Neue Rheinische Zeitung. Nr. 135. Köln, 5. November 1848. Zweite Ausgabe.Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No. 135. Köln, Sonntag den 5. November. 1848.Zweite Ausgabe. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Wiener Nachrichten. - Bunsen.) Berlin. Ministercrise. - Empfang der Volksrepräsentanten bei Friedrich Wilhelm IV. - Ein Wupperthaler. - Natioealversammlung.) Stettin. (Milde.) Frankfurt. (Nationalversammlung,) Mannheim. (Der bürgerfreundliche Bekk.) Prag. (Depesche.)! Italien. Messina. (Zustand. - Neueste Nachrichten.) Französische Republik. Paris. (Versammlung der Clubs in Wahlversammlungen. - Nationalversammlung. - Vermischtes.) Deutschland. X Köln, 5. Nov. Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. * Köln, 3. Novbr. Der Ritter Bunsen ist gewiß ein ehrenwerther Mann. Der Ritter Bunsen spricht englisch und was noch viel wichtiger ist, er reitet auch englisch: der Ritter Bunsen ist der Gesandte Preußens in London. Man sieht, was alles aus einem simpeln evangelischen Kandidaten werden kann! Der Ritter Bunsen ist ein frommer Mann; er schrieb Dutzende von Traktätchen und hielt Dutzende von Reden in Konventikelchen. Der Ritter Bunsen ist der Groß-Ceremonien-Meister eines neuen pietistisch-protestantischen Cultus, der leider nie recht zum Ausbruch kam, der leider nie Gelegenheit hatte, sich einmal praktisch von Grund aus zu blamiren. Das letztere ist uns immer ein Räthsel gewesen. Der Name Bunsen und das Wort Blamage sind nemlich so eng mit einander verbunden, daß Bunsen ohne eine Blamage fast ein Widerspruch ist. Wir bekommen jedes Mal einen heiligen Schrecken, wenn wir den Namen Bunsen in irgend einem Blatte genannt sehen, denn wir wissen dann im Voraus, daß irgend ein Unheil im herannahen ist - wie die Möwe dem Sturm, so fliegt der Name Bunsen jeder Blamage vorher. Der Ritter Bunsen ist der Blamagenvogel Deutschlands. Wehe uns aber erst, wenn wir den edlen Ritter in einem englischen Blatte, wenn wir ihn gar in der Times lobend erwähnt finden! Zu dem Bewußtsein einer Blamage gesellt sich dann noch die Ueberzeugung, daß wir diese Blamage mit unserm guten Gelde baar bezahlen müssen, daß wir den Engländern dafür büßen müssen, in Pfunden, Schillingen und Pencen. Der Ritter Bunsen ist der kostspieligste Gesandte, den Deutschland je gehabt hat. Eine Lobhudelei des Ritter Bunsen in der Times kostet dem deutschen Volke Hunderttausende. Doch zur Sache. Seit einiger Zeit wurde Hr. Bunsen nicht mehr genannt. Seit dem Augenblick, wo der Ritter auf das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten der deutschen Centralgewalt spekulirte und sich verspekulirte, war er wie todt und todt mit ihm die Blamage. Da schlagen wir gestern die Times von Mittwoch, dem 1. Nov. auseinander, und wahrhaftig, wir irren uns nicht, Hr. Bunsen, ist von den Todten auferstanden, die Blamage lebt wieder, die Times bringt einen langen lobenden Leitartikel über den Ritter über eine kleine Broschüre, die er vom Stapel laufen ließ, eine wahre Tartine kaum der Rede werth und erschrocken reiben wir uns die Stirn. Von wo mag der Wind pfeifen? Was ist der Grund dieses Lobes? Wo steckt die Blamage? Geben wir unsern Lesern Aufschluß darüber. Am 5. Sept. erließ das Ministerium "Auerswald-Hansemann-Milde eine provisorische Verordnung, die Erhebung eines Zuschlages zu den Eingangsabgaben von einigen ausländischen Waaren betreffend." Diese Zollerhöhung, da sie englische Wollen-Garne und Wollenwaaren traf, war ein harter Schlag namentlich für alle Häuser der Grafschaft Yorkshire, die über Hamburg, Rotterdam oder Antwerpen jährlich enorme Quantitäten dieser Artikel nach dem deutschen Kontinente hinübersenden. Wir sehen daher auch die Exporteure von Bradford, Leeds, Huddersfield u. s. w. schon gleich nach Publizirung der preuß. Verordnung, sich in einer energischen Adresse an Lord John Russel wenden, in der man ihn ersuchte, sofort die nöthigen Schritte zu thun, um die Maßregel preußischer Seits rückgängig zu machen. In Deutschland selbst wandten sich die bei der Sache Interessirten mit ähnlichen Protestaktionen direkt an das Handelsministerium in Berlin. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob die Verordnung vom 5. Sept. für das Interesse Deutschlands günstig oder ungünstig war; so viel ist aber gewiß, daß sie schon vor mehreren Tagen eben so feierlich von Preußen wieder zurückgenommen wurde, als sie vor mehreren Wochen feierlich proklamirt ward. "Es freut uns, sagte die Times am 31. October, die Mittheilung machen zu können, daß die Staaten des Zollvereins, in Betreff einer Erhöhung der Eingangsrechte die Zulassung britischer Waaren, frei von allen additionellen Zöllen beschlossen haben, falls diese Waaren von einem Ursprungs-Certifikate begleitet sind. Das preußische Gouvernement hat außerdem die Absicht, die additionellen Zölle, welche bereits auf, von gehörigen Certifikaten begleitet gewesene Waaren bezahlt wurden, zurückzuerstatten, und die andern Staaten des Zollvereins zu einem ähnlichen Schritte zu veranlassen." Wir fragen unsere Leser aber, ist es nicht eine Blamage sonder Gleichen, daß eine kaum gegebene Verordnung, welche die deutschen Handelsinteressen bis in die weitesten Verzweigungen berührt, so flott und leicht zurückgenommen wird, als drehe es sich um eine wahre Lapalie, um ein reines Kinderspiel? Was werden die Engländer sagen, die ihre besten Köpfe Tage und Nächte lang über auch nur die kleinste Aenderung der kommerziellen Gesetzgebung im Parlamente debattiren lassen, wenn sie sehen, wie liederlich und wie kindisch wir mit den wichtigsten Angelegenheiten umgehen! Aber die Engländer lachen uns eben aus, sie wissen, daß wir wieder nach ihrer Pfeife tanzen werden und das Lob der Times über jeden literarischen Wisch des Ritters Bunsen klingt daher nur wie die höhnischste Schadenfreude über ein Volk, das trotz aller Revolutionen, die wichtigsten Gesandtschaftsposten noch in solchen Händen läßt, wie in denen eines Bunsen. Die Null Bunsen wird wieder einmal vergöttert und Deutschland hat sich wieder einmal plamirt. Wie lange wird dies noch dauern? X Berlin, 3. Nov. 8 Uhr Abends. Der Graf Brandenburg, jetzt Herr Brandenburg, hat sein Portefeuille, so wie wir eben hören, zurückgegeben, weil es ihm nicht gelungen ist, eine Minister-Combination zusammenzubringen. Der Abgeordnete Kirchmann, Staatsanwalt, hat sofort den Auftrag zur Bildung eines neuen Ministeriums erhalten. Er wird so wenig zusammenbringen, wie Brandenburg. - Es ist bei der Nationalversammlung der Antrag auf Bildung einer Kommission zur Untersuchung der gegenwärtigen Lage des Landes gestellt worden. - In der Vereinbarersitzung liefen am Schlusse die Minister fort, wie Schuljungen, taub gegen das Geschrei Dazubleiben. - Ueber den Empfang der Volksrepräsentanten beim Könige folgendes Authentische: Die Deputation mußte lange warten in einer dunkeln Gallerie; dann erschien der Adjutant, Major v. Manteufel, zum Anmelden. Er kam mit der Antwort zurück, Se. Maj. empfange keine Deputation ohne Minister. v. Unruh ersuchte, ihn Sr. Maj. persönlich zu melden. Der Adjutant kehrte zurück mit der diplomatischen Aeußeeung, Se. Maj. habe soeben eine ministerielle Depesche über die Ankunft der Deputirten empfangen, und nun wolle er die Deputation empfangen. Also Audienz. Die Adresse wurde vom Präsidenten verlesen. Als er zu der auf Wien bezüglichen Phrase kam, kehrte der König der Volksrepräs. den Rücken zu, wendete sich jedoch bei dem Worte "Herz u. s. w." wieder