Neue Rheinische Zeitung. Nr. 273. Köln, 15. April 1849. Zweite Ausgabe.Piemontesische Armee zu schlagen. Am Tage, wo diese traurige Nachricht bekannt ward, da sahen wir den Diktator in einer seltsamen Ueberraschung: er hörte plötzlich auf, mit seinem Röhrlein zu spielen, wenn er sprach. Er war so wenig auf dieses Ereigniß vorbereitet, so wenig wie der honnetteste Mann von der Welt darauf vorbereitet sein kann, einen Ziegelstein auf sein Haupt zu bekommen: und das macht sicherlich große Ehre seinem politischen und militärischen Genie. Er vermuthete nicht im Geringsten, daß, wenn Radetzki vier Monate lang den Todten gespielt hat, dies einzig und allein der Alpenarmee zu danken war. Und Cavaignac, der die Alpenarmee per Post hatte zurückholen lassen, ohne daß die mindeste Veranlassung hierzu da gewesen wäre, dachte in der Einfalt seines Herzens, daß die Oestreicher nichts davon erfahren oder doch davon keinen Nutzen ziehen würden. Nach vier Tagen der größten Angst, nach wiederholten Konsultationen mit den Börsenspekulanten, erfand endlich Cavaignac die englisch-französische Vermittlung. Wir haben gesehen, wie er der Versammlung zu wissen that, daß er mit England unterhandle - im Interesse Italien's, und daß man ihn weiter nichts zu fragen hätte; daß er übrigens bereit sei, abzudanken, wenn man darauf bestehe. Wir haben gesehen, wie er den Bastide, den verschwiegenen Bastide auf die Tribüne zog, um ihn sagen zu lassen, daß man unterhandle, um Italien "frei zu machen", und daß man ja stille, ja verschwiegen sein solle. Und dieser unbeschränkte Diktator, so lakonisch in seinen Erklärungen, der Alles that, was er wollte, und nie etwas sagte von dem, was er that; dieser Diktator hat den 30. März das Wort genommen, um die Verantwortlichkeit seiner Handlungen abzulehnen. Die Versammlung ist solidarisch verantwortlich für die Thaten und Worte des Herrn Cavaignac, denn sie hatte ja dem Herrn Cavaignac die Diktatur verliehen. Aber diese Solidarität ist es nicht, welche Cavaignac in Anspruch genommen; es ist die moralische Solidarität in ihrer ganzen Ausdehnung. Wie klein, wie demüthig hat er sich gestellt! - Die Versammlung war's, welche regierte; er war nur das gehorsame, gelehrige Werkzeug der Willensäußerungen dieser Versammlung. Er hat vor ihr Rechnung abgelegt über alle seine Thaten von jedem Tage, von jeder Stunde. Ja, ja, die Versammlung ist's, die regiert hat, sie hat die Alpenarmte dislozirt; und sie, gerade sie war am meisten verblüfft, als die Oestreicher am Tessin erschienen, 14 Tage nach der Juni-Schlacht. Ja, ja, die englisch-französische Mediation war eine Erfindung der Kammer! Die Kammer war's, welche öffentlich erklärte: "Ich unterhandle, um Italien frei zu machen, und wirklich hat die Kammer heimlich unterhandelt auf Grundlage der Traktate von 1815. Die Kammer ist's, welche den Waffenstillstand unterzeichnet hat, in Folge dessen die vermittelnden Mächte den König von Sardinien seinem Schicksale überlassen wollten, wenn er den Krieg wieder beginnen würde. Und das Alles hat Cavaignac von der Tribüne herab mit einer Gemüthsruhe erklärt, wie in den schönsten Tagen nach dem Juni. Sein unsterbliches Röhrlein hätte keine salbungsvollere, gewandtere und geschmeidigere Rede halten können. Der Mann, der im Monat August mit sozialer Wahrheit und Natürlichkeit den beschämten, verlegenen Diktator, den großen Staatsmann und Feldherrn gespielt hat, der bei der ersten Bewegung Radetzki's den Kopf verloren hatte, der unbefangene, unschuldige Politiker, der sich an die englische Allianz angeklammert, wie ein Ertrinkender sich an eine Trauerweide anklammert, derselbe Mann hat es gewagt zu sagen, das die englisch-französische Vermittlung bei ihm eine "vorgefaßte Idee" war, daß er von jeher daran gedacht habe. Ich bin wirklich erstaunt, daß, als er die Hand auf sein Herz oder seine Weste legte, er nicht gesagt hat, er habe schon vor 18 Jahren, in der arabischen Wüste daran gedacht. In seinem erneuerten Anfalle von Eitelkeit merkte er gar nicht die ungeheuren Widersprüche, in die er sich verwickelt hatte. Nachdem er auf die schmählichste Weise die Verantwortlichkeit seiner Thaten abgelehnt, sah es völlig aus, als reklamirte er die Autorschaft, die Vaterschaft aller Dummheiten und Widersprüche der französischen Diplomatie. Welche Legalität! welche Größe! welche Logik! - Nationalversammlung. Sitzung vom 13. April. Um 11 Uhr sammelt sich die Commission wegen des Changarnier'schen Gesetzentwurfs. Martin (Straßburg) und Chauffour führen den Vorsitz; die Debatte ist außerordentlich heiß, Changarnier ist eine Art Cabinetsfrage geworden. Sechs Glieder tragen darauf an, den Minister des Innern zu zwingen, binnen 24 Stunden das Doppelkommando zurückzuziehen. Sie werden aber von 9 Ordnungsrittern überstimmt. Die Debatte ist noch nicht geschlossen, sondern wird am Montag fortgesetzt, wo auch Faucher zugezogen werden soll. Um 12 1/2 Uhr beginnt die öffentliche Sitzung. Nachdem Marrast gestern Abend 7 Uhr die Burger Jean Reynaud, Charton, Perignon, Pons, Lignier und Frederic Cuvier zu Gliedern des neuen Staatsraths proklamirt hatte, läßt er gleich nach der Protokolllesung zur Fortsetzung des Gcrutiniums schreiten. Dasselbe dauert bis 2 1/2 Uhr. Während dieser Operation vernimmt man, daß Broussais, Gerichtsdiener, auf Eugene Raspail Jagd mache, der sich mit dem "mauvais" Point, wie sich sein Onkel in Bourges ausdrückte, durchaus schießen will. Um 2 1/2 Uhr tragen die Huissiers die Urnen in einem Nebensaal und die Debatte über das Finanzbüdget wird wieder aufgenommen. Man war gestern bis zum Kapitel 5 (Amortisationen) gedrungen. Taillefer stellt den Antrag: "Der Finanzminister ist ermächtigt, die behufs Rückerstattung der Fünfundvierzigcentimensteuer nöthige Summe in das Staatsschuldenhauptbuch der 5pCt. Rente einzuschreiben etc." Stimmen zur Rechten (mit Wuth): Fallen lassen! Fallen lassen! Marrast: Es scheint mir in der That, als habe die Versammlung gestern durch Verwerfung des Flocon-Charxschen Antrags die Frage bereits entschieden. Taillefer dringt auf Abstimmung. Die Question prealable wird angenommen, d. h. die Versammlung tritt in gar keine Berathung des Amendements ein. Sie geht zu Kapitel 6 über. Kapitel 6-10 gehen hintereinander durch. Nur ein Kredit von 440,000 Fr. Pairspensionen (Jahresgehalte für die ehemaligen Glieder der Pairskammer) rufen einigen Kampf hervor, an welchem Passy, Finanzminister, Lherbette und Goudchaux den wärmsten Theil nehmen. Lherbette ruft: Diese Pensionen bildeten einen Bestandtheil der Pairswürde. Diese Pairswürde existirt aber nicht mehr, mithin müssen auch die Pensionen fallen. (Bravo zur Linken). Goudchaux: Nein! Nein! Das wäre ein böses Beispiel, wenn man legale Titel zerreiße ..... Passy: Es hieße ein Blatt aus dem Ehrenbuche Frankreichs reißen, w nn man diese Jahresgehalte streiche. (Oh! Oh!) Die Debatte ist sehr heiß. Die Angst, welche Passy und Goudchaux der Versammlung vor dem Bruch legaler Verträge einfloßten, bestimmte sie, die Lherbette'schen Abzüge mit 336 gegen 323 zu verwerfen und demnächst das Kapitel 11 mit 346 gegen 312 Stimmen anzunehmen. Considerant (Victor) unterbricht hier die Debatte. Ich beabsichtige, beginnt er mit seiner