 Uhr.

110 Frankfurt, 21. Sept.

Wie ich Ihnen bei meiner Abreise von Köln versprach, beeile ich mich Ihnen einige Details über die hiesige Vorgänge zu geben.

Allgemein verbreitet ist die Ansicht, daß der Kampf ein vom Gouvernement provozirter, geflissentlich herbeigeführter war, um einmal recht in dem Hochgefühl einer unterdrückten Rebellion schwelgen zu können.

Was den Kampf selbst betrifft, so ist derselbe der heldenmüthigste von all' den Straßenkämpfen, die wir seit Beginn des Jahres erlebt. Keine 500 Kämpfer von Seiten des Volkes hielten sich von 12-5 Uhr gegen eine 25 fache Uebermacht, und schlugen dieselben von allen Seiten zurück - wären sie besser geleitet gewesen, hätten die Deputirten der Linken nicht den Zuzug von Auswärts zurückgehalten - so war das Volk Sieger; als aber letzteres nach dem Verlauf des von ihm erzwungenen Waffenstillstand's, die als bereits im Anzuge angekündigten Zuzüge nicht ankommen sah, da blieb ihm nichts als der letzte Kampf der Verzweiflung übrig, der auch mit beispiellosem Heldenmuthe bis gegen 10 1/2 Uhr in der Nacht bis zur gänzlichen Erschöpfung aller Munitionen fortgeführt wurde - da erst verließen die erschöpften Kämpfer die Barrikaden in der Dönges- und Allerheiligengasse.

Bei keinem der Gefangenen - es waren deren 60-80, sämmtlich verwundet - fand man auch nur eine einzige Patrone; der Verlust an Todten und Verwundeten auf Seiten des Militärs soll die Zahl sämmtlicher Vertheidiger der Barrikaden bei Weitem übersteigen - eine genaue Ermittelung der Zahl derselben wird wohl unmöglich sein, da Todte und Verwundete heimlich während der Nacht nach Mainz transportirt werden, ebenso die Gefangenen die in Hardenberg (bei Mainz) eingekerkert und von welchen schon mehrere in den Festungsgräben erschossen worden sein sollen, - einer derselben ist durch die brutale Behandlung wahnsinnig geworden.

Während der ganzen Zeit, während welcher der reichste Theil der Stadt in Händen der Insurgenten war, wurde nicht das Geringste entwendet, wohl aber haben die Böhmen nach Erstürmung der Barrikaden mehrere Gewölbe, worunter namentlich ein Kleidermagazin, rein ausgeplündert - selbst die erbitterten Bourgeois anerkennen dies mit verbissenem Grimme. Auch nicht das leiseste Gerücht befleckt die Ehre der braven Opfer.

Was nun den Punkt anbetrifft, der am meisten Stoff zu Proklamationen über Meuchelmord u. s. w. herleihen muß, so habe ich folgende, durchaus glaubwürdige Erzählung aus dem Munde des Bewohners des Gartenhauses, in dem Lichnowsky und Auerswald gefangen wurden, selbst vernommen:

Beide, Lichnowsky und Auerswald, ritten während des heftigsten Kampfes aus dem Friedberger Thore, um die heranziehende hessische Artillerie zur Beschleunigung ihres Anmarsches anzutreiben; bei einem Haufen Turner vorüberkommend, rief Lichnowsky: Wartet nur, ihr seid gut genug für Kanonenfutter, und fochte mit seinem Stockdegen theatralisch in der Luft herum. Nach diesen Worten und Gebärden erst wurde auf ihn und seinen Genossen geschossen, worauf sie sich beide in ein dem Kunstgärtner Schmitz gehöriges Haus flüchteten; hier zog Auerswald den Schlafrock des Hauseigenthümers an, während Lichnowsky sich in den Keller versteckte. Auerswald wurde von den Eindringenden zuerst gefunden und ohne weitere Mißhandlungen an die Gartenmauer geführt und erschossen. Lichnowsky etwas später aufgefunden, wurde auf Bitten der anwesenden Leute, denselben zu schonen, auf die Bornheimer Heide geführt; hier kam den Insurgenten ein gewisser Dr. H. aus B. entgegen, der sie bat, den Lichnowsky doch zu schonen. Sie schienen wirklich dazu geneigt, indem sie sich mit Dr. H. in Diskussion einließen, als Lichnowsky den unglückseligen Einfall hatte, einem der Insurgenten sein Gewehr zu entreißen, um mit Gewalt durchbrechen zu wollen, worauf er sofort durch 4-5 Schüsse zu Boden gestreckt wurde.

Die Barrikade, die sich am längsten hielt die in der Allerheiligen-Gasse nämlich, war von einem Bürgerwehr-Cavalleristen in voller Uniform, dem Sohne eines jüdischen sehr reichen Banquiers kommandirt, wie denn überhaupt fast sämmtliche Kämpfer den bemittelten Klassen angehörten; erst als 20 Kanonen gegen die von noch kaum so vielen Männern vertheidigte Barrikade aufgeführt wurden da erst zogen sich diese Helden zurück, nicht ein einziger wurde hier gefangen, der Anführer Arnold Reinach steckbrieflich verfolgt ebenso Esselin und Metternich, in Barbenhausen von 30 Gendsdarmen überfallen entkamen sie auch hier, nachdem sie 3 Mann getödtet und mehrere verwundet.

Ueber 100 Bürgerwehrmänner kämpften in den Reihen der Insurgenten sämmlich in Parade Uniform, als Anführer den übrigen mit den heldenmüthigsten Anstrengungen vorangehend. Im Vogelgesangs-Gäßchen vertheitigten 5 Mann eine Barrikade 3 Stunden lang gegen 200 Oestreicher und erst als die große Barrikade in der Döngesgasse genommen war zogen sie sich zurück.

103 Berlin, 22. Sept.

Sitzung der Vereinbarer-Versammlung.

Die neuen Minister erscheinen pünktlich um 9 Uhr im Sitzungssaal und die Abgeordneten finden sich nach und nach ein. Die Tribunen sind überfüllt und Alles sieht mit gespannter Erwartung dem Programm des neuen Ministeriums entgegen. Endlich nach 9 ein halb Uhr wird die Sitzung eröffnet und nach Verlesung des Protokolls nimmt der Minister-Präsident v. Pfuel das Wort, um folgendes Programm zu verlesen:

"Ich trete vor dieser hohen Versammlung mit der Versicherung, daß wir dem schwierigen uns gewordenen Beruf folgend, fest entschlossen sind, auf dem betretenen konstitutionellen Wege zu verharren und jeder Reaktion, besonders in allen Zweigen des öffentlichen Lebens, sowohl im Civil als Militär, mit allem Ernst entgegenzutreten, die Rechte des Volkes kräftig zu wahren und für die ungehinderte Entwickelung aller seiner Interessen Sorge zu tragen. Dabei werden wir nicht unterlassen, der Anarchie überall entgegenzutreten, in der Ueberzeugung, daß die wahre Freiheit in der Ordnung beruht und nur so Gewerbe und Handel zur Blüthe gelangen können. - Zugleich erkennen wir die Nothwendigkeit an, daß die Berathung der Verfassungsurkunde nach dem sehnlichsten Wunsche des Volkes gefördert werde und daß die hohe Versammlung nach Berathung des Bürgerwehr-Gesetzes und der Gemeinde-Ordnung, sich vorzüglich damit beschäftige! Ueber unsere Verwaltung werden wir pflichtmäßige Auskunft geben und schuldige Rechnung legen. Wir achten es jedoch für unsere Pflicht, die Rechte der Krone, als die einzige Trägerin der ausübenden Gewalt gewissenhaft zu wahren. -

Hierauf verlangt Abg. Hansemann das Wort, in einer persöhnlichen Angelegenheit.

Hansemann: Meine Herren! Das abtretende Ministerium war, wie Sie wissen, von mir gebildet worden, und daher glaube ich die Verpflichtung zu haben, über die Erfüllung meiner Mission einige Worte zu sagen. - Das abgetretene Ministerium wurde das Ministerium der That genannt und ich glaube, daß es diesen Namen wohl verdient hat. Wenn sie zurück sehen, auf die vielen vom abgetretenen Ministerium vorgelegten Gesetzentwürfe; wenn Sie zurück sehen auf Zustand des Landes vor drei Monaten und wie sich derselbe jetzt gestaltet hat, wo Handel und Gewerbe wieder blühen. - Das abgetretene Ministerum hat die Gründe seines Austritts schon in einer früheren Mittheilung auseinandergesetzt. Wir mußten annehmen, daß die Versammlung ihr Mißtrauen gegen das Ministerium ausgesprochen. Ich für meine Person habe diese Ansicht vollkommen getheilt. Das abgetretene Ministerium ist vielfach von der Reaktion angefeindet worden und namentlich bin ich die Zielscheibe dieser Reaktion gewesen, weil meine Entwürfe tief in das Fleisch der Reaktion schnitt. Wenn nun diese Versammlung die Reaktion unterdrücken will, so hätte sie mein Ministerium aufrecht erhalten müssen, weil es von der Reaktion angegriffen war. Es mußte also der ausdrückliche Wille der hohen Versammlung sein, mich nicht mehr als Minister zu sehen. - Es freuet mich aus dem Programm des neuen Ministeriums zu sehen, daß es der Reaktion entgegentreten und die Rechte der Krone schützen werde. Ich werde dem neuen Ministerium meine Unterstützung dazu geben. -

Hierauf wird ein Schreiben des Minister-Präsidenten mit einer Königlichen Botschaft verlesen, die sehr ausführlich über die Verhältnisse der Erhöhung der Brantweinsteuer spricht und die Berathung der desfallsigen Gesetzesvorlage einstweilen auszusetzen bittet, bis das Ministerium sich näher über alle Verhältnisse unterrichtet haben wird. - Das heißt so viel als, das neue Ministerium giebt den Anforderungen des Bülow-Cummerowschen Gutsbesitzer-Vereins nach und wird keine Erhöhung der Brantweinsteuer eintreten lassen. -

Alsdann kommen die längst eingereichten dringenden Anträge zur Berathung. Zuerst der Antrag des Abg. Hartmann: Die hohe Versammlung wolle beschließen:

"Daß fortan wöchentlich nach Berathung des Bürgerwehr- und Jagdgesetzes, vier Tage ausschließlich zur Berathung des Verfassungs-Entwurfs bestimmt; alle übrigen Anträge, Interpellationen und Gesetze aber ein für allemal auf zwei anderen, im Voraus zu bestimmenden Tagen jede Woche verwiesen werden." -

Dieser Antrag wird nach namentlicher Abstimmung mit 251 gegen 98 als dringlich anerkannt.

Abg. Waldeck erklärt sich gegen den Antrag Hartmanns. Den Kern dieses Antrages haben wir schon aus früheren Aeußerungen entnommen. Wir hörten auch das unglückliche Wort "Vereinbarung," als ob wir weiter nichts zu thun hätten als ein Rieß Papier fertig zu machen. Wir sind nicht blos zur Entwerfung der Verfassungsurkunde hier. In einer Zeit wie die jetzige wo solche Armeebefehle und Tagesbefehle vorliegen, dürfen wir keinen Tag ausschließen, um das zu verhandeln was das Land interessiren könnte, die Versammlung würde sich sonst der größten Verantwortung aussetzen und das vergossene Blut wurde auf unsere Kopfe kommen, denn Niemand weiß, was uns der morgende Tag bringt. Die Versammlung könnte viel wichtigere Gegenstände zu thun haben, als die Verfassung zu berathen. -

Die Rede des Ab Waldeck, wurde von der Rechten vielfach unterbrochen. Sie influirte aber sehr auf die Abstimmung die sogleich stattfand. Der Antrag wurde im Sinne der Linken, nach namentlicher Abstimmung, mit 212 gegen 135 Stimmen verworfen. - Die Freude des Ministeriums und die abgetretenen Minister stimmten mit der Minorität. -

Hierauf wird das im Sinne der Linken vom Abg. Kämpf gestellte Amendement "nach Beendigung der Berathungen über das Bürgerwehr- und über das Jagd-Gesetz vorläufig wöchentlich an zwei Tagen, vorzugsweise den Verfassungs-Entwurf zu berathen, die übrigen Vorlagen aber in den beiden anderen wöchentlichen Plenarsitzungen zu erledigen," 338 gegen 1 Stimme angenommen. Alsdann stellt der Abg. Otto von Trier den Antrag daß die Interpellation des Abg. Kirchmann vorzugsweise vor allen andern sogleich an die Reihe komme. - Der unterstützte Antrag wird motivirt.

Abg. Otto: Wissen Sie meine Herrn, was außerhalb der Mauern von Berlin vorgehet? Ich will es Ihnen sagen: Berlin ist von 50,000 Mann mit Geschütz, mit Kartätschen und Schrapnells umgeben. Wissen Sie was in Berlin vorgeht? (Geschrei von der Rechten) Sie scheinen es nicht zu wissen. Ganz Berlin gleicht einem Krater, der jede Minute zum Ausbruch kommen kann. Die militärische Schreckens-Herrschaft ist im Anzuge. Ich rufe Ihnen mit Hannibal zu: Hannibal ante portas! Thun wir daher sogleich etwas zur Beruhigung des ganzen Landes. -

Der Antrag angenommen.

Abg. Kirchmann: Es ist zwar der Versammlung noch keine Mittheilung gemacht worden, wie die Namen der Herren Minister sind, welche diese Plätze eingenommen haben, aber ich habe zufällig aus dem "Staats-Anzeiger" ersehen, daß der Minister-Präsident zugleich als Kriegsminister fungirt, und ich werde daher meine Interpellation an denselben richten. Er wird auf diese Weise die beste Gelegenheit haben, den Worten seines Programmes eine bestimmte Deutung zu geben. Die Maßregel der Ernennung des Generals Wrangel ist jedenfalls ganz außerordentlicher und exzeptioneller Natur. Der Armeebefehl des Generals Wrangel hat eine große Aufregung nicht allein in dieser Stadt, sondern im ganzen Lande hervorgebracht. Demnach frage ich:

1) Ob es gegründet, daß durch eine Allerhöchste Kabinetsordre vom 15. d Mts. dem General Wrangel der Oberbefehl über die Truppen in den Marken ertheilt worden, und wer diese Kabinetsordre kontrasignirt habe?

2) Ob dem General Wrangel hierbei noch besondere Instruktionen ertheilt worden?

3) Mittheilung zu machen von den Gründen, welche zu dieser außerordentlichen Maßregel Anlaß gegeben?

4) Mittheilung zu machen, ob und aus welchen Gründen um Berlin eine bedeutende Militärmacht konzentrirt worden?

5) Ob der Herr Kriegsminister mit dem Inhalte des Erlasses des Generals Wrangel vom 17. d. Mts. überall einverstanden sei?

Der Minister-Präsident v. Pfuel beantwortete die Frage einzeln: Ad 1) daß die Kabinetsordre wirklich erlassen und vom abgetretenen Kriegsminister Schreckenstein kontrasignirt sei. Er verlies't diese Kabinetsordre; ad 2) "Nein"; ad 3) erklärt er, es sei Gebrauch, wenn verschiedene Armeekorps und Truppentheile sich in einer Provinz zusammenfinden, den Oberbefehl einem Einzigen zu übergeben; ad 4) daß die politische Lage der Dinge in Deutschland, die Bewegung in dieser Stadt es nothwendig gemacht, auf alle Dinge geruster zu sein. Wir sahen die Gefahr, in welcher diese Versammlung bei einer der letzten Abstimmungen schwebte, und dies veranlaßte die Vorsichtsmaßregeln. Die fünfte Frage bejaht der Minister.