herzgerührtest um. Dann nahm Er die Adresse, faltete, knitterte sie zusammen, sich entfernend. Jakoby: "Wir sind nicht allein hieher gekommen, um die Adresse zu überreichen, sondern um die wahre Sachlage des Landes Ew. Maj. vorzulegen. Wollen Sie uns nicht geneigtes Gehör schenken?" Nein, sagt S. M. Worauf Jacobi erwiderte: "Es ist ein Unglück für die Könige, daß sie die Wahrheit nie hören wollen." S. M. verschwindet. Bald darauf erscheint der Adjutant zurück und sagt, S. M. könne nicht antworten ohne Minister, vielweniger noch in Folge der letzten Worte. Der Präsident Unruh bat S. M. zu bemerken, daß die Adresse beinahe einstimmig angenommen sei, die Worte des Abgeordneten Jacobi dagegen nur der Ausdruck einer persönlichen Meinung seien. Rodbertus ( -) und Berg (Karrikatur des Abbe's des 18. Jahrh. moins l'esprit) versuchten zu bemerken, daß sie Jacobi's Meinung nicht theilten, (es also für ein Glück der Könige halten, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen; les bons hommes!); Baumstark (Montesquieu LXXII) bemerkt, daß sie alle (alle Baumstarks nämlich!) nicht beipflichteten, worauf D'Ester den Adjutanten ersucht, Se. M. nicht die Phrase des Montesquieu Baumstark, die "Alle", zu hinterbringen, da Er, D'Ester, Jacobi beipflichte und ganz dessen Ansicht theile. Schließlich theile ich Ihnen noch ein interessantes Faktum mit. Als der Abg. D'Ester in der Sitzung der National-Versammlung vom 3. Nov. bemerkte: (zur faktischen Berichtigung): "Ich muß nothwendig dem Berichte des Präsidenten v. Unruh etwas zufügen. Als die Deputation Sr. Maj. die Adresse überreicht hatte, entfernte sich der König sofort, ohne eine Antwort zu "ertheilen," stürzt ein Wupperthaler Kaufmannsbursche, Abg. Scheid oder Scheidt, die Ortographie des großen Mannes ist unbekannt, mit geballter Faust gegen die Tribüne: "Die Buckskinshändler von der Ruhr das sind die klügsten Leut!" 103 Berlin, 3. Nov. Nach Schluß meines gestrigen Briefes währte die Permanenz der Nationalversammlung fort. Beschlüsse konnten nicht gefaßt werden, indem die Versammlung nicht in beschlußfähiger Anzahl versammelt war. Die Mitglieder der Linken erschienen nach 9 Uhr wieder vollständig auf ihren Bänken, aber die der Rechten blieben leer. Ein kleiner Theil Schwankender von der Rechten hielt sich noch im Nebensaal auf, der größte Theil hatte sich gänzlich entfernt. Da wurde nach 10 1/2 Uhr die Abschrift einer telegraphische Depesche, die eben von Potsdam angekommen, verlesen. Sie war vom Präsidenten Unruh an die Minister Eichmann und Bonin gerichtet, daß sich die Minister schleunigst nach Potsdam zum König begeben möchten. Obgleich diese Depesche schon um 9 Uhr in Potsdam abging und der elektromagnetische Telegraph keinen merklichen Zeitraum zur Beförderung braucht, kam sie dennoch erst nach 10 1/2 Uhr in die Hände des Präsidenten Phillips. Die anwesenden Mitglieder der Rechten, neugierig was die Depesche enthielt, kamen in den Sitzungssaal und die Versammlung war wieder beschlußfähig. Der Präsident brachte nun den Antrag der Nachmittags vom Abgeordn. Schulze (Delitzsch) und Pilet gestellt war: "daß die Versammlung bis zur Rückkehr der Deputation permanent bleibe", zur Berathung. Die schwankend gewordenen Antragsteller nahmen den Antrag zurück, da die Deputation sobald noch nicht zu erwarten sei. Aber die äußerste Linke nahm ihn auf und der Antrag wurde mit 114 gegen 106 Stimmen nach längerer Debatte angenommen. Die Rechte verlangt hierauf die namentliche Abstimmung; sie entfernt sich aber während derselbrn, so daß die namentliche Abstimmung; ergibt, daß der Permanenzantrag mit 115 gegen 68 Stimmen angenommen ist. Da sich die Rechte entfernt hat, ist die Versammlung wieder beschlußunfähig geworden. Ein Brief des Ministers Eichmann wird verlesen, worin derselbe dem Präsidenten anzeigt, daß er erst am andern Morgen mit dem ersten Zuge, nebst den andern Ministern zum Könige gehen werde. - Dieser Brief erregt allgemeine Entrüstung. "Das ist ein Hohn gegen die Versammlung", ruft Elsner u. A. - Was ist nun zu thun? Der König in Potsdam will der Deputation ohne Anwesenheit der Minister keine Antwort geben. Es ist schon gegen 1 Uhr Morgens. Da vertagt der Präsident Phillips die Sitzung bis um 9 Uhr Morgens. Kurz nach Schluß der Sitzung kommt die Deputation von Potsdam zurück. Wie sie erzählt, konnte sie nur mit großer Mühe vorkommen. Als dies geschehen, ließ sich der König die Adresse vorlesen und gab kein Wort Antwort. Bei dem Worte, das von der Lage Oestreichs spricht, soll der König der Deputation den Rücken zugewendet haben. Als ihn Jacoby frug, ob er keine Antwort geben wolle, soll der König kurz mit nein geantwortet und sich entfernt haben. Jacoby soll ihm nachgerufen haben: "Das ist das Unglück der Könige, daß sie nie die Wahrheit hören wollen!" Heute Vormittags 9 1/2 Uhr wurde die heute Morgen 8 Uhr vertagte Sitzung vom Präsidenten Unruh wieder aufgenommen. Behufs der Feststellung der stenographischen Berichte schloß der Präsident die gestern Morgen 9 1/2 Uhr eröffnete 92ste Sitzung und eröffnete zugleich die 93ste Sitzung. - Hierauf macht der Präsident die Mittheilung vom Verlaufe der Deputation. Als sie um 6 Uhr gestern Abend mit einem Extrazuge nach Potsdam abgefahren und in Sanssouci angekommen war, ließ sich die Deputation durch den dienstthuenden Adjutanten beim Könige anmelden. Der Adjutant antwortete jedoch, daß es seit März Vorschrift wäee, keine Deputation ohne Gegenwart der Minister vorzulassen. Selbst den Präsident Unruh, der eine Audienz für seine Person verlangte, wollte der Adjutant nicht anmelden. Endlich verfügte sich der Adjutant dennoch zum Könige und kam mit der Antwort zurück, daß eben eine Depesche von den Ministern angekommen sei, der König möge die Deputation empfangen. Diese ging daher zum Könige, erhielt aber keine Antwort von demselben. Eine telegraphische Depesche an die Minister brachte nach einigen Stunden die Antwort zurück, daß die Minister vom Könige den Befehl erhalten hätten, am andern Morgen zu ihm zu kommen. Hierauf kehrte die Deputation nach Berlin zurück. Der Präsident fügte noch hinzu, daß die Mitglieder der Deputation, Kühlwetter, Gierke und Mätzke sich privatim zum Könige begaben, der ihnen sagte, daß er es mit den konstitutionellen Prinzipien nicht verträglich finde, der Deputation ohne Anwesenheit der Minister eine Antwort zu geben. Die Ministerbank ist leer. Deshalb glaubt der Präsident, daß man in der Tagesordnung nicht fortfahren könne; da zwar das Prinzip nicht fest steht, daß man ohne Anwesenheit der Minister kein Gesetz berathen dürfe, aber man müsse heute bedenken, daß es den Ministern unmöglich gemacht ist, zu erscheinen, da dieselben beim König zur Berathung versammelt seien. - Da keine Geschäfte vorliegen, beschließt die Versammlung, sich bis Nachmittags 3 Uhr zu vertagen. Bevor die Vertagung ausgesprochen wird, stellt jedoch die Linke den Antrag, die Deputation möge alle Vorgänge des gestrigen Abends bei der Königl. Audienz feststellen. Nach einiger Debatte kommt man darüber zur Abstimmung und nach der Zählung ergibt sich, daß der Antrag mit 187 gegen 170 Stimmen verworfen ist. (Die Zählung geschieht durch 9 Scrutatoren. Einige Leute behaupten, daß gar nicht so viel Mitglieder anwesend waren, und daß sich die Scrutatoren der rechten Seite wenigstens um 20 Mitglieder verzählt haben müsse, die sie zuviel angaben. Die Linke wird sie künftig besser kontrolliren.) D'Ester nimmt jedoch hierauf das Wort: Ich halte es für nothwendig, noch etwas zum Berichte des Präsidenten über die Vorgänge bei der Audienz hinzuzufügen. Nachdem die Adresse Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No. 135. Köln, Sonntag den 5. November. 