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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 141. Köln, 12. November 1848. Zweite Ausgabe.

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in den Kattunfabriken. Das Schuhmacher-Gewerk. Das Gürtler-Gewerk. Das Seidenwirker-Gewerk. Die Goldschmiede. Das Töpfer-Gewerk. Das Maurer-Gewerk. Das Zimmer-Gewerk. Das Maler-Gewerk. Die Instrumentenmacher. Das Messerschmiede-Gewerk. Die Maschinenbauarbeiter. Die Schriftgießer. Das Tischler-Gewerk. Die Büreauschreiber. Das Raschmacher-Gewerk. Das Tuchmacher-Gewerk. Die Mechaniker. Das Drechsler-Gewerk. Die Dachdecker. Das Steinsetzer-Gewerk. Die Wagenlackirer. Das Korbmacher-Gewerk. Das Bürstenmacher-Gewerk. Die Formstecher.

NB. Die Vollmachten der Repräsentanten obiger Gewerke sind beim Sekretariat der Versammlung niedergelegt.

Der Präsident hat sogleich die Mitglieder der National-Versammlung zu einer außerordentlichen Sitzung auf Morgens 5 Uhr zusammenberufen lassen.

Die meisten von den zurückgebliebenen Abgeordneten haben abwechselnd die ganze Nacht im Sitzungslokal zugebracht. Um 2 Uhr wurden auch die fehlenden Mitglieder herbeigeholt.

Um 4 Uhr wurde die gesammte Bürgerwehr allarmirt. In diesem Augenblick beginnt die außerordentliche Sitzung der National-Versammlung.

Der Magistrat hat in einer außerordentlichen Nachtsitzung beschlossen, den König durch eine Adresse dringend zu bitten, die Verlegung der National-Versammlung zurückzunehmen.

Es heißt, daß in der geheimen Hofbuchdruckerei die Plakate bereits gedruckt werden, durch welche der Belagerungszustand über Berlin verhängt werden soll.

Berlin, 10. Nov.

Außerordentliche Sitzung der Nationalversammlung. Morgens 5 Uhr.

Der Präsident Unruh eröffnet die Sitzung um 5 Uhr Morgens mit dem Bemerken, daß die Nachrichten, welche in der Nacht an ihn eingegangen, das Präsidium dazu veranlaßt haben, mit der Wiedereröffnung der gestern vertagten Sitzung nicht erst bis 9 Uhr zu warten. Das Protokoll der gestrigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.

Ein Schreiben des Abg. Daniels zeigt an, daß er auf Grund des § 12 des Wahlgesetzes und der königl. Botschaft sich am 27. in Brandenburg einfinden werde, daß er die, während dieser Zeit gefaßten Beschlüsse nicht als bindend anerkenne, und dagegen einen Protest mitunterzeichnet habe, dessen Original sich in den Händen des Abg. Tamnau befinde.

Der Präsident erklärt, daß ihm dieser Protest nicht mitgetheilt worden, daß er aber vermuthe, es sei dies jener Protest, welcher gestern als Straßenplakat erschienen.

Weiter zeigt der Präsident an, daß er von den gestern gefaßten Beschlüssen dem Staatsministerium Kenntniß gegeben, und daß ihm darauf eine Antwort des Grafen Brandenburg zugekommen, welche nicht an den Präsidenten der Nationalversammlung, sondern an den Regierungsrath v. Unruh gerichtet sei. Er wolle sie verlesen lassen. - (Der Sekretär verliest das Schreiben des Grafen Brandenburg. Siehe unser erstes Extrablatt unter Nro. 1.)

Nach geschehener Verlesung sagt der Präsident: Ich glaube nicht, daß die Nationalversammlung Veranlassung hat, auf dieses an mich persönlich gerichtete Schreiben irgend wie einzugehen.

Weiter werden die von dem Kommando der Bürgerwehr dem Präsidenten zugekommenen Schriftstücke durch den Sekretär v. Plönnies verlesen. (Siehe unser erstes Extrablatt unter Nro. 2, 3, 4.)

Endlich wird auch noch die Adresse der Arbeiter mitgetheilt. (Siehe ebenfalls unser erstes Extrablatt.)

Der Peäsident. Die Adresse ist von einer großen Anzahl von Gewerken durch ihre bevollmächtigten Vertreter unterzeichnet worden.

Präsident. Es ist ferner noch eine Deputation des Magistrats vor kurzer Zeit hier gewesen.

Ich habe die Herren Vicepräsidenten Bornemann, Philipps und Waldeck ersucht, zugegen zu sein. Die Deputation des Magistrats theilte mit, daß der Magistrat eine Adresse an Se. Maj. Den König noch am heutigen Morgen richte, worin er auf das Dringendste bäte, die Verlegung der National-Versammlung nach Brandenburg zurückzunehmen und den Konflikt, der seit gestern eingetreten ist, zu beseitigen. Die Deputation fügte hinzu, daß sie nicht umhin könne, den Wunsch auszusprechen, daß von Seiten der hohen Versammlung versöhnende Schritte geschehen, und namentlich möge die National-Versammlung auch dahin wirken, daß nicht Blut vergossen werde. Ich habe darauf der Deputation erwiedert, daß ich ihr zunächst nur meine persönliche Ansicht mittheilten könne. Was den letzten Theil ihrer Aeußerung anlangte, so stimmte ich damit vollkommen überein. Ich wäre entschieden der Meinung, daß ein von der National-Versammlung provozirtes Blutvergießen der guten Sache nur schaden könne. Ich wäre der Meinung, daß die Ruhe, welche gestern den Tag über in Berlin stattgefunden hat, das Interesse der guten Sache gefördert, und jeden Vorwand zu Zwangs- und Gewaltmaßregeln, zur Erklärung eines Belagerungszustandes fortgenommen hat. Ich würde für meine Person es ferner für meine Pflicht halten, in diesem Sinne zu wirken; ich wäre entschieden der Meinung, daß hier zwar passiver Widerstand geleistet werden könne, und daß die wahre Entscheidung über die schwere Krisis, welche durch die jetzigen Rathgeber der Krone hereingebrochen ist, in der Hand des Landes liege. So lange die Presse, so lange das Vereinigungsrecht nicht von Neuem geknebelt sei, habe das Land das Mittel in den Händen, selbst ohne Blutvergießen den Sieg über die jetzigen Bestrebungen der Reaktion herbei zu führen. (Lautes Bravo der ganzen Versammlung) Wenn die Reichen, wenn alle Associationen, wenn alle Wahlbezirke, wenn alle größeren Städte sich auf das Entschiedenste erklären, wenn sie unserer Ansicht beitreten, wenn sie Proteste gegen das Benehmen des jetzigen Ministeriums erlassen, wenn dies vom ganzen Lande geschieht, dann ist kein Zweifel, daß das Erfolg haben muß. Ist das Land oder ein großer Theil des Landes dieser Meinung nicht, nun, meine Herren, dann hat das Land es zu verantworten, wenn die eben aufblühende Freiheit wieder verdorrt. Ich habe auf den ersten Theil der Aeußerung des Magistrats erwiedert, daß ich es nicht der Würde der Nationalversammlung angemessen fände, irgend einen Schritt zu thun, welcher auf ein Nachgeben der Nationalversammlung hindeutete. (Lebhaftes Bravo.)

Ich bin ferner der Meinung, daß man mit solchen Schritten gerade das Gegentheil erreichen würde. - Man würde glauben, die National-Versammlung und mit ihr das Land werde sich den ungesetzlichen Schritten, welche geschehen sind, ganz fügen. Ich habe der Deputation des Magistrats ferner mitgetheilt und ich bringe es auch hiermit zu Ihrer Kenntniß, daß ich es für meine Schuldigkeit gehalten habe, in Gemeinschaft mit einem Ihrer Vicepräsidenten, Bornemann, am verflossenen Freitage uns bei Sr. Maj. anmelden zu lassen. Wir wollten dem Könige abermals Gelegenheit bieten, wahre und bestimmte Nachrichten sowohl über die Ansichten der Nationalversammlung als auch über die Lage des Landes und den obwaltenden Verhältnissen zu vernehmen, um jeden anscheinenden Grund zu Konflikten zu beseitigen. Wir haben dem Gen. v. Willisen dies ausdrücklich gesagt, und ich habe hinzugesetzt, daß er die Abgeord. Bornemann und Unruh melden möchte. Willissen hat mir darauf geantwortet, daß Se. Majestät der König verhindert sei, uns zu sprechen. Ich habe geglaubt, wie ich vorher erwähnt habe, daß dieser Schritt in meiner Pflicht lag, nicht als Ihr Präsident, sondern in der Pflicht eines wahren Vaterlandsfreundes. Ich habe geglaubt, daß dem König diese Gelegenheit gegeben werden müsse, um zu hören, wie die Sachen wirklich stünden. Diese Gelegenheit ist nicht benutzt worden. Von da ab habe ich aber auch jede Zumuthung, einen zweiten Schritt dieser Art zu thun, abgelegt. Ich habe mich nicht für ermächtigt gehalten, als Ihr Präsident mich nochmals melden zu lassen, weil ich nicht wissen konnte, welche Folgen dieser Schritt haben würde, und ob ich diese Folgen vor Ihnen vertreten könne. In Beziehung auf den Inhalt der verlesenen Schriftstücke, kann ich von Neuem nur wiederholen, daß es nach der reiflichsten Ueberlegung meine feste Ueberzeugung ist, wir dürfen, wenn wir den Boden im Lande nicht verlieren wollen, den Gewaltschritten der Krone passiven Widerstand entgegensetzen. Jeder Tropfen Blut, durch unsere Schuld vergossen, kann die Lage der Dinge nicht verbessern; er kann uns schaden. Ich habe vorher meine Motive bereits näher auseinandergesetzt, ich kann auch den Beschluß, den Sie am 2. November wegen des Schutzes der Versammlung gefaßt haben, nicht so verstehen, als ob ich in Folge dieses Beschlusses verpflichtet wäre, die Bürgerwehr zum Kampfe für uns irgendwie zu veranlassen.

Ich kann diesen Beschluß nicht so verstehen, als ob Sie, meine Herren, sich umgeben wollten mit einer Mauer bewaffneter Bürger, welche nach der Ansicht tapferer, aber einsichtsvoller Männer, der überlegenen, rohen Gewalt nicht zu widerstehen im Stande sind. Dasselbe werden wir erreichen, wenn wir nur passiven Widerstand leisten, und uns hier nur durch die Gewalt von unseren Plätzen vertreiben lassen (Allgemeines Bravo), und das Vaterland wird es erkennen, daß wir zwar bereit sind, für die Freiheit des Landes und des Volkes unseren letzten Blutstropfen zu vergießen, daß wir aber das Bürgerblut für zu hoch halten, für zu kostbar achten, um unnütz auch nur einen einzigen Tropfen zu vergeuden. (Bravo.) Ich werde daher, meine Herren, wenn der Fall eintreten sollte, daß die bewaffnete Macht uns gegenübertritt, keinen Schritt thun, der die Mitglieder der Bürgerwehr veranlassen könnte, aktiv uns zu schützen, ich werde im Gegentheil keinen Anstand nehmen, und ich habe bereits Gelegenheit genommen, mich gegen mehrere Mitglieder des Bürgerwehr-Kommandos ausdrücklich dahin zu äußern, daß nach meiner persönlichen Ansicht derjenige Theil der Bürgerwehr, welcher an unserem Versammlungshause zu unserem Schutze aufgestellt ist, nur passiven Widerstand leisten solle, daß wir aber unsere Plätze nicht verlassen. Meine Herren! In diesem Sinne werde ich verfahren (Bravo.) Der Erklärung des Berliner Bezirks-Comites der Arbeiter kann ich nur dasselbe entgegensetzen, was ich in Beziehung auf die Bürgerwehr gesagt habe. Wir sind weit entfernt, meine Herren, wenn ich Ihre Meinung richtig aufgefaßt habe, diese Männer, deren Kraft und deren Muth dem Vaterlande gehört, zu veranlassen oder auch nur es zu dulden, daß sie zur unrechten Zeit und am unrechten Ort diese, dem Vaterlande gewidmeten Kräfte opfern. (Bravo!)

Der Präsident. Es sind dringende Anträge eingegangen, die ich der Prioritätskommission überwiesen. Ich werde die Beschlußfähigkeit der Versammlung konstatiren lassen. Hierauf erfolgt der Namensaufruf. Es sind 218 Mitglieder zugegen. Die Versammlung ist somit beschlußfähig. Nach und nach wächst die Zahl auf 225.

Hierauf wird der Antrag eingebracht, daß der Präsident diejenigen Mitglieder, welche ohne Urlaub oder ohne durch Krankheit verhindert zu sein, sich der Theilnahme an der Berathung entzogen haben, auffordern möge, unverweilt ihrer Pflicht nachzukommen.

