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Neue Rheinische Zeitung. Nr. 189. Köln, 7. Januar 1849.

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desgerichts vom 22. December gegen mich die Criminal-Untersuchung eingeleitet sei

weil ich den bekannten Steuerverweigerungsbeschluß vom 15. Novbr. zur Ausführung und Geltung gebracht, wenigstens dies versucht und dazu hingewirkt habe.

Die Untersuchung und Haft war verfügt, ohne irgend eine Voruntersuchung, namentlich ohne daß ich vorher irgend wie vernommen war. In dem nach meiner Verhaftung mit mir angestellten Verhör wurde mir eröffnet: wie der mir gemachte Vorwurf und die gegen mich eingeleitete Untersuchung darauf gegründet sei, daß die in Berlin erscheinende "deutsche Reform" in ihrem Blatte vom 5. Decbr. den bekannten Aufruf der Abgeordneten der National-Versammlung an das Volk, vom 27. Novbr. enthalte, unter welchem auch mein Name mit abgedruckt sei.

Das Exemplar der Zeitung wurde mir vorgelegt! Weiter war mir nichts zur Last gelegt. Lediglich auf Grund dieses Zeitungsblattes war nach ausdrücklicher Versicherung des Inquirenten durch Beschluß des O.-L.-G. die Criminal-Untersuchung wegen Hochverraths gegen mich eingeleitet und meine Verhaftung verfügt und bewirkt worden.

Es verstand sich von selbst, daß ich in dem Verhöre jede Auslassung verweigern mußte. Zwar bestimmte mich dazu nicht der völlige Mangel an irgend einem Thatbestande eines Verbrechens, so wie an irgend einem Verdachte der Thäterschaft gegen mich, also an allem Rechtsgrunde zu der Einleitung der Untersuchung und zu meiner Verhaftung.

Einzig und allein auf den Grund eines Zeitungsartikels, in dessen Inhalt an sich nichts verbrecherisches zu finden, über dessen Ursprung und Verfasser gar nichts bekannt war, ungehört verhaftet und zur Criminal-Untersuchung gezogen zu werden, und zwar "wegen Hochverraths", des mit der schwersten Todesstrafe bedrohten Verbrechens, der Fall mag in den Annalen, wenigstens der preußischen Rechtspflege, allerdings bis jetzt wohl unerhört! dastehen. Als Inquisit mußte ich indeß mich dem fügen.

Es waren andere Gründe, die mich zur Verweigerung einer Auslassung veranlaßten und veranlassen mußten. Ich erklärte sie dem Inquirenten zu Protokoll.

Zuerst konnte ich das O.-L.-G. zu Münster überhaupt nicht für competent erachten wegen des Aufrufs vom 27. Nov. eine Untersuchung einzuleiten. Dieser Aufruf, datirt von Berlin und sollte auch dort verbreitet sein. Der Gerichtsstand des begangenen Verbrechens (!) ist also in Berlin und nur die dortigen betreffenden Gerichte können die competenten zur Einleitung und Aburtheilung der Untersuchung sein: Wollte man auch aus unserer Gesetzgebung eine secundaire Competenz für das Gericht zu Münster deduciren können, so würden daraus doch für den vorliegenden Fall die unauflöslichsten, die Gerechtigkeit gerade zu verletzenden Widersprüche sich ergeben. Entweder würde nämlich alsdann dem O.-L.-G. zu Münster, indem es mich zur Untersuchung zu ziehen berechtigt war, die Cognition über die ganze incriminirte That, und deren sämmtliche angebliche Urheber, also gegen die sämmtlichen 180 Abgeordneten, deren Namen unter dem Aufrufe abgedruckt waren, zustehen müssen. -- Das Gericht hat aber gegen die in seinem besonderen Gerichtssprengel nicht wohnenden Abgeordneten keine Untersuchung eingeleitet. Oder es würden über eine und dieselbe Handlung an 180 verschiedene Untersuchungen eingeleitet, und an 180 verschiedene Erkenntnisse von eben so vielen verschiedenen Gerichtshöfen verfaßt werden müssen. Das erstere enthielt eine furchtbare Ungerechtigkeit gegen mich. Wie wahrhaft monströs die zweite Consequenz in der Wirklichkeit sich da benehmen möchte, brauche ich wohl nicht auseinander zu setzen.

Zum Zweiten mußte ich das O.-L.-G. Münster als parteiisch perhorresciren. Durch die Immediat-Vorstellung vom 9. d. M., welche seitdem von allen denen, die an unparteiischen und unabhängigen Richterstand glauben, welche von der ganzen öffentlichen Meinung gerichtet ist, hatten die Mitglieder des hiesigen O.-L.-G. Sr. Majestät gebeten, sie außer aller amtlichen Beziehung mit mir zu setzen, weil ich durch meine Theilnahme an den Sitzungen der National-Versammlung in Berlin nach dem 9. Novbr. mich in offenbarer Auflehnung gegen Sr. Majestät Regierung befunden, durch Betheiligung an dem Steuerverweigerungs-Beschlusse vom 15. aber den Boden der Revolution betreten und die Brandfackel der Anarchie in das Land zu schleudern gesucht hätte. Das gesammte O.-L.-G hat hierdurch nicht nur überhaupt, sondern auch namentlich in Beziehung auf die Steuerverweigerung im Voraus eine feindliche parteiische Stellung gegen mich eingenommen, die es unmöglich machte, mein Richter zu sein.

Zum dritten konnte ich in der Sache selbst überhaupt für irgend einen Richter keine Competenz anerkennen.

Was mir zum Vorwurfe, zum Verbrechen gemacht wurde, sollte ich als Abgeordneter der preußischen National-Versammlung gethan haben Als solcher bin ich aber nach dem Gesetze unverletzlich. Ueber meine Handlungen, die ich in meiner Eigenschaft als Abgeordneter vorgenommen, habe ich nur meinem Gewissen, aber sonst keinem irdischen Richter Rechenschaft abzulegen. -- Aus diesen Gründen habe ich in dem mit mir abgehaltenen Verhöre eine jede Auslassung verweigert. Zugleich habe ich einen Protest gegen das wider mich eröffnete ungesetzliche Verfahren an Ew. Excellenz zu Protokoll erklärt. Ich habe darin bei Ew. Excellenz angetragen:

"meine sofortige Entlassung aus der Haft zu verfügen, in der Sache selbst aber sodann weiter, was Rechtens befinden."

Ich bat meinen Inquirenten um Beförderung dieses Protestes. Ich weiß nicht, ob er Ew. Excellenz bereits zugekommen ist. Auf dem langsamen Wege der Behörden kann er sich verzögern. Mir aber muß an einer baldigen Entscheidung meiner Angelegenheit liegen.

Ich schreibe an Ew. Excellenz aus dem Zuchthause. Indeß nicht dies ist es, was mich auffordert, eine schleunige Erledigung meiner Angelegenheit herbeizuführen, wie wohl es einen merkwürdigen Beitrag zu der merkwürdigen Geschichte dieses Prozesses liefert, daß der Criminal-Senat des O.-L.-G. für seinen Präsidenten gerade in dem hiesigen Zuchthause eine Gefängnißzelle bestimmen mußte, die vielleicht, um ihm Aufnahme zu verschaffen, so eben erst von Räubern und Mördern geräumt war. Glaubt er etwa, jedenfalls dadurch mir den Wiedereintritt in seine Mitte unmöglich zu machen? Es ist ganz etwas Anderes, was mich veranlassen muß, die schleunigste Wirksamkeit Ew. Excellenz anzurufen.

Recht und Gesetz sind durch das hier gegen mich beobachtete Verfahren auf das empörendste verletzt. Nur ein Ruf der Entrüstung darüber kann und wird durch ganz Preußen, durch ganz Deutschland gehen. Das Ansehen des Gesetzes muß sinken, das Vertrauen der Gerichtshöfe muß zu Grunde gehen, wenn solche Ungerechtigkeiten fortdauern dürfen; wenn sie Bestand gewinnen können. Ew. Excellenz sind der Chef der Justiz-Verwaltung in Preußen, der oberste Wächter des Gesetzes. Ew. Exeellenz Beruf ist es, dem Unrechte, wo Sie es finden, auf das kräftigste, zugleich auch auf das schleunigste zu steuern.

Ich habe eine persönliche, ich habe aber auch nicht minder eine allgemeine Verpflichtung, Ew. Excellenz hier auf das dringendste anzugehen. Ew. Excellenz können es nicht zugeben, daß das hiesige O.-L.-G sich die Eröffnung und Führung der Untersuchung gegen mich anmaßt. Ist hierzu eine Gerichtsbehörde competent, so kann es nur das Kammergericht in Berlin sein. Das hiesige O.-L.-G kann wegen der zur Untersuchung gezogenen That weder gegen mich allein, noch gegen die übrigen 179 in allen Provinzen des Staats wohnenden Abgeordneten inquiriren. Ew. Excellenz in Ihrer Stellung können das nicht dulden, denn Sie können nicht wollen, daß entweder ich allein als Opfer ausersehen werde, oder aber, daß der Gerichtshof zu Münster ein neuer privilegirter Gerichtshof für die in Berlin begangenen politischen Verbrechen werde. Das wurde geradezu gegen Verfassung und Gesetz verstoßen und die Wohlthaten des in Berlin geltenden mündlichen und öffentlichen Strafverfahrens mit Einem Schlage für politische Verbrechen vernichten, zu einer Zeit, wo für politische Verbrechen sogar Geschwornen-Gerichte durch das Gesetz verbürgt werden.

Ew. Excellenz können ferner unmöglich zugeben, daß Mitglieder des hiesigen O.-L.-G in irgend einer Weise noch über mich zu Gericht sitzen. -- Man mag über das Immediat-Gesuch desselben vom 9. d. M. im übrigen denken, wie man will; Eins ist nicht wegzuläugnen: das Collegium hat bereits im Voraus ein Verdammungsurtheil über mich ausgesprochen, bevor es die richterliche Cognition in die Hand genommen hatte; es ist als Partei gegen mich aufgetreten, und kann am allerwenigsten in derselben Frage ferner mein Richter sein. Dies ist ungesetzlich! Es ist aber auch in den Anforderungen begründet, die man an die Ehre von Richter-Collegien machen muß. Das leiseste Gefühl von Ehre würde das hiesige O.-L.-G. zu der Einsicht bringen müssen, daß es nach jenem Immediat-Gesuche und nach den damit in Verbindung stehenden Vorgängen eine Untersuchung gegen mich nicht mehr einleiten durfte.

Am 19. Dezember theilte ich in einer Plenarsitzung dem Kollegium meine Entschließung in Folge jenes Immediatgesuches dahin mit, daß ich von meinem hiesigen Posten nur durch Urtel und Recht weichen würde. Am 22. Dezember wird darauf nun ein längst verbreitetes Zeitungsblatt vom 5. Dezember hervorgesucht und auf Grund desselben die Kriminal-Untersuchung wegen Hochverraths und die Verhaftung gegen mich eingeleitet. Wird durch solche Thatsachen nicht jedem Unbefangenen der Glaube an ein rein persönliches Motiv aufgedrängt, zumal, wenn er weiß, daß ich nach meiner Anciennität der jüngste Rath eines Collegii sein würde, dessen zweiter Präsident ich jetzt bin? Muß nicht Jedermann annehmen, daß das, was auf dem einen Wege nicht erreicht werden konnte, nun auf dem andern erreicht werden sollte? Das Ober-Landesgericht Münster mag in der That der Rechtsansicht gewesen sein, daß mit Untersuchung gegen mich zu verfahren sei, niemals aber, wenn es von Grundsätzen der richterlichen Ehre sich leiten ließ, durfte es selbst damit vorgehen; es konnte nur Ew. Excellenz die Bestellung eines andern Gerichtshofes anheimgeben. So wie es jetzt verfahren, trägt es allein die Schuld, wenn es sich für alle Zeiten den Ruf eines ehrenhaften und unparteiischen Gerichtshofes zu Grabe gebracht hat.

Ich fordere von Ew. Excellenz Gerechtigkeit! So wie ich nicht mehr fordern kann und werde, so werde ich auch nicht weniger fordern. Ich trage daher an:

"Daß dem zuständigen und unparteiischen Richter die rechtliche Beurtheilung der mir zur Last gelegten Handlung überlassen werde."

Zugleich muß ich aber auch:

"meine sofortige Entlassung aus der Haft beantragen!"

Ich will zur Begründung meines Antrages mich nicht darauf berufen, daß mir nur in meiner Eigenschaft als Abgeordneter eine verbrecherische Handlung vorgeworfen ist. Ich will mich auch nicht darauf berufen, daß es mir scheinbar eine mindestens stark ans Unrecht gränzende Unbilligkeit ist, wenn ich von 180 Abgeordneten der einzige sein soll, der seiner Freiheit beraubt wird. Ich will mich nur auf das Gesetz berufen. Nach § 209 der Kriminalordnung soll mit der Verhaftung des Verbrechers in der Regel dann verfahren werden, wenn "durch das Bekenntniß oder durch einen vollständigen Beweis die Person des Thäters ausgemittelt ist." Nach §§ 206, 207 wird aber unter allen Umständen erfordert, daß die Existenz eines Verbrechens mindestens wahrscheinlich und ein hinreichender Verdacht zur Verhaftung gegen eine bestimmte Person vorhanden sei. Dieses Letztere soll in jedem einzelnen Falle von dem Richter mit pflichtmäßiger Sorgfalt erwogen werden.

Ich darf es einzig und allein dem Ermessen Ew. Excellenz anheimstellen, in wie fern jenes Zeitungsblatt der deutschen Reform von einem pflichtmäßigen Erwägen des hiesigen Kriminalsenats bei meiner Verhaftung Zeugniß abzulegen im Stande ist. Ich habe die meiste Zeit meiner richterlichen Laufbahn hindurch als Kriminalrichter fungirt, aber mein Gewissen und die Anerkennung aller meiner vorgesetzten Behörden, die ich mir stets erworben habe, sprechen mich davon frei, daß ich auf einen bloßen Schein hin, geschweige auf solch ein Nichts hin, jemals eine Verhaftung veranlaßt hätte. Vielleicht hat noch kein anderer preußischer Richter in so leichtsinniger und ungerechter Weise Ehre und Freiheit eines Menschen auf das Spiel gesetzt.

Münster, den 30. Dezember 1848.

(gez) Temme, Ober-Landesgerichts-Direktor.

126 Paderborn, 4. Januar.

In Temme's Angelegenheit ist an das hiesige Ober-Landesgericht ein Schreiben eingegangen, von dem ich mir eine Abschrift verschafft habe, die ich ihnen hiermit übersende:

"Das Ober-Landesgericht Münster hat wider den Direktor Temme daselbst

"wegen des gegen ihn begründeten Verdachts: den Steuerverweigerungsbeschluß -- erlassen von Abgeordneten der National-Versammlung d. d. Berlin, 15. November d. J., -- zur Ausführung gebracht, wenigstens dies versucht, darauf hingewirkt zu haben,

" auf Grund des allgemeinen Landrechts, Thl. 2, Tit. 20, § 92, resp. 233 und 167 die Kriminal-Untersuchung eröffnet, auch seine Verhaftung verfügt.

