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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 21. Leipzig (Sachsen), 27. Mai 1843.

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[Beginn Spaltensatz] alle reinlich und ordentlich erhalten werden, einen Gar-
ten. Hierdurch sowie namentlich dadurch, daß sie freie
Unterthanen sind, freie Disposition über ihre Person und
ihr Eigenthum, eigene Gerichtsbarkeit haben und von den
Kriegsdiensten ausgenommen sind, unterscheiden sie sich
wesentlich von den russischen Kronbauern. Die ersten
Einwanderer waren in Folge eines unterm 22. Juli 1763
erlassenen Manifestes der Kaiserin Katharina II. gekom-
men, bestanden meist aus Würtembergern, Hessen und
Sachsen, waren aber, des Ackerbaus unkundig, genö-
thigt, eine ihrer frühern Lebensart ganz entgegengesetzte
zu führen und gingen, trotz aller Vergünstigungen, in
Noth und Sorgen und Heimweh nach dem Vaterlande
unter. Jhre Nachfolger, im Lande geboren und erzogen
und bekannt geworden mit den Eigenthümlichkeiten und
Vortheilen desselben, ernteten die Früchte ihrer Väter.



Die verkleideten Korsaren.

Anton Moede, Capitain eines Korsarenschiffs, welcher
sich, in den letzten Kriegen zwischen England und Frank-
reich, in Westindien einen berühmten Namen erworben
hat, commandirte einst ein kleines Fahrzeug, das mit
100 entschlossenen Männern bemannt war. Mit diesem
kleinen Fahrzeuge durchschnitt er, beutelustig, das schöne
Antillenmeer. Da trieb ihm der Wind einen reichen
englischen Kauffahrer entgegen, der nach Jamaica be-
stimmt war. Jhn angreifen und nehmen war für See-
leute, die gewöhnt waren, in ein Kauffahrteischiff mit
einer Leichtigkeit zu steigen wie in ein Billardzimmer,
die Sache weniger Augenblicke. Die Bemannung, nebst
18 männlichen und 10 weiblichen Reisenden, wurde an
den Bord des Korsaren, die Prise aber mit 30 Mann
nach Guadeloupe gebracht. Am nächsten Tage bemerkte
Moede mit Anbruch des Tags eine feindliche Kriegs-
brigg, welche grade auf ihn zusteuerte. Moede, welcher
der Brigg nicht gewachsen zu sein glaubte, befahl seinen
Leuten augenblicklich die Kleider der gefangenen Damen
anzuziehen und für diesen Zweck ihre Koffer nicht zu
schonen. Man gehorchte ihm auf der Stelle und bald
zeigten sich auf dem Verdecke wenigstens 50 Schönen.
Sie hielten die Sonnenschirme, welche die Frische ihres
Teints vor den zudringlichen Strahlen schützten, mit
so viel Anmuth und Grazie, als Männern, die an die
Mühseligkeiten des Kriegs und der Arbeit gewöhnt wa-
ren, nur irgend jemals möglich gewesen ist; denn es
galt unter dem Scheine, nichts als ein Küstenfahrzeug
zu sein, das harmlose Passagiere von Jnsel zu Jnsel
bringe, die Brigg von jedem Gedanken an eine Visita-
tion abzubringen, und so einem Kampfe zu entgehen,
der bei den überlegenen Kräften der Brigg offenbar zum
Verderben der Korsaren ausschlagen mußte. Aber alle
graziösen Wendungen und anmuthvollen Bewegungen
waren umsonst. Der Engländer ließ sich nicht täuschen
und schien zu wissen, welch derber Kern in den zarten
Kleiderhüllen steckte. Kaum war er daher dem Fahr-
zeuge auf Kanonenschußweite nahe gekommen, als er es
mit einer vollen Ladung aus allen Feuerschlünden be-
grüßte, die sich auf seiner Brigg befanden. Moede, von
der Fruchtlosigkeit jedes Versuchs zur Flucht überzeugt,
fragte nun seine Leute, ob sie mit ihm das Entern der
Brigg wagen wollten. Entern! Entern! riefen alle, wie
aus einem Munde, denn nur im Kampfe, Mann ge-
gen Mann, wäre Rettung möglich. Moede wandte
also sein Fahrzeug und segelte auf die feindliche Brigg
los, von der er beim Anlegen die letzte zerstörende La-
dung bekam. Mit einem kühnen Fluche warfen jetzt
[Spaltenumbruch] die Amazonen ihre Sonnenschirme und Strohhüte von
sich und sprangen, mit gezückten Dolchen und geladenen
Pistolen, wuthschäumend an Bord der englischen Brigg,
entschlossen, zu siegen oder zu sterben und sterbend ihr
Leben theuer zu verkaufen. Binnen einer halben Stunde
war das Verdeck mit Blut und Todten bedeckt. Ein
Korsar warf sich auf die feindliche Flagge und eroberte
sie. Die Brigg ergab sich und Moede segelte nun mit
seinem rühmlichen Fange nach Point=a=Pitre. Die
Amazonentracht, die man vor dem Kampfe aus Man-
gel an Zeit nicht abzulegen vermocht hatte, legte man
jetzt aus Freude nicht ab. Point=a=Pitre war nicht
wenig erstaunt über das sonderbare Costüm der jubeln-
den Bemannung des Korsarenschiffs, stimmte aber mit
voller Seele in ihren Jubel ein, als es die Veranlas-
sung dazu vernommen hatte.



