Neue Rheinische Zeitung. Nr. 162. Köln, 7. Dezember 1848.Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No. 162. Köln, Donnerstag den 7. Dezember. 1848.
Die Nachrichten von der Abdankung des östreichischen Kaisers, wie über den Pabst, hat ein großer Theil unserer Abonnenten in einer Extrabeilage zu Nr. 161 der "Neuen Rheinischen Zeitung" erhalten und werden in der heutigen Nummer an geeigneter Stelle wiederholt. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Ein preußisches Tractätlein. Herr Raumer lebt noch.) Düsseldorf. Spiegel-Drigalski-Eichmann. Schreckschuß. Feigheit des Gemeinderaths.) Berlin. (Gerüchte über Pläne am Hofe. -- Zweck von Gagern's Anwesenheit. -- Polizeiliche Ausweisungen. -- Die Maschinenbauer und Hr. Wrangel. -- Mißtrauensadresse an den Magistrat. -- Ein Logogryph.) Wien. (Die Beamtenwirthschaft. -- Zustand. -- Der Krieg mit Ungarn.) Leipzig. (Abdankung des Kaisers.) Frankfurt. (National-Versammlung. -- Brandenburg-Manteufel's angeblich nahes Ende.) Nürnberg. (Sieg der demokratischen Partei bei den Wahlen.) Brieg. (Eines Vaters Worte an seinen Sohn. Absolutistische Tractätlein.) Altona. (Verhaftungen unter'm Militär. -- Herr Hammerstein) Italien. Mailand. (Radetzky's Brandschatzung -- Italien, Frankreich und das Reich.) Genua. (Neuestes aus Neapel.) Rom. (Permanenz der Kammer. -- Brief des Papstes vor seiner Flucht. Proklamation des Ministeriums. Erbitterung des Volkes gegen den französischen Gesandten. Verhalten der Trasteveriner. -- Rossi's Wittwe und Kinder in Marseille.) Civita-Vecchia. (Provisorische Regierung in Rom.) Florenz. (Abreise des neapolitanischen Gesandten.) Französische Republik. Paris. (Anticavaignac'sches. -- Gervais und Ducoux. -- Die Associationen. -- Wachsende Gährung. -- Die "Ruhe und Ordnung" in Paris. -- Die Betten des Herrn von Rothschild. -- Nachrichten aus Marseille über den Papst. -- Vermischtes. -- National-Versammlung.) Großbritannien. Dublin. (Die Lage des Landes.) Amerika. (Die westindische Post.) Asien. (Der Krieg mit Shere Singh im Pendschab.) Deutschland. * Köln, 5. Dezember. Die Plakate der contrerevolutionären Partei fliegen aus der Decker'schen "Geheimen-Ober-Hofbuchdruckerei" zu Hunderttausenden nach allen Gegenden des Landes hin. Die Brandenburg-Manteuffel'sche Bureaukratie hat es mit ihrer Propaganda namentlich auf's Militär und das Landvolk abgesehen. Am eifrigsten wird das Traktätlein: "An das Volk" mit der Anrede: "Bürger! Bauern! Preußen!" verbreitet. Schaamloser, als in diesem Machwerk, ist wohl noch nie gelogen worden. Darin wird die Nationalversammlung, mit Ausnahme der Getreuen auf der "Rechten", auf's Schnödeste mit Koth beworfen. Nicht genug, daß sie sich "mit lauter Nebendingen" (allerdigs sind Habeas-Corpus-Acte etc. vor den Wrangel'schen Bajonetten weniger als Nebendinge geworden) abgegeben, nein, sie habe auch den König viermal beleidigt. Erstens, daß sie dem saubern Verfassungsentwurf, den Hr. Camphausen u. Comp. ausgeheckt hatten, wenig Geschmack abgewinnen konnte; zweitens, daß sie vor dem Prinzen von Preußen, als er in seiner Eigenschaft als Abgeordneter in den Sitzungssaal trat, nicht auf die Knie gefallen und unterthänigst erstorben ist; drittens, daß sie dem königlichen Titel die Worte "von Gottes Gnaden" strich, und viertens, daß sie "Orden und Ehrenzeichen" für mindestens sehr überflüssiges Zeug erklärte. Das sind ihre 4 Cardinal-Sünden wider den heiligen Geist. Die ärgste aber kommt gleich nach -- Abschaffung des Adels. Diese Schandthat allein verdient blutige Rache. Zwar: "Als Adam hackte, Eva spann, Wo war denn da der Edelmann?" Aber in einem christlich-gemanischen Staate den offiziellen Gebrauch von Adelstiteln mit sammt den Privilegien des Adels in die Rumpelkammer werfen: das ist ein unerhörtes Attentat; das fordert Blut! Das Brandenburg-Manteuffel'sche Traktätlein hebt dann die Kosten der Nationalversammlung hervor und schlägt sie auf 200,000 Rthlr. an. Zu bedauern ist, daß dieses Flugblättchen zu bemerken vergißt, wie viel in der nämlichen Zeit der König von Preußen an Diäten aus den Taschen des Volkes bezogen hat. Denn die Paar Milliönchen, die er seit dem Zusammentritt der Nationalversammlung verbraucht haben wird, sind gewiß nicht leichter aufzubringen gewesen, als jene 200,000 Rthlr. für die Deputirten. Bedenken wir ferner, wie viel Geld wir hergeben müssen, um die ungeheuren Kosten für die täglichen Hin- und Hermärsche der Truppen, für die Mobilmachung der Landwehr etc. zu decken: so muß die Unverschämtheit bewundert werden, die auf jene 200,000 Rthlr. loshetzt, und die 50mal größeren Summen für das Militär, ja allein für Spione, mit Stillschweigen übergeht. Die enormen Summen für's Militär bezahlen wir, nicht weil ein äußerer Feind abzuwehren, nicht weil das Land zu vertheidigen ist, sondern damit wir vom Militär, wie in Schweidnitz, in übermüthiger Reaktionsbrutalität zusammengeschossen, in Coblenz, Düsseldorf, Trier etc. etc. mit Kolben traktirt und niedergestoßen, überall in Belagerungszustand erklärt und trotz aller verheißenen Garantien und Freiheiten für vogelfrei erklärt werden. Am Schluß jenes Traktätleins heißt es wörtlich: "Verjagt, verhaftet die Aufwiegler! Unterdrückt die Lärmmacher! u. s. w." Daß dieses Lügenprodukt der preußischen Reaktion namentlich zur Einwirkung auf die Soldaten bestimmt ist, ergibt sich daraus, daß es in allen Kasernen des ganzen Landes, an das gesammte Militär ohne Ausnahme, vertheilt wird. In hiesiger Stadt wurden die Soldaten zum Lesen des albernen Machwerks förmlich kommandirt. Durch solche und ähnliche Schriften hofft man den Soldaten denjenigen Geist einzutrichtern, der allein sie zu willigen Instrumenten gottbegnadeter Gewaltherrschaft befähigen und vor unliebsamen Freiheitsgedanken bewahren kann. * Köln, 6. Dezbr. Kürzlich erwähnten wir der Loyalitätsadressen, die von Halleschen und Berliner Professoren an den König eingereicht worden. Wir haben heute zu melden, daß sich Hr. v. Raumer, Reichsgesandter in partibus, zur Zeit bei Bastide und Cavaignac antichambrirend, der Professorenblamage durch eine Beitrittserklärung zu jener Adresse vollständig angeschlossen hat. Von einem Reichsgesandten, wie Hrn. Raumer, war in der That nichts Anderes zu erwarten. Seine Erklärung scheint aber noch einen andern Grund zu haben. Hr. Raumer war seit Monaten in Deutschland verschollen. In seiner Sehnsucht, auf irgend eine Art aus jener Verschollenheit erlöst zu werden, ergriff er begierig die ihm von seinen Berliner Mitbonzen gebotene Gelegenheit und besorgte schleunigst obgedachte Erklärung in die Oeffentlichkeit. Jenes Raumer'sche Produkt findet sich in der neuesten Nummer des "Preußischen Staats-Anzeigers" abgelagert. 109 Düsseldorf, 3. Dezember. Heute Nachmittag wurde die 74jährige Greisin, welche bei den letzten Soldatenexzessen der Mordwuth zum Opfer fiel, von einer nicht allzubeträchtlichen Anzahl Bürger zu Grabe geleitet. Das Begräbniß war äußerst einfach; nichts von dem pomphaften Gepränge, womit jener Dreizehner in den Augusttagen bestattet wurde. Herr Drigalski hatte für echt bürgerliche Nüchternheit gesorgt, er hatte jede Feierlichkeit verboten, den Gebrauch von Fahnen und Musik ausdrücklich untersagt. Dieser königl. preuß. Pascha von Düsseldorf weiß überhaupt den Bürgern seinen Roßschweif bei jeder Gelegenheit fühlbar zu machen. Kaum vergeht ein Tag, daß er nicht durch irgend ein schriftstellerisches Exercitium, sei es eine gesetzgebende Verordnung, sei es eine Belehrung über königl. preuß. Kommunismus, Sensation macht. Zuweilen überrascht er auch durch plötzliche Einfälle, die er sofort in Ausführung bringen läßt. So war neulich Abends auf einmal der Köln-Mindner Bahnhof mit einer starken Schützenabtheilung besetzt; wer das Thor passiren wollte, mußte vor dem wachthabenden Offizier zuvor ein Examen bestehen. Erklärte er, nicht abreisen zu wollen, so wurde er zurückgewiesen; ergab es sich, daß es ein Reisender sei, so wurde er von einem Schützen über den Bahnhof bis in das Gebäude eskortirt und nicht eher freigelassen, als bis sein Begleiter sich überzeugt hatte, daß er ein Billet gelöst. Niemand wußte sich zu erklären was das zu bedeuten habe; fürchtete man einen Aufstand, wollte man der Schreier sich versichern? Das war nicht gut möglich; die Stadt war grabesruhig und die Elberfelder Eisenbahn, auf der die Wupperthaler hätten heranziehen können, war nicht besetzt. Oder sollten Kölner Demokraten im Anzuge sein, um dem Düsseldorfer Belagerungszustande ein Ende zu machen? Auch diese Vermuthung war nicht stichhaltig, den von Köln wurde kein Zug erwartet und die Kriegslust Kölner Demokraten war nicht gerade sehr glaubwürdig. Endlich