"In dem nebst dem Berichte des Kriminalsenats vom 28. urschriftlich beifolgenden Protokolle vom 24. d. M. perhorrescirt der Ober-Landesgerichts-Direktor Temme den Kriminalsenat des Ober-Landesgerichts Münster. Da die Mitglieder desselben in dem abschriftlich beifolgenden Immediatgesuch vom 9. Dezember c. sich dahin ausgesprochen haben: daß der Temme sich durch die Handlungen, wegen welcher jetzt die Untersuchung wider ihn eröffnet worden ist, "ihrer Ansicht nach" in offenbare Auflehnung gegen die Regierung Sr. Maj. gesetzt, den Boden der Revolution betreten und wissentlich den Feuerbrand der Anarchie in das Vaterland zu schleudern gesucht, so will der Justizminister, damit auch der Schein vermieden werde, als ob bei dem Verfahren wider Temme irgendwie von vorgefaßten Meinungen ausgegangen wäre und diese bei Aburtelung der Sache einen Einfluß ausüben könnten, dem Perhorrescenzgesuch Statt geben.

"Demgemäß beauftrage ich hiermit das Ober-Landesgericht Paderborn, resp. dessen Kriminal- und zweiten Senat, als im Allgemeinen durch die Cirkularverfügung vom 11. Juli 1835 -- Jahrbücher Bd. 46, S. 118 -- substituirtes Gericht mit der Leitung der Untersuchung -- deren Führung dem Land- und Stadtgericht Münster wird verbleiben können, so wie demnächst mit der Entscheidung in der Sache.

"Aus dem in vidimirter Abschrift beigefügten allerhöchsten Erlasse vom 15. Dezember 1845, so wie den gleichfalls beigelegten Grundzügen, wird das königl. Ober-Landesgericht Paderborn das Verhältniß des Land- und Stadtgerichts Münster als Untersuchungsgericht, zu dem Ober-Landesgericht daselbst ersehen, und hiernoch über die Anträge und Beschwerden des Temme an Stelle des Ober-Landesgerichts Münster zu beschließen haben. Dasselbe ist angewiesen, dem königl. Ober-Landesgericht Paderborn die bisherigen Verhandlungen sofort zuzusenden.

Berlin, 31. Dezember 1848.

Justizminister (gez.) Rintelen.

An das Ober-Landesgericht Paderborn."

X Münster, 4. Jan.

Der "Aberglaube an den Richterstand," von dem unser Volk sich so lange hat bethören lassen, war ein Aberglaube nach zwei Seiten hin: ein Aberglaube an den "Unabhängigkeitssinn," und ein Aberglaube an die "Weisheit" des k. pr. Richterstandes. Nachfolgendes wird Ihnen zeigen, von welcher Beschaffenheit die "Weisheit" unseres Kriminalsenats ist.

Temme wurde am 22. Dez. verhaftet. Am 23. verfaßte der Kriminalsenat folgenden "Richterspruch:"

In Erwägung, daß wider den Oberlandesgerichts - Direktor Temme wegen des Steuerverweigerungsbeschlusses vom 15. Nov. und wegen versuchter Beihülfe zur Ausführung desselben die Untersuchung eröffnet ist,

In Erwägung ferner, daß das ihm zur Last gelegte Verbrechen die richterliche Amtswürde kompromittirt,

In Erwägung endlich, daß darauf die Strafe der Kassation steht,so ertheilt der Kriminalsenat, bestehend aus den Ober-Landgerichtsräthen Sethe, v. Detten und Freusberg und dem Ober-Landgerichtsassessor v. Druffel zum richterlichen Spruch, daß etc. Temme während der Dauer der Untersuchung von seinem Amte zu suspendiren ist.

Dieser famose Richterspruch wurde Hrn. Temme am 23. Dez. nicht mitgetheilt, sondern reservirt. Vielleicht nahm der Verhörrichter Rücksicht auf Temme's Gehalt für den laufenden Monat und dessen Familie, bestehend aus Frau und sieben Kindern. Unterdessen hatte Temme das hiesige Obergericht beim Justizminister perhorreszirt und den Bescheid erhalten, daß dem hiesigen Obergericht die Führung der wider ihn eingeleiteten Untersuchung genommen und dieselbe dem Obergericht zu Paderborn übertragen sei. Was unter solchen Umständen der Kriminalsenat mit seinem reservirten "Richterspruch" hätte thun sollen, das überlassen wir dem Urtheil des Publikums. Was der Kriminalsenat aber wirklich that, war, daß er Hrn. Temme jenen Richterspruch am 3. Jan. vom Verhörrichter vorlesen ließ.

Hrn. Temme wurde überdem nicht gestattet, eine Abschrift von diesem juridischen chef d'oeuvre zu nehmen.

Die Kritik dieses Richterspruchs unter aller Kritik mag sich auf Folgendes beschränken:

Entweder soll sich dieser "Richterspruch" auf Art. 86 der oktroyirten Verfassung gründen, (dieser aber besagt ausdrücklich: Richter können nur durch Richterspruch, d. h. nur durch richterliche Erkenntniß nach Abschluß des Kriminalprozesses, aus Gründen, welche die Gesetze [welche noch gar nicht da sind] vorgesehen und bestimmt haben, ihres Amtes zeitweise entsetzt werden,) oder es liegt diesem Richterspruch die altpreußische Gesetzgebung bezüglich der Suspension der richterlichen Beamten zum Grunde. Diese bestimmt aber in dem Reskripte vom 15. Nov. 1832 ausdrücklich: daß wirklich angestellte Richter nur vom Justizminister suspendirt werden können.

Es giebt irgendwo, im Landrecht oder sonst wo, einen Paragraphen, wonach man Richter wegen Blödsinn oder Unfähigkeit belangen kann. Wir rathen Hrn. Temme, mit diesem Paragraphen gegen den Kriminalsenat von Münster, eventuell gegen die obengenannten vier Biedermänner vorzugehen. Unsere politische Prozeßkomödie könnte dadurch sehr viel an Heiterkeit gewinnen.

Löwenberg, 27. Dez.

Die Katastrophe, welche in den letzten Wochen in den öffentlichen Zuständen des ganzen Staates eingetreten ist, macht sich auch in unserer Gegend auf vielfache Weise fühlbar. Starke militärische Kräfte sind in sämmtliche schlesische Gebirgskreise hereingezogen, und selbst die kleinsten Städte, wie Lähn, Liebenthal, Friedeberg haben ihre Garnison erhalten. Es sind hierzu meist Truppentheile aus andern Provinzen, namentlich märkische Landwehr, verwendet. Obwohl nicht geradezu der Belagerungszustand proklamirt ist, so sind die Folgen für die freie Bewegung des politischen Lebens doch so ziemlich dieselben.

(Br. Z.)
* Wien, 1. Jan.

Das neunte Siegesbülletin ist erschienen. Darin berichtet Jellachich aus "Moor, 30. Dez.," daß er das Perczel'sche Korps unweit Moor angegriffen und vollständig geschlagen habe. Er spricht von Tausenden von Gefangenen, die er gemacht haben will. Der Rest habe sich, 8000 Mann stark, gegen Stuhlweissenburg zurückgezogen.

* Frankfurt a. d. O., 3. Jan.

Nicht bloß die Mitglieder der Nationalversammlung, welche die Steuerverweigerung beschlossen und das darauf bezügliche Manifest an's Volk erlassen haben, werden als "Hochverräther" vor Gericht gezogen, sondern selbst Buchhändler und Buchdrucker, welche jenes Manifest gedruckt oder verbreitet haben. So ist auch hier Hr. Kosky, Buchdruckerei-Besitzer wegen Druck jenes Manifestes zur Kriminal - Untersuchung gezogen worden.

Posen, 30. Dezbr.

Nach einer Handelskorrespondenz aus Warschau wird daselbst vom 1. Januar ab, wie dies bisher schon in Rußland selbst der Fall war, die Kaufmannschaft in Gilden oder Klassen eingetheilt werden, wodurch derselben zugleich eine neue und sehr hohe Steuer aufgelegt wird. Die erste Gilde umfängt die Großhändler, und jedes Mitglied hat eine jährliche Steuer von 300 S.-Ru. außer den seitherigen Abgaben zu zahlen. Die weiteren Abstufungen waren leider in dem Schreiben nicht angegeben.

(Osts.-Z.)
Aus Westpreußen, 31. Dez.

Vor etwa sechs Jahren wurde auf Staatskosten die Königsberger Allgemeine Zeitung unter der Redaktion des bekannten Historikers und Statistikers, Professor Schubert, jetzigen Abgeordneten in Frankfurt, gestiftet, um die Grundsätze des damaligen Gouvernements zu vertheidigen. Herr Schubert erhielt dafür ein außerordentliches Gehalt von 800 Thlrn. Indeß fand die Zeitung wenig Leser und noch weniger Freunde. Auch Hr. Schubert konnte es nicht ertragen, daß die Tendenz, welche sein Blatt verfolgen mußte, und welche insbesondere aus den ihm eingesandten Artikeln hervorleuchtete, auf seine Rechnung geschrieben wurde. Er legte die Redaktion nieder; die Zeitung veränderte ihren Titel in den einer "Zeitung für Preußen", und Herr Dr. Metzel trat an ihre Spitze, die Subvention aus der Staatskasse dauerte fort, während das Blatt immer mehr an Abonnenten und an Credit verlor. Endlich im März d. J. wurde die Subvention zurückgezogen, und am 1. April war die "Zeitung für Preußen" eines unbetrauerten Todes entschlafen. Aber man glaubt sie nur todt. Was im März und in den folgenden Monaten des heute dahinscheidenden Jahres geschah, war ja nur, so hoffte manches Gemüth, eine Episode in unserer Geschichte, durch die die Herrschaft des auch von jener Zeitung vertretenen Systemes zwar unterbrochen, aber keinesweges auf immer zerstört werden konnte. Jetzt feiern diese Hoffnungen ihren reichsten Blüthenfrühling. Das Alte taucht unter neuem Namen wieder auf, und die absolutistische "Zeitung für Preußen" erwacht nach neunmonatlichem Winterschlafe als "die konstitutionelle Monarchie". Hr. Metzel ist wieder in Königsberg; er redigirt wieder die alte Zeitung unter neuem Namen, und wie er früher Jeden einen Feind der Wahrheit nannte, der nicht zur Fahne "der reinen Monarchie" schwor, wie Jeder ihm als Wühler galt, der den Constitutionalismus vertheidigte, so ist er jetzt ein Ritter der konstitutionellen Monarchie geworden. Jetzt ist der Konstitutionalismus seine "Wahrheit" und nicht nur der Republikanismus, sondern auch der Absolutismus sollen von ihm als "Wühlerei" und als "Lüge" bekämpft werden. Aber Hr. Metzel ist derselbe geblieben, seine Zeitung ist dieselbe geblieben, sein System ist dasselbe geblieben, und seine Gönner sind dieselben, die sie immer gewesen sind. Nur der Name hat gewechselt und weiter nichts als der Name.

(N. Ztg)
Lübeck, 2. Jan.

Ein heute veröffentlichtes Rathsdekret spricht die politische Gleichstellung der Israeliten mit den Christen aus.

Oberkirch, 2. Jan.

In unserer ganzen Gegend wird militärische Einquartierung eingelegt. Der Stab kommt heute mit einer Kompagnie hier her. Soll der Rhein besetzt oder Baden occupirt werden?

M. Ab.-Ztg.)
Aus dem badischen Oberlande, 1. Jan.

Am zweiten Weihnachtsfeiertage wurde in sämmtlichen katholischen Kirchen Badens ein Hirtenbrief des Freiburger Erzbischofs gegen die Einführung von Communalschulen verlesen.

24 Frankfurt, 4. Januar.

146ste Sitzung der National-Versammlung. Beseler eröffnet sie um 9 1/2 Uhr. Auf der Tagesordnung steht unter Nro. 1.

"Berathung des vom Abg. Zachariä Namens des Biedermann'schen Ausschusses erstatteten Berichtes über den Antrag des Hrn. Wesendonck, die Auflösung der preuß. National-Versammlung und die Octroyirung einer Verfassung für Preußen betreffend."

Der Antrag des Ausschusses lautet auf einfache Tagesordnung. Eine Masse Verbesserungsanträge sind gestellt. Raveaux, Simon etc. beantragen motivirte Tagesordnung, in Erwägung, daß die in Preußen octroyirte Verfassung nur als Grundlage einer neuen Vereinbarung zu betrachten sei. Andrerseits wird verlangt, daß die sogenannte preußische Verfassung schon ihres Ursprunges wegen für eine des Volks unwürdige und für ungiltig erklärt werde.

Wesendonck hat zuerst das Wort gegen den Ausschuß-Antrag.

Der Ausschußbericht sei unklar. Er reihe eine Menge von Fragen aneinander, deren Beantwortung er schuldig bleibe, und der daran geknüpfte Antrag endlich scheine sich die Entscheidung des Bundestags in der hannoverschen Verfassungsfrage zum Muster genommen zu haben. Wolle er (Wesendonck) auch nicht läugnen, daß die alte Bundesakte noch zu Recht bestehe, so könne doch kein Zweifel aus ihr über die Competenz der National-Versammlung abgeleitet werden. Die preußische Verfassung ist nun keine vorläufige, sondern eine endgiltige, die nur durch die Uebereinstimmung beider Kammern abzuändern sein soll. Dies Zweikammersystem widerspricht dem Grundsatze, nach welchem die Verfassung Preußens von Einer Kammer zu errichten war. Der Rechtsboden ist mithin schon in diesem Punkte verletzt, und von der Seite dieses Hauses, die beständig von sich verkündete, sie stehe auf dem Rechtsboden, erwarte ich, daß sie sich in der verliegenden Frage treu bleiben werde. Es sei kein Kläger vorhanden, wendet man ein. Handelt es sich denn aber um eine Civilsache? Außerdem bin ich, der Antragsteller, preußischer Staatsangehöriger, und allerdings sind Beschwerden wider die octroyirte Verfassung beim Hause eingegangen von Naumburg, Neisse und anderen Orten her.

Das Motiv, womit die Verlegung und Vertagung der preußischen Landesversammlung gerechtfertigt werden soll, nämlich die Unfreiheit der Versammlung, vermag ich nicht anzuerkennen. Die

desgerichts vom 22. December gegen mich die Criminal-Untersuchung eingeleitet sei

weil ich den bekannten Steuerverweigerungsbeschluß vom 15. Novbr. zur Ausführung und Geltung gebracht, wenigstens dies versucht und dazu hingewirkt habe.