Der missourische Sichelzahn, ein neues
Urthier.

Eine der größten Naturseltenheiten befindet sich gegen-
wärtig in dem Ausstellungssalon von Tommy's Hotel
in Dublin. Sie besteht in dem Fossilgerippe eines ur-
weltlichen Thieres, das ebenso sehr durch den ungeheuren
Umfang als den seltsamen Bau seines Skeletts in Ver-
wunderung setzt. Es wurde durch Herrn Albert Koch,
einen deutschen Naturforscher, in der angeschwemmten
Edschicht gefunden, welche auf dem alten Bette des
Pomme de Terre, einem Arme des Osage, im Staate
Missouri liegt, und ist vollständig erhalten, indem es
durch mehre, übereinanderliegende, Schichten vor der
Zerstörung durch die atmosphärische Luft bewahrt blieb.
Von der Localität, in welcher das Gerippe entdeckt
wurde, und von der Stellung und Gestalt der Fang-
zähne, welche zwei Sicheln gleichen, die sich horizontal
an jeder Seite des Kopfes ausdehnen, heißt es der missou-
rische Sichelzahn ( Mussurium Theristocaulodon ) . Das
Skelett, welches durch ein eisernes Gestell getragen wird,
ist 15 Fuß hoch und 30 Fuß lang. Die Breite zwi-
schen den Vorderfüßen beträgt mehr als 8, die zwischen
den Hinterfüßen ungefähr 6 Fuß. Ein völlig ausge-
wachsener Elefant, neben dieses Riesenthier gestellt, würde,
wenn dessen ungeheuere Gestalt mit Fleisch bedeckt wäre,
sich ungefähr ausnehmen, wie ein Lamm neben dem
Mutterschafe.

Schon aus der Ferne, noch ehe man den Raum
betritt, wo die Überreste dieses größten Landthiers der
Erde colossal emporsteigen, ist die Erscheinung desselben
überaus imposant. Der Besucher erblickt, wenn er sich
dem Eingange nähert, zwei dunkele, aus dem Gröbsten
gehauene Säulen von bedeutender Höhe, doch plumpen
Verhältnissen und in weiterer Ferne zwei andere, welche
die herabhängenden Querbalken irgend eines verfallenden
Gebäudes zu tragen scheinen. Dieses sind die vier Füße,
welche den Kopf und die Fangzähne, das Rückgrat und
die Rippen der ungeheuren Masse des thierischen Baues
tragen. Es ist gewiß, daß der missourische Sichelzahn,
gleich dem jetzigen Nilpferde, ein Bewohner des Was-
sers und vielleicht gar eine Amphibie war, indem dessen
Füße mit Schwimmhaut versehen und außerdem auch
noch besonders zum Schwimmen auf der Oberfläche
oder zum Gehen auf dem Boden der Flüsse und Seen
eingerichtet gewesen zu sein scheinen, und dasselbe seine
Nahrung wahrscheinlich im morastigen, wie auf dem
flachen Lande suchte.