1848.Zweite Ausgabe. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Wiener Nachrichten. ‒ Bunsen.) Berlin. Ministercrise. ‒ Empfang der Volksrepräsentanten bei Friedrich Wilhelm IV. ‒ Ein Wupperthaler. ‒ Natioealversammlung.) Stettin. (Milde.) Frankfurt. (Nationalversammlung,) Mannheim. (Der bürgerfreundliche Bekk.) Prag. (Depesche.)! Italien. Messina. (Zustand. ‒ Neueste Nachrichten.) Französische Republik. Paris. (Versammlung der Clubs in Wahlversammlungen. ‒ Nationalversammlung. ‒ Vermischtes.) Deutschland. X Köln, 5. Nov. Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. * Köln, 3. Novbr. Der Ritter Bunsen ist gewiß ein ehrenwerther Mann. Der Ritter Bunsen spricht englisch und was noch viel wichtiger ist, er reitet auch englisch: der Ritter Bunsen ist der Gesandte Preußens in London. Man sieht, was alles aus einem simpeln evangelischen Kandidaten werden kann! Der Ritter Bunsen ist ein frommer Mann; er schrieb Dutzende von Traktätchen und hielt Dutzende von Reden in Konventikelchen. Der Ritter Bunsen ist der Groß-Ceremonien-Meister eines neuen pietistisch-protestantischen Cultus, der leider nie recht zum Ausbruch kam, der leider nie Gelegenheit hatte, sich einmal praktisch von Grund aus zu blamiren. Das letztere ist uns immer ein Räthsel gewesen. Der Name Bunsen und das Wort Blamage sind nemlich so eng mit einander verbunden, daß Bunsen ohne eine Blamage fast ein Widerspruch ist. Wir bekommen jedes Mal einen heiligen Schrecken, wenn wir den Namen Bunsen in irgend einem Blatte genannt sehen, denn wir wissen dann im Voraus, daß irgend ein Unheil im herannahen ist ‒ wie die Möwe dem Sturm, so fliegt der Name Bunsen jeder Blamage vorher. Der Ritter Bunsen ist der Blamagenvogel Deutschlands. Wehe uns aber erst, wenn wir den edlen Ritter in einem englischen Blatte, wenn wir ihn gar in der Times lobend erwähnt finden! Zu dem Bewußtsein einer Blamage gesellt sich dann noch die Ueberzeugung, daß wir diese Blamage mit unserm guten Gelde baar bezahlen müssen, daß wir den Engländern dafür büßen müssen, in Pfunden, Schillingen und Pencen. Der Ritter Bunsen ist der kostspieligste Gesandte, den Deutschland je gehabt hat. Eine Lobhudelei des Ritter Bunsen in der Times kostet dem deutschen Volke Hunderttausende. Doch zur Sache. Seit einiger Zeit wurde Hr. Bunsen nicht mehr genannt. Seit dem Augenblick, wo der Ritter auf das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten der deutschen Centralgewalt spekulirte und sich verspekulirte, war er wie todt und todt mit ihm die Blamage. Da schlagen wir gestern die Times von Mittwoch, dem 1. Nov. auseinander, und wahrhaftig, wir irren uns nicht, Hr. Bunsen, ist von den Todten auferstanden, die Blamage lebt wieder, die Times bringt einen langen lobenden Leitartikel über den Ritter über eine kleine Broschüre, die er vom Stapel laufen ließ, eine wahre Tartine kaum der Rede werth und erschrocken reiben wir uns die Stirn. Von wo mag der Wind pfeifen? Was ist der Grund dieses Lobes? Wo steckt die Blamage? Geben wir unsern Lesern Aufschluß darüber. Am 5. Sept. erließ das Ministerium „Auerswald-Hansemann-Milde eine provisorische Verordnung, die Erhebung eines Zuschlages zu den Eingangsabgaben von einigen ausländischen Waaren betreffend.“ Diese Zollerhöhung, da sie englische Wollen-Garne und Wollenwaaren traf, war ein harter Schlag namentlich für alle Häuser der Grafschaft Yorkshire, die über Hamburg, Rotterdam oder Antwerpen jährlich enorme Quantitäten dieser Artikel nach dem deutschen Kontinente hinübersenden. Wir sehen daher auch die Exporteure von Bradford, Leeds, Huddersfield u. s. w. schon gleich nach Publizirung der preuß. Verordnung, sich in einer energischen Adresse an Lord John Russel wenden, in der man ihn ersuchte, sofort die nöthigen Schritte zu thun, um die Maßregel preußischer Seits rückgängig zu machen. In Deutschland selbst wandten sich die bei der Sache Interessirten mit ähnlichen Protestaktionen direkt an das Handelsministerium in Berlin. Wir wollen hier nicht untersuchen, ob die Verordnung vom 5. Sept. für das Interesse Deutschlands günstig oder ungünstig war; so viel ist aber gewiß, daß sie schon vor mehreren Tagen eben so feierlich von Preußen wieder zurückgenommen wurde, als sie vor mehreren Wochen feierlich proklamirt ward. „Es freut uns, sagte die Times am 31. October, die Mittheilung machen zu können, daß die Staaten des Zollvereins, in Betreff einer Erhöhung der Eingangsrechte die Zulassung britischer Waaren, frei von allen additionellen Zöllen beschlossen haben, falls diese Waaren von einem Ursprungs-Certifikate begleitet sind. Das preußische Gouvernement hat außerdem die Absicht, die additionellen Zölle, welche bereits auf, von gehörigen Certifikaten begleitet gewesene Waaren bezahlt wurden, zurückzuerstatten, und die andern Staaten des Zollvereins zu einem ähnlichen Schritte zu veranlassen.“ Wir fragen unsere Leser aber, ist es nicht eine Blamage sonder Gleichen, daß eine kaum gegebene Verordnung, welche die deutschen Handelsinteressen bis in die weitesten Verzweigungen berührt, so flott und leicht zurückgenommen wird, als drehe es sich um eine wahre Lapalie, um ein reines Kinderspiel? Was werden die Engländer sagen, die ihre besten Köpfe Tage und Nächte lang über auch nur die kleinste Aenderung der kommerziellen Gesetzgebung im Parlamente debattiren lassen, wenn sie sehen, wie liederlich und wie kindisch wir mit den wichtigsten Angelegenheiten umgehen! Aber die Engländer lachen uns eben aus, sie wissen, daß wir wieder nach ihrer Pfeife tanzen werden und das Lob der Times über jeden literarischen Wisch des Ritters Bunsen klingt daher nur wie die höhnischste Schadenfreude über ein Volk, das trotz aller Revolutionen, die wichtigsten Gesandtschaftsposten noch in solchen Händen läßt, wie in denen eines Bunsen. Die Null Bunsen wird wieder einmal vergöttert und Deutschland hat sich wieder einmal plamirt. Wie lange wird dies noch dauern? X Berlin, 3. Nov. 8 Uhr Abends. Der Graf Brandenburg, jetzt Herr Brandenburg, hat sein Portefeuille, so wie wir eben hören, zurückgegeben, weil es ihm nicht gelungen ist, eine Minister-Combination zusammenzubringen. Der Abgeordnete Kirchmann, Staatsanwalt, hat sofort den Auftrag zur Bildung eines neuen Ministeriums erhalten. Er wird so wenig zusammenbringen, wie Brandenburg. ‒ Es ist bei der Nationalversammlung der Antrag auf Bildung einer Kommission zur Untersuchung der gegenwärtigen Lage des Landes gestellt worden. ‒ In der Vereinbarersitzung liefen am Schlusse die Minister fort, wie Schuljungen, taub gegen das Geschrei Dazubleiben. ‒ Ueber den Empfang der Volksrepräsentanten beim Könige folgendes Authentische: Die Deputation mußte lange warten in einer dunkeln Gallerie; dann erschien der Adjutant, Major v. Manteufel, zum Anmelden. Er kam mit der Antwort zurück, Se. Maj. empfange keine Deputation ohne Minister. v. Unruh ersuchte, ihn Sr. Maj. persönlich zu melden. Der Adjutant kehrte zurück mit der diplomatischen Aeußeeung, Se. Maj. habe soeben eine ministerielle Depesche über die Ankunft der Deputirten empfangen, und nun wolle er die Deputation empfangen. Also Audienz. Die Adresse wurde vom Präsidenten verlesen. Als er zu der auf Wien bezüglichen Phrase kam, kehrte der König der Volksrepräs. den Rücken zu, wendete sich jedoch bei dem Worte „Herz u. s. w.