löste sich das Räthsel. Pascha von Drigalski und Groß-Muffti Eichmann hatten sich in Person in dem Stationsgebäude eingefunden; sie erwarteten nichts als Befehle von Potsdam, wollten aber nicht von dem vorwitzigen Bürgervolke gestört sein, das sich seit lange Abends auf dem Bahnhofe einfindet, um Neues von Berlin zu hören; darum mußten die Schützen eine Stunde lang Posten stehen und ihre Offiziere Bahnwärterdienste verrichten. Muffti Eichmann war hieher gekommen, um noch nachtröglich das Martialgesetz (!) verkündigen zu lassen, er stieß aber unerwarteter Weise bei den Militärauditeuren auf Widerstand und mußte von seinem wohlmeinenden Plane abstehen. Die Prokuratur wäre sicherlich dafür gewesen, sie wurde aber nicht gefragt. Uebrigens ist die Düsseldorfer Bürgerschaft wahrhaft eine verlassene Heerde; von der Regierung verrathen, von dem Militär geknechtet, von den Gerichten verfolgt, wird sie auch noch schmählicher Weise von ihrem Gemeinderath im Stich gelassen. Die Väter der Stadt haben sich bisher auch nicht einmal durch Proteste bemerklich gemacht, und das ist doch ein sehr leichtes Mittel, die Unthätigkeit zu beschönigen. Der Belagerungszustand wurde erklärt; statt die Ungesetzlichkeit dieser Maßregel anzugreifen, ermahnten sie die Bürger zur Ergebenheit. Die Waffen der Bürgerwehr, deren Besitz ihnen das Gesetz garantirt, wurden ihnen gewaltsam entrissen; kein Wort des Widerspruchs, keine Miene, ihren Besitz auf gerichtlichem Wege zu reklamiren. Die Bürgerschaft wird von der Soldateska überfallen, mißhandelt, Bürger werden verwundet und getödtet. Die Väter der Stadt bleiben stumm; sie wagen es nicht, die Aufhebung des Belagerungszustandes und die Entfernung der Truppen zu verlangen, obwohl sie auf's dringendste dazu aufgefordert werden. Sie beruhigen sich und trösten die Bürgerschaft damit, daß die Sache untersucht werden solle. Aber das ist alles noch nicht genug. Die Feigherzigkeit geht so weit, daß die Herren drauf und dran sind, dem Komplott Spiegel-Drigalski ein Moralitätszeugniß auszustellen und die Kosten des Belagerungszustandes aus der Gemeindekasse zu decken!! Diesem Komplott scheint es nämlich doch etwas bange geworden zu sein vor all den Ungesetzlichkeiten, die sie sich haben zu Schulden kommen lassen. Sie fürchten, die Stadt werde sich doch nicht Alles so ruhig gefallen lassen; diese Angst, die den Drigalski bereits zum Kommunisten gemacht hat, läßt sie auf das sinnreiche Mittel fallen, dem Stadtrathe zu drohen, die Regierung soll nach Cleve verlegt werden, das Landgericht nach Crefeld, das Militär nach Elberfeld, alle "Wohlthaten" der Verwaltung sollen der Stadt entzogen werden, wenn ihr Vorstand nicht erklärt, daß die Erklärung des Belagerungszustandes nothwendig, die Behandlung der Bürgerschaft, äußerst gnädig gewesen und die Kurkosten natürlich nur der Gemeinde zur Last zu schreiben seien. Und der Gemeinderath soll wirklich durch diesen lächerlichsten aller Schreckschüsse in's Bockshorn gejagt sein und ernsthaft mit dem Gedanken umgehen, an das Ministerium Brandenburg-Manteuffel, welches er vor kurzem noch des Hochverraths schuldig erklärt hat, eine Loyalitätsadresse zu richten und Alles zu versprechen, um die unglückliche Stadt vor dem drohenden Unheil zu bewahren! Die Bürgerschaft ist natürlich mit Ausnahme des belagerungszustandsfrohen Theils empört über diese Niederträchtigkeit, zu der nur der bornirteste Krämergeist herabsinken kann; aber sie ist ohnmächtig, Mißtrauensvota bleiben unbeachtet und bis zu neuen Wahlen währt's noch lange. 68 Berlin, 4. Dez.
Ueber unsere Nationalversammlung und deren Mitglieder sind hier die verschiedenartigsten Gerüchte im Umlauf. Die nächste Sitzung derselben wird Donnerstag Vormittag 11 Uhr im Dom zu Brandenburg stattfinden Es ist gewiß, daß sich mehr als 3/4 aller Mitglieder, also über 300 Abgeordnete, zu dieser Sitzung einfinden werden, welche mit der Wahl des neuen Präsidiums beginnen wird. Das Ministerium soll beschlossen haben, im Falle Unruh als Präsident gewählt wird -- was zu erwarten ist -- die Versammlung sofort aufzulösen. Alle Parteien machen sich schon mit dieser Idee vertraut und berechnen ihre ferneren Pläne danach. -- Gestern Abend erzählte man, daß der Staatsanwalt aufgefordert worden sei, die Anklage des Hochverraths gegen diejenigen Abgeordneten einzuleiten, welche den Aufruf vom 27. November, "an die Mitbürger", unterzeichnet haben. Auch gegen diejenigen Abgeordneten, welche die Entgegnung in Betreff des Bassermann'schen Berichts unterzeichneten, soll eine Untersuchung wegen Beleidigung der deutschen Centralgewalt angeordnet sein. Aus sicherer Quelle erfahren wir, daß Gagern's Anwesenheit in Potsdam weniger den Zerwürfnissen zwischen Regierung und Nationalversammlung galt, als dem Plane, Friedrich Wilhelm IV. doch noch die deutsche Kaiserkrone zu übertragen. Rußland und Oestreich sollen damit einverstanden sein. Die Demarkationslinie und andere Länderabsonderungen stehen mit diesem Plane in enger Verbindung. Die Vollzähligmachung der Regimenter und die Einberufung von 50 Bataillonen Landwehr in Preußen, sind nicht allein zur Unterdrückung des Volkes, sondern auch für den Fall gutbefunden, daß Frankreich Einsprache gegen die Ausführung dieser Pläne einlegen sollte. Während die östlichen Kabinette sich zur Vernichtung der deutschen Demokratie verbunden haben, reichen sie auf der andern Seite der retrograden Partei in Frankreich in's Geheim die Hand, um zu gleicher Zeit dort den Heerd der demokratischen Bewegung Europa's zu zerstören. Alle mißliebigen Personen, die nicht Berliner Bürger oder Eingeborne sind, werden vom Polizei-Präsidium noch fortwährend ausgewiesen, mit Androhung der Verhaftung, wenn sie nicht binnen 24 Stunden die Stadt und ihren zweimeiligen Umkreis verlassen. Und das sind nicht etwa bloß "deutsche Ausländer" welche so ausgewiesen werden, sondern hunderte von preußischen Staatsbürgern. Die Polizei-Brutalität ist vor dem 18. März nie in solchem Grade geübt worden, als jetzt, wo wir uns der "Märzerrungenschaften" erfreuen. Die Versammlungen des Maschienenbauer-Vereins, waren vom General Wrangel als politische angesehen worden und wurden demnach beim Beginn des Belagernngszustandes vom Militär auseinandergesprengt und verboten. Vorgestern begab sich der Präsident dieses Vereins zu Wrangel und stellte ihm vor, daß die Tendenz des Vereins mehr eine soziale als politische sei, und daß eine Versammlung desselben zur monatlichen Rechnungsablage, der mit dem Verein verbundenen Kranken- und Unterstützungskasse durchaus nothwendig sei. General Wrangel war endlich so gnädig, die Versammlungen zu erlauben, ja er übergab auch noch unter schmeichelhaften Aeußerungen über das Benehmen der Maschinenbauer in der letzten Zeit, dem Präsidenten einen Beitrag von zehn Friedrichsd'ors zur Krankenkasse des Vereins. Als dies in der Versammlung mitgetheilt wurde, soll sich eine bedeutende Anzahl Mitglieder für die sofortige Zurücksendung dieses Beitrags an den General Wrangel ausgesprochen haben, was jedoch auf Zureden des Präsidenten unterblieb. Es cirkulirt hier seit einigen Tagen folgende "Mißtrauensadresse" an den Magistrat: "Mit tiefster Entrüstung haben die unterzeichneten Einwohner Berlin's, die bis zur eingetretenen Militärherrschaft verschobene, dann aber endlich an's Licht getretene Gesinnungsäußerung des Magistrats vom 21. November aufgenommen. Unsere Entrüstung war um so größer, als der Magistrat mit diesem, lediglich der Macht huldigenden Manifeste sich in den offensten Widerspruch mit den Stadtverordneten versetzt hat, aus deren Wahl er hervorgegangen und die in edlem Aufschwunge sich dazu erhoben hatten, die entgegengesetzte freie und edle Gesinnung durch Wort und That an den Tag zu legen. Wir müssen es auf's schmerzlichste beklagen, daß die oberste Verwaltung der Stadt einem Kollegium von Männern, der in dem Manifeste vom 21. November kundgegebenen Gesinnung, anvertraut worden ist." -- Diese Mißtrauensadresse ist bereits mit vielen Tausenden von Unterschriften bedeckt, und wird dem Magistrat von der wahren Stimmung der Stadt ein Zeugniß geben. Hätten übrigens die Verfasser der Adresse noch einige Tage mit der Abfassung der Adresse gewartet, so hätten sie ihren Tadel auch fofort über die Stadtverordneten aussprechen können, die in ihrer Sitzung vom 29. v. M. mit sehr unedlem Niederfall von der Höhe ihrer "freien und edlen Gesinnungen" durch 49 gegen 45 Stimmen beschlossen, keine amtliche Widerlegung des Bassermann'schen Lügenberichts über die hiesigen Verhältnisse zu veranlassen. Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No. 162. Köln, Donnerstag den 7. Dezember. 1848.