Wollheim will die Dringlichkeit motiviren. Man ruft ihm von der Rechten zu, die Dringlichkeit wird nicht bestritten. Wollheim verzichtet hierauf aufs Wort. Der Präsident (Bornemann) Ich eröffne die Diskussion. Man ruft: Schluß! Schluß!

Schulz (Delitzsch): Ich weiß, es bedarf dessen nicht, den Antrag hier vor Ihnen zu motiviren, aber es ist nöthig, daß auch das Land die Motive kenne. Wir leben in einem großen Momente, deswegen sind wir dem Lande die genaueste Rechenschaft schuldig über Alles, was wir thun. Durch die Entfernung vieler Mitglieder ist ein bedeutender Theil des Landes nicht vertreten. Wir werden durch diesen Antrag in legaler Weise ihren Wählern über das Benehmen dieser Vertreter Nachricht geben. Aber wir sind diesen Antrag auch uns selbst schuldig. Sie haben gehört, wie die Behörden es wagen, mit uns umzugehn. Der Absolutismus taucht wieder auf. Man behandelt uns wie Herrendiener, die man hierhin und dorthin schiebt, die gehorchen müssen; man spricht von einer sogenannten Nationalversammlung. Wir müssen denen, die es gewagt haben, so mit uns zu reden, zeigen, daß wir wirklich die Nationalversammlung sind, daß wir Vertreter einer Nation von 16 Millionen sind, und daß wir unser Ansehen zu wahren wissen. (Bravo!) Der Antrag wird einstimmig angenommen.

Der Präsident Unruh: Da Weiteres im Augenblick zur Verhandlung nicht vorliegt, und ich die Berathung der gewöhnlichen Tagesordnung in diesem Augenblick nicht für geeignet halte, so gebe ich den Mitgliedern anheim, ungestört im Saale zu verweilen, ohne die Sitzung zu unterbrechen.

103 Berlin, 10. Nov.

Von 6 bis 9 1/2 Uhr Morgens waren die Abgeordneten zwar im Saal anwesend, jedoch wurde die Berathung nicht fortgesetzt. Um 9 1/2 Uhr verkündet der Präsident Unruh, daß die Sitzung fortgesetzt wird. Der Namensaufruf ergiebt, daß 251 Mitglieder anwesend sind. Man geht zu der Tagesordnung, der Fortsetzung der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung der Feudatlasten, über. Getzler (einer von der Rechten übrig gebliebenen) protestirt in seinem und im Namen seiner politischen Freunde gegen alle Beschlüsse, welche und in materiellen Fragen getroffen werden, weil keine Räthe der Krone anwesend waren. Sie würden sich der Abstimmung enthalten.

Parrisius entgegnet in klarer Rede auf die Albernheiten des Abgeordneten Getzler.

Plönnies, der bisher zur äußersten Rechten gehörte, sich aber seit gestern mit allen Beschlüssen der Nationalversammlung einverstanden erklärt hat, nimmt das Wort: Die Erklärung des Abgeordneten Geßler bezieht sich nicht auf mich und meine Freunde, nicht alle Mitglieder der sogenannten Rechten sind seiner Ansicht. Die Versammlung ist meiner Ansicht nach vollkommen berechtigt, das auf der Tagesordnung befindliche Gesetz zu berathen.

Schulze von Minden schließt sich dem an.

Bornemann schlägt vor, den Petitionsbericht zu berathen, weil die Versammlung zu aufgeregt sei, um das wichtige Lastengesetz zu berathen.

Die Versammlung willigt ein und man nimmt den Petitionsbericht vor. Um 12 Uhr ist man damit fertig. Bis 3 Uhr unterhält sich die Versammlung in Privatgesprächen. Da kommt die Nachricht an, daß die Garderegimenter zum Brandenburger und Potsdamer Thor eingerückt seien. Auch die Garde-Artillerie rückt ein.

Waldeck, Rodbertus etc. stellen den Antrag: Die Versammlung wolle beschließen:

"daß eine von dem Präsidenten zu ernennende Kommission von 5 Mitgliedern zur sofortigen Redaktion einer Proklamation an das preußische Volk zur Aufklärung über die von der Staatsregierung erfolgte Beeinträchtigung der Rechte des Volkes und der Nationalversammlung niedergesetzt werde. "

Dieser Antrag wird nach kurzer Diskussion fast einstimmig angenommen. Nur Kunth und Maaßen von der Rechten sprechen sich dagegen aus. Berg meint, diese Proklamation ist vielleicht das Testament dieser Versammlung. Der Präsident ernennt die Abgeordneten: Elsner, Pilet, Moritz, Zachariae und Schulze von Minden als die 5 Mitglieder der Kommission (von jeder Fraktion einen.)

Der Namensaufruf ergiebt, daß 252 Mitglieder anwesend sind, Während dieser Zeit marschiren die Truppen unter Wrangel's Befehl vor den Sitzungsaal der Nationalversammlung und besetzen den großen Platz (Gensd'armenmarkt) an allen vier Ecken. An jeder Ecke ein Bataillon. Die Artillerie fährt nur vor den Augen der Nationalversammlung vorüber, um derselben Schrecken einzujagen. Die Artillerie hätte ganz gut den graden Weg durch die Leipziger Straße passiren können.

Die Bürgerwehr bleibt ruhig in ihrer eingenommenen Stellung, ringsum dicht am Schauspielhaus. Jeden Augenblick erwartet man im Sitzungssaal der Nationalversammlung, daß Wrangel eindringen würde, um die Versammlung zu sprengen, aber es bleibt noch alles ruhig.

Berg. Der Augenblick drängt, ich habe mir deshalb erlaubt, das Siegel der Nationalversammlung aus den Händen der Unterbeamten zu nehmen und lege es in die Hände des Präsidenten nieder.

Die Proklamation ist während dieser Zeit von der Kommission redigirt worden. Abgeordnete Pilet verliest dieselbe, sie lautet: "An das preußische Volk!

Das Ministerium Brandenburg, welches gegen die fast einstimmig ausgesprochene Erklärung der Nationalversammlung die Leitung der Geschäfte des Landes übernommen, hat seine Thätigkeit damit begonnen, daß es einseitig die Verlegung der Sitzungen der Nationalversammlung nach Brandenburg befohlen. Die Versammlung der preußischen Volksvertreter hat diesen Eingriff in ihre Rechte dadurch zurückgewiesen, daß sie mit großer Majorität den Beschluß gefaßt hat, ihre Berathung in Berlin fortzusetzen; sie hat zu gleicher Zeit erklärt, daß der Krone das Recht nicht zustehe, die Versammlung wider ihren Willen zu vertagen, zu verlegen oder aufzulösen, und daß sie diejenigen verantwortlichen Beamten, welche der Krone zur Erlassung jener Botschaft gerathen haben, nicht für fähig erachte, der Regierung des Landes vorzustehen, vielmehr dafür halte, daß dieselben schwerer Pflichtverletzung gegen die Krone, gegen das Land und gegen die Versammlung sich schuldig gemacht habe. Das Ministerium Brandenburg hat in Folge dieser Ereignisse die Versammlung für eine ungesetzliche erklärt und die Anwendung militärischer Gewalt angedroht, um die Fortdauer der Berathung zu hemmen. In dem schweren Augenblicke, wo die gesetzliche Vertretung des Volkes durch Bayonette auseinandergesprengt wird, rufen wir Euch zu, haltet fest an den errungenen Freiheiten, wie wir mit allen unseren Kräften und mit unserem Leben dafür einstehen. Aber verlaßt auch keinen Augenblick den Boden des Gesetzes. Die ruhige und entschlossene Haltung eines für die Freiheit reifen Volkes wird mit Gottes Hülfe der Freiheit den Sieg sichern."

Großer und allgemeiner Beifall folgt der Verlesung dieser Proklamation. Die Zuschauer auf den Tribünen stimmen mit ein. Die Proklamation wird ohne Debatte einstimmig angenommen. Neuer Beifall von allen Seiten und von den Zuschauertribunen.

Rodbertus stellt den Antrag, in der Tagesordnung fortzufahren, wird angenommen.

Nr. 13 des § 1 wird verlesen. Der Berichterstatter Pilet motivirt denselben. Eine Menge Amendements zu dieser Nummer kommen zur Unterstützung und nach einer kurzen Debatte beschließt man, alle Amendements an die Centralabtheilung zu verweisen, damit dieselbe einen Bericht darüber erstatte.

Während dieser Berathung unter Vorsitz des Vicepräsidenten Bornemann sammeln sich ungeheuere Menschenmassen auf dem Platze. Das Militär steht ruhig da. Das Volk bringt der Bürgerwehr und dem Kommandanten Rimpler Lebehochs und verhöhnt Wrangel, er möge doch seinen Pferden des Gras, welches auf den Straßen wächst, abfressen lassen u. s. w.

Um 4 1/2 Uhr erscheint der Präsident Unruh wieder und macht die Mittheilung, daß er von Rimpler folgenden mündlichen Bericht erhalten habe. Es sind große Truppenmassen um den Sitzungssaal aufgestellt. Rimpler habe den General Thümen (Kommandant von Berlin) gefragt, welche Ursachen diese Truppenaufstellung habe. Dieser habe ihn an Wrangel gewiesen, da alles auf höhern Befehl geschehe. Wrangel antwortet, daß er seine Truppen gern in die Quartiere rücken lasse. - Rimpler: Dem stehe ja nichts entgegen. - Wrangel: Zuvor müsse sich jedoch die Bürgerwehr zurückziehen. - Rimpler: Die Bürgerwehr müsse die Nationalsammlung schützen. - Wrangel: Auch ich will die Nationalversammlung schützen. - Rimpler: Wie lange werden die Truppen auf diesem Platze bleiben? - Wrangel: Meine Truppen sind gewöhnt, zu bivouakiren; ich verlasse diesen Platz nicht eher, als bis die Abgeordneten diesen Saal verlassen haben und wenn ich 8 Tage hier bivouakiren soll. - Rimpler: Die Bürgerwehr würde vierzehn Tage hier bleiben, wenn es die Nationalversammlung wünsche.

Der Präsident Unruh schlägt vor, in Folge dieses Berichtes ein Schreiben an Wrangel zu richten, daß sich die Versammlung seinen Schutz verbäte, indem sie ihn nicht bedürfe.

Auf dieses Schreiben läßt Wrangel mündlich zurück erklären: Die Truppen würden unter keiner Bedingung die freie Cirkulation hemmen. Der Austritt der im Saale Anwesenden sei gestattet, er würde jedoch kein Mitglied der Nationalversammlung wieder hereinlassen. Er kenne keine Nationalversammlung. Auch eine schriftliche Antwort werde er nicht geben, da er keinen Präsidenten der Nationalversammlung hier anerkenne. Er erklärt nochmals, den Platz nicht zu verlassen, bis alle Abgeordnete den Saal verlassen haben und er werde dafür sorgen, daß Niemand wieder hineinkomme.

Die Nationalversammlung protestirt gegen die, gegen dieselbe angewendete militärische Zwangsmaßregeln. Sie beschließt, sich bis morgen früh 9 Uhr zu vertagen und morgen Früh zu versuchen, wieder in diesen Saal hineinzukommen. Wenn dies unmöglich gemacht würde, werde man sich in einem andern Saal versammeln.

Um 5 Uhr verlassen alle Abgeordnete in corpore den Sitzungssaal und begeben sich ungehindert in die Parteisitzungen. Sie werden jubelnd und mit tausendfachen Hurrah's vom Volke empfangen und begleitet. Die Bürgerwehr zieht ab, gleichzeitig das Militär.

103 Berlin, 10. Nov., 8 Uhr Abends.

Das Militär ist ungehindert heute Nachmittag in die Stadt eingerückt und hat einige Wachen besetzt. Das königl. Wort, daß ohne Zustimmung der Stadtbehörden kein Militär einrücken soll, ist heute eigenmächtig gebrochen worden. Die Kamarilla hoffte dadurch einen Kampf zu provoziren, um Berlin dann in Belagerungszustand erklären zu können. Die Minister hatten die Plakate, wodurch der Belagerungszustand erklärt werden sollte, schon heute Vormittag in der Deckerschen Oberhofbuchdruckerei drucken lassen.

Berlin konnte sich heute 50,000 Mann mit 200 Kanonen nicht widersetzen.

in den Kattunfabriken. Das Schuhmacher-Gewerk. Das Gürtler-Gewerk. Das Seidenwirker-Gewerk. Die Goldschmiede. Das Töpfer-Gewerk. Das Maurer-Gewerk. Das Zimmer-Gewerk. Das Maler-Gewerk. Die Instrumentenmacher. Das Messerschmiede-Gewerk. Die Maschinenbauarbeiter. Die Schriftgießer. Das Tischler-Gewerk. Die Büreauschreiber. Das Raschmacher-Gewerk. Das Tuchmacher-Gewerk. Die Mechaniker. Das Drechsler-Gewerk. Die Dachdecker. Das Steinsetzer-Gewerk. Die Wagenlackirer. Das Korbmacher-Gewerk. Das Bürstenmacher-Gewerk. Die Formstecher.