“ wieder herzgerührtest um. Dann nahm Er die Adresse, faltete, knitterte sie zusammen, sich entfernend. Jakoby: „Wir sind nicht allein hieher gekommen, um die Adresse zu überreichen, sondern um die wahre Sachlage des Landes Ew. Maj. vorzulegen. Wollen Sie uns nicht geneigtes Gehör schenken?“ Nein, sagt S. M. Worauf Jacobi erwiderte: „Es ist ein Unglück für die Könige, daß sie die Wahrheit nie hören wollen.“ S. M. verschwindet. Bald darauf erscheint der Adjutant zurück und sagt, S. M. könne nicht antworten ohne Minister, vielweniger noch in Folge der letzten Worte. Der Präsident Unruh bat S. M. zu bemerken, daß die Adresse beinahe einstimmig angenommen sei, die Worte des Abgeordneten Jacobi dagegen nur der Ausdruck einer persönlichen Meinung seien. Rodbertus ( ‒) und Berg (Karrikatur des Abbé's des 18. Jahrh. moins l'esprit) versuchten zu bemerken, daß sie Jacobi's Meinung nicht theilten, (es also für ein Glück der Könige halten, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen; les bons hommes!); Baumstark (Montesquieu LXXII) bemerkt, daß sie alle (alle Baumstarks nämlich!) nicht beipflichteten, worauf D'Ester den Adjutanten ersucht, Se. M. nicht die Phrase des Montesquieu Baumstark, die „Alle“, zu hinterbringen, da Er, D'Ester, Jacobi beipflichte und ganz dessen Ansicht theile. Schließlich theile ich Ihnen noch ein interessantes Faktum mit. Als der Abg. D'Ester in der Sitzung der National-Versammlung vom 3. Nov. bemerkte: (zur faktischen Berichtigung): „Ich muß nothwendig dem Berichte des Präsidenten v. Unruh etwas zufügen. Als die Deputation Sr. Maj. die Adresse überreicht hatte, entfernte sich der König sofort, ohne eine Antwort zu „ertheilen,“ stürzt ein Wupperthaler Kaufmannsbursche, Abg. Scheid oder Scheidt, die Ortographie des großen Mannes ist unbekannt, mit geballter Faust gegen die Tribüne: „Die Buckskinshändler von der Ruhr das sind die klügsten Leut!“ 103 Berlin, 3. Nov. Nach Schluß meines gestrigen Briefes währte die Permanenz der Nationalversammlung fort. Beschlüsse konnten nicht gefaßt werden, indem die Versammlung nicht in beschlußfähiger Anzahl versammelt war. Die Mitglieder der Linken erschienen nach 9 Uhr wieder vollständig auf ihren Bänken, aber die der Rechten blieben leer. Ein kleiner Theil Schwankender von der Rechten hielt sich noch im Nebensaal auf, der größte Theil hatte sich gänzlich entfernt. Da wurde nach 10 1/2 Uhr die Abschrift einer telegraphische Depesche, die eben von Potsdam angekommen, verlesen. Sie war vom Präsidenten Unruh an die Minister Eichmann und Bonin gerichtet, daß sich die Minister schleunigst nach Potsdam zum König begeben möchten. Obgleich diese Depesche schon um 9 Uhr in Potsdam abging und der elektromagnetische Telegraph keinen merklichen Zeitraum zur Beförderung braucht, kam sie dennoch erst nach 10 1/2 Uhr in die Hände des Präsidenten Phillips. Die anwesenden Mitglieder der Rechten, neugierig was die Depesche enthielt, kamen in den Sitzungssaal und die Versammlung war wieder beschlußfähig. Der Präsident brachte nun den Antrag der Nachmittags vom Abgeordn. Schulze (Delitzsch) und Pilet gestellt war: „daß die Versammlung bis zur Rückkehr der Deputation permanent bleibe“, zur Berathung. Die schwankend gewordenen Antragsteller nahmen den Antrag zurück, da die Deputation sobald noch nicht zu erwarten sei. Aber die äußerste Linke nahm ihn auf und der Antrag wurde mit 114 gegen 106 Stimmen nach längerer Debatte angenommen. Die Rechte verlangt hierauf die namentliche Abstimmung; sie entfernt sich aber während derselbrn, so daß die namentliche Abstimmung; ergibt, daß der Permanenzantrag mit 115 gegen 68 Stimmen angenommen ist. Da sich die Rechte entfernt hat, ist die Versammlung wieder beschlußunfähig geworden. Ein Brief des Ministers Eichmann wird verlesen, worin derselbe dem Präsidenten anzeigt, daß er erst am andern Morgen mit dem ersten Zuge, nebst den andern Ministern zum Könige gehen werde. ‒ Dieser Brief erregt allgemeine Entrüstung. „Das ist ein Hohn gegen die Versammlung“, ruft Elsner u. A. ‒ Was ist nun zu thun? Der König in Potsdam will der Deputation ohne Anwesenheit der Minister keine Antwort geben. Es ist schon gegen 1 Uhr Morgens. Da vertagt der Präsident Phillips die Sitzung bis um 9 Uhr Morgens. Kurz nach Schluß der Sitzung kommt die Deputation von Potsdam zurück. Wie sie erzählt, konnte sie nur mit großer Mühe vorkommen. Als dies geschehen, ließ sich der König die Adresse vorlesen und gab kein Wort Antwort. Bei dem Worte, das von der Lage Oestreichs spricht, soll der König der Deputation den Rücken zugewendet haben. Als ihn Jacoby frug, ob er keine Antwort geben wolle, soll der König kurz mit nein geantwortet und sich entfernt haben. Jacoby soll ihm nachgerufen haben: „Das ist das Unglück der Könige, daß sie nie die Wahrheit hören wollen!“ Heute Vormittags 9 1/2 Uhr wurde die heute Morgen 8 Uhr vertagte Sitzung vom Präsidenten Unruh wieder aufgenommen. Behufs der Feststellung der stenographischen Berichte schloß der Präsident die gestern Morgen 9 1/2 Uhr eröffnete 92ste Sitzung und eröffnete zugleich die 93ste Sitzung. ‒ Hierauf macht der Präsident die Mittheilung vom Verlaufe der Deputation. Als sie um 6 Uhr gestern Abend mit einem Extrazuge nach Potsdam abgefahren und in Sanssouci angekommen war, ließ sich die Deputation durch den dienstthuenden Adjutanten beim Könige anmelden. Der Adjutant antwortete jedoch, daß es seit März Vorschrift wäee, keine Deputation ohne Gegenwart der Minister vorzulassen. Selbst den Präsident Unruh, der eine Audienz für seine Person verlangte, wollte der Adjutant nicht anmelden. Endlich verfügte sich der Adjutant dennoch zum Könige und kam mit der Antwort zurück, daß eben eine Depesche von den Ministern angekommen sei, der König möge die Deputation empfangen. Diese ging daher zum Könige, erhielt aber keine Antwort von demselben. Eine telegraphische Depesche an die Minister brachte nach einigen Stunden die Antwort zurück, daß die Minister vom Könige den Befehl erhalten hätten, am andern Morgen zu ihm zu kommen. Hierauf kehrte die Deputation nach Berlin zurück. Der Präsident fügte noch hinzu, daß die Mitglieder der Deputation, Kühlwetter, Gierke und Mätzke sich privatim zum Könige begaben, der ihnen sagte, daß er es mit den konstitutionellen Prinzipien nicht verträglich finde, der Deputation ohne Anwesenheit der Minister eine Antwort zu geben. Die Ministerbank ist leer. Deshalb glaubt der Präsident, daß man in der Tagesordnung nicht fortfahren könne; da zwar das Prinzip nicht fest steht, daß man ohne Anwesenheit der Minister kein Gesetz berathen dürfe, aber man müsse heute bedenken, daß es den Ministern unmöglich gemacht ist, zu erscheinen, da dieselben beim König zur Berathung versammelt seien. ‒ Da keine Geschäfte vorliegen, beschließt die Versammlung, sich bis Nachmittags 3 Uhr zu vertagen. Bevor die Vertagung ausgesprochen wird, stellt jedoch die Linke den Antrag, die Deputation möge alle Vorgänge des gestrigen Abends bei der Königl. Audienz feststellen. Nach einiger Debatte kommt man darüber zur Abstimmung und nach der Zählung ergibt sich, daß der Antrag mit 187 gegen 170 Stimmen verworfen ist. (Die Zählung geschieht durch 9 Scrutatoren. Einige Leute behaupten, daß gar nicht so viel Mitglieder anwesend waren, und daß sich die Scrutatoren der rechten Seite wenigstens um 20 Mitglieder verzählt haben müsse, die sie zuviel angaben. Die Linke wird sie künftig besser kontrolliren.) D'Ester nimmt jedoch hierauf das Wort: Ich halte es für nothwendig, noch etwas zum Berichte des Präsidenten über die Vorgänge bei der Audienz hinzuzufügen. Nachdem die Adresse <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="0687"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No. 135. Köln, Sonntag den 5. 