Die Untersuchung und Haft war verfügt, ohne irgend eine Voruntersuchung, namentlich ohne daß ich vorher irgend wie vernommen war. In dem nach meiner Verhaftung mit mir angestellten Verhör wurde mir eröffnet: wie der mir gemachte Vorwurf und die gegen mich eingeleitete Untersuchung darauf gegründet sei, daß die in Berlin erscheinende „deutsche Reform“ in ihrem Blatte vom 5. Decbr. den bekannten Aufruf der Abgeordneten der National-Versammlung an das Volk, vom 27. Novbr. enthalte, unter welchem auch mein Name mit abgedruckt sei.

Das Exemplar der Zeitung wurde mir vorgelegt! Weiter war mir nichts zur Last gelegt. Lediglich auf Grund dieses Zeitungsblattes war nach ausdrücklicher Versicherung des Inquirenten durch Beschluß des O.-L.-G. die Criminal-Untersuchung wegen Hochverraths gegen mich eingeleitet und meine Verhaftung verfügt und bewirkt worden.

Es verstand sich von selbst, daß ich in dem Verhöre jede Auslassung verweigern mußte. Zwar bestimmte mich dazu nicht der völlige Mangel an irgend einem Thatbestande eines Verbrechens, so wie an irgend einem Verdachte der Thäterschaft gegen mich, also an allem Rechtsgrunde zu der Einleitung der Untersuchung und zu meiner Verhaftung.

Einzig und allein auf den Grund eines Zeitungsartikels, in dessen Inhalt an sich nichts verbrecherisches zu finden, über dessen Ursprung und Verfasser gar nichts bekannt war, ungehört verhaftet und zur Criminal-Untersuchung gezogen zu werden, und zwar „wegen Hochverraths“, des mit der schwersten Todesstrafe bedrohten Verbrechens, der Fall mag in den Annalen, wenigstens der preußischen Rechtspflege, allerdings bis jetzt wohl unerhört! dastehen. Als Inquisit mußte ich indeß mich dem fügen.

Es waren andere Gründe, die mich zur Verweigerung einer Auslassung veranlaßten und veranlassen mußten. Ich erklärte sie dem Inquirenten zu Protokoll.

Zuerst konnte ich das O.-L.-G. zu Münster überhaupt nicht für competent erachten wegen des Aufrufs vom 27. Nov. eine Untersuchung einzuleiten. Dieser Aufruf, datirt von Berlin und sollte auch dort verbreitet sein. Der Gerichtsstand des begangenen Verbrechens (!) ist also in Berlin und nur die dortigen betreffenden Gerichte können die competenten zur Einleitung und Aburtheilung der Untersuchung sein: Wollte man auch aus unserer Gesetzgebung eine secundaire Competenz für das Gericht zu Münster deduciren können, so würden daraus doch für den vorliegenden Fall die unauflöslichsten, die Gerechtigkeit gerade zu verletzenden Widersprüche sich ergeben. Entweder würde nämlich alsdann dem O.-L.-G. zu Münster, indem es mich zur Untersuchung zu ziehen berechtigt war, die Cognition über die ganze incriminirte That, und deren sämmtliche angebliche Urheber, also gegen die sämmtlichen 180 Abgeordneten, deren Namen unter dem Aufrufe abgedruckt waren, zustehen müssen. — Das Gericht hat aber gegen die in seinem besonderen Gerichtssprengel nicht wohnenden Abgeordneten keine Untersuchung eingeleitet. Oder es würden über eine und dieselbe Handlung an 180 verschiedene Untersuchungen eingeleitet, und an 180 verschiedene Erkenntnisse von eben so vielen verschiedenen Gerichtshöfen verfaßt werden müssen. Das erstere enthielt eine furchtbare Ungerechtigkeit gegen mich. Wie wahrhaft monströs die zweite Consequenz in der Wirklichkeit sich da benehmen möchte, brauche ich wohl nicht auseinander zu setzen.

Zum Zweiten mußte ich das O.-L.-G. Münster als parteiisch perhorresciren. Durch die Immediat-Vorstellung vom 9. d. M., welche seitdem von allen denen, die an unparteiischen und unabhängigen Richterstand glauben, welche von der ganzen öffentlichen Meinung gerichtet ist, hatten die Mitglieder des hiesigen O.-L.-G. Sr. Majestät gebeten, sie außer aller amtlichen Beziehung mit mir zu setzen, weil ich durch meine Theilnahme an den Sitzungen der National-Versammlung in Berlin nach dem 9. Novbr. mich in offenbarer Auflehnung gegen Sr. Majestät Regierung befunden, durch Betheiligung an dem Steuerverweigerungs-Beschlusse vom 15. aber den Boden der Revolution betreten und die Brandfackel der Anarchie in das Land zu schleudern gesucht hätte. Das gesammte O.-L.-G hat hierdurch nicht nur überhaupt, sondern auch namentlich in Beziehung auf die Steuerverweigerung im Voraus eine feindliche parteiische Stellung gegen mich eingenommen, die es unmöglich machte, mein Richter zu sein.

Zum dritten konnte ich in der Sache selbst überhaupt für irgend einen Richter keine Competenz anerkennen.

Was mir zum Vorwurfe, zum Verbrechen gemacht wurde, sollte ich als Abgeordneter der preußischen National-Versammlung gethan haben Als solcher bin ich aber nach dem Gesetze unverletzlich. Ueber meine Handlungen, die ich in meiner Eigenschaft als Abgeordneter vorgenommen, habe ich nur meinem Gewissen, aber sonst keinem irdischen Richter Rechenschaft abzulegen. — Aus diesen Gründen habe ich in dem mit mir abgehaltenen Verhöre eine jede Auslassung verweigert. Zugleich habe ich einen Protest gegen das wider mich eröffnete ungesetzliche Verfahren an Ew. Excellenz zu Protokoll erklärt. Ich habe darin bei Ew. Excellenz angetragen:

„meine sofortige Entlassung aus der Haft zu verfügen, in der Sache selbst aber sodann weiter, was Rechtens befinden.“

Ich bat meinen Inquirenten um Beförderung dieses Protestes. Ich weiß nicht, ob er Ew. Excellenz bereits zugekommen ist. Auf dem langsamen Wege der Behörden kann er sich verzögern. Mir aber muß an einer baldigen Entscheidung meiner Angelegenheit liegen.

Ich schreibe an Ew. Excellenz aus dem Zuchthause. Indeß nicht dies ist es, was mich auffordert, eine schleunige Erledigung meiner Angelegenheit herbeizuführen, wie wohl es einen merkwürdigen Beitrag zu der merkwürdigen Geschichte dieses Prozesses liefert, daß der Criminal-Senat des O.-L.-G. für seinen Präsidenten gerade in dem hiesigen Zuchthause eine Gefängnißzelle bestimmen mußte, die vielleicht, um ihm Aufnahme zu verschaffen, so eben erst von Räubern und Mördern geräumt war. Glaubt er etwa, jedenfalls dadurch mir den Wiedereintritt in seine Mitte unmöglich zu machen? Es ist ganz etwas Anderes, was mich veranlassen muß, die schleunigste Wirksamkeit Ew. Excellenz anzurufen.

Recht und Gesetz sind durch das hier gegen mich beobachtete Verfahren auf das empörendste verletzt. Nur ein Ruf der Entrüstung darüber kann und wird durch ganz Preußen, durch ganz Deutschland gehen. Das Ansehen des Gesetzes muß sinken, das Vertrauen der Gerichtshöfe muß zu Grunde gehen, wenn solche Ungerechtigkeiten fortdauern dürfen; wenn sie Bestand gewinnen können. Ew. Excellenz sind der Chef der Justiz-Verwaltung in Preußen, der oberste Wächter des Gesetzes. Ew. Exeellenz Beruf ist es, dem Unrechte, wo Sie es finden, auf das kräftigste, zugleich auch auf das schleunigste zu steuern.

Ich habe eine persönliche, ich habe aber auch nicht minder eine allgemeine Verpflichtung, Ew. Excellenz hier auf das dringendste anzugehen. Ew. Excellenz können es nicht zugeben, daß das hiesige O.-L.-G sich die Eröffnung und Führung der Untersuchung gegen mich anmaßt. Ist hierzu eine Gerichtsbehörde competent, so kann es nur das Kammergericht in Berlin sein. Das hiesige O.-L.-G kann wegen der zur Untersuchung gezogenen That weder gegen mich allein, noch gegen die übrigen 179 in allen Provinzen des Staats wohnenden Abgeordneten inquiriren. Ew. Excellenz in Ihrer Stellung können das nicht dulden, denn Sie können nicht wollen, daß entweder ich allein als Opfer ausersehen werde, oder aber, daß der Gerichtshof zu Münster ein neuer privilegirter Gerichtshof für die in Berlin begangenen politischen Verbrechen werde. Das wurde geradezu gegen Verfassung und Gesetz verstoßen und die Wohlthaten des in Berlin geltenden mündlichen und öffentlichen Strafverfahrens mit Einem Schlage für politische Verbrechen vernichten, zu einer Zeit, wo für politische Verbrechen sogar Geschwornen-Gerichte durch das Gesetz verbürgt werden.

Ew. Excellenz können ferner unmöglich zugeben, daß Mitglieder des hiesigen O.-L.-G in irgend einer Weise noch über mich zu Gericht sitzen. — Man mag über das Immediat-Gesuch desselben vom 9. d. M. im übrigen denken, wie man will; Eins ist nicht wegzuläugnen: das Collegium hat bereits im Voraus ein Verdammungsurtheil über mich ausgesprochen, bevor es die richterliche Cognition in die Hand genommen hatte; es ist als Partei gegen mich aufgetreten, und kann am allerwenigsten in derselben Frage ferner mein Richter sein. Dies ist ungesetzlich! Es ist aber auch in den Anforderungen begründet, die man an die Ehre von Richter-Collegien machen muß. Das leiseste Gefühl von Ehre würde das hiesige O.-L.-G. zu der Einsicht bringen müssen, daß es nach jenem Immediat-Gesuche und nach den damit in Verbindung stehenden Vorgängen eine Untersuchung gegen mich nicht mehr einleiten durfte.

Am 19. Dezember theilte ich in einer Plenarsitzung dem Kollegium meine Entschließung in Folge jenes Immediatgesuches dahin mit, daß ich von meinem hiesigen Posten nur durch Urtel und Recht weichen würde. Am 22. Dezember wird darauf nun ein längst verbreitetes Zeitungsblatt vom 5. Dezember hervorgesucht und auf Grund desselben die Kriminal-Untersuchung wegen Hochverraths und die Verhaftung gegen mich eingeleitet. Wird durch solche Thatsachen nicht jedem Unbefangenen der Glaube an ein rein persönliches Motiv aufgedrängt, zumal, wenn er weiß, daß ich nach meiner Anciennität der jüngste Rath eines Collegii sein würde, dessen zweiter Präsident ich jetzt bin? Muß nicht Jedermann annehmen, daß das, was auf dem einen Wege nicht erreicht werden konnte, nun auf dem andern erreicht werden sollte? Das Ober-Landesgericht Münster mag in der That der Rechtsansicht gewesen sein, daß mit Untersuchung gegen mich zu verfahren sei, niemals aber, wenn es von Grundsätzen der richterlichen Ehre sich leiten ließ, durfte es selbst damit vorgehen; es konnte nur Ew. Excellenz die Bestellung eines andern Gerichtshofes anheimgeben. So wie es jetzt verfahren, trägt es allein die Schuld, wenn es sich für alle Zeiten den Ruf eines ehrenhaften und unparteiischen Gerichtshofes zu Grabe gebracht hat.

Ich fordere von Ew. Excellenz Gerechtigkeit! So wie ich nicht mehr fordern kann und werde, so werde ich auch nicht weniger fordern. Ich trage daher an:

„Daß dem zuständigen und unparteiischen Richter die rechtliche Beurtheilung der mir zur Last gelegten Handlung überlassen werde.“

Zugleich muß ich aber auch:

„meine sofortige Entlassung aus der Haft beantragen!“

Ich will zur Begründung meines Antrages mich nicht darauf berufen, daß mir nur in meiner Eigenschaft als Abgeordneter eine verbrecherische Handlung vorgeworfen ist. Ich will mich auch nicht darauf berufen, daß es mir scheinbar eine mindestens stark ans Unrecht gränzende Unbilligkeit ist, wenn ich von 180 Abgeordneten der einzige sein soll, der seiner Freiheit beraubt wird. Ich will mich nur auf das Gesetz berufen. Nach § 209 der Kriminalordnung soll mit der Verhaftung des Verbrechers in der Regel dann verfahren werden, wenn „durch das Bekenntniß oder durch einen vollständigen Beweis die Person des Thäters ausgemittelt ist.“ Nach §§ 206, 207 wird aber unter allen Umständen erfordert, daß die Existenz eines Verbrechens mindestens wahrscheinlich und ein hinreichender Verdacht zur Verhaftung gegen eine bestimmte Person vorhanden sei. Dieses Letztere soll in jedem einzelnen Falle von dem Richter mit pflichtmäßiger Sorgfalt erwogen werden.

Ich darf es einzig und allein dem Ermessen Ew. Excellenz anheimstellen, in wie fern jenes Zeitungsblatt der deutschen Reform von einem pflichtmäßigen Erwägen des hiesigen Kriminalsenats bei meiner Verhaftung Zeugniß abzulegen im Stande ist. Ich habe die meiste Zeit meiner richterlichen Laufbahn hindurch als Kriminalrichter fungirt, aber mein Gewissen und die Anerkennung aller meiner vorgesetzten Behörden, die ich mir stets erworben habe, sprechen mich davon frei, daß ich auf einen bloßen Schein hin, geschweige auf solch ein Nichts hin, jemals eine Verhaftung veranlaßt hätte. Vielleicht hat noch kein anderer preußischer Richter in so leichtsinniger und ungerechter Weise Ehre und Freiheit eines Menschen auf das Spiel gesetzt.

Münster, den 30. Dezember 1848.

(gez) Temme, Ober-Landesgerichts-Direktor.

126 Paderborn, 4. Januar.

In Temme's Angelegenheit ist an das hiesige Ober-Landesgericht ein Schreiben eingegangen, von dem ich mir eine Abschrift verschafft habe, die ich ihnen hiermit übersende:

„Das Ober-Landesgericht Münster hat wider den Direktor Temme daselbst

„wegen des gegen ihn begründeten Verdachts: den Steuerverweigerungsbeschluß — erlassen von Abgeordneten der National-Versammlung d. d. Berlin, 15. November d. J., — zur Ausführung gebracht, wenigstens dies versucht, darauf hingewirkt zu haben,

„ auf Grund des allgemeinen Landrechts, Thl. 2, Tit. 20, § 92, resp. 233 und 167 die Kriminal-Untersuchung eröffnet, auch seine Verhaftung verfügt.