Die Nachrichten von der Abdankung des östreichischen Kaisers, wie über den Pabst, hat ein großer Theil unserer Abonnenten in einer Extrabeilage zu Nr. 161 der „Neuen Rheinischen Zeitung“ erhalten und werden in der heutigen Nummer an geeigneter Stelle wiederholt. Uebersicht. Deutschland. Köln. (Ein preußisches Tractätlein. Herr Raumer lebt noch.) Düsseldorf. Spiegel-Drigalski-Eichmann. Schreckschuß. Feigheit des Gemeinderaths.) Berlin. (Gerüchte über Pläne am Hofe. — Zweck von Gagern's Anwesenheit. — Polizeiliche Ausweisungen. — Die Maschinenbauer und Hr. Wrangel. — Mißtrauensadresse an den Magistrat. — Ein Logogryph.) Wien. (Die Beamtenwirthschaft. — Zustand. — Der Krieg mit Ungarn.) Leipzig. (Abdankung des Kaisers.) Frankfurt. (National-Versammlung. — Brandenburg-Manteufel's angeblich nahes Ende.) Nürnberg. (Sieg der demokratischen Partei bei den Wahlen.) Brieg. (Eines Vaters Worte an seinen Sohn. Absolutistische Tractätlein.) Altona. (Verhaftungen unter'm Militär. — Herr Hammerstein) Italien. Mailand. (Radetzky's Brandschatzung — Italien, Frankreich und das Reich.) Genua. (Neuestes aus Neapel.) Rom. (Permanenz der Kammer. — Brief des Papstes vor seiner Flucht. Proklamation des Ministeriums. Erbitterung des Volkes gegen den französischen Gesandten. Verhalten der Trasteveriner. — Rossi's Wittwe und Kinder in Marseille.) Civita-Vecchia. (Provisorische Regierung in Rom.) Florenz. (Abreise des neapolitanischen Gesandten.) Französische Republik. Paris. (Anticavaignac'sches. — Gervais und Ducoux. — Die Associationen. — Wachsende Gährung. — Die „Ruhe und Ordnung“ in Paris. — Die Betten des Herrn von Rothschild. — Nachrichten aus Marseille über den Papst. — Vermischtes. — National-Versammlung.) Großbritannien. Dublin. (Die Lage des Landes.) Amerika. (Die westindische Post.) Asien. (Der Krieg mit Shere Singh im Pendschab.) Deutschland. * Köln, 5. Dezember. Die Plakate der contrerevolutionären Partei fliegen aus der Decker'schen „Geheimen-Ober-Hofbuchdruckerei“ zu Hunderttausenden nach allen Gegenden des Landes hin. Die Brandenburg-Manteuffel'sche Bureaukratie hat es mit ihrer Propaganda namentlich auf's Militär und das Landvolk abgesehen. Am eifrigsten wird das Traktätlein: „An das Volk“ mit der Anrede: „Bürger! Bauern! Preußen!“ verbreitet. Schaamloser, als in diesem Machwerk, ist wohl noch nie gelogen worden. Darin wird die Nationalversammlung, mit Ausnahme der Getreuen auf der „Rechten“, auf's Schnödeste mit Koth beworfen. Nicht genug, daß sie sich „mit lauter Nebendingen“ (allerdigs sind Habeas-Corpus-Acte etc. vor den Wrangel'schen Bajonetten weniger als Nebendinge geworden) abgegeben, nein, sie habe auch den König viermal beleidigt. Erstens, daß sie dem saubern Verfassungsentwurf, den Hr. Camphausen u. Comp. ausgeheckt hatten, wenig Geschmack abgewinnen konnte; zweitens, daß sie vor dem Prinzen von Preußen, als er in seiner Eigenschaft als Abgeordneter in den Sitzungssaal trat, nicht auf die Knie gefallen und unterthänigst erstorben ist; drittens, daß sie dem königlichen Titel die Worte „von Gottes Gnaden“ strich, und viertens, daß sie „Orden und Ehrenzeichen“ für mindestens sehr überflüssiges Zeug erklärte. Das sind ihre 4 Cardinal-Sünden wider den heiligen Geist. Die ärgste aber kommt gleich nach — Abschaffung des Adels. Diese Schandthat allein verdient blutige Rache. Zwar: „Als Adam hackte, Eva spann, Wo war denn da der Edelmann?“ Aber in einem christlich-gemanischen Staate den offiziellen Gebrauch von Adelstiteln mit sammt den Privilegien des Adels in die Rumpelkammer werfen: das ist ein unerhörtes Attentat; das fordert Blut! Das Brandenburg-Manteuffel'sche Traktätlein hebt dann die Kosten der Nationalversammlung hervor und schlägt sie auf 200,000 Rthlr. an. Zu bedauern ist, daß dieses Flugblättchen zu bemerken vergißt, wie viel in der nämlichen Zeit der König von Preußen an Diäten aus den Taschen des Volkes bezogen hat. Denn die Paar Milliönchen, die er seit dem Zusammentritt der Nationalversammlung verbraucht haben wird, sind gewiß nicht leichter aufzubringen gewesen, als jene 200,000 Rthlr. für die Deputirten. Bedenken wir ferner, wie viel Geld wir hergeben müssen, um die ungeheuren Kosten für die täglichen Hin- und Hermärsche der Truppen, für die Mobilmachung der Landwehr etc. zu decken: so muß die Unverschämtheit bewundert werden, die auf jene 200,000 Rthlr. loshetzt, und die 50mal größeren Summen für das Militär, ja allein für Spione, mit Stillschweigen übergeht. Die enormen Summen für's Militär bezahlen wir, nicht weil ein äußerer Feind abzuwehren, nicht weil das Land zu vertheidigen ist, sondern damit wir vom Militär, wie in Schweidnitz, in übermüthiger Reaktionsbrutalität zusammengeschossen, in Coblenz, Düsseldorf, Trier etc. etc. mit Kolben traktirt und niedergestoßen, überall in Belagerungszustand erklärt und trotz aller verheißenen Garantien und Freiheiten für vogelfrei erklärt werden. Am Schluß jenes Traktätleins heißt es wörtlich: „Verjagt, verhaftet die Aufwiegler! Unterdrückt die Lärmmacher! u. s. w.“ Daß dieses Lügenprodukt der preußischen Reaktion namentlich zur Einwirkung auf die Soldaten bestimmt ist, ergibt sich daraus, daß es in allen Kasernen des ganzen Landes, an das gesammte Militär ohne Ausnahme, vertheilt wird. In hiesiger Stadt wurden die Soldaten zum Lesen des albernen Machwerks förmlich kommandirt. Durch solche und ähnliche Schriften hofft man den Soldaten denjenigen Geist einzutrichtern, der allein sie zu willigen Instrumenten gottbegnadeter Gewaltherrschaft befähigen und vor unliebsamen Freiheitsgedanken bewahren kann. * Köln, 6. Dezbr. Kürzlich erwähnten wir der Loyalitätsadressen, die von Halleschen und Berliner Professoren an den König eingereicht worden. Wir haben heute zu melden, daß sich Hr. v. Raumer, Reichsgesandter in partibus, zur Zeit bei Bastide und Cavaignac antichambrirend, der Professorenblamage durch eine Beitrittserklärung zu jener Adresse vollständig angeschlossen hat. Von einem Reichsgesandten, wie Hrn. Raumer, war in der That nichts Anderes zu erwarten. Seine Erklärung scheint aber noch einen andern Grund zu haben. Hr. Raumer war seit Monaten in Deutschland verschollen. In seiner Sehnsucht, auf irgend eine Art aus jener Verschollenheit erlöst zu werden, ergriff er begierig die ihm von seinen Berliner Mitbonzen gebotene Gelegenheit und besorgte schleunigst obgedachte Erklärung in die Oeffentlichkeit. Jenes Raumer'sche Produkt findet sich in der neuesten Nummer des „Preußischen Staats-Anzeigers“ abgelagert. 109 Düsseldorf, 3. Dezember. Heute Nachmittag wurde die 74jährige Greisin, welche bei den letzten Soldatenexzessen der Mordwuth zum Opfer fiel, von einer nicht allzubeträchtlichen Anzahl Bürger zu Grabe geleitet. Das Begräbniß war äußerst einfach; nichts von dem pomphaften Gepränge, womit jener Dreizehner in den Augusttagen bestattet wurde. Herr Drigalski hatte für echt bürgerliche Nüchternheit gesorgt, er hatte jede Feierlichkeit verboten, den Gebrauch von Fahnen und Musik ausdrücklich untersagt. Dieser königl. preuß. Pascha von Düsseldorf weiß überhaupt den Bürgern seinen Roßschweif bei jeder Gelegenheit fühlbar zu machen. Kaum vergeht ein Tag, daß er nicht durch irgend ein schriftstellerisches Exercitium, sei es eine gesetzgebende Verordnung, sei es eine Belehrung über königl. preuß. Kommunismus, Sensation macht. Zuweilen überrascht er auch durch plötzliche Einfälle, die er sofort in Ausführung bringen läßt. So war neulich Abends auf einmal der Köln-Mindner Bahnhof mit einer starken Schützenabtheilung besetzt; wer das Thor passiren wollte, mußte vor dem wachthabenden Offizier zuvor ein Examen bestehen. Erklärte er, nicht abreisen zu wollen, so wurde er zurückgewiesen; ergab es sich, daß es ein Reisender sei, so wurde er von einem Schützen über den Bahnhof bis in das Gebäude eskortirt und nicht eher freigelassen, als bis sein Begleiter sich überzeugt hatte, daß er ein Billet gelöst. Niemand wußte sich zu erklären was das zu bedeuten habe; fürchtete man einen Aufstand, wollte man der Schreier sich versichern? Das war nicht gut möglich; die Stadt war grabesruhig und die Elberfelder Eisenbahn, auf der die Wupperthaler hätten heranziehen können, war nicht besetzt. Oder sollten Kölner Demokraten im Anzuge sein, um dem Düsseldorfer Belagerungszustande ein Ende zu machen? Auch diese Vermuthung war nicht stichhaltig, den von Köln wurde kein Zug erwartet und die Kriegslust Kölner Demokraten war nicht gerade sehr glaubwürdig. Endlich löste sich das Räthsel. Pascha von Drigalski und Groß-Muffti Eichmann hatten sich in Person in dem Stationsgebäude eingefunden; sie erwarteten nichts als Befehle von Potsdam, wollten aber nicht von dem vorwitzigen Bürgervolke gestört sein, das sich seit lange Abends auf dem Bahnhofe einfindet, um Neues von Berlin zu hören; darum mußten die Schützen eine Stunde lang Posten stehen und ihre