Neue Rheinische Zeitung. Nr. 121. Köln, 20. Oktober 1848.Diese Arbeiterunruhen kommen den Demokraten um so unangenehmer, als gestern durch die vom Könige auf die Beglückwünschungsreden gegebenen Antworten große politische Mißstimmung hervorriefen. Während die ganze Bevölkerung Berlin's demnach sich auf den Straßen befindet und unruhig der Dinge erwartet, die da kommen werden, versammelt sich die Vereinbarer-Versammlung um 5 Uhr, um neue Präsidenten zu wählen. Obgleich vor Eröffnung der Sitzung die Herren Vereinbarer nur ausschließlich von den Dingen sprachen, welche außerhalb des Saals vorgingen, hält es doch Niemand der Mühe werth, deshalb die Tribüne zu besteigen. - Wie man hört, sollen heute Nachmittag nach Schluß der Sitzung die Abgeordneten Behrend's und Waldeck sich zu den Arbeitern im Köpenicker Felde begeben haben, um solche dort so viel wie möglich beruhigt haben. Die beiden Abgeordneten sollen sich sogar hinter den daselbst gebauten Barrikaden begeben und zur Herstellung der Ruhe und zur Vorbeugung neuer Mißverständnisse viel beigetragen haben. Man erzählt, daß die beiden Offiziere der Bürgerwehr, welche heute Feuer kommandirten, die reaktionärsten der Bürgerwehr seien, und dadurch gewinnt das Gerücht, daß die heutigen Ereignisse von der Reaktion provocirt wurden, vollständig Glauben. - Möglicherweise kann die heutige Aufregung noch zu irgend einem günstigen Resultate führen. Die Abstimmung zur Präsidentenwahl giebt folgendes Resultat: Zahl der Abstimmenden 324. Grabow 231, Waldeck 88, Philips 3, Peterek 1, ungültig 1. Hierauf schreitet man zur Wahl der Vizepräsidenten und einiger neuen Sekretäre, deren Resultat morgen veröffentlicht wird. Nachschrift. In der Jacobsstraße haben die Arbeiter Barrikaden gebaut. Sie halten solche besetzt und sind theilweis bewaffnet. Die Bürgerwehr will die Arbeiter nicht angreifen. Die Bewegung scheint nach und nach einen politischen Charakter anzunehmen. Die Arbeiter verlangen Garantie, daß solche Blutscenen nicht wieder vorfallen, und diese Garantie kann ihnen ein Ministerium Pfuel nicht geben. 14 Berlin, 16. Okt. " Sie haben nichts vergessen" und doch ist's anders geworden. Gestern war Königs-Geburtstag. Se. Majestät wohnte dem Gottesdienste im Dome bei; in und vor demselben stand eine gewisse Menge Lakaien und Geheimräthe, die Hoch schrieen. Das Volk war draußen vor den Zelten bei einer Volksversammlung oder schlenderte wie alle Tage durch die Straßen. Keine Fahnen, keine Kränze, keine Schüsse etc. Es war schrecklich kahl.- Nachmittags war Festmahl der Patrioten im Kroll'schen Saale: 1500 Gedecke waren bestellt, aber nur 2-300 besetzt. Zum Schutze dieser Ritter stationirten schon seit Samstag Nacht 2 Kompagnien Soldaten im Thiergarten. Der Cavaignac der Marken war auch bei Kroll und die Luft bis Berlin wurde von den tapfern Trinksprüchen erschüttert. Am Abend machte das Geheimrathsviertel einige schwache Versuche, sich zu illuminiren; aber das Toben einiger Kinder genügte, die Lichter zu verlöschen. In der Nacht hörte man viele Schüsse. Der souveräne Lindenklub mit seinem Präsidenten Müller patrouillirte und sang: Vorwärts, Vorwärts! Zu diesen Denkwürdigkeiten können noch manche einzelne Anekdoten gefügt werden. So z. B. wurden am Morgen unter den Linden mehrere Dutzend schwarz-weiße Spaziergänger vom Volke entkokardet und ein besternter Herr, der in Galla nach Belle-Vue fuhr, von dem souveränen Proletariat gezwungen, auszusteigen und den Weg im Gallop zu Fuße fortzusetzen. Draußen aber im Temploy war großer Jubel. Die Herren Offiziere hatten ihre Soldaten mit 4 Groschen Courant beschenkt, und den Bauern die Kränze etc. bezahlt. In Potsdam wurde eine ausgeschriebene Volksversammlung von Polizeiwegen verboten. 2 Uhr. So eben wird die Bürgerwehr alarmirt. Die Arbeiter auf dem Köpnicker-Felde sollen revoltiren. Halb 4 Uhr. Ich komme aus der Köpnickerstraße. Der Kampf zwischen den Erdarbeitern und der Bürgerwehr ist losgebrochen. Letztere hat Feuer gegeben und 11 Mann von dem Volke sind gefallen. Dasselbe vertheidigt sich wie rasend. Wenn es wahr ist, daß die Maschinenbauer (3000 Mann) auf Seite des Volkes treten, so haben wir ein schreckliches Blutbad zu erwarten. Auf dem Wege nach Hause (um diese Zeilen zu schreiben) sah ich, daß mehreren einzelnen Bürgerwehrmännern vom Volke die Waffen entrissen wurden. Andere flüchten mit ihren Waffen nach Hause. Die Veranlassung des Kampfes wird wie folgt erzählt: Man hatte zur Ueberwachung der Erdarbeiten zwei Kompagnieen Bürgerwehr ins Exerzierhaus vor das Thor verlegt. Die Arbeiter sollten heute auf Anordnung des Magistrats statt 15 nur 12 1/2 Sgr. Tagelohn erhalten; sie beschwerten sich vergebens. Als sie nun gegen Mittag mit einer Fahne ins Exerzierhaus dringen, um die Bürger ihrer friedlichen Gesinnung zu versichern, mißverstehen diese ihr Kommen und gehen mit gefälltem Bajonnet auf das Volk los. Darauf ein Steinregen von Seiten dieses und Schüsse von den Bürgern. 5 Uhr. Vor dem Schlosse ist viele Bürgerwehr. Ich sehe einen Zug Volks mit dumpfem Wuthgeheul nahen. Sie tragen fünf Bahren mit Todten, die in der Roßstraße fielen und setzten dieselben im Schloßhofe nieder. 6 Uhr. Der Kampf in der innern Stadt hat aufgehört. An der Ecke der Roß- und alten Jakobstraße war eine Barrikade erbaut, wurde aber vom Volke selbst wieder abgetragen. Die Bürgerwehr vertheilt sich in allen Straßen. Gegen 7 Uhr. Ich befinde mich in der Breitenstraße. Eine große Masse Menschen mit einer Fackel und rothen Fahne zieht durch die Straße. Es fällt ein Schuß. Die Bürgerwehr entfernt sich und der Zug zieht durch die Rosenthalerstraße, um den Hauptmann der Bürgerwehr, welcher zuerst zum Schießen kommandirt, aufzusuchen. 103 Berlin, 16. Oktbr Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. Discussion über die Einleitung zur Verfassungs-Urkunde.- Abg. Keferstein: Es ist die Frage, soll die gegenwärtige Versammlung die Verfassung vereinbaren, oder soll sie dieselbe festsetzen, ohne daß dem Könige ein Einspruch zustehe. Letzteres ist ein Standpunkt, auf dem wir uns unmöglich stellen können. Es ist schon hier zum Ueberdruß von der Revolution die Rede gewesen, aber ich kann nicht zugeben, daß die Grundfesten des Staats durch dieselbe erschüttert worden sind. Was die Krone zugestanden, hat sie aus freiem Willen zugestanden. Es kann sich nicht darum handeln, was in der innern Seele desjenigen vorging, der im März seine Versprechungen ertheilte Wir haben uns nur nach dem Wahlgesetz vom 8. April zu richten. Abg. Jung: Wir finden in der Einleitung der Verfassungs-Urkunde ein Gemisch von Altem und Neuem, dazwischen aber eine Mißgeburt, ein Wort, das man bisher nie kannte, das Wort "Vereinbarung". Mit diesem Worte hat es eine eigene Bewandniß. Es gibt zwei Regierungssysteme. Das eine das absolute, wenn das Volk theils zu faul, theils zu unwissend ist, um an der Regierung Theil zu nehmen und es daher einem Einzigen überlassen bleibt. Das andere reine Regierungssystem ist das, wo sich das Volk durch seine Vertreter selbst Gesetze gibt. Nun versucht man aber ein Mittelding zwischen diesen beiden Systemen herzustellen: ein constitutionelles. Dieses System hat sich aber in Frankreich gründlich zu Grunde gerichtet und ist seit Februar unmöglich geworden. - Eine Vereinbarung hat am 19. März hier stattgefunden; damals versprach der König eine Verfassung auf breitester Grundlage. Diese haben wir auszuarbeiten und festzusetzen. - Man beruft sich auf das Wahlgesetz vom April und wirft uns vor, daß Niemand dagegen protestirt habe. Ein freies Volk protestirt aber nie, es handelt. Der vereinigte Landtag protestirte, wir aber wollen beschließen. Wir haben also demnach die Versprechungen des März festzustellen und wollen mit v. Vinke rufen: Recht muß doch Recht bleiben. - Minister-Präsident: Das Amendement der Herren Jung und Mätze, mit den eben gehörten Entwicklungen, muß nothwendig zu der Voraussetzung führen, als habe die Krone nicht das Recht, die Verfassung anzunehmen oder abzulehnen. Wir müssen hier aber unsere Ansicht aussprechen, daß die Versammlung beschließt und die Krone erwägt, ob sie die beschlossene - Verfassung annehmen will oder nicht. - Abg. v. Berg: Es gibt keinen größern Fehler als die Furcht. So ist auch die Furcht vor dem Worte Vereinbarung eine voreilige. Daß wir heute hierüber streiten ist ein Fehler, den wir damit begehen, daß wir zuvor die Vorrede machen wollen, ehe das Buch geschrieben ist. Ich glaube aber, wer die Macht hat, der wird zu bestimmen haben. Wenn wir die Verfassung werden berathen haben und die Macht der öffentlichen Meinung ist noch auf unserer Seite, so wird es der Krone unmöglich sein, unsere Bestimmungen umzuwerfen. Der Geist der Zeit wird Tag für Tag unsere Beschlüsse bestimmen und seinen Einfluß darauf ausüben. Warten wir demnach das Ende unserer Berathungen ab. Minister Eichmann: Ich glaube, daß den Ereignissen der Märztage ihre Rechnung gegeben worden ist. In Folge derselben ist diese Versammlung, von Wählern ohne die Beschränkung eines Census gewählt. Mit dieser Versammlung will sich die Krone vereinbaren. Sie werden zugeben, daß die Krone viel nachgegehen. Vermeiden sie daher alle Conflikte. Die Krone wird Alles anwenden, sich mit der Versammlung zu vereinbaren. Abg. Mätze: Es sollte kein Streit über das Wort "vereinbaren" hier stattfinden, ist uns hier gesagt, warum denn aber nicht? Wenn wir der Ansicht des Ministers beitreten, dann würden wir weiter nichts sein, als der vereinigte Landtag, welcher auch beschloß und die Krone nach ihrem Gutdünken annahm oder verwarf. Man werfe uns nicht vor, daß gegen das Wahlgesetz und gegen das Wort Vereinbarung nicht protestirt worden sei. Das ganze Land erhob sich dagegen und ich muß daher fest an den von uns vorgeschlagenen Amendements halten, welche lauten: "Wir etc. verkünden hiermit die von den Vertretern des Volks beschlossene Verfassung." Abg. Behrens: Dieselben Gründe, die wir für die Streichung der Worte "von Gottes Gnaden" gelten ließen, sprechen auch gegen den Ausdruck Vereinbarung. Vereinbaren können zwei Privatleute, die handeln und gegenseitige Zugeständnisse machen. Aber ein freies Volk feilscht nicht mit der Krone um die Verfassung, es stellt sie selbst fest. - Wir müssen die Verfassung beschließen, die Krone nimmt sie entweder an, oder verwirft sie und appellirt an das Volk. - Wenn wir das Wort: "Vereinbarung" aus der Verfassung entfernen wollen, so wollen wir uns eben damit auf einen festen Boden stellen; das Ministerium Camphausen, welches dieses Wort erfunden, hat sich dadurch genöthigt gesehen, abzudanken. Beharren wir daher fest an unserm Recht, die Verfassung zu beschließen. Minister Bonin: Der Abg. Mätze hob hervor, daß durch das Prinzip der Vereinbarung diese Versammlung zurückversetzt sei in die Zeit des vereinigten Landtags. Bedenken Sie aber, daß dazwischen das Gesetz vom 6. April liegt, welches dem Volke viele Freiheiten gibt. Wenn hier von Handeln und Feilschen gesprochen worden ist, so muß ich mich entschieden dagegen aussprechen. Unter Vereinbarung verstehe ich nur eine friedliche Vereinigung. Es ist auf unser Programm Bezug genommen worden, ja wir werden die Rechte der Krone zu schützen suchen. Es ist unser Wunsch, daß die Verfassung das Wohl des ganzen Vaterlandes begründtn, und da wir das wollen, müssen wir an dem Prinzip der Vereinbarung festhalten. Abg. Temme: Es handelt sich zunächst um die Wichtigkeit des Wortes Vereinbarung. Ich glaube, sie ist schon dadurch anerkannt, daß drei der Herren Minister das Wort deshalb ergriffen. Man hat uns auf das Wahlgesetz verwiesen, ich aber kann mein Mandat nicht daher leiten; ich leite es von dem Willen des Volkes her, von meinen Wählern, welche mich hierher sandten. Meines Erachtens setzt jede Verfassung eine Vereinbarung voraus. Es ist nur der Unterschied, ob sie vom Volke dem Könige, oder vom Könige dem Volke zur Annahme vorgelegt wird. Wird die von uns zu berathende Verfassung vom Könige nicht angenommen, so ist sie keine; wird sie angenommen so ist das eben eine Vereinbarung. Daß wir das Recht haben, dem Könige eine Verfassung vorzulegen, das ist die Folge der Revolution. Die Revolution ist das letzte Recht des Volkes, wie der Krieg das letzte Recht der Staaten ist. - Ich fürchte nicht die vom Minister-Präsidenten angedeutete Eventualität, tritt sie ein, so sind nicht wir dafür verantwortlich. Minister-Präsident: Ich will mich nur gegen die Auslegung meiner Worte verwahren. Ich verstehe unter Vereinbarung, daß wir eine Aenderung vorschlagen würden, und so, nach und nach, eine Verständigung zu Stande bringen. Abg. Riedel: Wie der Abg. Temme hervorhob, kann auch vom Volke dem Könige eine Verfassung octroyirt werden. Wenn man dem Könige eine Verfassung aufdringen will, kann er seine Krone niederlegen. Dies will ich aber nicht und deshalb bin ich für die Vereinbarung. Diese ist auch durch das Aprilgesetz festgesetzt. Ich acceptire die Ansicht des Abg. Jung, daß das Volk mit dem König im März einen Vertrag abgeschlossen, dessen Folge die Vereinbarung ist. Ich habe oft außerhalb dieser Versammlung Redner gehört, welche das Prinzip der Vereinbarung geißelten; ich wunderte mich nicht, daß es dort solche