Nachdem Abg. Kirchmann noch auf mehrere Ausdrücke in dem Armeebefehle Wrangel's aufmerksam gemacht, welche geeignet seien, Besorgnisse zu erwecken, da derselbe sagt, es sei seine Aufgabe, die offentliche Ruhe in diesen Landen da, wo sie gestört wird, wieder herzustellen, wenn die Krafte der guten Bürger hierzu nicht ausreichen. Dies ist aber gegen die ausdrückliche Versicherung, welche den Bewohnern Berlins in den letzten Tagen des März gegeben wurde, daß nämlich die Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung nur der Bürgerwehr zustehe. Der Bürgerwehr erwähnt aber Wrangel gar nicht, sondern nur der guten Bürger. Der Unterschied zwischen Bürgerwehr und guten Bürgern ist aber ein unermeßlicher, denn der Begriff "guter Bürger" ist durchaus dem Ermessen derjenigen uberlassen, die ihn stellen.

Minister-Präsident v. Pfuel erwidert, daß in einem Armeebefehle die Worte nicht so genau abgewogen werden. Meiner Meinung nach ist unter guten Bürgern nur die Bürgerwehr zu verstehen. Was die im März ertheilte Zusicherung betrifft, so erkläre er hiermit wiederholt, daß das Militär nur auf Requisition der zuständigen Civilbehörden einschreiten werde.

Waldeck beantragt: "daß das Ministerium den General Wrangel anweise, seinen Armeebefehl zurückzuziehen." Dieser Antrag wird jedoch, nach namentlicher Abstimmung, mit 202 gegen 139 Stimmen verworfen. Die Centren stimmen mit der Rechten gegen die Linke.

Jetzt wird beantragt, den gestern von den Abgg. Bloem und Berg gestellten Antrag vor allen anderen auf die Tagesordnung zu bringen.

Dieser Antrag des linken Centrums wird durch Elsner von der Linken stark angegriffen. Es half jedoch nichts; der Antrag wurde nach kurzer Debatte mit 238 gegen 77 Stimmen angenommen.

Endlich kommt die Linke dazu, ihre längst verabredete Interpellation wegen des Stein'schen Antrages stellen zu können. Es ist aber schon 3 Uhr Nachmittags, und die Rechte verlangt den Schluß der Sitzung. Die Rechte hatte heute die Taktik befolgt, jedesmal namentliche Abstimmung zu verlangen, um die Zeit mit unwichtigen Dingen zu todten. Der Präsident Philipps will jedoch zuvor erst die Interpellation des Abg. Pax vornehmen. Dies verursachte eine tumultuarische Scene, wie sie noch nie, sage noch nie, in dieser Versammlung vorgekommen. Mehr als zehn Redner sprachen nach der Reihe, ob der Schluß sofort verlangt werden kann oder nicht; da nimmt zuletzt noch Hansemann das Wort und sagt unter Anderm: Auf diese Weise können uns ja diese Herren (auf die Linke zeigend) noch zwei Stunden mit ihren Anträgen regaliren. - Die Linke fordert nun aus fünfzig Kehlen den Ordnungsruf für die unparlamentarischen Ausdrücke des Redners. - Der Präsident Philipps beeilt sich auch, Herrn Hansemann zur Ordnung zu verweisen, da er eine Partei beleidigt habe. - Hansemann giebt zu, daß seine Aeußerung nicht ordnungsmäßig war.

Der Präsident entschließt sich endlich, die Frage zu stellen, ob die Sitzung geschlossen werden solle?

Um die Rechte, die nach dem Mittagbrod lechzte, noch länger hinzuhalten und sich für die von ihr heute so vielfältig verlangten namentlichen Abstimmungen zu rächen, verlangt nun die Linke die namentliche Abstimmung.

Das geht den Herren von der Rechten zu weit; sie wollen den Sitzungssaal in Masse verlassen. Nur mit Mühe gelingt es Milde und Hansemann, ihre Getreuen zurückzuhalten, um sich nicht zu blamiren. Sie finden endlich nur den einen Ausweg, daß sie den Antrag auf Schluß der Sitzung zurücknehmen.

Pax verlies't seine Interpellation:

"Ich frage das hohe Ministerium, welche Stellung es in Bezug auf den Stein-Schulze'schen Antrag und zu den in den Sitzungen vom 9. Aug. und 7. Sept. gefaßten Beschlüssen einnehmen und welche Schritte es zur Ausführung derselben gethan oder thun werde?"

Diese Interpellation wird von der Linken und den beiden Centren einstimmig unterstützt und für dringlich anerkannt. Nur die Rechte blieb sitzen; Niemand erhob sich dafür, sie war die Minorität vom 7. d. Mts.

Pfuel erklärt, daß er erst in der Montags-Sitzung antworten könne, da ihm heute die nöthigen schriftlichen Vorlagen nicht bei der Hand wären.

Schluß der Sitzung.

103 Berlin, 22. Sept.

Die großen Erwartungen, welche man allgemein von der heutigen Sitzung der Vereinbarerversammlung hegte, sind nicht erfüllt worden und wir müssen uns bis auf Montag vertrösten.

Eine bemerkenswerthe Mittheilung ist hinzuzufügen: daß das Ministerium entschlossen sein soll, fort zu regieren, wenn es auch Montag in der Minorität bleibt, oder sogar ein Mißtrauensvotum bekömmt. Das könnte zu einem andern Resultate führen, denn das dürfte sich weder die Linke noch das Berliner Volk gefallen lassen.

Aufgefallen ist es ferner, daß das neue Ministerium in seinem nichtssagenden Programm weder den Stein'schen Antrag noch die Habeas-Corpus-Akte erwähnt hat. In Betreff der letztern ist auch eine Interpellation des Abg Nees v. Esenbeck zum Montag auf der Tagesordnung.

Die abgetretenen Minister: Hansemann, Milde und Kühlwetter haben heute ihre Plätze als Abgeordnete auf der rechten Seite eingenommen, nur Gierke nahm seinen früheren Platz im Centrum wieder ein.

Es ist ein großer Werth darauf zu legen, daß es der Linken gelungen ist den Hartmann'schen Antrag zu verwerfen, da es sonst nicht möglich gewesen wäre, in jeder Sitzung einen dringenden Antrag oder Interpellation zu stellen. Die Majorität der Linken stellt sich dabei wieder auf 77 Stimmen heraus, obgleich Milde und Hansemann alle mögliche Ueberredungskunst aufwandten, um das Centrum abwendig zu machen. Diese beiden Ex-Minister und Ex-Excellenzen haben sich heute durch ihr Benehmen allgemein lächerlich gemacht. Man sieht ihnen den Aerger an, daß sie gezwungen worden, den Ministersessel wieder mit der Abgeordnetenbank zu vertauschen.

Während der Sitzung umwogten Tausende von Menschen den Sitzungssaal. Alles war begierig etwas Entscheidendes zu vernehmen. Die Menge, die von 9 Uhr Vormittags bis 5 Uhr Nachmittags ausharrte, verhielt sich jedoch sehr ruhig, obgleich es an aufregenden Plakaten über Wrangel und das neue Ministerium nicht fehlte. Ein Plakat der demokratischen Klubs forderte für heute noch zur Ruhe auf, und dem leistete die Menge ruhig Folge.

103 Berlin, 23. Sept.

Alles ist bis auf Montag vertagt; die Sitzung der Vereinbarer - die Antwort des neuen Ministeriums auf die Interpellation wegen Ausführung des Stein'schen Antrags - und die Barrikaden. Wir glauben jetzt nicht nur an die Möglichkeit, sondern auch an die Nothwendigkeit des Entscheidungskampfes; denn die gegen die Märzversprechungen verstoßende Militärdiktatur Wrangel's und der Eintritt eines aristokratischen contrerevolutionären Ministeriums beweisen es klar und deutlich, daß die Contrerevolution endlich entschlossen ist, einen Kampf herbeizuführen, bei dem es sich um Sein oder Nichtsein handelt, und dessen endliches Resultat also nur die absolute Monarchie oder die Republik sein kann.

Aber die Contrerevolution zögert ebenso wie die Demokraten. Keine Partei will der angreifende Theil sein; sie fürchten, daß es noch "zu früh" ist und während dem wird die Zeit vergehen und es wird "zu spät" werden.

Das vorgestern hier verbreitete Gerücht von der Verhaftung Bekunins soll sich nicht bestätigen. Ebensowenig das Gerücht von der Anwesenheit Mirolawski's, der bestimmt sein soll den bevorstehenden Aufstand hier zu organisiren und einen angemessenen Plan zu entwerfen. Wir glauben jedoch nicht, daß er sich zu diesem Zweck hier eingefunden hat.

Der Präsident des souveränen Lindenklubs, Müller, wollte morgen Vormittag eine große Volksparade unter den Linden, als Gegensatz zur Militärparade des Generals Wrangel, abhalten; der demokratische Klub jedoch hat geglaubt von einem solchen Vorhaben abrathen zu müssen, indem dadurch die Ruhe gestört werde und ein vorzeitiger Krawall ausbrechen könnte.

Schließlich wollen wir noch unsere Befürchtung dahin aussprechen, daß auch Montag noch nichts Entscheidendes geschehen wird, indem wir Grund haben zu vermuthen, daß das Ministerium wieder eine vermittelnde Antwort auffinden wird, wodurch sich das Centrum, von dessen Verrath wir erst gestern Beispiele hatten, veranlaßt finden wird, von der Linken abzufallen oder keinen entscheidenden Schritt zu wagen. Von der Halbheit des linken Centrums lieferte Kirchmann gestern den besten Beweis, indem er sich so trocken, in Folge der von ihm gestellten Interpellation, vom Kriegsminister abspeisen ließ. Offene Feinde schaden nicht so viel als solche unentschiedene Verbündete.

61 Wien, 20. September.

In der gestrigen Abendsitzung des Reichstags wurde mit der Debatte über den Antrag Sierakowski's, die Zulassung der ungarischen Deputation in den Reichstag betreffend, fortgefahren. Unter den Rednern, die noch für den Antrag sprachen, sind Schufelka, Zimmer und Violand zu bemerken; die czechische Partei aber, die mit ihr verbundene Fraktion der polnischen Partei (Lubomierski, Potocki), die wiener ministerielle Partei und die Absolutisten bieten Alles auf, jede Sympathie für Ungarn zu ersticken. Neumann, in Schimpfreden wider die Magyaren sich ergehend, stellt Jellachich als einen Märtyrer der Freiheit dar, mit welchem man vor allen Dingen die Magyaren bekämpfen und bekehren müste.

Der Abgeordnete Helfert (Czeche) beantragt, der Reichstag möge in Beziehung auf die ungarische Deputation keine Ausnahme von der Geschäftsordnung machen, dieselbe also nicht empfangen.

Sierakowski hat als Antragsteller das letzte Wort und tritt, weil er der deutschen Sprache nicht Meister genug, dasselbe an Borrosch ab; Borrosch will reden, aber der Präsident will sich am Buchstaben der Geschäftsordnung gehalten wissen, wonach das Recht des letzten Wortes nur der Person des Antragstellers zustehe, indem eine Cession hier nicht angehe. Sierakowski sieht sich daher genöthigt, zu sprechen; er thut es in gebrochenem Deutsch, indem er unter Anderm sagt: "Der Reichstag kann einem furchtbaren Blutvergießen ein Ende machen und wird sich damit größere Verdienste erwerben, als wenn er sich am Buchstaben seiner Geschäftsordnung hält; wo sich früher die Kabinette wider die Völker verständigt haben, (es geschehe eben in dieser Reitschule), da sollten sich nun auch die aufgewachten Völker verständigen u. s. w.

Der Präsident will nun Sierakowsky's Antrag zuerst und da es verlangt wird, mittelst Namensaufruf zur Abstimmung bringen, allein das Czechenthum setzt es durch, daß Helferts Antrag mit namentlicher Abstimmung ihm vorgezogen wird; dieser Antrag wird mit 186 gegen 108 Stimmen angenommen. Die Versammlung beschließt, daß Sierakowsky's Antrag nun nicht mehr zur Abstimmung komme und nimmt dann mittelst Sitzenbleiben und Aufstehen folgenden Antrag Lassers an:

"Die ungarische Deputation ist durch den Vorstand des Reichstages einzuladen, ihre Mittheilungen schriftlich an die Hohe Versammlung gelangen zu lassen."

Die ungarische Deputation ist also abgewiesen, weil Lasser's Antrag unter den obwaltenden Verhältnissen nichts Anderes bedeutet. Die Czechen begreifen wohl, daß, wenn Ungarn und Deutsche zusammenstehen mit dem freigesinnten Slaventhum der Polen, Ruthenen u. s. w. ihre geträumte Hegemonie zu Wasser wird. Der Geist dieser Czechen, wie er sich namentlich in einem Rieger, Palacki, Trojan, Hawlitschek, Doliak, Jonak, Brauner, Helfert, Hawelka, Klaudy u. s. w. bekundet, kennt keinen höhern Aufschwung, als den: "Lieber die russische Knute küssen, oder den österreichischen Dalai-Lama-Absolutismus verehren, als die Freiheit verfechten in der deutsch-ungarischen Vereinigung!"

Der Pole Potocki hatte anfangs gegen den Antrag Helfert's gestimmt; nach der Abstimmung widerrief er indessen. Zum Bedauern des Präsidenten war der Widerruf nicht mehr annehmbar. - Justizminister Bach gab den Inhalt der Staatsschrift zum Besten, welche das österreichische Ministerium dem ungarischen zugeschickt hat. Diese Staatsschrift ist zwar breit geschrieben, aber dennoch kurz von Inhalt. Sie will nur eine

v. Mühlfelds Antrag, welcher den Ausschußantrag theilt, wird angenommen.

Hierauf der von Mühlfeld gestrichene Theil des Ausschußantrages ebenfalls angenommen. (Großes Gelächter) Also ist der Ausschußantrag mit einigen Umständen ‒ angenommen!!!

Hierauf wird Punkt 4, nämlich Einsammlung der Wahlzettel, der Tagesordnung erledigt. (S. oben.)

Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte.

Schluß um 1/2 2 Uhr.

110 Frankfurt, 21. Sept.

Wie ich Ihnen bei meiner Abreise von Köln versprach, beeile ich mich Ihnen einige Details über die hiesige Vorgänge zu geben.

Allgemein verbreitet ist die Ansicht, daß der Kampf ein vom Gouvernement provozirter, geflissentlich herbeigeführter war, um einmal recht in dem Hochgefühl einer unterdrückten Rebellion schwelgen zu können.