Offiziere Bahnwärterdienste verrichten. Muffti Eichmann war hieher gekommen, um noch nachtröglich das Martialgesetz (!) verkündigen zu lassen, er stieß aber unerwarteter Weise bei den Militärauditeuren auf Widerstand und mußte von seinem wohlmeinenden Plane abstehen. Die Prokuratur wäre sicherlich dafür gewesen, sie wurde aber nicht gefragt. Uebrigens ist die Düsseldorfer Bürgerschaft wahrhaft eine verlassene Heerde; von der Regierung verrathen, von dem Militär geknechtet, von den Gerichten verfolgt, wird sie auch noch schmählicher Weise von ihrem Gemeinderath im Stich gelassen. Die Väter der Stadt haben sich bisher auch nicht einmal durch Proteste bemerklich gemacht, und das ist doch ein sehr leichtes Mittel, die Unthätigkeit zu beschönigen. Der Belagerungszustand wurde erklärt; statt die Ungesetzlichkeit dieser Maßregel anzugreifen, ermahnten sie die Bürger zur Ergebenheit. Die Waffen der Bürgerwehr, deren Besitz ihnen das Gesetz garantirt, wurden ihnen gewaltsam entrissen; kein Wort des Widerspruchs, keine Miene, ihren Besitz auf gerichtlichem Wege zu reklamiren. Die Bürgerschaft wird von der Soldateska überfallen, mißhandelt, Bürger werden verwundet und getödtet. Die Väter der Stadt bleiben stumm; sie wagen es nicht, die Aufhebung des Belagerungszustandes und die Entfernung der Truppen zu verlangen, obwohl sie auf's dringendste dazu aufgefordert werden. Sie beruhigen sich und trösten die Bürgerschaft damit, daß die Sache untersucht werden solle. Aber das ist alles noch nicht genug. Die Feigherzigkeit geht so weit, daß die Herren drauf und dran sind, dem Komplott Spiegel-Drigalski ein Moralitätszeugniß auszustellen und die Kosten des Belagerungszustandes aus der Gemeindekasse zu decken!! Diesem Komplott scheint es nämlich doch etwas bange geworden zu sein vor all den Ungesetzlichkeiten, die sie sich haben zu Schulden kommen lassen. Sie fürchten, die Stadt werde sich doch nicht Alles so ruhig gefallen lassen; diese Angst, die den Drigalski bereits zum Kommunisten gemacht hat, läßt sie auf das sinnreiche Mittel fallen, dem Stadtrathe zu drohen, die Regierung soll nach Cleve verlegt werden, das Landgericht nach Crefeld, das Militär nach Elberfeld, alle „Wohlthaten“ der Verwaltung sollen der Stadt entzogen werden, wenn ihr Vorstand nicht erklärt, daß die Erklärung des Belagerungszustandes nothwendig, die Behandlung der Bürgerschaft, äußerst gnädig gewesen und die Kurkosten natürlich nur der Gemeinde zur Last zu schreiben seien. Und der Gemeinderath soll wirklich durch diesen lächerlichsten aller Schreckschüsse in's Bockshorn gejagt sein und ernsthaft mit dem Gedanken umgehen, an das Ministerium Brandenburg-Manteuffel, welches er vor kurzem noch des Hochverraths schuldig erklärt hat, eine Loyalitätsadresse zu richten und Alles zu versprechen, um die unglückliche Stadt vor dem drohenden Unheil zu bewahren! Die Bürgerschaft ist natürlich mit Ausnahme des belagerungszustandsfrohen Theils empört über diese Niederträchtigkeit, zu der nur der bornirteste Krämergeist herabsinken kann; aber sie ist ohnmächtig, Mißtrauensvota bleiben unbeachtet und bis zu neuen Wahlen währt's noch lange. 68 Berlin, 4. Dez.
Ueber unsere Nationalversammlung und deren Mitglieder sind hier die verschiedenartigsten Gerüchte im Umlauf. Die nächste Sitzung derselben wird Donnerstag Vormittag 11 Uhr im Dom zu Brandenburg stattfinden Es ist gewiß, daß sich mehr als 3/4 aller Mitglieder, also über 300 Abgeordnete, zu dieser Sitzung einfinden werden, welche mit der Wahl des neuen Präsidiums beginnen wird. Das Ministerium soll beschlossen haben, im Falle Unruh als Präsident gewählt wird — was zu erwarten ist — die Versammlung sofort aufzulösen. Alle Parteien machen sich schon mit dieser Idee vertraut und berechnen ihre ferneren Pläne danach. — Gestern Abend erzählte man, daß der Staatsanwalt aufgefordert worden sei, die Anklage des Hochverraths gegen diejenigen Abgeordneten einzuleiten, welche den Aufruf vom 27. November, „an die Mitbürger“, unterzeichnet haben. Auch gegen diejenigen Abgeordneten, welche die Entgegnung in Betreff des Bassermann'schen Berichts unterzeichneten, soll eine Untersuchung wegen Beleidigung der deutschen Centralgewalt angeordnet sein. Aus sicherer Quelle erfahren wir, daß Gagern's Anwesenheit in Potsdam weniger den Zerwürfnissen zwischen Regierung und Nationalversammlung galt, als dem Plane, Friedrich Wilhelm IV. doch noch die deutsche Kaiserkrone zu übertragen. Rußland und Oestreich sollen damit einverstanden sein. Die Demarkationslinie und andere Länderabsonderungen stehen mit diesem Plane in enger Verbindung. Die Vollzähligmachung der Regimenter und die Einberufung von 50 Bataillonen Landwehr in Preußen, sind nicht allein zur Unterdrückung des Volkes, sondern auch für den Fall gutbefunden, daß Frankreich Einsprache gegen die Ausführung dieser Pläne einlegen sollte. Während die östlichen Kabinette sich zur Vernichtung der deutschen Demokratie verbunden haben, reichen sie auf der andern Seite der retrograden Partei in Frankreich in's Geheim die Hand, um zu gleicher Zeit dort den Heerd der demokratischen Bewegung Europa's zu zerstören. Alle mißliebigen Personen, die nicht Berliner Bürger oder Eingeborne sind, werden vom Polizei-Präsidium noch fortwährend ausgewiesen, mit Androhung der Verhaftung, wenn sie nicht binnen 24 Stunden die Stadt und ihren zweimeiligen Umkreis verlassen. Und das sind nicht etwa bloß „deutsche Ausländer“ welche so ausgewiesen werden, sondern hunderte von preußischen Staatsbürgern. Die Polizei-Brutalität ist vor dem 18. März nie in solchem Grade geübt worden, als jetzt, wo wir uns der „Märzerrungenschaften“ erfreuen. Die Versammlungen des Maschienenbauer-Vereins, waren vom General Wrangel als politische angesehen worden und wurden demnach beim Beginn des Belagernngszustandes vom Militär auseinandergesprengt und verboten. Vorgestern begab sich der Präsident dieses Vereins zu Wrangel und stellte ihm vor, daß die Tendenz des Vereins mehr eine soziale als politische sei, und daß eine Versammlung desselben zur monatlichen Rechnungsablage, der mit dem Verein verbundenen Kranken- und Unterstützungskasse durchaus nothwendig sei. General Wrangel war endlich so gnädig, die Versammlungen zu erlauben, ja er übergab auch noch unter schmeichelhaften Aeußerungen über das Benehmen der Maschinenbauer in der letzten Zeit, dem Präsidenten einen Beitrag von zehn Friedrichsd'ors zur Krankenkasse des Vereins. Als dies in der Versammlung mitgetheilt wurde, soll sich eine bedeutende Anzahl Mitglieder für die sofortige Zurücksendung dieses Beitrags an den General Wrangel ausgesprochen haben, was jedoch auf Zureden des Präsidenten unterblieb. Es cirkulirt hier seit einigen Tagen folgende „Mißtrauensadresse“ an den Magistrat: „Mit tiefster Entrüstung haben die unterzeichneten Einwohner Berlin's, die bis zur eingetretenen Militärherrschaft verschobene, dann aber endlich an's Licht getretene Gesinnungsäußerung des Magistrats vom 21. November aufgenommen. Unsere Entrüstung war um so größer, als der Magistrat mit diesem, lediglich der Macht huldigenden Manifeste sich in den offensten Widerspruch mit den Stadtverordneten versetzt hat, aus deren Wahl er hervorgegangen und die in edlem Aufschwunge sich dazu erhoben hatten, die entgegengesetzte freie und edle Gesinnung durch Wort und That an den Tag zu legen. Wir müssen es auf's schmerzlichste beklagen, daß die oberste Verwaltung der Stadt einem Kollegium von Männern, der in dem Manifeste vom 21. November kundgegebenen Gesinnung, anvertraut worden ist.“ — Diese Mißtrauensadresse ist bereits mit vielen Tausenden von Unterschriften bedeckt, und wird dem Magistrat von der wahren Stimmung der Stadt ein Zeugniß geben. Hätten übrigens die Verfasser der Adresse noch einige Tage mit der Abfassung der Adresse gewartet, so hätten sie ihren Tadel auch fofort über die Stadtverordneten aussprechen können, die in ihrer Sitzung vom 29. v. M. mit sehr unedlem Niederfall von der Höhe ihrer „freien und edlen Gesinnungen“ durch 49 gegen 45 Stimmen beschlossen, keine amtliche Widerlegung des Bassermann'schen Lügenberichts über die hiesigen Verhältnisse zu veranlassen. <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="0863"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No. 162. Köln, Donnerstag den 7. Dezember. 1848.</docDate> </docImprint> </titlePage> </front> <body> <div n="1"> <epigraph> <p> <hi rendition="#b">Keine Steuern mehr!!!</hi> </p> </epigraph> </div> <div n="1"> <p>Die Nachrichten von der Abdankung des östreichischen Kaisers, wie über den Pabst, hat ein großer Theil unserer Abonnenten in einer Extrabeilage zu Nr. 161 der „Neuen Rheinischen Zeitung“ erhalten und werden in der heutigen Nummer an geeigneter Stelle wiederholt.</p> </div> <div type="contents" n="1"> <head>Uebersicht.