NB. Die Vollmachten der Repräsentanten obiger Gewerke sind beim Sekretariat der Versammlung niedergelegt.

Der Präsident hat sogleich die Mitglieder der National-Versammlung zu einer außerordentlichen Sitzung auf Morgens 5 Uhr zusammenberufen lassen.

Die meisten von den zurückgebliebenen Abgeordneten haben abwechselnd die ganze Nacht im Sitzungslokal zugebracht. Um 2 Uhr wurden auch die fehlenden Mitglieder herbeigeholt.

Um 4 Uhr wurde die gesammte Bürgerwehr allarmirt. In diesem Augenblick beginnt die außerordentliche Sitzung der National-Versammlung.

Der Magistrat hat in einer außerordentlichen Nachtsitzung beschlossen, den König durch eine Adresse dringend zu bitten, die Verlegung der National-Versammlung zurückzunehmen.

Es heißt, daß in der geheimen Hofbuchdruckerei die Plakate bereits gedruckt werden, durch welche der Belagerungszustand über Berlin verhängt werden soll.

Berlin, 10. Nov.

Außerordentliche Sitzung der Nationalversammlung. Morgens 5 Uhr.

Der Präsident Unruh eröffnet die Sitzung um 5 Uhr Morgens mit dem Bemerken, daß die Nachrichten, welche in der Nacht an ihn eingegangen, das Präsidium dazu veranlaßt haben, mit der Wiedereröffnung der gestern vertagten Sitzung nicht erst bis 9 Uhr zu warten. Das Protokoll der gestrigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.

Ein Schreiben des Abg. Daniels zeigt an, daß er auf Grund des § 12 des Wahlgesetzes und der königl. Botschaft sich am 27. in Brandenburg einfinden werde, daß er die, während dieser Zeit gefaßten Beschlüsse nicht als bindend anerkenne, und dagegen einen Protest mitunterzeichnet habe, dessen Original sich in den Händen des Abg. Tamnau befinde.

Der Präsident erklärt, daß ihm dieser Protest nicht mitgetheilt worden, daß er aber vermuthe, es sei dies jener Protest, welcher gestern als Straßenplakat erschienen.

Weiter zeigt der Präsident an, daß er von den gestern gefaßten Beschlüssen dem Staatsministerium Kenntniß gegeben, und daß ihm darauf eine Antwort des Grafen Brandenburg zugekommen, welche nicht an den Präsidenten der Nationalversammlung, sondern an den Regierungsrath v. Unruh gerichtet sei. Er wolle sie verlesen lassen. ‒ (Der Sekretär verliest das Schreiben des Grafen Brandenburg. Siehe unser erstes Extrablatt unter Nro. 1.)

Nach geschehener Verlesung sagt der Präsident: Ich glaube nicht, daß die Nationalversammlung Veranlassung hat, auf dieses an mich persönlich gerichtete Schreiben irgend wie einzugehen.

Weiter werden die von dem Kommando der Bürgerwehr dem Präsidenten zugekommenen Schriftstücke durch den Sekretär v. Plönnies verlesen. (Siehe unser erstes Extrablatt unter Nro. 2, 3, 4.)

Endlich wird auch noch die Adresse der Arbeiter mitgetheilt. (Siehe ebenfalls unser erstes Extrablatt.)

Der Peäsident. Die Adresse ist von einer großen Anzahl von Gewerken durch ihre bevollmächtigten Vertreter unterzeichnet worden.

Präsident. Es ist ferner noch eine Deputation des Magistrats vor kurzer Zeit hier gewesen.

Ich habe die Herren Vicepräsidenten Bornemann, Philipps und Waldeck ersucht, zugegen zu sein. Die Deputation des Magistrats theilte mit, daß der Magistrat eine Adresse an Se. Maj. Den König noch am heutigen Morgen richte, worin er auf das Dringendste bäte, die Verlegung der National-Versammlung nach Brandenburg zurückzunehmen und den Konflikt, der seit gestern eingetreten ist, zu beseitigen. Die Deputation fügte hinzu, daß sie nicht umhin könne, den Wunsch auszusprechen, daß von Seiten der hohen Versammlung versöhnende Schritte geschehen, und namentlich möge die National-Versammlung auch dahin wirken, daß nicht Blut vergossen werde. Ich habe darauf der Deputation erwiedert, daß ich ihr zunächst nur meine persönliche Ansicht mittheilten könne. Was den letzten Theil ihrer Aeußerung anlangte, so stimmte ich damit vollkommen überein. Ich wäre entschieden der Meinung, daß ein von der National-Versammlung provozirtes Blutvergießen der guten Sache nur schaden könne. Ich wäre der Meinung, daß die Ruhe, welche gestern den Tag über in Berlin stattgefunden hat, das Interesse der guten Sache gefördert, und jeden Vorwand zu Zwangs- und Gewaltmaßregeln, zur Erklärung eines Belagerungszustandes fortgenommen hat. Ich würde für meine Person es ferner für meine Pflicht halten, in diesem Sinne zu wirken; ich wäre entschieden der Meinung, daß hier zwar passiver Widerstand geleistet werden könne, und daß die wahre Entscheidung über die schwere Krisis, welche durch die jetzigen Rathgeber der Krone hereingebrochen ist, in der Hand des Landes liege. So lange die Presse, so lange das Vereinigungsrecht nicht von Neuem geknebelt sei, habe das Land das Mittel in den Händen, selbst ohne Blutvergießen den Sieg über die jetzigen Bestrebungen der Reaktion herbei zu führen. (Lautes Bravo der ganzen Versammlung) Wenn die Reichen, wenn alle Associationen, wenn alle Wahlbezirke, wenn alle größeren Städte sich auf das Entschiedenste erklären, wenn sie unserer Ansicht beitreten, wenn sie Proteste gegen das Benehmen des jetzigen Ministeriums erlassen, wenn dies vom ganzen Lande geschieht, dann ist kein Zweifel, daß das Erfolg haben muß. Ist das Land oder ein großer Theil des Landes dieser Meinung nicht, nun, meine Herren, dann hat das Land es zu verantworten, wenn die eben aufblühende Freiheit wieder verdorrt. Ich habe auf den ersten Theil der Aeußerung des Magistrats erwiedert, daß ich es nicht der Würde der Nationalversammlung angemessen fände, irgend einen Schritt zu thun, welcher auf ein Nachgeben der Nationalversammlung hindeutete. (Lebhaftes Bravo.)

Ich bin ferner der Meinung, daß man mit solchen Schritten gerade das Gegentheil erreichen würde. ‒ Man würde glauben, die National-Versammlung und mit ihr das Land werde sich den ungesetzlichen Schritten, welche geschehen sind, ganz fügen. Ich habe der Deputation des Magistrats ferner mitgetheilt und ich bringe es auch hiermit zu Ihrer Kenntniß, daß ich es für meine Schuldigkeit gehalten habe, in Gemeinschaft mit einem Ihrer Vicepräsidenten, Bornemann, am verflossenen Freitage uns bei Sr. Maj. anmelden zu lassen. Wir wollten dem Könige abermals Gelegenheit bieten, wahre und bestimmte Nachrichten sowohl über die Ansichten der Nationalversammlung als auch über die Lage des Landes und den obwaltenden Verhältnissen zu vernehmen, um jeden anscheinenden Grund zu Konflikten zu beseitigen. Wir haben dem Gen. v. Willisen dies ausdrücklich gesagt, und ich habe hinzugesetzt, daß er die Abgeord. Bornemann und Unruh melden möchte. Willissen hat mir darauf geantwortet, daß Se. Majestät der König verhindert sei, uns zu sprechen. Ich habe geglaubt, wie ich vorher erwähnt habe, daß dieser Schritt in meiner Pflicht lag, nicht als Ihr Präsident, sondern in der Pflicht eines wahren Vaterlandsfreundes. Ich habe geglaubt, daß dem König diese Gelegenheit gegeben werden müsse, um zu hören, wie die Sachen wirklich stünden. Diese Gelegenheit ist nicht benutzt worden. Von da ab habe ich aber auch jede Zumuthung, einen zweiten Schritt dieser Art zu thun, abgelegt. Ich habe mich nicht für ermächtigt gehalten, als Ihr Präsident mich nochmals melden zu lassen, weil ich nicht wissen konnte, welche Folgen dieser Schritt haben würde, und ob ich diese Folgen vor Ihnen vertreten könne. In Beziehung auf den Inhalt der verlesenen Schriftstücke, kann ich von Neuem nur wiederholen, daß es nach der reiflichsten Ueberlegung meine feste Ueberzeugung ist, wir dürfen, wenn wir den Boden im Lande nicht verlieren wollen, den Gewaltschritten der Krone passiven Widerstand entgegensetzen. Jeder Tropfen Blut, durch unsere Schuld vergossen, kann die Lage der Dinge nicht verbessern; er kann uns schaden. Ich habe vorher meine Motive bereits näher auseinandergesetzt, ich kann auch den Beschluß, den Sie am 2. November wegen des Schutzes der Versammlung gefaßt haben, nicht so verstehen, als ob ich in Folge dieses Beschlusses verpflichtet wäre, die Bürgerwehr zum Kampfe für uns irgendwie zu veranlassen.

Ich kann diesen Beschluß nicht so verstehen, als ob Sie, meine Herren, sich umgeben wollten mit einer Mauer bewaffneter Bürger, welche nach der Ansicht tapferer, aber einsichtsvoller Männer, der überlegenen, rohen Gewalt nicht zu widerstehen im Stande sind. Dasselbe werden wir erreichen, wenn wir nur passiven Widerstand leisten, und uns hier nur durch die Gewalt von unseren Plätzen vertreiben lassen (Allgemeines Bravo), und das Vaterland wird es erkennen, daß wir zwar bereit sind, für die Freiheit des Landes und des Volkes unseren letzten Blutstropfen zu vergießen, daß wir aber das Bürgerblut für zu hoch halten, für zu kostbar achten, um unnütz auch nur einen einzigen Tropfen zu vergeuden. (Bravo.) Ich werde daher, meine Herren, wenn der Fall eintreten sollte, daß die bewaffnete Macht uns gegenübertritt, keinen Schritt thun, der die Mitglieder der Bürgerwehr veranlassen könnte, aktiv uns zu schützen, ich werde im Gegentheil keinen Anstand nehmen, und ich habe bereits Gelegenheit genommen, mich gegen mehrere Mitglieder des Bürgerwehr-Kommandos ausdrücklich dahin zu äußern, daß nach meiner persönlichen Ansicht derjenige Theil der Bürgerwehr, welcher an unserem Versammlungshause zu unserem Schutze aufgestellt ist, nur passiven Widerstand leisten solle, daß wir aber unsere Plätze nicht verlassen. Meine Herren! In diesem Sinne werde ich verfahren (Bravo.) Der Erklärung des Berliner Bezirks-Comités der Arbeiter kann ich nur dasselbe entgegensetzen, was ich in Beziehung auf die Bürgerwehr gesagt habe. Wir sind weit entfernt, meine Herren, wenn ich Ihre Meinung richtig aufgefaßt habe, diese Männer, deren Kraft und deren Muth dem Vaterlande gehört, zu veranlassen oder auch nur es zu dulden, daß sie zur unrechten Zeit und am unrechten Ort diese, dem Vaterlande gewidmeten Kräfte opfern. (Bravo!)

Der Präsident. Es sind dringende Anträge eingegangen, die ich der Prioritätskommission überwiesen. Ich werde die Beschlußfähigkeit der Versammlung konstatiren lassen. Hierauf erfolgt der Namensaufruf. Es sind 218 Mitglieder zugegen. Die Versammlung ist somit beschlußfähig. Nach und nach wächst die Zahl auf 225.

Hierauf wird der Antrag eingebracht, daß der Präsident diejenigen Mitglieder, welche ohne Urlaub oder ohne durch Krankheit verhindert zu sein, sich der Theilnahme an der Berathung entzogen haben, auffordern möge, unverweilt ihrer Pflicht nachzukommen.

Wollheim will die Dringlichkeit motiviren. Man ruft ihm von der Rechten zu, die Dringlichkeit wird nicht bestritten. Wollheim verzichtet hierauf aufs Wort. Der Präsident (Bornemann) Ich eröffne die Diskussion. Man ruft: Schluß! Schluß!