Reformatoren gibt, welche das Volk aufreizen und den ganzen historischen Standpunkt umstürzen wollen. Aber daß es in dieser Versammlung auch solche Redner gibt, hätte ich nicht erwartet, denn dieselben sind auf das Aprilgesetz gewählt und müßten ihr Mandat zurückgeben, wenn sie sich diesem Gesetze nicht fügen wollen; denn unsere ganze Versammlung ist ohne Mandat, und unsere Beschlüsse sind nichtig, wenn wir nicht mehr vereinbaren wollen. - Abg. Parisius: Weder von dem Ministertische, noch von den andern Rednern ist, meiner Ansicht nach, die Bedeutung des Wortes "Vereinbarung" richtig aufgegriffen worden. Am 5. Septbr. wurde in Wien das Ministerium über die Bedeutung des Wortes interpellirt. Es antwortete darauf am 7. Septbr. und ich schließe mich dieser Antwort vollkommen an. (Er verlies't die bekannte Antwort). Wenn wir dieser Ansicht beitreten, so können wir kein anderes Wort als das Wort "Vereinbarung" dafür setzen. Es liegt darin der Friede und die gegenseitige Zustimmung. Abg. Schramm. (Eine thatsächliche Bemerkung.) Der Abg. Parisius sagte, daß kein Konflikt der Krone mit dem Volke stattfinde. Das verantwortliche Ministerium hat aber einem solchen Konflikte nicht vorgebeugt, denn der König hat gestern der bei ihm anwesenden Deputation durch seine Worte geradezu ins Gesicht geschlagen. (Ruf zur Ordnung.) Abg. Wollheim: Was ist der Grund, daß von einer Seite so stark für das Wort Vereinbarung gekämpft wird. Einestheils kann aus Pietät entstanden sein, aus Pietät gegen die Krone, Anderntheils ist man der Ansicht, daß dem Volke keine Wohlthaten anders erblühen können. Aber ich behaupte, jemehr Rechte sich die Krone begibt, jemehr Halt wird sie im Volke finden. Abg. Scheele: Man kann den König nicht dem bloßen Staatsbürger gleichstellen, er nimmt eine Stelle über dem Volke ein. Deshalb hat die Vereinbarung einen andern Sinn, als die zwischen zwei Privatpersonen. - Der König und das Volk sind eins, wir müssen den König nicht betrachten als dem Volke gegenüberstehend. - Das Wohl des Volkes ist das höchste Gesetz, nach dem wir uns richten müssen, und danach haben wir unsere Beschlüsse zu fassen. Abg. Weichsel: Zuerst muß ich mich gegen das Wort "uns" erklären, da das noch der alten Zeit angehört und mit dem "Gottes Gnaden" fallen muß. - Lassen sie uns einen Blick in die frühere Zeit werfen. Es war von jeher das Volk, welches mit seinen Fürsten, durch einen Vertrag die Regierung ordnete. - Volkssouveränetät ist der ausgeprägte Wille des ganzen Volkes, nicht eine Majorität dieser Versammlung. Halten wir an dem ausgeprägten Willen des Volkes fest, es will die Erfüllung der ihm gegebenen Versprechungen. - Ich muß mich nun dagegen erklären, daß die Verfassung von einer Seite aufgedrungen werde, nur auf dem Wrge des Vertrages muß sie festgestellt werden. Abg. Dahne: Ich bin der Ansicht, daß die Souverainetät naturgemäß im Volke liegt, und daß sie dem Volke angeboren ist. Bis zum März war die Souverainetät aber im Besitze der Krone. Durch die Revolution ist ein Theil derselben wieder dem Volke übergeben worden, daher müssen sich die Inhaber der Souverainetät mit einander vereinbaren. Abg. Plönnies: Der Wille des Volkes hat uns hierhergesandt, um mit der Krone zu vereinbaren. Wenn wir die Krone zwingen wollten, das anzunehmen, was wir ihr vorschreiben, so wäre das ein Absolutismus von unten. Abg. Jung: Ich möchte die Frage auf ihren eigentlichen Kernpunkt zurückführen, auf das constitutionelle Schaukelsystem, welches man uns aufdringen will. Die alte Theilung der Souverainetät genügt nicht mehr. Man wirft uns vor, daß die königliche Macht gebrochen ist, wenn der König nur die von uns angenommenen Beschlüsse ausführt. Ist es nicht ehrenhaft, wenn der König der erste Mann des preußischen Volkes ist? - Wenn man uns, das von unsern Wählern empfangene Mandat vorhält, so erkläre ich, daß ich meinen Wählern gegenüber, mich gegen das Prinzip der Vereinbarung erkläre. Abg. Rehfeld: Wenn wir das Jungsche Amendement annehmen, so würden wir dadurch die Minister nur zu unsern Handlangern und den König zum Inhaber einer Sinecure machen. Man sprach, daß es in dem Willen des Volkes gelegen hätte, die Krone abzuschaffen; aber die siegreiche Armee ist nur auf den Befehl des Königs abgetreten. Abg. Siebert: Es wäre eine eigenthümliche Vereinbarung, wenn der König erklären könnte, daß er die Beschlüsse der Versammlung nicht annehmen wolle, und wir uns damit begnügen müßten. Der vereinigte Landtag konnte uns keine größere Befugnisse geben als er selbst hat, demnach sind wir hier um den Willen des Volkes zur Geltung bringen, das Volk wollte nicht mehr petitioniren, und hat uns in Folge der Revolution zu Vertretern seines Willens hierhergesandt. Und wir sollen den Willen des Volkes unter allen Umständen durchsetzen. Aber die Aeußerung des Ministeriums hat uns heute gezeigt, daß nicht dieser Wille, sondern der des Kronträgers durchdringen soll. Ich bin besonders gegen dies Wort (Vereinbarung) weil ich mit Recht befürchten muß, man wird aus diesem Ausdrucke später mit diplomatischer Schlauheit alle gegebenen Zusicherungen wieder verleugnen wollen. - Wer hat in Frankreich die Republik herbeigeführt? Nicht die Republikaner, sondern die Räthe der Krone. Und auch hier sitzen diejenigen, die eine Republik herbeiführen werden, am Ministertisch. (Allgemeines Gelächter.) Abg. Riel: Der Kern des Ganzen sei, daß die Souveränetät durch die Märzrevolution aufs Volk übergegangen und nicht mehr in dem Kabinette läge. Reichen wir aber die Hand nochmals zur Versöhnung und suchen wir uns zu vereinbaren. Wird diese Hand aber zurückgewiesen, so werden wir wissen, wie wir die Rechte des Volkes zu vertreten haben. - Abg. Ciescowski deutet darauf hin, daß es sich hier eigentlich um das Veto handele, welches erst im vierten Theile der Verfassung zur Diskussion komme. Abstimmung: Zuerst wird das Amendement Jung-Maetze, (äußerste Linke) welches lautet: "Wir etc. verkündigen hiermit folgende von den Vertretern des Volkes beschlossene Verfassung" - mit 216 gegen 110 Stimmen nach namentlicher Abstimmung verworfen. - Auch das Amendement des Abgeordneten Siebert (gemäßigte Linke): Die Publikationsformel möge also lauten: "verkünden hiermit die, nach dem Willen der Vertreter des Breußischen Volkes festgestellte und von uns angenommene Verfassung" - wird ohne namentliche Abstimmung verworfen. - Hierauf kommt die Reihe an das Amendement des Abg. Riel: Statt der vorgeschlagenen Publikationsformel ist zu setzen: "verkünden hiermit die von den Stellvertretern des Volkes durch Vereinbarung mit uns festgestellte Verfassung", welches nach namentlicher Abstimmung mit 284 gegen 43 Stimmen angenommen wird. Der Entwurf der Commission und die anderen Amendements sind hiernach gefallen. Schluß der Sitzung 2 Uhr. 103 Berlin, 17. Okt. Unsere reaktionäre und konstitutionelle Presse bringt die lügenhaftesten Berichte über die gestrigen Vorfälle. Der Minister hat in seiner heutigen Darstellung in der Kammer diese Vorfälle aus einem ganz falschen Standpunkte aufgefaßt. Aus authentischer Quelle können wir versichern, daß die Arbeiter gestern keinesfalls Veranlassung gaben, zu dem unmenschlichen Morden, welches ein unsinniger Bürgerwehr-Hauptmann (ein Bäckermeister Schulz) kommandirte. Die Arbeiter hatten gestern Vormittag ruhig gearbeitet und brachten um die Mittagsstunde ihrem Schachtmeister zu seinem Geburtstage ein Vivat. Als sie von diesem Zuge zurückkamen, wobei sie sich eine neue rothe Fahne mit der Inschrift: "Einigkeit macht stark!" hatten vortragen lassen, passirten sie das Exerzierhaus auf dem Köpnickerfelde, in welchem ein Bataillon Bürgerwehr aufgestellt war. Die Arbeiter brachten der Bürgerwehr ein Hoch und grüßten dieselbe freundschaftlich. Diese nahm diesen Gruß als Spott auf und lockte einen Theil der Arbeiter ins Exerzierhaus, um sie festzunehmen. Dadurch entstand Streit und Erbitterung. Der Hauptmann wurde von Arbeitern wegen dieses Benehmens zur Rede gestellt, und als er ein Pistol blind abfeuerte, von den Arbeitern entwaffnet. Sie gaben jedoch das Pistol sogleich an einen Bürgerwehrmann, zurück, indem sie behaupteten, ein Hauptmann dürfe nur sein vorschriftsmäßiges Seitengewehr bei sich führen. Der Hauptmann erbittert und Rache schnaubend zieht seine Kompagnie 20 Schritte zurück, ließ dann umkehren und eine Bayonettattacke auf die Arbeiter machen. Diese wehrten sich dieselben mit Steinen ab, in Folge dessen ein Mann verwundet wurde, und hierauf kommandirte der Hauptmann Feuer, worauf gleich eine Masse Arbeiter theils todt theils verwundet niederstürzten. Wie beklagenswerth dieser Vorfall nun jedenfalls war, um so beklagenswerther sind aber die falschen Gerüchte, welche darüber in der ganzen Stadt verbreitet wurden. Alle Schuld wurde auf die Arbeiter geworfen und das war die Ursache, daß gestern Abend noch einige solche unmenschliche Scenen vorfielen. - Die Arbeiter hatten in der Jakobsstraße eine Barrikade gebaut. Statt nun die Arbeiter ruhig hinter ihre Barrikade stehen zu lassen, griff man sie an und erschoß noch mehrere Arbeiter. Die Bürgerwehr wollte die Ehre haben, eine Barrikade gestürmt zu haben. Diese Ehre kam ihr aber auch theuer zu stehen, die Arbeiter vertheidigten die Barrikade tapfer und mehrere der Angreifer wurden erschossen und ihr Hauptmann verwundet. Der eingetretene Regen räumte nach und nach alle Straßen und heute ist die Ruhe der Stadt nicht gestört worden. Die Arbeiter, welche mit ihren Fahnen (vielleicht zwanzig der verschiedensten Art) heute vor die Vereinbarerversammlung zogen, verlangen: ein feierliches Begräbniß der Gefallenen im Friedrichshain auf Kosten des Staats und eine strenge Untersuchung gegen die Bürgerwehr. - Die Vereinbarer werden wohl dieses Verlangen einstimmig genehmigen, denn so viel konnte man schon heute in der Sitzung sehen, daß die rechte Seite sowohl wie das Centrum allen Respekt vor den Arbeitern haben und sich wohl hüten werden, dem Wunsche der Arbeiter entgegen zu handeln. Obgleich es in allen konstitutionellen Staaten Sitte ist, daß die Anrede des Präsidenten und die Antwort des Königs der ganzen Versammlung mitgetheilt wird, unterließ dies Hr. Grabow dennoch. Erst heute, als der Staatsanzeiger die Rede des Präsidenten mittheilte, machte derselbe der Versammlung die nöthige Miltheilung. Er erzählte, daß diese Rede von den Präsidenten und Vicepräsidenten mit der Deputation vereinbart worden sei, daß er dieselbe vorher dem Ministerpräsidenten zusandte, daß ihm aber kein Koncept von der Antwort des Königs zugekommen sei, indem dieselbe eine improvisirte war; daher könne er auch keine Mittheilung davon machen, indem sehr leicht ein Satz anders wiedergegeben werden könne. 14 Berlin, 17. Oktober. Kurz nach Abgabe meines gestrigen Briefes wurde noch die Barrikade an der neuen Roß- und alten Jakobstraßen-Ecke von der Bürgerwehr gestürmt. Die Barrikade war seit 3 Uhr errichtet, aber, da es den Arbeitern an Waffen fehlte, schlecht vertheidigt, daß die gewaltsame Erstürmung durchaus nicht nothwendig war. Verschiedene bekannte Volksredner und einige Deputirte (Waldeck und Behrends) suchten das Volk zu beschwichtigen und die Bürgerwehr abzuhalten. Vergebens - die rohen Bourgeois unter den letzteren mußten zeigen, daß sie schießen konnten. Das 10. Bataillon vollführte die Heldenthat. Major Vogel wurde tödtlich verwundet, ein anderer Bürgerwehrmann (Vergolder Schneider) von hinten durch den Kopf geschossen, also von seinen Kameraden getödtet. Vom Volke blieb ein kühner, junger Mann in seiner Kleidung, der oben auf der Barrikade die blutrothe Fahne schwang, und ein Arbeitsmann. Diese Beiden wurden gegen 9 Uhr unter Fackelschein zu den übrigen Leichen in's Schloß getragen. - Um 11 Uhr wurde noch eine unvertheidigte Barrikade in der Dresdnerstraße genommen. Dann war Alles ruhig und der Ehrentag vollbracht! - Der Sicherheitsausschuß im Schlosse hatte es in seiner Weisheit für rathsam befunden, Militär zu requiriren. Wirklich erschien gegen 10 Uhr das 12. Regiment, erhielt aber gleich Contreordre, da sich die Bürgerwehr heftig widersetzte und die Abgeordneten Elsner und Temme gleichfalls protestirt hatten. Bezeichnend erscheinen die Antworten der gereizten Arbeiter auf die Zureden der "Abwiegler." Den Klubbisten erwiderten sie: von ihnen hätten sie doch nichts zu erwarten; der Warnung, daß durch die Bekämpfung der Bürgerwehr das Militär herangezogen würde, Diese Arbeiterunruhen kommen den Demokraten um so unangenehmer, als gestern durch die vom Könige auf die Beglückwünschungsreden gegebenen Antworten große politische Mißstimmung hervorriefen. Während die ganze Bevölkerung Berlin's demnach sich auf den Straßen befindet und unruhig der Dinge erwartet, die da kommen werden, versammelt sich die Vereinbarer-Versammlung um 5 Uhr, um neue Präsidenten zu wählen. Obgleich vor Eröffnung der Sitzung die Herren Vereinbarer nur ausschließlich von den Dingen sprachen, welche außerhalb des Saals vorgingen, hält es doch Niemand der Mühe werth, deshalb die Tribüne zu besteigen. ‒ Wie man hört, sollen heute Nachmittag nach Schluß der Sitzung die Abgeordneten Behrend's und Waldeck sich zu den Arbeitern im Köpenicker Felde begeben haben, um solche dort so viel wie möglich beruhigt haben. Die beiden Abgeordneten sollen sich sogar hinter den daselbst gebauten Barrikaden begeben und zur Herstellung der Ruhe und zur Vorbeugung neuer Mißverständnisse viel beigetragen haben. Man erzählt, daß die beiden Offiziere der Bürgerwehr, welche heute Feuer kommandirten, die reaktionärsten der Bürgerwehr seien, und dadurch gewinnt das Gerücht, daß die heutigen Ereignisse von der Reaktion provocirt wurden, vollständig Glauben. ‒ Möglicherweise kann die heutige Aufregung noch zu irgend einem günstigen Resultate führen. Die Abstimmung zur Präsidentenwahl giebt folgendes Resultat: Zahl der Abstimmenden 324. Grabow 231, Waldeck 88, Philips 3, Peterek 1, ungültig 1. Hierauf schreitet man zur Wahl der Vizepräsidenten und einiger neuen Sekretäre, deren Resultat morgen veröffentlicht wird. Nachschrift. In der Jacobsstraße haben die Arbeiter Barrikaden gebaut. Sie halten solche besetzt und sind theilweis bewaffnet. Die Bürgerwehr will die Arbeiter nicht angreifen. Die Bewegung scheint nach und nach einen politischen Charakter anzunehmen. Die Arbeiter verlangen Garantie, daß solche Blutscenen nicht wieder vorfallen, und diese Garantie kann ihnen ein Ministerium Pfuel nicht geben. 