Daß es mit dem menschlichen Geschlechte existirte
und mit demselben die Herrschaft über die Gewässer und
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] alle reinlich und ordentlich erhalten werden, einen Gar-
ten. Hierdurch sowie namentlich dadurch, daß sie freie
Unterthanen sind, freie Disposition über ihre Person und
ihr Eigenthum, eigene Gerichtsbarkeit haben und von den
Kriegsdiensten ausgenommen sind, unterscheiden sie sich
wesentlich von den russischen Kronbauern. Die ersten
Einwanderer waren in Folge eines unterm 22. Juli 1763
erlassenen Manifestes der Kaiserin Katharina II. gekom-
men, bestanden meist aus Würtembergern, Hessen und
Sachsen, waren aber, des Ackerbaus unkundig, genö-
thigt, eine ihrer frühern Lebensart ganz entgegengesetzte
zu führen und gingen, trotz aller Vergünstigungen, in
Noth und Sorgen und Heimweh nach dem Vaterlande
unter. Jhre Nachfolger, im Lande geboren und erzogen
und bekannt geworden mit den Eigenthümlichkeiten und
Vortheilen desselben, ernteten die Früchte ihrer Väter.



Die verkleideten Korsaren.

Anton Moëde, Capitain eines Korsarenschiffs, welcher
sich, in den letzten Kriegen zwischen England und Frank-
reich, in Westindien einen berühmten Namen erworben
hat, commandirte einst ein kleines Fahrzeug, das mit
100 entschlossenen Männern bemannt war. Mit diesem
kleinen Fahrzeuge durchschnitt er, beutelustig, das schöne
Antillenmeer. Da trieb ihm der Wind einen reichen
englischen Kauffahrer entgegen, der nach Jamaica be-
stimmt war. Jhn angreifen und nehmen war für See-
leute, die gewöhnt waren, in ein Kauffahrteischiff mit
einer Leichtigkeit zu steigen wie in ein Billardzimmer,
die Sache weniger Augenblicke. Die Bemannung, nebst
18 männlichen und 10 weiblichen Reisenden, wurde an
den Bord des Korsaren, die Prise aber mit 30 Mann
nach Guadeloupe gebracht. Am nächsten Tage bemerkte
Moëde mit Anbruch des Tags eine feindliche Kriegs-
brigg, welche grade auf ihn zusteuerte. Moëde, welcher
der Brigg nicht gewachsen zu sein glaubte, befahl seinen
Leuten augenblicklich die Kleider der gefangenen Damen
anzuziehen und für diesen Zweck ihre Koffer nicht zu
schonen. Man gehorchte ihm auf der Stelle und bald
zeigten sich auf dem Verdecke wenigstens 50 Schönen.
Sie hielten die Sonnenschirme, welche die Frische ihres
Teints vor den zudringlichen Strahlen schützten, mit
so viel Anmuth und Grazie, als Männern, die an die
Mühseligkeiten des Kriegs und der Arbeit gewöhnt wa-
ren, nur irgend jemals möglich gewesen ist; denn es
galt unter dem Scheine, nichts als ein Küstenfahrzeug
zu sein, das harmlose Passagiere von Jnsel zu Jnsel
bringe, die Brigg von jedem Gedanken an eine Visita-
tion abzubringen, und so einem Kampfe zu entgehen,
der bei den überlegenen Kräften der Brigg offenbar zum
Verderben der Korsaren ausschlagen mußte. Aber alle
graziösen Wendungen und anmuthvollen Bewegungen
waren umsonst. Der Engländer ließ sich nicht täuschen
und schien zu wissen, welch derber Kern in den zarten
Kleiderhüllen steckte. Kaum war er daher dem Fahr-
zeuge auf Kanonenschußweite nahe gekommen, als er es
mit einer vollen Ladung aus allen Feuerschlünden be-
grüßte, die sich auf seiner Brigg befanden. Moëde, von
der Fruchtlosigkeit jedes Versuchs zur Flucht überzeugt,
fragte nun seine Leute, ob sie mit ihm das Entern der
Brigg wagen wollten. Entern! Entern! riefen alle, wie
aus einem Munde, denn nur im Kampfe, Mann ge-
gen Mann, wäre Rettung möglich. Moëde wandte
also sein Fahrzeug und segelte auf die feindliche Brigg
los, von der er beim Anlegen die letzte zerstörende La-
dung bekam. Mit einem kühnen Fluche warfen jetzt
[Spaltenumbruch] die Amazonen ihre Sonnenschirme und Strohhüte von
sich und sprangen, mit gezückten Dolchen und geladenen
Pistolen, wuthschäumend an Bord der englischen Brigg,
entschlossen, zu siegen oder zu sterben und sterbend ihr
Leben theuer zu verkaufen. Binnen einer halben Stunde
war das Verdeck mit Blut und Todten bedeckt. Ein
Korsar warf sich auf die feindliche Flagge und eroberte
sie. Die Brigg ergab sich und Moëde segelte nun mit
seinem rühmlichen Fange nach Point=à=Pitre. Die
Amazonentracht, die man vor dem Kampfe aus Man-
gel an Zeit nicht abzulegen vermocht hatte, legte man
jetzt aus Freude nicht ab. Point=à=Pitre war nicht
wenig erstaunt über das sonderbare Costüm der jubeln-
den Bemannung des Korsarenschiffs, stimmte aber mit
voller Seele in ihren Jubel ein, als es die Veranlas-
sung dazu vernommen hatte.