</head> <p><hi rendition="#g">Deutschland</hi>. Köln. (Ein preußisches Tractätlein. Herr Raumer lebt noch.) Düsseldorf. Spiegel-Drigalski-Eichmann. Schreckschuß. Feigheit des Gemeinderaths.) Berlin. (Gerüchte über Pläne am Hofe. — Zweck von Gagern's Anwesenheit. — Polizeiliche Ausweisungen. — Die Maschinenbauer und Hr. Wrangel. — Mißtrauensadresse an den Magistrat. — Ein Logogryph.) Wien. (Die Beamtenwirthschaft. — Zustand. — Der Krieg mit Ungarn.) Leipzig. (Abdankung des Kaisers.) Frankfurt. (National-Versammlung. — Brandenburg-Manteufel's angeblich nahes Ende.) Nürnberg. (Sieg der demokratischen Partei bei den Wahlen.) Brieg. (Eines Vaters Worte an seinen Sohn. Absolutistische Tractätlein.) Altona. (Verhaftungen unter'm Militär. — Herr Hammerstein)</p> <p><hi rendition="#g">Italien</hi>. Mailand. (Radetzky's Brandschatzung — Italien, Frankreich und das Reich.) Genua. (Neuestes aus Neapel.) Rom. (Permanenz der Kammer. — Brief des Papstes vor seiner Flucht. Proklamation des Ministeriums. Erbitterung des Volkes gegen den französischen Gesandten. Verhalten der Trasteveriner. — Rossi's Wittwe und Kinder in Marseille.) Civita-Vecchia. (Provisorische Regierung in Rom.) Florenz. (Abreise des neapolitanischen Gesandten.)</p> <p><hi rendition="#g">Französische Republik</hi>. Paris. (Anticavaignac'sches. — Gervais und Ducoux. — Die Associationen. — Wachsende Gährung. — Die „Ruhe und Ordnung“ in Paris. — Die Betten des Herrn von Rothschild. — Nachrichten aus Marseille über den Papst. — Vermischtes. — National-Versammlung.)</p> <p><hi rendition="#g">Großbritannien</hi>. Dublin. (Die Lage des Landes.)</p> <p><hi rendition="#g">Amerika</hi>. (Die westindische Post.)</p> <p><hi rendition="#g">Asien</hi>. (Der Krieg mit Shere Singh im Pendschab.)</p> </div> <div n="1"> <head>Deutschland.</head> <div xml:id="ar162_001" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Köln, 5. Dezember.</head> <p>Die Plakate der contrerevolutionären Partei fliegen aus der Decker'schen „Geheimen-Ober-Hofbuchdruckerei“ zu Hunderttausenden nach allen Gegenden des Landes hin. Die Brandenburg-Manteuffel'sche Bureaukratie hat es mit ihrer Propaganda namentlich auf's Militär und das Landvolk abgesehen. Am eifrigsten wird das Traktätlein: „An das Volk“ mit der Anrede: „Bürger! Bauern! Preußen!“ verbreitet. Schaamloser, als in diesem Machwerk, ist wohl noch nie gelogen worden. Darin wird die Nationalversammlung, mit Ausnahme der Getreuen auf der „Rechten“, auf's Schnödeste mit Koth beworfen. Nicht genug, daß sie sich „mit lauter Nebendingen“ (allerdigs sind Habeas-Corpus-Acte etc. vor den Wrangel'schen Bajonetten weniger als Nebendinge geworden) abgegeben, nein, sie habe auch den König viermal beleidigt. Erstens, daß sie dem saubern Verfassungsentwurf, den Hr. Camphausen u. Comp. ausgeheckt hatten, wenig Geschmack abgewinnen konnte; zweitens, daß sie vor dem Prinzen von Preußen, als er in seiner Eigenschaft als Abgeordneter in den Sitzungssaal trat, nicht auf die Knie gefallen und unterthänigst erstorben ist; drittens, daß sie dem königlichen Titel die Worte „von Gottes Gnaden“ strich, und viertens, daß sie „<hi rendition="#g">Orden und Ehrenzeichen</hi>“ für mindestens sehr überflüssiges Zeug erklärte. Das sind ihre 4 Cardinal-Sünden wider den heiligen Geist.</p> <p>Die ärgste aber kommt gleich nach — <hi rendition="#g">Abschaffung des Adels</hi>. Diese Schandthat allein verdient blutige Rache. Zwar:</p> <lg type="poem"> <l>„Als Adam hackte, Eva spann,</l><lb/> <l>Wo war denn da der Edelmann?“</l><lb/> </lg> <p>Aber in einem christlich-gemanischen Staate den offiziellen Gebrauch von Adelstiteln mit sammt den Privilegien des Adels in die Rumpelkammer werfen: das ist ein unerhörtes Attentat; das fordert Blut!</p> <p>Das Brandenburg-Manteuffel'sche Traktätlein hebt dann die Kosten der Nationalversammlung hervor und schlägt sie auf 200,000 Rthlr. an. Zu bedauern ist, daß dieses Flugblättchen zu bemerken vergißt, wie viel in der nämlichen Zeit der König von Preußen an Diäten aus den Taschen des Volkes bezogen hat. Denn die Paar Milliönchen, die er seit dem Zusammentritt der Nationalversammlung verbraucht haben wird, sind gewiß nicht leichter aufzubringen gewesen, als jene 200,000 Rthlr. für die Deputirten. Bedenken wir ferner, wie viel Geld wir hergeben müssen, um die ungeheuren Kosten für die täglichen Hin- und Hermärsche der Truppen, für die Mobilmachung der Landwehr etc. zu decken: so muß die Unverschämtheit bewundert werden, die auf jene 200,000 Rthlr. loshetzt, und die 50mal größeren Summen für das Militär, ja allein für Spione, mit Stillschweigen übergeht. Die enormen Summen für's Militär bezahlen wir, nicht weil ein äußerer Feind abzuwehren, nicht weil das Land zu vertheidigen ist, sondern damit wir vom Militär, wie in Schweidnitz, in übermüthiger Reaktionsbrutalität zusammengeschossen, in Coblenz, Düsseldorf, Trier etc. etc. mit Kolben traktirt und niedergestoßen, überall in Belagerungszustand erklärt und trotz aller verheißenen Garantien und Freiheiten für vogelfrei erklärt werden.</p> <p>Am Schluß jenes Traktätleins heißt es wörtlich:</p> <p>„Verjagt, verhaftet die Aufwiegler! Unterdrückt die Lärmmacher! u. s. w.“</p> <p>Daß dieses Lügenprodukt der preußischen Reaktion namentlich zur Einwirkung auf die Soldaten bestimmt ist, ergibt sich daraus, daß es in allen Kasernen des ganzen Landes, an das gesammte Militär ohne Ausnahme, vertheilt wird.</p> <p>In hiesiger Stadt wurden die Soldaten zum Lesen des albernen Machwerks förmlich kommandirt. Durch solche und ähnliche Schriften hofft man den Soldaten denjenigen Geist einzutrichtern, der allein sie zu willigen Instrumenten gottbegnadeter Gewaltherrschaft befähigen und vor unliebsamen Freiheitsgedanken bewahren kann.</p> </div> <div xml:id="ar162_002" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Köln, 6. Dezbr.</head> <p>Kürzlich erwähnten wir der Loyalitätsadressen, die von Halleschen und Berliner Professoren an den König eingereicht worden. Wir haben heute zu melden, daß sich Hr. v. Raumer, Reichsgesandter in partibus, zur Zeit bei Bastide und Cavaignac antichambrirend, der Professorenblamage durch eine Beitrittserklärung zu jener Adresse vollständig angeschlossen hat. Von einem Reichsgesandten, wie Hrn. Raumer, war in der That nichts Anderes zu erwarten. Seine Erklärung scheint aber noch einen andern Grund zu haben. Hr. Raumer war seit Monaten in Deutschland verschollen. In seiner Sehnsucht, auf irgend eine Art aus jener Verschollenheit erlöst zu werden, ergriff er begierig die ihm von seinen Berliner Mitbonzen gebotene Gelegenheit und besorgte schleunigst obgedachte Erklärung in die Oeffentlichkeit. Jenes Raumer'sche Produkt findet sich in der neuesten Nummer des „Preußischen Staats-Anzeigers“ abgelagert.</p> </div> <div xml:id="ar162_003" type="jArticle"> <head><bibl><author>109</author></bibl> Düsseldorf, 3. Dezember.</head> <p>Heute Nachmittag wurde die 74jährige Greisin, welche bei den letzten Soldatenexzessen der Mordwuth zum Opfer fiel, von einer nicht allzubeträchtlichen Anzahl Bürger zu Grabe geleitet. Das Begräbniß war äußerst einfach; nichts von dem pomphaften Gepränge, womit jener Dreizehner in den Augusttagen bestattet wurde. Herr Drigalski hatte für echt bürgerliche Nüchternheit gesorgt, er hatte jede Feierlichkeit verboten, den Gebrauch von Fahnen und Musik ausdrücklich untersagt. Dieser königl. preuß. Pascha von Düsseldorf weiß überhaupt den Bürgern seinen Roßschweif bei jeder Gelegenheit fühlbar zu machen. Kaum vergeht ein Tag, daß er nicht durch irgend ein schriftstellerisches Exercitium, sei es eine gesetzgebende Verordnung, sei es eine Belehrung über königl. preuß. Kommunismus, Sensation macht. Zuweilen überrascht er auch durch plötzliche Einfälle, die er sofort in Ausführung bringen läßt. So war neulich Abends auf einmal der Köln-Mindner Bahnhof mit einer starken Schützenabtheilung besetzt; wer das Thor passiren wollte, mußte vor dem wachthabenden Offizier zuvor ein Examen bestehen. Erklärte er, nicht abreisen zu wollen, so wurde er zurückgewiesen; ergab es sich, daß es ein Reisender sei, so wurde er von einem Schützen über den Bahnhof bis in das Gebäude eskortirt und nicht eher freigelassen, als bis sein Begleiter sich überzeugt hatte, daß er ein Billet gelöst. Niemand wußte sich zu erklären was das zu bedeuten habe; fürchtete man einen Aufstand, wollte man der Schreier sich versichern? Das war nicht gut möglich; die Stadt war grabesruhig und die Elberfelder Eisenbahn, auf der die Wupperthaler hätten heranziehen können, war nicht besetzt. Oder sollten Kölner Demokraten im Anzuge sein, um dem Düsseldorfer Belagerungszustande ein Ende zu machen? Auch diese Vermuthung war nicht stichhaltig, den von Köln wurde kein Zug erwartet und die Kriegslust Kölner Demokraten war nicht gerade sehr glaubwürdig. Endlich löste sich das Räthsel. Pascha von Drigalski und Groß-Muffti Eichmann hatten sich in Person in dem Stationsgebäude eingefunden; sie erwarteten nichts als Befehle von Potsdam, wollten aber nicht von dem vorwitzigen Bürgervolke gestört sein, das sich seit lange Abends auf dem Bahnhofe einfindet, um Neues von Berlin zu hören; darum mußten die Schützen eine Stunde lang Posten stehen und ihre Offiziere Bahnwärterdienste verrichten. Muffti Eichmann war hieher gekommen, um noch nachtröglich das Martialgesetz (!) verkündigen zu lassen, er stieß aber unerwarteter Weise bei den Militärauditeuren auf Widerstand und mußte von seinem wohlmeinenden Plane abstehen. Die Prokuratur wäre sicherlich dafür gewesen, sie wurde aber nicht gefragt. Uebrigens ist die Düsseldorfer Bürgerschaft wahrhaft eine verlassene Heerde; von der Regierung verrathen, von dem Militär geknechtet, von den Gerichten verfolgt, wird sie auch noch schmählicher Weise von ihrem Gemeinderath im Stich gelassen.