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Der Name Bunsen und das Wort Blamage sind nemlich so eng mit einander verbunden, daß Bunsen ohne eine Blamage fast ein Widerspruch ist.</p> <p>Wir bekommen jedes Mal einen heiligen Schrecken, wenn wir den Namen Bunsen in irgend einem Blatte genannt sehen, denn wir wissen dann im Voraus, daß irgend ein Unheil im herannahen ist ‒ wie die Möwe dem Sturm, so fliegt der Name Bunsen jeder Blamage vorher. Der Ritter Bunsen ist der Blamagenvogel Deutschlands.</p> <p>Wehe uns aber erst, wenn wir den edlen Ritter in einem englischen Blatte, wenn wir ihn gar in der Times lobend erwähnt finden! Zu dem Bewußtsein einer Blamage gesellt sich dann noch die Ueberzeugung, daß wir diese Blamage mit unserm guten Gelde baar bezahlen müssen, daß wir den Engländern dafür büßen müssen, in Pfunden, Schillingen und Pencen.</p> <p>Der Ritter Bunsen ist der kostspieligste Gesandte, den Deutschland je gehabt hat. Eine Lobhudelei des Ritter Bunsen in der Times kostet dem deutschen Volke Hunderttausende.</p> <p>Doch zur Sache. Seit einiger Zeit wurde Hr. Bunsen nicht mehr genannt. Seit dem Augenblick, wo der Ritter auf das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten der deutschen Centralgewalt spekulirte und sich verspekulirte, war er wie todt und todt mit ihm die Blamage.</p> <p>Da schlagen wir gestern die Times von Mittwoch, dem 1. Nov. auseinander, und wahrhaftig, wir irren uns nicht, Hr. Bunsen, ist von den Todten auferstanden, die Blamage lebt wieder, die Times bringt einen langen lobenden Leitartikel über den Ritter über eine kleine Broschüre, die er vom Stapel laufen ließ, eine wahre Tartine kaum der Rede werth und erschrocken reiben wir uns die Stirn.</p> <p>Von wo mag der Wind pfeifen? Was ist der Grund dieses Lobes? Wo steckt die Blamage? Geben wir unsern Lesern Aufschluß darüber.</p> <p>Am 5. Sept. erließ das Ministerium „Auerswald-Hansemann-Milde eine provisorische Verordnung, die Erhebung eines Zuschlages zu den Eingangsabgaben von einigen ausländischen Waaren betreffend.“ Diese Zollerhöhung, da sie englische Wollen-Garne und Wollenwaaren traf, war ein harter Schlag namentlich für alle Häuser der Grafschaft Yorkshire, die über Hamburg, Rotterdam oder Antwerpen jährlich enorme Quantitäten dieser Artikel nach dem deutschen Kontinente hinübersenden. Wir sehen daher auch die Exporteure von Bradford, Leeds, Huddersfield u. s. w. schon gleich nach Publizirung der preuß. Verordnung, sich in einer energischen Adresse an Lord John Russel wenden, in der man ihn ersuchte, sofort die nöthigen Schritte zu thun, um die Maßregel preußischer Seits rückgängig zu machen. In Deutschland selbst wandten sich die bei der Sache Interessirten mit ähnlichen Protestaktionen direkt an das Handelsministerium in Berlin.</p> <p>Wir wollen hier nicht untersuchen, ob die Verordnung vom 5. Sept. für das Interesse Deutschlands günstig oder ungünstig war; so viel ist aber gewiß, daß sie schon vor mehreren Tagen eben so feierlich von Preußen wieder zurückgenommen wurde, als sie vor mehreren Wochen feierlich proklamirt ward.</p> <p>„Es freut uns, sagte die Times am 31. October, die Mittheilung machen zu können, daß die Staaten des Zollvereins, in Betreff einer Erhöhung der Eingangsrechte die Zulassung britischer Waaren, frei von allen additionellen Zöllen beschlossen haben, falls diese Waaren von einem Ursprungs-Certifikate begleitet sind. Das preußische Gouvernement hat außerdem die Absicht, die additionellen Zölle, welche bereits auf, von gehörigen Certifikaten begleitet gewesene Waaren bezahlt wurden, zurückzuerstatten, und die andern Staaten des Zollvereins zu einem ähnlichen Schritte zu veranlassen.“</p> <p>Wir fragen unsere Leser aber, ist es nicht eine Blamage sonder Gleichen, daß eine kaum gegebene Verordnung, welche die deutschen Handelsinteressen bis in die weitesten Verzweigungen berührt, so flott und leicht zurückgenommen wird, als drehe es sich um eine wahre Lapalie, um ein reines Kinderspiel?</p> <p>Was werden die Engländer sagen, die ihre besten Köpfe Tage und Nächte lang über auch nur die kleinste Aenderung der kommerziellen Gesetzgebung im Parlamente debattiren lassen, wenn sie sehen, wie liederlich und wie kindisch wir mit den wichtigsten Angelegenheiten umgehen!</p> <p>Aber die Engländer lachen uns eben aus, sie wissen, daß wir wieder nach ihrer Pfeife tanzen werden und das Lob der Times über jeden literarischen Wisch des Ritters Bunsen klingt daher nur wie die höhnischste Schadenfreude über ein Volk, das trotz aller Revolutionen, die wichtigsten Gesandtschaftsposten noch in solchen Händen läßt, wie in denen eines Bunsen.</p> <p>Die Null Bunsen wird wieder einmal vergöttert und Deutschland hat sich wieder einmal plamirt. Wie lange wird dies noch dauern?</p> </div> <div xml:id="ar135-2_003" type="jArticle"> <head><bibl><author>X</author></bibl>Berlin, 3. Nov. 8 Uhr Abends.</head> <p>Der Graf Brandenburg, jetzt Herr Brandenburg, hat sein Portefeuille, so wie wir eben hören, zurückgegeben, weil es ihm nicht gelungen ist, eine Minister-Combination zusammenzubringen. Der Abgeordnete <hi rendition="#g">Kirchmann,</hi> Staatsanwalt, hat sofort den Auftrag zur Bildung eines neuen Ministeriums erhalten. Er wird so wenig zusammenbringen, wie Brandenburg. ‒ Es ist bei der Nationalversammlung der Antrag auf Bildung einer Kommission zur Untersuchung der gegenwärtigen Lage des Landes gestellt worden. ‒ In der Vereinbarersitzung liefen am Schlusse die Minister fort, wie Schuljungen, taub gegen das Geschrei Dazubleiben. ‒ Ueber den Empfang der Volksrepräsentanten beim Könige folgendes Authentische: Die Deputation mußte lange warten in einer dunkeln Gallerie; dann erschien der Adjutant, Major v. Manteufel, zum Anmelden. Er kam mit der Antwort zurück, Se. Maj. empfange keine Deputation ohne Minister. v. Unruh ersuchte, ihn Sr. Maj. persönlich zu melden. Der Adjutant kehrte zurück mit der diplomatischen Aeußeeung, Se. Maj. habe soeben eine ministerielle Depesche über die Ankunft der Deputirten empfangen, und nun wolle er die Deputation empfangen. Also Audienz. Die Adresse wurde vom Präsidenten verlesen. Als er zu der auf Wien bezüglichen Phrase kam, kehrte der König der Volksrepräs. den Rücken zu, wendete sich jedoch bei dem Worte „Herz u. s. w.“ wieder herzgerührtest um. Dann nahm Er die Adresse, faltete, knitterte sie zusammen, sich entfernend. <hi rendition="#g">Jakoby:</hi> „Wir sind nicht allein hieher gekommen, um die Adresse zu überreichen, sondern um die wahre Sachlage des Landes Ew. Maj. vorzulegen. Wollen Sie uns nicht geneigtes Gehör schenken?“</p> <p>Nein, sagt S. M.</p> <p>Worauf Jacobi erwiderte: „Es ist ein Unglück für die Könige, daß sie die Wahrheit nie hören wollen.“</p> <p>S. M. verschwindet. Bald darauf erscheint der Adjutant zurück und sagt, S. M. könne nicht antworten ohne Minister, vielweniger noch in Folge der letzten Worte.