„In dem nebst dem Berichte des Kriminalsenats vom 28. urschriftlich beifolgenden Protokolle vom 24. d. M. perhorrescirt der Ober-Landesgerichts-Direktor Temme den Kriminalsenat des Ober-Landesgerichts Münster. Da die Mitglieder desselben in dem abschriftlich beifolgenden Immediatgesuch vom 9. Dezember c. sich dahin ausgesprochen haben: daß der Temme sich durch die Handlungen, wegen welcher jetzt die Untersuchung wider ihn eröffnet worden ist, „ihrer Ansicht nach“ in offenbare Auflehnung gegen die Regierung Sr. Maj. gesetzt, den Boden der Revolution betreten und wissentlich den Feuerbrand der Anarchie in das Vaterland zu schleudern gesucht, so will der Justizminister, damit auch der Schein vermieden werde, als ob bei dem Verfahren wider Temme irgendwie von vorgefaßten Meinungen ausgegangen wäre und diese bei Aburtelung der Sache einen Einfluß ausüben könnten, dem Perhorrescenzgesuch Statt geben.

„Demgemäß beauftrage ich hiermit das Ober-Landesgericht Paderborn, resp. dessen Kriminal- und zweiten Senat, als im Allgemeinen durch die Cirkularverfügung vom 11. Juli 1835 — Jahrbücher Bd. 46, S. 118 — substituirtes Gericht mit der Leitung der Untersuchung — deren Führung dem Land- und Stadtgericht Münster wird verbleiben können, so wie demnächst mit der Entscheidung in der Sache.

„Aus dem in vidimirter Abschrift beigefügten allerhöchsten Erlasse vom 15. Dezember 1845, so wie den gleichfalls beigelegten Grundzügen, wird das königl. Ober-Landesgericht Paderborn das Verhältniß des Land- und Stadtgerichts Münster als Untersuchungsgericht, zu dem Ober-Landesgericht daselbst ersehen, und hiernoch über die Anträge und Beschwerden des Temme an Stelle des Ober-Landesgerichts Münster zu beschließen haben. Dasselbe ist angewiesen, dem königl. Ober-Landesgericht Paderborn die bisherigen Verhandlungen sofort zuzusenden.

Berlin, 31. Dezember 1848.

Justizminister (gez.) Rintelen.

An das Ober-Landesgericht Paderborn.“

X Münster, 4. Jan.

Der „Aberglaube an den Richterstand,“ von dem unser Volk sich so lange hat bethören lassen, war ein Aberglaube nach zwei Seiten hin: ein Aberglaube an den „Unabhängigkeitssinn,“ und ein Aberglaube an die „Weisheit“ des k. pr. Richterstandes. Nachfolgendes wird Ihnen zeigen, von welcher Beschaffenheit die „Weisheit“ unseres Kriminalsenats ist.

Temme wurde am 22. Dez. verhaftet. Am 23. verfaßte der Kriminalsenat folgenden „Richterspruch:

In Erwägung, daß wider den Oberlandesgerichts - Direktor Temme wegen des Steuerverweigerungsbeschlusses vom 15. Nov. und wegen versuchter Beihülfe zur Ausführung desselben die Untersuchung eröffnet ist,

In Erwägung ferner, daß das ihm zur Last gelegte Verbrechen die richterliche Amtswürde kompromittirt,

In Erwägung endlich, daß darauf die Strafe der Kassation steht,so ertheilt der Kriminalsenat, bestehend aus den Ober-Landgerichtsräthen Sethe, v. Detten und Freusberg und dem Ober-Landgerichtsassessor v. Druffel zum richterlichen Spruch, daß etc. Temme während der Dauer der Untersuchung von seinem Amte zu suspendiren ist.

Dieser famose Richterspruch wurde Hrn. Temme am 23. Dez. nicht mitgetheilt, sondern reservirt. Vielleicht nahm der Verhörrichter Rücksicht auf Temme's Gehalt für den laufenden Monat und dessen Familie, bestehend aus Frau und sieben Kindern. Unterdessen hatte Temme das hiesige Obergericht beim Justizminister perhorreszirt und den Bescheid erhalten, daß dem hiesigen Obergericht die Führung der wider ihn eingeleiteten Untersuchung genommen und dieselbe dem Obergericht zu Paderborn übertragen sei. Was unter solchen Umständen der Kriminalsenat mit seinem reservirten „Richterspruch“ hätte thun sollen, das überlassen wir dem Urtheil des Publikums. Was der Kriminalsenat aber wirklich that, war, daß er Hrn. Temme jenen Richterspruch am 3. Jan. vom Verhörrichter vorlesen ließ.

Hrn. Temme wurde überdem nicht gestattet, eine Abschrift von diesem juridischen chef d'oeuvre zu nehmen.

Die Kritik dieses Richterspruchs unter aller Kritik mag sich auf Folgendes beschränken:

Entweder soll sich dieser „Richterspruch“ auf Art. 86 der oktroyirten Verfassung gründen, (dieser aber besagt ausdrücklich: Richter können nur durch Richterspruch, d. h. nur durch richterliche Erkenntniß nach Abschluß des Kriminalprozesses, aus Gründen, welche die Gesetze [welche noch gar nicht da sind] vorgesehen und bestimmt haben, ihres Amtes zeitweise entsetzt werden,) oder es liegt diesem Richterspruch die altpreußische Gesetzgebung bezüglich der Suspension der richterlichen Beamten zum Grunde. Diese bestimmt aber in dem Reskripte vom 15. Nov. 1832 ausdrücklich: daß wirklich angestellte Richter nur vom Justizminister suspendirt werden können.

Es giebt irgendwo, im Landrecht oder sonst wo, einen Paragraphen, wonach man Richter wegen Blödsinn oder Unfähigkeit belangen kann. Wir rathen Hrn. Temme, mit diesem Paragraphen gegen den Kriminalsenat von Münster, eventuell gegen die obengenannten vier Biedermänner vorzugehen. Unsere politische Prozeßkomödie könnte dadurch sehr viel an Heiterkeit gewinnen.

Löwenberg, 27. Dez.

Die Katastrophe, welche in den letzten Wochen in den öffentlichen Zuständen des ganzen Staates eingetreten ist, macht sich auch in unserer Gegend auf vielfache Weise fühlbar. Starke militärische Kräfte sind in sämmtliche schlesische Gebirgskreise hereingezogen, und selbst die kleinsten Städte, wie Lähn, Liebenthal, Friedeberg haben ihre Garnison erhalten. Es sind hierzu meist Truppentheile aus andern Provinzen, namentlich märkische Landwehr, verwendet. Obwohl nicht geradezu der Belagerungszustand proklamirt ist, so sind die Folgen für die freie Bewegung des politischen Lebens doch so ziemlich dieselben.

(Br. Z.)
* Wien, 1. Jan.

Das neunte Siegesbülletin ist erschienen. Darin berichtet Jellachich aus „Moor, 30. Dez.,“ daß er das Perczel'sche Korps unweit Moor angegriffen und vollständig geschlagen habe. Er spricht von Tausenden von Gefangenen, die er gemacht haben will. Der Rest habe sich, 8000 Mann stark, gegen Stuhlweissenburg zurückgezogen.

* Frankfurt a. d. O., 3. Jan.

Nicht bloß die Mitglieder der Nationalversammlung, welche die Steuerverweigerung beschlossen und das darauf bezügliche Manifest an's Volk erlassen haben, werden als „Hochverräther“ vor Gericht gezogen, sondern selbst Buchhändler und Buchdrucker, welche jenes Manifest gedruckt oder verbreitet haben. So ist auch hier Hr. Kosky, Buchdruckerei-Besitzer wegen Druck jenes Manifestes zur Kriminal - Untersuchung gezogen worden.

Posen, 30. Dezbr.

Nach einer Handelskorrespondenz aus Warschau wird daselbst vom 1. Januar ab, wie dies bisher schon in Rußland selbst der Fall war, die Kaufmannschaft in Gilden oder Klassen eingetheilt werden, wodurch derselben zugleich eine neue und sehr hohe Steuer aufgelegt wird. Die erste Gilde umfängt die Großhändler, und jedes Mitglied hat eine jährliche Steuer von 300 S.-Ru. außer den seitherigen Abgaben zu zahlen. Die weiteren Abstufungen waren leider in dem Schreiben nicht angegeben.

(Osts.-Z.)
Aus Westpreußen, 31. Dez.

Vor etwa sechs Jahren wurde auf Staatskosten die Königsberger Allgemeine Zeitung unter der Redaktion des bekannten Historikers und Statistikers, Professor Schubert, jetzigen Abgeordneten in Frankfurt, gestiftet, um die Grundsätze des damaligen Gouvernements zu vertheidigen. Herr Schubert erhielt dafür ein außerordentliches Gehalt von 800 Thlrn. Indeß fand die Zeitung wenig Leser und noch weniger Freunde. Auch Hr. Schubert konnte es nicht ertragen, daß die Tendenz, welche sein Blatt verfolgen mußte, und welche insbesondere aus den ihm eingesandten Artikeln hervorleuchtete, auf seine Rechnung geschrieben wurde. Er legte die Redaktion nieder; die Zeitung veränderte ihren Titel in den einer „Zeitung für Preußen“, und Herr Dr. Metzel trat an ihre Spitze, die Subvention aus der Staatskasse dauerte fort, während das Blatt immer mehr an Abonnenten und an Credit verlor. Endlich im März d. J. wurde die Subvention zurückgezogen, und am 1. April war die „Zeitung für Preußen“ eines unbetrauerten Todes entschlafen. Aber man glaubt sie nur todt. Was im März und in den folgenden Monaten des heute dahinscheidenden Jahres geschah, war ja nur, so hoffte manches Gemüth, eine Episode in unserer Geschichte, durch die die Herrschaft des auch von jener Zeitung vertretenen Systemes zwar unterbrochen, aber keinesweges auf immer zerstört werden konnte. Jetzt feiern diese Hoffnungen ihren reichsten Blüthenfrühling. Das Alte taucht unter neuem Namen wieder auf, und die absolutistische „Zeitung für Preußen“ erwacht nach neunmonatlichem Winterschlafe als „die konstitutionelle Monarchie“. Hr. Metzel ist wieder in Königsberg; er redigirt wieder die alte Zeitung unter neuem Namen, und wie er früher Jeden einen Feind der Wahrheit nannte, der nicht zur Fahne „der reinen Monarchie“ schwor, wie Jeder ihm als Wühler galt, der den Constitutionalismus vertheidigte, so ist er jetzt ein Ritter der konstitutionellen Monarchie geworden. Jetzt ist der Konstitutionalismus seine „Wahrheit“ und nicht nur der Republikanismus, sondern auch der Absolutismus sollen von ihm als „Wühlerei“ und als „Lüge“ bekämpft werden. Aber Hr. Metzel ist derselbe geblieben, seine Zeitung ist dieselbe geblieben, sein System ist dasselbe geblieben, und seine Gönner sind dieselben, die sie immer gewesen sind. Nur der Name hat gewechselt und weiter nichts als der Name.

(N. Ztg)
Lübeck, 2. Jan.

Ein heute veröffentlichtes Rathsdekret spricht die politische Gleichstellung der Israeliten mit den Christen aus.

Oberkirch, 2. Jan.

In unserer ganzen Gegend wird militärische Einquartierung eingelegt. Der Stab kommt heute mit einer Kompagnie hier her. Soll der Rhein besetzt oder Baden occupirt werden?

M. Ab.-Ztg.)
Aus dem badischen Oberlande, 1. Jan.

Am zweiten Weihnachtsfeiertage wurde in sämmtlichen katholischen Kirchen Badens ein Hirtenbrief des Freiburger Erzbischofs gegen die Einführung von Communalschulen verlesen.

24 Frankfurt, 4. Januar.

146ste Sitzung der National-Versammlung. Beseler eröffnet sie um 9 1/2 Uhr. Auf der Tagesordnung steht unter Nro. 1.

„Berathung des vom Abg. Zachariä Namens des Biedermann'schen Ausschusses erstatteten Berichtes über den Antrag des Hrn. Wesendonck, die Auflösung der preuß. National-Versammlung und die Octroyirung einer Verfassung für Preußen betreffend.“

Der Antrag des Ausschusses lautet auf einfache Tagesordnung. Eine Masse Verbesserungsanträge sind gestellt. Raveaux, Simon etc. beantragen motivirte Tagesordnung, in Erwägung, daß die in Preußen octroyirte Verfassung nur als Grundlage einer neuen Vereinbarung zu betrachten sei. Andrerseits wird verlangt, daß die sogenannte preußische Verfassung schon ihres Ursprunges wegen für eine des Volks unwürdige und für ungiltig erklärt werde.

Wesendonck hat zuerst das Wort gegen den Ausschuß-Antrag.

Der Ausschußbericht sei unklar. Er reihe eine Menge von Fragen aneinander, deren Beantwortung er schuldig bleibe, und der daran geknüpfte Antrag endlich scheine sich die Entscheidung des Bundestags in der hannoverschen Verfassungsfrage zum Muster genommen zu haben. Wolle er (Wesendonck) auch nicht läugnen, daß die alte Bundesakte noch zu Recht bestehe, so könne doch kein Zweifel aus ihr über die Competenz der National-Versammlung abgeleitet werden. Die preußische Verfassung ist nun keine vorläufige, sondern eine endgiltige, die nur durch die Uebereinstimmung beider Kammern abzuändern sein soll. Dies Zweikammersystem widerspricht dem Grundsatze, nach welchem die Verfassung Preußens von Einer Kammer zu errichten war. Der Rechtsboden ist mithin schon in diesem Punkte verletzt, und von der Seite dieses Hauses, die beständig von sich verkündete, sie stehe auf dem Rechtsboden, erwarte ich, daß sie sich in der verliegenden Frage treu bleiben werde. Es sei kein Kläger vorhanden, wendet man ein. Handelt es sich denn aber um eine Civilsache? Außerdem bin ich, der Antragsteller, preußischer Staatsangehöriger, und allerdings sind Beschwerden wider die octroyirte Verfassung beim Hause eingegangen von Naumburg, Neisse und anderen Orten her.