Schulz (Delitzsch): Ich weiß, es bedarf dessen nicht, den Antrag hier vor Ihnen zu motiviren, aber es ist nöthig, daß auch das Land die Motive kenne. Wir leben in einem großen Momente, deswegen sind wir dem Lande die genaueste Rechenschaft schuldig über Alles, was wir thun. Durch die Entfernung vieler Mitglieder ist ein bedeutender Theil des Landes nicht vertreten. Wir werden durch diesen Antrag in legaler Weise ihren Wählern über das Benehmen dieser Vertreter Nachricht geben. Aber wir sind diesen Antrag auch uns selbst schuldig. Sie haben gehört, wie die Behörden es wagen, mit uns umzugehn. Der Absolutismus taucht wieder auf. Man behandelt uns wie Herrendiener, die man hierhin und dorthin schiebt, die gehorchen müssen; man spricht von einer sogenannten Nationalversammlung. Wir müssen denen, die es gewagt haben, so mit uns zu reden, zeigen, daß wir wirklich die Nationalversammlung sind, daß wir Vertreter einer Nation von 16 Millionen sind, und daß wir unser Ansehen zu wahren wissen. (Bravo!) Der Antrag wird einstimmig angenommen.

Der Präsident Unruh: Da Weiteres im Augenblick zur Verhandlung nicht vorliegt, und ich die Berathung der gewöhnlichen Tagesordnung in diesem Augenblick nicht für geeignet halte, so gebe ich den Mitgliedern anheim, ungestört im Saale zu verweilen, ohne die Sitzung zu unterbrechen.

103 Berlin, 10. Nov.

Von 6 bis 9 1/2 Uhr Morgens waren die Abgeordneten zwar im Saal anwesend, jedoch wurde die Berathung nicht fortgesetzt. Um 9 1/2 Uhr verkündet der Präsident Unruh, daß die Sitzung fortgesetzt wird. Der Namensaufruf ergiebt, daß 251 Mitglieder anwesend sind. Man geht zu der Tagesordnung, der Fortsetzung der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung der Feudatlasten, über. Getzler (einer von der Rechten übrig gebliebenen) protestirt in seinem und im Namen seiner politischen Freunde gegen alle Beschlüsse, welche und in materiellen Fragen getroffen werden, weil keine Räthe der Krone anwesend waren. Sie würden sich der Abstimmung enthalten.

Parrisius entgegnet in klarer Rede auf die Albernheiten des Abgeordneten Getzler.

Plönnies, der bisher zur äußersten Rechten gehörte, sich aber seit gestern mit allen Beschlüssen der Nationalversammlung einverstanden erklärt hat, nimmt das Wort: Die Erklärung des Abgeordneten Geßler bezieht sich nicht auf mich und meine Freunde, nicht alle Mitglieder der sogenannten Rechten sind seiner Ansicht. Die Versammlung ist meiner Ansicht nach vollkommen berechtigt, das auf der Tagesordnung befindliche Gesetz zu berathen.

Schulze von Minden schließt sich dem an.

Bornemann schlägt vor, den Petitionsbericht zu berathen, weil die Versammlung zu aufgeregt sei, um das wichtige Lastengesetz zu berathen.

Die Versammlung willigt ein und man nimmt den Petitionsbericht vor. Um 12 Uhr ist man damit fertig. Bis 3 Uhr unterhält sich die Versammlung in Privatgesprächen. Da kommt die Nachricht an, daß die Garderegimenter zum Brandenburger und Potsdamer Thor eingerückt seien. Auch die Garde-Artillerie rückt ein.

Waldeck, Rodbertus etc. stellen den Antrag: Die Versammlung wolle beschließen:

„daß eine von dem Präsidenten zu ernennende Kommission von 5 Mitgliedern zur sofortigen Redaktion einer Proklamation an das preußische Volk zur Aufklärung über die von der Staatsregierung erfolgte Beeinträchtigung der Rechte des Volkes und der Nationalversammlung niedergesetzt werde. “

Dieser Antrag wird nach kurzer Diskussion fast einstimmig angenommen. Nur Kunth und Maaßen von der Rechten sprechen sich dagegen aus. Berg meint, diese Proklamation ist vielleicht das Testament dieser Versammlung. Der Präsident ernennt die Abgeordneten: Elsner, Pilet, Moritz, Zachariae und Schulze von Minden als die 5 Mitglieder der Kommission (von jeder Fraktion einen.)

Der Namensaufruf ergiebt, daß 252 Mitglieder anwesend sind, Während dieser Zeit marschiren die Truppen unter Wrangel's Befehl vor den Sitzungsaal der Nationalversammlung und besetzen den großen Platz (Gensd'armenmarkt) an allen vier Ecken. An jeder Ecke ein Bataillon. Die Artillerie fährt nur vor den Augen der Nationalversammlung vorüber, um derselben Schrecken einzujagen. Die Artillerie hätte ganz gut den graden Weg durch die Leipziger Straße passiren können.

Die Bürgerwehr bleibt ruhig in ihrer eingenommenen Stellung, ringsum dicht am Schauspielhaus. Jeden Augenblick erwartet man im Sitzungssaal der Nationalversammlung, daß Wrangel eindringen würde, um die Versammlung zu sprengen, aber es bleibt noch alles ruhig.

Berg. Der Augenblick drängt, ich habe mir deshalb erlaubt, das Siegel der Nationalversammlung aus den Händen der Unterbeamten zu nehmen und lege es in die Hände des Präsidenten nieder.

Die Proklamation ist während dieser Zeit von der Kommission redigirt worden. Abgeordnete Pilet verliest dieselbe, sie lautet: „An das preußische Volk!

Das Ministerium Brandenburg, welches gegen die fast einstimmig ausgesprochene Erklärung der Nationalversammlung die Leitung der Geschäfte des Landes übernommen, hat seine Thätigkeit damit begonnen, daß es einseitig die Verlegung der Sitzungen der Nationalversammlung nach Brandenburg befohlen. Die Versammlung der preußischen Volksvertreter hat diesen Eingriff in ihre Rechte dadurch zurückgewiesen, daß sie mit großer Majorität den Beschluß gefaßt hat, ihre Berathung in Berlin fortzusetzen; sie hat zu gleicher Zeit erklärt, daß der Krone das Recht nicht zustehe, die Versammlung wider ihren Willen zu vertagen, zu verlegen oder aufzulösen, und daß sie diejenigen verantwortlichen Beamten, welche der Krone zur Erlassung jener Botschaft gerathen haben, nicht für fähig erachte, der Regierung des Landes vorzustehen, vielmehr dafür halte, daß dieselben schwerer Pflichtverletzung gegen die Krone, gegen das Land und gegen die Versammlung sich schuldig gemacht habe. Das Ministerium Brandenburg hat in Folge dieser Ereignisse die Versammlung für eine ungesetzliche erklärt und die Anwendung militärischer Gewalt angedroht, um die Fortdauer der Berathung zu hemmen. In dem schweren Augenblicke, wo die gesetzliche Vertretung des Volkes durch Bayonette auseinandergesprengt wird, rufen wir Euch zu, haltet fest an den errungenen Freiheiten, wie wir mit allen unseren Kräften und mit unserem Leben dafür einstehen. Aber verlaßt auch keinen Augenblick den Boden des Gesetzes. Die ruhige und entschlossene Haltung eines für die Freiheit reifen Volkes wird mit Gottes Hülfe der Freiheit den Sieg sichern.“

Großer und allgemeiner Beifall folgt der Verlesung dieser Proklamation. Die Zuschauer auf den Tribünen stimmen mit ein. Die Proklamation wird ohne Debatte einstimmig angenommen. Neuer Beifall von allen Seiten und von den Zuschauertribunen.

Rodbertus stellt den Antrag, in der Tagesordnung fortzufahren, wird angenommen.

Nr. 13 des § 1 wird verlesen. Der Berichterstatter Pilet motivirt denselben. Eine Menge Amendements zu dieser Nummer kommen zur Unterstützung und nach einer kurzen Debatte beschließt man, alle Amendements an die Centralabtheilung zu verweisen, damit dieselbe einen Bericht darüber erstatte.

Während dieser Berathung unter Vorsitz des Vicepräsidenten Bornemann sammeln sich ungeheuere Menschenmassen auf dem Platze. Das Militär steht ruhig da. Das Volk bringt der Bürgerwehr und dem Kommandanten Rimpler Lebehochs und verhöhnt Wrangel, er möge doch seinen Pferden des Gras, welches auf den Straßen wächst, abfressen lassen u. s. w.

Um 4 1/2 Uhr erscheint der Präsident Unruh wieder und macht die Mittheilung, daß er von Rimpler folgenden mündlichen Bericht erhalten habe. Es sind große Truppenmassen um den Sitzungssaal aufgestellt. Rimpler habe den General Thümen (Kommandant von Berlin) gefragt, welche Ursachen diese Truppenaufstellung habe. Dieser habe ihn an Wrangel gewiesen, da alles auf höhern Befehl geschehe. Wrangel antwortet, daß er seine Truppen gern in die Quartiere rücken lasse. ‒ Rimpler: Dem stehe ja nichts entgegen. ‒ Wrangel: Zuvor müsse sich jedoch die Bürgerwehr zurückziehen. ‒ Rimpler: Die Bürgerwehr müsse die Nationalsammlung schützen. ‒ Wrangel: Auch ich will die Nationalversammlung schützen. ‒ Rimpler: Wie lange werden die Truppen auf diesem Platze bleiben? ‒ Wrangel: Meine Truppen sind gewöhnt, zu bivouakiren; ich verlasse diesen Platz nicht eher, als bis die Abgeordneten diesen Saal verlassen haben und wenn ich 8 Tage hier bivouakiren soll. ‒ Rimpler: Die Bürgerwehr würde vierzehn Tage hier bleiben, wenn es die Nationalversammlung wünsche.

Der Präsident Unruh schlägt vor, in Folge dieses Berichtes ein Schreiben an Wrangel zu richten, daß sich die Versammlung seinen Schutz verbäte, indem sie ihn nicht bedürfe.

Auf dieses Schreiben läßt Wrangel mündlich zurück erklären: Die Truppen würden unter keiner Bedingung die freie Cirkulation hemmen. Der Austritt der im Saale Anwesenden sei gestattet, er würde jedoch kein Mitglied der Nationalversammlung wieder hereinlassen. Er kenne keine Nationalversammlung. Auch eine schriftliche Antwort werde er nicht geben, da er keinen Präsidenten der Nationalversammlung hier anerkenne. Er erklärt nochmals, den Platz nicht zu verlassen, bis alle Abgeordnete den Saal verlassen haben und er werde dafür sorgen, daß Niemand wieder hineinkomme.

Die Nationalversammlung protestirt gegen die, gegen dieselbe angewendete militärische Zwangsmaßregeln. Sie beschließt, sich bis morgen früh 9 Uhr zu vertagen und morgen Früh zu versuchen, wieder in diesen Saal hineinzukommen. Wenn dies unmöglich gemacht würde, werde man sich in einem andern Saal versammeln.

Um 5 Uhr verlassen alle Abgeordnete in corpore den Sitzungssaal und begeben sich ungehindert in die Parteisitzungen. Sie werden jubelnd und mit tausendfachen Hurrah's vom Volke empfangen und begleitet. Die Bürgerwehr zieht ab, gleichzeitig das Militär.

103 Berlin, 10. Nov., 8 Uhr Abends.

Das Militär ist ungehindert heute Nachmittag in die Stadt eingerückt und hat einige Wachen besetzt. Das königl. Wort, daß ohne Zustimmung der Stadtbehörden kein Militär einrücken soll, ist heute eigenmächtig gebrochen worden. Die Kamarilla hoffte dadurch einen Kampf zu provoziren, um Berlin dann in Belagerungszustand erklären zu können. Die Minister hatten die Plakate, wodurch der Belagerungszustand erklärt werden sollte, schon heute Vormittag in der Deckerschen Oberhofbuchdruckerei drucken lassen.

Berlin konnte sich heute 50,000 Mann mit 200 Kanonen nicht widersetzen.