</p> <p>Der Präsident <hi rendition="#g">Unruh</hi> bat S. M. zu bemerken, daß die Adresse beinahe <hi rendition="#g">einstimmig</hi> angenommen sei, die Worte des Abgeordneten Jacobi dagegen nur der Ausdruck einer persönlichen Meinung seien. <hi rendition="#g">Rodbertus</hi> ( ‒) und <hi rendition="#g">Berg</hi> (Karrikatur des Abbé's des 18. Jahrh. moins l'esprit) versuchten zu bemerken, daß sie Jacobi's Meinung nicht theilten, (es also für ein <hi rendition="#g">Glück</hi> der Könige halten, daß sie die Wahrheit <hi rendition="#g">nicht hören wollen;</hi> les bons hommes!); <hi rendition="#g">Baumstark</hi> (Montesquieu LXXII) bemerkt, daß <hi rendition="#g">sie alle</hi> (alle <hi rendition="#g">Baumstarks</hi> nämlich!) nicht beipflichteten, worauf D'Ester den Adjutanten ersucht, Se. M. nicht die Phrase des Montesquieu Baumstark, die <hi rendition="#g">„Alle“,</hi> zu hinterbringen, da Er, D'Ester, Jacobi beipflichte und ganz dessen Ansicht theile. Schließlich theile ich Ihnen noch ein interessantes Faktum mit. Als der Abg. D'Ester in der Sitzung der National-Versammlung vom 3. Nov. bemerkte: (zur faktischen Berichtigung): „Ich muß nothwendig dem Berichte des Präsidenten v. Unruh etwas zufügen. Als die Deputation Sr. Maj. die Adresse überreicht hatte, entfernte sich der König sofort, ohne eine Antwort zu „ertheilen,“ stürzt ein <hi rendition="#g">Wupperthaler</hi> Kaufmannsbursche, Abg. <hi rendition="#g">Scheid</hi> oder <hi rendition="#g">Scheidt,</hi> die Ortographie des großen Mannes ist unbekannt, mit <hi rendition="#g">geballter Faust gegen die Tribüne: „Die Buckskinshändler von der Ruhr das sind die klügsten Leut!</hi>“</p> </div> <div xml:id="ar135-2_004" type="jArticle"> <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 3. Nov.</head> <p>Nach Schluß meines gestrigen Briefes währte die Permanenz der Nationalversammlung fort. Beschlüsse konnten nicht gefaßt werden, indem die Versammlung nicht in beschlußfähiger Anzahl versammelt war. Die Mitglieder der Linken erschienen nach 9 Uhr wieder vollständig auf ihren Bänken, aber die der Rechten blieben leer. Ein kleiner Theil Schwankender von der Rechten hielt sich noch im Nebensaal auf, der größte Theil hatte sich gänzlich entfernt. Da wurde nach 10 1/2 Uhr die Abschrift einer telegraphische Depesche, die eben von Potsdam angekommen, verlesen. Sie war vom Präsidenten Unruh an die Minister Eichmann und Bonin gerichtet, daß sich die Minister schleunigst nach Potsdam zum König begeben möchten. Obgleich diese Depesche schon um 9 Uhr in Potsdam abging und der elektromagnetische Telegraph keinen merklichen Zeitraum zur Beförderung braucht, kam sie dennoch erst nach 10 1/2 Uhr in die Hände des Präsidenten Phillips. Die anwesenden Mitglieder der Rechten, neugierig was die Depesche enthielt, kamen in den Sitzungssaal und die Versammlung war wieder beschlußfähig. Der Präsident brachte nun den Antrag der Nachmittags vom Abgeordn. Schulze (Delitzsch) und Pilet gestellt war: „daß die Versammlung bis zur Rückkehr der Deputation permanent bleibe“, zur Berathung. Die schwankend gewordenen Antragsteller nahmen den Antrag zurück, da die Deputation sobald noch nicht zu erwarten sei. Aber die äußerste Linke nahm ihn auf und der Antrag wurde mit 114 gegen 106 Stimmen nach längerer Debatte angenommen. Die Rechte verlangt hierauf die namentliche Abstimmung; sie entfernt sich aber während derselbrn, so daß die namentliche Abstimmung; ergibt, daß der Permanenzantrag mit 115 gegen 68 Stimmen angenommen ist. Da sich die Rechte entfernt hat, ist die Versammlung wieder beschlußunfähig geworden. Ein Brief des Ministers Eichmann wird verlesen, worin derselbe dem Präsidenten anzeigt, daß er erst am andern Morgen mit dem ersten Zuge, nebst den andern Ministern zum Könige gehen werde. ‒ Dieser Brief erregt allgemeine Entrüstung. „Das ist ein Hohn gegen die Versammlung“, ruft <hi rendition="#g">Elsner u. A.</hi> ‒ Was ist nun zu thun? Der König in Potsdam will der Deputation ohne Anwesenheit der Minister keine Antwort geben. Es ist schon gegen 1 Uhr Morgens. Da vertagt der Präsident <hi rendition="#g">Phillips</hi> die Sitzung bis um 9 Uhr Morgens.</p> <p>Kurz nach Schluß der Sitzung kommt die Deputation von Potsdam zurück. Wie sie erzählt, konnte sie nur mit großer Mühe vorkommen. Als dies geschehen, ließ sich der König die Adresse vorlesen und gab kein Wort Antwort. Bei dem Worte, das von der Lage Oestreichs spricht, soll der König der Deputation den Rücken zugewendet haben. Als ihn Jacoby frug, ob er keine Antwort geben wolle, soll der König kurz mit <hi rendition="#g">nein</hi> geantwortet und sich entfernt haben. Jacoby soll ihm nachgerufen haben: „Das ist das Unglück der Könige, daß sie nie die Wahrheit hören wollen!“</p> <p>Heute Vormittags 9 1/2 Uhr wurde die heute Morgen 8 Uhr vertagte Sitzung vom Präsidenten <hi rendition="#g">Unruh</hi> wieder aufgenommen. Behufs der Feststellung der stenographischen Berichte schloß der Präsident die gestern Morgen 9 1/2 Uhr eröffnete 92ste Sitzung und eröffnete zugleich die 93ste Sitzung. ‒ Hierauf macht der Präsident die Mittheilung vom Verlaufe der Deputation. Als sie um 6 Uhr gestern Abend mit einem Extrazuge nach Potsdam abgefahren und in Sanssouci angekommen war, ließ sich die Deputation durch den dienstthuenden Adjutanten beim Könige anmelden. Der Adjutant antwortete jedoch, daß es seit März Vorschrift wäee, keine Deputation ohne Gegenwart der Minister vorzulassen. Selbst den Präsident <hi rendition="#g">Unruh,</hi> der eine Audienz für seine Person verlangte, wollte der Adjutant nicht anmelden. Endlich verfügte sich der Adjutant dennoch zum Könige und kam mit der Antwort zurück, daß eben eine Depesche von den Ministern angekommen sei, der König möge die Deputation empfangen. Diese ging daher zum Könige, erhielt aber keine Antwort von demselben. Eine telegraphische Depesche an die Minister brachte nach einigen Stunden die Antwort zurück, daß die Minister vom Könige den Befehl erhalten hätten, am andern Morgen zu ihm zu kommen. Hierauf kehrte die Deputation nach Berlin zurück. Der Präsident fügte noch hinzu, daß die Mitglieder der Deputation, <hi rendition="#g">Kühlwetter, Gierke </hi> und <hi rendition="#g">Mätzke</hi> sich privatim zum Könige begaben, der ihnen sagte, daß er es mit den konstitutionellen Prinzipien nicht verträglich finde, der Deputation ohne Anwesenheit der Minister eine Antwort zu geben.</p> <p>Die Ministerbank ist leer. Deshalb glaubt der Präsident, daß man in der Tagesordnung nicht fortfahren könne; da zwar das Prinzip nicht fest steht, daß man ohne Anwesenheit der Minister kein Gesetz berathen dürfe, aber man müsse heute bedenken, daß es den Ministern unmöglich gemacht ist, zu erscheinen, da dieselben beim König zur Berathung versammelt seien. ‒ Da keine Geschäfte vorliegen, beschließt die Versammlung, sich bis Nachmittags 3 Uhr zu vertagen. Bevor die Vertagung ausgesprochen wird, stellt jedoch die Linke den Antrag, die Deputation möge alle Vorgänge des gestrigen Abends bei der Königl. Audienz feststellen. Nach einiger Debatte kommt man darüber zur Abstimmung und nach der Zählung ergibt sich, daß der Antrag mit 187 gegen 170 Stimmen verworfen ist. (Die Zählung geschieht durch 9 Scrutatoren. Einige Leute behaupten, daß gar nicht so viel Mitglieder anwesend waren, und daß sich die Scrutatoren der rechten Seite wenigstens um 20 Mitglieder verzählt haben müsse, die sie zuviel angaben. Die Linke wird sie künftig besser kontrolliren.)</p> <p>D'Ester nimmt jedoch hierauf das Wort: Ich halte es für nothwendig, noch etwas zum Berichte des Präsidenten über die Vorgänge bei der Audienz hinzuzufügen. Nachdem die Adresse </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0687/0001]
Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No. 135. Köln, Sonntag den 5. November. 1848.
