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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 71. Leipzig (Sachsen), 4. Mai 1854.

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[Abbildung] Das königliche Schauspielhaus in Berlin.


Die Sumpfwälder bei Neuorleans.
[Beginn Spaltensatz]

Manche zum Theil größere und bekanntere Städte
haben in ihrer Lage das Eigenthümliche, daß sie, auf
der einen Seite dem Meere oder einem andern großen
Gewässer zugewandt und auf der andern von Wäl-
dern oder Wüsteneien umgeben, so zu sagen, keine Um-
gegend haben. Der von der Wasserseite her Einge-
wanderte hat oft jahrelang darin sein Geschäft getrie-
ben, hat zahlreiche Bekanntschaften gemacht oder ist
seinen Vergnügungen nachgegangen, ohne zu wissen,
wie es jenseit der letzten Häuser aussieht. So hat die
Bevölkerung von Alexandria in Ägypten ihren Blick
lediglich nach dem Meere und nach dem Kanale, der
die Stadt mit dem Nil verbindet, und höchstens ein
Ausflug nach den Nadeln der Kleopatra oder nach den
Salpeterseen lockt den Reisenden ein Stück in die be-
nachbarte Sandwüste hinaus. Auch von den zahlrei-
chen Fremden, die der Handel in Rußlands großer
Seestadt am Schwarzen Meere, Odessa, zusammen-
führt, dürften die meisten die Landseite, eine unabseh-
bare, einförmige Grassteppe, nur flüchtig betrachtet
haben. Daß bei der alten Lagunenstadt Venedig von
einer Umgegend keine Rede sein kann, leuchtet Jedem
ein, welcher weiß, daß dieselbe eine tüchtige deutsche
Meile vom Festlande auf seichtem Meeresgrunde oder
ganz niedrigen Jnseln erbaut und durch eine gewaltige
Brücke erst seit wenig Jahren in engere und schnellere
[Spaltenumbruch] Verbindung als sonst mit dem Festlande gesetzt ist.
Häufiger noch kommen in Amerika dergleichen Fälle
vor, da hier die volle von Europa mitgebrachte Cul-
tur fortwährend der Wildniß Land abringt und daher
an größern Flüssen oft rasch Städte von Bedeutung
entstehen, die ihre Bedürfnisse zum Theil aus der
Ferne beziehen, in der Nähe aber von einem nur
durch wenige schmale Straßen durchschnittenen und
durch vereinzelte Ansiedelungen unterbrochenen Walde
umgeben sind.

Jn Neuorleans, der großen Hafenstadt am Mis-
sissippi und dem Ausgangspunkte für den großartigen
Verkehr des gewaltigen Stromgebiets rechne man bei
einer Bevölkerung von 100,000 Einwohnern nicht dar-
auf, eine fröhliche Gesellschaft einen Ausflug aufs
Land machen oder Ältern ihre Kinder vor die Stadt
spazieren führen zu sehen. Wäre auch nicht die Haupt-
masse der Bevölkerung bei ihrem fortwährenden Trei-
ben und Sinnen auf Erwerb und bei einem für Viele
nur vorübergehenden Aufenthalte ziemlich todt dafür,
so entstände doch die Frage: Wohin sollen wir gehen?
Auf der einen Seite breitet sich der Strom mit seiner
wenigstens eine Meile lang daliegenden, zum Theil
doppelten und dreifachen Reihe von Schiffen aus; das
jenseitige Ufer zeigt zwei Ortschaften, die aber nur aus
einer einfachen Häuserreihe bestehen, und dahinter
[Ende Spaltensatz]



[Abbildung] Das königliche Schauspielhaus in Berlin.


Die Sumpfwälder bei Neuorleans.
[Beginn Spaltensatz]

Manche zum Theil größere und bekanntere Städte
haben in ihrer Lage das Eigenthümliche, daß sie, auf
der einen Seite dem Meere oder einem andern großen
Gewässer zugewandt und auf der andern von Wäl-
dern oder Wüsteneien umgeben, so zu sagen, keine Um-
gegend haben. Der von der Wasserseite her Einge-
wanderte hat oft jahrelang darin sein Geschäft getrie-
ben, hat zahlreiche Bekanntschaften gemacht oder ist
seinen Vergnügungen nachgegangen, ohne zu wissen,
wie es jenseit der letzten Häuser aussieht. So hat die
Bevölkerung von Alexandria in Ägypten ihren Blick
lediglich nach dem Meere und nach dem Kanale, der
die Stadt mit dem Nil verbindet, und höchstens ein
Ausflug nach den Nadeln der Kleopatra oder nach den
Salpeterseen lockt den Reisenden ein Stück in die be-
nachbarte Sandwüste hinaus. Auch von den zahlrei-
chen Fremden, die der Handel in Rußlands großer
Seestadt am Schwarzen Meere, Odessa, zusammen-
führt, dürften die meisten die Landseite, eine unabseh-
bare, einförmige Grassteppe, nur flüchtig betrachtet
haben. Daß bei der alten Lagunenstadt Venedig von
einer Umgegend keine Rede sein kann, leuchtet Jedem
ein, welcher weiß, daß dieselbe eine tüchtige deutsche
Meile vom Festlande auf seichtem Meeresgrunde oder
ganz niedrigen Jnseln erbaut und durch eine gewaltige
Brücke erst seit wenig Jahren in engere und schnellere
[Spaltenumbruch] Verbindung als sonst mit dem Festlande gesetzt ist.
Häufiger noch kommen in Amerika dergleichen Fälle
vor, da hier die volle von Europa mitgebrachte Cul-
tur fortwährend der Wildniß Land abringt und daher
an größern Flüssen oft rasch Städte von Bedeutung
entstehen, die ihre Bedürfnisse zum Theil aus der
Ferne beziehen, in der Nähe aber von einem nur
durch wenige schmale Straßen durchschnittenen und
durch vereinzelte Ansiedelungen unterbrochenen Walde
umgeben sind.