</p> <p>Die Väter der Stadt haben sich bisher auch nicht einmal durch Proteste bemerklich gemacht, und das ist doch ein sehr leichtes Mittel, die Unthätigkeit zu beschönigen. Der Belagerungszustand wurde erklärt; statt die Ungesetzlichkeit dieser Maßregel anzugreifen, ermahnten sie die Bürger zur Ergebenheit. Die Waffen der Bürgerwehr, deren Besitz ihnen das Gesetz garantirt, wurden ihnen gewaltsam entrissen; kein Wort des Widerspruchs, keine Miene, ihren Besitz auf gerichtlichem Wege zu reklamiren. Die Bürgerschaft wird von der Soldateska überfallen, mißhandelt, Bürger werden verwundet und getödtet. Die Väter der Stadt bleiben stumm; sie wagen es nicht, die Aufhebung des Belagerungszustandes und die Entfernung der Truppen zu verlangen, obwohl sie auf's dringendste dazu aufgefordert werden. Sie beruhigen sich und trösten die Bürgerschaft damit, daß die Sache untersucht werden solle. Aber das ist alles noch nicht genug. Die Feigherzigkeit geht so weit, daß die Herren drauf und dran sind, dem Komplott Spiegel-Drigalski ein Moralitätszeugniß auszustellen und die Kosten des Belagerungszustandes aus der Gemeindekasse zu decken!! Diesem Komplott scheint es nämlich doch etwas bange geworden zu sein vor all den Ungesetzlichkeiten, die sie sich haben zu Schulden kommen lassen. Sie fürchten, die Stadt werde sich doch nicht Alles so ruhig gefallen lassen; diese Angst, die den Drigalski bereits zum Kommunisten gemacht hat, läßt sie auf das sinnreiche Mittel fallen, dem Stadtrathe zu <hi rendition="#g">drohen,</hi> die Regierung soll nach Cleve verlegt werden, das Landgericht nach Crefeld, das Militär nach Elberfeld, alle „Wohlthaten“ der Verwaltung sollen der Stadt entzogen werden, wenn ihr Vorstand nicht erklärt, daß die Erklärung des Belagerungszustandes nothwendig, die Behandlung der Bürgerschaft, äußerst gnädig gewesen und die Kurkosten natürlich nur der Gemeinde zur Last zu schreiben seien. Und der Gemeinderath soll wirklich durch diesen lächerlichsten aller Schreckschüsse in's Bockshorn gejagt sein und ernsthaft mit dem Gedanken umgehen, an das Ministerium Brandenburg-Manteuffel, welches er vor kurzem noch des Hochverraths schuldig erklärt hat, eine Loyalitätsadresse zu richten und Alles zu versprechen, um die unglückliche Stadt vor dem drohenden Unheil zu bewahren! Die Bürgerschaft ist natürlich mit Ausnahme des belagerungszustandsfrohen Theils empört über diese Niederträchtigkeit, zu der nur der bornirteste Krämergeist herabsinken kann; aber sie ist ohnmächtig, Mißtrauensvota bleiben unbeachtet und bis zu neuen Wahlen währt's noch lange.</p> </div> <div xml:id="ar162_004" type="jArticle"> <head><bibl><author>68</author></bibl> Berlin, 4. Dez.</head> <p>Ueber unsere Nationalversammlung und deren Mitglieder sind hier die verschiedenartigsten Gerüchte im Umlauf. Die nächste Sitzung derselben wird Donnerstag Vormittag 11 Uhr im Dom zu Brandenburg stattfinden Es ist gewiß, daß sich mehr als 3/4 aller Mitglieder, also über 300 Abgeordnete, zu dieser Sitzung einfinden werden, welche mit der Wahl des neuen Präsidiums beginnen wird. Das Ministerium soll beschlossen haben, im Falle <hi rendition="#g">Unruh</hi> als Präsident gewählt wird — was zu erwarten ist — die Versammlung sofort aufzulösen. Alle Parteien machen sich schon mit dieser Idee vertraut und berechnen ihre ferneren Pläne danach. — Gestern Abend erzählte man, daß der Staatsanwalt aufgefordert worden sei, die Anklage des Hochverraths gegen diejenigen Abgeordneten einzuleiten, welche den Aufruf vom 27. November, „an die Mitbürger“, unterzeichnet haben. Auch gegen diejenigen Abgeordneten, welche die Entgegnung in Betreff des Bassermann'schen Berichts unterzeichneten, soll eine Untersuchung wegen Beleidigung der deutschen Centralgewalt angeordnet sein.</p> <p>Aus sicherer Quelle erfahren wir, daß Gagern's Anwesenheit in Potsdam weniger den Zerwürfnissen zwischen Regierung und Nationalversammlung galt, als dem Plane, Friedrich Wilhelm IV. doch noch die deutsche Kaiserkrone zu übertragen. Rußland und Oestreich sollen damit einverstanden sein. Die Demarkationslinie und andere Länderabsonderungen stehen mit diesem Plane in enger Verbindung. Die Vollzähligmachung der Regimenter und die Einberufung von 50 Bataillonen Landwehr in Preußen, sind nicht allein zur Unterdrückung des Volkes, sondern auch für den Fall gutbefunden, daß Frankreich Einsprache gegen die Ausführung dieser Pläne einlegen sollte. Während die östlichen Kabinette sich zur Vernichtung der deutschen Demokratie verbunden haben, reichen sie auf der andern Seite der retrograden Partei in Frankreich in's Geheim die Hand, um zu gleicher Zeit dort den Heerd der demokratischen Bewegung Europa's zu zerstören.</p> <p>Alle mißliebigen Personen, die nicht Berliner Bürger oder Eingeborne sind, werden vom Polizei-Präsidium noch fortwährend ausgewiesen, mit Androhung der Verhaftung, wenn sie nicht binnen 24 Stunden die Stadt und ihren zweimeiligen Umkreis verlassen. Und das sind nicht etwa bloß „deutsche Ausländer“ welche so ausgewiesen werden, sondern hunderte von preußischen Staatsbürgern. Die Polizei-Brutalität ist vor dem 18. März nie in solchem Grade geübt worden, als jetzt, wo wir uns der „Märzerrungenschaften“ erfreuen.</p> <p>Die Versammlungen des Maschienenbauer-Vereins, waren vom General Wrangel als politische angesehen worden und wurden demnach beim Beginn des Belagernngszustandes vom Militär auseinandergesprengt und verboten. Vorgestern begab sich der Präsident dieses Vereins zu Wrangel und stellte ihm vor, daß die Tendenz des Vereins mehr eine soziale als politische sei, und daß eine Versammlung desselben zur monatlichen Rechnungsablage, der mit dem Verein verbundenen Kranken- und Unterstützungskasse durchaus nothwendig sei. General Wrangel war endlich so gnädig, die Versammlungen zu erlauben, ja er übergab auch noch unter schmeichelhaften Aeußerungen über das Benehmen der Maschinenbauer in der letzten Zeit, dem Präsidenten einen Beitrag von zehn Friedrichsd'ors zur Krankenkasse des Vereins. Als dies in der Versammlung mitgetheilt wurde, soll sich eine bedeutende Anzahl Mitglieder für die sofortige Zurücksendung dieses Beitrags an den General Wrangel ausgesprochen haben, was jedoch auf Zureden des Präsidenten unterblieb.</p> <p>Es cirkulirt hier seit einigen Tagen folgende „Mißtrauensadresse“ an den Magistrat: „Mit tiefster Entrüstung haben die unterzeichneten Einwohner Berlin's, die bis zur eingetretenen Militärherrschaft verschobene, dann aber endlich an's Licht getretene Gesinnungsäußerung des Magistrats vom 21. November aufgenommen. Unsere Entrüstung war um so größer, als der Magistrat mit diesem, lediglich der Macht huldigenden Manifeste sich in den offensten Widerspruch mit den Stadtverordneten versetzt hat, aus deren Wahl er hervorgegangen und die in edlem Aufschwunge sich dazu erhoben hatten, die entgegengesetzte freie und edle Gesinnung durch Wort und That an den Tag zu legen. Wir müssen es auf's schmerzlichste beklagen, daß die oberste Verwaltung der Stadt einem Kollegium von Männern, der in dem Manifeste vom 21. November kundgegebenen Gesinnung, anvertraut worden ist.“ — Diese Mißtrauensadresse ist bereits mit vielen Tausenden von Unterschriften bedeckt, und wird dem Magistrat von der wahren Stimmung der Stadt ein Zeugniß geben. Hätten übrigens die Verfasser der Adresse noch einige Tage mit der Abfassung der Adresse gewartet, so hätten sie ihren Tadel auch fofort über die Stadtverordneten aussprechen können, die in ihrer Sitzung vom 29. v. M. mit sehr <hi rendition="#g">unedlem Niederfall</hi> von der Höhe ihrer „freien und edlen Gesinnungen“ durch 49 gegen 45 Stimmen beschlossen, keine amtliche Widerlegung des Bassermann'schen Lügenberichts über die hiesigen Verhältnisse zu veranlassen.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0863/0001]
Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No. 162. Köln, Donnerstag den 7. Dezember. 1848. Keine Steuern mehr!!!