14 Berlin, 16. Okt. „ Sie haben nichts vergessen“ und doch ist's anders geworden. Gestern war Königs-Geburtstag. Se. Majestät wohnte dem Gottesdienste im Dome bei; in und vor demselben stand eine gewisse Menge Lakaien und Geheimräthe, die Hoch schrieen. Das Volk war draußen vor den Zelten bei einer Volksversammlung oder schlenderte wie alle Tage durch die Straßen. Keine Fahnen, keine Kränze, keine Schüsse etc. Es war schrecklich kahl.‒ Nachmittags war Festmahl der Patrioten im Kroll'schen Saale: 1500 Gedecke waren bestellt, aber nur 2-300 besetzt. Zum Schutze dieser Ritter stationirten schon seit Samstag Nacht 2 Kompagnien Soldaten im Thiergarten. Der Cavaignac der Marken war auch bei Kroll und die Luft bis Berlin wurde von den tapfern Trinksprüchen erschüttert. Am Abend machte das Geheimrathsviertel einige schwache Versuche, sich zu illuminiren; aber das Toben einiger Kinder genügte, die Lichter zu verlöschen. In der Nacht hörte man viele Schüsse. Der souveräne Lindenklub mit seinem Präsidenten Müller patrouillirte und sang: Vorwärts, Vorwärts! Zu diesen Denkwürdigkeiten können noch manche einzelne Anekdoten gefügt werden. So z. B. wurden am Morgen unter den Linden mehrere Dutzend schwarz-weiße Spaziergänger vom Volke entkokardet und ein besternter Herr, der in Galla nach Belle-Vue fuhr, von dem souveränen Proletariat gezwungen, auszusteigen und den Weg im Gallop zu Fuße fortzusetzen. Draußen aber im Temploy war großer Jubel. Die Herren Offiziere hatten ihre Soldaten mit 4 Groschen Courant beschenkt, und den Bauern die Kränze etc. bezahlt. In Potsdam wurde eine ausgeschriebene Volksversammlung von Polizeiwegen verboten. 2 Uhr. So eben wird die Bürgerwehr alarmirt. Die Arbeiter auf dem Köpnicker-Felde sollen revoltiren. Halb 4 Uhr. Ich komme aus der Köpnickerstraße. Der Kampf zwischen den Erdarbeitern und der Bürgerwehr ist losgebrochen. Letztere hat Feuer gegeben und 11 Mann von dem Volke sind gefallen. Dasselbe vertheidigt sich wie rasend. Wenn es wahr ist, daß die Maschinenbauer (3000 Mann) auf Seite des Volkes treten, so haben wir ein schreckliches Blutbad zu erwarten. Auf dem Wege nach Hause (um diese Zeilen zu schreiben) sah ich, daß mehreren einzelnen Bürgerwehrmännern vom Volke die Waffen entrissen wurden. Andere flüchten mit ihren Waffen nach Hause. Die Veranlassung des Kampfes wird wie folgt erzählt: Man hatte zur Ueberwachung der Erdarbeiten zwei Kompagnieen Bürgerwehr ins Exerzierhaus vor das Thor verlegt. Die Arbeiter sollten heute auf Anordnung des Magistrats statt 15 nur 12 1/2 Sgr. Tagelohn erhalten; sie beschwerten sich vergebens. Als sie nun gegen Mittag mit einer Fahne ins Exerzierhaus dringen, um die Bürger ihrer friedlichen Gesinnung zu versichern, mißverstehen diese ihr Kommen und gehen mit gefälltem Bajonnet auf das Volk los. Darauf ein Steinregen von Seiten dieses und Schüsse von den Bürgern. 5 Uhr. Vor dem Schlosse ist viele Bürgerwehr. Ich sehe einen Zug Volks mit dumpfem Wuthgeheul nahen. Sie tragen fünf Bahren mit Todten, die in der Roßstraße fielen und setzten dieselben im Schloßhofe nieder. 6 Uhr. Der Kampf in der innern Stadt hat aufgehört. An der Ecke der Roß- und alten Jakobstraße war eine Barrikade erbaut, wurde aber vom Volke selbst wieder abgetragen. Die Bürgerwehr vertheilt sich in allen Straßen. Gegen 7 Uhr. Ich befinde mich in der Breitenstraße. Eine große Masse Menschen mit einer Fackel und rothen Fahne zieht durch die Straße. Es fällt ein Schuß. Die Bürgerwehr entfernt sich und der Zug zieht durch die Rosenthalerstraße, um den Hauptmann der Bürgerwehr, welcher zuerst zum Schießen kommandirt, aufzusuchen. 103 Berlin, 16. Oktbr Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. Discussion über die Einleitung zur Verfassungs-Urkunde.‒ Abg. Keferstein: Es ist die Frage, soll die gegenwärtige Versammlung die Verfassung vereinbaren, oder soll sie dieselbe festsetzen, ohne daß dem Könige ein Einspruch zustehe. Letzteres ist ein Standpunkt, auf dem wir uns unmöglich stellen können. Es ist schon hier zum Ueberdruß von der Revolution die Rede gewesen, aber ich kann nicht zugeben, daß die Grundfesten des Staats durch dieselbe erschüttert worden sind. Was die Krone zugestanden, hat sie aus freiem Willen zugestanden. Es kann sich nicht darum handeln, was in der innern Seele desjenigen vorging, der im März seine Versprechungen ertheilte Wir haben uns nur nach dem Wahlgesetz vom 8. April zu richten. Abg. Jung: Wir finden in der Einleitung der Verfassungs-Urkunde ein Gemisch von Altem und Neuem, dazwischen aber eine Mißgeburt, ein Wort, das man bisher nie kannte, das Wort „Vereinbarung“. Mit diesem Worte hat es eine eigene Bewandniß. Es gibt zwei Regierungssysteme. Das eine das absolute, wenn das Volk theils zu faul, theils zu unwissend ist, um an der Regierung Theil zu nehmen und es daher einem Einzigen überlassen bleibt. Das andere reine Regierungssystem ist das, wo sich das Volk durch seine Vertreter selbst Gesetze gibt. Nun versucht man aber ein Mittelding zwischen diesen beiden Systemen herzustellen: ein constitutionelles. Dieses System hat sich aber in Frankreich gründlich zu Grunde gerichtet und ist seit Februar unmöglich geworden. ‒ Eine Vereinbarung hat am 19. März hier stattgefunden; damals versprach der König eine Verfassung auf breitester Grundlage. Diese haben wir auszuarbeiten und festzusetzen. ‒ Man beruft sich auf das Wahlgesetz vom April und wirft uns vor, daß Niemand dagegen protestirt habe. Ein freies Volk protestirt aber nie, es handelt. Der vereinigte Landtag protestirte, wir aber wollen beschließen. Wir haben also demnach die Versprechungen des März festzustellen und wollen mit v. Vinke rufen: Recht muß doch Recht bleiben. ‒ Minister-Präsident: Das Amendement der Herren Jung und Mätze, mit den eben gehörten Entwicklungen, muß nothwendig zu der Voraussetzung führen, als habe die Krone nicht das Recht, die Verfassung anzunehmen oder abzulehnen. Wir müssen hier aber unsere Ansicht aussprechen, daß die Versammlung beschließt und die Krone erwägt, ob sie die beschlossene ‒ Verfassung annehmen will oder nicht. ‒ Abg. v. Berg: Es gibt keinen größern Fehler als die Furcht. So ist auch die Furcht vor dem Worte Vereinbarung eine voreilige. Daß wir heute hierüber streiten ist ein Fehler, den wir damit begehen, daß wir zuvor die Vorrede machen wollen, ehe das Buch geschrieben ist. Ich glaube aber, wer die Macht hat, der wird zu bestimmen haben. Wenn wir die Verfassung werden berathen haben und die Macht der öffentlichen Meinung ist noch auf unserer Seite, so wird es der Krone unmöglich sein, unsere Bestimmungen umzuwerfen. Der Geist der Zeit wird Tag für Tag unsere Beschlüsse bestimmen und seinen Einfluß darauf ausüben. Warten wir demnach das Ende unserer Berathungen ab. Minister Eichmann: Ich glaube, daß den Ereignissen der Märztage ihre Rechnung gegeben worden ist. In Folge derselben ist diese Versammlung, von Wählern ohne die Beschränkung eines Census gewählt. Mit dieser Versammlung will sich die Krone vereinbaren. Sie werden zugeben, daß die Krone viel nachgegehen. Vermeiden sie daher alle Conflikte. Die Krone wird Alles anwenden, sich mit der Versammlung zu vereinbaren. Abg. Mätze: Es sollte kein Streit über das Wort „vereinbaren“ hier stattfinden, ist uns hier gesagt, warum denn aber nicht? Wenn wir der Ansicht des Ministers beitreten, dann würden wir weiter nichts sein, als der vereinigte Landtag, welcher auch beschloß und die Krone nach ihrem Gutdünken annahm oder verwarf. Man werfe uns nicht vor, daß gegen das Wahlgesetz und gegen das Wort Vereinbarung nicht protestirt worden sei. Das ganze Land erhob sich dagegen und ich muß daher fest an den von uns vorgeschlagenen Amendements halten, welche lauten: „Wir etc. verkünden hiermit die von den Vertretern des Volks beschlossene Verfassung.“ Abg. Behrens: Dieselben Gründe, die wir für die Streichung der Worte „von Gottes Gnaden“ gelten ließen, sprechen auch gegen den Ausdruck Vereinbarung. Vereinbaren können zwei Privatleute, die handeln und gegenseitige Zugeständnisse machen. Aber ein freies Volk feilscht nicht mit der Krone um die Verfassung, es stellt sie selbst fest. ‒ Wir müssen die Verfassung beschließen, die Krone nimmt sie entweder an, oder verwirft sie und appellirt an das Volk. ‒ Wenn wir das Wort: „Vereinbarung“ aus der Verfassung entfernen wollen, so wollen wir uns eben damit auf einen festen Boden stellen; das Ministerium Camphausen, welches dieses Wort erfunden, hat sich dadurch genöthigt gesehen, abzudanken. Beharren wir daher fest an unserm Recht, die Verfassung zu beschließen. Minister Bonin: Der Abg. Mätze hob hervor, daß durch das Prinzip der Vereinbarung diese Versammlung zurückversetzt sei in die Zeit des vereinigten Landtags. Bedenken Sie aber, daß dazwischen das Gesetz vom 6. April liegt, welches dem Volke viele Freiheiten gibt. Wenn hier von Handeln und Feilschen gesprochen worden ist, so muß ich mich entschieden dagegen aussprechen. Unter Vereinbarung verstehe ich nur eine friedliche Vereinigung. Es ist auf unser Programm Bezug genommen worden, ja wir werden die Rechte der Krone zu schützen suchen. Es ist unser Wunsch, daß die Verfassung das Wohl des ganzen Vaterlandes begründtn, und da wir das wollen, müssen wir an dem Prinzip der Vereinbarung festhalten. Abg. Temme: Es handelt sich zunächst um die Wichtigkeit des Wortes Vereinbarung. Ich glaube, sie ist schon dadurch anerkannt, daß drei der Herren Minister das Wort deshalb ergriffen. Man hat uns auf das Wahlgesetz verwiesen, ich aber kann mein Mandat nicht daher leiten; ich leite es von dem Willen des Volkes her, von meinen Wählern, welche mich hierher sandten. Meines Erachtens setzt jede Verfassung eine Vereinbarung voraus. Es ist nur der Unterschied, ob sie vom Volke dem Könige, oder vom Könige dem Volke zur Annahme vorgelegt wird. Wird die von uns zu berathende Verfassung vom Könige nicht angenommen, so ist sie keine; wird sie angenommen so ist das eben eine Vereinbarung. Daß wir das Recht haben, dem Könige eine Verfassung vorzulegen, das ist die Folge der Revolution. Die Revolution ist das letzte Recht des Volkes, wie der Krieg das letzte Recht der Staaten ist. ‒ Ich fürchte nicht die vom Minister-Präsidenten angedeutete Eventualität, tritt sie ein, so sind nicht wir dafür verantwortlich. Minister-Präsident: Ich will mich nur gegen die Auslegung meiner Worte verwahren. Ich verstehe unter Vereinbarung, daß wir eine Aenderung vorschlagen würden, und so, nach und nach, eine Verständigung zu Stande bringen. Abg. Riedel: Wie der Abg. Temme hervorhob, kann auch vom Volke dem Könige eine Verfassung octroyirt werden. Wenn man dem Könige eine Verfassung aufdringen will, kann er seine Krone niederlegen. Dies will ich aber nicht und deshalb bin ich für die Vereinbarung. Diese ist auch durch das Aprilgesetz festgesetzt. Ich acceptire die Ansicht des Abg. Jung, daß das Volk mit dem König im März einen Vertrag abgeschlossen, dessen Folge die Vereinbarung ist. Ich habe oft außerhalb dieser Versammlung Redner gehört, welche das Prinzip der Vereinbarung geißelten; ich wunderte mich nicht, daß es dort solche Reformatoren gibt, welche das Volk aufreizen und den ganzen historischen Standpunkt umstürzen wollen. Aber daß es in dieser Versammlung auch solche Redner gibt, hätte ich nicht erwartet, denn dieselben sind auf das Aprilgesetz gewählt und müßten ihr Mandat zurückgeben, wenn sie sich diesem Gesetze nicht fügen wollen; denn unsere ganze Versammlung ist ohne Mandat, und unsere Beschlüsse sind nichtig, wenn wir nicht mehr vereinbaren wollen. ‒ Abg. Parisius: Weder von dem Ministertische, noch von den andern Rednern ist, meiner Ansicht nach, die Bedeutung des Wortes „Vereinbarung“ richtig aufgegriffen worden. Am 5. Septbr. wurde in Wien das Ministerium über die Bedeutung des Wortes interpellirt. Es antwortete darauf am 7. Septbr. und ich schließe mich dieser Antwort vollkommen an. (Er verlies't die bekannte Antwort). Wenn wir dieser Ansicht beitreten, so