Zweite Ausgabe. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Wiener Nachrichten. ‒ Bunsen.) Berlin. Ministercrise. ‒ Empfang der Volksrepräsentanten bei Friedrich Wilhelm IV. ‒ Ein Wupperthaler. ‒ Natioealversammlung.) Stettin. (Milde.) Frankfurt. (Nationalversammlung,) Mannheim. (Der bürgerfreundliche Bekk.) Prag. (Depesche.)!
Italien. Messina. (Zustand. ‒ Neueste Nachrichten.)
Französische Republik. Paris. (Versammlung der Clubs in Wahlversammlungen. ‒ Nationalversammlung. ‒ Vermischtes.)
Deutschland. X Köln, 5. Nov. _ * Köln, 3. Novbr. Der Ritter Bunsen ist gewiß ein ehrenwerther Mann. Der Ritter Bunsen spricht englisch und was noch viel wichtiger ist, er reitet auch englisch: der Ritter Bunsen ist der Gesandte Preußens in London.
Man sieht, was alles aus einem simpeln evangelischen Kandidaten werden kann!
Der Ritter Bunsen ist ein frommer Mann; er schrieb Dutzende von Traktätchen und hielt Dutzende von Reden in Konventikelchen. Der Ritter Bunsen ist der Groß-Ceremonien-Meister eines neuen pietistisch-protestantischen Cultus, der leider nie recht zum Ausbruch kam, der leider nie Gelegenheit hatte, sich einmal praktisch von Grund aus zu blamiren.
Das letztere ist uns immer ein Räthsel gewesen. Der Name Bunsen und das Wort Blamage sind nemlich so eng mit einander verbunden, daß Bunsen ohne eine Blamage fast ein Widerspruch ist.
Wir bekommen jedes Mal einen heiligen Schrecken, wenn wir den Namen Bunsen in irgend einem Blatte genannt sehen, denn wir wissen dann im Voraus, daß irgend ein Unheil im herannahen ist ‒ wie die Möwe dem Sturm, so fliegt der Name Bunsen jeder Blamage vorher. Der Ritter Bunsen ist der Blamagenvogel Deutschlands.
Wehe uns aber erst, wenn wir den edlen Ritter in einem englischen Blatte, wenn wir ihn gar in der Times lobend erwähnt finden! Zu dem Bewußtsein einer Blamage gesellt sich dann noch die Ueberzeugung, daß wir diese Blamage mit unserm guten Gelde baar bezahlen müssen, daß wir den Engländern dafür büßen müssen, in Pfunden, Schillingen und Pencen.
Der Ritter Bunsen ist der kostspieligste Gesandte, den Deutschland je gehabt hat. Eine Lobhudelei des Ritter Bunsen in der Times kostet dem deutschen Volke Hunderttausende.
Doch zur Sache. Seit einiger Zeit wurde Hr. Bunsen nicht mehr genannt. Seit dem Augenblick, wo der Ritter auf das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten der deutschen Centralgewalt spekulirte und sich verspekulirte, war er wie todt und todt mit ihm die Blamage.
Da schlagen wir gestern die Times von Mittwoch, dem 1. Nov. auseinander, und wahrhaftig, wir irren uns nicht, Hr. Bunsen, ist von den Todten auferstanden, die Blamage lebt wieder, die Times bringt einen langen lobenden Leitartikel über den Ritter über eine kleine Broschüre, die er vom Stapel laufen ließ, eine wahre Tartine kaum der Rede werth und erschrocken reiben wir uns die Stirn.
Von wo mag der Wind pfeifen? Was ist der Grund dieses Lobes? Wo steckt die Blamage? Geben wir unsern Lesern Aufschluß darüber.
Am 5. Sept. erließ das Ministerium „Auerswald-Hansemann-Milde eine provisorische Verordnung, die Erhebung eines Zuschlages zu den Eingangsabgaben von einigen ausländischen Waaren betreffend.“ Diese Zollerhöhung, da sie englische Wollen-Garne und Wollenwaaren traf, war ein harter Schlag namentlich für alle Häuser der Grafschaft Yorkshire, die über Hamburg, Rotterdam oder Antwerpen jährlich enorme Quantitäten dieser Artikel nach dem deutschen Kontinente hinübersenden. Wir sehen daher auch die Exporteure von Bradford, Leeds, Huddersfield u. s. w. schon gleich nach Publizirung der preuß. Verordnung, sich in einer energischen Adresse an Lord John Russel wenden, in der man ihn ersuchte, sofort die nöthigen Schritte zu thun, um die Maßregel preußischer Seits rückgängig zu machen. In Deutschland selbst wandten sich die bei der Sache Interessirten mit ähnlichen Protestaktionen direkt an das Handelsministerium in Berlin.
Wir wollen hier nicht untersuchen, ob die Verordnung vom 5. Sept. für das Interesse Deutschlands günstig oder ungünstig war; so viel ist aber gewiß, daß sie schon vor mehreren Tagen eben so feierlich von Preußen wieder zurückgenommen wurde, als sie vor mehreren Wochen feierlich proklamirt ward.
„Es freut uns, sagte die Times am 31. October, die Mittheilung machen zu können, daß die Staaten des Zollvereins, in Betreff einer Erhöhung der Eingangsrechte die Zulassung britischer Waaren, frei von allen additionellen Zöllen beschlossen haben, falls diese Waaren von einem Ursprungs-Certifikate begleitet sind. Das preußische Gouvernement hat außerdem die Absicht, die additionellen Zölle, welche bereits auf, von gehörigen Certifikaten begleitet gewesene Waaren bezahlt wurden, zurückzuerstatten, und die andern Staaten des Zollvereins zu einem ähnlichen Schritte zu veranlassen.“
Wir fragen unsere Leser aber, ist es nicht eine Blamage sonder Gleichen, daß eine kaum gegebene Verordnung, welche die deutschen Handelsinteressen bis in die weitesten Verzweigungen berührt, so flott und leicht zurückgenommen wird, als drehe es sich um eine wahre Lapalie, um ein reines Kinderspiel?
Was werden die Engländer sagen, die ihre besten Köpfe Tage und Nächte lang über auch nur die kleinste Aenderung der kommerziellen Gesetzgebung im Parlamente debattiren lassen, wenn sie sehen, wie liederlich und wie kindisch wir mit den wichtigsten Angelegenheiten umgehen!
Aber die Engländer lachen uns eben aus, sie wissen, daß wir wieder nach ihrer Pfeife tanzen werden und das Lob der Times über jeden literarischen Wisch des Ritters Bunsen klingt daher nur wie die höhnischste Schadenfreude über ein Volk, das trotz aller Revolutionen, die wichtigsten Gesandtschaftsposten noch in solchen Händen läßt, wie in denen eines Bunsen.
Die Null Bunsen wird wieder einmal vergöttert und Deutschland hat sich wieder einmal plamirt. Wie lange wird dies noch dauern?
X Berlin, 3. Nov. 8 Uhr Abends. Der Graf Brandenburg, jetzt Herr Brandenburg, hat sein Portefeuille, so wie wir eben hören, zurückgegeben, weil es ihm nicht gelungen ist, eine Minister-Combination zusammenzubringen. Der Abgeordnete Kirchmann, Staatsanwalt, hat sofort den Auftrag zur Bildung eines neuen Ministeriums erhalten. Er wird so wenig zusammenbringen, wie Brandenburg. ‒ Es ist bei der Nationalversammlung der Antrag auf Bildung einer Kommission zur Untersuchung der gegenwärtigen Lage des Landes gestellt worden. ‒ In der Vereinbarersitzung liefen am Schlusse die Minister fort, wie Schuljungen, taub gegen das Geschrei Dazubleiben. ‒ Ueber den Empfang der Volksrepräsentanten beim Könige folgendes Authentische: Die Deputation mußte lange warten in einer dunkeln Gallerie; dann erschien der Adjutant, Major v. Manteufel, zum Anmelden. Er kam mit der Antwort zurück, Se. Maj. empfange keine Deputation ohne Minister. v. Unruh ersuchte, ihn Sr. Maj. persönlich zu melden. Der Adjutant kehrte zurück mit der diplomatischen Aeußeeung, Se. Maj. habe soeben eine ministerielle Depesche über die Ankunft der Deputirten empfangen, und nun wolle er die Deputation empfangen. Also Audienz. Die Adresse wurde vom Präsidenten verlesen. Als er zu der auf Wien bezüglichen Phrase kam, kehrte der König der Volksrepräs. den Rücken zu, wendete sich jedoch bei dem Worte „Herz u. s. w.“ wieder herzgerührtest um. Dann nahm Er die Adresse, faltete, knitterte sie zusammen, sich entfernend. Jakoby: „Wir sind nicht allein hieher gekommen, um die Adresse zu überreichen, sondern um die wahre Sachlage des Landes Ew. Maj. vorzulegen. Wollen Sie uns nicht geneigtes Gehör schenken?“
Nein, sagt S. M.