Das Motiv, womit die Verlegung und Vertagung der preußischen Landesversammlung gerechtfertigt werden soll, nämlich die Unfreiheit der Versammlung, vermag ich nicht anzuerkennen. Die

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desgerichts vom 22. December gegen mich die Criminal-Untersuchung eingeleitet sei</p>
          <p rendition="#et">weil ich den bekannten Steuerverweigerungsbeschluß vom 15. Novbr. zur Ausführung und Geltung gebracht, wenigstens dies versucht und dazu hingewirkt habe.</p>
          <p>Die Untersuchung und Haft war verfügt, ohne irgend eine Voruntersuchung, namentlich ohne daß ich vorher irgend wie vernommen war. In dem <hi rendition="#g">nach</hi> meiner Verhaftung mit mir angestellten Verhör wurde mir eröffnet: wie der mir gemachte Vorwurf und die gegen mich eingeleitete Untersuchung darauf gegründet sei, daß die in Berlin erscheinende &#x201E;deutsche Reform&#x201C; in ihrem Blatte vom 5. Decbr. den bekannten Aufruf der Abgeordneten der National-Versammlung an das Volk, vom 27. Novbr. enthalte, unter welchem auch mein Name mit abgedruckt sei.</p>
          <p><hi rendition="#g">Das Exemplar der Zeitung wurde mir vorgelegt!</hi> Weiter war mir nichts zur Last gelegt. Lediglich auf Grund dieses Zeitungsblattes war nach ausdrücklicher Versicherung des Inquirenten durch Beschluß des O.-L.-G. die Criminal-Untersuchung wegen Hochverraths gegen mich eingeleitet und meine Verhaftung verfügt und bewirkt worden.</p>
          <p>Es verstand sich von selbst, daß ich in dem Verhöre jede Auslassung verweigern mußte. Zwar bestimmte mich dazu nicht der völlige Mangel an irgend einem Thatbestande eines Verbrechens, so wie an irgend einem Verdachte der Thäterschaft gegen mich, <hi rendition="#g">also an allem Rechtsgrunde</hi> zu der Einleitung der Untersuchung und zu meiner Verhaftung.</p>
          <p rendition="#et">Einzig und allein auf den Grund eines Zeitungsartikels, in dessen Inhalt an sich nichts verbrecherisches zu finden, über dessen Ursprung und Verfasser gar nichts bekannt war, ungehört verhaftet und zur Criminal-Untersuchung gezogen zu werden, und zwar &#x201E;wegen Hochverraths&#x201C;, des mit der <hi rendition="#g">schwersten Todesstrafe</hi> bedrohten Verbrechens, der Fall mag in den Annalen, wenigstens der preußischen Rechtspflege, allerdings bis jetzt wohl <hi rendition="#g">unerhört!</hi> dastehen. Als Inquisit mußte ich indeß mich dem fügen.</p>
          <p>Es waren andere Gründe, die mich zur Verweigerung einer Auslassung veranlaßten und veranlassen mußten. Ich erklärte sie dem Inquirenten zu Protokoll.</p>
          <p><hi rendition="#g">Zuerst</hi> konnte ich das O.-L.-G. zu Münster überhaupt nicht für competent erachten wegen des Aufrufs vom 27. Nov. eine Untersuchung einzuleiten. Dieser Aufruf, datirt von Berlin und sollte auch dort verbreitet sein. Der Gerichtsstand des begangenen Verbrechens (!) ist also in Berlin und nur die dortigen betreffenden Gerichte können die competenten zur Einleitung und Aburtheilung der Untersuchung sein: Wollte man auch aus unserer Gesetzgebung eine secundaire Competenz für das Gericht zu Münster deduciren können, so würden daraus doch für den vorliegenden Fall die unauflöslichsten, die Gerechtigkeit gerade zu verletzenden Widersprüche sich ergeben. Entweder würde nämlich alsdann dem O.-L.-G. zu Münster, indem es mich zur Untersuchung zu ziehen berechtigt war, die Cognition über die ganze incriminirte That, und deren sämmtliche angebliche Urheber, also gegen die sämmtlichen 180 Abgeordneten, deren Namen unter dem Aufrufe abgedruckt waren, zustehen müssen. &#x2014; Das Gericht hat aber gegen die in seinem besonderen Gerichtssprengel nicht wohnenden Abgeordneten keine Untersuchung eingeleitet. Oder es würden über eine und dieselbe Handlung an 180 verschiedene Untersuchungen eingeleitet, und an 180 verschiedene Erkenntnisse von eben so vielen verschiedenen Gerichtshöfen verfaßt werden müssen. Das erstere enthielt eine furchtbare Ungerechtigkeit gegen mich. Wie wahrhaft monströs die zweite Consequenz in der Wirklichkeit sich da benehmen möchte, brauche ich wohl nicht auseinander zu setzen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Zum Zweiten</hi> mußte ich das O.-L.-G. Münster als parteiisch perhorresciren. Durch die Immediat-Vorstellung vom 9. d. M., welche seitdem von allen denen, die an unparteiischen und unabhängigen Richterstand glauben, <hi rendition="#g">welche von der ganzen öffentlichen Meinung gerichtet ist,</hi> hatten die Mitglieder des hiesigen O.-L.-G. Sr. Majestät gebeten, sie außer aller amtlichen Beziehung mit mir zu setzen, weil ich durch meine Theilnahme an den Sitzungen der National-Versammlung in Berlin nach dem 9. Novbr. mich in offenbarer Auflehnung gegen Sr. Majestät Regierung befunden, durch Betheiligung an dem Steuerverweigerungs-Beschlusse vom 15. aber den Boden der Revolution betreten und die Brandfackel der Anarchie in das Land zu schleudern gesucht hätte. Das gesammte O.-L.-G hat hierdurch nicht nur überhaupt, sondern auch namentlich in Beziehung auf die Steuerverweigerung im Voraus eine feindliche parteiische Stellung gegen mich eingenommen, die es unmöglich machte, mein Richter zu sein.</p>
          <p rendition="#et"><hi rendition="#g">Zum dritten konnte ich in der Sache selbst überhaupt für irgend einen Richter keine Competenz anerkennen</hi>.</p>
          <p>Was mir zum Vorwurfe, zum Verbrechen gemacht wurde, sollte ich als Abgeordneter der preußischen National-Versammlung gethan haben Als solcher bin ich aber nach dem Gesetze unverletzlich. Ueber meine Handlungen, die ich in meiner Eigenschaft als Abgeordneter vorgenommen, habe ich nur meinem Gewissen, aber sonst keinem irdischen Richter Rechenschaft abzulegen. &#x2014; Aus diesen Gründen habe ich in dem mit mir abgehaltenen Verhöre eine jede Auslassung verweigert. Zugleich habe ich einen Protest gegen das wider mich eröffnete ungesetzliche Verfahren an Ew. Excellenz zu Protokoll erklärt. Ich habe darin bei Ew. Excellenz angetragen:</p>
          <p rendition="#et">&#x201E;meine sofortige Entlassung aus der Haft zu verfügen, in der Sache selbst aber sodann weiter, was Rechtens befinden.&#x201C;</p>
          <p>Ich bat meinen Inquirenten um Beförderung dieses Protestes. Ich weiß nicht, ob er Ew. Excellenz bereits zugekommen ist. Auf dem langsamen Wege der Behörden kann er sich verzögern. Mir aber muß an einer baldigen Entscheidung meiner Angelegenheit liegen.</p>
          <p>Ich schreibe an Ew. Excellenz aus dem <hi rendition="#g">Zuchthause</hi>. Indeß nicht dies ist es, was mich auffordert, eine schleunige Erledigung meiner Angelegenheit herbeizuführen, wie wohl es einen merkwürdigen Beitrag zu der merkwürdigen Geschichte dieses Prozesses liefert, <hi rendition="#g">daß der Criminal-Senat des O.-L.-G. für seinen Präsidenten gerade in dem hiesigen Zuchthause eine Gefängnißzelle bestimmen mußte, die vielleicht, um ihm Aufnahme zu verschaffen, so eben erst von Räubern und Mördern geräumt war</hi>. Glaubt er etwa, jedenfalls dadurch mir den Wiedereintritt in seine Mitte unmöglich zu machen? Es ist ganz etwas Anderes, was mich veranlassen muß, die schleunigste Wirksamkeit Ew. Excellenz anzurufen.</p>
          <p>Recht und Gesetz sind durch das hier gegen mich beobachtete Verfahren auf das empörendste verletzt. Nur ein Ruf der Entrüstung darüber kann und wird durch ganz Preußen, durch ganz Deutschland gehen. Das Ansehen des Gesetzes muß sinken, das Vertrauen der Gerichtshöfe muß zu Grunde gehen, wenn solche Ungerechtigkeiten fortdauern dürfen; wenn sie Bestand gewinnen können. Ew. Excellenz sind der Chef der Justiz-Verwaltung in Preußen, der oberste Wächter des Gesetzes. Ew. Exeellenz Beruf ist es, dem Unrechte, wo Sie es finden, auf das kräftigste, zugleich auch auf das schleunigste zu steuern.</p>
          <p>Ich habe eine persönliche, ich habe aber auch nicht minder eine allgemeine Verpflichtung, Ew. Excellenz hier auf das dringendste anzugehen. Ew. Excellenz können es nicht zugeben, daß das hiesige O.-L.-G sich die Eröffnung und Führung der Untersuchung gegen mich anmaßt. Ist hierzu eine Gerichtsbehörde competent, so kann es nur das Kammergericht in Berlin sein. Das hiesige O.-L.-G kann wegen der zur Untersuchung gezogenen That weder gegen mich allein, noch gegen die übrigen 179 in allen Provinzen des Staats wohnenden Abgeordneten inquiriren. Ew. Excellenz in Ihrer Stellung <hi rendition="#g">können</hi> das nicht dulden, denn Sie können nicht wollen, daß entweder ich allein als Opfer ausersehen werde, oder aber, daß der Gerichtshof zu Münster ein neuer privilegirter Gerichtshof für die in Berlin begangenen politischen Verbrechen werde. Das wurde geradezu gegen Verfassung und Gesetz verstoßen und die Wohlthaten des in Berlin geltenden mündlichen und öffentlichen Strafverfahrens mit Einem Schlage für politische Verbrechen vernichten, zu einer Zeit, wo für politische Verbrechen sogar Geschwornen-Gerichte durch das Gesetz verbürgt werden.</p>
          <p>Ew. Excellenz können ferner unmöglich zugeben, daß Mitglieder des hiesigen O.-L.-G in irgend einer Weise noch über mich zu Gericht sitzen. &#x2014; Man mag über das Immediat-Gesuch desselben vom 9. d. M. im übrigen denken, wie man will; Eins ist nicht wegzuläugnen: das Collegium hat bereits im Voraus ein Verdammungsurtheil über mich ausgesprochen, bevor es die richterliche Cognition in die Hand genommen hatte; es ist als Partei gegen mich aufgetreten, und kann am allerwenigsten in derselben Frage ferner mein Richter sein. <hi rendition="#g">Dies ist ungesetzlich</hi>! Es ist aber auch in den Anforderungen begründet, die man an die <hi rendition="#g">Ehre</hi> von Richter-Collegien machen muß. Das leiseste Gefühl von Ehre würde das hiesige O.-L.-G. zu der Einsicht bringen müssen, daß es nach jenem Immediat-Gesuche und nach den damit in Verbindung stehenden Vorgängen eine Untersuchung gegen mich nicht mehr einleiten durfte.</p>
          <p>Am 19. Dezember theilte ich in einer Plenarsitzung dem Kollegium meine Entschließung in Folge jenes Immediatgesuches dahin mit, daß ich von meinem hiesigen Posten nur durch Urtel und Recht weichen würde. Am 22. Dezember wird darauf nun ein längst verbreitetes Zeitungsblatt vom 5. Dezember hervorgesucht und auf Grund desselben die Kriminal-Untersuchung wegen Hochverraths und die Verhaftung gegen mich eingeleitet. Wird durch solche Thatsachen nicht jedem Unbefangenen der Glaube an ein rein persönliches Motiv aufgedrängt, zumal, wenn er weiß, daß ich nach meiner Anciennität der jüngste Rath eines Collegii sein würde, dessen zweiter Präsident ich jetzt bin? Muß nicht Jedermann annehmen, daß das, was auf dem einen Wege nicht erreicht werden konnte, nun auf dem andern erreicht werden sollte? Das Ober-Landesgericht Münster mag in der That der Rechtsansicht gewesen sein, daß mit Untersuchung gegen mich zu verfahren sei, niemals aber, wenn es von Grundsätzen der richterlichen Ehre sich leiten ließ, durfte es selbst damit vorgehen; es konnte nur Ew. Excellenz die Bestellung eines andern Gerichtshofes anheimgeben. So wie es jetzt verfahren, trägt es allein die Schuld, wenn es sich für alle Zeiten den Ruf eines ehrenhaften und unparteiischen Gerichtshofes zu Grabe gebracht hat.</p>
          <p>Ich fordere von Ew. Excellenz Gerechtigkeit! So wie ich nicht <hi rendition="#g">mehr</hi> fordern kann und werde, so werde ich auch nicht <hi rendition="#g">weniger</hi> fordern. Ich trage daher an:</p>
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          <p>Ich darf es einzig und allein dem Ermessen Ew. Excellenz anheimstellen, in wie fern jenes Zeitungsblatt der deutschen Reform von einem pflichtmäßigen Erwägen des hiesigen Kriminalsenats bei meiner Verhaftung Zeugniß abzulegen im Stande ist. Ich habe die meiste Zeit meiner richterlichen Laufbahn hindurch als Kriminalrichter fungirt, aber mein Gewissen und die Anerkennung aller meiner vorgesetzten Behörden, die ich mir stets erworben habe, sprechen mich davon frei, daß ich auf einen bloßen Schein hin, geschweige auf solch ein Nichts hin, jemals eine Verhaftung veranlaßt hätte. Vielleicht hat noch kein anderer preußischer Richter in so leichtsinniger und ungerechter Weise Ehre und Freiheit eines Menschen auf das Spiel gesetzt.</p>
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          <p>In Temme's Angelegenheit ist an das hiesige Ober-Landesgericht ein Schreiben eingegangen, von dem ich mir eine Abschrift verschafft habe, die ich ihnen hiermit übersende:</p>
          <p>&#x201E;Das Ober-Landesgericht Münster hat wider den Direktor Temme daselbst</p>
          <p rendition="#et">&#x201E;wegen des gegen ihn begründeten Verdachts: den Steuerverweigerungsbeschluß &#x2014; erlassen von Abgeordneten der National-Versammlung d. d. Berlin, 15. November d. J., &#x2014; zur Ausführung gebracht, wenigstens dies versucht, darauf hingewirkt zu haben,</p>
          <p>&#x201E; auf Grund des allgemeinen Landrechts, Thl. 2, Tit. 20, § 92, resp. 233 und 167 die Kriminal-Untersuchung eröffnet, auch seine Verhaftung verfügt.</p>