können wir kein anderes Wort als das Wort „Vereinbarung“ dafür setzen. Es liegt darin der Friede und die gegenseitige Zustimmung. Abg. Schramm. (Eine thatsächliche Bemerkung.) Der Abg. Parisius sagte, daß kein Konflikt der Krone mit dem Volke stattfinde. Das verantwortliche Ministerium hat aber einem solchen Konflikte nicht vorgebeugt, denn der König hat gestern der bei ihm anwesenden Deputation durch seine Worte geradezu ins Gesicht geschlagen. (Ruf zur Ordnung.) Abg. Wollheim: Was ist der Grund, daß von einer Seite so stark für das Wort Vereinbarung gekämpft wird. Einestheils kann aus Pietät entstanden sein, aus Pietät gegen die Krone, Anderntheils ist man der Ansicht, daß dem Volke keine Wohlthaten anders erblühen können. Aber ich behaupte, jemehr Rechte sich die Krone begibt, jemehr Halt wird sie im Volke finden. Abg. Scheele: Man kann den König nicht dem bloßen Staatsbürger gleichstellen, er nimmt eine Stelle über dem Volke ein. Deshalb hat die Vereinbarung einen andern Sinn, als die zwischen zwei Privatpersonen. ‒ Der König und das Volk sind eins, wir müssen den König nicht betrachten als dem Volke gegenüberstehend. ‒ Das Wohl des Volkes ist das höchste Gesetz, nach dem wir uns richten müssen, und danach haben wir unsere Beschlüsse zu fassen. Abg. Weichsel: Zuerst muß ich mich gegen das Wort „uns“ erklären, da das noch der alten Zeit angehört und mit dem „Gottes Gnaden“ fallen muß. ‒ Lassen sie uns einen Blick in die frühere Zeit werfen. Es war von jeher das Volk, welches mit seinen Fürsten, durch einen Vertrag die Regierung ordnete. ‒ Volkssouveränetät ist der ausgeprägte Wille des ganzen Volkes, nicht eine Majorität dieser Versammlung. Halten wir an dem ausgeprägten Willen des Volkes fest, es will die Erfüllung der ihm gegebenen Versprechungen. ‒ Ich muß mich nun dagegen erklären, daß die Verfassung von einer Seite aufgedrungen werde, nur auf dem Wrge des Vertrages muß sie festgestellt werden. Abg. Dahne: Ich bin der Ansicht, daß die Souverainetät naturgemäß im Volke liegt, und daß sie dem Volke angeboren ist. Bis zum März war die Souverainetät aber im Besitze der Krone. Durch die Revolution ist ein Theil derselben wieder dem Volke übergeben worden, daher müssen sich die Inhaber der Souverainetät mit einander vereinbaren. Abg. Plönnies: Der Wille des Volkes hat uns hierhergesandt, um mit der Krone zu vereinbaren. Wenn wir die Krone zwingen wollten, das anzunehmen, was wir ihr vorschreiben, so wäre das ein Absolutismus von unten. Abg. Jung: Ich möchte die Frage auf ihren eigentlichen Kernpunkt zurückführen, auf das constitutionelle Schaukelsystem, welches man uns aufdringen will. Die alte Theilung der Souverainetät genügt nicht mehr. Man wirft uns vor, daß die königliche Macht gebrochen ist, wenn der König nur die von uns angenommenen Beschlüsse ausführt. Ist es nicht ehrenhaft, wenn der König der erste Mann des preußischen Volkes ist? ‒ Wenn man uns, das von unsern Wählern empfangene Mandat vorhält, so erkläre ich, daß ich meinen Wählern gegenüber, mich gegen das Prinzip der Vereinbarung erkläre. Abg. Rehfeld: Wenn wir das Jungsche Amendement annehmen, so würden wir dadurch die Minister nur zu unsern Handlangern und den König zum Inhaber einer Sinecure machen. Man sprach, daß es in dem Willen des Volkes gelegen hätte, die Krone abzuschaffen; aber die siegreiche Armee ist nur auf den Befehl des Königs abgetreten. Abg. Siebert: Es wäre eine eigenthümliche Vereinbarung, wenn der König erklären könnte, daß er die Beschlüsse der Versammlung nicht annehmen wolle, und wir uns damit begnügen müßten. Der vereinigte Landtag konnte uns keine größere Befugnisse geben als er selbst hat, demnach sind wir hier um den Willen des Volkes zur Geltung bringen, das Volk wollte nicht mehr petitioniren, und hat uns in Folge der Revolution zu Vertretern seines Willens hierhergesandt. Und wir sollen den Willen des Volkes unter allen Umständen durchsetzen. Aber die Aeußerung des Ministeriums hat uns heute gezeigt, daß nicht dieser Wille, sondern der des Kronträgers durchdringen soll. Ich bin besonders gegen dies Wort (Vereinbarung) weil ich mit Recht befürchten muß, man wird aus diesem Ausdrucke später mit diplomatischer Schlauheit alle gegebenen Zusicherungen wieder verleugnen wollen. ‒ Wer hat in Frankreich die Republik herbeigeführt? Nicht die Republikaner, sondern die Räthe der Krone. Und auch hier sitzen diejenigen, die eine Republik herbeiführen werden, am Ministertisch. (Allgemeines Gelächter.) Abg. Riel: Der Kern des Ganzen sei, daß die Souveränetät durch die Märzrevolution aufs Volk übergegangen und nicht mehr in dem Kabinette läge. Reichen wir aber die Hand nochmals zur Versöhnung und suchen wir uns zu vereinbaren. Wird diese Hand aber zurückgewiesen, so werden wir wissen, wie wir die Rechte des Volkes zu vertreten haben. ‒ Abg. Ciescowski deutet darauf hin, daß es sich hier eigentlich um das Veto handele, welches erst im vierten Theile der Verfassung zur Diskussion komme. Abstimmung: Zuerst wird das Amendement Jung-Maetze, (äußerste Linke) welches lautet: „Wir etc. verkündigen hiermit folgende von den Vertretern des Volkes beschlossene Verfassung“ ‒ mit 216 gegen 110 Stimmen nach namentlicher Abstimmung verworfen. ‒ Auch das Amendement des Abgeordneten Siebert (gemäßigte Linke): Die Publikationsformel möge also lauten: „verkünden hiermit die, nach dem Willen der Vertreter des Breußischen Volkes festgestellte und von uns angenommene Verfassung“ ‒ wird ohne namentliche Abstimmung verworfen. ‒ Hierauf kommt die Reihe an das Amendement des Abg. Riel: Statt der vorgeschlagenen Publikationsformel ist zu setzen: „verkünden hiermit die von den Stellvertretern des Volkes durch Vereinbarung mit uns festgestellte Verfassung“, welches nach namentlicher Abstimmung mit 284 gegen 43 Stimmen angenommen wird. Der Entwurf der Commission und die anderen Amendements sind hiernach gefallen. Schluß der Sitzung 2 Uhr. 103 Berlin, 17. Okt. Unsere reaktionäre und konstitutionelle Presse bringt die lügenhaftesten Berichte über die gestrigen Vorfälle. Der Minister hat in seiner heutigen Darstellung in der Kammer diese Vorfälle aus einem ganz falschen Standpunkte aufgefaßt. Aus authentischer Quelle können wir versichern, daß die Arbeiter gestern keinesfalls Veranlassung gaben, zu dem unmenschlichen Morden, welches ein unsinniger Bürgerwehr-Hauptmann (ein Bäckermeister Schulz) kommandirte. Die Arbeiter hatten gestern Vormittag ruhig gearbeitet und brachten um die Mittagsstunde ihrem Schachtmeister zu seinem Geburtstage ein Vivat. Als sie von diesem Zuge zurückkamen, wobei sie sich eine neue rothe Fahne mit der Inschrift: „Einigkeit macht stark!“ hatten vortragen lassen, passirten sie das Exerzierhaus auf dem Köpnickerfelde, in welchem ein Bataillon Bürgerwehr aufgestellt war. Die Arbeiter brachten der Bürgerwehr ein Hoch und grüßten dieselbe freundschaftlich. Diese nahm diesen Gruß als Spott auf und lockte einen Theil der Arbeiter ins Exerzierhaus, um sie festzunehmen. Dadurch entstand Streit und Erbitterung. Der Hauptmann wurde von Arbeitern wegen dieses Benehmens zur Rede gestellt, und als er ein Pistol blind abfeuerte, von den Arbeitern entwaffnet. Sie gaben jedoch das Pistol sogleich an einen Bürgerwehrmann, zurück, indem sie behaupteten, ein Hauptmann dürfe nur sein vorschriftsmäßiges Seitengewehr bei sich führen. Der Hauptmann erbittert und Rache schnaubend zieht seine Kompagnie 20 Schritte zurück, ließ dann umkehren und eine Bayonettattacke auf die Arbeiter machen. Diese wehrten sich dieselben mit Steinen ab, in Folge dessen ein Mann verwundet wurde, und hierauf kommandirte der Hauptmann Feuer, worauf gleich eine Masse Arbeiter theils todt theils verwundet niederstürzten. Wie beklagenswerth dieser Vorfall nun jedenfalls war, um so beklagenswerther sind aber die falschen Gerüchte, welche darüber in der ganzen Stadt verbreitet wurden. Alle Schuld wurde auf die Arbeiter geworfen und das war die Ursache, daß gestern Abend noch einige solche unmenschliche Scenen vorfielen. ‒ Die Arbeiter hatten in der Jakobsstraße eine Barrikade gebaut. Statt nun die Arbeiter ruhig hinter ihre Barrikade stehen zu lassen, griff man sie an und erschoß noch mehrere Arbeiter. Die Bürgerwehr wollte die Ehre haben, eine Barrikade gestürmt zu haben. Diese Ehre kam ihr aber auch theuer zu stehen, die Arbeiter vertheidigten die Barrikade tapfer und mehrere der Angreifer wurden erschossen und ihr Hauptmann verwundet. Der eingetretene Regen räumte nach und nach alle Straßen und heute ist die Ruhe der Stadt nicht gestört worden. Die Arbeiter, welche mit ihren Fahnen (vielleicht zwanzig der verschiedensten Art) heute vor die Vereinbarerversammlung zogen, verlangen: ein feierliches Begräbniß der Gefallenen im Friedrichshain auf Kosten des Staats und eine strenge Untersuchung gegen die Bürgerwehr. ‒ Die Vereinbarer werden wohl dieses Verlangen einstimmig genehmigen, denn so viel konnte man schon heute in der Sitzung sehen, daß die rechte Seite sowohl wie das Centrum allen Respekt vor den Arbeitern haben und sich wohl hüten werden, dem Wunsche der Arbeiter entgegen zu handeln. Obgleich es in allen konstitutionellen Staaten Sitte ist, daß die Anrede des Präsidenten und die Antwort des Königs der ganzen Versammlung mitgetheilt wird, unterließ dies Hr. Grabow dennoch. Erst heute, als der Staatsanzeiger die Rede des Präsidenten mittheilte, machte derselbe der Versammlung die nöthige Miltheilung. Er erzählte, daß diese Rede von den Präsidenten und Vicepräsidenten mit der Deputation vereinbart worden sei, daß er dieselbe vorher dem Ministerpräsidenten zusandte, daß ihm aber kein Koncept von der Antwort des Königs zugekommen sei, indem dieselbe eine improvisirte war; daher könne er auch keine Mittheilung davon machen, indem sehr leicht ein Satz anders wiedergegeben werden könne. 14 Berlin, 17. Oktober. Kurz nach Abgabe meines gestrigen Briefes wurde noch die Barrikade an der neuen Roß- und alten Jakobstraßen-Ecke von der Bürgerwehr gestürmt. Die Barrikade war seit 3 Uhr errichtet, aber, da es den Arbeitern an Waffen fehlte, schlecht vertheidigt, daß die gewaltsame Erstürmung durchaus nicht nothwendig war. Verschiedene bekannte Volksredner und einige Deputirte (Waldeck und Behrends) suchten das Volk zu beschwichtigen und die Bürgerwehr abzuhalten. Vergebens ‒ die rohen Bourgeois unter den letzteren mußten zeigen, daß sie schießen konnten. Das 10. Bataillon vollführte die Heldenthat. Major Vogel wurde tödtlich verwundet, ein anderer Bürgerwehrmann (Vergolder Schneider) von hinten durch den Kopf geschossen, also von seinen Kameraden getödtet. Vom Volke blieb ein kühner, junger Mann in seiner Kleidung, der oben auf der Barrikade die blutrothe Fahne schwang, und ein Arbeitsmann. Diese Beiden wurden gegen 9 Uhr unter Fackelschein zu den übrigen Leichen in's Schloß getragen. ‒ Um 11 Uhr wurde noch eine unvertheidigte Barrikade in der Dresdnerstraße genommen. Dann war Alles ruhig und der Ehrentag vollbracht! ‒ Der Sicherheitsausschuß im Schlosse hatte es in seiner Weisheit für rathsam befunden, Militär zu requiriren. Wirklich erschien gegen 10 Uhr das 12. Regiment, erhielt aber gleich Contreordre, da sich die Bürgerwehr heftig widersetzte und die Abgeordneten Elsner und Temme gleichfalls protestirt hatten. Bezeichnend erscheinen die Antworten der gereizten Arbeiter auf die Zureden der „Abwiegler.“ Den Klubbisten erwiderten sie: von ihnen hätten sie doch nichts zu erwarten; der Warnung, daß durch die Bekämpfung der Bürgerwehr das Militär herangezogen würde, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div xml:id="ar121_016" type="jArticle"> <pb facs="#f0003" n="0609"/> <p>Diese Arbeiterunruhen kommen den Demokraten um so unangenehmer, als gestern durch die vom Könige auf die Beglückwünschungsreden gegebenen Antworten große politische Mißstimmung hervorriefen.</p> <p>Während die ganze Bevölkerung Berlin's demnach sich auf den Straßen befindet und unruhig der Dinge erwartet, die da kommen werden, versammelt sich die Vereinbarer-Versammlung um 5 Uhr, um neue Präsidenten zu wählen. Obgleich vor Eröffnung der Sitzung die Herren Vereinbarer nur ausschließlich von den Dingen sprachen, welche außerhalb des Saals vorgingen, hält es doch Niemand der Mühe werth, deshalb die Tribüne zu besteigen. ‒ Wie man hört, sollen heute Nachmittag nach Schluß der Sitzung die Abgeordneten <hi rendition="#g">Behrend's</hi> und <hi rendition="#g">Waldeck</hi> sich zu den Arbeitern im Köpenicker Felde begeben haben, um solche dort so viel wie möglich beruhigt haben. Die beiden Abgeordneten sollen sich sogar hinter den daselbst gebauten Barrikaden begeben und zur Herstellung der Ruhe und zur Vorbeugung neuer Mißverständnisse viel beigetragen haben.</p> <p><hi rendition="#g">Man erzählt, daß die beiden Offiziere der Bürgerwehr, welche heute Feuer kommandirten, die reaktionärsten der Bürgerwehr seien, und dadurch gewinnt das Gerücht, daß die heutigen Ereignisse von der Reaktion provocirt wurden, vollständig Glauben.</hi> ‒ Möglicherweise kann die heutige Aufregung noch zu irgend einem günstigen Resultate führen.</p> <p>Die Abstimmung zur Präsidentenwahl giebt folgendes Resultat: Zahl der Abstimmenden 324. Grabow 231, Waldeck 88, Philips 3, Peterek 1, ungültig 1.