Die Nachrichten von der Abdankung des östreichischen Kaisers, wie über den Pabst, hat ein großer Theil unserer Abonnenten in einer Extrabeilage zu Nr. 161 der „Neuen Rheinischen Zeitung“ erhalten und werden in der heutigen Nummer an geeigneter Stelle wiederholt.
Uebersicht. Deutschland. Köln. (Ein preußisches Tractätlein. Herr Raumer lebt noch.) Düsseldorf. Spiegel-Drigalski-Eichmann. Schreckschuß. Feigheit des Gemeinderaths.) Berlin. (Gerüchte über Pläne am Hofe. — Zweck von Gagern's Anwesenheit. — Polizeiliche Ausweisungen. — Die Maschinenbauer und Hr. Wrangel. — Mißtrauensadresse an den Magistrat. — Ein Logogryph.) Wien. (Die Beamtenwirthschaft. — Zustand. — Der Krieg mit Ungarn.) Leipzig. (Abdankung des Kaisers.) Frankfurt. (National-Versammlung. — Brandenburg-Manteufel's angeblich nahes Ende.) Nürnberg. (Sieg der demokratischen Partei bei den Wahlen.) Brieg. (Eines Vaters Worte an seinen Sohn. Absolutistische Tractätlein.) Altona. (Verhaftungen unter'm Militär. — Herr Hammerstein)
Italien. Mailand. (Radetzky's Brandschatzung — Italien, Frankreich und das Reich.) Genua. (Neuestes aus Neapel.) Rom. (Permanenz der Kammer. — Brief des Papstes vor seiner Flucht. Proklamation des Ministeriums. Erbitterung des Volkes gegen den französischen Gesandten. Verhalten der Trasteveriner. — Rossi's Wittwe und Kinder in Marseille.) Civita-Vecchia. (Provisorische Regierung in Rom.) Florenz. (Abreise des neapolitanischen Gesandten.)
Französische Republik. Paris. (Anticavaignac'sches. — Gervais und Ducoux. — Die Associationen. — Wachsende Gährung. — Die „Ruhe und Ordnung“ in Paris. — Die Betten des Herrn von Rothschild. — Nachrichten aus Marseille über den Papst. — Vermischtes. — National-Versammlung.)
Großbritannien. Dublin. (Die Lage des Landes.)
Amerika. (Die westindische Post.)
Asien. (Der Krieg mit Shere Singh im Pendschab.)
Deutschland. * Köln, 5. Dezember. Die Plakate der contrerevolutionären Partei fliegen aus der Decker'schen „Geheimen-Ober-Hofbuchdruckerei“ zu Hunderttausenden nach allen Gegenden des Landes hin. Die Brandenburg-Manteuffel'sche Bureaukratie hat es mit ihrer Propaganda namentlich auf's Militär und das Landvolk abgesehen. Am eifrigsten wird das Traktätlein: „An das Volk“ mit der Anrede: „Bürger! Bauern! Preußen!“ verbreitet. Schaamloser, als in diesem Machwerk, ist wohl noch nie gelogen worden. Darin wird die Nationalversammlung, mit Ausnahme der Getreuen auf der „Rechten“, auf's Schnödeste mit Koth beworfen. Nicht genug, daß sie sich „mit lauter Nebendingen“ (allerdigs sind Habeas-Corpus-Acte etc. vor den Wrangel'schen Bajonetten weniger als Nebendinge geworden) abgegeben, nein, sie habe auch den König viermal beleidigt. Erstens, daß sie dem saubern Verfassungsentwurf, den Hr. Camphausen u. Comp. ausgeheckt hatten, wenig Geschmack abgewinnen konnte; zweitens, daß sie vor dem Prinzen von Preußen, als er in seiner Eigenschaft als Abgeordneter in den Sitzungssaal trat, nicht auf die Knie gefallen und unterthänigst erstorben ist; drittens, daß sie dem königlichen Titel die Worte „von Gottes Gnaden“ strich, und viertens, daß sie „Orden und Ehrenzeichen“ für mindestens sehr überflüssiges Zeug erklärte. Das sind ihre 4 Cardinal-Sünden wider den heiligen Geist.
Die ärgste aber kommt gleich nach — Abschaffung des Adels. Diese Schandthat allein verdient blutige Rache. Zwar:
„Als Adam hackte, Eva spann,
Wo war denn da der Edelmann?“
Aber in einem christlich-gemanischen Staate den offiziellen Gebrauch von Adelstiteln mit sammt den Privilegien des Adels in die Rumpelkammer werfen: das ist ein unerhörtes Attentat; das fordert Blut!
Das Brandenburg-Manteuffel'sche Traktätlein hebt dann die Kosten der Nationalversammlung hervor und schlägt sie auf 200,000 Rthlr. an. Zu bedauern ist, daß dieses Flugblättchen zu bemerken vergißt, wie viel in der nämlichen Zeit der König von Preußen an Diäten aus den Taschen des Volkes bezogen hat. Denn die Paar Milliönchen, die er seit dem Zusammentritt der Nationalversammlung verbraucht haben wird, sind gewiß nicht leichter aufzubringen gewesen, als jene 200,000 Rthlr. für die Deputirten. Bedenken wir ferner, wie viel Geld wir hergeben müssen, um die ungeheuren Kosten für die täglichen Hin- und Hermärsche der Truppen, für die Mobilmachung der Landwehr etc. zu decken: so muß die Unverschämtheit bewundert werden, die auf jene 200,000 Rthlr. loshetzt, und die 50mal größeren Summen für das Militär, ja allein für Spione, mit Stillschweigen übergeht. Die enormen Summen für's Militär bezahlen wir, nicht weil ein äußerer Feind abzuwehren, nicht weil das Land zu vertheidigen ist, sondern damit wir vom Militär, wie in Schweidnitz, in übermüthiger Reaktionsbrutalität zusammengeschossen, in Coblenz, Düsseldorf, Trier etc. etc. mit Kolben traktirt und niedergestoßen, überall in Belagerungszustand erklärt und trotz aller verheißenen Garantien und Freiheiten für vogelfrei erklärt werden.
Am Schluß jenes Traktätleins heißt es wörtlich:
„Verjagt, verhaftet die Aufwiegler! Unterdrückt die Lärmmacher! u. s. w.“
Daß dieses Lügenprodukt der preußischen Reaktion namentlich zur Einwirkung auf die Soldaten bestimmt ist, ergibt sich daraus, daß es in allen Kasernen des ganzen Landes, an das gesammte Militär ohne Ausnahme, vertheilt wird.
In hiesiger Stadt wurden die Soldaten zum Lesen des albernen Machwerks förmlich kommandirt. Durch solche und ähnliche Schriften hofft man den Soldaten denjenigen Geist einzutrichtern, der allein sie zu willigen Instrumenten gottbegnadeter Gewaltherrschaft befähigen und vor unliebsamen Freiheitsgedanken bewahren kann.
* Köln, 6. Dezbr. Kürzlich erwähnten wir der Loyalitätsadressen, die von Halleschen und Berliner Professoren an den König eingereicht worden. Wir haben heute zu melden, daß sich Hr. v. Raumer, Reichsgesandter in partibus, zur Zeit bei Bastide und Cavaignac antichambrirend, der Professorenblamage durch eine Beitrittserklärung zu jener Adresse vollständig angeschlossen hat. Von einem Reichsgesandten, wie Hrn. Raumer, war in der That nichts Anderes zu erwarten. Seine Erklärung scheint aber noch einen andern Grund zu haben. Hr. Raumer war seit Monaten in Deutschland verschollen. In seiner Sehnsucht, auf irgend eine Art aus jener Verschollenheit erlöst zu werden, ergriff er begierig die ihm von seinen Berliner Mitbonzen gebotene Gelegenheit und besorgte schleunigst obgedachte Erklärung in die Oeffentlichkeit. Jenes Raumer'sche Produkt findet sich in der neuesten Nummer des „Preußischen Staats-Anzeigers“ abgelagert.
109 Düsseldorf, 3. Dezember. Heute Nachmittag wurde die 74jährige Greisin, welche bei den letzten Soldatenexzessen der Mordwuth zum Opfer fiel, von einer nicht allzubeträchtlichen Anzahl Bürger zu Grabe geleitet. Das Begräbniß war äußerst einfach; nichts von dem pomphaften Gepränge, womit jener Dreizehner in den Augusttagen bestattet wurde. Herr Drigalski hatte für echt bürgerliche Nüchternheit gesorgt, er hatte jede Feierlichkeit verboten, den Gebrauch von Fahnen und Musik ausdrücklich untersagt. Dieser königl. preuß. Pascha von Düsseldorf weiß überhaupt den Bürgern seinen Roßschweif bei jeder Gelegenheit fühlbar zu machen. Kaum vergeht ein Tag, daß er nicht durch irgend ein schriftstellerisches Exercitium, sei es eine gesetzgebende Verordnung, sei es eine Belehrung über königl. preuß. Kommunismus, Sensation macht. Zuweilen überrascht er auch durch plötzliche Einfälle, die er sofort in Ausführung bringen läßt. So war neulich Abends auf einmal der Köln-Mindner Bahnhof mit einer starken Schützenabtheilung besetzt; wer das Thor passiren wollte, mußte vor dem wachthabenden Offizier zuvor ein Examen bestehen. Erklärte er, nicht abreisen zu wollen, so wurde er zurückgewiesen; ergab es sich, daß es ein Reisender sei, so wurde er von einem Schützen über den Bahnhof bis in das Gebäude eskortirt und nicht eher freigelassen, als bis sein Begleiter sich überzeugt hatte, daß er ein Billet gelöst. Niemand wußte sich zu erklären was das zu bedeuten habe; fürchtete man einen Aufstand, wollte man der Schreier sich versichern? Das war nicht gut möglich; die Stadt war grabesruhig und die Elberfelder Eisenbahn, auf der die Wupperthaler hätten heranziehen können, war nicht besetzt. Oder sollten Kölner Demokraten im Anzuge sein, um dem Düsseldorfer Belagerungszustande ein Ende zu machen? Auch diese Vermuthung war nicht stichhaltig, den von Köln wurde kein Zug erwartet und die Kriegslust Kölner Demokraten war nicht gerade sehr glaubwürdig. Endlich löste sich das Räthsel. Pascha von Drigalski und Groß-Muffti Eichmann hatten sich in Person in dem Stationsgebäude eingefunden; sie erwarteten nichts als Befehle von Potsdam, wollten aber nicht von dem vorwitzigen Bürgervolke gestört sein, das sich seit lange Abends auf dem Bahnhofe einfindet, um Neues von Berlin zu hören; darum mußten die Schützen eine Stunde lang Posten stehen und ihre Offiziere Bahnwärterdienste verrichten. Muffti Eichmann war hieher gekommen, um noch nachtröglich das Martialgesetz (!) verkündigen zu lassen, er stieß aber unerwarteter Weise bei den Militärauditeuren auf Widerstand und mußte von seinem wohlmeinenden Plane abstehen. Die Prokuratur wäre sicherlich dafür gewesen, sie wurde aber nicht gefragt. Uebrigens ist die Düsseldorfer Bürgerschaft wahrhaft eine verlassene Heerde; von der Regierung verrathen, von dem Militär geknechtet, von den Gerichten verfolgt, wird sie auch noch schmählicher Weise von ihrem Gemeinderath im Stich gelassen.