Was den Kampf selbst betrifft, so ist derselbe der heldenmüthigste von all' den Straßenkämpfen, die wir seit Beginn des Jahres erlebt. Keine 500 Kämpfer von Seiten des Volkes hielten sich von 12-5 Uhr gegen eine 25 fache Uebermacht, und schlugen dieselben von allen Seiten zurück ‒ wären sie besser geleitet gewesen, hätten die Deputirten der Linken nicht den Zuzug von Auswärts zurückgehalten ‒ so war das Volk Sieger; als aber letzteres nach dem Verlauf des von ihm erzwungenen Waffenstillstand's, die als bereits im Anzuge angekündigten Zuzüge nicht ankommen sah, da blieb ihm nichts als der letzte Kampf der Verzweiflung übrig, der auch mit beispiellosem Heldenmuthe bis gegen 10 1/2 Uhr in der Nacht bis zur gänzlichen Erschöpfung aller Munitionen fortgeführt wurde ‒ da erst verließen die erschöpften Kämpfer die Barrikaden in der Dönges- und Allerheiligengasse.

Bei keinem der Gefangenen ‒ es waren deren 60-80, sämmtlich verwundet ‒ fand man auch nur eine einzige Patrone; der Verlust an Todten und Verwundeten auf Seiten des Militärs soll die Zahl sämmtlicher Vertheidiger der Barrikaden bei Weitem übersteigen ‒ eine genaue Ermittelung der Zahl derselben wird wohl unmöglich sein, da Todte und Verwundete heimlich während der Nacht nach Mainz transportirt werden, ebenso die Gefangenen die in Hardenberg (bei Mainz) eingekerkert und von welchen schon mehrere in den Festungsgräben erschossen worden sein sollen, ‒ einer derselben ist durch die brutale Behandlung wahnsinnig geworden.

Während der ganzen Zeit, während welcher der reichste Theil der Stadt in Händen der Insurgenten war, wurde nicht das Geringste entwendet, wohl aber haben die Böhmen nach Erstürmung der Barrikaden mehrere Gewölbe, worunter namentlich ein Kleidermagazin, rein ausgeplündert ‒ selbst die erbitterten Bourgeois anerkennen dies mit verbissenem Grimme. Auch nicht das leiseste Gerücht befleckt die Ehre der braven Opfer.

Was nun den Punkt anbetrifft, der am meisten Stoff zu Proklamationen über Meuchelmord u. s. w. herleihen muß, so habe ich folgende, durchaus glaubwürdige Erzählung aus dem Munde des Bewohners des Gartenhauses, in dem Lichnowsky und Auerswald gefangen wurden, selbst vernommen:

Beide, Lichnowsky und Auerswald, ritten während des heftigsten Kampfes aus dem Friedberger Thore, um die heranziehende hessische Artillerie zur Beschleunigung ihres Anmarsches anzutreiben; bei einem Haufen Turner vorüberkommend, rief Lichnowsky: Wartet nur, ihr seid gut genug für Kanonenfutter, und fochte mit seinem Stockdegen theatralisch in der Luft herum. Nach diesen Worten und Gebärden erst wurde auf ihn und seinen Genossen geschossen, worauf sie sich beide in ein dem Kunstgärtner Schmitz gehöriges Haus flüchteten; hier zog Auerswald den Schlafrock des Hauseigenthümers an, während Lichnowsky sich in den Keller versteckte. Auerswald wurde von den Eindringenden zuerst gefunden und ohne weitere Mißhandlungen an die Gartenmauer geführt und erschossen. Lichnowsky etwas später aufgefunden, wurde auf Bitten der anwesenden Leute, denselben zu schonen, auf die Bornheimer Heide geführt; hier kam den Insurgenten ein gewisser Dr. H. aus B. entgegen, der sie bat, den Lichnowsky doch zu schonen. Sie schienen wirklich dazu geneigt, indem sie sich mit Dr. H. in Diskussion einließen, als Lichnowsky den unglückseligen Einfall hatte, einem der Insurgenten sein Gewehr zu entreißen, um mit Gewalt durchbrechen zu wollen, worauf er sofort durch 4-5 Schüsse zu Boden gestreckt wurde.

Die Barrikade, die sich am längsten hielt die in der Allerheiligen-Gasse nämlich, war von einem Bürgerwehr-Cavalleristen in voller Uniform, dem Sohne eines jüdischen sehr reichen Banquiers kommandirt, wie denn überhaupt fast sämmtliche Kämpfer den bemittelten Klassen angehörten; erst als 20 Kanonen gegen die von noch kaum so vielen Männern vertheidigte Barrikade aufgeführt wurden da erst zogen sich diese Helden zurück, nicht ein einziger wurde hier gefangen, der Anführer Arnold Reinach steckbrieflich verfolgt ebenso Esselin und Metternich, in Barbenhausen von 30 Gendsdarmen überfallen entkamen sie auch hier, nachdem sie 3 Mann getödtet und mehrere verwundet.

Ueber 100 Bürgerwehrmänner kämpften in den Reihen der Insurgenten sämmlich in Parade Uniform, als Anführer den übrigen mit den heldenmüthigsten Anstrengungen vorangehend. Im Vogelgesangs-Gäßchen vertheitigten 5 Mann eine Barrikade 3 Stunden lang gegen 200 Oestreicher und erst als die große Barrikade in der Döngesgasse genommen war zogen sie sich zurück.

103 Berlin, 22. Sept.

Sitzung der Vereinbarer-Versammlung.

Die neuen Minister erscheinen pünktlich um 9 Uhr im Sitzungssaal und die Abgeordneten finden sich nach und nach ein. Die Tribunen sind überfüllt und Alles sieht mit gespannter Erwartung dem Programm des neuen Ministeriums entgegen. Endlich nach 9 ein halb Uhr wird die Sitzung eröffnet und nach Verlesung des Protokolls nimmt der Minister-Präsident v. Pfuel das Wort, um folgendes Programm zu verlesen:

„Ich trete vor dieser hohen Versammlung mit der Versicherung, daß wir dem schwierigen uns gewordenen Beruf folgend, fest entschlossen sind, auf dem betretenen konstitutionellen Wege zu verharren und jeder Reaktion, besonders in allen Zweigen des öffentlichen Lebens, sowohl im Civil als Militär, mit allem Ernst entgegenzutreten, die Rechte des Volkes kräftig zu wahren und für die ungehinderte Entwickelung aller seiner Interessen Sorge zu tragen. Dabei werden wir nicht unterlassen, der Anarchie überall entgegenzutreten, in der Ueberzeugung, daß die wahre Freiheit in der Ordnung beruht und nur so Gewerbe und Handel zur Blüthe gelangen können. ‒ Zugleich erkennen wir die Nothwendigkeit an, daß die Berathung der Verfassungsurkunde nach dem sehnlichsten Wunsche des Volkes gefördert werde und daß die hohe Versammlung nach Berathung des Bürgerwehr-Gesetzes und der Gemeinde-Ordnung, sich vorzüglich damit beschäftige! Ueber unsere Verwaltung werden wir pflichtmäßige Auskunft geben und schuldige Rechnung legen. Wir achten es jedoch für unsere Pflicht, die Rechte der Krone, als die einzige Trägerin der ausübenden Gewalt gewissenhaft zu wahren. ‒

Hierauf verlangt Abg. Hansemann das Wort, in einer persöhnlichen Angelegenheit.

Hansemann: Meine Herren! Das abtretende Ministerium war, wie Sie wissen, von mir gebildet worden, und daher glaube ich die Verpflichtung zu haben, über die Erfüllung meiner Mission einige Worte zu sagen. ‒ Das abgetretene Ministerium wurde das Ministerium der That genannt und ich glaube, daß es diesen Namen wohl verdient hat. Wenn sie zurück sehen, auf die vielen vom abgetretenen Ministerium vorgelegten Gesetzentwürfe; wenn Sie zurück sehen auf Zustand des Landes vor drei Monaten und wie sich derselbe jetzt gestaltet hat, wo Handel und Gewerbe wieder blühen. ‒ Das abgetretene Ministerum hat die Gründe seines Austritts schon in einer früheren Mittheilung auseinandergesetzt. Wir mußten annehmen, daß die Versammlung ihr Mißtrauen gegen das Ministerium ausgesprochen. Ich für meine Person habe diese Ansicht vollkommen getheilt. Das abgetretene Ministerium ist vielfach von der Reaktion angefeindet worden und namentlich bin ich die Zielscheibe dieser Reaktion gewesen, weil meine Entwürfe tief in das Fleisch der Reaktion schnitt. Wenn nun diese Versammlung die Reaktion unterdrücken will, so hätte sie mein Ministerium aufrecht erhalten müssen, weil es von der Reaktion angegriffen war. Es mußte also der ausdrückliche Wille der hohen Versammlung sein, mich nicht mehr als Minister zu sehen. ‒ Es freuet mich aus dem Programm des neuen Ministeriums zu sehen, daß es der Reaktion entgegentreten und die Rechte der Krone schützen werde. Ich werde dem neuen Ministerium meine Unterstützung dazu geben. ‒

Hierauf wird ein Schreiben des Minister-Präsidenten mit einer Königlichen Botschaft verlesen, die sehr ausführlich über die Verhältnisse der Erhöhung der Brantweinsteuer spricht und die Berathung der desfallsigen Gesetzesvorlage einstweilen auszusetzen bittet, bis das Ministerium sich näher über alle Verhältnisse unterrichtet haben wird. ‒ Das heißt so viel als, das neue Ministerium giebt den Anforderungen des Bülow-Cummerowschen Gutsbesitzer-Vereins nach und wird keine Erhöhung der Brantweinsteuer eintreten lassen. ‒

Alsdann kommen die längst eingereichten dringenden Anträge zur Berathung. Zuerst der Antrag des Abg. Hartmann: Die hohe Versammlung wolle beschließen:

„Daß fortan wöchentlich nach Berathung des Bürgerwehr- und Jagdgesetzes, vier Tage ausschließlich zur Berathung des Verfassungs-Entwurfs bestimmt; alle übrigen Anträge, Interpellationen und Gesetze aber ein für allemal auf zwei anderen, im Voraus zu bestimmenden Tagen jede Woche verwiesen werden.“ ‒

Dieser Antrag wird nach namentlicher Abstimmung mit 251 gegen 98 als dringlich anerkannt.

Abg. Waldeck erklärt sich gegen den Antrag Hartmanns. Den Kern dieses Antrages haben wir schon aus früheren Aeußerungen entnommen. Wir hörten auch das unglückliche Wort „Vereinbarung,“ als ob wir weiter nichts zu thun hätten als ein Rieß Papier fertig zu machen. Wir sind nicht blos zur Entwerfung der Verfassungsurkunde hier. In einer Zeit wie die jetzige wo solche Armeebefehle und Tagesbefehle vorliegen, dürfen wir keinen Tag ausschließen, um das zu verhandeln was das Land interessiren könnte, die Versammlung würde sich sonst der größten Verantwortung aussetzen und das vergossene Blut wurde auf unsere Kopfe kommen, denn Niemand weiß, was uns der morgende Tag bringt. Die Versammlung könnte viel wichtigere Gegenstände zu thun haben, als die Verfassung zu berathen. ‒

Die Rede des Ab Waldeck, wurde von der Rechten vielfach unterbrochen. Sie influirte aber sehr auf die Abstimmung die sogleich stattfand. Der Antrag wurde im Sinne der Linken, nach namentlicher Abstimmung, mit 212 gegen 135 Stimmen verworfen. ‒ Die Freude des Ministeriums und die abgetretenen Minister stimmten mit der Minorität. ‒

Hierauf wird das im Sinne der Linken vom Abg. Kämpf gestellte Amendement „nach Beendigung der Berathungen über das Bürgerwehr- und über das Jagd-Gesetz vorläufig wöchentlich an zwei Tagen, vorzugsweise den Verfassungs-Entwurf zu berathen, die übrigen Vorlagen aber in den beiden anderen wöchentlichen Plenarsitzungen zu erledigen,“ 338 gegen 1 Stimme angenommen. Alsdann stellt der Abg. Otto von Trier den Antrag daß die Interpellation des Abg. Kirchmann vorzugsweise vor allen andern sogleich an die Reihe komme. ‒ Der unterstützte Antrag wird motivirt.

Abg. Otto: Wissen Sie meine Herrn, was außerhalb der Mauern von Berlin vorgehet? Ich will es Ihnen sagen: Berlin ist von 50,000 Mann mit Geschütz, mit Kartätschen und Schrapnells umgeben. Wissen Sie was in Berlin vorgeht? (Geschrei von der Rechten) Sie scheinen es nicht zu wissen. Ganz Berlin gleicht einem Krater, der jede Minute zum Ausbruch kommen kann. Die militärische Schreckens-Herrschaft ist im Anzuge. Ich rufe Ihnen mit Hannibal zu: Hannibal anté portas! Thun wir daher sogleich etwas zur Beruhigung des ganzen Landes. ‒

Der Antrag angenommen.

Abg. Kirchmann: Es ist zwar der Versammlung noch keine Mittheilung gemacht worden, wie die Namen der Herren Minister sind, welche diese Plätze eingenommen haben, aber ich habe zufällig aus dem „Staats-Anzeiger“ ersehen, daß der Minister-Präsident zugleich als Kriegsminister fungirt, und ich werde daher meine Interpellation an denselben richten. Er wird auf diese Weise die beste Gelegenheit haben, den Worten seines Programmes eine bestimmte Deutung zu geben. Die Maßregel der Ernennung des Generals Wrangel ist jedenfalls ganz außerordentlicher und exzeptioneller Natur. Der Armeebefehl des Generals Wrangel hat eine große Aufregung nicht allein in dieser Stadt, sondern im ganzen Lande hervorgebracht. Demnach frage ich:

1) Ob es gegründet, daß durch eine Allerhöchste Kabinetsordre vom 15. d Mts. dem General Wrangel der Oberbefehl über die Truppen in den Marken ertheilt worden, und wer diese Kabinetsordre kontrasignirt habe?

2) Ob dem General Wrangel hierbei noch besondere Instruktionen ertheilt worden?

3) Mittheilung zu machen von den Gründen, welche zu dieser außerordentlichen Maßregel Anlaß gegeben?

4) Mittheilung zu machen, ob und aus welchen Gründen um Berlin eine bedeutende Militärmacht konzentrirt worden?

5) Ob der Herr Kriegsminister mit dem Inhalte des Erlasses des Generals Wrangel vom 17. d. Mts. überall einverstanden sei?

Der Minister-Präsident v. Pfuel beantwortete die Frage einzeln: Ad 1) daß die Kabinetsordre wirklich erlassen und vom abgetretenen Kriegsminister Schreckenstein kontrasignirt sei. Er verlies't diese Kabinetsordre; ad 2) „Nein“; ad 3) erklärt er, es sei Gebrauch, wenn verschiedene Armeekorps und Truppentheile sich in einer Provinz zusammenfinden, den Oberbefehl einem Einzigen zu übergeben; ad 4) daß die politische Lage der Dinge in Deutschland, die Bewegung in dieser Stadt es nothwendig gemacht, auf alle Dinge geruster zu sein. Wir sahen die Gefahr, in welcher diese Versammlung bei einer der letzten Abstimmungen schwebte, und dies veranlaßte die Vorsichtsmaßregeln. Die fünfte Frage bejaht der Minister.