Jn Neuorleans, der großen Hafenstadt am Mis-
sissippi und dem Ausgangspunkte für den großartigen
Verkehr des gewaltigen Stromgebiets rechne man bei
einer Bevölkerung von 100,000 Einwohnern nicht dar-
auf, eine fröhliche Gesellschaft einen Ausflug aufs
Land machen oder Ältern ihre Kinder vor die Stadt
spazieren führen zu sehen. Wäre auch nicht die Haupt-
masse der Bevölkerung bei ihrem fortwährenden Trei-
ben und Sinnen auf Erwerb und bei einem für Viele
nur vorübergehenden Aufenthalte ziemlich todt dafür,
so entstände doch die Frage: Wohin sollen wir gehen?
Auf der einen Seite breitet sich der Strom mit seiner
wenigstens eine Meile lang daliegenden, zum Theil
doppelten und dreifachen Reihe von Schiffen aus; das
jenseitige Ufer zeigt zwei Ortschaften, die aber nur aus
einer einfachen Häuserreihe bestehen, und dahinter
[Ende Spaltensatz]

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[149/0005] 149 [Abbildung Das königliche Schauspielhaus in Berlin.] Die Sumpfwälder bei Neuorleans. Manche zum Theil größere und bekanntere Städte haben in ihrer Lage das Eigenthümliche, daß sie, auf der einen Seite dem Meere oder einem andern großen Gewässer zugewandt und auf der andern von Wäl- dern oder Wüsteneien umgeben, so zu sagen, keine Um- gegend haben. Der von der Wasserseite her Einge- wanderte hat oft jahrelang darin sein Geschäft getrie- ben, hat zahlreiche Bekanntschaften gemacht oder ist seinen Vergnügungen nachgegangen, ohne zu wissen, wie es jenseit der letzten Häuser aussieht. So hat die Bevölkerung von Alexandria in Ägypten ihren Blick lediglich nach dem Meere und nach dem Kanale, der die Stadt mit dem Nil verbindet, und höchstens ein Ausflug nach den Nadeln der Kleopatra oder nach den Salpeterseen lockt den Reisenden ein Stück in die be- nachbarte Sandwüste hinaus. Auch von den zahlrei- chen Fremden, die der Handel in Rußlands großer Seestadt am Schwarzen Meere, Odessa, zusammen- führt, dürften die meisten die Landseite, eine unabseh- bare, einförmige Grassteppe, nur flüchtig betrachtet haben. Daß bei der alten Lagunenstadt Venedig von einer Umgegend keine Rede sein kann, leuchtet Jedem ein, welcher weiß, daß dieselbe eine tüchtige deutsche Meile vom Festlande auf seichtem Meeresgrunde oder ganz niedrigen Jnseln erbaut und durch eine gewaltige Brücke erst seit wenig Jahren in engere und schnellere Verbindung als sonst mit dem Festlande gesetzt ist. Häufiger noch kommen in Amerika dergleichen Fälle vor, da hier die volle von Europa mitgebrachte Cul- tur fortwährend der Wildniß Land abringt und daher an größern Flüssen oft rasch Städte von Bedeutung entstehen, die ihre Bedürfnisse zum Theil aus der Ferne beziehen, in der Nähe aber von einem nur durch wenige schmale Straßen durchschnittenen und durch vereinzelte Ansiedelungen unterbrochenen Walde umgeben sind. Jn Neuorleans, der großen Hafenstadt am Mis- sissippi und dem Ausgangspunkte für den großartigen Verkehr des gewaltigen Stromgebiets rechne man bei einer Bevölkerung von 100,000 Einwohnern nicht dar- auf, eine fröhliche Gesellschaft einen Ausflug aufs Land machen oder Ältern ihre Kinder vor die Stadt spazieren führen zu sehen. Wäre auch nicht die Haupt- masse der Bevölkerung bei ihrem fortwährenden Trei- ben und Sinnen auf Erwerb und bei einem für Viele nur vorübergehenden Aufenthalte ziemlich todt dafür, so entstände doch die Frage: Wohin sollen wir gehen? Auf der einen Seite breitet sich der Strom mit seiner wenigstens eine Meile lang daliegenden, zum Theil doppelten und dreifachen Reihe von Schiffen aus; das jenseitige Ufer zeigt zwei Ortschaften, die aber nur aus einer einfachen Häuserreihe bestehen, und dahinter

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 71. Leipzig (Sachsen), 4. Mai 1854, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig071_1854/5>, abgerufen am 18.06.2024.