Der missourische Sichelzahn, ein neues
Urthier.

Eine der größten Naturseltenheiten befindet sich gegen-
wärtig in dem Ausstellungssalon von Tommy's Hôtel
in Dublin. Sie besteht in dem Fossilgerippe eines ur-
weltlichen Thieres, das ebenso sehr durch den ungeheuren
Umfang als den seltsamen Bau seines Skeletts in Ver-
wunderung setzt. Es wurde durch Herrn Albert Koch,
einen deutschen Naturforscher, in der angeschwemmten
Edschicht gefunden, welche auf dem alten Bette des
Pomme de Terre, einem Arme des Osage, im Staate
Missouri liegt, und ist vollständig erhalten, indem es
durch mehre, übereinanderliegende, Schichten vor der
Zerstörung durch die atmosphärische Luft bewahrt blieb.
Von der Localität, in welcher das Gerippe entdeckt
wurde, und von der Stellung und Gestalt der Fang-
zähne, welche zwei Sicheln gleichen, die sich horizontal
an jeder Seite des Kopfes ausdehnen, heißt es der missou-
rische Sichelzahn ( Mussurium Theristocaulodon ) . Das
Skelett, welches durch ein eisernes Gestell getragen wird,
ist 15 Fuß hoch und 30 Fuß lang. Die Breite zwi-
schen den Vorderfüßen beträgt mehr als 8, die zwischen
den Hinterfüßen ungefähr 6 Fuß. Ein völlig ausge-
wachsener Elefant, neben dieses Riesenthier gestellt, würde,
wenn dessen ungeheuere Gestalt mit Fleisch bedeckt wäre,
sich ungefähr ausnehmen, wie ein Lamm neben dem
Mutterschafe.

Schon aus der Ferne, noch ehe man den Raum
betritt, wo die Überreste dieses größten Landthiers der
Erde colossal emporsteigen, ist die Erscheinung desselben
überaus imposant. Der Besucher erblickt, wenn er sich
dem Eingange nähert, zwei dunkele, aus dem Gröbsten
gehauene Säulen von bedeutender Höhe, doch plumpen
Verhältnissen und in weiterer Ferne zwei andere, welche
die herabhängenden Querbalken irgend eines verfallenden
Gebäudes zu tragen scheinen. Dieses sind die vier Füße,
welche den Kopf und die Fangzähne, das Rückgrat und
die Rippen der ungeheuren Masse des thierischen Baues
tragen. Es ist gewiß, daß der missourische Sichelzahn,
gleich dem jetzigen Nilpferde, ein Bewohner des Was-
sers und vielleicht gar eine Amphibie war, indem dessen
Füße mit Schwimmhaut versehen und außerdem auch
noch besonders zum Schwimmen auf der Oberfläche
oder zum Gehen auf dem Boden der Flüsse und Seen
eingerichtet gewesen zu sein scheinen, und dasselbe seine
Nahrung wahrscheinlich im morastigen, wie auf dem
flachen Lande suchte.