Nachdem Abg. Kirchmann noch auf mehrere Ausdrücke in dem Armeebefehle Wrangel's aufmerksam gemacht, welche geeignet seien, Besorgnisse zu erwecken, da derselbe sagt, es sei seine Aufgabe, die offentliche Ruhe in diesen Landen da, wo sie gestört wird, wieder herzustellen, wenn die Krafte der guten Bürger hierzu nicht ausreichen. Dies ist aber gegen die ausdrückliche Versicherung, welche den Bewohnern Berlins in den letzten Tagen des März gegeben wurde, daß nämlich die Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung nur der Bürgerwehr zustehe. Der Bürgerwehr erwähnt aber Wrangel gar nicht, sondern nur der guten Bürger. Der Unterschied zwischen Bürgerwehr und guten Bürgern ist aber ein unermeßlicher, denn der Begriff „guter Bürger“ ist durchaus dem Ermessen derjenigen uberlassen, die ihn stellen.

Minister-Präsident v. Pfuel erwidert, daß in einem Armeebefehle die Worte nicht so genau abgewogen werden. Meiner Meinung nach ist unter guten Bürgern nur die Bürgerwehr zu verstehen. Was die im März ertheilte Zusicherung betrifft, so erkläre er hiermit wiederholt, daß das Militär nur auf Requisition der zuständigen Civilbehörden einschreiten werde.

Waldeck beantragt: „daß das Ministerium den General Wrangel anweise, seinen Armeebefehl zurückzuziehen.“ Dieser Antrag wird jedoch, nach namentlicher Abstimmung, mit 202 gegen 139 Stimmen verworfen. Die Centren stimmen mit der Rechten gegen die Linke.

Jetzt wird beantragt, den gestern von den Abgg. Bloem und Berg gestellten Antrag vor allen anderen auf die Tagesordnung zu bringen.

Dieser Antrag des linken Centrums wird durch Elsner von der Linken stark angegriffen. Es half jedoch nichts; der Antrag wurde nach kurzer Debatte mit 238 gegen 77 Stimmen angenommen.

Endlich kommt die Linke dazu, ihre längst verabredete Interpellation wegen des Stein'schen Antrages stellen zu können. Es ist aber schon 3 Uhr Nachmittags, und die Rechte verlangt den Schluß der Sitzung. Die Rechte hatte heute die Taktik befolgt, jedesmal namentliche Abstimmung zu verlangen, um die Zeit mit unwichtigen Dingen zu todten. Der Präsident Philipps will jedoch zuvor erst die Interpellation des Abg. Pax vornehmen. Dies verursachte eine tumultuarische Scene, wie sie noch nie, sage noch nie, in dieser Versammlung vorgekommen. Mehr als zehn Redner sprachen nach der Reihe, ob der Schluß sofort verlangt werden kann oder nicht; da nimmt zuletzt noch Hansemann das Wort und sagt unter Anderm: Auf diese Weise können uns ja diese Herren (auf die Linke zeigend) noch zwei Stunden mit ihren Anträgen regaliren. ‒ Die Linke fordert nun aus fünfzig Kehlen den Ordnungsruf für die unparlamentarischen Ausdrücke des Redners. ‒ Der Präsident Philipps beeilt sich auch, Herrn Hansemann zur Ordnung zu verweisen, da er eine Partei beleidigt habe. ‒ Hansemann giebt zu, daß seine Aeußerung nicht ordnungsmäßig war.

Der Präsident entschließt sich endlich, die Frage zu stellen, ob die Sitzung geschlossen werden solle?

Um die Rechte, die nach dem Mittagbrod lechzte, noch länger hinzuhalten und sich für die von ihr heute so vielfältig verlangten namentlichen Abstimmungen zu rächen, verlangt nun die Linke die namentliche Abstimmung.

Das geht den Herren von der Rechten zu weit; sie wollen den Sitzungssaal in Masse verlassen. Nur mit Mühe gelingt es Milde und Hansemann, ihre Getreuen zurückzuhalten, um sich nicht zu blamiren. Sie finden endlich nur den einen Ausweg, daß sie den Antrag auf Schluß der Sitzung zurücknehmen.

Pax verlies't seine Interpellation:

„Ich frage das hohe Ministerium, welche Stellung es in Bezug auf den Stein-Schulze'schen Antrag und zu den in den Sitzungen vom 9. Aug. und 7. Sept. gefaßten Beschlüssen einnehmen und welche Schritte es zur Ausführung derselben gethan oder thun werde?“

Diese Interpellation wird von der Linken und den beiden Centren einstimmig unterstützt und für dringlich anerkannt. Nur die Rechte blieb sitzen; Niemand erhob sich dafür, sie war die Minorität vom 7. d. Mts.

Pfuel erklärt, daß er erst in der Montags-Sitzung antworten könne, da ihm heute die nöthigen schriftlichen Vorlagen nicht bei der Hand wären.

Schluß der Sitzung.

103 Berlin, 22. Sept.

Die großen Erwartungen, welche man allgemein von der heutigen Sitzung der Vereinbarerversammlung hegte, sind nicht erfüllt worden und wir müssen uns bis auf Montag vertrösten.

Eine bemerkenswerthe Mittheilung ist hinzuzufügen: daß das Ministerium entschlossen sein soll, fort zu regieren, wenn es auch Montag in der Minorität bleibt, oder sogar ein Mißtrauensvotum bekömmt. Das könnte zu einem andern Resultate führen, denn das dürfte sich weder die Linke noch das Berliner Volk gefallen lassen.

Aufgefallen ist es ferner, daß das neue Ministerium in seinem nichtssagenden Programm weder den Stein'schen Antrag noch die Habeas-Corpus-Akte erwähnt hat. In Betreff der letztern ist auch eine Interpellation des Abg Nees v. Esenbeck zum Montag auf der Tagesordnung.

Die abgetretenen Minister: Hansemann, Milde und Kühlwetter haben heute ihre Plätze als Abgeordnete auf der rechten Seite eingenommen, nur Gierke nahm seinen früheren Platz im Centrum wieder ein.

Es ist ein großer Werth darauf zu legen, daß es der Linken gelungen ist den Hartmann'schen Antrag zu verwerfen, da es sonst nicht möglich gewesen wäre, in jeder Sitzung einen dringenden Antrag oder Interpellation zu stellen. Die Majorität der Linken stellt sich dabei wieder auf 77 Stimmen heraus, obgleich Milde und Hansemann alle mögliche Ueberredungskunst aufwandten, um das Centrum abwendig zu machen. Diese beiden Ex-Minister und Ex-Excellenzen haben sich heute durch ihr Benehmen allgemein lächerlich gemacht. Man sieht ihnen den Aerger an, daß sie gezwungen worden, den Ministersessel wieder mit der Abgeordnetenbank zu vertauschen.

Während der Sitzung umwogten Tausende von Menschen den Sitzungssaal. Alles war begierig etwas Entscheidendes zu vernehmen. Die Menge, die von 9 Uhr Vormittags bis 5 Uhr Nachmittags ausharrte, verhielt sich jedoch sehr ruhig, obgleich es an aufregenden Plakaten über Wrangel und das neue Ministerium nicht fehlte. Ein Plakat der demokratischen Klubs forderte für heute noch zur Ruhe auf, und dem leistete die Menge ruhig Folge.

103 Berlin, 23. Sept.

Alles ist bis auf Montag vertagt; die Sitzung der Vereinbarer ‒ die Antwort des neuen Ministeriums auf die Interpellation wegen Ausführung des Stein'schen Antrags ‒ und die Barrikaden. Wir glauben jetzt nicht nur an die Möglichkeit, sondern auch an die Nothwendigkeit des Entscheidungskampfes; denn die gegen die Märzversprechungen verstoßende Militärdiktatur Wrangel's und der Eintritt eines aristokratischen contrerevolutionären Ministeriums beweisen es klar und deutlich, daß die Contrerevolution endlich entschlossen ist, einen Kampf herbeizuführen, bei dem es sich um Sein oder Nichtsein handelt, und dessen endliches Resultat also nur die absolute Monarchie oder die Republik sein kann.

Aber die Contrerevolution zögert ebenso wie die Demokraten. Keine Partei will der angreifende Theil sein; sie fürchten, daß es noch „zu früh“ ist und während dem wird die Zeit vergehen und es wird „zu spät“ werden.

Das vorgestern hier verbreitete Gerücht von der Verhaftung Bekunins soll sich nicht bestätigen. Ebensowenig das Gerücht von der Anwesenheit Mirolawski's, der bestimmt sein soll den bevorstehenden Aufstand hier zu organisiren und einen angemessenen Plan zu entwerfen. Wir glauben jedoch nicht, daß er sich zu diesem Zweck hier eingefunden hat.

Der Präsident des souveränen Lindenklubs, Müller, wollte morgen Vormittag eine große Volksparade unter den Linden, als Gegensatz zur Militärparade des Generals Wrangel, abhalten; der demokratische Klub jedoch hat geglaubt von einem solchen Vorhaben abrathen zu müssen, indem dadurch die Ruhe gestört werde und ein vorzeitiger Krawall ausbrechen könnte.

Schließlich wollen wir noch unsere Befürchtung dahin aussprechen, daß auch Montag noch nichts Entscheidendes geschehen wird, indem wir Grund haben zu vermuthen, daß das Ministerium wieder eine vermittelnde Antwort auffinden wird, wodurch sich das Centrum, von dessen Verrath wir erst gestern Beispiele hatten, veranlaßt finden wird, von der Linken abzufallen oder keinen entscheidenden Schritt zu wagen. Von der Halbheit des linken Centrums lieferte Kirchmann gestern den besten Beweis, indem er sich so trocken, in Folge der von ihm gestellten Interpellation, vom Kriegsminister abspeisen ließ. Offene Feinde schaden nicht so viel als solche unentschiedene Verbündete.

61 Wien, 20. September.

In der gestrigen Abendsitzung des Reichstags wurde mit der Debatte über den Antrag Sierakowski's, die Zulassung der ungarischen Deputation in den Reichstag betreffend, fortgefahren. Unter den Rednern, die noch für den Antrag sprachen, sind Schufelka, Zimmer und Violand zu bemerken; die czechische Partei aber, die mit ihr verbundene Fraktion der polnischen Partei (Lubomierski, Potocki), die wiener ministerielle Partei und die Absolutisten bieten Alles auf, jede Sympathie für Ungarn zu ersticken. Neumann, in Schimpfreden wider die Magyaren sich ergehend, stellt Jellachich als einen Märtyrer der Freiheit dar, mit welchem man vor allen Dingen die Magyaren bekämpfen und bekehren müste.

Der Abgeordnete Helfert (Czeche) beantragt, der Reichstag möge in Beziehung auf die ungarische Deputation keine Ausnahme von der Geschäftsordnung machen, dieselbe also nicht empfangen.

Sierakowski hat als Antragsteller das letzte Wort und tritt, weil er der deutschen Sprache nicht Meister genug, dasselbe an Borrosch ab; Borrosch will reden, aber der Präsident will sich am Buchstaben der Geschäftsordnung gehalten wissen, wonach das Recht des letzten Wortes nur der Person des Antragstellers zustehe, indem eine Cession hier nicht angehe. Sierakowski sieht sich daher genöthigt, zu sprechen; er thut es in gebrochenem Deutsch, indem er unter Anderm sagt: „Der Reichstag kann einem furchtbaren Blutvergießen ein Ende machen und wird sich damit größere Verdienste erwerben, als wenn er sich am Buchstaben seiner Geschäftsordnung hält; wo sich früher die Kabinette wider die Völker verständigt haben, (es geschehe eben in dieser Reitschule), da sollten sich nun auch die aufgewachten Völker verständigen u. s. w.

Der Präsident will nun Sierakowsky's Antrag zuerst und da es verlangt wird, mittelst Namensaufruf zur Abstimmung bringen, allein das Czechenthum setzt es durch, daß Helferts Antrag mit namentlicher Abstimmung ihm vorgezogen wird; dieser Antrag wird mit 186 gegen 108 Stimmen angenommen. Die Versammlung beschließt, daß Sierakowsky's Antrag nun nicht mehr zur Abstimmung komme und nimmt dann mittelst Sitzenbleiben und Aufstehen folgenden Antrag Lassers an:

„Die ungarische Deputation ist durch den Vorstand des Reichstages einzuladen, ihre Mittheilungen schriftlich an die Hohe Versammlung gelangen zu lassen.“

Die ungarische Deputation ist also abgewiesen, weil Lasser's Antrag unter den obwaltenden Verhältnissen nichts Anderes bedeutet. Die Czechen begreifen wohl, daß, wenn Ungarn und Deutsche zusammenstehen mit dem freigesinnten Slaventhum der Polen, Ruthenen u. s. w. ihre geträumte Hegemonie zu Wasser wird. Der Geist dieser Czechen, wie er sich namentlich in einem Rieger, Palacki, Trojan, Hawlitschek, Doliak, Jonak, Brauner, Helfert, Hawelka, Klaudy u. s. w. bekundet, kennt keinen höhern Aufschwung, als den: „Lieber die russische Knute küssen, oder den österreichischen Dalai-Lama-Absolutismus verehren, als die Freiheit verfechten in der deutsch-ungarischen Vereinigung!“

Der Pole Potocki hatte anfangs gegen den Antrag Helfert's gestimmt; nach der Abstimmung widerrief er indessen. Zum Bedauern des Präsidenten war der Widerruf nicht mehr annehmbar. ‒ Justizminister Bach gab den Inhalt der Staatsschrift zum Besten, welche das österreichische Ministerium dem ungarischen zugeschickt hat. Diese Staatsschrift ist zwar breit geschrieben, aber dennoch kurz von Inhalt. Sie will nur eine