bekannten hohen Tenorstimme, morgen den Minister des Innern über die Mittel zur Rede zu stellen, mit welchen er den Socialismus zu bekämpfen gedenkt. Alles was er bisher gethan, sei unter aller Würde (detestable). Der ganze Staat leide darunter; die allgemeine Gährung sei selbst bis in diese Räume gedrungen. (Oh! Oh!) Ich bitte daher die Versammlung, mir zu erlauben, die Mittel zur Debatte zu bringen, durch welche allein die heraufbeschworne Staatsgefahr vermieden werden könne. Unter allgemeinem Geschrei und Gelächter beschließt die Versammlung, diese Interpellationen morgen anzuhören Mauguin dringt darauf, auch die Getränkesteuer auf die Tagesordnung des nächsten Montags zu setzen. Er giebt ein ganz anderes Octroisystem zum Besten. Goudchaux hält es für gefährlich, an den Staatseinnahmen zu rütteln. Er droht wieder wie im Februar 1848 mit dem Gespenst des Bankerotts. Die Versammlung kehrt zu Kapitel 12 des Finanzbüdgets zurück und bricht die Debatte bei Kapitel 24 ab, um sie morgen fortzusetzen. Marrast proklamirt E. Adam, Verninac, Dunoyes, Lasnay zu Staatsräthen. Die Sitzung wird um 6 1/4 geschlossen. Schweiz. Freiburg, 9. April. Welchen schweren Standpunkt bei uns eine liberale Regierung hat, zeigt das unaufhörliche Treiben und Wühlen unserer Pfaffenpartei. Der Sieg Radetzky's hat ihr neuen Muth gegeben, und unsre Jesuiten glauben schon fest, daß es nun Radetzky's wichtigste Aufgabe sein wird, auch bei uns Ordnung zu schaffen, d. h. unsere Pfaffenknechte wieder auf die grünen Sessel zu heben. Das Verbot, nach Neapel zu werben, hat neuen Staub aufgeworfen; daß die Ultramontanen selbst nicht hinziehen, versteht sich von selbst, sonst wäre ich mit den Werbungen einverstanden, besonders wenn lauter Sonderbundshelden von dannen zögen. Mit ihnen wäre aber dem König Ferdinand nicht geholfen, denn er kann keine Leute brauchen, die sich nur in Weinschenken schlagen, und da noch wie! (Schweiz. N. Ztg.) * Lugano, 8. April. Die Regierung der Lombardei tritt mit der tessinischen wiederum in Korrespondenz und zwar dießmal auf ganz höfliche Weise, dennoch verlangt aber der Kommandant von Como die Entfernung einiger lombardischen Flüchtlinge von der Grenze. Italien. * Ueber das Schicksal Genua's erhalten wir auch heute noch keine entscheidenden Nachrichten. Die Genueser Blätter v. 6. sind begreiflicher Weise wie die früheren wieder ausgeblieben; die Zeitungen aus Turin v. 9. bestätigen, daß beide Parteien noch immer ihre letzte Stellung behauptet haben. Die beiden nördlichen Seiten des Dreiecks, welches die Forts um die Stadt bilden, sind von La Marmora besetzt; auf der dritten, der Meerseite, befinden sich die beiden Hafendämme, der westliche Molo Nuovo, der östliche Molo Vecchio, deren ersterer ebenfalls in den Händen der Royalisten ist. Die Stadt ist daher in dem Dreieck der äußeren Forts auf den beiden nach Norden auslaufenden Seiten gänzlich, auf der Meerseite zur westlichen Hälfte von den Royalisten eingeschlossen, während die Republikaner Herren der innern Stadt sind. Dies war noch die Lage der Dinge am 6. Morgens, als die Capitulations-Deputation nach Turin abgegangen war. Ob aber die Republikaner von Genua bei der Rückkehr der Deputation in die Capitulation willigen werden, ob sie nicht vielmehr den Waffenstillstand zur neuen Befestigung der Stadt und Erwartung äußeren Entsatzes annahmen, ist eine andere Frage. Der Turiner Saggiatore v. 9. enthält eine Genuesische Correspondenz vom achten April, wonach Avezzana eine Kommission niedergesetzt hat, um jeden Einwohner, der sich weigert, die Waffen gegen die Royalisten zu ergreifen, sofort zu erschießen. Nach derselben Correspondenz hat Avezzano den Bürgern zugleich erklärt, daß er die Stadt eher in Brand stecken, als sie übergeben werde. Das Journal des Debats, welches ebenfalls an der Einwilligung der Republikaner in eine Kapitulation zweifelt, theilt uns zugleich mit, daß die Republikaner vortrefflich mit Militairkräften, Gewehren, Kanonen und sämmtlicher Kriegsmunition der beiden großen Arsenale ausgerüstet seien. Unter den Proletarierbataillonen befinden sich mehrere hundert Mann der letzten Garnison, welche zu dem Volk übergegangen sind, und im Laufe des 6., bevor La Marmora seine BlokadeOperationen bis zur östlichsten Rhede (riviera del Levante) ausdehnen konnte, kamen durch die Porla Pilo, von der Seite Bisagno's noch 2000 Lombarden zu den Republikanern in die Stadt. Es sind dies dieselben "feigen Lombarden," welche der jüdisch-belletristische Levy Schmuhl der Kölnischen Zeitung und Schwanbeck, der "kühne" Bierbruder preußischer Polizisten, so glülich zu vernichten wissen. Endlich berichtet noch eine Turiner Korrespondenz vom 8. im Journal des Debats, daß sich im Rücken La Marmoras die liquerischen Gebirgsbauern in Masse erhoben und die Belagerungs-Armee vollständig abgeschnitten haben. Dasselbe Blatt fügt nach Berichten über Marseille hinzu, daß Avazzana bereits während des Waffenstillstandes mehrere Angriffe auf die Forts versucht habe, die jedoch zurückgeschlagen worden seien. Alle diese übereinstimmenden Nachrichten lassen wie gesagt darauf schließen, daß die Republikaner den Waffenstillstand nicht zum wirklichen Zweck der Kapitulation, sondern als Ruhe zu neuem, verstärktem Widerstand angenommen haben. Dagegen behauptet unsere Pariser Korrespondenz, daß der dortigen Regierung mittelst telegraphischer Depesche die definitive Nachricht von der Kapitulation Genuas zugegangen sei. Wir legen aus guter Erfahrung solchen Telegraphen-Depeschen des verschuldeten Börsenspekulanten Bonaparte nicht die geringste Bedeutung bei. Nichtsdestoweniger aber machen wir uns deshalb keine Illusionen über die Lage der unglücklichen, ihrem königlichen Henker geopferten Stadt. Es kann sein, daß die telegraphische Depesche durch irgend einen Zufall diesmal keinen Anachronismus begangen hat; es kann sein, daß La Marmora durch die Furcht vor den hinter ihm stehenden Bauern zu einem verstärkten Angriff getrieben wurde und daß die Republikaner selbst durch den Verrath der "Wohlgesinnten" ihre Sache, für welche sie mit dem beispiellosen Heldenmuth kämpften, endlich verloren sahen. Allein eben so möglich ist es auch, daß das Genuesische Proletariat im Vertrauen auf äußere Hülfe von Neuem seinen Heldenkampf begonnen, und Avezzana seine Drohung wahr gemacht hat. Vielleicht werden wir schon morgen die entscheidende Nachricht darüber haben. * Rom, 4. April. Nach Berichten der Tessiner Zeitung vom 7. soll der General Garibaldi in das Königreich Neapel eingefallen sein, und die Feindseligkeiten sofort eröffnet haben. Ungarn. Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. Redakteur en chef Karl Marx. Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. Piemontesische Armee zu schlagen. Am Tage, wo diese traurige Nachricht bekannt ward, da sahen wir den Diktator in einer seltsamen Ueberraschung: er hörte plötzlich auf, mit seinem Röhrlein zu spielen, wenn er sprach. Er war so wenig auf dieses Ereigniß vorbereitet, so wenig wie der honnetteste Mann von der Welt darauf vorbereitet sein kann, einen Ziegelstein auf sein Haupt zu bekommen: und das macht sicherlich große Ehre seinem politischen und militärischen Genie. Er vermuthete nicht im Geringsten, daß, wenn Radetzki vier Monate lang den Todten gespielt hat, dies einzig und allein der Alpenarmee zu danken war. Und Cavaignac, der die Alpenarmee per Post hatte zurückholen lassen, ohne daß die mindeste Veranlassung hierzu da gewesen wäre, dachte in der Einfalt seines Herzens, daß die Oestreicher nichts davon erfahren oder doch davon keinen Nutzen ziehen würden. Nach vier Tagen der größten Angst, nach wiederholten Konsultationen mit den Börsenspekulanten, erfand endlich Cavaignac die englisch-französische Vermittlung. Wir haben gesehen, wie er der Versammlung zu wissen that, daß er mit England unterhandle ‒ im Interesse Italien's, und daß man ihn weiter nichts zu fragen hätte; daß er übrigens bereit sei, abzudanken, wenn man darauf bestehe. Wir haben gesehen, wie er den Bastide, den verschwiegenen Bastide auf die Tribüne zog, um ihn sagen zu lassen, daß man unterhandle, um Italien „frei zu machen“, und daß man ja stille, ja verschwiegen sein solle. Und dieser unbeschränkte Diktator, so lakonisch in seinen Erklärungen, der Alles that, was er wollte, und nie etwas sagte von dem, was er that; dieser Diktator hat den 30. März das Wort genommen, um die Verantwortlichkeit seiner Handlungen abzulehnen. Die Versammlung ist solidarisch verantwortlich für die Thaten und Worte des Herrn Cavaignac, denn sie hatte ja dem Herrn Cavaignac die Diktatur verliehen. Aber diese Solidarität ist es nicht, welche Cavaignac in Anspruch genommen; es ist die moralische Solidarität in ihrer ganzen Ausdehnung. Wie klein, wie demüthig hat er sich gestellt! ‒ Die Versammlung war's, welche regierte; er war nur das gehorsame, gelehrige Werkzeug der Willensäußerungen dieser Versammlung. Er hat vor ihr Rechnung abgelegt über alle seine Thaten von jedem Tage, von jeder Stunde. Ja, ja, die Versammlung ist's, die regiert hat, sie hat die Alpenarmte dislozirt; und sie, gerade sie war am meisten verblüfft, als die Oestreicher am Tessin erschienen, 14 Tage nach der Juni-Schlacht. Ja, ja, die englisch-französische Mediation war eine Erfindung der Kammer! Die Kammer war's, welche öffentlich erklärte: „Ich unterhandle, um Italien frei zu machen, und wirklich hat die Kammer heimlich unterhandelt auf Grundlage der Traktate von 1815. Die Kammer ist's, welche den Waffenstillstand unterzeichnet hat, in Folge dessen die vermittelnden Mächte den König von Sardinien seinem Schicksale überlassen wollten, wenn er den Krieg wieder beginnen würde. Und das Alles hat Cavaignac von der Tribüne herab mit einer Gemüthsruhe erklärt, wie in den schönsten Tagen nach dem Juni. Sein unsterbliches Röhrlein hätte keine salbungsvollere, gewandtere und geschmeidigere Rede halten können. Der Mann, der im Monat August mit sozialer Wahrheit und Natürlichkeit den beschämten, verlegenen Diktator, den großen Staatsmann und Feldherrn gespielt hat, der bei der ersten Bewegung Radetzki's den Kopf verloren hatte, der unbefangene, unschuldige Politiker, der sich an die englische Allianz angeklammert, wie ein Ertrinkender sich an eine Trauerweide anklammert, derselbe Mann hat es gewagt zu sagen, das die englisch-französische Vermittlung bei ihm eine „vorgefaßte Idee“ war, daß er von jeher daran gedacht habe. Ich bin wirklich erstaunt, daß, als er die Hand auf sein Herz oder seine Weste legte, er nicht gesagt hat, er habe schon vor 18 Jahren, in der arabischen Wüste daran gedacht. In seinem erneuerten Anfalle von Eitelkeit merkte er gar nicht die ungeheuren Widersprüche, in die er sich verwickelt hatte. Nachdem er auf die schmählichste Weise die Verantwortlichkeit seiner Thaten abgelehnt, sah es völlig aus, als reklamirte er die Autorschaft, die Vaterschaft aller Dummheiten und Widersprüche der französischen Diplomatie. Welche Legalität! welche Größe! welche Logik! ‒ Nationalversammlung. Sitzung vom 13. April. Um 11 Uhr sammelt sich die Commission wegen des Changarnier'schen Gesetzentwurfs. Martin (Straßburg) und Chauffour führen den Vorsitz; die Debatte ist außerordentlich heiß, Changarnier ist eine Art Cabinetsfrage geworden. Sechs Glieder tragen darauf an, den Minister des Innern zu zwingen, binnen 24 Stunden das Doppelkommando zurückzuziehen. Sie werden aber von 9 Ordnungsrittern überstimmt. Die Debatte ist noch nicht geschlossen, sondern wird am Montag fortgesetzt, wo auch Faucher zugezogen werden soll. Um 12 1/2 Uhr beginnt die öffentliche Sitzung. Nachdem Marrast gestern Abend 7 Uhr die Burger Jean Reynaud, Charton, Perignon, Pons, Lignier und Frederic Cuvier zu Gliedern des neuen Staatsraths proklamirt hatte, läßt er gleich nach der Protokolllesung zur Fortsetzung des Gcrutiniums schreiten. Dasselbe dauert bis 2 1/2 Uhr. Während dieser Operation vernimmt man, daß Broussais, Gerichtsdiener, auf Eugene Raspail Jagd mache, der sich mit dem „mauvais“ Point, wie sich sein Onkel in Bourges ausdrückte, durchaus schießen will. Um 2 1/2 Uhr tragen die Huissiers die Urnen in einem Nebensaal und die Debatte über das Finanzbüdget wird wieder aufgenommen. Man war gestern bis zum Kapitel 5 (Amortisationen) gedrungen. Taillefer stellt den Antrag: „Der Finanzminister ist ermächtigt, die behufs Rückerstattung der Fünfundvierzigcentimensteuer nöthige Summe in das Staatsschuldenhauptbuch der 5pCt. Rente einzuschreiben etc.“ Stimmen zur Rechten (mit Wuth): Fallen lassen! Fallen lassen! Marrast: Es scheint mir in der That, als habe die Versammlung gestern durch Verwerfung des Flocon-Charxschen Antrags die Frage bereits entschieden. Taillefer dringt auf Abstimmung. Die Question préalable wird angenommen, d. h. die Versammlung tritt in gar keine Berathung des Amendements ein. Sie geht zu Kapitel 6 über. Kapitel 6-10 gehen hintereinander durch. Nur ein Kredit von 440,000 Fr. Pairspensionen (Jahresgehalte für die ehemaligen Glieder der Pairskammer) rufen einigen Kampf hervor, an welchem Passy, Finanzminister, Lherbette und Goudchaux den wärmsten Theil nehmen. Lherbette ruft: Diese Pensionen bildeten einen Bestandtheil der Pairswürde. Diese Pairswürde existirt aber nicht mehr, mithin müssen auch die Pensionen fallen. (Bravo zur Linken). Goudchaux: Nein! Nein! Das wäre ein böses Beispiel, wenn man legale Titel zerreiße ‥… Passy: Es hieße ein Blatt aus dem Ehrenbuche Frankreichs reißen, w nn man diese Jahresgehalte streiche. (Oh! Oh!) Die Debatte ist sehr heiß. Die Angst, welche Passy und Goudchaux der Versammlung vor dem Bruch legaler Verträge einfloßten, bestimmte sie, die Lherbette'schen Abzüge mit 336 gegen 323 zu verwerfen und demnächst das Kapitel 11 mit 346 gegen 312 Stimmen anzunehmen. Considerant (Victor) unterbricht hier die Debatte. Ich beabsichtige, beginnt er mit seiner bekannten hohen Tenorstimme, morgen den Minister des Innern über die Mittel zur Rede zu stellen, mit welchen er den Socialismus zu bekämpfen gedenkt. Alles was er bisher gethan, sei unter aller Würde (detestable). Der ganze Staat leide darunter; die allgemeine Gährung sei selbst bis in diese Räume gedrungen. (Oh! Oh!) Ich bitte daher die Versammlung, mir zu erlauben, die Mittel zur Debatte zu bringen, durch welche allein die heraufbeschworne Staatsgefahr vermieden werden könne. Unter allgemeinem Geschrei und Gelächter beschließt die Versammlung, diese