Die Väter der Stadt haben sich bisher auch nicht einmal durch Proteste bemerklich gemacht, und das ist doch ein sehr leichtes Mittel, die Unthätigkeit zu beschönigen. Der Belagerungszustand wurde erklärt; statt die Ungesetzlichkeit dieser Maßregel anzugreifen, ermahnten sie die Bürger zur Ergebenheit. Die Waffen der Bürgerwehr, deren Besitz ihnen das Gesetz garantirt, wurden ihnen gewaltsam entrissen; kein Wort des Widerspruchs, keine Miene, ihren Besitz auf gerichtlichem Wege zu reklamiren. Die Bürgerschaft wird von der Soldateska überfallen, mißhandelt, Bürger werden verwundet und getödtet. Die Väter der Stadt bleiben stumm; sie wagen es nicht, die Aufhebung des Belagerungszustandes und die Entfernung der Truppen zu verlangen, obwohl sie auf's dringendste dazu aufgefordert werden. Sie beruhigen sich und trösten die Bürgerschaft damit, daß die Sache untersucht werden solle. Aber das ist alles noch nicht genug. Die Feigherzigkeit geht so weit, daß die Herren drauf und dran sind, dem Komplott Spiegel-Drigalski ein Moralitätszeugniß auszustellen und die Kosten des Belagerungszustandes aus der Gemeindekasse zu decken!! Diesem Komplott scheint es nämlich doch etwas bange geworden zu sein vor all den Ungesetzlichkeiten, die sie sich haben zu Schulden kommen lassen. Sie fürchten, die Stadt werde sich doch nicht Alles so ruhig gefallen lassen; diese Angst, die den Drigalski bereits zum Kommunisten gemacht hat, läßt sie auf das sinnreiche Mittel fallen, dem Stadtrathe zu drohen, die Regierung soll nach Cleve verlegt werden, das Landgericht nach Crefeld, das Militär nach Elberfeld, alle „Wohlthaten“ der Verwaltung sollen der Stadt entzogen werden, wenn ihr Vorstand nicht erklärt, daß die Erklärung des Belagerungszustandes nothwendig, die Behandlung der Bürgerschaft, äußerst gnädig gewesen und die Kurkosten natürlich nur der Gemeinde zur Last zu schreiben seien. Und der Gemeinderath soll wirklich durch diesen lächerlichsten aller Schreckschüsse in's Bockshorn gejagt sein und ernsthaft mit dem Gedanken umgehen, an das Ministerium Brandenburg-Manteuffel, welches er vor kurzem noch des Hochverraths schuldig erklärt hat, eine Loyalitätsadresse zu richten und Alles zu versprechen, um die unglückliche Stadt vor dem drohenden Unheil zu bewahren! Die Bürgerschaft ist natürlich mit Ausnahme des belagerungszustandsfrohen Theils empört über diese Niederträchtigkeit, zu der nur der bornirteste Krämergeist herabsinken kann; aber sie ist ohnmächtig, Mißtrauensvota bleiben unbeachtet und bis zu neuen Wahlen währt's noch lange.
68 Berlin, 4. Dez. Ueber unsere Nationalversammlung und deren Mitglieder sind hier die verschiedenartigsten Gerüchte im Umlauf. Die nächste Sitzung derselben wird Donnerstag Vormittag 11 Uhr im Dom zu Brandenburg stattfinden Es ist gewiß, daß sich mehr als 3/4 aller Mitglieder, also über 300 Abgeordnete, zu dieser Sitzung einfinden werden, welche mit der Wahl des neuen Präsidiums beginnen wird. Das Ministerium soll beschlossen haben, im Falle Unruh als Präsident gewählt wird — was zu erwarten ist — die Versammlung sofort aufzulösen. Alle Parteien machen sich schon mit dieser Idee vertraut und berechnen ihre ferneren Pläne danach. — Gestern Abend erzählte man, daß der Staatsanwalt aufgefordert worden sei, die Anklage des Hochverraths gegen diejenigen Abgeordneten einzuleiten, welche den Aufruf vom 27. November, „an die Mitbürger“, unterzeichnet haben. Auch gegen diejenigen Abgeordneten, welche die Entgegnung in Betreff des Bassermann'schen Berichts unterzeichneten, soll eine Untersuchung wegen Beleidigung der deutschen Centralgewalt angeordnet sein.
Aus sicherer Quelle erfahren wir, daß Gagern's Anwesenheit in Potsdam weniger den Zerwürfnissen zwischen Regierung und Nationalversammlung galt, als dem Plane, Friedrich Wilhelm IV. doch noch die deutsche Kaiserkrone zu übertragen. Rußland und Oestreich sollen damit einverstanden sein. Die Demarkationslinie und andere Länderabsonderungen stehen mit diesem Plane in enger Verbindung. Die Vollzähligmachung der Regimenter und die Einberufung von 50 Bataillonen Landwehr in Preußen, sind nicht allein zur Unterdrückung des Volkes, sondern auch für den Fall gutbefunden, daß Frankreich Einsprache gegen die Ausführung dieser Pläne einlegen sollte. Während die östlichen Kabinette sich zur Vernichtung der deutschen Demokratie verbunden haben, reichen sie auf der andern Seite der retrograden Partei in Frankreich in's Geheim die Hand, um zu gleicher Zeit dort den Heerd der demokratischen Bewegung Europa's zu zerstören.
Alle mißliebigen Personen, die nicht Berliner Bürger oder Eingeborne sind, werden vom Polizei-Präsidium noch fortwährend ausgewiesen, mit Androhung der Verhaftung, wenn sie nicht binnen 24 Stunden die Stadt und ihren zweimeiligen Umkreis verlassen. Und das sind nicht etwa bloß „deutsche Ausländer“ welche so ausgewiesen werden, sondern hunderte von preußischen Staatsbürgern. Die Polizei-Brutalität ist vor dem 18. März nie in solchem Grade geübt worden, als jetzt, wo wir uns der „Märzerrungenschaften“ erfreuen.
Die Versammlungen des Maschienenbauer-Vereins, waren vom General Wrangel als politische angesehen worden und wurden demnach beim Beginn des Belagernngszustandes vom Militär auseinandergesprengt und verboten. Vorgestern begab sich der Präsident dieses Vereins zu Wrangel und stellte ihm vor, daß die Tendenz des Vereins mehr eine soziale als politische sei, und daß eine Versammlung desselben zur monatlichen Rechnungsablage, der mit dem Verein verbundenen Kranken- und Unterstützungskasse durchaus nothwendig sei. General Wrangel war endlich so gnädig, die Versammlungen zu erlauben, ja er übergab auch noch unter schmeichelhaften Aeußerungen über das Benehmen der Maschinenbauer in der letzten Zeit, dem Präsidenten einen Beitrag von zehn Friedrichsd'ors zur Krankenkasse des Vereins. Als dies in der Versammlung mitgetheilt wurde, soll sich eine bedeutende Anzahl Mitglieder für die sofortige Zurücksendung dieses Beitrags an den General Wrangel ausgesprochen haben, was jedoch auf Zureden des Präsidenten unterblieb.
Es cirkulirt hier seit einigen Tagen folgende „Mißtrauensadresse“ an den Magistrat: „Mit tiefster Entrüstung haben die unterzeichneten Einwohner Berlin's, die bis zur eingetretenen Militärherrschaft verschobene, dann aber endlich an's Licht getretene Gesinnungsäußerung des Magistrats vom 21. November aufgenommen. Unsere Entrüstung war um so größer, als der Magistrat mit diesem, lediglich der Macht huldigenden Manifeste sich in den offensten Widerspruch mit den Stadtverordneten versetzt hat, aus deren Wahl er hervorgegangen und die in edlem Aufschwunge sich dazu erhoben hatten, die entgegengesetzte freie und edle Gesinnung durch Wort und That an den Tag zu legen. Wir müssen es auf's schmerzlichste beklagen, daß die oberste Verwaltung der Stadt einem Kollegium von Männern, der in dem Manifeste vom 21. November kundgegebenen Gesinnung, anvertraut worden ist.“ — Diese Mißtrauensadresse ist bereits mit vielen Tausenden von Unterschriften bedeckt, und wird dem Magistrat von der wahren Stimmung der Stadt ein Zeugniß geben. Hätten übrigens die Verfasser der Adresse noch einige Tage mit der Abfassung der Adresse gewartet, so hätten sie ihren Tadel auch fofort über die Stadtverordneten aussprechen können, die in ihrer Sitzung vom 29. v. M. mit sehr unedlem Niederfall von der Höhe ihrer „freien und edlen Gesinnungen“ durch 49 gegen 45 Stimmen beschlossen, keine amtliche Widerlegung des Bassermann'schen Lügenberichts über die hiesigen Verhältnisse zu veranlassen.
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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