</p> <p>Hierauf schreitet man zur Wahl der Vizepräsidenten und einiger neuen Sekretäre, deren Resultat morgen veröffentlicht wird.</p> <p><hi rendition="#g">Nachschrift.</hi> In der Jacobsstraße haben die Arbeiter Barrikaden gebaut. Sie halten solche besetzt und sind theilweis bewaffnet. Die Bürgerwehr will die Arbeiter nicht angreifen. Die Bewegung scheint nach und nach einen <hi rendition="#g">politischen Charakter</hi> anzunehmen. Die Arbeiter verlangen Garantie, daß solche Blutscenen nicht wieder vorfallen, und diese Garantie kann ihnen ein Ministerium Pfuel nicht geben.</p> </div> <div xml:id="ar121_017" type="jArticle"> <head><bibl><author>14</author></bibl> Berlin, 16. Okt.</head> <p>„ Sie haben nichts vergessen“ und doch ist's anders geworden. Gestern war Königs-Geburtstag. Se. Majestät wohnte dem Gottesdienste im Dome bei; in und vor demselben stand eine gewisse Menge Lakaien und Geheimräthe, die Hoch schrieen. Das Volk war draußen vor den Zelten bei einer Volksversammlung oder schlenderte wie alle Tage durch die Straßen. Keine Fahnen, keine Kränze, keine Schüsse etc. Es war schrecklich kahl.‒ Nachmittags war Festmahl der Patrioten im Kroll'schen Saale: 1500 Gedecke waren bestellt, aber nur 2-300 besetzt. Zum Schutze dieser Ritter stationirten schon seit Samstag Nacht 2 Kompagnien Soldaten im Thiergarten. Der Cavaignac der Marken war auch bei Kroll und die Luft bis Berlin wurde von den tapfern Trinksprüchen erschüttert. Am Abend machte das Geheimrathsviertel einige schwache Versuche, sich zu illuminiren; aber das Toben einiger Kinder genügte, die Lichter zu verlöschen. In der Nacht hörte man viele Schüsse. Der souveräne Lindenklub mit seinem Präsidenten Müller patrouillirte und sang: Vorwärts, Vorwärts!</p> <p>Zu diesen Denkwürdigkeiten können noch manche einzelne Anekdoten gefügt werden. So z. B. wurden am Morgen unter den Linden mehrere Dutzend schwarz-weiße Spaziergänger vom Volke entkokardet und ein besternter Herr, der in Galla nach Belle-Vue fuhr, von dem souveränen Proletariat gezwungen, auszusteigen und den Weg im Gallop zu Fuße fortzusetzen. Draußen aber im Temploy war großer Jubel. Die Herren Offiziere hatten ihre Soldaten mit 4 Groschen Courant beschenkt, und den Bauern die Kränze etc. bezahlt.</p> <p>In Potsdam wurde eine ausgeschriebene Volksversammlung von Polizeiwegen verboten.</p> <p>2 Uhr. So eben wird die Bürgerwehr alarmirt. Die Arbeiter auf dem Köpnicker-Felde sollen revoltiren.</p> <p>Halb 4 Uhr. Ich komme aus der Köpnickerstraße. Der Kampf zwischen den Erdarbeitern und der Bürgerwehr ist losgebrochen. Letztere hat Feuer gegeben und 11 Mann von dem Volke sind gefallen. Dasselbe vertheidigt sich wie rasend. Wenn es wahr ist, daß die Maschinenbauer (3000 Mann) auf Seite des Volkes treten, so haben wir ein schreckliches Blutbad zu erwarten. Auf dem Wege nach Hause (um diese Zeilen zu schreiben) sah ich, daß mehreren einzelnen Bürgerwehrmännern vom Volke die Waffen entrissen wurden. Andere flüchten mit ihren Waffen nach Hause.</p> <p>Die Veranlassung des Kampfes wird wie folgt erzählt:</p> <p>Man hatte zur Ueberwachung der Erdarbeiten zwei Kompagnieen Bürgerwehr ins Exerzierhaus vor das Thor verlegt. Die Arbeiter sollten heute auf Anordnung des Magistrats statt 15 nur 12 1/2 Sgr. Tagelohn erhalten; sie beschwerten sich vergebens. Als sie nun gegen Mittag mit einer Fahne ins Exerzierhaus dringen, um die Bürger ihrer friedlichen Gesinnung zu versichern, mißverstehen diese ihr Kommen und gehen mit gefälltem Bajonnet auf das Volk los. Darauf ein Steinregen von Seiten dieses und Schüsse von den Bürgern.</p> <p>5 Uhr. Vor dem Schlosse ist viele Bürgerwehr. Ich sehe einen Zug Volks mit dumpfem Wuthgeheul nahen. Sie tragen fünf Bahren mit Todten, die in der Roßstraße fielen und setzten dieselben im Schloßhofe nieder.</p> <p>6 Uhr. Der Kampf in der innern Stadt hat aufgehört. An der Ecke der Roß- und alten Jakobstraße war eine Barrikade erbaut, wurde aber vom Volke selbst wieder abgetragen. Die Bürgerwehr vertheilt sich in allen Straßen.</p> <p>Gegen 7 Uhr. Ich befinde mich in der Breitenstraße. Eine große Masse Menschen mit einer Fackel und rothen Fahne zieht durch die Straße. Es fällt ein Schuß. Die Bürgerwehr entfernt sich und der Zug zieht durch die Rosenthalerstraße, um den Hauptmann der Bürgerwehr, welcher zuerst zum Schießen kommandirt, aufzusuchen.</p> </div> <div xml:id="ar121_018" type="jArticle"> <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 16. Oktbr</head> <p>Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. Discussion über die Einleitung zur Verfassungs-Urkunde.‒</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Keferstein:</hi> Es ist die Frage, soll die gegenwärtige Versammlung die Verfassung vereinbaren, oder soll sie dieselbe festsetzen, ohne daß dem Könige ein Einspruch zustehe. Letzteres ist ein Standpunkt, auf dem wir uns unmöglich stellen können. Es ist schon hier zum Ueberdruß von der Revolution die Rede gewesen, aber ich kann nicht zugeben, daß die Grundfesten des Staats durch dieselbe erschüttert worden sind. Was die Krone zugestanden, hat sie aus freiem Willen zugestanden. Es kann sich nicht darum handeln, was in der innern Seele desjenigen vorging, der im März seine Versprechungen ertheilte Wir haben uns nur nach dem Wahlgesetz vom 8. April zu richten.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Jung:</hi> Wir finden in der Einleitung der Verfassungs-Urkunde ein Gemisch von Altem und Neuem, dazwischen aber eine Mißgeburt, ein Wort, das man bisher nie kannte, das Wort „Vereinbarung“. Mit diesem Worte hat es eine eigene Bewandniß. Es gibt zwei Regierungssysteme. Das eine das absolute, wenn das Volk theils zu faul, theils zu unwissend ist, um an der Regierung Theil zu nehmen und es daher einem Einzigen überlassen bleibt. Das andere reine Regierungssystem ist das, wo sich das Volk durch seine Vertreter selbst Gesetze gibt. Nun versucht man aber ein Mittelding zwischen diesen beiden Systemen herzustellen: ein constitutionelles. Dieses System hat sich aber in Frankreich gründlich zu Grunde gerichtet und ist seit Februar unmöglich geworden. ‒ Eine Vereinbarung hat am 19. März hier stattgefunden; damals versprach der König eine Verfassung auf breitester Grundlage. Diese haben wir auszuarbeiten und festzusetzen. ‒ Man beruft sich auf das Wahlgesetz vom April und wirft uns vor, daß Niemand dagegen protestirt habe. Ein freies Volk protestirt aber nie, es handelt. Der vereinigte Landtag protestirte, wir aber wollen beschließen. Wir haben also demnach die Versprechungen des März festzustellen und wollen mit v. Vinke rufen: Recht muß doch Recht bleiben. ‒</p> <p><hi rendition="#g">Minister-Präsident:</hi> Das Amendement der Herren <hi rendition="#g">Jung</hi> und <hi rendition="#g">Mätze,</hi> mit den eben gehörten Entwicklungen, muß nothwendig zu der Voraussetzung führen, als habe die Krone nicht das Recht, die Verfassung anzunehmen oder abzulehnen. Wir müssen hier aber unsere Ansicht aussprechen, daß die Versammlung beschließt und die Krone erwägt, ob sie die beschlossene ‒ Verfassung annehmen will oder nicht. ‒</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">v. Berg:</hi> Es gibt keinen größern Fehler als die Furcht. So ist auch die Furcht vor dem Worte <hi rendition="#g">Vereinbarung</hi> eine voreilige. Daß wir heute hierüber streiten ist ein Fehler, den wir damit begehen, daß wir zuvor die Vorrede machen wollen, ehe das Buch geschrieben ist. Ich glaube aber, wer die Macht hat, der wird zu bestimmen haben. Wenn wir die Verfassung werden berathen haben und die Macht der öffentlichen Meinung ist noch auf unserer Seite, so wird es der Krone unmöglich sein, unsere Bestimmungen umzuwerfen. Der Geist der Zeit wird Tag für Tag unsere Beschlüsse bestimmen und seinen Einfluß darauf ausüben. Warten wir demnach das Ende unserer Berathungen ab.</p> <p>Minister <hi rendition="#g">Eichmann:</hi> Ich glaube, daß den Ereignissen der Märztage ihre Rechnung gegeben worden ist. In Folge derselben ist diese Versammlung, von Wählern ohne die Beschränkung eines Census gewählt. Mit dieser Versammlung will sich die Krone vereinbaren. Sie werden zugeben, daß die Krone viel nachgegehen. Vermeiden sie daher alle Conflikte. Die Krone wird Alles anwenden, sich mit der Versammlung zu vereinbaren.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Mätze:</hi> Es sollte kein Streit über das Wort „vereinbaren“ hier stattfinden, ist uns hier gesagt, warum denn aber nicht? Wenn wir der Ansicht des Ministers beitreten, dann würden wir weiter nichts sein, als der vereinigte Landtag, welcher auch beschloß und die Krone nach ihrem Gutdünken annahm oder verwarf. Man werfe uns nicht vor, daß gegen das Wahlgesetz und gegen das Wort Vereinbarung nicht protestirt worden sei. Das ganze Land erhob sich dagegen und ich muß daher fest an den von uns vorgeschlagenen Amendements halten, welche lauten: „Wir etc. verkünden hiermit die von den Vertretern des Volks beschlossene Verfassung.“</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Behrens:</hi> Dieselben Gründe, die wir für die Streichung der Worte „von Gottes Gnaden“ gelten ließen, sprechen auch gegen den Ausdruck Vereinbarung. Vereinbaren können zwei Privatleute, die handeln und gegenseitige Zugeständnisse machen. Aber ein freies Volk feilscht nicht mit der Krone um die Verfassung, es stellt sie selbst fest. ‒ Wir müssen die Verfassung beschließen, die Krone nimmt sie entweder an, oder verwirft sie und appellirt an das Volk. ‒ Wenn wir das Wort: „Vereinbarung“ aus der Verfassung entfernen wollen, so wollen wir uns eben damit auf einen festen Boden stellen; das Ministerium Camphausen, welches dieses Wort erfunden, hat sich dadurch genöthigt gesehen, abzudanken. Beharren wir daher fest an unserm Recht, die Verfassung zu beschließen.</p> <p>Minister <hi rendition="#g">Bonin:</hi> Der Abg. Mätze hob hervor, daß durch das Prinzip der Vereinbarung diese Versammlung zurückversetzt sei in die Zeit des vereinigten Landtags. Bedenken Sie aber, daß dazwischen das Gesetz vom 6. April liegt, welches dem Volke viele Freiheiten gibt. Wenn hier von Handeln und Feilschen gesprochen worden ist, so muß ich mich entschieden dagegen aussprechen. Unter Vereinbarung verstehe ich nur eine friedliche Vereinigung. Es ist auf unser Programm Bezug genommen worden, ja wir werden die Rechte der Krone zu schützen suchen. Es ist unser Wunsch, daß die Verfassung das Wohl des ganzen Vaterlandes begründtn, und da wir das wollen, müssen wir an dem Prinzip der Vereinbarung festhalten.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Temme:</hi> Es handelt sich zunächst um die Wichtigkeit des Wortes Vereinbarung. Ich glaube, sie ist schon dadurch anerkannt, daß drei der Herren Minister das Wort deshalb ergriffen. Man hat uns auf das Wahlgesetz verwiesen, ich aber kann mein Mandat nicht daher leiten; ich leite es von dem Willen des Volkes her, von meinen Wählern, welche mich hierher sandten. Meines Erachtens setzt jede Verfassung eine Vereinbarung voraus. Es ist nur der Unterschied, ob sie vom Volke dem Könige, oder vom Könige dem Volke zur Annahme vorgelegt wird. Wird die von uns zu berathende Verfassung vom Könige nicht angenommen, so ist sie keine; wird sie angenommen so ist das eben eine Vereinbarung. Daß wir das Recht haben, dem Könige eine Verfassung vorzulegen, das ist die Folge der Revolution. Die Revolution ist das letzte Recht des Volkes, wie der Krieg das letzte Recht der Staaten ist. ‒ Ich fürchte nicht die vom Minister-Präsidenten angedeutete Eventualität, tritt sie ein, so sind nicht wir dafür verantwortlich.</p> <p><hi rendition="#g">Minister-Präsident:</hi> Ich will mich nur gegen die Auslegung meiner Worte verwahren. Ich verstehe unter Vereinbarung, daß wir eine Aenderung vorschlagen würden, und so, nach und nach, eine Verständigung zu Stande bringen.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Riedel:</hi> Wie der Abg. Temme hervorhob, kann auch vom Volke dem Könige eine Verfassung octroyirt werden. Wenn man dem Könige eine Verfassung aufdringen will, kann er seine Krone niederlegen. Dies will ich aber nicht und deshalb bin ich für die Vereinbarung. Diese ist auch durch das Aprilgesetz festgesetzt. Ich acceptire die Ansicht des Abg. Jung, daß das Volk mit dem König im März einen Vertrag abgeschlossen, dessen Folge die Vereinbarung ist. Ich habe oft außerhalb dieser Versammlung Redner gehört, welche das Prinzip der Vereinbarung geißelten; ich wunderte mich nicht, daß es dort solche Reformatoren gibt, welche das Volk aufreizen und den ganzen historischen Standpunkt umstürzen wollen. Aber daß es in dieser Versammlung auch solche Redner gibt, hätte ich nicht erwartet, denn dieselben sind auf das Aprilgesetz gewählt und müßten ihr Mandat zurückgeben, wenn sie sich diesem Gesetze nicht fügen wollen; denn unsere ganze Versammlung ist ohne Mandat, und unsere Beschlüsse sind nichtig, wenn wir nicht mehr vereinbaren wollen. ‒</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Parisius:</hi> Weder von dem Ministertische, noch von den andern Rednern ist, meiner Ansicht nach, die Bedeutung des Wortes „Vereinbarung“ richtig aufgegriffen worden. Am 5. Septbr. wurde in Wien das Ministerium über die Bedeutung des Wortes interpellirt. Es antwortete darauf am 7. Septbr. und ich schließe mich dieser Antwort vollkommen an. (Er verlies't die bekannte Antwort). Wenn wir dieser Ansicht beitreten, so können wir kein anderes Wort als das Wort „Vereinbarung“ dafür setzen. Es liegt darin der Friede und die gegenseitige Zustimmung.