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in den Kattunfabriken. Das Schuhmacher-Gewerk. Das Gürtler-Gewerk. Das Seidenwirker-Gewerk. Die Goldschmiede. Das Töpfer-Gewerk. Das Maurer-Gewerk. Das Zimmer-Gewerk. Das Maler-Gewerk. Die Instrumentenmacher. Das Messerschmiede-Gewerk. Die Maschinenbauarbeiter. Die Schriftgießer. Das Tischler-Gewerk. Die Büreauschreiber. Das Raschmacher-Gewerk. Das Tuchmacher-Gewerk. Die Mechaniker. Das Drechsler-Gewerk. Die Dachdecker. Das Steinsetzer-Gewerk. Die Wagenlackirer. Das Korbmacher-Gewerk. Das Bürstenmacher-Gewerk. Die Formstecher.</p>
          <p>NB. Die Vollmachten der Repräsentanten obiger Gewerke sind beim Sekretariat der Versammlung niedergelegt.</p>
          <p>Der Präsident hat sogleich die Mitglieder der National-Versammlung zu einer außerordentlichen Sitzung auf Morgens 5 Uhr zusammenberufen lassen.</p>
          <p>Die meisten von den zurückgebliebenen Abgeordneten haben abwechselnd die ganze Nacht im Sitzungslokal zugebracht. Um 2 Uhr wurden auch die fehlenden Mitglieder herbeigeholt.</p>
          <p>Um 4 Uhr wurde die gesammte Bürgerwehr allarmirt. In diesem Augenblick beginnt die außerordentliche Sitzung der National-Versammlung.</p>
          <p>Der Magistrat hat in einer außerordentlichen Nachtsitzung beschlossen, den König durch eine Adresse dringend zu bitten, die Verlegung der National-Versammlung zurückzunehmen.</p>
          <p>Es heißt, daß in der geheimen Hofbuchdruckerei die Plakate bereits gedruckt werden, durch welche der Belagerungszustand über Berlin verhängt werden soll.</p>
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          <head>Berlin, 10. Nov.</head>
          <p>Außerordentliche Sitzung der Nationalversammlung. Morgens 5 Uhr.</p>
          <p>Der Präsident <hi rendition="#g">Unruh</hi> eröffnet die Sitzung um 5 Uhr Morgens mit dem Bemerken, daß die Nachrichten, welche in der Nacht an ihn eingegangen, das Präsidium dazu veranlaßt haben, mit der Wiedereröffnung der gestern vertagten Sitzung nicht erst bis 9 Uhr zu warten. Das Protokoll der gestrigen Sitzung wird verlesen und genehmigt.</p>
          <p>Ein Schreiben des Abg. <hi rendition="#g">Daniels</hi> zeigt an, daß er auf Grund des § 12 des Wahlgesetzes und der königl. Botschaft sich am 27. in Brandenburg einfinden werde, daß er die, während dieser Zeit gefaßten Beschlüsse nicht als bindend anerkenne, und dagegen einen Protest mitunterzeichnet habe, dessen Original sich in den Händen des Abg. <hi rendition="#g">Tamnau</hi> befinde.</p>
          <p>Der Präsident erklärt, daß ihm dieser Protest nicht mitgetheilt worden, daß er aber vermuthe, es sei dies jener Protest, welcher gestern als Straßenplakat erschienen.</p>
          <p>Weiter zeigt der Präsident an, daß er von den gestern gefaßten Beschlüssen dem Staatsministerium Kenntniß gegeben, und daß ihm darauf eine Antwort des Grafen Brandenburg zugekommen, welche nicht an den Präsidenten der Nationalversammlung, sondern an den Regierungsrath v. Unruh gerichtet sei. Er wolle sie verlesen lassen. &#x2012; (Der Sekretär verliest das Schreiben des Grafen Brandenburg. Siehe unser erstes Extrablatt unter Nro. 1.)</p>
          <p>Nach geschehener Verlesung sagt der Präsident: Ich glaube nicht, daß die Nationalversammlung Veranlassung hat, auf dieses an mich persönlich gerichtete Schreiben irgend wie einzugehen.</p>
          <p>Weiter werden die von dem Kommando der Bürgerwehr dem Präsidenten zugekommenen Schriftstücke durch den Sekretär v. Plönnies verlesen. (Siehe unser erstes Extrablatt unter Nro. 2, 3, 4.)</p>
          <p>Endlich wird auch noch die Adresse der Arbeiter mitgetheilt. (Siehe ebenfalls unser erstes Extrablatt.)</p>
          <p>Der Peäsident. Die Adresse ist von einer großen Anzahl von Gewerken durch ihre bevollmächtigten Vertreter unterzeichnet worden.</p>
          <p>Präsident. Es ist ferner noch eine Deputation des Magistrats vor kurzer Zeit hier gewesen.</p>
          <p>Ich habe die Herren Vicepräsidenten Bornemann, Philipps und Waldeck ersucht, zugegen zu sein. Die Deputation des Magistrats theilte mit, daß der Magistrat eine Adresse an Se. Maj. Den König noch am heutigen Morgen richte, worin er auf das Dringendste bäte, die Verlegung der National-Versammlung nach Brandenburg zurückzunehmen und den Konflikt, der seit gestern eingetreten ist, zu beseitigen. Die Deputation fügte hinzu, daß sie nicht umhin könne, den Wunsch auszusprechen, daß von Seiten der hohen Versammlung versöhnende Schritte geschehen, und namentlich möge die National-Versammlung auch dahin wirken, daß nicht Blut vergossen werde. Ich habe darauf der Deputation erwiedert, daß ich ihr zunächst nur meine persönliche Ansicht mittheilten könne. Was den letzten Theil ihrer Aeußerung anlangte, so stimmte ich damit vollkommen überein. Ich wäre entschieden der Meinung, daß ein von der National-Versammlung provozirtes Blutvergießen der guten Sache nur schaden könne. Ich wäre der Meinung, daß die Ruhe, welche gestern den Tag über in Berlin stattgefunden hat, das Interesse der guten Sache gefördert, und jeden Vorwand zu Zwangs- und Gewaltmaßregeln, zur Erklärung eines Belagerungszustandes fortgenommen hat. Ich würde für meine Person es ferner für meine Pflicht halten, in diesem Sinne zu wirken; ich wäre entschieden der Meinung, daß hier zwar passiver Widerstand geleistet werden könne, und daß die wahre Entscheidung über die schwere Krisis, welche durch die jetzigen Rathgeber der Krone hereingebrochen ist, in der Hand des Landes liege. So lange die Presse, so lange das Vereinigungsrecht nicht von Neuem geknebelt sei, habe das Land das Mittel in den Händen, selbst ohne Blutvergießen den Sieg über die jetzigen Bestrebungen der Reaktion herbei zu führen. (Lautes Bravo der ganzen Versammlung) Wenn die Reichen, wenn alle Associationen, wenn alle Wahlbezirke, wenn alle größeren Städte sich auf das Entschiedenste erklären, wenn sie unserer Ansicht beitreten, wenn sie Proteste gegen das Benehmen des jetzigen Ministeriums erlassen, wenn dies vom ganzen Lande geschieht, dann ist kein Zweifel, daß das Erfolg haben muß. Ist das Land oder ein großer Theil des Landes dieser Meinung nicht, nun, meine Herren, dann hat das Land es zu verantworten, wenn die eben aufblühende Freiheit wieder verdorrt. Ich habe auf den ersten Theil der Aeußerung des Magistrats erwiedert, daß ich es nicht der Würde der Nationalversammlung angemessen fände, irgend einen Schritt zu thun, welcher auf ein Nachgeben der Nationalversammlung hindeutete. (Lebhaftes Bravo.)</p>
          <p>Ich bin ferner der Meinung, daß man mit solchen Schritten gerade das Gegentheil erreichen würde. &#x2012; Man würde glauben, die National-Versammlung und mit ihr das Land werde sich den ungesetzlichen Schritten, welche geschehen sind, ganz fügen. Ich habe der Deputation des Magistrats ferner mitgetheilt und ich bringe es auch hiermit zu Ihrer Kenntniß, daß ich es für meine Schuldigkeit gehalten habe, in Gemeinschaft mit einem Ihrer Vicepräsidenten, Bornemann, am verflossenen Freitage uns bei Sr. Maj. anmelden zu lassen. Wir wollten dem Könige abermals Gelegenheit bieten, wahre und bestimmte Nachrichten sowohl über die Ansichten der Nationalversammlung als auch über die Lage des Landes und den obwaltenden Verhältnissen zu vernehmen, um jeden anscheinenden Grund zu Konflikten zu beseitigen. Wir haben dem Gen. v. Willisen dies ausdrücklich gesagt, und ich habe hinzugesetzt, daß er die Abgeord. Bornemann und Unruh melden möchte. Willissen hat mir darauf geantwortet, daß Se. Majestät der König verhindert sei, uns zu sprechen. Ich habe geglaubt, wie ich vorher erwähnt habe, daß dieser Schritt in meiner Pflicht lag, nicht als Ihr Präsident, sondern in der Pflicht eines wahren Vaterlandsfreundes. Ich habe geglaubt, daß dem König diese Gelegenheit gegeben werden müsse, um zu hören, wie die Sachen wirklich stünden. Diese Gelegenheit ist nicht benutzt worden. Von da ab habe ich aber auch jede Zumuthung, einen zweiten Schritt dieser Art zu thun, abgelegt. Ich habe mich nicht für ermächtigt gehalten, als Ihr Präsident mich nochmals melden zu lassen, weil ich nicht wissen konnte, welche Folgen dieser Schritt haben würde, und ob ich diese Folgen vor Ihnen vertreten könne. In Beziehung auf den Inhalt der verlesenen Schriftstücke, kann ich von Neuem nur wiederholen, daß es nach der reiflichsten Ueberlegung meine feste Ueberzeugung ist, wir dürfen, wenn wir den Boden im Lande nicht verlieren wollen, den Gewaltschritten der Krone passiven Widerstand entgegensetzen. Jeder Tropfen Blut, durch unsere Schuld vergossen, kann die Lage der Dinge nicht verbessern; er kann uns schaden. Ich habe vorher meine Motive bereits näher auseinandergesetzt, ich kann auch den Beschluß, den Sie am 2. November wegen des Schutzes der Versammlung gefaßt haben, nicht so verstehen, als ob ich in Folge dieses Beschlusses verpflichtet wäre, die Bürgerwehr zum Kampfe für uns irgendwie zu veranlassen.</p>
          <p>Ich kann diesen Beschluß nicht so verstehen, als ob Sie, meine Herren, sich umgeben wollten mit einer Mauer bewaffneter Bürger, welche nach der Ansicht tapferer, aber einsichtsvoller Männer, der überlegenen, rohen Gewalt nicht zu widerstehen im Stande sind. Dasselbe werden wir erreichen, wenn wir nur passiven Widerstand leisten, und uns hier nur durch die Gewalt von unseren Plätzen vertreiben lassen (Allgemeines Bravo), und das Vaterland wird es erkennen, daß wir zwar bereit sind, für die Freiheit des Landes und des Volkes unseren letzten Blutstropfen zu vergießen, daß wir aber das Bürgerblut für zu hoch halten, für zu kostbar achten, um unnütz auch nur einen einzigen Tropfen zu vergeuden. (Bravo.) Ich werde daher, meine Herren, wenn der Fall eintreten sollte, daß die bewaffnete Macht uns gegenübertritt, keinen Schritt thun, der die Mitglieder der Bürgerwehr veranlassen könnte, aktiv uns zu schützen, ich werde im Gegentheil keinen Anstand nehmen, und ich habe bereits Gelegenheit genommen, mich gegen mehrere Mitglieder des Bürgerwehr-Kommandos ausdrücklich dahin zu äußern, daß nach meiner persönlichen Ansicht derjenige Theil der Bürgerwehr, welcher an unserem Versammlungshause zu unserem Schutze aufgestellt ist, nur passiven Widerstand leisten solle, daß wir aber unsere Plätze nicht verlassen. Meine Herren! In diesem Sinne werde ich verfahren (Bravo.) Der Erklärung des Berliner Bezirks-Comités der Arbeiter kann ich nur dasselbe entgegensetzen, was ich in Beziehung auf die Bürgerwehr gesagt habe. Wir sind weit entfernt, meine Herren, wenn ich Ihre Meinung richtig aufgefaßt habe, diese Männer, deren Kraft und deren Muth dem Vaterlande gehört, zu veranlassen oder auch nur es zu dulden, daß sie zur unrechten Zeit und am unrechten Ort diese, dem Vaterlande gewidmeten Kräfte opfern. (Bravo!)</p>
          <p><hi rendition="#g">Der Präsident.</hi> Es sind dringende Anträge eingegangen, die ich der Prioritätskommission überwiesen. Ich werde die Beschlußfähigkeit der Versammlung konstatiren lassen. Hierauf erfolgt der Namensaufruf. Es sind 218 Mitglieder zugegen. Die Versammlung ist somit beschlußfähig. Nach und nach wächst die Zahl auf 225.</p>