<TEI>
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          <p>v. Mühlfelds Antrag, welcher den Ausschußantrag theilt, wird angenommen.</p>
          <p>Hierauf der von Mühlfeld gestrichene Theil des Ausschußantrages ebenfalls angenommen.       (Großes Gelächter) Also ist der Ausschußantrag mit einigen Umständen &#x2012; angenommen!!!</p>
          <p>Hierauf wird Punkt 4, nämlich Einsammlung der Wahlzettel, der Tagesordnung erledigt. (S.       oben.)</p>
          <p>Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte.</p>
          <p>Schluß um 1/2 2 Uhr.</p>
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          <head><bibl><author>110</author></bibl> Frankfurt, 21. Sept.</head>
          <p>Wie ich Ihnen bei meiner Abreise von Köln versprach, beeile ich mich Ihnen einige Details       über die hiesige Vorgänge zu geben.</p>
          <p>Allgemein verbreitet ist die Ansicht, daß der Kampf ein vom Gouvernement provozirter,       geflissentlich herbeigeführter war, um einmal recht in dem Hochgefühl einer unterdrückten       Rebellion schwelgen zu können.</p>
          <p>Was den Kampf selbst betrifft, so ist derselbe der heldenmüthigste von all' den       Straßenkämpfen, die wir seit Beginn des Jahres erlebt. Keine 500 Kämpfer von Seiten des Volkes       hielten sich von 12-5 Uhr gegen eine 25 fache Uebermacht, und schlugen dieselben von allen       Seiten zurück &#x2012; wären sie besser geleitet gewesen, hätten die Deputirten der Linken nicht den       Zuzug von Auswärts zurückgehalten &#x2012; so war das Volk Sieger; als aber letzteres nach dem       Verlauf des von ihm <hi rendition="#g">erzwungenen</hi> Waffenstillstand's, die als bereits im       Anzuge angekündigten Zuzüge nicht ankommen sah, da blieb ihm nichts als der letzte Kampf der       Verzweiflung übrig, der auch mit beispiellosem Heldenmuthe bis gegen 10 1/2 Uhr in der Nacht       bis zur gänzlichen Erschöpfung aller Munitionen fortgeführt wurde &#x2012; da erst verließen die       erschöpften Kämpfer die Barrikaden in der Dönges- und Allerheiligengasse.</p>
          <p>Bei keinem der Gefangenen &#x2012; es waren deren 60-80, sämmtlich verwundet &#x2012; fand man auch nur       eine einzige Patrone; der Verlust an Todten und Verwundeten auf Seiten des Militärs soll die       Zahl sämmtlicher Vertheidiger der Barrikaden bei Weitem übersteigen &#x2012; eine genaue Ermittelung       der Zahl derselben wird wohl unmöglich sein, da Todte und Verwundete heimlich während der       Nacht nach Mainz transportirt werden, ebenso die Gefangenen die in Hardenberg (bei Mainz)       eingekerkert und von welchen schon mehrere in den Festungsgräben erschossen worden sein       sollen, &#x2012; einer derselben ist durch die brutale Behandlung wahnsinnig geworden.</p>
          <p>Während der ganzen Zeit, während welcher der reichste Theil der Stadt in Händen der       Insurgenten war, wurde nicht das Geringste entwendet, wohl aber haben die Böhmen nach       Erstürmung der Barrikaden mehrere Gewölbe, worunter namentlich ein Kleidermagazin, rein       ausgeplündert &#x2012; selbst die erbitterten Bourgeois anerkennen dies mit verbissenem Grimme. Auch       nicht das leiseste Gerücht befleckt die Ehre der braven Opfer.</p>
          <p>Was nun den Punkt anbetrifft, der am meisten Stoff zu Proklamationen über Meuchelmord u. s.       w. herleihen muß, so habe ich folgende, durchaus glaubwürdige Erzählung aus dem Munde des       Bewohners des Gartenhauses, in dem Lichnowsky und Auerswald gefangen wurden, selbst       vernommen:</p>
          <p>Beide, Lichnowsky und Auerswald, ritten während des heftigsten Kampfes aus dem Friedberger       Thore, um die heranziehende hessische Artillerie zur Beschleunigung ihres Anmarsches       anzutreiben; bei einem Haufen Turner vorüberkommend, rief Lichnowsky: Wartet nur, ihr seid gut       genug für Kanonenfutter, und fochte mit seinem Stockdegen theatralisch in der Luft herum. Nach       diesen Worten und Gebärden erst wurde auf ihn und seinen Genossen geschossen, worauf sie sich       beide in ein dem Kunstgärtner Schmitz gehöriges Haus flüchteten; hier zog Auerswald den       Schlafrock des Hauseigenthümers an, während Lichnowsky sich in den Keller versteckte.       Auerswald wurde von den Eindringenden zuerst gefunden und ohne weitere Mißhandlungen an die       Gartenmauer geführt und erschossen. Lichnowsky etwas später aufgefunden, wurde auf Bitten der       anwesenden Leute, denselben zu schonen, auf die Bornheimer Heide geführt; hier kam den       Insurgenten ein gewisser Dr. H. aus B. entgegen, der sie bat, den Lichnowsky doch zu schonen.       Sie schienen wirklich dazu geneigt, indem sie sich mit Dr. H. in Diskussion einließen, als       Lichnowsky den unglückseligen Einfall hatte, einem der Insurgenten sein Gewehr zu entreißen,       um mit Gewalt durchbrechen zu wollen, worauf er sofort durch 4-5 Schüsse zu Boden gestreckt       wurde.</p>
          <p>Die Barrikade, die sich am längsten hielt die in der Allerheiligen-Gasse nämlich, war von       einem Bürgerwehr-Cavalleristen in voller Uniform, dem Sohne eines jüdischen sehr reichen       Banquiers kommandirt, wie denn überhaupt fast sämmtliche Kämpfer den bemittelten Klassen       angehörten; erst als 20 Kanonen gegen die von noch kaum so vielen Männern vertheidigte       Barrikade aufgeführt wurden da erst zogen sich diese Helden zurück, nicht ein einziger wurde       hier gefangen, der Anführer Arnold Reinach steckbrieflich verfolgt ebenso Esselin und       Metternich, in Barbenhausen von 30 Gendsdarmen überfallen entkamen sie auch hier, nachdem sie       3 Mann getödtet und mehrere verwundet.</p>
          <p>Ueber 100 Bürgerwehrmänner kämpften in den Reihen der Insurgenten sämmlich in Parade       Uniform, als Anführer den übrigen mit den heldenmüthigsten Anstrengungen vorangehend. Im       Vogelgesangs-Gäßchen vertheitigten 5 Mann eine Barrikade 3 Stunden lang gegen 200 Oestreicher       und erst als die große Barrikade in der Döngesgasse genommen war zogen sie sich zurück.</p>
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          <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 22. Sept.</head>
          <p>Sitzung der Vereinbarer-Versammlung.</p>
          <p>Die neuen Minister erscheinen pünktlich um 9 Uhr im Sitzungssaal und die Abgeordneten finden       sich nach und nach ein. Die Tribunen sind überfüllt und Alles sieht mit gespannter Erwartung       dem Programm des neuen Ministeriums entgegen. Endlich nach 9 ein halb Uhr wird die Sitzung       eröffnet und nach Verlesung des Protokolls nimmt der Minister-Präsident v. <hi rendition="#g">Pfuel</hi> das Wort, um folgendes Programm zu verlesen:</p>
          <p>&#x201E;Ich trete vor dieser hohen Versammlung mit der Versicherung, daß wir dem schwierigen uns       gewordenen Beruf folgend, fest entschlossen sind, auf dem betretenen konstitutionellen Wege zu       verharren und jeder Reaktion, besonders in allen Zweigen des öffentlichen Lebens, sowohl im       Civil als Militär, mit allem Ernst entgegenzutreten, die Rechte des Volkes kräftig zu wahren       und für die ungehinderte Entwickelung aller seiner Interessen Sorge zu tragen. Dabei werden       wir nicht unterlassen, der Anarchie überall entgegenzutreten, in der Ueberzeugung, daß die       wahre Freiheit in der Ordnung beruht und nur so Gewerbe und Handel zur Blüthe gelangen können.       &#x2012; Zugleich erkennen wir die Nothwendigkeit an, daß die Berathung der Verfassungsurkunde nach       dem sehnlichsten Wunsche des Volkes gefördert werde und daß die hohe Versammlung nach       Berathung des Bürgerwehr-Gesetzes und der Gemeinde-Ordnung, sich vorzüglich damit beschäftige!       Ueber unsere Verwaltung werden wir pflichtmäßige Auskunft geben und schuldige Rechnung legen.       Wir achten es jedoch für unsere Pflicht, die Rechte der Krone, als die einzige Trägerin der       ausübenden Gewalt gewissenhaft zu wahren. &#x2012;</p>
          <p>Hierauf verlangt Abg. <hi rendition="#g">Hansemann</hi> das Wort, in einer persöhnlichen       Angelegenheit.</p>
          <p><hi rendition="#g">Hansemann:</hi> Meine Herren! Das abtretende Ministerium war, wie Sie       wissen, von mir gebildet worden, und daher glaube ich die Verpflichtung zu haben, über die       Erfüllung meiner Mission einige Worte zu sagen. &#x2012; Das abgetretene Ministerium wurde das       Ministerium der That genannt und ich glaube, daß es diesen Namen wohl verdient hat. Wenn sie       zurück sehen, auf die vielen vom abgetretenen Ministerium vorgelegten Gesetzentwürfe; wenn Sie       zurück sehen auf Zustand des Landes vor drei Monaten und wie sich derselbe jetzt gestaltet       hat, wo Handel und Gewerbe wieder blühen. &#x2012; Das abgetretene Ministerum hat die Gründe seines       Austritts schon in einer früheren Mittheilung auseinandergesetzt. Wir mußten annehmen, daß die       Versammlung ihr Mißtrauen gegen das Ministerium ausgesprochen. Ich für meine Person habe diese       Ansicht vollkommen getheilt. Das abgetretene Ministerium ist vielfach von der Reaktion       angefeindet worden und namentlich bin ich die Zielscheibe dieser Reaktion gewesen, weil meine       Entwürfe tief in das Fleisch der Reaktion schnitt. Wenn nun diese Versammlung die Reaktion       unterdrücken will, so hätte sie mein Ministerium aufrecht erhalten müssen, weil es von der       Reaktion angegriffen war. Es mußte also der ausdrückliche Wille der hohen Versammlung sein,       mich nicht mehr als Minister zu sehen. &#x2012; Es freuet mich aus dem Programm des neuen       Ministeriums zu sehen, daß es der Reaktion entgegentreten und die Rechte der Krone schützen       werde. Ich werde dem neuen Ministerium meine Unterstützung dazu geben. &#x2012;</p>
          <p>Hierauf wird ein Schreiben des Minister-Präsidenten mit einer Königlichen Botschaft       verlesen, die sehr ausführlich über die Verhältnisse der Erhöhung der Brantweinsteuer spricht       und die Berathung der desfallsigen Gesetzesvorlage einstweilen auszusetzen bittet, bis das       Ministerium sich näher über alle Verhältnisse unterrichtet haben wird. &#x2012; Das heißt so viel       als, das neue Ministerium giebt den Anforderungen des Bülow-Cummerowschen Gutsbesitzer-Vereins       nach und wird keine Erhöhung der Brantweinsteuer eintreten lassen. &#x2012;</p>
          <p>Alsdann kommen die längst eingereichten dringenden Anträge zur Berathung. Zuerst der Antrag       des Abg. Hartmann: Die hohe Versammlung wolle beschließen:</p>
          <p>&#x201E;Daß fortan wöchentlich nach Berathung des Bürgerwehr- und Jagdgesetzes, vier Tage       ausschließlich zur Berathung des Verfassungs-Entwurfs bestimmt; alle übrigen Anträge,       Interpellationen und Gesetze aber ein für allemal auf zwei anderen, im Voraus zu bestimmenden       Tagen jede Woche verwiesen werden.&#x201C; &#x2012;</p>
          <p>Dieser Antrag wird nach namentlicher Abstimmung mit 251 gegen 98 als dringlich       anerkannt.</p>
          <p>Abg. <hi rendition="#g">Waldeck</hi> erklärt sich gegen den Antrag Hartmanns. Den Kern       dieses Antrages haben wir schon aus früheren Aeußerungen entnommen. Wir hörten auch das       unglückliche Wort &#x201E;Vereinbarung,&#x201C; als ob wir weiter nichts zu thun hätten als ein Rieß Papier       fertig zu machen. Wir sind nicht blos zur Entwerfung der Verfassungsurkunde hier. In einer       Zeit wie die jetzige wo solche Armeebefehle und Tagesbefehle vorliegen, dürfen wir keinen Tag       ausschließen, um das zu verhandeln was das Land interessiren könnte, die Versammlung würde       sich sonst der größten Verantwortung aussetzen und das vergossene Blut wurde auf unsere Kopfe       kommen, denn Niemand weiß, was uns der morgende Tag bringt. Die Versammlung könnte viel       wichtigere Gegenstände zu thun haben, als die Verfassung zu berathen. &#x2012;</p>
          <p>Die Rede des Ab Waldeck, wurde von der Rechten vielfach unterbrochen. Sie influirte aber       sehr auf die Abstimmung die sogleich stattfand. Der Antrag wurde im Sinne der Linken, nach       namentlicher Abstimmung, mit 212 gegen 135 Stimmen verworfen. &#x2012; Die Freude des Ministeriums       und die abgetretenen Minister stimmten mit der Minorität. &#x2012;</p>
          <p>Hierauf wird das im Sinne der Linken vom Abg. Kämpf gestellte Amendement &#x201E;nach Beendigung       der Berathungen über das Bürgerwehr- und über das Jagd-Gesetz vorläufig wöchentlich an zwei       Tagen, vorzugsweise den Verfassungs-Entwurf zu berathen, die übrigen Vorlagen aber in den       beiden anderen wöchentlichen Plenarsitzungen zu erledigen,&#x201C; 338 gegen 1 Stimme angenommen.       Alsdann stellt der Abg. Otto von Trier den Antrag daß die Interpellation des Abg. Kirchmann       vorzugsweise vor allen andern sogleich an die Reihe komme. &#x2012; Der unterstützte Antrag wird       motivirt.</p>
          <p>Abg. <hi rendition="#g">Otto:</hi> Wissen Sie meine Herrn, was außerhalb der Mauern von       Berlin vorgehet? Ich will es Ihnen sagen: Berlin ist von 50,000 Mann mit Geschütz, mit       Kartätschen und Schrapnells umgeben. Wissen Sie was in Berlin vorgeht? (Geschrei von der       Rechten) Sie scheinen es nicht zu wissen. Ganz Berlin gleicht einem Krater, der jede Minute       zum Ausbruch kommen kann. Die militärische Schreckens-Herrschaft ist im Anzuge. Ich rufe Ihnen       mit Hannibal zu: Hannibal anté portas! Thun wir daher sogleich etwas zur Beruhigung des ganzen       Landes. &#x2012;</p>
          <p>Der Antrag angenommen.</p>