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Schramm.</hi> (Eine thatsächliche Bemerkung.) Der Abg. Parisius sagte, daß kein Konflikt der Krone mit dem Volke stattfinde. Das verantwortliche Ministerium hat aber einem solchen Konflikte nicht vorgebeugt, denn <hi rendition="#g">der König hat gestern der bei ihm anwesenden Deputation durch seine Worte geradezu ins Gesicht geschlagen.</hi> (Ruf zur Ordnung.)</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Wollheim:</hi> Was ist der Grund, daß von einer Seite so stark für das Wort Vereinbarung gekämpft wird. Einestheils kann aus Pietät entstanden sein, aus Pietät gegen die Krone, Anderntheils ist man der Ansicht, daß dem Volke keine Wohlthaten anders erblühen können. Aber ich behaupte, jemehr Rechte sich die Krone begibt, jemehr Halt wird sie im Volke finden.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Scheele:</hi> Man kann den König nicht dem bloßen Staatsbürger gleichstellen, er nimmt eine Stelle über dem Volke ein. Deshalb hat die Vereinbarung einen andern Sinn, als die zwischen zwei Privatpersonen. ‒ Der König und das Volk sind eins, wir müssen den König nicht betrachten als dem Volke gegenüberstehend. ‒ Das Wohl des Volkes ist das höchste Gesetz, nach dem wir uns richten müssen, und danach haben wir unsere Beschlüsse zu fassen.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Weichsel:</hi> Zuerst muß ich mich gegen das Wort „uns“ erklären, da das noch der alten Zeit angehört und mit dem „Gottes Gnaden“ fallen muß. ‒ Lassen sie uns einen Blick in die frühere Zeit werfen. Es war von jeher das Volk, welches mit seinen Fürsten, durch einen Vertrag die Regierung ordnete. ‒ Volkssouveränetät ist der ausgeprägte Wille des ganzen Volkes, nicht eine Majorität dieser Versammlung. Halten wir an dem ausgeprägten Willen des Volkes fest, es will die Erfüllung der ihm gegebenen Versprechungen. ‒ Ich muß mich nun dagegen erklären, daß die Verfassung von einer Seite aufgedrungen werde, nur auf dem Wrge des Vertrages muß sie festgestellt werden.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Dahne:</hi> Ich bin der Ansicht, daß die Souverainetät naturgemäß im Volke liegt, und daß sie dem Volke angeboren ist. Bis zum März war die Souverainetät aber im Besitze der Krone. Durch die Revolution ist ein Theil derselben wieder dem Volke übergeben worden, daher müssen sich die Inhaber der Souverainetät mit einander vereinbaren.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Plönnies:</hi> Der Wille des Volkes hat uns hierhergesandt, um mit der Krone zu vereinbaren. Wenn wir die Krone zwingen wollten, das anzunehmen, was wir ihr vorschreiben, so wäre das ein Absolutismus von unten.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Jung:</hi> Ich möchte die Frage auf ihren eigentlichen Kernpunkt zurückführen, auf das constitutionelle Schaukelsystem, welches man uns aufdringen will. Die alte Theilung der Souverainetät genügt nicht mehr. Man wirft uns vor, daß die königliche Macht gebrochen ist, wenn der König nur die von uns angenommenen Beschlüsse ausführt. Ist es nicht ehrenhaft, wenn der König der erste Mann des preußischen Volkes ist? ‒ Wenn man uns, das von unsern Wählern empfangene Mandat vorhält, so erkläre ich, daß ich meinen Wählern gegenüber, mich gegen das Prinzip der Vereinbarung erkläre.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Rehfeld:</hi> Wenn wir das Jungsche Amendement annehmen, so würden wir dadurch die Minister nur zu unsern Handlangern und den König zum Inhaber einer Sinecure machen. Man sprach, daß es in dem Willen des Volkes gelegen hätte, die Krone abzuschaffen; aber die siegreiche Armee ist nur auf den Befehl des Königs abgetreten.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Siebert:</hi> Es wäre eine eigenthümliche Vereinbarung, wenn der König erklären könnte, daß er die Beschlüsse der Versammlung nicht annehmen wolle, und wir uns damit begnügen müßten. Der vereinigte Landtag konnte uns keine größere Befugnisse geben als er selbst hat, demnach sind wir hier um den Willen des Volkes zur Geltung bringen, das Volk wollte nicht mehr petitioniren, und hat uns in Folge der Revolution zu Vertretern seines Willens hierhergesandt.</p> <p>Und wir sollen den Willen des Volkes unter allen Umständen durchsetzen. Aber die Aeußerung des Ministeriums hat uns heute gezeigt, daß nicht dieser Wille, sondern der des Kronträgers durchdringen soll. Ich bin besonders gegen dies Wort (Vereinbarung) weil ich mit Recht befürchten muß, man wird aus diesem Ausdrucke später mit diplomatischer Schlauheit alle gegebenen Zusicherungen wieder verleugnen wollen. ‒ Wer hat in Frankreich die Republik herbeigeführt? Nicht die Republikaner, sondern die Räthe der Krone. <hi rendition="#g">Und auch hier sitzen diejenigen, die eine Republik herbeiführen werden, am Ministertisch.</hi> (Allgemeines Gelächter.)</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Riel:</hi> Der Kern des Ganzen sei, daß die Souveränetät durch die Märzrevolution aufs Volk übergegangen und nicht mehr in dem Kabinette läge. Reichen wir aber die Hand nochmals zur Versöhnung und suchen wir uns zu vereinbaren. Wird diese Hand aber zurückgewiesen, so werden wir wissen, wie wir die Rechte des Volkes zu vertreten haben. ‒</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Ciescowski</hi> deutet darauf hin, daß es sich hier eigentlich um das Veto handele, welches erst im vierten Theile der Verfassung zur Diskussion komme.</p> <p><hi rendition="#g">Abstimmung:</hi> Zuerst wird das Amendement <hi rendition="#g">Jung-Maetze,</hi> (äußerste Linke) welches lautet: „Wir etc. verkündigen hiermit folgende von den Vertretern des Volkes beschlossene Verfassung“ ‒ mit 216 gegen 110 Stimmen nach namentlicher Abstimmung verworfen. ‒ Auch das Amendement des Abgeordneten <hi rendition="#g">Siebert</hi> (gemäßigte Linke): Die Publikationsformel möge also lauten: „verkünden hiermit die, nach dem Willen der Vertreter des Breußischen Volkes festgestellte und von uns angenommene Verfassung“ ‒ wird ohne namentliche Abstimmung verworfen. ‒ Hierauf kommt die Reihe an das Amendement des Abg. <hi rendition="#g">Riel:</hi> Statt der vorgeschlagenen Publikationsformel ist zu setzen: „verkünden hiermit die von den Stellvertretern des Volkes durch <hi rendition="#g">Vereinbarung</hi> mit uns festgestellte Verfassung“, welches nach namentlicher Abstimmung mit 284 gegen 43 Stimmen <hi rendition="#g">angenommen</hi> wird.</p> <p>Der Entwurf der Commission und die anderen Amendements sind hiernach gefallen. Schluß der Sitzung 2 Uhr.</p> </div> <div xml:id="ar121_019" type="jArticle"> <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 17. Okt.</head> <p>Unsere reaktionäre und konstitutionelle Presse bringt die lügenhaftesten Berichte über die gestrigen Vorfälle. Der Minister hat in seiner heutigen Darstellung in der Kammer diese Vorfälle aus einem ganz falschen Standpunkte aufgefaßt. Aus authentischer Quelle können wir versichern, daß die Arbeiter gestern keinesfalls Veranlassung gaben, zu dem unmenschlichen Morden, welches ein unsinniger Bürgerwehr-Hauptmann (ein Bäckermeister Schulz) kommandirte. Die Arbeiter hatten gestern Vormittag ruhig gearbeitet und brachten um die Mittagsstunde ihrem Schachtmeister zu seinem Geburtstage ein Vivat. Als sie von diesem Zuge zurückkamen, wobei sie sich eine neue rothe Fahne mit der Inschrift: „Einigkeit macht stark!“ hatten vortragen lassen, passirten sie das Exerzierhaus auf dem Köpnickerfelde, in welchem ein Bataillon Bürgerwehr aufgestellt war. Die Arbeiter brachten der Bürgerwehr ein Hoch und grüßten dieselbe freundschaftlich. Diese nahm diesen Gruß als Spott auf und lockte einen Theil der Arbeiter ins Exerzierhaus, um sie festzunehmen. Dadurch entstand Streit und Erbitterung. Der Hauptmann wurde von Arbeitern wegen dieses Benehmens zur Rede gestellt, und als er ein Pistol blind abfeuerte, von den Arbeitern entwaffnet. Sie gaben jedoch das Pistol sogleich an einen Bürgerwehrmann, zurück, indem sie behaupteten, ein Hauptmann dürfe nur sein vorschriftsmäßiges Seitengewehr bei sich führen. Der Hauptmann erbittert und Rache schnaubend zieht seine Kompagnie 20 Schritte zurück, ließ dann umkehren und eine Bayonettattacke auf die Arbeiter machen. Diese wehrten sich dieselben mit Steinen ab, in Folge dessen ein Mann verwundet wurde, und hierauf kommandirte der Hauptmann Feuer, worauf gleich eine Masse Arbeiter theils todt theils verwundet niederstürzten.</p> <p>Wie beklagenswerth dieser Vorfall nun jedenfalls war, um so beklagenswerther sind aber die falschen Gerüchte, welche darüber in der ganzen Stadt verbreitet wurden. Alle Schuld wurde auf die Arbeiter geworfen und das war die Ursache, daß gestern Abend noch einige solche unmenschliche Scenen vorfielen. ‒ Die Arbeiter hatten in der Jakobsstraße eine Barrikade gebaut. Statt nun die Arbeiter ruhig hinter ihre Barrikade stehen zu lassen, griff man sie an und erschoß noch mehrere Arbeiter. Die Bürgerwehr wollte die Ehre haben, eine Barrikade gestürmt zu haben. Diese Ehre kam ihr aber auch theuer zu stehen, die Arbeiter vertheidigten die Barrikade tapfer und mehrere der Angreifer wurden erschossen und ihr Hauptmann verwundet.</p> <p>Der eingetretene Regen räumte nach und nach alle Straßen und heute ist die Ruhe der Stadt nicht gestört worden. Die Arbeiter, welche mit ihren Fahnen (vielleicht zwanzig der verschiedensten Art) heute vor die Vereinbarerversammlung zogen, verlangen: ein feierliches Begräbniß der Gefallenen im Friedrichshain auf Kosten des Staats und eine strenge Untersuchung gegen die Bürgerwehr. ‒ Die Vereinbarer werden wohl dieses Verlangen einstimmig genehmigen, denn so viel konnte man schon heute in der Sitzung sehen, daß die rechte Seite sowohl wie das Centrum allen Respekt vor den Arbeitern haben und sich wohl hüten werden, dem Wunsche der Arbeiter entgegen zu handeln.</p> <p>Obgleich es in allen konstitutionellen Staaten Sitte ist, daß die Anrede des Präsidenten und die Antwort des Königs der ganzen Versammlung mitgetheilt wird, unterließ dies <hi rendition="#g">Hr. Grabow</hi> dennoch. Erst heute, als der Staatsanzeiger die Rede des Präsidenten mittheilte, machte derselbe der Versammlung die nöthige Miltheilung. Er erzählte, daß diese Rede von den Präsidenten und Vicepräsidenten mit der Deputation vereinbart worden sei, daß er dieselbe vorher dem Ministerpräsidenten zusandte, daß ihm aber kein Koncept von der Antwort des Königs zugekommen sei, indem dieselbe eine improvisirte war; daher könne er auch keine Mittheilung davon machen, indem sehr leicht ein Satz anders wiedergegeben werden könne.</p> </div> <div xml:id="ar121_020" type="jArticle"> <head><bibl><author>14</author></bibl> Berlin, 17. Oktober.</head> <p>Kurz nach Abgabe meines gestrigen Briefes wurde noch die Barrikade an der neuen Roß- und alten Jakobstraßen-Ecke von der Bürgerwehr gestürmt. Die Barrikade war seit 3 Uhr errichtet, aber, da es den Arbeitern an Waffen fehlte, schlecht vertheidigt, daß die gewaltsame Erstürmung durchaus nicht nothwendig war. Verschiedene bekannte Volksredner und einige Deputirte (Waldeck und Behrends) suchten das Volk zu beschwichtigen und die Bürgerwehr abzuhalten. Vergebens ‒ die rohen Bourgeois unter den letzteren mußten zeigen, daß sie schießen konnten. Das 10. Bataillon vollführte die Heldenthat. Major Vogel wurde tödtlich verwundet, ein anderer Bürgerwehrmann (Vergolder Schneider) <hi rendition="#g">von hinten</hi> durch den Kopf geschossen, <hi rendition="#g">also von seinen Kameraden getödtet.</hi> Vom Volke blieb ein kühner, junger Mann in seiner Kleidung, der oben auf der Barrikade die blutrothe Fahne schwang, und ein Arbeitsmann. Diese Beiden wurden gegen 9 Uhr unter Fackelschein zu den übrigen Leichen in's Schloß getragen. ‒ Um 11 Uhr wurde noch eine unvertheidigte Barrikade in der Dresdnerstraße genommen. Dann war Alles ruhig und der Ehrentag vollbracht! ‒ Der Sicherheitsausschuß im Schlosse hatte es in seiner Weisheit für rathsam befunden, Militär zu requiriren. Wirklich erschien gegen 10 Uhr das 12. Regiment, erhielt aber gleich Contreordre, da sich die Bürgerwehr heftig widersetzte und die Abgeordneten Elsner und Temme gleichfalls protestirt hatten.</p> <p>Bezeichnend erscheinen die Antworten der gereizten Arbeiter auf die Zureden der „Abwiegler.“ Den Klubbisten erwiderten sie: von ihnen hätten sie doch nichts zu erwarten; der Warnung, daß durch die Bekämpfung der Bürgerwehr das Militär herangezogen würde, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0609/0003]
Diese Arbeiterunruhen kommen den Demokraten um so unangenehmer, als gestern durch die vom Könige auf die Beglückwünschungsreden gegebenen Antworten große politische Mißstimmung hervorriefen.