Interpellationen morgen anzuhören Mauguin dringt darauf, auch die Getränkesteuer auf die Tagesordnung des nächsten Montags zu setzen. Er giebt ein ganz anderes Octroisystem zum Besten. Goudchaux hält es für gefährlich, an den Staatseinnahmen zu rütteln. Er droht wieder wie im Februar 1848 mit dem Gespenst des Bankerotts. Die Versammlung kehrt zu Kapitel 12 des Finanzbüdgets zurück und bricht die Debatte bei Kapitel 24 ab, um sie morgen fortzusetzen. Marrast proklamirt E. Adam, Verninac, Dunoyes, Lasnay zu Staatsräthen. Die Sitzung wird um 6 1/4 geschlossen. Schweiz. Freiburg, 9. April. Welchen schweren Standpunkt bei uns eine liberale Regierung hat, zeigt das unaufhörliche Treiben und Wühlen unserer Pfaffenpartei. Der Sieg Radetzky's hat ihr neuen Muth gegeben, und unsre Jesuiten glauben schon fest, daß es nun Radetzky's wichtigste Aufgabe sein wird, auch bei uns Ordnung zu schaffen, d. h. unsere Pfaffenknechte wieder auf die grünen Sessel zu heben. Das Verbot, nach Neapel zu werben, hat neuen Staub aufgeworfen; daß die Ultramontanen selbst nicht hinziehen, versteht sich von selbst, sonst wäre ich mit den Werbungen einverstanden, besonders wenn lauter Sonderbundshelden von dannen zögen. Mit ihnen wäre aber dem König Ferdinand nicht geholfen, denn er kann keine Leute brauchen, die sich nur in Weinschenken schlagen, und da noch wie! (Schweiz. N. Ztg.) * Lugano, 8. April. Die Regierung der Lombardei tritt mit der tessinischen wiederum in Korrespondenz und zwar dießmal auf ganz höfliche Weise, dennoch verlangt aber der Kommandant von Como die Entfernung einiger lombardischen Flüchtlinge von der Grenze. Italien. * Ueber das Schicksal Genua's erhalten wir auch heute noch keine entscheidenden Nachrichten. Die Genueser Blätter v. 6. sind begreiflicher Weise wie die früheren wieder ausgeblieben; die Zeitungen aus Turin v. 9. bestätigen, daß beide Parteien noch immer ihre letzte Stellung behauptet haben. Die beiden nördlichen Seiten des Dreiecks, welches die Forts um die Stadt bilden, sind von La Marmora besetzt; auf der dritten, der Meerseite, befinden sich die beiden Hafendämme, der westliche Molo Nuovo, der östliche Molo Vecchio, deren ersterer ebenfalls in den Händen der Royalisten ist. Die Stadt ist daher in dem Dreieck der äußeren Forts auf den beiden nach Norden auslaufenden Seiten gänzlich, auf der Meerseite zur westlichen Hälfte von den Royalisten eingeschlossen, während die Republikaner Herren der innern Stadt sind. Dies war noch die Lage der Dinge am 6. Morgens, als die Capitulations-Deputation nach Turin abgegangen war. Ob aber die Republikaner von Genua bei der Rückkehr der Deputation in die Capitulation willigen werden, ob sie nicht vielmehr den Waffenstillstand zur neuen Befestigung der Stadt und Erwartung äußeren Entsatzes annahmen, ist eine andere Frage. Der Turiner Saggiatore v. 9. enthält eine Genuesische Correspondenz vom achten April, wonach Avezzana eine Kommission niedergesetzt hat, um jeden Einwohner, der sich weigert, die Waffen gegen die Royalisten zu ergreifen, sofort zu erschießen. Nach derselben Correspondenz hat Avezzano den Bürgern zugleich erklärt, daß er die Stadt eher in Brand stecken, als sie übergeben werde. Das Journal des Debats, welches ebenfalls an der Einwilligung der Republikaner in eine Kapitulation zweifelt, theilt uns zugleich mit, daß die Republikaner vortrefflich mit Militairkräften, Gewehren, Kanonen und sämmtlicher Kriegsmunition der beiden großen Arsenale ausgerüstet seien. Unter den Proletarierbataillonen befinden sich mehrere hundert Mann der letzten Garnison, welche zu dem Volk übergegangen sind, und im Laufe des 6., bevor La Marmora seine BlokadeOperationen bis zur östlichsten Rhede (riviera del Levante) ausdehnen konnte, kamen durch die Porla Pilo, von der Seite Bisagno's noch 2000 Lombarden zu den Republikanern in die Stadt. Es sind dies dieselben „feigen Lombarden,“ welche der jüdisch-belletristische Levy Schmuhl der Kölnischen Zeitung und Schwanbeck, der „kühne“ Bierbruder preußischer Polizisten, so glülich zu vernichten wissen. Endlich berichtet noch eine Turiner Korrespondenz vom 8. im Journal des Debats, daß sich im Rücken La Marmoras die liquerischen Gebirgsbauern in Masse erhoben und die Belagerungs-Armee vollständig abgeschnitten haben. Dasselbe Blatt fügt nach Berichten über Marseille hinzu, daß Avazzana bereits während des Waffenstillstandes mehrere Angriffe auf die Forts versucht habe, die jedoch zurückgeschlagen worden seien. Alle diese übereinstimmenden Nachrichten lassen wie gesagt darauf schließen, daß die Republikaner den Waffenstillstand nicht zum wirklichen Zweck der Kapitulation, sondern als Ruhe zu neuem, verstärktem Widerstand angenommen haben. Dagegen behauptet unsere Pariser Korrespondenz, daß der dortigen Regierung mittelst telegraphischer Depesche die definitive Nachricht von der Kapitulation Genuas zugegangen sei. Wir legen aus guter Erfahrung solchen Telegraphen-Depeschen des verschuldeten Börsenspekulanten Bonaparte nicht die geringste Bedeutung bei. Nichtsdestoweniger aber machen wir uns deshalb keine Illusionen über die Lage der unglücklichen, ihrem königlichen Henker geopferten Stadt. Es kann sein, daß die telegraphische Depesche durch irgend einen Zufall diesmal keinen Anachronismus begangen hat; es kann sein, daß La Marmora durch die Furcht vor den hinter ihm stehenden Bauern zu einem verstärkten Angriff getrieben wurde und daß die Republikaner selbst durch den Verrath der „Wohlgesinnten“ ihre Sache, für welche sie mit dem beispiellosen Heldenmuth kämpften, endlich verloren sahen. Allein eben so möglich ist es auch, daß das Genuesische Proletariat im Vertrauen auf äußere Hülfe von Neuem seinen Heldenkampf begonnen, und Avezzana seine Drohung wahr gemacht hat. Vielleicht werden wir schon morgen die entscheidende Nachricht darüber haben. * Rom, 4. April. Nach Berichten der Tessiner Zeitung vom 7. soll der General Garibaldi in das Königreich Neapel eingefallen sein, und die Feindseligkeiten sofort eröffnet haben. Ungarn. Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. Redakteur en chef Karl Marx. Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div xml:id="ar273-2_017" type="jArticle"> <p><pb facs="#f0003" n="1545"/> Piemontesische Armee zu schlagen. Am Tage, wo diese traurige Nachricht bekannt ward, da sahen wir den Diktator in einer seltsamen Ueberraschung: er hörte plötzlich auf, mit seinem Röhrlein zu spielen, wenn er sprach. Er war so wenig auf dieses Ereigniß vorbereitet, so wenig wie der honnetteste Mann von der Welt darauf vorbereitet sein kann, einen Ziegelstein auf sein Haupt zu bekommen: und das macht sicherlich große Ehre seinem politischen und militärischen Genie. Er vermuthete nicht im Geringsten, daß, wenn Radetzki vier Monate lang den Todten gespielt hat, dies einzig und allein der Alpenarmee zu danken war.</p> <p>Und Cavaignac, der die Alpenarmee per Post hatte zurückholen lassen, ohne daß die mindeste Veranlassung hierzu da gewesen wäre, dachte in der Einfalt seines Herzens, daß die Oestreicher nichts davon erfahren oder doch davon keinen Nutzen ziehen würden.</p> <p>Nach vier Tagen der größten Angst, nach wiederholten Konsultationen mit den Börsenspekulanten, erfand endlich Cavaignac die englisch-französische Vermittlung.