          <p>Abg. <hi rendition="#g">Kirchmann:</hi> Es ist zwar der Versammlung noch keine Mittheilung       gemacht worden, wie die Namen der Herren Minister sind, welche diese Plätze eingenommen haben,       aber ich habe zufällig aus dem &#x201E;Staats-Anzeiger&#x201C; ersehen, daß der Minister-Präsident zugleich       als Kriegsminister fungirt, und ich werde daher meine Interpellation an denselben richten. Er       wird auf diese Weise die beste Gelegenheit haben, den Worten seines Programmes eine bestimmte       Deutung zu geben. Die Maßregel der Ernennung des Generals Wrangel ist jedenfalls ganz       außerordentlicher und exzeptioneller Natur. Der Armeebefehl des Generals Wrangel hat eine       große Aufregung nicht allein in dieser Stadt, sondern im ganzen Lande hervorgebracht. Demnach       frage ich:</p>
          <p>1) Ob es gegründet, daß durch eine Allerhöchste Kabinetsordre vom 15. d Mts. dem General       Wrangel der Oberbefehl über die Truppen in den Marken ertheilt worden, und wer diese       Kabinetsordre kontrasignirt habe?</p>
          <p>2) Ob dem General Wrangel hierbei noch besondere Instruktionen ertheilt worden?</p>
          <p>3) Mittheilung zu machen von den Gründen, welche zu dieser außerordentlichen Maßregel Anlaß       gegeben?</p>
          <p>4) Mittheilung zu machen, ob und aus welchen Gründen um Berlin eine bedeutende Militärmacht       konzentrirt worden?</p>
          <p>5) Ob der Herr Kriegsminister mit dem Inhalte des Erlasses des Generals Wrangel vom 17. d.       Mts. überall einverstanden sei?</p>
          <p>Der Minister-Präsident v. <hi rendition="#g">Pfuel</hi> beantwortete die Frage einzeln: Ad       1) daß die Kabinetsordre wirklich erlassen und vom abgetretenen Kriegsminister Schreckenstein       kontrasignirt sei. Er verlies't diese Kabinetsordre; ad 2) &#x201E;Nein&#x201C;; ad 3) erklärt er, es sei       Gebrauch, wenn verschiedene Armeekorps und Truppentheile sich in einer Provinz zusammenfinden,       den Oberbefehl einem Einzigen zu übergeben; ad 4) daß die politische Lage der Dinge in       Deutschland, die Bewegung in dieser Stadt es nothwendig gemacht, auf alle Dinge geruster zu       sein. Wir sahen die Gefahr, in welcher diese Versammlung bei einer der letzten Abstimmungen       schwebte, und dies veranlaßte die Vorsichtsmaßregeln. Die fünfte Frage bejaht der       Minister.</p>
          <p>Nachdem Abg. Kirchmann noch auf mehrere Ausdrücke in dem Armeebefehle Wrangel's aufmerksam       gemacht, welche geeignet seien, Besorgnisse zu erwecken, da derselbe sagt, es sei seine       Aufgabe, die offentliche Ruhe in diesen Landen da, wo sie gestört wird, wieder herzustellen,       wenn die Krafte der guten Bürger hierzu nicht ausreichen. Dies ist aber gegen die       ausdrückliche Versicherung, welche den Bewohnern Berlins in den letzten Tagen des März gegeben       wurde, daß nämlich die Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung <hi rendition="#g">nur</hi> der       Bürgerwehr zustehe. Der Bürgerwehr erwähnt aber Wrangel gar nicht, sondern nur der <hi rendition="#g">guten</hi> Bürger. Der Unterschied zwischen Bürgerwehr und guten Bürgern ist       aber ein unermeßlicher, denn der Begriff &#x201E;guter Bürger&#x201C; ist durchaus dem Ermessen derjenigen       uberlassen, die ihn stellen.</p>
          <p>Minister-Präsident v. Pfuel erwidert, daß in einem Armeebefehle die Worte nicht so genau       abgewogen werden. Meiner Meinung nach ist unter guten Bürgern nur die Bürgerwehr zu verstehen.       Was die im März ertheilte Zusicherung betrifft, so erkläre er hiermit wiederholt, daß das       Militär nur auf Requisition der zuständigen Civilbehörden einschreiten werde.</p>
          <p><hi rendition="#g">Waldeck</hi> beantragt: &#x201E;daß das Ministerium den General Wrangel anweise,       seinen Armeebefehl zurückzuziehen.&#x201C; Dieser Antrag wird jedoch, nach namentlicher Abstimmung,       mit 202 gegen 139 Stimmen verworfen. Die Centren stimmen mit der Rechten gegen die Linke.</p>
          <p>Jetzt wird beantragt, den gestern von den Abgg. Bloem und Berg gestellten Antrag vor allen       anderen auf die Tagesordnung zu bringen.</p>
          <p>Dieser Antrag des linken Centrums wird durch Elsner von der Linken stark angegriffen. Es       half jedoch nichts; der Antrag wurde nach kurzer Debatte mit 238 gegen 77 Stimmen       angenommen.</p>
          <p>Endlich kommt die Linke dazu, ihre längst verabredete Interpellation wegen des Stein'schen       Antrages stellen zu können. Es ist aber schon 3 Uhr Nachmittags, und die Rechte verlangt den       Schluß der Sitzung. Die Rechte hatte heute die Taktik befolgt, jedesmal namentliche Abstimmung       zu verlangen, um die Zeit mit unwichtigen Dingen zu todten. Der Präsident Philipps will jedoch       zuvor erst die Interpellation des Abg. Pax vornehmen. Dies verursachte eine tumultuarische       Scene, wie sie noch nie, sage <hi rendition="#g">noch nie,</hi> in dieser Versammlung       vorgekommen. Mehr als zehn Redner sprachen nach der Reihe, ob der Schluß sofort verlangt       werden kann oder nicht; da nimmt zuletzt noch Hansemann das Wort und sagt unter Anderm: Auf       diese Weise können uns ja diese Herren (auf die Linke zeigend) noch zwei Stunden mit ihren       Anträgen regaliren. &#x2012; Die Linke fordert nun aus fünfzig Kehlen den Ordnungsruf für die       unparlamentarischen Ausdrücke des Redners. &#x2012; Der Präsident Philipps beeilt sich auch, Herrn       Hansemann zur Ordnung zu verweisen, da er eine Partei beleidigt habe. &#x2012; Hansemann giebt zu,       daß seine Aeußerung nicht ordnungsmäßig war.</p>
          <p>Der Präsident entschließt sich endlich, die Frage zu stellen, ob die Sitzung geschlossen       werden solle?</p>
          <p>Um die Rechte, die nach dem Mittagbrod lechzte, noch länger hinzuhalten und sich für die von       ihr heute so vielfältig verlangten namentlichen Abstimmungen zu rächen, verlangt nun die <hi rendition="#g">Linke</hi> die namentliche Abstimmung.</p>
          <p>Das geht den Herren von der Rechten zu weit; sie wollen den Sitzungssaal in Masse verlassen.       Nur mit Mühe gelingt es Milde und Hansemann, ihre Getreuen zurückzuhalten, um sich nicht zu       blamiren. Sie finden endlich nur den einen Ausweg, daß sie den Antrag auf Schluß der Sitzung       zurücknehmen.</p>
          <p>Pax verlies't seine Interpellation:</p>
          <p>&#x201E;Ich frage das hohe Ministerium, welche Stellung es in Bezug auf den Stein-Schulze'schen       Antrag und zu den in den Sitzungen vom 9. Aug. und 7. Sept. gefaßten Beschlüssen einnehmen und       welche Schritte es zur Ausführung derselben gethan oder thun werde?&#x201C;</p>
          <p>Diese Interpellation wird von der Linken und den beiden Centren einstimmig unterstützt und       für dringlich anerkannt. Nur die Rechte blieb sitzen; Niemand erhob sich dafür, sie war die       Minorität vom 7. d. Mts.</p>
          <p>Pfuel erklärt, daß er erst in der Montags-Sitzung antworten könne, da ihm heute die nöthigen       schriftlichen Vorlagen nicht bei der Hand wären.</p>
          <p>Schluß der Sitzung.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar112_008" type="jArticle">
          <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 22. Sept.</head>
          <p>Die großen Erwartungen, welche man allgemein von der heutigen Sitzung der       Vereinbarerversammlung hegte, sind nicht erfüllt worden und wir müssen uns bis auf Montag       vertrösten.</p>
          <p>Eine bemerkenswerthe Mittheilung ist hinzuzufügen: daß das Ministerium entschlossen sein       soll, fort zu regieren, wenn es auch Montag in der Minorität bleibt, oder sogar ein       Mißtrauensvotum bekömmt. Das könnte zu einem andern Resultate führen, denn das dürfte sich       weder die Linke noch das Berliner Volk gefallen lassen.</p>
          <p>Aufgefallen ist es ferner, daß das neue Ministerium in seinem nichtssagenden Programm weder       den Stein'schen Antrag noch die Habeas-Corpus-Akte erwähnt hat. In Betreff der letztern ist       auch eine Interpellation des Abg Nees v. Esenbeck zum Montag auf der Tagesordnung.</p>
          <p>Die abgetretenen Minister: Hansemann, Milde und Kühlwetter haben heute ihre Plätze als       Abgeordnete auf der rechten Seite eingenommen, nur Gierke nahm seinen früheren Platz im       Centrum wieder ein.</p>
          <p>Es ist ein großer Werth darauf zu legen, daß es der Linken gelungen ist den Hartmann'schen       Antrag zu verwerfen, da es sonst nicht möglich gewesen wäre, in jeder Sitzung einen dringenden       Antrag oder Interpellation zu stellen. Die Majorität der Linken stellt sich dabei wieder auf       77 Stimmen heraus, obgleich Milde und Hansemann alle mögliche Ueberredungskunst aufwandten, um       das Centrum abwendig zu machen. Diese beiden Ex-Minister und Ex-Excellenzen haben sich heute       durch ihr Benehmen allgemein lächerlich gemacht. Man sieht ihnen den Aerger an, daß sie       gezwungen worden, den Ministersessel wieder mit der Abgeordnetenbank zu vertauschen.</p>
          <p>Während der Sitzung umwogten Tausende von Menschen den Sitzungssaal. Alles war begierig       etwas Entscheidendes zu vernehmen. Die Menge, die von 9 Uhr Vormittags bis 5 Uhr Nachmittags       ausharrte, verhielt sich jedoch sehr ruhig, obgleich es an aufregenden Plakaten über Wrangel       und das neue Ministerium nicht fehlte. Ein Plakat der demokratischen Klubs forderte für heute       noch zur Ruhe auf, und dem leistete die Menge ruhig Folge.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar112_009" type="jArticle">
          <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 23. Sept.</head>
          <p>Alles ist bis auf Montag vertagt; die Sitzung der Vereinbarer &#x2012; die Antwort des neuen       Ministeriums auf die Interpellation wegen Ausführung des Stein'schen Antrags &#x2012; und die       Barrikaden. Wir glauben jetzt nicht nur an die Möglichkeit, sondern auch an die Nothwendigkeit       des Entscheidungskampfes; denn die gegen die Märzversprechungen verstoßende Militärdiktatur       Wrangel's und der Eintritt eines aristokratischen contrerevolutionären Ministeriums beweisen       es klar und deutlich, daß die Contrerevolution endlich entschlossen ist, einen Kampf       herbeizuführen, bei dem es sich um Sein oder Nichtsein handelt, und dessen endliches Resultat       also nur die absolute Monarchie oder die Republik sein kann.</p>
          <p>Aber die Contrerevolution zögert ebenso wie die Demokraten. Keine Partei will der       angreifende Theil sein; sie fürchten, daß es noch &#x201E;zu früh&#x201C; ist und während dem wird die Zeit       vergehen und es wird &#x201E;zu spät&#x201C; werden.</p>
          <p>Das vorgestern hier verbreitete Gerücht von der Verhaftung Bekunins soll sich nicht       bestätigen. Ebensowenig das Gerücht von der Anwesenheit Mirolawski's, der bestimmt sein soll       den bevorstehenden Aufstand hier zu organisiren und einen angemessenen Plan zu entwerfen. Wir       glauben jedoch nicht, daß er sich zu diesem Zweck hier eingefunden hat.</p>
          <p>Der Präsident des souveränen Lindenklubs, Müller, wollte morgen Vormittag eine große       Volksparade unter den Linden, als Gegensatz zur Militärparade des Generals Wrangel, abhalten;       der demokratische Klub jedoch hat geglaubt von einem solchen Vorhaben abrathen zu müssen,       indem dadurch die Ruhe gestört werde und ein vorzeitiger Krawall ausbrechen könnte.</p>
          <p>Schließlich wollen wir noch unsere Befürchtung dahin aussprechen, daß auch Montag noch       nichts Entscheidendes geschehen wird, indem wir Grund haben zu vermuthen, daß das Ministerium       wieder eine vermittelnde Antwort auffinden wird, wodurch sich das Centrum, von dessen Verrath       wir erst gestern Beispiele hatten, veranlaßt finden wird, von der Linken abzufallen oder       keinen entscheidenden Schritt zu wagen. Von der Halbheit des linken Centrums lieferte       Kirchmann gestern den besten Beweis, indem er sich so trocken, in Folge der von ihm gestellten       Interpellation, vom Kriegsminister abspeisen ließ. Offene Feinde schaden nicht so viel als       solche unentschiedene Verbündete.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar112_010" type="jArticle">
          <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 20. September.</head>
          <p>In der gestrigen Abendsitzung des Reichstags wurde mit der Debatte über den Antrag       Sierakowski's, die Zulassung der ungarischen Deputation in den Reichstag betreffend,       fortgefahren. Unter den Rednern, die noch für den Antrag sprachen, sind Schufelka, Zimmer und       Violand zu bemerken; die czechische Partei aber, die mit ihr verbundene Fraktion der       polnischen Partei (Lubomierski, Potocki), die wiener ministerielle Partei und die Absolutisten       bieten Alles auf, jede Sympathie für Ungarn zu ersticken. Neumann, in Schimpfreden wider die       Magyaren sich ergehend, stellt Jellachich als einen Märtyrer der Freiheit dar, mit welchem man       vor allen Dingen die Magyaren bekämpfen und bekehren müste.</p>
          <p>Der Abgeordnete <hi rendition="#g">Helfert</hi> (Czeche) beantragt, der Reichstag möge in       Beziehung auf die ungarische Deputation keine Ausnahme von der Geschäftsordnung machen,       dieselbe also nicht empfangen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Sierakowski</hi> hat als Antragsteller das letzte Wort und tritt, weil er       der deutschen Sprache nicht Meister genug, dasselbe an Borrosch ab; Borrosch will reden, aber       der Präsident will sich am Buchstaben der Geschäftsordnung gehalten wissen, wonach das Recht       des letzten Wortes nur der Person des Antragstellers zustehe, indem eine Cession hier nicht       angehe. Sierakowski sieht sich daher genöthigt, zu sprechen; er thut es in gebrochenem       Deutsch, indem er unter Anderm sagt: &#x201E;Der Reichstag kann einem furchtbaren Blutvergießen ein       Ende machen und wird sich damit größere Verdienste erwerben, als wenn er sich am Buchstaben       seiner Geschäftsordnung hält; wo sich früher die Kabinette wider die Völker verständigt haben,       (es geschehe eben in dieser Reitschule), da sollten sich nun auch die aufgewachten Völker       verständigen u. s. w.</p>