Worauf Jacobi erwiderte: „Es ist ein Unglück für die Könige, daß sie die Wahrheit nie hören wollen.“
S. M. verschwindet. Bald darauf erscheint der Adjutant zurück und sagt, S. M. könne nicht antworten ohne Minister, vielweniger noch in Folge der letzten Worte.
Der Präsident Unruh bat S. M. zu bemerken, daß die Adresse beinahe einstimmig angenommen sei, die Worte des Abgeordneten Jacobi dagegen nur der Ausdruck einer persönlichen Meinung seien. Rodbertus ( ‒) und Berg (Karrikatur des Abbé's des 18. Jahrh. moins l'esprit) versuchten zu bemerken, daß sie Jacobi's Meinung nicht theilten, (es also für ein Glück der Könige halten, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen; les bons hommes!); Baumstark (Montesquieu LXXII) bemerkt, daß sie alle (alle Baumstarks nämlich!) nicht beipflichteten, worauf D'Ester den Adjutanten ersucht, Se. M. nicht die Phrase des Montesquieu Baumstark, die „Alle“, zu hinterbringen, da Er, D'Ester, Jacobi beipflichte und ganz dessen Ansicht theile. Schließlich theile ich Ihnen noch ein interessantes Faktum mit. Als der Abg. D'Ester in der Sitzung der National-Versammlung vom 3. Nov. bemerkte: (zur faktischen Berichtigung): „Ich muß nothwendig dem Berichte des Präsidenten v. Unruh etwas zufügen. Als die Deputation Sr. Maj. die Adresse überreicht hatte, entfernte sich der König sofort, ohne eine Antwort zu „ertheilen,“ stürzt ein Wupperthaler Kaufmannsbursche, Abg. Scheid oder Scheidt, die Ortographie des großen Mannes ist unbekannt, mit geballter Faust gegen die Tribüne: „Die Buckskinshändler von der Ruhr das sind die klügsten Leut!“
103 Berlin, 3. Nov. Nach Schluß meines gestrigen Briefes währte die Permanenz der Nationalversammlung fort. Beschlüsse konnten nicht gefaßt werden, indem die Versammlung nicht in beschlußfähiger Anzahl versammelt war. Die Mitglieder der Linken erschienen nach 9 Uhr wieder vollständig auf ihren Bänken, aber die der Rechten blieben leer. Ein kleiner Theil Schwankender von der Rechten hielt sich noch im Nebensaal auf, der größte Theil hatte sich gänzlich entfernt. Da wurde nach 10 1/2 Uhr die Abschrift einer telegraphische Depesche, die eben von Potsdam angekommen, verlesen. Sie war vom Präsidenten Unruh an die Minister Eichmann und Bonin gerichtet, daß sich die Minister schleunigst nach Potsdam zum König begeben möchten. Obgleich diese Depesche schon um 9 Uhr in Potsdam abging und der elektromagnetische Telegraph keinen merklichen Zeitraum zur Beförderung braucht, kam sie dennoch erst nach 10 1/2 Uhr in die Hände des Präsidenten Phillips. Die anwesenden Mitglieder der Rechten, neugierig was die Depesche enthielt, kamen in den Sitzungssaal und die Versammlung war wieder beschlußfähig. Der Präsident brachte nun den Antrag der Nachmittags vom Abgeordn. Schulze (Delitzsch) und Pilet gestellt war: „daß die Versammlung bis zur Rückkehr der Deputation permanent bleibe“, zur Berathung. Die schwankend gewordenen Antragsteller nahmen den Antrag zurück, da die Deputation sobald noch nicht zu erwarten sei. Aber die äußerste Linke nahm ihn auf und der Antrag wurde mit 114 gegen 106 Stimmen nach längerer Debatte angenommen. Die Rechte verlangt hierauf die namentliche Abstimmung; sie entfernt sich aber während derselbrn, so daß die namentliche Abstimmung; ergibt, daß der Permanenzantrag mit 115 gegen 68 Stimmen angenommen ist. Da sich die Rechte entfernt hat, ist die Versammlung wieder beschlußunfähig geworden. Ein Brief des Ministers Eichmann wird verlesen, worin derselbe dem Präsidenten anzeigt, daß er erst am andern Morgen mit dem ersten Zuge, nebst den andern Ministern zum Könige gehen werde. ‒ Dieser Brief erregt allgemeine Entrüstung. „Das ist ein Hohn gegen die Versammlung“, ruft Elsner u. A. ‒ Was ist nun zu thun? Der König in Potsdam will der Deputation ohne Anwesenheit der Minister keine Antwort geben. Es ist schon gegen 1 Uhr Morgens. Da vertagt der Präsident Phillips die Sitzung bis um 9 Uhr Morgens.
Kurz nach Schluß der Sitzung kommt die Deputation von Potsdam zurück. Wie sie erzählt, konnte sie nur mit großer Mühe vorkommen. Als dies geschehen, ließ sich der König die Adresse vorlesen und gab kein Wort Antwort. Bei dem Worte, das von der Lage Oestreichs spricht, soll der König der Deputation den Rücken zugewendet haben. Als ihn Jacoby frug, ob er keine Antwort geben wolle, soll der König kurz mit nein geantwortet und sich entfernt haben. Jacoby soll ihm nachgerufen haben: „Das ist das Unglück der Könige, daß sie nie die Wahrheit hören wollen!“
Heute Vormittags 9 1/2 Uhr wurde die heute Morgen 8 Uhr vertagte Sitzung vom Präsidenten Unruh wieder aufgenommen. Behufs der Feststellung der stenographischen Berichte schloß der Präsident die gestern Morgen 9 1/2 Uhr eröffnete 92ste Sitzung und eröffnete zugleich die 93ste Sitzung. ‒ Hierauf macht der Präsident die Mittheilung vom Verlaufe der Deputation. Als sie um 6 Uhr gestern Abend mit einem Extrazuge nach Potsdam abgefahren und in Sanssouci angekommen war, ließ sich die Deputation durch den dienstthuenden Adjutanten beim Könige anmelden. Der Adjutant antwortete jedoch, daß es seit März Vorschrift wäee, keine Deputation ohne Gegenwart der Minister vorzulassen. Selbst den Präsident Unruh, der eine Audienz für seine Person verlangte, wollte der Adjutant nicht anmelden. Endlich verfügte sich der Adjutant dennoch zum Könige und kam mit der Antwort zurück, daß eben eine Depesche von den Ministern angekommen sei, der König möge die Deputation empfangen. Diese ging daher zum Könige, erhielt aber keine Antwort von demselben. Eine telegraphische Depesche an die Minister brachte nach einigen Stunden die Antwort zurück, daß die Minister vom Könige den Befehl erhalten hätten, am andern Morgen zu ihm zu kommen. Hierauf kehrte die Deputation nach Berlin zurück. Der Präsident fügte noch hinzu, daß die Mitglieder der Deputation, Kühlwetter, Gierke und Mätzke sich privatim zum Könige begaben, der ihnen sagte, daß er es mit den konstitutionellen Prinzipien nicht verträglich finde, der Deputation ohne Anwesenheit der Minister eine Antwort zu geben.
Die Ministerbank ist leer. Deshalb glaubt der Präsident, daß man in der Tagesordnung nicht fortfahren könne; da zwar das Prinzip nicht fest steht, daß man ohne Anwesenheit der Minister kein Gesetz berathen dürfe, aber man müsse heute bedenken, daß es den Ministern unmöglich gemacht ist, zu erscheinen, da dieselben beim König zur Berathung versammelt seien. ‒ Da keine Geschäfte vorliegen, beschließt die Versammlung, sich bis Nachmittags 3 Uhr zu vertagen. Bevor die Vertagung ausgesprochen wird, stellt jedoch die Linke den Antrag, die Deputation möge alle Vorgänge des gestrigen Abends bei der Königl. Audienz feststellen. Nach einiger Debatte kommt man darüber zur Abstimmung und nach der Zählung ergibt sich, daß der Antrag mit 187 gegen 170 Stimmen verworfen ist. (Die Zählung geschieht durch 9 Scrutatoren. Einige Leute behaupten, daß gar nicht so viel Mitglieder anwesend waren, und daß sich die Scrutatoren der rechten Seite wenigstens um 20 Mitglieder verzählt haben müsse, die sie zuviel angaben. Die Linke wird sie künftig besser kontrolliren.)
D'Ester nimmt jedoch hierauf das Wort: Ich halte es für nothwendig, noch etwas zum Berichte des Präsidenten über die Vorgänge bei der Audienz hinzuzufügen. Nachdem die Adresse
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