</p> <p>Wir haben gesehen, wie er der Versammlung zu wissen that, daß er mit England unterhandle ‒ im Interesse Italien's, und daß man ihn weiter nichts zu fragen hätte; daß er übrigens bereit sei, abzudanken, wenn man darauf bestehe. Wir haben gesehen, wie er den Bastide, den verschwiegenen Bastide auf die Tribüne zog, um ihn sagen zu lassen, daß man unterhandle, um Italien „frei zu machen“, und daß man ja stille, ja verschwiegen sein solle.</p> <p>Und dieser unbeschränkte Diktator, so lakonisch in seinen Erklärungen, der Alles that, was er wollte, und nie etwas sagte von dem, was er that; dieser Diktator hat den 30. März das Wort genommen, um die Verantwortlichkeit seiner Handlungen abzulehnen. Die Versammlung ist solidarisch verantwortlich für die Thaten und Worte des Herrn Cavaignac, denn sie hatte ja dem Herrn Cavaignac die Diktatur verliehen. Aber diese Solidarität ist es nicht, welche Cavaignac in Anspruch genommen; es ist die moralische Solidarität in ihrer ganzen Ausdehnung. Wie klein, wie demüthig hat er sich gestellt! ‒ Die Versammlung war's, welche regierte; er war nur das gehorsame, gelehrige Werkzeug der Willensäußerungen dieser Versammlung. 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Sein unsterbliches Röhrlein hätte keine salbungsvollere, gewandtere und geschmeidigere Rede halten können.</p> <p>Der Mann, der im Monat August mit sozialer Wahrheit und Natürlichkeit den beschämten, verlegenen Diktator, den großen Staatsmann und Feldherrn gespielt hat, der bei der ersten Bewegung Radetzki's den Kopf verloren hatte, der unbefangene, unschuldige Politiker, der sich an die englische Allianz angeklammert, wie ein Ertrinkender sich an eine Trauerweide anklammert, derselbe Mann hat es gewagt zu sagen, das die englisch-französische Vermittlung bei ihm eine „<hi rendition="#g">vorgefaßte Idee</hi>“ war, daß er von jeher daran gedacht habe. Ich bin wirklich erstaunt, daß, als er die Hand auf sein Herz oder seine Weste legte, er nicht gesagt hat, er habe schon vor 18 Jahren, in der arabischen Wüste daran gedacht. In seinem erneuerten Anfalle von Eitelkeit merkte er gar nicht die ungeheuren Widersprüche, in die er sich verwickelt hatte. Nachdem er auf die schmählichste Weise die Verantwortlichkeit seiner Thaten abgelehnt, sah es völlig aus, als reklamirte er die Autorschaft, die Vaterschaft aller Dummheiten und Widersprüche der französischen Diplomatie. Welche Legalität! welche Größe! welche Logik!</p> <p>‒ <hi rendition="#g">Nationalversammlung.</hi> Sitzung vom 13. April. Um 11 Uhr sammelt sich die Commission wegen des Changarnier'schen Gesetzentwurfs. Martin (Straßburg) und Chauffour führen den Vorsitz; die Debatte ist außerordentlich heiß, Changarnier ist eine Art Cabinetsfrage geworden. Sechs Glieder tragen darauf an, den Minister des Innern zu zwingen, binnen 24 Stunden das Doppelkommando zurückzuziehen. Sie werden aber von 9 Ordnungsrittern überstimmt. Die Debatte ist noch nicht geschlossen, sondern wird am Montag fortgesetzt, wo auch Faucher zugezogen werden soll.</p> <p>Um 12 1/2 Uhr beginnt die öffentliche Sitzung. Nachdem Marrast gestern Abend 7 Uhr die Burger Jean Reynaud, Charton, Perignon, Pons, Lignier und Frederic Cuvier zu Gliedern des neuen Staatsraths proklamirt hatte, läßt er gleich nach der Protokolllesung zur Fortsetzung des Gcrutiniums schreiten.</p> <p>Dasselbe dauert bis 2 1/2 Uhr.</p> <p>Während dieser Operation vernimmt man, daß Broussais, Gerichtsdiener, auf Eugene Raspail Jagd mache, der sich mit dem „mauvais“ Point, wie sich sein Onkel in Bourges ausdrückte, durchaus schießen will.</p> <p>Um 2 1/2 Uhr tragen die Huissiers die Urnen in einem Nebensaal und die Debatte über das Finanzbüdget wird wieder aufgenommen.</p> <p>Man war gestern bis zum Kapitel 5 (Amortisationen) gedrungen.</p> <p><hi rendition="#g">Taillefer</hi> stellt den Antrag:</p> <p>„Der Finanzminister ist ermächtigt, die behufs Rückerstattung der Fünfundvierzigcentimensteuer nöthige Summe in das Staatsschuldenhauptbuch der 5pCt. Rente einzuschreiben etc.“</p> <p>Stimmen zur Rechten (mit Wuth): Fallen lassen! Fallen lassen!</p> <p><hi rendition="#g">Marrast:</hi> Es scheint mir in der That, als habe die Versammlung gestern durch Verwerfung des Flocon-Charxschen Antrags die Frage bereits entschieden.</p> <p><hi rendition="#g">Taillefer</hi> dringt auf Abstimmung.</p> <p>Die Question préalable wird angenommen, d. h. die Versammlung tritt in gar keine Berathung des Amendements ein.</p> <p>Sie geht zu Kapitel 6 über.</p> <p>Kapitel 6-10 gehen hintereinander durch. Nur ein Kredit von 440,000 Fr. Pairspensionen (Jahresgehalte für die ehemaligen Glieder der Pairskammer) rufen einigen Kampf hervor, an welchem Passy, Finanzminister, Lherbette und Goudchaux den wärmsten Theil nehmen.</p> <p><hi rendition="#g">Lherbette</hi> ruft: Diese Pensionen bildeten einen Bestandtheil der Pairswürde. Diese Pairswürde existirt aber nicht mehr, mithin müssen auch die Pensionen fallen. (Bravo zur Linken).</p> <p><hi rendition="#g">Goudchaux:</hi> Nein! Nein! Das wäre ein böses Beispiel, wenn man legale Titel zerreiße ‥…</p> <p><hi rendition="#g">Passy:</hi> Es hieße ein Blatt aus dem Ehrenbuche Frankreichs reißen, w nn man diese Jahresgehalte streiche. (Oh! Oh!)</p> <p>Die Debatte ist sehr heiß.</p> <p>Die Angst, welche Passy und Goudchaux der Versammlung vor dem Bruch legaler Verträge einfloßten, bestimmte sie, die Lherbette'schen Abzüge mit 336 gegen 323 zu verwerfen und demnächst das Kapitel 11 mit 346 gegen 312 Stimmen anzunehmen.</p> <p><hi rendition="#g">Considerant</hi> (Victor) unterbricht hier die Debatte. Ich beabsichtige, beginnt er mit seiner bekannten hohen Tenorstimme, morgen den Minister des Innern über die Mittel zur Rede zu stellen, mit welchen er den Socialismus zu bekämpfen gedenkt. Alles was er bisher gethan, sei unter aller Würde (detestable). Der ganze Staat leide darunter; die allgemeine Gährung sei selbst bis in diese Räume gedrungen. (Oh! Oh!) Ich bitte daher die Versammlung, mir zu erlauben, die Mittel zur Debatte zu bringen, durch welche allein die heraufbeschworne Staatsgefahr vermieden werden könne.</p> <p>Unter allgemeinem Geschrei und Gelächter beschließt die Versammlung, diese Interpellationen morgen anzuhören</p> <p><hi rendition="#g">Mauguin</hi> dringt darauf, auch die Getränkesteuer auf die Tagesordnung des nächsten Montags zu setzen. Er giebt ein ganz anderes Octroisystem zum Besten.</p> <p><hi rendition="#g">Goudchaux</hi> hält es für gefährlich, an den Staatseinnahmen zu rütteln. Er droht wieder wie im Februar 1848 mit dem Gespenst des Bankerotts.</p> <p>Die Versammlung kehrt zu Kapitel 12 des Finanzbüdgets zurück und bricht die Debatte bei Kapitel 24 ab, um sie morgen fortzusetzen.</p> <p><hi rendition="#g">Marrast</hi> proklamirt E. Adam, Verninac, Dunoyes, Lasnay zu Staatsräthen.</p> <p>Die Sitzung wird um 6 1/4 geschlossen.</p> </div> </div> <div n="1"> <head>Schweiz.</head> <div xml:id="ar273-2_018" type="jArticle"> <head>Freiburg, 9. April.