          <p>Der Präsident will nun Sierakowsky's Antrag zuerst und da es verlangt wird, mittelst       Namensaufruf zur Abstimmung bringen, allein das Czechenthum setzt es durch, daß Helferts       Antrag mit namentlicher Abstimmung ihm vorgezogen wird; dieser Antrag wird mit 186 gegen 108       Stimmen angenommen. Die Versammlung beschließt, daß Sierakowsky's Antrag nun nicht mehr zur       Abstimmung komme und nimmt dann mittelst Sitzenbleiben und Aufstehen folgenden Antrag Lassers       an:</p>
          <p>&#x201E;Die ungarische Deputation ist durch den Vorstand des Reichstages einzuladen, ihre       Mittheilungen schriftlich an die Hohe Versammlung gelangen zu lassen.&#x201C;</p>
          <p>Die ungarische Deputation ist also abgewiesen, weil Lasser's Antrag unter den obwaltenden       Verhältnissen nichts Anderes bedeutet. Die Czechen begreifen wohl, daß, wenn Ungarn und       Deutsche zusammenstehen mit dem freigesinnten Slaventhum der Polen, Ruthenen u. s. w. ihre       geträumte Hegemonie zu Wasser wird. Der Geist dieser Czechen, wie er sich namentlich in einem       Rieger, Palacki, Trojan, Hawlitschek, Doliak, Jonak, Brauner, Helfert, Hawelka, Klaudy u. s.       w. bekundet, kennt keinen höhern Aufschwung, als den: &#x201E;Lieber die russische Knute küssen, oder       den österreichischen Dalai-Lama-Absolutismus verehren, als die Freiheit verfechten in der       deutsch-ungarischen Vereinigung!&#x201C;</p>
          <p>Der Pole <hi rendition="#g">Potocki</hi> hatte anfangs gegen den Antrag Helfert's gestimmt;       nach der Abstimmung widerrief er indessen. Zum Bedauern des Präsidenten war der Widerruf nicht       mehr annehmbar. &#x2012; Justizminister Bach gab den Inhalt der Staatsschrift zum Besten, welche das       österreichische Ministerium dem ungarischen zugeschickt hat. Diese Staatsschrift ist zwar       breit geschrieben, aber dennoch kurz von Inhalt. Sie will nur <hi rendition="#g">eine</hi> </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0554/0002] v. Mühlfelds Antrag, welcher den Ausschußantrag theilt, wird angenommen. Hierauf der von Mühlfeld gestrichene Theil des Ausschußantrages ebenfalls angenommen. (Großes Gelächter) Also ist der Ausschußantrag mit einigen Umständen ‒ angenommen!!! Hierauf wird Punkt 4, nämlich Einsammlung der Wahlzettel, der Tagesordnung erledigt. (S. oben.) Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte. Schluß um 1/2 2 Uhr. 110 Frankfurt, 21. Sept. Wie ich Ihnen bei meiner Abreise von Köln versprach, beeile ich mich Ihnen einige Details über die hiesige Vorgänge zu geben. Allgemein verbreitet ist die Ansicht, daß der Kampf ein vom Gouvernement provozirter, geflissentlich herbeigeführter war, um einmal recht in dem Hochgefühl einer unterdrückten Rebellion schwelgen zu können. Was den Kampf selbst betrifft, so ist derselbe der heldenmüthigste von all' den Straßenkämpfen, die wir seit Beginn des Jahres erlebt. Keine 500 Kämpfer von Seiten des Volkes hielten sich von 12-5 Uhr gegen eine 25 fache Uebermacht, und schlugen dieselben von allen Seiten zurück ‒ wären sie besser geleitet gewesen, hätten die Deputirten der Linken nicht den Zuzug von Auswärts zurückgehalten ‒ so war das Volk Sieger; als aber letzteres nach dem Verlauf des von ihm erzwungenen Waffenstillstand's, die als bereits im Anzuge angekündigten Zuzüge nicht ankommen sah, da blieb ihm nichts als der letzte Kampf der Verzweiflung übrig, der auch mit beispiellosem Heldenmuthe bis gegen 10 1/2 Uhr in der Nacht bis zur gänzlichen Erschöpfung aller Munitionen fortgeführt wurde ‒ da erst verließen die erschöpften Kämpfer die Barrikaden in der Dönges- und Allerheiligengasse. Bei keinem der Gefangenen ‒ es waren deren 60-80, sämmtlich verwundet ‒ fand man auch nur eine einzige Patrone; der Verlust an Todten und Verwundeten auf Seiten des Militärs soll die Zahl sämmtlicher Vertheidiger der Barrikaden bei Weitem übersteigen ‒ eine genaue Ermittelung der Zahl derselben wird wohl unmöglich sein, da Todte und Verwundete heimlich während der Nacht nach Mainz transportirt werden, ebenso die Gefangenen die in Hardenberg (bei Mainz) eingekerkert und von welchen schon mehrere in den Festungsgräben erschossen worden sein sollen, ‒ einer derselben ist durch die brutale Behandlung wahnsinnig geworden. Während der ganzen Zeit, während welcher der reichste Theil der Stadt in Händen der Insurgenten war, wurde nicht das Geringste entwendet, wohl aber haben die Böhmen nach Erstürmung der Barrikaden mehrere Gewölbe, worunter namentlich ein Kleidermagazin, rein ausgeplündert ‒ selbst die erbitterten Bourgeois anerkennen dies mit verbissenem Grimme. Auch nicht das leiseste Gerücht befleckt die Ehre der braven Opfer. Was nun den Punkt anbetrifft, der am meisten Stoff zu Proklamationen über Meuchelmord u. s. w. herleihen muß, so habe ich folgende, durchaus glaubwürdige Erzählung aus dem Munde des Bewohners des Gartenhauses, in dem Lichnowsky und Auerswald gefangen wurden, selbst vernommen: Beide, Lichnowsky und Auerswald, ritten während des heftigsten Kampfes aus dem Friedberger Thore, um die heranziehende hessische Artillerie zur Beschleunigung ihres Anmarsches anzutreiben; bei einem Haufen Turner vorüberkommend, rief Lichnowsky: Wartet nur, ihr seid gut genug für Kanonenfutter, und fochte mit seinem Stockdegen theatralisch in der Luft herum. Nach diesen Worten und Gebärden erst wurde auf ihn und seinen Genossen geschossen, worauf sie sich beide in ein dem Kunstgärtner Schmitz gehöriges Haus flüchteten; hier zog Auerswald den Schlafrock des Hauseigenthümers an, während Lichnowsky sich in den Keller versteckte. Auerswald wurde von den Eindringenden zuerst gefunden und ohne weitere Mißhandlungen an die Gartenmauer geführt und erschossen. Lichnowsky etwas später aufgefunden, wurde auf Bitten der anwesenden Leute, denselben zu schonen, auf die Bornheimer Heide geführt; hier kam den Insurgenten ein gewisser Dr. H. aus B. entgegen, der sie bat, den Lichnowsky doch zu schonen. Sie schienen wirklich dazu geneigt, indem sie sich mit Dr. H. in Diskussion einließen, als Lichnowsky den unglückseligen Einfall hatte, einem der Insurgenten sein Gewehr zu entreißen, um mit Gewalt durchbrechen zu wollen, worauf er sofort durch 4-5 Schüsse zu Boden gestreckt wurde. Die Barrikade, die sich am längsten hielt die in der Allerheiligen-Gasse nämlich, war von einem Bürgerwehr-Cavalleristen in voller Uniform, dem Sohne eines jüdischen sehr reichen Banquiers kommandirt, wie denn überhaupt fast sämmtliche Kämpfer den bemittelten Klassen angehörten; erst als 20 Kanonen gegen die von noch kaum so vielen Männern vertheidigte Barrikade aufgeführt wurden da erst zogen sich diese Helden zurück, nicht ein einziger wurde hier gefangen, der Anführer Arnold Reinach steckbrieflich verfolgt ebenso Esselin und Metternich, in Barbenhausen von 30 Gendsdarmen überfallen entkamen sie auch hier, nachdem sie 3 Mann getödtet und mehrere verwundet. Ueber 100 Bürgerwehrmänner kämpften in den Reihen der Insurgenten sämmlich in Parade Uniform, als Anführer den übrigen mit den heldenmüthigsten Anstrengungen vorangehend. Im Vogelgesangs-Gäßchen vertheitigten 5 Mann eine Barrikade 3 Stunden lang gegen 200 Oestreicher und erst als die große Barrikade in der Döngesgasse genommen war zogen sie sich zurück. 103 Berlin, 22. Sept. Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. Die neuen Minister erscheinen pünktlich um 9 Uhr im Sitzungssaal und die Abgeordneten finden sich nach und nach ein. Die Tribunen sind überfüllt und Alles sieht mit gespannter Erwartung dem Programm des neuen Ministeriums entgegen. Endlich nach 9 ein halb Uhr wird die Sitzung eröffnet und nach Verlesung des Protokolls nimmt der Minister-Präsident v. Pfuel das Wort, um folgendes Programm zu verlesen: „Ich trete vor dieser hohen Versammlung mit der Versicherung, daß wir dem schwierigen uns gewordenen Beruf folgend, fest entschlossen sind, auf dem betretenen konstitutionellen Wege zu verharren und jeder Reaktion, besonders in allen Zweigen des öffentlichen Lebens, sowohl im Civil als Militär, mit allem Ernst entgegenzutreten, die Rechte des Volkes kräftig zu wahren und für die ungehinderte Entwickelung aller seiner Interessen Sorge zu tragen. Dabei werden wir nicht unterlassen, der Anarchie überall entgegenzutreten, in der Ueberzeugung, daß die wahre Freiheit in der Ordnung beruht und nur so Gewerbe und Handel zur Blüthe gelangen können. ‒ Zugleich erkennen wir die Nothwendigkeit an, daß die Berathung der Verfassungsurkunde nach dem sehnlichsten Wunsche des Volkes gefördert werde und daß die hohe Versammlung nach Berathung des Bürgerwehr-Gesetzes und der Gemeinde-Ordnung, sich vorzüglich damit beschäftige! Ueber unsere Verwaltung werden wir pflichtmäßige Auskunft geben und schuldige Rechnung legen. Wir achten es jedoch für unsere Pflicht, die Rechte der Krone, als die einzige Trägerin der ausübenden Gewalt gewissenhaft zu wahren. ‒ Hierauf verlangt Abg. Hansemann das Wort, in einer persöhnlichen Angelegenheit. Hansemann: Meine Herren! Das abtretende Ministerium war, wie Sie wissen, von mir gebildet worden, und daher glaube ich die Verpflichtung zu haben, über die Erfüllung meiner Mission einige Worte zu sagen. ‒ Das abgetretene Ministerium wurde das Ministerium der That genannt und ich glaube, daß es diesen Namen wohl verdient hat. Wenn sie zurück sehen, auf die vielen vom abgetretenen Ministerium vorgelegten Gesetzentwürfe; wenn Sie zurück sehen auf Zustand des Landes vor drei Monaten und wie sich derselbe jetzt gestaltet hat, wo Handel und Gewerbe wieder blühen. ‒ Das abgetretene Ministerum hat die Gründe seines Austritts schon in einer früheren Mittheilung auseinandergesetzt. Wir mußten annehmen, daß die Versammlung ihr Mißtrauen gegen das Ministerium ausgesprochen. Ich für meine Person habe diese Ansicht vollkommen getheilt. Das abgetretene Ministerium ist vielfach von der Reaktion angefeindet worden und namentlich bin ich die Zielscheibe dieser Reaktion gewesen, weil meine Entwürfe tief in das Fleisch der Reaktion schnitt. Wenn nun diese Versammlung die Reaktion unterdrücken will, so hätte sie mein Ministerium aufrecht erhalten müssen, weil es von der Reaktion angegriffen war. Es mußte also der ausdrückliche Wille der hohen Versammlung sein, mich nicht mehr als Minister zu sehen. ‒ Es freuet mich aus dem Programm des neuen Ministeriums zu sehen, daß es der Reaktion entgegentreten und die Rechte der Krone schützen werde. Ich werde dem neuen Ministerium meine Unterstützung dazu geben. ‒ Hierauf wird ein Schreiben des Minister-Präsidenten mit einer Königlichen Botschaft verlesen, die sehr ausführlich über die Verhältnisse der Erhöhung der Brantweinsteuer spricht und die Berathung der desfallsigen Gesetzesvorlage einstweilen auszusetzen bittet, bis das Ministerium sich näher über alle Verhältnisse unterrichtet haben wird. ‒ Das heißt so viel als, das neue Ministerium giebt den Anforderungen des Bülow-Cummerowschen Gutsbesitzer-Vereins nach und wird keine Erhöhung der Brantweinsteuer eintreten lassen. ‒ Alsdann kommen die längst eingereichten dringenden Anträge zur Berathung. Zuerst der Antrag des Abg. Hartmann: Die hohe Versammlung wolle beschließen: „Daß fortan wöchentlich nach Berathung des Bürgerwehr- und Jagdgesetzes, vier Tage ausschließlich zur Berathung des Verfassungs-Entwurfs bestimmt; alle übrigen Anträge, Interpellationen und Gesetze aber ein für allemal auf zwei anderen, im Voraus zu bestimmenden Tagen jede Woche verwiesen werden.“ ‒ Dieser Antrag wird nach namentlicher Abstimmung mit 251 gegen 98 als dringlich anerkannt. Abg. Waldeck erklärt sich gegen den Antrag Hartmanns. Den Kern dieses Antrages haben wir schon aus früheren Aeußerungen entnommen. Wir hörten auch das unglückliche Wort „Vereinbarung,“ als ob wir weiter nichts zu thun hätten als ein Rieß Papier fertig zu machen. Wir sind nicht blos zur Entwerfung der Verfassungsurkunde hier. In einer Zeit wie die jetzige wo solche Armeebefehle und Tagesbefehle vorliegen, dürfen wir keinen Tag ausschließen, um das zu verhandeln was das Land interessiren könnte, die Versammlung würde sich sonst der größten Verantwortung aussetzen und das vergossene Blut wurde auf unsere Kopfe kommen, denn Niemand weiß, was uns der morgende Tag bringt. Die Versammlung könnte viel wichtigere Gegenstände zu thun haben, als die Verfassung zu berathen. ‒ Die Rede des Ab Waldeck, wurde von der Rechten vielfach unterbrochen. Sie influirte aber sehr auf die Abstimmung die sogleich stattfand. Der Antrag wurde im Sinne der Linken, nach namentlicher Abstimmung, mit 212 gegen 135 Stimmen verworfen. ‒ Die Freude des Ministeriums und die abgetretenen Minister stimmten mit der Minorität. ‒ Hierauf wird das im Sinne der Linken vom Abg. Kämpf gestellte Amendement „nach Beendigung der Berathungen über das Bürgerwehr- und über das Jagd-Gesetz vorläufig wöchentlich an zwei Tagen, vorzugsweise den Verfassungs-Entwurf zu berathen, die übrigen Vorlagen aber in den beiden anderen wöchentlichen Plenarsitzungen zu erledigen,“ 338 gegen 1 Stimme angenommen. Alsdann stellt der Abg. Otto von Trier den Antrag daß die Interpellation des Abg. Kirchmann vorzugsweise vor allen andern sogleich an die Reihe komme. ‒ Der unterstützte Antrag wird motivirt. Abg. Otto: Wissen Sie meine Herrn, was außerhalb der Mauern von Berlin vorgehet? Ich will es Ihnen sagen: Berlin ist von 50,000 Mann mit Geschütz, mit Kartätschen und Schrapnells umgeben. Wissen Sie was in Berlin vorgeht? (Geschrei von der Rechten) Sie scheinen es nicht zu wissen. Ganz Berlin gleicht einem Krater, der jede Minute zum Ausbruch kommen kann. Die militärische Schreckens-Herrschaft ist im Anzuge. Ich rufe Ihnen mit Hannibal zu: Hannibal anté portas! Thun wir daher sogleich etwas zur Beruhigung des ganzen Landes. ‒ Der Antrag angenommen. Abg. Kirchmann: Es ist zwar der Versammlung noch keine Mittheilung gemacht worden, wie die Namen der Herren Minister sind, welche diese Plätze eingenommen haben, aber ich habe zufällig aus dem „Staats-Anzeiger“ ersehen, daß der Minister-Präsident zugleich als Kriegsminister fungirt, und ich werde daher meine Interpellation an denselben richten. Er wird auf diese Weise die beste Gelegenheit haben, den Worten seines Programmes eine bestimmte Deutung zu geben. Die Maßregel der Ernennung des Generals Wrangel ist jedenfalls ganz außerordentlicher und exzeptioneller Natur. Der Armeebefehl des Generals Wrangel hat eine große Aufregung nicht allein in dieser Stadt, sondern im ganzen Lande hervorgebracht. Demnach frage ich: 1) Ob es gegründet, daß durch eine Allerhöchste Kabinetsordre vom 15. d Mts. dem General Wrangel der Oberbefehl über die Truppen in den Marken ertheilt worden, und wer diese Kabinetsordre kontrasignirt habe? 2) Ob dem General Wrangel hierbei noch besondere Instruktionen ertheilt worden? 