          <p>&#x201E;In dem nebst dem Berichte des Kriminalsenats vom 28. urschriftlich beifolgenden Protokolle vom 24. d. M. perhorrescirt der Ober-Landesgerichts-Direktor Temme den Kriminalsenat des Ober-Landesgerichts Münster. Da die Mitglieder desselben in dem abschriftlich beifolgenden Immediatgesuch vom 9. Dezember c. sich dahin ausgesprochen haben: daß der Temme sich durch die Handlungen, wegen welcher jetzt die Untersuchung wider ihn eröffnet worden ist, &#x201E;<hi rendition="#g">ihrer Ansicht nach</hi>&#x201C; in offenbare Auflehnung gegen die Regierung Sr. Maj. gesetzt, den Boden der Revolution betreten und wissentlich den Feuerbrand der Anarchie in das Vaterland zu schleudern gesucht, so will der Justizminister, damit auch der <hi rendition="#g">Schein</hi> vermieden werde, als ob bei dem Verfahren wider Temme irgendwie von vorgefaßten Meinungen ausgegangen wäre und diese bei Aburtelung der Sache einen Einfluß ausüben könnten, dem Perhorrescenzgesuch Statt geben.</p>
          <p>&#x201E;Demgemäß beauftrage ich hiermit das Ober-Landesgericht Paderborn, resp. dessen Kriminal- und zweiten Senat, als im Allgemeinen durch die Cirkularverfügung vom 11. Juli 1835 &#x2014; Jahrbücher Bd. 46, S. 118 &#x2014; substituirtes Gericht mit der <hi rendition="#g">Leitung</hi> der Untersuchung &#x2014; deren Führung dem Land- und Stadtgericht Münster wird verbleiben können, so wie demnächst mit der Entscheidung in der Sache.</p>
          <p>&#x201E;Aus dem in vidimirter Abschrift beigefügten allerhöchsten Erlasse vom 15. Dezember 1845, so wie den gleichfalls beigelegten Grundzügen, wird das königl. Ober-Landesgericht Paderborn das Verhältniß des Land- und Stadtgerichts Münster als Untersuchungsgericht, zu dem Ober-Landesgericht daselbst ersehen, und hiernoch über die Anträge und Beschwerden des Temme an Stelle des Ober-Landesgerichts Münster zu beschließen haben. Dasselbe ist angewiesen, dem königl. Ober-Landesgericht Paderborn die bisherigen Verhandlungen sofort zuzusenden.</p>
          <p>Berlin, 31. Dezember 1848.</p>
          <p>Justizminister (gez.) <hi rendition="#g">Rintelen</hi>.</p>
          <p>An das Ober-Landesgericht Paderborn.&#x201C;</p>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_006" type="jArticle">
          <head><bibl><author>X</author></bibl> Münster, 4. Jan.</head>
          <p>Der &#x201E;Aberglaube an den Richterstand,&#x201C; von dem unser Volk sich so lange hat bethören lassen, war ein Aberglaube nach zwei Seiten hin: ein Aberglaube an den &#x201E;Unabhängigkeitssinn,&#x201C; und ein Aberglaube an die &#x201E;Weisheit&#x201C; des k. pr. Richterstandes. Nachfolgendes wird Ihnen zeigen, von welcher Beschaffenheit die &#x201E;Weisheit&#x201C; unseres Kriminalsenats ist.</p>
          <p>Temme wurde am 22. Dez. verhaftet. Am 23. verfaßte der Kriminalsenat folgenden &#x201E;<hi rendition="#g">Richterspruch:</hi>&#x201C;</p>
          <p>In Erwägung, daß wider den Oberlandesgerichts - Direktor Temme wegen des Steuerverweigerungsbeschlusses vom 15. Nov. und wegen versuchter Beihülfe zur Ausführung desselben die Untersuchung eröffnet ist,</p>
          <p>In Erwägung ferner, daß das ihm zur Last gelegte Verbrechen die richterliche Amtswürde kompromittirt,</p>
          <p>In Erwägung endlich, daß darauf die Strafe der Kassation steht,so ertheilt der Kriminalsenat, bestehend aus den Ober-Landgerichtsräthen Sethe, v. Detten und Freusberg und dem Ober-Landgerichtsassessor v. Druffel zum <hi rendition="#g">richterlichen Spruch</hi>, daß etc. Temme während der Dauer der Untersuchung von seinem Amte zu suspendiren ist.</p>
          <p>Dieser famose <hi rendition="#g">Richterspruch</hi> wurde Hrn. Temme am 23. Dez. nicht mitgetheilt, sondern reservirt. Vielleicht nahm der Verhörrichter Rücksicht auf Temme's Gehalt für den laufenden Monat und dessen Familie, bestehend aus Frau und sieben Kindern. Unterdessen hatte Temme das hiesige Obergericht beim Justizminister perhorreszirt und den Bescheid erhalten, daß dem hiesigen Obergericht die Führung der wider ihn eingeleiteten Untersuchung genommen und dieselbe dem Obergericht zu Paderborn übertragen sei. Was unter solchen Umständen der Kriminalsenat mit seinem reservirten &#x201E;<hi rendition="#g">Richterspruch</hi>&#x201C; hätte thun sollen, das überlassen wir dem Urtheil des Publikums. Was der Kriminalsenat aber wirklich that, war, daß er Hrn. Temme jenen Richterspruch am 3. Jan. vom Verhörrichter vorlesen ließ.</p>
          <p>Hrn. Temme wurde überdem nicht gestattet, eine Abschrift von diesem juridischen chef d'oeuvre zu nehmen.</p>
          <p>Die Kritik dieses Richterspruchs unter aller Kritik mag sich auf Folgendes beschränken:</p>
          <p>Entweder soll sich dieser &#x201E;Richterspruch&#x201C; auf Art. 86 der oktroyirten Verfassung gründen, (dieser aber besagt ausdrücklich: Richter können nur durch Richterspruch, d. h. nur durch richterliche Erkenntniß nach Abschluß des Kriminalprozesses, aus Gründen, welche die Gesetze [welche noch gar nicht da sind] vorgesehen und bestimmt haben, ihres Amtes zeitweise entsetzt werden,) oder es liegt diesem Richterspruch die altpreußische Gesetzgebung bezüglich der Suspension der richterlichen Beamten zum Grunde. Diese bestimmt aber in dem Reskripte vom 15. Nov. 1832 ausdrücklich: daß wirklich angestellte Richter nur vom Justizminister suspendirt werden können.</p>
          <p>Es giebt irgendwo, im Landrecht oder sonst wo, einen Paragraphen, wonach man Richter wegen Blödsinn oder Unfähigkeit belangen kann. Wir rathen Hrn. Temme, mit diesem Paragraphen gegen den Kriminalsenat von Münster, eventuell gegen die obengenannten vier Biedermänner vorzugehen. Unsere politische Prozeßkomödie könnte dadurch sehr viel an Heiterkeit gewinnen.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_007" type="jArticle">
          <head>Löwenberg, 27. Dez.</head>
          <p>Die Katastrophe, welche in den letzten Wochen in den öffentlichen Zuständen des ganzen Staates eingetreten ist, macht sich auch in unserer Gegend auf vielfache Weise fühlbar. Starke militärische Kräfte sind in sämmtliche schlesische Gebirgskreise hereingezogen, und selbst die kleinsten Städte, wie Lähn, Liebenthal, Friedeberg haben ihre Garnison erhalten. Es sind hierzu meist Truppentheile aus andern Provinzen, namentlich märkische Landwehr, verwendet. Obwohl nicht geradezu der Belagerungszustand proklamirt ist, so sind die Folgen für die freie Bewegung des politischen Lebens doch so ziemlich dieselben.</p>
          <bibl>(Br. Z.)</bibl>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_008" type="jArticle">
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Wien, 1. Jan.</head>
          <p>Das neunte Siegesbülletin ist erschienen. Darin berichtet Jellachich aus &#x201E;Moor, 30. Dez.,&#x201C; daß er das Perczel'sche Korps unweit Moor angegriffen und vollständig geschlagen habe. Er spricht von Tausenden von Gefangenen, die er gemacht haben will. Der Rest habe sich, 8000 Mann stark, gegen Stuhlweissenburg zurückgezogen.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_009" type="jArticle">
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Frankfurt a. d. O., 3. Jan.</head>
          <p>Nicht bloß die Mitglieder der Nationalversammlung, welche die Steuerverweigerung beschlossen und das darauf bezügliche Manifest an's Volk erlassen haben, werden als &#x201E;Hochverräther&#x201C; vor Gericht gezogen, sondern selbst Buchhändler und Buchdrucker, welche jenes Manifest gedruckt oder verbreitet haben. So ist auch hier Hr. Kosky, Buchdruckerei-Besitzer wegen Druck jenes Manifestes zur Kriminal - Untersuchung gezogen worden.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_010" type="jArticle">
          <head>Posen, 30. Dezbr.</head>
          <p>Nach einer Handelskorrespondenz aus Warschau wird daselbst vom 1. Januar ab, wie dies bisher schon in Rußland selbst der Fall war, die Kaufmannschaft in Gilden oder Klassen eingetheilt werden, wodurch derselben zugleich eine neue und sehr hohe Steuer aufgelegt wird. Die erste Gilde umfängt die Großhändler, und jedes Mitglied hat eine jährliche Steuer von 300 S.-Ru. außer den seitherigen Abgaben zu zahlen. Die weiteren Abstufungen waren leider in dem Schreiben nicht angegeben.</p>
          <bibl>(Osts.-Z.)</bibl>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_011" type="jArticle">
          <head>Aus Westpreußen, 31. Dez.</head>
          <p>Vor etwa sechs Jahren wurde auf Staatskosten die Königsberger Allgemeine Zeitung unter der Redaktion des bekannten Historikers und Statistikers, Professor Schubert, jetzigen Abgeordneten in Frankfurt, gestiftet, um die Grundsätze des damaligen Gouvernements zu vertheidigen. Herr Schubert erhielt dafür ein außerordentliches Gehalt von 800 Thlrn. Indeß fand die Zeitung wenig Leser und noch weniger Freunde. Auch Hr. Schubert konnte es nicht ertragen, daß die Tendenz, welche sein Blatt verfolgen mußte, und welche insbesondere aus den ihm eingesandten Artikeln hervorleuchtete, auf seine Rechnung geschrieben wurde. Er legte die Redaktion nieder; die Zeitung veränderte ihren Titel in den einer &#x201E;Zeitung für Preußen&#x201C;, und Herr Dr. Metzel trat an ihre Spitze, die Subvention aus der Staatskasse dauerte fort, während das Blatt immer mehr an Abonnenten und an Credit verlor. Endlich im März d. J. wurde die Subvention zurückgezogen, und am 1. April war die &#x201E;Zeitung für Preußen&#x201C; eines unbetrauerten Todes entschlafen. Aber man glaubt sie nur todt. Was im März und in den folgenden Monaten des heute dahinscheidenden Jahres geschah, war ja nur, so hoffte manches Gemüth, eine Episode in unserer Geschichte, durch die die Herrschaft des auch von jener Zeitung vertretenen Systemes zwar unterbrochen, aber keinesweges auf immer zerstört werden konnte. Jetzt feiern diese Hoffnungen ihren reichsten Blüthenfrühling. Das Alte taucht unter neuem Namen wieder auf, und die <hi rendition="#g">absolutistische</hi> &#x201E;Zeitung für Preußen&#x201C; erwacht nach neunmonatlichem Winterschlafe als &#x201E;die <hi rendition="#g">konstitutionelle</hi> Monarchie&#x201C;. Hr. Metzel ist wieder in Königsberg; er redigirt wieder die alte Zeitung unter neuem Namen, und wie er früher Jeden einen Feind der Wahrheit nannte, der nicht zur Fahne &#x201E;der reinen Monarchie&#x201C; schwor, wie Jeder ihm als Wühler galt, der den Constitutionalismus vertheidigte, so ist er jetzt ein Ritter der konstitutionellen Monarchie geworden. Jetzt ist der Konstitutionalismus seine &#x201E;Wahrheit&#x201C; und nicht nur der Republikanismus, sondern auch der Absolutismus sollen von ihm als &#x201E;Wühlerei&#x201C; und als &#x201E;Lüge&#x201C; bekämpft werden. Aber Hr. Metzel ist derselbe geblieben, seine Zeitung ist dieselbe geblieben, sein System ist dasselbe geblieben, und seine Gönner sind dieselben, die sie immer gewesen sind. Nur der Name hat gewechselt und weiter nichts als der Name.</p>
          <bibl>(N. Ztg)</bibl>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_012" type="jArticle">
          <head>Lübeck, 2. Jan.</head>
          <p>Ein heute veröffentlichtes Rathsdekret spricht die politische Gleichstellung der Israeliten mit den Christen aus.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_013" type="jArticle">
          <head>Oberkirch, 2. Jan.</head>
          <p>In unserer ganzen Gegend wird militärische Einquartierung eingelegt. Der Stab kommt heute mit einer Kompagnie hier her. Soll der Rhein besetzt oder Baden occupirt werden?</p>
          <bibl>M. Ab.-Ztg.)</bibl>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_014" type="jArticle">
          <head>Aus dem badischen Oberlande, 1. Jan.</head>
          <p>Am zweiten Weihnachtsfeiertage wurde in sämmtlichen katholischen Kirchen Badens ein Hirtenbrief des Freiburger Erzbischofs <hi rendition="#g">gegen die Einführung von Communalschulen verlesen</hi>.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar189-1_015" type="jArticle">
          <head><bibl><author>24</author></bibl> Frankfurt, 4. Januar.</head>
          <p><hi rendition="#g">146ste Sitzung der National-Versammlung</hi>. Beseler eröffnet sie um 9 1/2 Uhr. Auf der Tagesordnung steht unter Nro. 1.</p>
          <p rendition="#et">&#x201E;Berathung des vom Abg. Zachariä Namens des Biedermann'schen Ausschusses erstatteten Berichtes über den Antrag des Hrn. Wesendonck, die Auflösung der preuß. National-Versammlung und die Octroyirung einer Verfassung für Preußen betreffend.&#x201C;</p>
          <p>Der Antrag des Ausschusses lautet auf <hi rendition="#g">einfache Tagesordnung</hi>. Eine Masse Verbesserungsanträge sind gestellt. Raveaux, Simon etc. beantragen <hi rendition="#g">motivirte</hi> Tagesordnung, in Erwägung, daß die in Preußen octroyirte Verfassung nur als Grundlage einer neuen Vereinbarung zu betrachten sei. Andrerseits wird verlangt, daß die sogenannte preußische Verfassung schon ihres Ursprunges wegen für eine des Volks unwürdige und für ungiltig erklärt werde.</p>
          <p><hi rendition="#g">Wesendonck</hi> hat zuerst das Wort <hi rendition="#g">gegen</hi> den Ausschuß-Antrag.</p>