Während die ganze Bevölkerung Berlin's demnach sich auf den Straßen befindet und unruhig der Dinge erwartet, die da kommen werden, versammelt sich die Vereinbarer-Versammlung um 5 Uhr, um neue Präsidenten zu wählen. Obgleich vor Eröffnung der Sitzung die Herren Vereinbarer nur ausschließlich von den Dingen sprachen, welche außerhalb des Saals vorgingen, hält es doch Niemand der Mühe werth, deshalb die Tribüne zu besteigen. ‒ Wie man hört, sollen heute Nachmittag nach Schluß der Sitzung die Abgeordneten Behrend's und Waldeck sich zu den Arbeitern im Köpenicker Felde begeben haben, um solche dort so viel wie möglich beruhigt haben. Die beiden Abgeordneten sollen sich sogar hinter den daselbst gebauten Barrikaden begeben und zur Herstellung der Ruhe und zur Vorbeugung neuer Mißverständnisse viel beigetragen haben.
Man erzählt, daß die beiden Offiziere der Bürgerwehr, welche heute Feuer kommandirten, die reaktionärsten der Bürgerwehr seien, und dadurch gewinnt das Gerücht, daß die heutigen Ereignisse von der Reaktion provocirt wurden, vollständig Glauben. ‒ Möglicherweise kann die heutige Aufregung noch zu irgend einem günstigen Resultate führen.
Die Abstimmung zur Präsidentenwahl giebt folgendes Resultat: Zahl der Abstimmenden 324. Grabow 231, Waldeck 88, Philips 3, Peterek 1, ungültig 1.
Hierauf schreitet man zur Wahl der Vizepräsidenten und einiger neuen Sekretäre, deren Resultat morgen veröffentlicht wird.
Nachschrift. In der Jacobsstraße haben die Arbeiter Barrikaden gebaut. Sie halten solche besetzt und sind theilweis bewaffnet. Die Bürgerwehr will die Arbeiter nicht angreifen. Die Bewegung scheint nach und nach einen politischen Charakter anzunehmen. Die Arbeiter verlangen Garantie, daß solche Blutscenen nicht wieder vorfallen, und diese Garantie kann ihnen ein Ministerium Pfuel nicht geben.
14 Berlin, 16. Okt. „ Sie haben nichts vergessen“ und doch ist's anders geworden. Gestern war Königs-Geburtstag. Se. Majestät wohnte dem Gottesdienste im Dome bei; in und vor demselben stand eine gewisse Menge Lakaien und Geheimräthe, die Hoch schrieen. Das Volk war draußen vor den Zelten bei einer Volksversammlung oder schlenderte wie alle Tage durch die Straßen. Keine Fahnen, keine Kränze, keine Schüsse etc. Es war schrecklich kahl.‒ Nachmittags war Festmahl der Patrioten im Kroll'schen Saale: 1500 Gedecke waren bestellt, aber nur 2-300 besetzt. Zum Schutze dieser Ritter stationirten schon seit Samstag Nacht 2 Kompagnien Soldaten im Thiergarten. Der Cavaignac der Marken war auch bei Kroll und die Luft bis Berlin wurde von den tapfern Trinksprüchen erschüttert. Am Abend machte das Geheimrathsviertel einige schwache Versuche, sich zu illuminiren; aber das Toben einiger Kinder genügte, die Lichter zu verlöschen. In der Nacht hörte man viele Schüsse. Der souveräne Lindenklub mit seinem Präsidenten Müller patrouillirte und sang: Vorwärts, Vorwärts!
Zu diesen Denkwürdigkeiten können noch manche einzelne Anekdoten gefügt werden. So z. B. wurden am Morgen unter den Linden mehrere Dutzend schwarz-weiße Spaziergänger vom Volke entkokardet und ein besternter Herr, der in Galla nach Belle-Vue fuhr, von dem souveränen Proletariat gezwungen, auszusteigen und den Weg im Gallop zu Fuße fortzusetzen. Draußen aber im Temploy war großer Jubel. Die Herren Offiziere hatten ihre Soldaten mit 4 Groschen Courant beschenkt, und den Bauern die Kränze etc. bezahlt.
In Potsdam wurde eine ausgeschriebene Volksversammlung von Polizeiwegen verboten.
2 Uhr. So eben wird die Bürgerwehr alarmirt. Die Arbeiter auf dem Köpnicker-Felde sollen revoltiren.
Halb 4 Uhr. Ich komme aus der Köpnickerstraße. Der Kampf zwischen den Erdarbeitern und der Bürgerwehr ist losgebrochen. Letztere hat Feuer gegeben und 11 Mann von dem Volke sind gefallen. Dasselbe vertheidigt sich wie rasend. Wenn es wahr ist, daß die Maschinenbauer (3000 Mann) auf Seite des Volkes treten, so haben wir ein schreckliches Blutbad zu erwarten. Auf dem Wege nach Hause (um diese Zeilen zu schreiben) sah ich, daß mehreren einzelnen Bürgerwehrmännern vom Volke die Waffen entrissen wurden. Andere flüchten mit ihren Waffen nach Hause.
Die Veranlassung des Kampfes wird wie folgt erzählt:
Man hatte zur Ueberwachung der Erdarbeiten zwei Kompagnieen Bürgerwehr ins Exerzierhaus vor das Thor verlegt. Die Arbeiter sollten heute auf Anordnung des Magistrats statt 15 nur 12 1/2 Sgr. Tagelohn erhalten; sie beschwerten sich vergebens. Als sie nun gegen Mittag mit einer Fahne ins Exerzierhaus dringen, um die Bürger ihrer friedlichen Gesinnung zu versichern, mißverstehen diese ihr Kommen und gehen mit gefälltem Bajonnet auf das Volk los. Darauf ein Steinregen von Seiten dieses und Schüsse von den Bürgern.
5 Uhr. Vor dem Schlosse ist viele Bürgerwehr. Ich sehe einen Zug Volks mit dumpfem Wuthgeheul nahen. Sie tragen fünf Bahren mit Todten, die in der Roßstraße fielen und setzten dieselben im Schloßhofe nieder.
6 Uhr. Der Kampf in der innern Stadt hat aufgehört. An der Ecke der Roß- und alten Jakobstraße war eine Barrikade erbaut, wurde aber vom Volke selbst wieder abgetragen. Die Bürgerwehr vertheilt sich in allen Straßen.
Gegen 7 Uhr. Ich befinde mich in der Breitenstraße. Eine große Masse Menschen mit einer Fackel und rothen Fahne zieht durch die Straße. Es fällt ein Schuß. Die Bürgerwehr entfernt sich und der Zug zieht durch die Rosenthalerstraße, um den Hauptmann der Bürgerwehr, welcher zuerst zum Schießen kommandirt, aufzusuchen.
103 Berlin, 16. Oktbr Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. Discussion über die Einleitung zur Verfassungs-Urkunde.‒
Abg. Keferstein: Es ist die Frage, soll die gegenwärtige Versammlung die Verfassung vereinbaren, oder soll sie dieselbe festsetzen, ohne daß dem Könige ein Einspruch zustehe. Letzteres ist ein Standpunkt, auf dem wir uns unmöglich stellen können. Es ist schon hier zum Ueberdruß von der Revolution die Rede gewesen, aber ich kann nicht zugeben, daß die Grundfesten des Staats durch dieselbe erschüttert worden sind. Was die Krone zugestanden, hat sie aus freiem Willen zugestanden. Es kann sich nicht darum handeln, was in der innern Seele desjenigen vorging, der im März seine Versprechungen ertheilte Wir haben uns nur nach dem Wahlgesetz vom 8. April zu richten.
Abg. Jung: Wir finden in der Einleitung der Verfassungs-Urkunde ein Gemisch von Altem und Neuem, dazwischen aber eine Mißgeburt, ein Wort, das man bisher nie kannte, das Wort „Vereinbarung“. Mit diesem Worte hat es eine eigene Bewandniß. Es gibt zwei Regierungssysteme. Das eine das absolute, wenn das Volk theils zu faul, theils zu unwissend ist, um an der Regierung Theil zu nehmen und es daher einem Einzigen überlassen bleibt. Das andere reine Regierungssystem ist das, wo sich das Volk durch seine Vertreter selbst Gesetze gibt. Nun versucht man aber ein Mittelding zwischen diesen beiden Systemen herzustellen: ein constitutionelles. Dieses System hat sich aber in Frankreich gründlich zu Grunde gerichtet und ist seit Februar unmöglich geworden. ‒ Eine Vereinbarung hat am 19. März hier stattgefunden; damals versprach der König eine Verfassung auf breitester Grundlage. Diese haben wir auszuarbeiten und festzusetzen. ‒ Man beruft sich auf das Wahlgesetz vom April und wirft uns vor, daß Niemand dagegen protestirt habe. Ein freies Volk protestirt aber nie, es handelt. Der vereinigte Landtag protestirte, wir aber wollen beschließen. Wir haben also demnach die Versprechungen des März festzustellen und wollen mit v. Vinke rufen: Recht muß doch Recht bleiben. ‒
Minister-Präsident: Das Amendement der Herren Jung und Mätze, mit den eben gehörten Entwicklungen, muß nothwendig zu der Voraussetzung führen, als habe die Krone nicht das Recht, die Verfassung anzunehmen oder abzulehnen. Wir müssen hier aber unsere Ansicht aussprechen, daß die Versammlung beschließt und die Krone erwägt, ob sie die beschlossene ‒ Verfassung annehmen will oder nicht. ‒
Abg. v. Berg: Es gibt keinen größern Fehler als die Furcht. So ist auch die Furcht vor dem Worte Vereinbarung eine voreilige. Daß wir heute hierüber streiten ist ein Fehler, den wir damit begehen, daß wir zuvor die Vorrede machen wollen, ehe das Buch geschrieben ist. Ich glaube aber, wer die Macht hat, der wird zu bestimmen haben. Wenn wir die Verfassung werden berathen haben und die Macht der öffentlichen Meinung ist noch auf unserer Seite, so wird es der Krone unmöglich sein, unsere Bestimmungen umzuwerfen. Der Geist der Zeit wird Tag für Tag unsere Beschlüsse bestimmen und seinen Einfluß darauf ausüben. Warten wir demnach das Ende unserer Berathungen ab.
Minister Eichmann: Ich glaube, daß den Ereignissen der Märztage ihre Rechnung gegeben worden ist. In Folge derselben ist diese Versammlung, von Wählern ohne die Beschränkung eines Census gewählt. Mit dieser Versammlung will sich die Krone vereinbaren. Sie werden zugeben, daß die Krone viel nachgegehen. Vermeiden sie daher alle Conflikte. Die Krone wird Alles anwenden, sich mit der Versammlung zu vereinbaren.
Abg. Mätze: Es sollte kein Streit über das Wort „vereinbaren“ hier stattfinden, ist uns hier gesagt, warum denn aber nicht? Wenn wir der Ansicht des Ministers beitreten, dann würden wir weiter nichts sein, als der vereinigte Landtag, welcher auch beschloß und die Krone nach ihrem Gutdünken annahm oder verwarf. Man werfe uns nicht vor, daß gegen das Wahlgesetz und gegen das Wort Vereinbarung nicht protestirt worden sei. Das ganze Land erhob sich dagegen und ich muß daher fest an den von uns vorgeschlagenen Amendements halten, welche lauten: „Wir etc. verkünden hiermit die von den Vertretern des Volks beschlossene Verfassung.“
Abg. Behrens: Dieselben Gründe, die wir für die Streichung der Worte „von Gottes Gnaden“ gelten ließen, sprechen auch gegen den Ausdruck Vereinbarung. Vereinbaren können zwei Privatleute, die handeln und gegenseitige Zugeständnisse machen. Aber ein freies Volk feilscht nicht mit der Krone um die Verfassung, es stellt sie selbst fest. ‒ Wir müssen die Verfassung beschließen, die Krone nimmt sie entweder an, oder verwirft sie und appellirt an das Volk. ‒ Wenn wir das Wort: „Vereinbarung“ aus der Verfassung entfernen wollen, so wollen wir uns eben damit auf einen festen Boden stellen; das Ministerium Camphausen, welches dieses Wort erfunden, hat sich dadurch genöthigt gesehen, abzudanken. Beharren wir daher fest an unserm Recht, die Verfassung zu beschließen.
Minister Bonin: Der Abg. Mätze hob hervor, daß durch das Prinzip der Vereinbarung diese Versammlung zurückversetzt sei in die Zeit des vereinigten Landtags. Bedenken Sie aber, daß dazwischen das Gesetz vom 6. April liegt, welches dem Volke viele Freiheiten gibt. Wenn hier von Handeln und Feilschen gesprochen worden ist, so muß ich mich entschieden dagegen aussprechen. Unter Vereinbarung verstehe ich nur eine friedliche Vereinigung. Es ist auf unser Programm Bezug genommen worden, ja wir werden die Rechte der Krone zu schützen suchen. Es ist unser Wunsch, daß die Verfassung das Wohl des ganzen Vaterlandes begründtn, und da wir das wollen, müssen wir an dem Prinzip der Vereinbarung festhalten.
Abg. Temme: Es handelt sich zunächst um die Wichtigkeit des Wortes Vereinbarung. Ich glaube, sie ist schon dadurch anerkannt, daß drei der Herren Minister das Wort deshalb ergriffen. Man hat uns auf das Wahlgesetz verwiesen, ich aber kann mein Mandat nicht daher leiten; ich leite es von dem Willen des Volkes her, von meinen Wählern, welche mich hierher sandten. Meines Erachtens setzt jede Verfassung eine Vereinbarung voraus. Es ist nur der Unterschied, ob sie vom Volke dem Könige, oder vom Könige dem Volke zur Annahme vorgelegt wird. Wird die von uns zu berathende Verfassung vom Könige nicht angenommen, so ist sie keine; wird sie angenommen so ist das eben eine Vereinbarung. Daß wir das Recht haben, dem Könige eine Verfassung vorzulegen, das ist die Folge der Revolution. Die Revolution ist das letzte Recht des Volkes, wie der Krieg das letzte Recht der Staaten ist. ‒ Ich fürchte nicht die vom Minister-Präsidenten angedeutete Eventualität, tritt sie ein, so sind nicht wir dafür verantwortlich.
Minister-Präsident: Ich will mich nur gegen die Auslegung meiner Worte verwahren. Ich verstehe unter Vereinbarung, daß wir eine Aenderung vorschlagen würden, und so, nach und nach, eine Verständigung zu Stande bringen.