          <p>Hierauf wird der Antrag eingebracht, daß der Präsident diejenigen Mitglieder, welche ohne Urlaub oder ohne durch Krankheit verhindert zu sein, sich der Theilnahme an der Berathung entzogen haben, auffordern möge, unverweilt ihrer Pflicht nachzukommen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Wollheim</hi> will die Dringlichkeit motiviren. Man ruft ihm von der Rechten zu, die Dringlichkeit wird nicht bestritten. Wollheim verzichtet hierauf aufs Wort. Der Präsident (Bornemann) Ich eröffne die Diskussion. Man ruft: Schluß! Schluß!</p>
          <p><hi rendition="#g">Schulz</hi> (Delitzsch): Ich weiß, es bedarf dessen nicht, den Antrag hier vor Ihnen zu motiviren, aber es ist nöthig, daß auch das Land die Motive kenne. Wir leben in einem großen Momente, deswegen sind wir dem Lande die genaueste Rechenschaft schuldig über Alles, was wir thun. Durch die Entfernung vieler Mitglieder ist ein bedeutender Theil des Landes nicht vertreten. Wir werden durch diesen Antrag in legaler Weise ihren Wählern über das Benehmen dieser Vertreter Nachricht geben. Aber wir sind diesen Antrag auch uns selbst schuldig. Sie haben gehört, wie die Behörden es wagen, mit uns umzugehn. Der Absolutismus taucht wieder auf. Man behandelt uns wie Herrendiener, die man hierhin und dorthin schiebt, die gehorchen müssen; man spricht von einer sogenannten Nationalversammlung. Wir müssen denen, die es gewagt haben, so mit uns zu reden, zeigen, daß wir wirklich die Nationalversammlung sind, daß wir Vertreter einer Nation von 16 Millionen sind, und daß wir unser Ansehen zu wahren wissen. (Bravo!) Der Antrag wird einstimmig angenommen.</p>
          <p>Der Präsident <hi rendition="#g">Unruh:</hi> Da Weiteres im Augenblick zur Verhandlung nicht vorliegt, und ich die Berathung der gewöhnlichen Tagesordnung in diesem Augenblick nicht für geeignet halte, so gebe ich den Mitgliedern anheim, ungestört im Saale zu verweilen, ohne die Sitzung zu unterbrechen.</p>
        </div>
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          <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 10. Nov.</head>
          <p>Von 6 bis 9 1/2 Uhr Morgens waren die Abgeordneten zwar im Saal anwesend, jedoch wurde die Berathung nicht fortgesetzt. Um 9 1/2 Uhr verkündet der Präsident Unruh, daß die Sitzung fortgesetzt wird. Der Namensaufruf ergiebt, daß 251 Mitglieder anwesend sind. Man geht zu der Tagesordnung, der Fortsetzung der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung der Feudatlasten, über. <hi rendition="#g">Getzler</hi> (einer von der Rechten übrig gebliebenen) protestirt in seinem und im Namen seiner politischen Freunde gegen alle Beschlüsse, welche und in materiellen Fragen getroffen werden, weil keine Räthe der Krone anwesend waren. Sie würden sich der Abstimmung enthalten.</p>
          <p><hi rendition="#g">Parrisius</hi> entgegnet in klarer Rede auf die Albernheiten des Abgeordneten Getzler.</p>
          <p><hi rendition="#g">Plönnies,</hi> der bisher zur äußersten Rechten gehörte, sich aber seit gestern mit allen Beschlüssen der Nationalversammlung einverstanden erklärt hat, nimmt das Wort: Die Erklärung des Abgeordneten Geßler bezieht sich nicht auf mich und meine Freunde, nicht alle Mitglieder der sogenannten Rechten sind seiner Ansicht. Die Versammlung ist meiner Ansicht nach vollkommen berechtigt, das auf der Tagesordnung befindliche Gesetz zu berathen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Schulze</hi> von Minden schließt sich dem an.</p>
          <p><hi rendition="#g">Bornemann</hi> schlägt vor, den Petitionsbericht zu berathen, weil die Versammlung zu aufgeregt sei, um das wichtige Lastengesetz zu berathen.</p>
          <p>Die Versammlung willigt ein und man nimmt den Petitionsbericht vor. Um 12 Uhr ist man damit fertig. Bis 3 Uhr unterhält sich die Versammlung in Privatgesprächen. Da kommt die Nachricht an, daß die Garderegimenter zum Brandenburger und Potsdamer Thor eingerückt seien. Auch die Garde-Artillerie rückt ein.</p>
          <p><hi rendition="#g">Waldeck, Rodbertus</hi> etc. stellen den Antrag: Die Versammlung wolle beschließen:</p>
          <p>&#x201E;daß eine von dem Präsidenten zu ernennende Kommission von 5 Mitgliedern zur sofortigen Redaktion einer Proklamation an das preußische Volk zur Aufklärung über die von der Staatsregierung erfolgte Beeinträchtigung der Rechte des Volkes und der Nationalversammlung niedergesetzt werde. &#x201C;</p>
          <p>Dieser Antrag wird nach kurzer Diskussion fast einstimmig angenommen. Nur Kunth und Maaßen von der Rechten sprechen sich dagegen aus. Berg meint, diese Proklamation ist vielleicht das Testament dieser Versammlung. Der Präsident ernennt die Abgeordneten: Elsner, Pilet, Moritz, Zachariae und Schulze von Minden als die 5 Mitglieder der Kommission (von jeder Fraktion einen.)</p>
          <p>Der Namensaufruf ergiebt, daß 252 Mitglieder anwesend sind, Während dieser Zeit marschiren die Truppen unter Wrangel's Befehl vor den Sitzungsaal der Nationalversammlung und besetzen den großen Platz (Gensd'armenmarkt) an allen vier Ecken. An jeder Ecke ein Bataillon. Die Artillerie fährt nur vor den Augen der Nationalversammlung vorüber, um derselben Schrecken einzujagen. Die Artillerie hätte ganz gut den graden Weg durch die Leipziger Straße passiren können.</p>
          <p>Die Bürgerwehr bleibt ruhig in ihrer eingenommenen Stellung, ringsum dicht am Schauspielhaus. Jeden Augenblick erwartet man im Sitzungssaal der Nationalversammlung, daß Wrangel eindringen würde, um die Versammlung zu sprengen, aber es bleibt noch alles ruhig.</p>
          <p>Berg. Der Augenblick drängt, ich habe mir deshalb erlaubt, das Siegel der Nationalversammlung aus den Händen der Unterbeamten zu nehmen und lege es in die Hände des Präsidenten nieder.</p>
          <p>Die Proklamation ist während dieser Zeit von der Kommission redigirt worden. Abgeordnete Pilet verliest dieselbe, sie lautet: &#x201E;An das preußische Volk!</p>
          <p>Das Ministerium Brandenburg, welches gegen die fast einstimmig ausgesprochene Erklärung der Nationalversammlung die Leitung der Geschäfte des Landes übernommen, hat seine Thätigkeit damit begonnen, daß es einseitig die Verlegung der Sitzungen der Nationalversammlung nach Brandenburg befohlen. Die Versammlung der preußischen Volksvertreter hat diesen Eingriff in ihre Rechte dadurch zurückgewiesen, daß sie mit großer Majorität den Beschluß gefaßt hat, ihre Berathung in Berlin fortzusetzen; sie hat zu gleicher Zeit erklärt, daß der Krone das Recht nicht zustehe, die Versammlung wider ihren Willen zu vertagen, zu verlegen oder aufzulösen, und daß sie diejenigen verantwortlichen Beamten, welche der Krone zur Erlassung jener Botschaft gerathen haben, nicht für fähig erachte, der Regierung des Landes vorzustehen, vielmehr dafür halte, daß dieselben schwerer Pflichtverletzung gegen die Krone, gegen das Land und gegen die Versammlung sich schuldig gemacht habe. Das Ministerium Brandenburg hat in Folge dieser Ereignisse die Versammlung für eine ungesetzliche erklärt und die Anwendung militärischer Gewalt angedroht, um die Fortdauer der Berathung zu hemmen. In dem schweren Augenblicke, wo die gesetzliche Vertretung des Volkes durch Bayonette auseinandergesprengt wird, rufen wir Euch zu, haltet fest an den errungenen Freiheiten, wie wir mit allen unseren Kräften und mit unserem Leben dafür einstehen. Aber verlaßt auch keinen Augenblick den Boden des Gesetzes. Die ruhige und entschlossene Haltung eines für die Freiheit reifen Volkes wird mit Gottes Hülfe der Freiheit den Sieg sichern.&#x201C;</p>
          <p>Großer und allgemeiner Beifall folgt der Verlesung dieser Proklamation. Die Zuschauer auf den Tribünen stimmen mit ein. Die Proklamation wird ohne Debatte <hi rendition="#g">einstimmig</hi> angenommen. Neuer Beifall von allen Seiten und von den Zuschauertribunen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Rodbertus</hi> stellt den Antrag, in der Tagesordnung fortzufahren, wird angenommen.</p>
          <p>Nr. 13 des § 1 wird verlesen. Der Berichterstatter Pilet motivirt denselben. Eine Menge Amendements zu dieser Nummer kommen zur Unterstützung und nach einer kurzen Debatte beschließt man, alle Amendements an die Centralabtheilung zu verweisen, damit dieselbe einen Bericht darüber erstatte.</p>
          <p>Während dieser Berathung unter Vorsitz des Vicepräsidenten Bornemann sammeln sich ungeheuere Menschenmassen auf dem Platze. Das Militär steht ruhig da. Das Volk bringt der Bürgerwehr und dem Kommandanten Rimpler Lebehochs und verhöhnt Wrangel, er möge doch seinen Pferden des Gras, welches auf den Straßen wächst, abfressen lassen u. s. w.</p>
          <p>Um 4 1/2 Uhr erscheint der Präsident Unruh wieder und macht die Mittheilung, daß er von Rimpler folgenden mündlichen Bericht erhalten habe. Es sind große Truppenmassen um den Sitzungssaal aufgestellt. Rimpler habe den General Thümen (Kommandant von Berlin) gefragt, welche Ursachen diese Truppenaufstellung habe. Dieser habe ihn an Wrangel gewiesen, da alles auf höhern Befehl geschehe. Wrangel antwortet, daß er seine Truppen gern in die Quartiere rücken lasse. &#x2012; Rimpler: Dem stehe ja nichts entgegen. &#x2012; Wrangel: Zuvor müsse sich jedoch die Bürgerwehr zurückziehen. &#x2012; Rimpler: Die Bürgerwehr müsse die Nationalsammlung schützen. &#x2012; Wrangel: Auch ich will die Nationalversammlung schützen. &#x2012; Rimpler: Wie lange werden die Truppen auf diesem Platze bleiben? &#x2012; Wrangel: Meine Truppen sind gewöhnt, zu bivouakiren; ich verlasse diesen Platz nicht eher, als bis die Abgeordneten diesen Saal verlassen haben und wenn ich 8 Tage hier bivouakiren soll. &#x2012; Rimpler: Die Bürgerwehr würde vierzehn Tage hier bleiben, wenn es die Nationalversammlung wünsche.</p>
          <p>Der Präsident Unruh schlägt vor, in Folge dieses Berichtes ein Schreiben an Wrangel zu richten, daß sich die Versammlung seinen Schutz verbäte, indem sie ihn nicht bedürfe.</p>
          <p>Auf dieses Schreiben läßt Wrangel mündlich zurück erklären: Die Truppen würden unter keiner Bedingung die freie Cirkulation hemmen. Der Austritt der im Saale Anwesenden sei gestattet, er würde jedoch kein Mitglied der Nationalversammlung wieder hereinlassen. Er kenne keine Nationalversammlung. Auch eine schriftliche Antwort werde er nicht geben, da er keinen Präsidenten der Nationalversammlung hier anerkenne. Er erklärt nochmals, den Platz nicht zu verlassen, bis alle Abgeordnete den Saal verlassen haben und er werde dafür sorgen, daß Niemand wieder hineinkomme.</p>
          <p>Die Nationalversammlung protestirt gegen die, gegen dieselbe angewendete militärische Zwangsmaßregeln. Sie beschließt, sich bis morgen früh 9 Uhr zu vertagen und morgen Früh zu versuchen, wieder in diesen Saal hineinzukommen. Wenn dies unmöglich gemacht würde, werde man sich in einem andern Saal versammeln.</p>
          <p>Um 5 Uhr verlassen alle Abgeordnete in corpore den Sitzungssaal und begeben sich ungehindert in die Parteisitzungen. Sie werden jubelnd und mit tausendfachen Hurrah's vom Volke empfangen und begleitet. Die Bürgerwehr zieht ab, gleichzeitig das Militär.</p>