Daß es mit dem menschlichen Geschlechte existirte
und mit demselben die Herrschaft über die Gewässer und
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Anton Moëde, Capitain eines Korsarenschiffs, welcher sich, in den letzten Kriegen zwischen England und Frank- reich, in Westindien einen berühmten Namen erworben hat, commandirte einst ein kleines Fahrzeug, das mit 100 entschlossenen Männern bemannt war. Mit diesem kleinen Fahrzeuge durchschnitt er, beutelustig, das schöne Antillenmeer. Da trieb ihm der Wind einen reichen englischen Kauffahrer entgegen, der nach Jamaica be- stimmt war. Jhn angreifen und nehmen war für See- leute, die gewöhnt waren, in ein Kauffahrteischiff mit einer Leichtigkeit zu steigen wie in ein Billardzimmer, die Sache weniger Augenblicke. Die Bemannung, nebst 18 männlichen und 10 weiblichen Reisenden, wurde an den Bord des Korsaren, die Prise aber mit 30 Mann nach Guadeloupe gebracht. Am nächsten Tage bemerkte Moëde mit Anbruch des Tags eine feindliche Kriegs- brigg, welche grade auf ihn zusteuerte. 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Es wurde durch Herrn Albert Koch, einen deutschen Naturforscher, in der angeschwemmten Edschicht gefunden, welche auf dem alten Bette des Pomme de Terre, einem Arme des Osage, im Staate Missouri liegt, und ist vollständig erhalten, indem es durch mehre, übereinanderliegende, Schichten vor der Zerstörung durch die atmosphärische Luft bewahrt blieb. Von der Localität, in welcher das Gerippe entdeckt wurde, und von der Stellung und Gestalt der Fang- zähne, welche zwei Sicheln gleichen, die sich horizontal an jeder Seite des Kopfes ausdehnen, heißt es der missou- rische Sichelzahn ( Mussurium Theristocaulodon ) . Das Skelett, welches durch ein eisernes Gestell getragen wird, ist 15 Fuß hoch und 30 Fuß lang. Die Breite zwi- schen den Vorderfüßen beträgt mehr als 8, die zwischen den Hinterfüßen ungefähr 6 Fuß. Ein völlig ausge- wachsener Elefant, neben dieses Riesenthier gestellt, würde, wenn dessen ungeheuere Gestalt mit Fleisch bedeckt wäre, sich ungefähr ausnehmen, wie ein Lamm neben dem Mutterschafe. Schon aus der Ferne, noch ehe man den Raum betritt, wo die Überreste dieses größten Landthiers der Erde colossal emporsteigen, ist die Erscheinung desselben überaus imposant. Der Besucher erblickt, wenn er sich dem Eingange nähert, zwei dunkele, aus dem Gröbsten gehauene Säulen von bedeutender Höhe, doch plumpen Verhältnissen und in weiterer Ferne zwei andere, welche die herabhängenden Querbalken irgend eines verfallenden Gebäudes zu tragen scheinen. Dieses sind die vier Füße, welche den Kopf und die Fangzähne, das Rückgrat und die Rippen der ungeheuren Masse des thierischen Baues tragen. Es ist gewiß, daß der missourische Sichelzahn, gleich dem jetzigen Nilpferde, ein Bewohner des Was- sers und vielleicht gar eine Amphibie war, indem dessen Füße mit Schwimmhaut versehen und außerdem auch noch besonders zum Schwimmen auf der Oberfläche oder zum Gehen auf dem Boden der Flüsse und Seen eingerichtet gewesen zu sein scheinen, und dasselbe seine Nahrung wahrscheinlich im morastigen, wie auf dem flachen Lande suchte. Daß es mit dem menschlichen Geschlechte existirte und mit demselben die Herrschaft über die Gewässer und

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 21. Leipzig (Sachsen), 27. Mai 1843, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig021_1843/3>, abgerufen am 15.06.2024.