          <p>Der Ausschußbericht sei unklar. Er reihe eine Menge von Fragen aneinander, deren Beantwortung er schuldig bleibe, und der daran geknüpfte Antrag endlich scheine sich die Entscheidung des Bundestags in der hannoverschen Verfassungsfrage zum Muster genommen zu haben. Wolle er (Wesendonck) auch nicht läugnen, daß die alte Bundesakte noch zu Recht bestehe, so könne doch kein Zweifel aus ihr über die Competenz der National-Versammlung abgeleitet werden. Die preußische Verfassung ist nun keine vorläufige, sondern eine endgiltige, die nur durch die Uebereinstimmung beider Kammern abzuändern sein soll. Dies Zweikammersystem widerspricht dem Grundsatze, nach welchem die Verfassung Preußens von Einer Kammer zu errichten war. Der Rechtsboden ist mithin schon in diesem Punkte verletzt, und von der Seite dieses Hauses, die beständig von sich verkündete, sie stehe auf dem Rechtsboden, erwarte ich, daß sie sich in der verliegenden Frage treu bleiben werde. Es sei kein Kläger vorhanden, wendet man ein. Handelt es sich denn aber um eine Civilsache? Außerdem bin ich, der Antragsteller, preußischer Staatsangehöriger, und allerdings sind Beschwerden wider die octroyirte Verfassung beim Hause eingegangen von Naumburg, Neisse und anderen Orten her.</p>
          <p>Das Motiv, womit die Verlegung und Vertagung der preußischen Landesversammlung gerechtfertigt werden soll, nämlich die Unfreiheit der Versammlung, vermag ich nicht anzuerkennen. Die
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1020/0002] desgerichts vom 22. December gegen mich die Criminal-Untersuchung eingeleitet sei weil ich den bekannten Steuerverweigerungsbeschluß vom 15. Novbr. zur Ausführung und Geltung gebracht, wenigstens dies versucht und dazu hingewirkt habe. Die Untersuchung und Haft war verfügt, ohne irgend eine Voruntersuchung, namentlich ohne daß ich vorher irgend wie vernommen war. In dem nach meiner Verhaftung mit mir angestellten Verhör wurde mir eröffnet: wie der mir gemachte Vorwurf und die gegen mich eingeleitete Untersuchung darauf gegründet sei, daß die in Berlin erscheinende „deutsche Reform“ in ihrem Blatte vom 5. Decbr. den bekannten Aufruf der Abgeordneten der National-Versammlung an das Volk, vom 27. Novbr. enthalte, unter welchem auch mein Name mit abgedruckt sei. Das Exemplar der Zeitung wurde mir vorgelegt! Weiter war mir nichts zur Last gelegt. Lediglich auf Grund dieses Zeitungsblattes war nach ausdrücklicher Versicherung des Inquirenten durch Beschluß des O.-L.-G. die Criminal-Untersuchung wegen Hochverraths gegen mich eingeleitet und meine Verhaftung verfügt und bewirkt worden. Es verstand sich von selbst, daß ich in dem Verhöre jede Auslassung verweigern mußte. Zwar bestimmte mich dazu nicht der völlige Mangel an irgend einem Thatbestande eines Verbrechens, so wie an irgend einem Verdachte der Thäterschaft gegen mich, also an allem Rechtsgrunde zu der Einleitung der Untersuchung und zu meiner Verhaftung. Einzig und allein auf den Grund eines Zeitungsartikels, in dessen Inhalt an sich nichts verbrecherisches zu finden, über dessen Ursprung und Verfasser gar nichts bekannt war, ungehört verhaftet und zur Criminal-Untersuchung gezogen zu werden, und zwar „wegen Hochverraths“, des mit der schwersten Todesstrafe bedrohten Verbrechens, der Fall mag in den Annalen, wenigstens der preußischen Rechtspflege, allerdings bis jetzt wohl unerhört! dastehen. Als Inquisit mußte ich indeß mich dem fügen. Es waren andere Gründe, die mich zur Verweigerung einer Auslassung veranlaßten und veranlassen mußten. Ich erklärte sie dem Inquirenten zu Protokoll. Zuerst konnte ich das O.-L.-G. zu Münster überhaupt nicht für competent erachten wegen des Aufrufs vom 27. Nov. eine Untersuchung einzuleiten. Dieser Aufruf, datirt von Berlin und sollte auch dort verbreitet sein. Der Gerichtsstand des begangenen Verbrechens (!) ist also in Berlin und nur die dortigen betreffenden Gerichte können die competenten zur Einleitung und Aburtheilung der Untersuchung sein: Wollte man auch aus unserer Gesetzgebung eine secundaire Competenz für das Gericht zu Münster deduciren können, so würden daraus doch für den vorliegenden Fall die unauflöslichsten, die Gerechtigkeit gerade zu verletzenden Widersprüche sich ergeben. Entweder würde nämlich alsdann dem O.-L.-G. zu Münster, indem es mich zur Untersuchung zu ziehen berechtigt war, die Cognition über die ganze incriminirte That, und deren sämmtliche angebliche Urheber, also gegen die sämmtlichen 180 Abgeordneten, deren Namen unter dem Aufrufe abgedruckt waren, zustehen müssen. — Das Gericht hat aber gegen die in seinem besonderen Gerichtssprengel nicht wohnenden Abgeordneten keine Untersuchung eingeleitet. Oder es würden über eine und dieselbe Handlung an 180 verschiedene Untersuchungen eingeleitet, und an 180 verschiedene Erkenntnisse von eben so vielen verschiedenen Gerichtshöfen verfaßt werden müssen. Das erstere enthielt eine furchtbare Ungerechtigkeit gegen mich. Wie wahrhaft monströs die zweite Consequenz in der Wirklichkeit sich da benehmen möchte, brauche ich wohl nicht auseinander zu setzen. Zum Zweiten mußte ich das O.-L.-G. Münster als parteiisch perhorresciren. Durch die Immediat-Vorstellung vom 9. d. M., welche seitdem von allen denen, die an unparteiischen und unabhängigen Richterstand glauben, welche von der ganzen öffentlichen Meinung gerichtet ist, hatten die Mitglieder des hiesigen O.-L.-G. Sr. Majestät gebeten, sie außer aller amtlichen Beziehung mit mir zu setzen, weil ich durch meine Theilnahme an den Sitzungen der National-Versammlung in Berlin nach dem 9. Novbr. mich in offenbarer Auflehnung gegen Sr. Majestät Regierung befunden, durch Betheiligung an dem Steuerverweigerungs-Beschlusse vom 15. aber den Boden der Revolution betreten und die Brandfackel der Anarchie in das Land zu schleudern gesucht hätte. Das gesammte O.-L.-G hat hierdurch nicht nur überhaupt, sondern auch namentlich in Beziehung auf die Steuerverweigerung im Voraus eine feindliche parteiische Stellung gegen mich eingenommen, die es unmöglich machte, mein Richter zu sein. Zum dritten konnte ich in der Sache selbst überhaupt für irgend einen Richter keine Competenz anerkennen. Was mir zum Vorwurfe, zum Verbrechen gemacht wurde, sollte ich als Abgeordneter der preußischen National-Versammlung gethan haben Als solcher bin ich aber nach dem Gesetze unverletzlich. Ueber meine Handlungen, die ich in meiner Eigenschaft als Abgeordneter vorgenommen, habe ich nur meinem Gewissen, aber sonst keinem irdischen Richter Rechenschaft abzulegen. — Aus diesen Gründen habe ich in dem mit mir abgehaltenen Verhöre eine jede Auslassung verweigert. Zugleich habe ich einen Protest gegen das wider mich eröffnete ungesetzliche Verfahren an Ew. Excellenz zu Protokoll erklärt. Ich habe darin bei Ew. Excellenz angetragen: „meine sofortige Entlassung aus der Haft zu verfügen, in der Sache selbst aber sodann weiter, was Rechtens befinden.“ Ich bat meinen Inquirenten um Beförderung dieses Protestes. Ich weiß nicht, ob er Ew. Excellenz bereits zugekommen ist. Auf dem langsamen Wege der Behörden kann er sich verzögern. Mir aber muß an einer baldigen Entscheidung meiner Angelegenheit liegen. Ich schreibe an Ew. Excellenz aus dem Zuchthause. Indeß nicht dies ist es, was mich auffordert, eine schleunige Erledigung meiner Angelegenheit herbeizuführen, wie wohl es einen merkwürdigen Beitrag zu der merkwürdigen Geschichte dieses Prozesses liefert, daß der Criminal-Senat des O.-L.-G. für seinen Präsidenten gerade in dem hiesigen Zuchthause eine Gefängnißzelle bestimmen mußte, die vielleicht, um ihm Aufnahme zu verschaffen, so eben erst von Räubern und Mördern geräumt war. Glaubt er etwa, jedenfalls dadurch mir den Wiedereintritt in seine Mitte unmöglich zu machen? Es ist ganz etwas Anderes, was mich veranlassen muß, die schleunigste Wirksamkeit Ew. Excellenz anzurufen. Recht und Gesetz sind durch das hier gegen mich beobachtete Verfahren auf das empörendste verletzt. Nur ein Ruf der Entrüstung darüber kann und wird durch ganz Preußen, durch ganz Deutschland gehen. Das Ansehen des Gesetzes muß sinken, das Vertrauen der Gerichtshöfe muß zu Grunde gehen, wenn solche Ungerechtigkeiten fortdauern dürfen; wenn sie Bestand gewinnen können. Ew. Excellenz sind der Chef der Justiz-Verwaltung in Preußen, der oberste Wächter des Gesetzes. Ew. Exeellenz Beruf ist es, dem Unrechte, wo Sie es finden, auf das kräftigste, zugleich auch auf das schleunigste zu steuern. Ich habe eine persönliche, ich habe aber auch nicht minder eine allgemeine Verpflichtung, Ew. Excellenz hier auf das dringendste anzugehen. Ew. Excellenz können es nicht zugeben, daß das hiesige O.-L.-G sich die Eröffnung und Führung der Untersuchung gegen mich anmaßt. Ist hierzu eine Gerichtsbehörde competent, so kann es nur das Kammergericht in Berlin sein. Das hiesige O.-L.-G kann wegen der zur Untersuchung gezogenen That weder gegen mich allein, noch gegen die übrigen 179 in allen Provinzen des Staats wohnenden Abgeordneten inquiriren. Ew. Excellenz in Ihrer Stellung können das nicht dulden, denn Sie können nicht wollen, daß entweder ich allein als Opfer ausersehen werde, oder aber, daß der Gerichtshof zu Münster ein neuer privilegirter Gerichtshof für die in Berlin begangenen politischen Verbrechen werde. Das wurde geradezu gegen Verfassung und Gesetz verstoßen und die Wohlthaten des in Berlin geltenden mündlichen und öffentlichen Strafverfahrens mit Einem Schlage für politische Verbrechen vernichten, zu einer Zeit, wo für politische Verbrechen sogar Geschwornen-Gerichte durch das Gesetz verbürgt werden. Ew. Excellenz können ferner unmöglich zugeben, daß Mitglieder des hiesigen O.-L.-G in irgend einer Weise noch über mich zu Gericht sitzen. — Man mag über das Immediat-Gesuch desselben vom 9. d. M. im übrigen denken, wie man will; Eins ist nicht wegzuläugnen: das Collegium hat bereits im Voraus ein Verdammungsurtheil über mich ausgesprochen, bevor es die richterliche Cognition in die Hand genommen hatte; es ist als Partei gegen mich aufgetreten, und kann am allerwenigsten in derselben Frage ferner mein Richter sein. Dies ist ungesetzlich! Es ist aber auch in den Anforderungen begründet, die man an die Ehre von Richter-Collegien machen muß. Das leiseste Gefühl von Ehre würde das hiesige O.-L.-G. zu der Einsicht bringen müssen, daß es nach jenem Immediat-Gesuche und nach den damit in Verbindung stehenden Vorgängen eine Untersuchung gegen mich nicht mehr einleiten durfte. Am 19. Dezember theilte ich in einer Plenarsitzung dem Kollegium meine Entschließung in Folge jenes Immediatgesuches dahin mit, daß ich von meinem hiesigen Posten nur durch Urtel und Recht weichen würde. Am 22. Dezember wird darauf nun ein längst verbreitetes Zeitungsblatt vom 5. Dezember hervorgesucht und auf Grund desselben die Kriminal-Untersuchung wegen Hochverraths und die Verhaftung gegen mich eingeleitet. Wird durch solche Thatsachen nicht jedem Unbefangenen der Glaube an ein rein persönliches Motiv aufgedrängt, zumal, wenn er weiß, daß ich nach meiner Anciennität der jüngste Rath eines Collegii sein würde, dessen zweiter Präsident ich jetzt bin? Muß nicht Jedermann annehmen, daß das, was auf dem einen Wege nicht erreicht werden konnte, nun auf dem andern erreicht werden sollte? Das Ober-Landesgericht Münster mag in der That der Rechtsansicht gewesen sein, daß mit Untersuchung gegen mich zu verfahren sei, niemals aber, wenn es von Grundsätzen der richterlichen Ehre sich leiten ließ, durfte es selbst damit vorgehen; es konnte nur Ew. Excellenz die Bestellung eines andern Gerichtshofes anheimgeben. So wie es jetzt verfahren, trägt es allein die Schuld, wenn es sich für alle Zeiten den Ruf eines ehrenhaften und unparteiischen Gerichtshofes zu Grabe gebracht hat. Ich fordere von Ew. Excellenz Gerechtigkeit! So wie ich nicht mehr fordern kann und werde, so werde ich auch nicht weniger fordern. Ich trage daher an: „Daß dem zuständigen und unparteiischen Richter die rechtliche Beurtheilung der mir zur Last gelegten Handlung überlassen werde.“ Zugleich muß ich aber auch: „meine sofortige Entlassung aus der Haft beantragen!“ Ich will zur Begründung meines Antrages mich nicht darauf berufen, daß mir nur in meiner Eigenschaft als Abgeordneter eine verbrecherische Handlung vorgeworfen ist. Ich will mich auch nicht darauf berufen, daß es mir scheinbar eine mindestens stark ans Unrecht gränzende Unbilligkeit ist, wenn ich von 180 Abgeordneten der einzige sein soll, der seiner Freiheit beraubt wird. Ich will mich nur auf das Gesetz berufen. Nach § 209 der Kriminalordnung soll mit der Verhaftung des Verbrechers in der Regel dann verfahren werden, wenn „durch das Bekenntniß oder durch einen vollständigen Beweis die Person des Thäters ausgemittelt ist.“ Nach §§ 206, 207 wird aber unter allen Umständen erfordert, daß die Existenz eines Verbrechens mindestens wahrscheinlich und ein hinreichender Verdacht zur Verhaftung gegen eine bestimmte Person vorhanden sei. Dieses Letztere soll in jedem einzelnen Falle von dem Richter mit pflichtmäßiger Sorgfalt erwogen werden. Ich darf es einzig und allein dem Ermessen Ew. Excellenz anheimstellen, in wie fern jenes Zeitungsblatt der deutschen Reform von einem pflichtmäßigen Erwägen des hiesigen Kriminalsenats bei meiner Verhaftung Zeugniß abzulegen im Stande ist. Ich habe die meiste Zeit meiner richterlichen Laufbahn hindurch als Kriminalrichter fungirt, aber mein Gewissen und die Anerkennung aller meiner vorgesetzten Behörden, die ich mir stets erworben habe, sprechen mich davon frei, daß ich auf einen bloßen Schein hin, geschweige auf solch ein Nichts hin, jemals eine Verhaftung veranlaßt hätte. Vielleicht hat noch kein anderer preußischer Richter in so leichtsinniger und ungerechter Weise Ehre und Freiheit eines Menschen auf das Spiel gesetzt. Münster, den 30. Dezember 1848. (gez) Temme, Ober-Landesgerichts-Direktor. 