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          <p>Das Militär ist ungehindert heute Nachmittag in die Stadt eingerückt und hat einige Wachen besetzt. Das königl. Wort, daß ohne Zustimmung der Stadtbehörden kein Militär einrücken soll, ist heute eigenmächtig gebrochen worden. Die Kamarilla hoffte dadurch einen Kampf zu provoziren, um Berlin dann in Belagerungszustand erklären zu können. Die Minister hatten die Plakate, wodurch der Belagerungszustand erklärt werden sollte, schon heute Vormittag in der Deckerschen Oberhofbuchdruckerei drucken lassen.</p>
          <p>Berlin konnte sich heute 50,000 Mann mit 200 Kanonen nicht widersetzen.</p>
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[0728/0002] in den Kattunfabriken. Das Schuhmacher-Gewerk. Das Gürtler-Gewerk. Das Seidenwirker-Gewerk. Die Goldschmiede. Das Töpfer-Gewerk. Das Maurer-Gewerk. Das Zimmer-Gewerk. Das Maler-Gewerk. Die Instrumentenmacher. Das Messerschmiede-Gewerk. Die Maschinenbauarbeiter. Die Schriftgießer. Das Tischler-Gewerk. Die Büreauschreiber. Das Raschmacher-Gewerk. Das Tuchmacher-Gewerk. Die Mechaniker. Das Drechsler-Gewerk. Die Dachdecker. Das Steinsetzer-Gewerk. Die Wagenlackirer. Das Korbmacher-Gewerk. Das Bürstenmacher-Gewerk. Die Formstecher. NB. Die Vollmachten der Repräsentanten obiger Gewerke sind beim Sekretariat der Versammlung niedergelegt. Der Präsident hat sogleich die Mitglieder der National-Versammlung zu einer außerordentlichen Sitzung auf Morgens 5 Uhr zusammenberufen lassen. Die meisten von den zurückgebliebenen Abgeordneten haben abwechselnd die ganze Nacht im Sitzungslokal zugebracht. Um 2 Uhr wurden auch die fehlenden Mitglieder herbeigeholt. Um 4 Uhr wurde die gesammte Bürgerwehr allarmirt. In diesem Augenblick beginnt die außerordentliche Sitzung der National-Versammlung. Der Magistrat hat in einer außerordentlichen Nachtsitzung beschlossen, den König durch eine Adresse dringend zu bitten, die Verlegung der National-Versammlung zurückzunehmen. Es heißt, daß in der geheimen Hofbuchdruckerei die Plakate bereits gedruckt werden, durch welche der Belagerungszustand über Berlin verhängt werden soll. Berlin, 10. Nov. Außerordentliche Sitzung der Nationalversammlung. Morgens 5 Uhr. Der Präsident Unruh eröffnet die Sitzung um 5 Uhr Morgens mit dem Bemerken, daß die Nachrichten, welche in der Nacht an ihn eingegangen, das Präsidium dazu veranlaßt haben, mit der Wiedereröffnung der gestern vertagten Sitzung nicht erst bis 9 Uhr zu warten. Das Protokoll der gestrigen Sitzung wird verlesen und genehmigt. Ein Schreiben des Abg. Daniels zeigt an, daß er auf Grund des § 12 des Wahlgesetzes und der königl. Botschaft sich am 27. in Brandenburg einfinden werde, daß er die, während dieser Zeit gefaßten Beschlüsse nicht als bindend anerkenne, und dagegen einen Protest mitunterzeichnet habe, dessen Original sich in den Händen des Abg. Tamnau befinde. Der Präsident erklärt, daß ihm dieser Protest nicht mitgetheilt worden, daß er aber vermuthe, es sei dies jener Protest, welcher gestern als Straßenplakat erschienen. Weiter zeigt der Präsident an, daß er von den gestern gefaßten Beschlüssen dem Staatsministerium Kenntniß gegeben, und daß ihm darauf eine Antwort des Grafen Brandenburg zugekommen, welche nicht an den Präsidenten der Nationalversammlung, sondern an den Regierungsrath v. Unruh gerichtet sei. Er wolle sie verlesen lassen. ‒ (Der Sekretär verliest das Schreiben des Grafen Brandenburg. Siehe unser erstes Extrablatt unter Nro. 1.) Nach geschehener Verlesung sagt der Präsident: Ich glaube nicht, daß die Nationalversammlung Veranlassung hat, auf dieses an mich persönlich gerichtete Schreiben irgend wie einzugehen. Weiter werden die von dem Kommando der Bürgerwehr dem Präsidenten zugekommenen Schriftstücke durch den Sekretär v. Plönnies verlesen. (Siehe unser erstes Extrablatt unter Nro. 2, 3, 4.) Endlich wird auch noch die Adresse der Arbeiter mitgetheilt. (Siehe ebenfalls unser erstes Extrablatt.) Der Peäsident. Die Adresse ist von einer großen Anzahl von Gewerken durch ihre bevollmächtigten Vertreter unterzeichnet worden. Präsident. Es ist ferner noch eine Deputation des Magistrats vor kurzer Zeit hier gewesen. Ich habe die Herren Vicepräsidenten Bornemann, Philipps und Waldeck ersucht, zugegen zu sein. Die Deputation des Magistrats theilte mit, daß der Magistrat eine Adresse an Se. Maj. Den König noch am heutigen Morgen richte, worin er auf das Dringendste bäte, die Verlegung der National-Versammlung nach Brandenburg zurückzunehmen und den Konflikt, der seit gestern eingetreten ist, zu beseitigen. Die Deputation fügte hinzu, daß sie nicht umhin könne, den Wunsch auszusprechen, daß von Seiten der hohen Versammlung versöhnende Schritte geschehen, und namentlich möge die National-Versammlung auch dahin wirken, daß nicht Blut vergossen werde. Ich habe darauf der Deputation erwiedert, daß ich ihr zunächst nur meine persönliche Ansicht mittheilten könne. Was den letzten Theil ihrer Aeußerung anlangte, so stimmte ich damit vollkommen überein. Ich wäre entschieden der Meinung, daß ein von der National-Versammlung provozirtes Blutvergießen der guten Sache nur schaden könne. Ich wäre der Meinung, daß die Ruhe, welche gestern den Tag über in Berlin stattgefunden hat, das Interesse der guten Sache gefördert, und jeden Vorwand zu Zwangs- und Gewaltmaßregeln, zur Erklärung eines Belagerungszustandes fortgenommen hat. Ich würde für meine Person es ferner für meine Pflicht halten, in diesem Sinne zu wirken; ich wäre entschieden der Meinung, daß hier zwar passiver Widerstand geleistet werden könne, und daß die wahre Entscheidung über die schwere Krisis, welche durch die jetzigen Rathgeber der Krone hereingebrochen ist, in der Hand des Landes liege. So lange die Presse, so lange das Vereinigungsrecht nicht von Neuem geknebelt sei, habe das Land das Mittel in den Händen, selbst ohne Blutvergießen den Sieg über die jetzigen Bestrebungen der Reaktion herbei zu führen. (Lautes Bravo der ganzen Versammlung) Wenn die Reichen, wenn alle Associationen, wenn alle Wahlbezirke, wenn alle größeren Städte sich auf das Entschiedenste erklären, wenn sie unserer Ansicht beitreten, wenn sie Proteste gegen das Benehmen des jetzigen Ministeriums erlassen, wenn dies vom ganzen Lande geschieht, dann ist kein Zweifel, daß das Erfolg haben muß. Ist das Land oder ein großer Theil des Landes dieser Meinung nicht, nun, meine Herren, dann hat das Land es zu verantworten, wenn die eben aufblühende Freiheit wieder verdorrt. Ich habe auf den ersten Theil der Aeußerung des Magistrats erwiedert, daß ich es nicht der Würde der Nationalversammlung angemessen fände, irgend einen Schritt zu thun, welcher auf ein Nachgeben der Nationalversammlung hindeutete. (Lebhaftes Bravo.) Ich bin ferner der Meinung, daß man mit solchen Schritten gerade das Gegentheil erreichen würde. ‒ Man würde glauben, die National-Versammlung und mit ihr das Land werde sich den ungesetzlichen Schritten, welche geschehen sind, ganz fügen. Ich habe der Deputation des Magistrats ferner mitgetheilt und ich bringe es auch hiermit zu Ihrer Kenntniß, daß ich es für meine Schuldigkeit gehalten habe, in Gemeinschaft mit einem Ihrer Vicepräsidenten, Bornemann, am verflossenen Freitage uns bei Sr. Maj. anmelden zu lassen. Wir wollten dem Könige abermals Gelegenheit bieten, wahre und bestimmte Nachrichten sowohl über die Ansichten der Nationalversammlung als auch über die Lage des Landes und den obwaltenden Verhältnissen zu vernehmen, um jeden anscheinenden Grund zu Konflikten zu beseitigen. Wir haben dem Gen. v. Willisen dies ausdrücklich gesagt, und ich habe hinzugesetzt, daß er die Abgeord. Bornemann und Unruh melden möchte. Willissen hat mir darauf geantwortet, daß Se. Majestät der König verhindert sei, uns zu sprechen. Ich habe geglaubt, wie ich vorher erwähnt habe, daß dieser Schritt in meiner Pflicht lag, nicht als Ihr Präsident, sondern in der Pflicht eines wahren Vaterlandsfreundes. Ich habe geglaubt, daß dem König diese Gelegenheit gegeben werden müsse, um zu hören, wie die Sachen wirklich stünden. Diese Gelegenheit ist nicht benutzt worden. Von da ab habe ich aber auch jede Zumuthung, einen zweiten Schritt dieser Art zu thun, abgelegt. Ich habe mich nicht für ermächtigt gehalten, als Ihr Präsident mich nochmals melden zu lassen, weil ich nicht wissen konnte, welche Folgen dieser Schritt haben würde, und ob ich diese Folgen vor Ihnen vertreten könne. In Beziehung auf den Inhalt der verlesenen Schriftstücke, kann ich von Neuem nur wiederholen, daß es nach der reiflichsten Ueberlegung meine feste Ueberzeugung ist, wir dürfen, wenn wir den Boden im Lande nicht verlieren wollen, den Gewaltschritten der Krone passiven Widerstand entgegensetzen. Jeder Tropfen Blut, durch unsere Schuld vergossen, kann die Lage der Dinge nicht verbessern; er kann uns schaden. Ich habe vorher meine Motive bereits näher auseinandergesetzt, ich kann auch den Beschluß, den Sie am 2. November wegen des Schutzes der Versammlung gefaßt haben, nicht so verstehen, als ob ich in Folge dieses Beschlusses verpflichtet wäre, die Bürgerwehr zum Kampfe für uns irgendwie zu veranlassen. Ich kann diesen Beschluß nicht so verstehen, als ob Sie, meine Herren, sich umgeben wollten mit einer Mauer bewaffneter Bürger, welche nach der Ansicht tapferer, aber einsichtsvoller Männer, der überlegenen, rohen Gewalt nicht zu widerstehen im Stande sind. Dasselbe werden wir erreichen, wenn wir nur passiven Widerstand leisten, und uns hier nur durch die Gewalt von unseren Plätzen vertreiben lassen (Allgemeines Bravo), und das Vaterland wird es erkennen, daß wir zwar bereit sind, für die Freiheit des Landes und des Volkes unseren letzten Blutstropfen zu vergießen, daß wir aber das Bürgerblut für zu hoch halten, für zu kostbar achten, um unnütz auch nur einen einzigen Tropfen zu vergeuden. (Bravo.) Ich werde daher, meine Herren, wenn der Fall eintreten sollte, daß die bewaffnete Macht uns gegenübertritt, keinen Schritt thun, der die Mitglieder der Bürgerwehr veranlassen könnte, aktiv uns zu schützen, ich werde im Gegentheil keinen Anstand nehmen, und ich habe bereits Gelegenheit genommen, mich gegen mehrere Mitglieder des Bürgerwehr-Kommandos ausdrücklich dahin zu äußern, daß nach meiner persönlichen Ansicht derjenige Theil der Bürgerwehr, welcher an unserem Versammlungshause zu unserem Schutze aufgestellt ist, nur passiven Widerstand leisten solle, daß wir aber unsere Plätze nicht verlassen. Meine Herren! In diesem Sinne werde ich verfahren (Bravo.) Der Erklärung des Berliner Bezirks-Comités der Arbeiter kann ich nur dasselbe entgegensetzen, was ich in Beziehung auf die Bürgerwehr gesagt habe. Wir sind weit entfernt, meine Herren, wenn ich Ihre Meinung richtig aufgefaßt habe, diese Männer, deren Kraft und deren Muth dem Vaterlande gehört, zu veranlassen oder auch nur es zu dulden, daß sie zur unrechten Zeit und am unrechten Ort diese, dem Vaterlande gewidmeten Kräfte opfern. (Bravo!) Der Präsident. Es sind dringende Anträge eingegangen, die ich der Prioritätskommission überwiesen. Ich werde die Beschlußfähigkeit der Versammlung konstatiren lassen. Hierauf erfolgt der Namensaufruf. Es sind 218 Mitglieder zugegen. Die Versammlung ist somit beschlußfähig. Nach und nach