Abg. Riedel: Wie der Abg. Temme hervorhob, kann auch vom Volke dem Könige eine Verfassung octroyirt werden. Wenn man dem Könige eine Verfassung aufdringen will, kann er seine Krone niederlegen. Dies will ich aber nicht und deshalb bin ich für die Vereinbarung. Diese ist auch durch das Aprilgesetz festgesetzt. Ich acceptire die Ansicht des Abg. Jung, daß das Volk mit dem König im März einen Vertrag abgeschlossen, dessen Folge die Vereinbarung ist. Ich habe oft außerhalb dieser Versammlung Redner gehört, welche das Prinzip der Vereinbarung geißelten; ich wunderte mich nicht, daß es dort solche Reformatoren gibt, welche das Volk aufreizen und den ganzen historischen Standpunkt umstürzen wollen. Aber daß es in dieser Versammlung auch solche Redner gibt, hätte ich nicht erwartet, denn dieselben sind auf das Aprilgesetz gewählt und müßten ihr Mandat zurückgeben, wenn sie sich diesem Gesetze nicht fügen wollen; denn unsere ganze Versammlung ist ohne Mandat, und unsere Beschlüsse sind nichtig, wenn wir nicht mehr vereinbaren wollen. ‒
Abg. Parisius: Weder von dem Ministertische, noch von den andern Rednern ist, meiner Ansicht nach, die Bedeutung des Wortes „Vereinbarung“ richtig aufgegriffen worden. Am 5. Septbr. wurde in Wien das Ministerium über die Bedeutung des Wortes interpellirt. Es antwortete darauf am 7. Septbr. und ich schließe mich dieser Antwort vollkommen an. (Er verlies't die bekannte Antwort). Wenn wir dieser Ansicht beitreten, so können wir kein anderes Wort als das Wort „Vereinbarung“ dafür setzen. Es liegt darin der Friede und die gegenseitige Zustimmung.
Abg. Schramm. (Eine thatsächliche Bemerkung.) Der Abg. Parisius sagte, daß kein Konflikt der Krone mit dem Volke stattfinde. Das verantwortliche Ministerium hat aber einem solchen Konflikte nicht vorgebeugt, denn der König hat gestern der bei ihm anwesenden Deputation durch seine Worte geradezu ins Gesicht geschlagen. (Ruf zur Ordnung.)
Abg. Wollheim: Was ist der Grund, daß von einer Seite so stark für das Wort Vereinbarung gekämpft wird. Einestheils kann aus Pietät entstanden sein, aus Pietät gegen die Krone, Anderntheils ist man der Ansicht, daß dem Volke keine Wohlthaten anders erblühen können. Aber ich behaupte, jemehr Rechte sich die Krone begibt, jemehr Halt wird sie im Volke finden.
Abg. Scheele: Man kann den König nicht dem bloßen Staatsbürger gleichstellen, er nimmt eine Stelle über dem Volke ein. Deshalb hat die Vereinbarung einen andern Sinn, als die zwischen zwei Privatpersonen. ‒ Der König und das Volk sind eins, wir müssen den König nicht betrachten als dem Volke gegenüberstehend. ‒ Das Wohl des Volkes ist das höchste Gesetz, nach dem wir uns richten müssen, und danach haben wir unsere Beschlüsse zu fassen.
Abg. Weichsel: Zuerst muß ich mich gegen das Wort „uns“ erklären, da das noch der alten Zeit angehört und mit dem „Gottes Gnaden“ fallen muß. ‒ Lassen sie uns einen Blick in die frühere Zeit werfen. Es war von jeher das Volk, welches mit seinen Fürsten, durch einen Vertrag die Regierung ordnete. ‒ Volkssouveränetät ist der ausgeprägte Wille des ganzen Volkes, nicht eine Majorität dieser Versammlung. Halten wir an dem ausgeprägten Willen des Volkes fest, es will die Erfüllung der ihm gegebenen Versprechungen. ‒ Ich muß mich nun dagegen erklären, daß die Verfassung von einer Seite aufgedrungen werde, nur auf dem Wrge des Vertrages muß sie festgestellt werden.
Abg. Dahne: Ich bin der Ansicht, daß die Souverainetät naturgemäß im Volke liegt, und daß sie dem Volke angeboren ist. Bis zum März war die Souverainetät aber im Besitze der Krone. Durch die Revolution ist ein Theil derselben wieder dem Volke übergeben worden, daher müssen sich die Inhaber der Souverainetät mit einander vereinbaren.
Abg. Plönnies: Der Wille des Volkes hat uns hierhergesandt, um mit der Krone zu vereinbaren. Wenn wir die Krone zwingen wollten, das anzunehmen, was wir ihr vorschreiben, so wäre das ein Absolutismus von unten.
Abg. Jung: Ich möchte die Frage auf ihren eigentlichen Kernpunkt zurückführen, auf das constitutionelle Schaukelsystem, welches man uns aufdringen will. Die alte Theilung der Souverainetät genügt nicht mehr. Man wirft uns vor, daß die königliche Macht gebrochen ist, wenn der König nur die von uns angenommenen Beschlüsse ausführt. Ist es nicht ehrenhaft, wenn der König der erste Mann des preußischen Volkes ist? ‒ Wenn man uns, das von unsern Wählern empfangene Mandat vorhält, so erkläre ich, daß ich meinen Wählern gegenüber, mich gegen das Prinzip der Vereinbarung erkläre.
Abg. Rehfeld: Wenn wir das Jungsche Amendement annehmen, so würden wir dadurch die Minister nur zu unsern Handlangern und den König zum Inhaber einer Sinecure machen. Man sprach, daß es in dem Willen des Volkes gelegen hätte, die Krone abzuschaffen; aber die siegreiche Armee ist nur auf den Befehl des Königs abgetreten.
Abg. Siebert: Es wäre eine eigenthümliche Vereinbarung, wenn der König erklären könnte, daß er die Beschlüsse der Versammlung nicht annehmen wolle, und wir uns damit begnügen müßten. Der vereinigte Landtag konnte uns keine größere Befugnisse geben als er selbst hat, demnach sind wir hier um den Willen des Volkes zur Geltung bringen, das Volk wollte nicht mehr petitioniren, und hat uns in Folge der Revolution zu Vertretern seines Willens hierhergesandt.
Und wir sollen den Willen des Volkes unter allen Umständen durchsetzen. Aber die Aeußerung des Ministeriums hat uns heute gezeigt, daß nicht dieser Wille, sondern der des Kronträgers durchdringen soll. Ich bin besonders gegen dies Wort (Vereinbarung) weil ich mit Recht befürchten muß, man wird aus diesem Ausdrucke später mit diplomatischer Schlauheit alle gegebenen Zusicherungen wieder verleugnen wollen. ‒ Wer hat in Frankreich die Republik herbeigeführt? Nicht die Republikaner, sondern die Räthe der Krone. Und auch hier sitzen diejenigen, die eine Republik herbeiführen werden, am Ministertisch. (Allgemeines Gelächter.)
Abg. Riel: Der Kern des Ganzen sei, daß die Souveränetät durch die Märzrevolution aufs Volk übergegangen und nicht mehr in dem Kabinette läge. Reichen wir aber die Hand nochmals zur Versöhnung und suchen wir uns zu vereinbaren. Wird diese Hand aber zurückgewiesen, so werden wir wissen, wie wir die Rechte des Volkes zu vertreten haben. ‒
Abg. Ciescowski deutet darauf hin, daß es sich hier eigentlich um das Veto handele, welches erst im vierten Theile der Verfassung zur Diskussion komme.
Abstimmung: Zuerst wird das Amendement Jung-Maetze, (äußerste Linke) welches lautet: „Wir etc. verkündigen hiermit folgende von den Vertretern des Volkes beschlossene Verfassung“ ‒ mit 216 gegen 110 Stimmen nach namentlicher Abstimmung verworfen. ‒ Auch das Amendement des Abgeordneten Siebert (gemäßigte Linke): Die Publikationsformel möge also lauten: „verkünden hiermit die, nach dem Willen der Vertreter des Breußischen Volkes festgestellte und von uns angenommene Verfassung“ ‒ wird ohne namentliche Abstimmung verworfen. ‒ Hierauf kommt die Reihe an das Amendement des Abg. Riel: Statt der vorgeschlagenen Publikationsformel ist zu setzen: „verkünden hiermit die von den Stellvertretern des Volkes durch Vereinbarung mit uns festgestellte Verfassung“, welches nach namentlicher Abstimmung mit 284 gegen 43 Stimmen angenommen wird.
Der Entwurf der Commission und die anderen Amendements sind hiernach gefallen. Schluß der Sitzung 2 Uhr.
103 Berlin, 17. Okt. Unsere reaktionäre und konstitutionelle Presse bringt die lügenhaftesten Berichte über die gestrigen Vorfälle. Der Minister hat in seiner heutigen Darstellung in der Kammer diese Vorfälle aus einem ganz falschen Standpunkte aufgefaßt. Aus authentischer Quelle können wir versichern, daß die Arbeiter gestern keinesfalls Veranlassung gaben, zu dem unmenschlichen Morden, welches ein unsinniger Bürgerwehr-Hauptmann (ein Bäckermeister Schulz) kommandirte. Die Arbeiter hatten gestern Vormittag ruhig gearbeitet und brachten um die Mittagsstunde ihrem Schachtmeister zu seinem Geburtstage ein Vivat. Als sie von diesem Zuge zurückkamen, wobei sie sich eine neue rothe Fahne mit der Inschrift: „Einigkeit macht stark!“ hatten vortragen lassen, passirten sie das Exerzierhaus auf dem Köpnickerfelde, in welchem ein Bataillon Bürgerwehr aufgestellt war. Die Arbeiter brachten der Bürgerwehr ein Hoch und grüßten dieselbe freundschaftlich. Diese nahm diesen Gruß als Spott auf und lockte einen Theil der Arbeiter ins Exerzierhaus, um sie festzunehmen. Dadurch entstand Streit und Erbitterung. Der Hauptmann wurde von Arbeitern wegen dieses Benehmens zur Rede gestellt, und als er ein Pistol blind abfeuerte, von den Arbeitern entwaffnet. Sie gaben jedoch das Pistol sogleich an einen Bürgerwehrmann, zurück, indem sie behaupteten, ein Hauptmann dürfe nur sein vorschriftsmäßiges Seitengewehr bei sich führen. Der Hauptmann erbittert und Rache schnaubend zieht seine Kompagnie 20 Schritte zurück, ließ dann umkehren und eine Bayonettattacke auf die Arbeiter machen. Diese wehrten sich dieselben mit Steinen ab, in Folge dessen ein Mann verwundet wurde, und hierauf kommandirte der Hauptmann Feuer, worauf gleich eine Masse Arbeiter theils todt theils verwundet niederstürzten.
Wie beklagenswerth dieser Vorfall nun jedenfalls war, um so beklagenswerther sind aber die falschen Gerüchte, welche darüber in der ganzen Stadt verbreitet wurden. Alle Schuld wurde auf die Arbeiter geworfen und das war die Ursache, daß gestern Abend noch einige solche unmenschliche Scenen vorfielen. ‒ Die Arbeiter hatten in der Jakobsstraße eine Barrikade gebaut. Statt nun die Arbeiter ruhig hinter ihre Barrikade stehen zu lassen, griff man sie an und erschoß noch mehrere Arbeiter. Die Bürgerwehr wollte die Ehre haben, eine Barrikade gestürmt zu haben. Diese Ehre kam ihr aber auch theuer zu stehen, die Arbeiter vertheidigten die Barrikade tapfer und mehrere der Angreifer wurden erschossen und ihr Hauptmann verwundet.
Der eingetretene Regen räumte nach und nach alle Straßen und heute ist die Ruhe der Stadt nicht gestört worden. Die Arbeiter, welche mit ihren Fahnen (vielleicht zwanzig der verschiedensten Art) heute vor die Vereinbarerversammlung zogen, verlangen: ein feierliches Begräbniß der Gefallenen im Friedrichshain auf Kosten des Staats und eine strenge Untersuchung gegen die Bürgerwehr. ‒ Die Vereinbarer werden wohl dieses Verlangen einstimmig genehmigen, denn so viel konnte man schon heute in der Sitzung sehen, daß die rechte Seite sowohl wie das Centrum allen Respekt vor den Arbeitern haben und sich wohl hüten werden, dem Wunsche der Arbeiter entgegen zu handeln.
Obgleich es in allen konstitutionellen Staaten Sitte ist, daß die Anrede des Präsidenten und die Antwort des Königs der ganzen Versammlung mitgetheilt wird, unterließ dies Hr. Grabow dennoch. Erst heute, als der Staatsanzeiger die Rede des Präsidenten mittheilte, machte derselbe der Versammlung die nöthige Miltheilung. Er erzählte, daß diese Rede von den Präsidenten und Vicepräsidenten mit der Deputation vereinbart worden sei, daß er dieselbe vorher dem Ministerpräsidenten zusandte, daß ihm aber kein Koncept von der Antwort des Königs zugekommen sei, indem dieselbe eine improvisirte war; daher könne er auch keine Mittheilung davon machen, indem sehr leicht ein Satz anders wiedergegeben werden könne.
14 Berlin, 17. Oktober. Kurz nach Abgabe meines gestrigen Briefes wurde noch die Barrikade an der neuen Roß- und alten Jakobstraßen-Ecke von der Bürgerwehr gestürmt. Die Barrikade war seit 3 Uhr errichtet, aber, da es den Arbeitern an Waffen fehlte, schlecht vertheidigt, daß die gewaltsame Erstürmung durchaus nicht nothwendig war. Verschiedene bekannte Volksredner und einige Deputirte (Waldeck und Behrends) suchten das Volk zu beschwichtigen und die Bürgerwehr abzuhalten. Vergebens ‒ die rohen Bourgeois unter den letzteren mußten zeigen, daß sie schießen konnten. Das 10. Bataillon vollführte die Heldenthat. Major Vogel wurde tödtlich verwundet, ein anderer Bürgerwehrmann (Vergolder Schneider) von hinten durch den Kopf geschossen, also von seinen Kameraden getödtet. Vom Volke blieb ein kühner, junger Mann in seiner Kleidung, der oben auf der Barrikade die blutrothe Fahne schwang, und ein Arbeitsmann. Diese Beiden wurden gegen 9 Uhr unter Fackelschein zu den übrigen Leichen in's Schloß getragen. ‒ Um 11 Uhr wurde noch eine unvertheidigte Barrikade in der Dresdnerstraße genommen. Dann war Alles ruhig und der Ehrentag vollbracht! ‒ Der Sicherheitsausschuß im Schlosse hatte es in seiner Weisheit für rathsam befunden, Militär zu requiriren. Wirklich erschien gegen 10 Uhr das 12. Regiment, erhielt aber gleich Contreordre, da sich die Bürgerwehr heftig widersetzte und die Abgeordneten Elsner und Temme gleichfalls protestirt hatten.
Bezeichnend erscheinen die Antworten der gereizten Arbeiter auf die Zureden der „Abwiegler.“ Den Klubbisten erwiderten sie: von ihnen hätten sie doch nichts zu erwarten; der Warnung, daß durch die Bekämpfung der Bürgerwehr das Militär herangezogen würde,
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