126 Paderborn, 4. Januar. In Temme's Angelegenheit ist an das hiesige Ober-Landesgericht ein Schreiben eingegangen, von dem ich mir eine Abschrift verschafft habe, die ich ihnen hiermit übersende: „Das Ober-Landesgericht Münster hat wider den Direktor Temme daselbst „wegen des gegen ihn begründeten Verdachts: den Steuerverweigerungsbeschluß — erlassen von Abgeordneten der National-Versammlung d. d. Berlin, 15. November d. J., — zur Ausführung gebracht, wenigstens dies versucht, darauf hingewirkt zu haben, „ auf Grund des allgemeinen Landrechts, Thl. 2, Tit. 20, § 92, resp. 233 und 167 die Kriminal-Untersuchung eröffnet, auch seine Verhaftung verfügt. „In dem nebst dem Berichte des Kriminalsenats vom 28. urschriftlich beifolgenden Protokolle vom 24. d. M. perhorrescirt der Ober-Landesgerichts-Direktor Temme den Kriminalsenat des Ober-Landesgerichts Münster. Da die Mitglieder desselben in dem abschriftlich beifolgenden Immediatgesuch vom 9. Dezember c. sich dahin ausgesprochen haben: daß der Temme sich durch die Handlungen, wegen welcher jetzt die Untersuchung wider ihn eröffnet worden ist, „ihrer Ansicht nach“ in offenbare Auflehnung gegen die Regierung Sr. Maj. gesetzt, den Boden der Revolution betreten und wissentlich den Feuerbrand der Anarchie in das Vaterland zu schleudern gesucht, so will der Justizminister, damit auch der Schein vermieden werde, als ob bei dem Verfahren wider Temme irgendwie von vorgefaßten Meinungen ausgegangen wäre und diese bei Aburtelung der Sache einen Einfluß ausüben könnten, dem Perhorrescenzgesuch Statt geben. „Demgemäß beauftrage ich hiermit das Ober-Landesgericht Paderborn, resp. dessen Kriminal- und zweiten Senat, als im Allgemeinen durch die Cirkularverfügung vom 11. Juli 1835 — Jahrbücher Bd. 46, S. 118 — substituirtes Gericht mit der Leitung der Untersuchung — deren Führung dem Land- und Stadtgericht Münster wird verbleiben können, so wie demnächst mit der Entscheidung in der Sache. „Aus dem in vidimirter Abschrift beigefügten allerhöchsten Erlasse vom 15. Dezember 1845, so wie den gleichfalls beigelegten Grundzügen, wird das königl. Ober-Landesgericht Paderborn das Verhältniß des Land- und Stadtgerichts Münster als Untersuchungsgericht, zu dem Ober-Landesgericht daselbst ersehen, und hiernoch über die Anträge und Beschwerden des Temme an Stelle des Ober-Landesgerichts Münster zu beschließen haben. Dasselbe ist angewiesen, dem königl. Ober-Landesgericht Paderborn die bisherigen Verhandlungen sofort zuzusenden. Berlin, 31. Dezember 1848. Justizminister (gez.) Rintelen. An das Ober-Landesgericht Paderborn.“ X Münster, 4. Jan. Der „Aberglaube an den Richterstand,“ von dem unser Volk sich so lange hat bethören lassen, war ein Aberglaube nach zwei Seiten hin: ein Aberglaube an den „Unabhängigkeitssinn,“ und ein Aberglaube an die „Weisheit“ des k. pr. Richterstandes. Nachfolgendes wird Ihnen zeigen, von welcher Beschaffenheit die „Weisheit“ unseres Kriminalsenats ist. Temme wurde am 22. Dez. verhaftet. Am 23. verfaßte der Kriminalsenat folgenden „Richterspruch:“ In Erwägung, daß wider den Oberlandesgerichts - Direktor Temme wegen des Steuerverweigerungsbeschlusses vom 15. Nov. und wegen versuchter Beihülfe zur Ausführung desselben die Untersuchung eröffnet ist, In Erwägung ferner, daß das ihm zur Last gelegte Verbrechen die richterliche Amtswürde kompromittirt, In Erwägung endlich, daß darauf die Strafe der Kassation steht,so ertheilt der Kriminalsenat, bestehend aus den Ober-Landgerichtsräthen Sethe, v. Detten und Freusberg und dem Ober-Landgerichtsassessor v. Druffel zum richterlichen Spruch, daß etc. Temme während der Dauer der Untersuchung von seinem Amte zu suspendiren ist. Dieser famose Richterspruch wurde Hrn. Temme am 23. Dez. nicht mitgetheilt, sondern reservirt. Vielleicht nahm der Verhörrichter Rücksicht auf Temme's Gehalt für den laufenden Monat und dessen Familie, bestehend aus Frau und sieben Kindern. Unterdessen hatte Temme das hiesige Obergericht beim Justizminister perhorreszirt und den Bescheid erhalten, daß dem hiesigen Obergericht die Führung der wider ihn eingeleiteten Untersuchung genommen und dieselbe dem Obergericht zu Paderborn übertragen sei. Was unter solchen Umständen der Kriminalsenat mit seinem reservirten „Richterspruch“ hätte thun sollen, das überlassen wir dem Urtheil des Publikums. Was der Kriminalsenat aber wirklich that, war, daß er Hrn. Temme jenen Richterspruch am 3. Jan. vom Verhörrichter vorlesen ließ. Hrn. Temme wurde überdem nicht gestattet, eine Abschrift von diesem juridischen chef d'oeuvre zu nehmen. Die Kritik dieses Richterspruchs unter aller Kritik mag sich auf Folgendes beschränken: Entweder soll sich dieser „Richterspruch“ auf Art. 86 der oktroyirten Verfassung gründen, (dieser aber besagt ausdrücklich: Richter können nur durch Richterspruch, d. h. nur durch richterliche Erkenntniß nach Abschluß des Kriminalprozesses, aus Gründen, welche die Gesetze [welche noch gar nicht da sind] vorgesehen und bestimmt haben, ihres Amtes zeitweise entsetzt werden,) oder es liegt diesem Richterspruch die altpreußische Gesetzgebung bezüglich der Suspension der richterlichen Beamten zum Grunde. Diese bestimmt aber in dem Reskripte vom 15. Nov. 1832 ausdrücklich: daß wirklich angestellte Richter nur vom Justizminister suspendirt werden können. Es giebt irgendwo, im Landrecht oder sonst wo, einen Paragraphen, wonach man Richter wegen Blödsinn oder Unfähigkeit belangen kann. Wir rathen Hrn. Temme, mit diesem Paragraphen gegen den Kriminalsenat von Münster, eventuell gegen die obengenannten vier Biedermänner vorzugehen. Unsere politische Prozeßkomödie könnte dadurch sehr viel an Heiterkeit gewinnen. Löwenberg, 27. Dez. Die Katastrophe, welche in den letzten Wochen in den öffentlichen Zuständen des ganzen Staates eingetreten ist, macht sich auch in unserer Gegend auf vielfache Weise fühlbar. Starke militärische Kräfte sind in sämmtliche schlesische Gebirgskreise hereingezogen, und selbst die kleinsten Städte, wie Lähn, Liebenthal, Friedeberg haben ihre Garnison erhalten. Es sind hierzu meist Truppentheile aus andern Provinzen, namentlich märkische Landwehr, verwendet. Obwohl nicht geradezu der Belagerungszustand proklamirt ist, so sind die Folgen für die freie Bewegung des politischen Lebens doch so ziemlich dieselben. (Br. Z.) * Wien, 1. Jan. Das neunte Siegesbülletin ist erschienen. Darin berichtet Jellachich aus „Moor, 30. Dez.,“ daß er das Perczel'sche Korps unweit Moor angegriffen und vollständig geschlagen habe. Er spricht von Tausenden von Gefangenen, die er gemacht haben will. Der Rest habe sich, 8000 Mann stark, gegen Stuhlweissenburg zurückgezogen. * Frankfurt a. d. O., 3. Jan. Nicht bloß die Mitglieder der Nationalversammlung, welche die Steuerverweigerung beschlossen und das darauf bezügliche Manifest an's Volk erlassen haben, werden als „Hochverräther“ vor Gericht gezogen, sondern selbst Buchhändler und Buchdrucker, welche jenes Manifest gedruckt oder verbreitet haben. So ist auch hier Hr. Kosky, Buchdruckerei-Besitzer wegen Druck jenes Manifestes zur Kriminal - Untersuchung gezogen worden. Posen, 30. Dezbr. Nach einer Handelskorrespondenz aus Warschau wird daselbst vom 1. Januar ab, wie dies bisher schon in Rußland selbst der Fall war, die Kaufmannschaft in Gilden oder Klassen eingetheilt werden, wodurch derselben zugleich eine neue und sehr hohe Steuer aufgelegt wird. Die erste Gilde umfängt die Großhändler, und jedes Mitglied hat eine jährliche Steuer von 300 S.-Ru. außer den seitherigen Abgaben zu zahlen. Die weiteren Abstufungen waren leider in dem Schreiben nicht angegeben. (Osts.-Z.) Aus Westpreußen, 31. Dez. Vor etwa sechs Jahren wurde auf Staatskosten die Königsberger Allgemeine Zeitung unter der Redaktion des bekannten Historikers und Statistikers, Professor Schubert, jetzigen Abgeordneten in Frankfurt, gestiftet, um die Grundsätze des damaligen Gouvernements zu vertheidigen. Herr Schubert erhielt dafür ein außerordentliches Gehalt von 800 Thlrn. Indeß fand die Zeitung wenig Leser und noch weniger Freunde. Auch Hr. Schubert konnte es nicht ertragen, daß die Tendenz, welche sein Blatt verfolgen mußte, und welche insbesondere aus den ihm eingesandten Artikeln hervorleuchtete, auf seine Rechnung geschrieben wurde. Er legte die Redaktion nieder; die Zeitung veränderte ihren Titel in den einer „Zeitung für Preußen“, und Herr Dr. Metzel trat an ihre Spitze, die Subvention aus der Staatskasse dauerte fort, während das Blatt immer mehr an Abonnenten und an Credit verlor. Endlich im März d. J. wurde die Subvention zurückgezogen, und am 1. April war die „Zeitung für Preußen“ eines unbetrauerten Todes entschlafen. Aber man glaubt sie nur todt. Was im März und in den folgenden Monaten des heute dahinscheidenden Jahres geschah, war ja nur, so hoffte manches Gemüth, eine Episode in unserer Geschichte, durch die die Herrschaft des auch von jener Zeitung vertretenen Systemes zwar unterbrochen, aber keinesweges auf immer zerstört werden konnte. Jetzt feiern diese Hoffnungen ihren reichsten Blüthenfrühling. Das Alte taucht unter neuem Namen wieder auf, und die absolutistische „Zeitung für Preußen“ erwacht nach neunmonatlichem Winterschlafe als „die konstitutionelle Monarchie“. Hr. Metzel ist wieder in Königsberg; er redigirt wieder die alte Zeitung unter neuem Namen, und wie er früher Jeden einen Feind der Wahrheit nannte, der nicht zur Fahne „der reinen Monarchie“ schwor, wie Jeder ihm als Wühler galt, der den Constitutionalismus vertheidigte, so ist er jetzt ein Ritter der konstitutionellen Monarchie geworden. Jetzt ist der Konstitutionalismus seine „Wahrheit“ und nicht nur der Republikanismus, sondern auch der Absolutismus sollen von ihm als „Wühlerei“ und als „Lüge“ bekämpft werden. Aber Hr. Metzel ist derselbe geblieben, seine Zeitung ist dieselbe geblieben, sein System ist dasselbe geblieben, und seine Gönner sind dieselben, die sie immer gewesen sind. Nur der Name hat gewechselt und weiter nichts als der Name. (N. Ztg) Lübeck, 2. Jan. Ein heute veröffentlichtes Rathsdekret spricht die politische Gleichstellung der Israeliten mit den Christen aus. Oberkirch, 2. Jan. In unserer ganzen Gegend wird militärische Einquartierung eingelegt. Der Stab kommt heute mit einer Kompagnie hier her. Soll der Rhein besetzt oder Baden occupirt werden? M. Ab.-Ztg.) Aus dem badischen Oberlande, 1. Jan. Am zweiten Weihnachtsfeiertage wurde in sämmtlichen katholischen Kirchen Badens ein Hirtenbrief des Freiburger Erzbischofs gegen die Einführung von Communalschulen verlesen. 24 Frankfurt, 4. Januar. 146ste Sitzung der National-Versammlung. Beseler eröffnet sie um 9 1/2 Uhr. Auf der Tagesordnung steht unter Nro. 1. „Berathung des vom Abg. Zachariä Namens des Biedermann'schen Ausschusses erstatteten Berichtes über den Antrag des Hrn. Wesendonck, die Auflösung der preuß. National-Versammlung und die Octroyirung einer Verfassung für Preußen betreffend.“ Der Antrag des Ausschusses lautet auf einfache Tagesordnung. Eine Masse Verbesserungsanträge sind gestellt. Raveaux, Simon etc. beantragen motivirte Tagesordnung, in Erwägung, daß die in Preußen octroyirte Verfassung nur als Grundlage einer neuen Vereinbarung zu betrachten sei. Andrerseits wird verlangt, daß die sogenannte preußische Verfassung schon ihres Ursprunges wegen für eine des Volks unwürdige und für ungiltig erklärt werde. Wesendonck hat zuerst das Wort gegen den Ausschuß-Antrag. Der Ausschußbericht sei unklar. Er reihe eine Menge von Fragen aneinander, deren Beantwortung er schuldig bleibe, und der daran geknüpfte Antrag endlich scheine sich die Entscheidung des Bundestags in der hannoverschen Verfassungsfrage zum Muster genommen zu haben. Wolle er (Wesendonck) auch nicht läugnen, daß die alte Bundesakte noch zu Recht bestehe, so könne doch kein Zweifel aus ihr über die Competenz der National-Versammlung abgeleitet werden. Die preußische Verfassung ist nun keine vorläufige, sondern eine endgiltige, die nur durch die Uebereinstimmung beider Kammern abzuändern sein soll. Dies Zweikammersystem widerspricht dem Grundsatze, nach welchem die Verfassung Preußens von Einer Kammer zu errichten war. Der Rechtsboden ist mithin schon in diesem Punkte verletzt, und von der Seite dieses Hauses, die beständig von sich verkündete, sie stehe auf dem Rechtsboden, erwarte ich, daß sie sich in der verliegenden Frage treu bleiben werde. Es sei kein Kläger vorhanden, wendet man ein. Handelt es sich denn aber um eine Civilsache? Außerdem bin ich, der Antragsteller, preußischer Staatsangehöriger, und allerdings sind Beschwerden wider die octroyirte Verfassung beim Hause eingegangen von Naumburg, Neisse und anderen Orten her. Das Motiv, womit die Verlegung und Vertagung der preußischen Landesversammlung gerechtfertigt werden soll, nämlich die Unfreiheit der Versammlung, vermag ich nicht anzuerkennen. Die

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Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 2 (Nummer 184 bis Nummer 301) Köln, 1. Januar 1849 bis 19. Mai 1849. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




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Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 189. Köln, 7. Januar 1849, S. 1020. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz189i_1849/2>, abgerufen am 21.11.2024.