3) Mittheilung zu machen von den Gründen, welche zu dieser außerordentlichen Maßregel Anlaß gegeben? 4) Mittheilung zu machen, ob und aus welchen Gründen um Berlin eine bedeutende Militärmacht konzentrirt worden? 5) Ob der Herr Kriegsminister mit dem Inhalte des Erlasses des Generals Wrangel vom 17. d. Mts. überall einverstanden sei? Der Minister-Präsident v. Pfuel beantwortete die Frage einzeln: Ad 1) daß die Kabinetsordre wirklich erlassen und vom abgetretenen Kriegsminister Schreckenstein kontrasignirt sei. Er verlies't diese Kabinetsordre; ad 2) „Nein“; ad 3) erklärt er, es sei Gebrauch, wenn verschiedene Armeekorps und Truppentheile sich in einer Provinz zusammenfinden, den Oberbefehl einem Einzigen zu übergeben; ad 4) daß die politische Lage der Dinge in Deutschland, die Bewegung in dieser Stadt es nothwendig gemacht, auf alle Dinge geruster zu sein. Wir sahen die Gefahr, in welcher diese Versammlung bei einer der letzten Abstimmungen schwebte, und dies veranlaßte die Vorsichtsmaßregeln. Die fünfte Frage bejaht der Minister. Nachdem Abg. Kirchmann noch auf mehrere Ausdrücke in dem Armeebefehle Wrangel's aufmerksam gemacht, welche geeignet seien, Besorgnisse zu erwecken, da derselbe sagt, es sei seine Aufgabe, die offentliche Ruhe in diesen Landen da, wo sie gestört wird, wieder herzustellen, wenn die Krafte der guten Bürger hierzu nicht ausreichen. Dies ist aber gegen die ausdrückliche Versicherung, welche den Bewohnern Berlins in den letzten Tagen des März gegeben wurde, daß nämlich die Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung nur der Bürgerwehr zustehe. Der Bürgerwehr erwähnt aber Wrangel gar nicht, sondern nur der guten Bürger. Der Unterschied zwischen Bürgerwehr und guten Bürgern ist aber ein unermeßlicher, denn der Begriff „guter Bürger“ ist durchaus dem Ermessen derjenigen uberlassen, die ihn stellen. Minister-Präsident v. Pfuel erwidert, daß in einem Armeebefehle die Worte nicht so genau abgewogen werden. Meiner Meinung nach ist unter guten Bürgern nur die Bürgerwehr zu verstehen. Was die im März ertheilte Zusicherung betrifft, so erkläre er hiermit wiederholt, daß das Militär nur auf Requisition der zuständigen Civilbehörden einschreiten werde. Waldeck beantragt: „daß das Ministerium den General Wrangel anweise, seinen Armeebefehl zurückzuziehen.“ Dieser Antrag wird jedoch, nach namentlicher Abstimmung, mit 202 gegen 139 Stimmen verworfen. Die Centren stimmen mit der Rechten gegen die Linke. Jetzt wird beantragt, den gestern von den Abgg. Bloem und Berg gestellten Antrag vor allen anderen auf die Tagesordnung zu bringen. Dieser Antrag des linken Centrums wird durch Elsner von der Linken stark angegriffen. Es half jedoch nichts; der Antrag wurde nach kurzer Debatte mit 238 gegen 77 Stimmen angenommen. Endlich kommt die Linke dazu, ihre längst verabredete Interpellation wegen des Stein'schen Antrages stellen zu können. Es ist aber schon 3 Uhr Nachmittags, und die Rechte verlangt den Schluß der Sitzung. Die Rechte hatte heute die Taktik befolgt, jedesmal namentliche Abstimmung zu verlangen, um die Zeit mit unwichtigen Dingen zu todten. Der Präsident Philipps will jedoch zuvor erst die Interpellation des Abg. Pax vornehmen. Dies verursachte eine tumultuarische Scene, wie sie noch nie, sage noch nie, in dieser Versammlung vorgekommen. Mehr als zehn Redner sprachen nach der Reihe, ob der Schluß sofort verlangt werden kann oder nicht; da nimmt zuletzt noch Hansemann das Wort und sagt unter Anderm: Auf diese Weise können uns ja diese Herren (auf die Linke zeigend) noch zwei Stunden mit ihren Anträgen regaliren. ‒ Die Linke fordert nun aus fünfzig Kehlen den Ordnungsruf für die unparlamentarischen Ausdrücke des Redners. ‒ Der Präsident Philipps beeilt sich auch, Herrn Hansemann zur Ordnung zu verweisen, da er eine Partei beleidigt habe. ‒ Hansemann giebt zu, daß seine Aeußerung nicht ordnungsmäßig war. Der Präsident entschließt sich endlich, die Frage zu stellen, ob die Sitzung geschlossen werden solle? Um die Rechte, die nach dem Mittagbrod lechzte, noch länger hinzuhalten und sich für die von ihr heute so vielfältig verlangten namentlichen Abstimmungen zu rächen, verlangt nun die Linke die namentliche Abstimmung. Das geht den Herren von der Rechten zu weit; sie wollen den Sitzungssaal in Masse verlassen. Nur mit Mühe gelingt es Milde und Hansemann, ihre Getreuen zurückzuhalten, um sich nicht zu blamiren. Sie finden endlich nur den einen Ausweg, daß sie den Antrag auf Schluß der Sitzung zurücknehmen. Pax verlies't seine Interpellation: „Ich frage das hohe Ministerium, welche Stellung es in Bezug auf den Stein-Schulze'schen Antrag und zu den in den Sitzungen vom 9. Aug. und 7. Sept. gefaßten Beschlüssen einnehmen und welche Schritte es zur Ausführung derselben gethan oder thun werde?“ Diese Interpellation wird von der Linken und den beiden Centren einstimmig unterstützt und für dringlich anerkannt. Nur die Rechte blieb sitzen; Niemand erhob sich dafür, sie war die Minorität vom 7. d. Mts. Pfuel erklärt, daß er erst in der Montags-Sitzung antworten könne, da ihm heute die nöthigen schriftlichen Vorlagen nicht bei der Hand wären. Schluß der Sitzung. 103 Berlin, 22. Sept. Die großen Erwartungen, welche man allgemein von der heutigen Sitzung der Vereinbarerversammlung hegte, sind nicht erfüllt worden und wir müssen uns bis auf Montag vertrösten. Eine bemerkenswerthe Mittheilung ist hinzuzufügen: daß das Ministerium entschlossen sein soll, fort zu regieren, wenn es auch Montag in der Minorität bleibt, oder sogar ein Mißtrauensvotum bekömmt. Das könnte zu einem andern Resultate führen, denn das dürfte sich weder die Linke noch das Berliner Volk gefallen lassen. Aufgefallen ist es ferner, daß das neue Ministerium in seinem nichtssagenden Programm weder den Stein'schen Antrag noch die Habeas-Corpus-Akte erwähnt hat. In Betreff der letztern ist auch eine Interpellation des Abg Nees v. Esenbeck zum Montag auf der Tagesordnung. Die abgetretenen Minister: Hansemann, Milde und Kühlwetter haben heute ihre Plätze als Abgeordnete auf der rechten Seite eingenommen, nur Gierke nahm seinen früheren Platz im Centrum wieder ein. Es ist ein großer Werth darauf zu legen, daß es der Linken gelungen ist den Hartmann'schen Antrag zu verwerfen, da es sonst nicht möglich gewesen wäre, in jeder Sitzung einen dringenden Antrag oder Interpellation zu stellen. Die Majorität der Linken stellt sich dabei wieder auf 77 Stimmen heraus, obgleich Milde und Hansemann alle mögliche Ueberredungskunst aufwandten, um das Centrum abwendig zu machen. Diese beiden Ex-Minister und Ex-Excellenzen haben sich heute durch ihr Benehmen allgemein lächerlich gemacht. Man sieht ihnen den Aerger an, daß sie gezwungen worden, den Ministersessel wieder mit der Abgeordnetenbank zu vertauschen. Während der Sitzung umwogten Tausende von Menschen den Sitzungssaal. Alles war begierig etwas Entscheidendes zu vernehmen. Die Menge, die von 9 Uhr Vormittags bis 5 Uhr Nachmittags ausharrte, verhielt sich jedoch sehr ruhig, obgleich es an aufregenden Plakaten über Wrangel und das neue Ministerium nicht fehlte. Ein Plakat der demokratischen Klubs forderte für heute noch zur Ruhe auf, und dem leistete die Menge ruhig Folge. 103 Berlin, 23. Sept. Alles ist bis auf Montag vertagt; die Sitzung der Vereinbarer ‒ die Antwort des neuen Ministeriums auf die Interpellation wegen Ausführung des Stein'schen Antrags ‒ und die Barrikaden. Wir glauben jetzt nicht nur an die Möglichkeit, sondern auch an die Nothwendigkeit des Entscheidungskampfes; denn die gegen die Märzversprechungen verstoßende Militärdiktatur Wrangel's und der Eintritt eines aristokratischen contrerevolutionären Ministeriums beweisen es klar und deutlich, daß die Contrerevolution endlich entschlossen ist, einen Kampf herbeizuführen, bei dem es sich um Sein oder Nichtsein handelt, und dessen endliches Resultat also nur die absolute Monarchie oder die Republik sein kann. Aber die Contrerevolution zögert ebenso wie die Demokraten. Keine Partei will der angreifende Theil sein; sie fürchten, daß es noch „zu früh“ ist und während dem wird die Zeit vergehen und es wird „zu spät“ werden. Das vorgestern hier verbreitete Gerücht von der Verhaftung Bekunins soll sich nicht bestätigen. Ebensowenig das Gerücht von der Anwesenheit Mirolawski's, der bestimmt sein soll den bevorstehenden Aufstand hier zu organisiren und einen angemessenen Plan zu entwerfen. Wir glauben jedoch nicht, daß er sich zu diesem Zweck hier eingefunden hat. Der Präsident des souveränen Lindenklubs, Müller, wollte morgen Vormittag eine große Volksparade unter den Linden, als Gegensatz zur Militärparade des Generals Wrangel, abhalten; der demokratische Klub jedoch hat geglaubt von einem solchen Vorhaben abrathen zu müssen, indem dadurch die Ruhe gestört werde und ein vorzeitiger Krawall ausbrechen könnte. Schließlich wollen wir noch unsere Befürchtung dahin aussprechen, daß auch Montag noch nichts Entscheidendes geschehen wird, indem wir Grund haben zu vermuthen, daß das Ministerium wieder eine vermittelnde Antwort auffinden wird, wodurch sich das Centrum, von dessen Verrath wir erst gestern Beispiele hatten, veranlaßt finden wird, von der Linken abzufallen oder keinen entscheidenden Schritt zu wagen. Von der Halbheit des linken Centrums lieferte Kirchmann gestern den besten Beweis, indem er sich so trocken, in Folge der von ihm gestellten Interpellation, vom Kriegsminister abspeisen ließ. Offene Feinde schaden nicht so viel als solche unentschiedene Verbündete. 61 Wien, 20. September. In der gestrigen Abendsitzung des Reichstags wurde mit der Debatte über den Antrag Sierakowski's, die Zulassung der ungarischen Deputation in den Reichstag betreffend, fortgefahren. Unter den Rednern, die noch für den Antrag sprachen, sind Schufelka, Zimmer und Violand zu bemerken; die czechische Partei aber, die mit ihr verbundene Fraktion der polnischen Partei (Lubomierski, Potocki), die wiener ministerielle Partei und die Absolutisten bieten Alles auf, jede Sympathie für Ungarn zu ersticken. Neumann, in Schimpfreden wider die Magyaren sich ergehend, stellt Jellachich als einen Märtyrer der Freiheit dar, mit welchem man vor allen Dingen die Magyaren bekämpfen und bekehren müste. Der Abgeordnete Helfert (Czeche) beantragt, der Reichstag möge in Beziehung auf die ungarische Deputation keine Ausnahme von der Geschäftsordnung machen, dieselbe also nicht empfangen. Sierakowski hat als Antragsteller das letzte Wort und tritt, weil er der deutschen Sprache nicht Meister genug, dasselbe an Borrosch ab; Borrosch will reden, aber der Präsident will sich am Buchstaben der Geschäftsordnung gehalten wissen, wonach das Recht des letzten Wortes nur der Person des Antragstellers zustehe, indem eine Cession hier nicht angehe. Sierakowski sieht sich daher genöthigt, zu sprechen; er thut es in gebrochenem Deutsch, indem er unter Anderm sagt: „Der Reichstag kann einem furchtbaren Blutvergießen ein Ende machen und wird sich damit größere Verdienste erwerben, als wenn er sich am Buchstaben seiner Geschäftsordnung hält; wo sich früher die Kabinette wider die Völker verständigt haben, (es geschehe eben in dieser Reitschule), da sollten sich nun auch die aufgewachten Völker verständigen u. s. w. Der Präsident will nun Sierakowsky's Antrag zuerst und da es verlangt wird, mittelst Namensaufruf zur Abstimmung bringen, allein das Czechenthum setzt es durch, daß Helferts Antrag mit namentlicher Abstimmung ihm vorgezogen wird; dieser Antrag wird mit 186 gegen 108 Stimmen angenommen. Die Versammlung beschließt, daß Sierakowsky's Antrag nun nicht mehr zur Abstimmung komme und nimmt dann mittelst Sitzenbleiben und Aufstehen folgenden Antrag Lassers an: „Die ungarische Deputation ist durch den Vorstand des Reichstages einzuladen, ihre Mittheilungen schriftlich an die Hohe Versammlung gelangen zu lassen.“ Die ungarische Deputation ist also abgewiesen, weil Lasser's Antrag unter den obwaltenden Verhältnissen nichts Anderes bedeutet. Die Czechen begreifen wohl, daß, wenn Ungarn und Deutsche zusammenstehen mit dem freigesinnten Slaventhum der Polen, Ruthenen u. s. w. ihre geträumte Hegemonie zu Wasser wird. Der Geist dieser Czechen, wie er sich namentlich in einem Rieger, Palacki, Trojan, Hawlitschek, Doliak, Jonak, Brauner, Helfert, Hawelka, Klaudy u. s. w. bekundet, kennt keinen höhern Aufschwung, als den: „Lieber die russische Knute küssen, oder den österreichischen Dalai-Lama-Absolutismus verehren, als die Freiheit verfechten in der deutsch-ungarischen Vereinigung!“ Der Pole Potocki hatte anfangs gegen den Antrag Helfert's gestimmt; nach der Abstimmung widerrief er indessen. Zum Bedauern des Präsidenten war der Widerruf nicht mehr annehmbar. ‒ Justizminister Bach gab den Inhalt der Staatsschrift zum Besten, welche das österreichische Ministerium dem ungarischen zugeschickt hat. Diese Staatsschrift ist zwar breit geschrieben, aber dennoch kurz von Inhalt. Sie will nur eine

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 112. Köln, 26. September 1848, S. 0554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz112_1848/2>, abgerufen am 21.11.2024.