wächst die Zahl auf 225. Hierauf wird der Antrag eingebracht, daß der Präsident diejenigen Mitglieder, welche ohne Urlaub oder ohne durch Krankheit verhindert zu sein, sich der Theilnahme an der Berathung entzogen haben, auffordern möge, unverweilt ihrer Pflicht nachzukommen. Wollheim will die Dringlichkeit motiviren. Man ruft ihm von der Rechten zu, die Dringlichkeit wird nicht bestritten. Wollheim verzichtet hierauf aufs Wort. Der Präsident (Bornemann) Ich eröffne die Diskussion. Man ruft: Schluß! Schluß! Schulz (Delitzsch): Ich weiß, es bedarf dessen nicht, den Antrag hier vor Ihnen zu motiviren, aber es ist nöthig, daß auch das Land die Motive kenne. Wir leben in einem großen Momente, deswegen sind wir dem Lande die genaueste Rechenschaft schuldig über Alles, was wir thun. Durch die Entfernung vieler Mitglieder ist ein bedeutender Theil des Landes nicht vertreten. Wir werden durch diesen Antrag in legaler Weise ihren Wählern über das Benehmen dieser Vertreter Nachricht geben. Aber wir sind diesen Antrag auch uns selbst schuldig. Sie haben gehört, wie die Behörden es wagen, mit uns umzugehn. Der Absolutismus taucht wieder auf. Man behandelt uns wie Herrendiener, die man hierhin und dorthin schiebt, die gehorchen müssen; man spricht von einer sogenannten Nationalversammlung. Wir müssen denen, die es gewagt haben, so mit uns zu reden, zeigen, daß wir wirklich die Nationalversammlung sind, daß wir Vertreter einer Nation von 16 Millionen sind, und daß wir unser Ansehen zu wahren wissen. (Bravo!) Der Antrag wird einstimmig angenommen. Der Präsident Unruh: Da Weiteres im Augenblick zur Verhandlung nicht vorliegt, und ich die Berathung der gewöhnlichen Tagesordnung in diesem Augenblick nicht für geeignet halte, so gebe ich den Mitgliedern anheim, ungestört im Saale zu verweilen, ohne die Sitzung zu unterbrechen. 103 Berlin, 10. Nov. Von 6 bis 9 1/2 Uhr Morgens waren die Abgeordneten zwar im Saal anwesend, jedoch wurde die Berathung nicht fortgesetzt. Um 9 1/2 Uhr verkündet der Präsident Unruh, daß die Sitzung fortgesetzt wird. Der Namensaufruf ergiebt, daß 251 Mitglieder anwesend sind. Man geht zu der Tagesordnung, der Fortsetzung der Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung der Feudatlasten, über. Getzler (einer von der Rechten übrig gebliebenen) protestirt in seinem und im Namen seiner politischen Freunde gegen alle Beschlüsse, welche und in materiellen Fragen getroffen werden, weil keine Räthe der Krone anwesend waren. Sie würden sich der Abstimmung enthalten. Parrisius entgegnet in klarer Rede auf die Albernheiten des Abgeordneten Getzler. Plönnies, der bisher zur äußersten Rechten gehörte, sich aber seit gestern mit allen Beschlüssen der Nationalversammlung einverstanden erklärt hat, nimmt das Wort: Die Erklärung des Abgeordneten Geßler bezieht sich nicht auf mich und meine Freunde, nicht alle Mitglieder der sogenannten Rechten sind seiner Ansicht. Die Versammlung ist meiner Ansicht nach vollkommen berechtigt, das auf der Tagesordnung befindliche Gesetz zu berathen. Schulze von Minden schließt sich dem an. Bornemann schlägt vor, den Petitionsbericht zu berathen, weil die Versammlung zu aufgeregt sei, um das wichtige Lastengesetz zu berathen. Die Versammlung willigt ein und man nimmt den Petitionsbericht vor. Um 12 Uhr ist man damit fertig. Bis 3 Uhr unterhält sich die Versammlung in Privatgesprächen. Da kommt die Nachricht an, daß die Garderegimenter zum Brandenburger und Potsdamer Thor eingerückt seien. Auch die Garde-Artillerie rückt ein. Waldeck, Rodbertus etc. stellen den Antrag: Die Versammlung wolle beschließen: „daß eine von dem Präsidenten zu ernennende Kommission von 5 Mitgliedern zur sofortigen Redaktion einer Proklamation an das preußische Volk zur Aufklärung über die von der Staatsregierung erfolgte Beeinträchtigung der Rechte des Volkes und der Nationalversammlung niedergesetzt werde. “ Dieser Antrag wird nach kurzer Diskussion fast einstimmig angenommen. Nur Kunth und Maaßen von der Rechten sprechen sich dagegen aus. Berg meint, diese Proklamation ist vielleicht das Testament dieser Versammlung. Der Präsident ernennt die Abgeordneten: Elsner, Pilet, Moritz, Zachariae und Schulze von Minden als die 5 Mitglieder der Kommission (von jeder Fraktion einen.) Der Namensaufruf ergiebt, daß 252 Mitglieder anwesend sind, Während dieser Zeit marschiren die Truppen unter Wrangel's Befehl vor den Sitzungsaal der Nationalversammlung und besetzen den großen Platz (Gensd'armenmarkt) an allen vier Ecken. An jeder Ecke ein Bataillon. Die Artillerie fährt nur vor den Augen der Nationalversammlung vorüber, um derselben Schrecken einzujagen. Die Artillerie hätte ganz gut den graden Weg durch die Leipziger Straße passiren können. Die Bürgerwehr bleibt ruhig in ihrer eingenommenen Stellung, ringsum dicht am Schauspielhaus. Jeden Augenblick erwartet man im Sitzungssaal der Nationalversammlung, daß Wrangel eindringen würde, um die Versammlung zu sprengen, aber es bleibt noch alles ruhig. Berg. Der Augenblick drängt, ich habe mir deshalb erlaubt, das Siegel der Nationalversammlung aus den Händen der Unterbeamten zu nehmen und lege es in die Hände des Präsidenten nieder. Die Proklamation ist während dieser Zeit von der Kommission redigirt worden. Abgeordnete Pilet verliest dieselbe, sie lautet: „An das preußische Volk! Das Ministerium Brandenburg, welches gegen die fast einstimmig ausgesprochene Erklärung der Nationalversammlung die Leitung der Geschäfte des Landes übernommen, hat seine Thätigkeit damit begonnen, daß es einseitig die Verlegung der Sitzungen der Nationalversammlung nach Brandenburg befohlen. Die Versammlung der preußischen Volksvertreter hat diesen Eingriff in ihre Rechte dadurch zurückgewiesen, daß sie mit großer Majorität den Beschluß gefaßt hat, ihre Berathung in Berlin fortzusetzen; sie hat zu gleicher Zeit erklärt, daß der Krone das Recht nicht zustehe, die Versammlung wider ihren Willen zu vertagen, zu verlegen oder aufzulösen, und daß sie diejenigen verantwortlichen Beamten, welche der Krone zur Erlassung jener Botschaft gerathen haben, nicht für fähig erachte, der Regierung des Landes vorzustehen, vielmehr dafür halte, daß dieselben schwerer Pflichtverletzung gegen die Krone, gegen das Land und gegen die Versammlung sich schuldig gemacht habe. Das Ministerium Brandenburg hat in Folge dieser Ereignisse die Versammlung für eine ungesetzliche erklärt und die Anwendung militärischer Gewalt angedroht, um die Fortdauer der Berathung zu hemmen. In dem schweren Augenblicke, wo die gesetzliche Vertretung des Volkes durch Bayonette auseinandergesprengt wird, rufen wir Euch zu, haltet fest an den errungenen Freiheiten, wie wir mit allen unseren Kräften und mit unserem Leben dafür einstehen. Aber verlaßt auch keinen Augenblick den Boden des Gesetzes. Die ruhige und entschlossene Haltung eines für die Freiheit reifen Volkes wird mit Gottes Hülfe der Freiheit den Sieg sichern.“ Großer und allgemeiner Beifall folgt der Verlesung dieser Proklamation. Die Zuschauer auf den Tribünen stimmen mit ein. Die Proklamation wird ohne Debatte einstimmig angenommen. Neuer Beifall von allen Seiten und von den Zuschauertribunen. Rodbertus stellt den Antrag, in der Tagesordnung fortzufahren, wird angenommen. Nr. 13 des § 1 wird verlesen. Der Berichterstatter Pilet motivirt denselben. Eine Menge Amendements zu dieser Nummer kommen zur Unterstützung und nach einer kurzen Debatte beschließt man, alle Amendements an die Centralabtheilung zu verweisen, damit dieselbe einen Bericht darüber erstatte. Während dieser Berathung unter Vorsitz des Vicepräsidenten Bornemann sammeln sich ungeheuere Menschenmassen auf dem Platze. Das Militär steht ruhig da. Das Volk bringt der Bürgerwehr und dem Kommandanten Rimpler Lebehochs und verhöhnt Wrangel, er möge doch seinen Pferden des Gras, welches auf den Straßen wächst, abfressen lassen u. s. w. Um 4 1/2 Uhr erscheint der Präsident Unruh wieder und macht die Mittheilung, daß er von Rimpler folgenden mündlichen Bericht erhalten habe. Es sind große Truppenmassen um den Sitzungssaal aufgestellt. Rimpler habe den General Thümen (Kommandant von Berlin) gefragt, welche Ursachen diese Truppenaufstellung habe. Dieser habe ihn an Wrangel gewiesen, da alles auf höhern Befehl geschehe. Wrangel antwortet, daß er seine Truppen gern in die Quartiere rücken lasse. ‒ Rimpler: Dem stehe ja nichts entgegen. ‒ Wrangel: Zuvor müsse sich jedoch die Bürgerwehr zurückziehen. ‒ Rimpler: Die Bürgerwehr müsse die Nationalsammlung schützen. ‒ Wrangel: Auch ich will die Nationalversammlung schützen. ‒ Rimpler: Wie lange werden die Truppen auf diesem Platze bleiben? ‒ Wrangel: Meine Truppen sind gewöhnt, zu bivouakiren; ich verlasse diesen Platz nicht eher, als bis die Abgeordneten diesen Saal verlassen haben und wenn ich 8 Tage hier bivouakiren soll. ‒ Rimpler: Die Bürgerwehr würde vierzehn Tage hier bleiben, wenn es die Nationalversammlung wünsche. Der Präsident Unruh schlägt vor, in Folge dieses Berichtes ein Schreiben an Wrangel zu richten, daß sich die Versammlung seinen Schutz verbäte, indem sie ihn nicht bedürfe. Auf dieses Schreiben läßt Wrangel mündlich zurück erklären: Die Truppen würden unter keiner Bedingung die freie Cirkulation hemmen. Der Austritt der im Saale Anwesenden sei gestattet, er würde jedoch kein Mitglied der Nationalversammlung wieder hereinlassen. Er kenne keine Nationalversammlung. Auch eine schriftliche Antwort werde er nicht geben, da er keinen Präsidenten der Nationalversammlung hier anerkenne. Er erklärt nochmals, den Platz nicht zu verlassen, bis alle Abgeordnete den Saal verlassen haben und er werde dafür sorgen, daß Niemand wieder hineinkomme. Die Nationalversammlung protestirt gegen die, gegen dieselbe angewendete militärische Zwangsmaßregeln. Sie beschließt, sich bis morgen früh 9 Uhr zu vertagen und morgen Früh zu versuchen, wieder in diesen Saal hineinzukommen. Wenn dies unmöglich gemacht würde, werde man sich in einem andern Saal versammeln. Um 5 Uhr verlassen alle Abgeordnete in corpore den Sitzungssaal und begeben sich ungehindert in die Parteisitzungen. Sie werden jubelnd und mit tausendfachen Hurrah's vom Volke empfangen und begleitet. Die Bürgerwehr zieht ab, gleichzeitig das Militär. 103 Berlin, 10. Nov., 8 Uhr Abends. Das Militär ist ungehindert heute Nachmittag in die Stadt eingerückt und hat einige Wachen besetzt. Das königl. Wort, daß ohne Zustimmung der Stadtbehörden kein Militär einrücken soll, ist heute eigenmächtig gebrochen worden. Die Kamarilla hoffte dadurch einen Kampf zu provoziren, um Berlin dann in Belagerungszustand erklären zu können. Die Minister hatten die Plakate, wodurch der Belagerungszustand erklärt werden sollte, schon heute Vormittag in der Deckerschen Oberhofbuchdruckerei drucken lassen. Berlin konnte sich heute 50,000 Mann mit 200 Kanonen nicht widersetzen.

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Marx-Engels-Gesamtausgabe: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-20T13:08:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 141. Köln, 12. November 1848. Zweite Ausgabe, S. 0728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz141ii_1848/2>, abgerufen am 03.12.2024.