</head> <p>Welchen schweren Standpunkt bei uns eine liberale Regierung hat, zeigt das unaufhörliche Treiben und Wühlen unserer Pfaffenpartei. Der Sieg Radetzky's hat ihr neuen Muth gegeben, und unsre Jesuiten glauben schon fest, daß es nun Radetzky's wichtigste Aufgabe sein wird, auch bei uns Ordnung zu schaffen, d. h. unsere Pfaffenknechte wieder auf die grünen Sessel zu heben. Das Verbot, nach Neapel zu werben, hat neuen Staub aufgeworfen; daß die Ultramontanen selbst nicht hinziehen, versteht sich von selbst, sonst wäre ich mit den Werbungen einverstanden, besonders wenn lauter Sonderbundshelden von dannen zögen. Mit ihnen wäre aber dem König Ferdinand nicht geholfen, denn er kann keine Leute brauchen, die sich nur in Weinschenken schlagen, und da noch wie!</p> <bibl>(Schweiz. N. Ztg.)</bibl> </div> <div xml:id="ar273-2_019" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Lugano, 8. April.</head> <p>Die Regierung der Lombardei tritt mit der tessinischen wiederum in Korrespondenz und zwar dießmal auf ganz höfliche Weise, dennoch verlangt aber der Kommandant von Como die Entfernung einiger lombardischen Flüchtlinge von der Grenze.</p> </div> </div> <div n="1"> <head>Italien.</head> <div xml:id="ar273-2_020" type="jArticle"> <p><bibl><author>*</author></bibl> Ueber das Schicksal <hi rendition="#g">Genua's</hi> erhalten wir auch heute noch keine entscheidenden Nachrichten. Die Genueser Blätter v. 6. sind begreiflicher Weise wie die früheren wieder ausgeblieben; die Zeitungen aus Turin v. 9. bestätigen, daß beide Parteien noch immer ihre letzte Stellung behauptet haben. Die beiden nördlichen Seiten des Dreiecks, welches die Forts um die Stadt bilden, sind von La Marmora besetzt; auf der dritten, der Meerseite, befinden sich die beiden Hafendämme, der westliche Molo Nuovo, der östliche Molo Vecchio, deren ersterer ebenfalls in den Händen der Royalisten ist. Die Stadt ist daher in dem Dreieck der äußeren Forts auf den beiden nach Norden auslaufenden Seiten gänzlich, auf der Meerseite zur westlichen Hälfte von den Royalisten eingeschlossen, während die Republikaner Herren der innern Stadt sind.</p> <p>Dies war noch die Lage der Dinge am 6. Morgens, als die Capitulations-Deputation nach Turin abgegangen war. Ob aber die Republikaner von Genua bei der Rückkehr der Deputation in die Capitulation willigen werden, ob sie nicht vielmehr den Waffenstillstand zur neuen Befestigung der Stadt und Erwartung äußeren Entsatzes annahmen, ist eine andere Frage.</p> <p>Der Turiner Saggiatore v. 9. enthält eine Genuesische Correspondenz vom <hi rendition="#g">achten</hi> April, wonach Avezzana eine Kommission niedergesetzt hat, <hi rendition="#g">um jeden Einwohner, der sich weigert, die Waffen gegen die Royalisten zu ergreifen, sofort zu erschießen.</hi> Nach derselben Correspondenz hat Avezzano den Bürgern zugleich erklärt, <hi rendition="#g">daß er die Stadt eher in Brand stecken, als sie übergeben werde.</hi> </p> <p>Das Journal des Debats, welches ebenfalls an der Einwilligung der Republikaner in eine Kapitulation zweifelt, theilt uns zugleich mit, daß die Republikaner vortrefflich mit Militairkräften, Gewehren, Kanonen und sämmtlicher Kriegsmunition der beiden großen Arsenale ausgerüstet seien. Unter den Proletarierbataillonen befinden sich mehrere hundert Mann der letzten Garnison, welche zu dem Volk übergegangen sind, und im Laufe des 6., bevor La Marmora seine BlokadeOperationen bis zur östlichsten Rhede (riviera del Levante) ausdehnen konnte, kamen durch die Porla Pilo, von der Seite Bisagno's noch 2000 Lombarden zu den Republikanern in die Stadt. Es sind dies dieselben „<hi rendition="#g">feigen Lombarden,</hi>“ welche der jüdisch-belletristische Levy Schmuhl der Kölnischen Zeitung und Schwanbeck, der „kühne“ Bierbruder preußischer Polizisten, so glülich zu vernichten wissen.</p> <p>Endlich berichtet noch eine Turiner Korrespondenz vom 8. im Journal des Debats, daß sich im Rücken La Marmoras die liquerischen Gebirgsbauern in Masse erhoben und die Belagerungs-Armee vollständig abgeschnitten haben. Dasselbe Blatt fügt nach Berichten über Marseille hinzu, daß Avazzana bereits während des Waffenstillstandes mehrere Angriffe auf die Forts versucht habe, die jedoch zurückgeschlagen worden seien.</p> <p>Alle diese übereinstimmenden Nachrichten lassen wie gesagt darauf schließen, daß die Republikaner den Waffenstillstand nicht zum wirklichen Zweck der Kapitulation, sondern als Ruhe zu neuem, verstärktem Widerstand angenommen haben.</p> <p>Dagegen behauptet unsere Pariser Korrespondenz, daß der dortigen Regierung mittelst telegraphischer Depesche die definitive Nachricht von der Kapitulation Genuas zugegangen sei.</p> <p>Wir legen aus guter Erfahrung solchen Telegraphen-Depeschen des verschuldeten Börsenspekulanten Bonaparte nicht die geringste Bedeutung bei. Nichtsdestoweniger aber machen wir uns deshalb keine Illusionen über die Lage der unglücklichen, ihrem königlichen Henker geopferten Stadt. <hi rendition="#g">Es kann sein,</hi> daß die telegraphische Depesche durch irgend einen Zufall diesmal keinen Anachronismus begangen hat; <hi rendition="#g">es kann sein,</hi> daß La Marmora durch die Furcht vor den hinter ihm stehenden Bauern zu einem verstärkten Angriff getrieben wurde und daß die Republikaner selbst durch den Verrath der „Wohlgesinnten“ ihre Sache, für welche sie mit dem beispiellosen Heldenmuth kämpften, endlich verloren sahen. Allein eben so möglich ist es auch, daß das Genuesische Proletariat im Vertrauen auf äußere Hülfe von Neuem seinen Heldenkampf begonnen, und Avezzana seine Drohung wahr gemacht hat. Vielleicht werden wir schon morgen die entscheidende Nachricht darüber haben.</p> </div> <div xml:id="ar273-2_021" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Rom, 4. April.</head> <p>Nach Berichten der Tessiner Zeitung vom 7. soll der General Garibaldi in das Königreich Neapel eingefallen sein, und die Feindseligkeiten sofort eröffnet haben.</p> </div> </div> <div n="1"> <head>Ungarn.</head> <div xml:id="ar273-2_022_c" type="jArticle"> <note type="editorial">Edition: <bibl>Friedrich Engels: Vom Kriegsschauplatz, vorgesehen für: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi>, I/9. </bibl> </note> <gap reason="copyright"/> </div> </div> <div> <bibl>Redakteur en chef <editor>Karl Marx.</editor> </bibl> </div><lb/> <div type="jReadersLetters" n="1"> <div xml:id="ar273-2_023_c" type="jArticle"> <note type="editorial">Edition: <bibl>Friedrich Anneke/Karl Schapper/Karl Marx/Hermann Becker/Wilhelm Wolff: Erklärung, vorgesehen für: MEGA<hi rendition="#sup">2</hi>, I/9. </bibl> </note> <gap reason="copyright"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1545/0003]
Piemontesische Armee zu schlagen. Am Tage, wo diese traurige Nachricht bekannt ward, da sahen wir den Diktator in einer seltsamen Ueberraschung: er hörte plötzlich auf, mit seinem Röhrlein zu spielen, wenn er sprach. Er war so wenig auf dieses Ereigniß vorbereitet, so wenig wie der honnetteste Mann von der Welt darauf vorbereitet sein kann, einen Ziegelstein auf sein Haupt zu bekommen: und das macht sicherlich große Ehre seinem politischen und militärischen Genie. Er vermuthete nicht im Geringsten, daß, wenn Radetzki vier Monate lang den Todten gespielt hat, dies einzig und allein der Alpenarmee zu danken war.
Und Cavaignac, der die Alpenarmee per Post hatte zurückholen lassen, ohne daß die mindeste Veranlassung hierzu da gewesen wäre, dachte in der Einfalt seines Herzens, daß die Oestreicher nichts davon erfahren oder doch davon keinen Nutzen ziehen würden.
Nach vier Tagen der größten Angst, nach wiederholten Konsultationen mit den Börsenspekulanten, erfand endlich Cavaignac die englisch-französische Vermittlung.
Wir haben gesehen, wie er der Versammlung zu wissen that, daß er mit England unterhandle ‒ im Interesse Italien's, und daß man ihn weiter nichts zu fragen hätte; daß er übrigens bereit sei, abzudanken, wenn man darauf bestehe. Wir haben gesehen, wie er den Bastide, den verschwiegenen Bastide auf die Tribüne zog, um ihn sagen zu lassen, daß man unterhandle, um Italien „frei zu machen“, und daß man ja stille, ja verschwiegen sein solle.
Und dieser unbeschränkte Diktator, so lakonisch in seinen Erklärungen, der Alles that, was er wollte, und nie etwas sagte von dem, was er that; dieser Diktator hat den 30. März das Wort genommen, um die Verantwortlichkeit seiner Handlungen abzulehnen. Die Versammlung ist solidarisch verantwortlich für die Thaten und Worte des Herrn Cavaignac, denn sie hatte ja dem Herrn Cavaignac die Diktatur verliehen. Aber diese Solidarität ist es nicht, welche Cavaignac in Anspruch genommen; es ist die moralische Solidarität in ihrer ganzen Ausdehnung. Wie klein, wie demüthig hat er sich gestellt! ‒ Die Versammlung war's, welche regierte; er war nur das gehorsame, gelehrige Werkzeug der Willensäußerungen dieser Versammlung. Er hat vor ihr Rechnung abgelegt über alle seine Thaten von jedem Tage, von jeder Stunde.
Ja, ja, die Versammlung ist's, die regiert hat, sie hat die Alpenarmte dislozirt; und sie, gerade sie war am meisten verblüfft, als die Oestreicher am Tessin erschienen, 14 Tage nach der Juni-Schlacht.
Ja, ja, die englisch-französische Mediation war eine Erfindung der Kammer! Die Kammer war's, welche öffentlich erklärte: „Ich unterhandle, um Italien frei zu machen, und wirklich hat die Kammer heimlich unterhandelt auf Grundlage der Traktate von 1815. Die Kammer ist's, welche den Waffenstillstand unterzeichnet hat, in Folge dessen die vermittelnden Mächte den König von Sardinien seinem Schicksale überlassen wollten, wenn er den Krieg wieder beginnen würde. Und das Alles hat Cavaignac von der Tribüne herab mit einer Gemüthsruhe erklärt, wie in den schönsten Tagen nach dem Juni. Sein unsterbliches Röhrlein hätte keine salbungsvollere, gewandtere und geschmeidigere Rede halten können.
Der Mann, der im Monat August mit sozialer Wahrheit und Natürlichkeit den beschämten, verlegenen Diktator, den großen Staatsmann und Feldherrn gespielt hat, der bei der ersten Bewegung Radetzki's den Kopf verloren hatte, der unbefangene, unschuldige Politiker, der sich an die englische Allianz angeklammert, wie ein Ertrinkender sich an eine Trauerweide anklammert, derselbe Mann hat es gewagt zu sagen, das die englisch-französische Vermittlung bei ihm eine „vorgefaßte Idee“ war, daß er von jeher daran gedacht habe. Ich bin wirklich erstaunt, daß, als er die Hand auf sein Herz oder seine Weste legte, er nicht gesagt hat, er habe schon vor 18 Jahren, in der arabischen Wüste daran gedacht. In seinem erneuerten Anfalle von Eitelkeit merkte er gar nicht die ungeheuren Widersprüche, in die er sich verwickelt hatte. Nachdem er auf die schmählichste Weise die Verantwortlichkeit seiner Thaten abgelehnt, sah es völlig aus, als reklamirte er die Autorschaft, die Vaterschaft aller Dummheiten und Widersprüche der französischen Diplomatie. Welche Legalität! welche Größe! welche Logik!
‒ Nationalversammlung. Sitzung vom 13. April. Um 11 Uhr sammelt sich die Commission wegen des Changarnier'schen Gesetzentwurfs. Martin (Straßburg) und Chauffour führen den Vorsitz; die Debatte ist außerordentlich heiß, Changarnier ist eine Art Cabinetsfrage geworden. Sechs Glieder tragen darauf an, den Minister des Innern zu zwingen, binnen 24 Stunden das Doppelkommando zurückzuziehen. Sie werden aber von 9 Ordnungsrittern überstimmt. Die Debatte ist noch nicht geschlossen, sondern wird am Montag fortgesetzt, wo auch Faucher zugezogen werden soll.
Um 12 1/2 Uhr beginnt die öffentliche Sitzung. Nachdem Marrast gestern Abend 7 Uhr die Burger Jean Reynaud, Charton, Perignon, Pons, Lignier und Frederic Cuvier zu Gliedern des neuen Staatsraths proklamirt hatte, läßt er gleich nach der Protokolllesung zur Fortsetzung des Gcrutiniums schreiten.
Dasselbe dauert bis 2 1/2 Uhr.
Während dieser Operation vernimmt man, daß Broussais, Gerichtsdiener, auf Eugene Raspail Jagd mache, der sich mit dem „mauvais“ Point, wie sich sein Onkel in Bourges ausdrückte, durchaus schießen will.
Um 2 1/2 Uhr tragen die Huissiers die Urnen in einem Nebensaal und die Debatte über das Finanzbüdget wird wieder aufgenommen.
Man war gestern bis zum Kapitel 5 (Amortisationen) gedrungen.
Taillefer stellt den Antrag:
„Der Finanzminister ist ermächtigt, die behufs Rückerstattung der Fünfundvierzigcentimensteuer nöthige Summe in das Staatsschuldenhauptbuch der 5pCt. Rente einzuschreiben etc.“
Stimmen zur Rechten (mit Wuth): Fallen lassen! Fallen lassen!
Marrast: Es scheint mir in der That, als habe die Versammlung gestern durch Verwerfung des Flocon-Charxschen Antrags die Frage bereits entschieden.
Taillefer dringt auf Abstimmung.
Die Question préalable wird angenommen, d. h. die Versammlung tritt in gar keine Berathung des Amendements ein.
Sie geht zu Kapitel 6 über.
Kapitel 6-10 gehen hintereinander durch. Nur ein Kredit von 440,000 Fr. Pairspensionen (Jahresgehalte für die ehemaligen Glieder der Pairskammer) rufen einigen Kampf hervor, an welchem Passy, Finanzminister, Lherbette und Goudchaux den wärmsten Theil nehmen.
Lherbette ruft: Diese Pensionen bildeten einen Bestandtheil der Pairswürde. Diese Pairswürde existirt aber nicht mehr, mithin müssen auch die Pensionen fallen. (Bravo zur Linken).
Goudchaux: Nein! Nein! Das wäre ein böses Beispiel, wenn man legale Titel zerreiße ‥…
Passy: Es hieße ein Blatt aus dem Ehrenbuche Frankreichs reißen, w nn man diese Jahresgehalte streiche. (Oh! Oh!)
Die Debatte ist sehr heiß.
Die Angst, welche Passy und Goudchaux der Versammlung vor dem Bruch legaler Verträge einfloßten, bestimmte sie, die Lherbette'schen Abzüge mit 336 gegen 323 zu verwerfen und demnächst das Kapitel 11 mit 346 gegen 312 Stimmen anzunehmen.
Considerant (Victor) unterbricht hier die Debatte. Ich beabsichtige, beginnt er mit seiner bekannten hohen Tenorstimme, morgen den Minister des Innern über die Mittel zur Rede zu stellen, mit welchen er den Socialismus zu bekämpfen gedenkt. Alles was er bisher gethan, sei unter aller Würde (detestable). Der ganze Staat leide darunter; die allgemeine Gährung sei selbst bis in diese Räume gedrungen. (Oh! Oh!) Ich bitte daher die Versammlung, mir zu erlauben, die Mittel zur Debatte zu bringen, durch welche allein die heraufbeschworne Staatsgefahr vermieden werden könne.
Unter allgemeinem Geschrei und Gelächter beschließt die Versammlung, diese Interpellationen morgen anzuhören
Mauguin dringt darauf, auch die Getränkesteuer auf die Tagesordnung des nächsten Montags zu setzen. Er giebt ein ganz anderes Octroisystem zum Besten.
Goudchaux hält es für gefährlich, an den Staatseinnahmen zu rütteln. Er droht wieder wie im Februar 1848 mit dem Gespenst des Bankerotts.
Die Versammlung kehrt zu Kapitel 12 des Finanzbüdgets zurück und bricht die Debatte bei Kapitel 24 ab, um sie morgen fortzusetzen.
Marrast proklamirt E. Adam, Verninac, Dunoyes, Lasnay zu Staatsräthen.
Die Sitzung wird um 6 1/4 geschlossen.
Schweiz. Freiburg, 9. April. Welchen schweren Standpunkt bei uns eine liberale Regierung hat, zeigt das unaufhörliche Treiben und Wühlen unserer Pfaffenpartei. Der Sieg Radetzky's hat ihr neuen Muth gegeben, und unsre Jesuiten glauben schon fest, daß es nun Radetzky's wichtigste Aufgabe sein wird, auch bei uns Ordnung zu schaffen, d. h. unsere Pfaffenknechte wieder auf die grünen Sessel zu heben. Das Verbot, nach Neapel zu werben, hat neuen Staub aufgeworfen; daß die Ultramontanen selbst nicht hinziehen, versteht sich von selbst, sonst wäre ich mit den Werbungen einverstanden, besonders wenn lauter Sonderbundshelden von dannen zögen. Mit ihnen wäre aber dem König Ferdinand nicht geholfen, denn er kann keine Leute brauchen, die sich nur in Weinschenken schlagen, und da noch wie!
(Schweiz. N. Ztg.) * Lugano, 8. April. Die Regierung der Lombardei tritt mit der tessinischen wiederum in Korrespondenz und zwar dießmal auf ganz höfliche Weise, dennoch verlangt aber der Kommandant von Como die Entfernung einiger lombardischen Flüchtlinge von der Grenze.
Italien. * Ueber das Schicksal Genua's erhalten wir auch heute noch keine entscheidenden Nachrichten. Die Genueser Blätter v. 6. sind begreiflicher Weise wie die früheren wieder ausgeblieben; die Zeitungen aus Turin v. 9. bestätigen, daß beide Parteien noch immer ihre letzte Stellung behauptet haben. Die beiden nördlichen Seiten des Dreiecks, welches die Forts um die Stadt bilden, sind von La Marmora besetzt; auf der dritten, der Meerseite, befinden sich die beiden Hafendämme, der westliche Molo Nuovo, der östliche Molo Vecchio, deren ersterer ebenfalls in den Händen der Royalisten ist. Die Stadt ist daher in dem Dreieck der äußeren Forts auf den beiden nach Norden auslaufenden Seiten gänzlich, auf der Meerseite zur westlichen Hälfte von den Royalisten eingeschlossen, während die Republikaner Herren der innern Stadt sind.
Dies war noch die Lage der Dinge am 6. Morgens, als die Capitulations-Deputation nach Turin abgegangen war. Ob aber die Republikaner von Genua bei der Rückkehr der Deputation in die Capitulation willigen werden, ob sie nicht vielmehr den Waffenstillstand zur neuen Befestigung der Stadt und Erwartung äußeren Entsatzes annahmen, ist eine andere Frage.
Der Turiner Saggiatore v. 9. enthält eine Genuesische Correspondenz vom achten April, wonach Avezzana eine Kommission niedergesetzt hat, um jeden Einwohner, der sich weigert, die Waffen gegen die Royalisten zu ergreifen, sofort zu erschießen. Nach derselben Correspondenz hat Avezzano den Bürgern zugleich erklärt, daß er die Stadt eher in Brand stecken, als sie übergeben werde.
Das Journal des Debats, welches ebenfalls an der Einwilligung der Republikaner in eine Kapitulation zweifelt, theilt uns zugleich mit, daß die Republikaner vortrefflich mit Militairkräften, Gewehren, Kanonen und sämmtlicher Kriegsmunition der beiden großen Arsenale ausgerüstet seien. Unter den Proletarierbataillonen befinden sich mehrere hundert Mann der letzten Garnison, welche zu dem Volk übergegangen sind, und im Laufe des 6., bevor La Marmora seine BlokadeOperationen bis zur östlichsten Rhede (riviera del Levante) ausdehnen konnte, kamen durch die Porla Pilo, von der Seite Bisagno's noch 2000 Lombarden zu den Republikanern in die Stadt. Es sind dies dieselben „feigen Lombarden,“ welche der jüdisch-belletristische Levy Schmuhl der Kölnischen Zeitung und Schwanbeck, der „kühne“ Bierbruder preußischer Polizisten, so glülich zu vernichten wissen.
Endlich berichtet noch eine Turiner Korrespondenz vom 8. im Journal des Debats, daß sich im Rücken La Marmoras die liquerischen Gebirgsbauern in Masse erhoben und die Belagerungs-Armee vollständig abgeschnitten haben. Dasselbe Blatt fügt nach Berichten über Marseille hinzu, daß Avazzana bereits während des Waffenstillstandes mehrere Angriffe auf die Forts versucht habe, die jedoch zurückgeschlagen worden seien.
Alle diese übereinstimmenden Nachrichten lassen wie gesagt darauf schließen, daß die Republikaner den Waffenstillstand nicht zum wirklichen Zweck der Kapitulation, sondern als Ruhe zu neuem, verstärktem Widerstand angenommen haben.
Dagegen behauptet unsere Pariser Korrespondenz, daß der dortigen Regierung mittelst telegraphischer Depesche die definitive Nachricht von der Kapitulation Genuas zugegangen sei.
Wir legen aus guter Erfahrung solchen Telegraphen-Depeschen des verschuldeten Börsenspekulanten Bonaparte nicht die geringste Bedeutung bei. Nichtsdestoweniger aber machen wir uns deshalb keine Illusionen über die Lage der unglücklichen, ihrem königlichen Henker geopferten Stadt. Es kann sein, daß die telegraphische Depesche durch irgend einen Zufall diesmal keinen Anachronismus begangen hat; es kann sein, daß La Marmora durch die Furcht vor den hinter ihm stehenden Bauern zu einem verstärkten Angriff getrieben wurde und daß die Republikaner selbst durch den Verrath der „Wohlgesinnten“ ihre Sache, für welche sie mit dem beispiellosen Heldenmuth kämpften, endlich verloren sahen. Allein eben so möglich ist es auch, daß das Genuesische Proletariat im Vertrauen auf äußere Hülfe von Neuem seinen Heldenkampf begonnen, und Avezzana seine Drohung wahr gemacht hat. Vielleicht werden wir schon morgen die entscheidende Nachricht darüber haben.
* Rom, 4. April. Nach Berichten der Tessiner Zeitung vom 7. soll der General Garibaldi in das Königreich Neapel eingefallen sein, und die Feindseligkeiten sofort eröffnet haben.
Ungarn. _ Redakteur en chef Karl Marx.
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(2017-03-20T13:08:10Z)
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(2017-03-20T13:08:10Z)
Maria Ermakova, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Frank Wiegand: Konvertierung XML nach DTA-Basisformat
(2017-03-20T13:08:10Z)
Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 2 (Nummer 184 bis Nummer 301) Köln, 1. Januar 1849 bis 19. Mai 1849. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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