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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 75. Leipzig (Sachsen), 1. Juni 1854.

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[Beginn Spaltensatz] nicht, so lange er lebet! Da meine ich denn, ich muß
seinen Willen thun, wenn es mir auch schwer an-
kömmt.

Durch die hohen Fenster des stattlichen Gemachs,
in dem die beiden Kinder standen, sah man in den
Garten hinaus, den der Sommer mit verschwenderi-
scher Fülle geschmückt hatte. Unzählige Rosen blühten
und dufteten; silberglänzende Blütensterne und goldige
Früchte drängten sich zwischen den grünen Blättern
der Orangenbäume hindurch und ein blauer Himmel
glänzte vom Spiegel des Teichs zurück, über den zwei
schöne Schwäne in stolzer Ruhe hinzogen. Aber we-
der Fanny noch Margareth achteten auf die Pracht
und Schönheit, die sie überall umgab; die eine von
ihnen war trotzig, weil ihr zum ersten male ein Wunsch
versagt werden sollte, das Herz der andern war voll
wirklicher Traurigkeit.

Du willst also nicht bei mir bleiben! weinte nun
Fanny auch, mehr im Zorn als vor Schmerz. Du
magst nicht einmal mir zu Liebe den Vater bitten, --
dann geh' nur, geh' -- ich werde aber an nichts mehr
Freude haben -- und von dir -- von dir will ich
nun gar nichts mehr wissen.

Ach, liebe Fanny, sprich doch nicht so, bat die
andere, ich werde ja nicht immer in der Stadt blei-
ben; wenn ich etwas gelernt habe, dann komme ich
wieder heim, arbeite und pflege den alten Vater, und
daß ich dich nach ihm allermeisten lieb habe auf der
ganzen Welt, das sollst du dann schon sehen. Aber
Unrecht thun darf man doch nicht einem Menschen zu
Liebe, auch dir zu Liebe nicht, Fanny, und ich kann
dem guten Vater nicht ungehorsam sein; Gott hat es
verboten, und mein Herz verbietet es mir auch. Aber
zornig mußt du nicht von mir scheiden, gib mir doch
die Hand und sieh mich wieder so freundlich an als
sonst. Die arme Margareth konnte vor Thränen nicht
weiter sprechen.

Fanny hätte doch auch nicht weiter auf sie gehört.
Laut weinend lief sie aus dem Zimmer, dessen Thür
sie hastig zuwarf und die Tochter des Tischlers verließ
endlich zögernd und todtbetrübt das Schloß, ohne daß
Jemand auf sie geachtet hätte. Aber noch am andern
Morgen, als sie mit einem kleinen Bündel unter dem
Arme auf der Landstraße hinwanderte, ihr liebes Hei-
matsdorf immer weiter und weiter hinter sich lassend,
da zitterte der Schmerz dieser ersten Trennung ihres
Lebens noch in ihrem Herzen nach; sie war noch trau-
rig, als die Muhme sie freundlich willkommen hieß,
ja sie blieb traurig, obgleich sie in der großen Stadt
viel Neues sah und hörte, was wol die Eindrücke,
welche sie in letzter Zeit empfangen, leicht hätte ver-
wischen können. Sie lernte andere Kinder kennen und
fand Freunde, die mit großer Liebe an ihr hingen;
aber ihre Fanny vergaß sie nicht, und obgleich sie keine
Gelegenheit hatte, von ihr zu hören, so betete sie doch
jeden Tag für ihre kleine Freundin in der trauten
Heimat.

Fanny spielte und sang einen ganzen Tag lang
nicht, als Margareth das Dorf verlassen hatte; sie
schlug ihren Papagai und zerbrach unmuthig ihre
Spielsachen, als aber die Tante aus der Hauptstadt
unerwartet zum Besuch kam und ihr einen kleinen
allerliebsten Fächer mitbrachte, auf den tanzende Kin-
der in prächtigen Anzügen gemalt waren, da tröstete
sie sich über die verlorene Gespielin und dachte nicht
weiter an die arme Margareth. Als der Herbst kam
und den Feldern und Gärten ihren Schmuck nahm,
die Vögel fortzogen und die Nebel kamen, da starb
[Spaltenumbruch] der alte Tischler im Dorfe nach kurzer Krankheit und
Margareth kehrte nicht wieder in die geliebte, unver-
gessene Heimat zurück. Und neue Frühlinge kamen,
um wieder von neuen Herbststürmen vertrieben zu wer-
den und Niemand gedachte des Kindes, das in
der Fremde lebte, mit den rückgewendeten Gedan-
ken: ob jetzt wol der große Birnbaum blühen mag
hinter des Vaters Häuschen, ob die Nachtigal noch
immer ihr Nest baut in die Platane im Schloßgarten
und wie hoch nur das Pfirsichbäumchen geworden ist,
das ich mit Fanny gepflanzt.

Ein Wiedersehen.

Hat die Modehändlerin die Blumen noch nicht ge-
schickt? fragte ungeduldig eine stattliche junge Dame,
die in weißem Spitzenkleide vor dem hohen Spiegel
stand und eifrig mit ihrem Anzuge beschäftigt war.
"Geh' auf der Stelle, Babet -- oder nein, bleib, du
mußt mir die Schärpe noch einmal stecken, sie wirft
da unter dem Arme ein kleines Fältchen; der Bediente
der Tante soll gehen, aber sag' ihm, daß er sich eilt!
Jch werde nie wieder bei der nachlässigen Arago eine
Bestellung machen."

Ein leises Pochen an der Thür unterbrach diese
Rede. Babet öffnete rasch, ein hübsches junges Mäd-
chen stand draußen, mit einem Carton in der Hand.
"Geschwind, geschwind", rief die Ungeduldige, "ich
warte schon eine halbe Ewigkeit!"

Die Kommende trat mit bescheidenem Gruß in das
hellerleuchtete Zimmer, aber wie geblendet blieb sie
plötzlich stehen. Es war nicht die Pracht, die sie hier
umfing, nicht der Reichthum, der überall herrschte,
welcher auf das junge Mädchen einen so außerordent-
lichen Eindruck hervorbrachte -- von alledem sah sie
nichts. Jhr Auge hing nur an der glänzenden Er-
scheinung vor dem Spiegel und der Carton mit den
so sehnsüchtig erwarteten Blumen glitt aus ihrer Hand,
die sie zitternd nach der jungen Dame ausstreckte.

Ungeschickte! schalt diese zornig, indem sie herbei-
sprang, um zu verhüten, daß die Blumen Schaden
nahmen.

Fanny! rief jene dagegen mit dem tiefinnigen Tone
der Liebe, der aufjauchzenden Freude. Endlich, endlich
sehe ich dich wieder!

Fanny sah und hörte nicht; sie probirte ihr Blu-
mendiadem, das sie musternd über die glänzend schwar-
zen Haare legte; da fühlte sie plötzlich ihre Hand er-
griffen und mit Thränen benetzt. "Kennst du mich
denn gar nicht mehr? Hast du die arme Margareth
schon so ganz vergessen?" fragte die weiche, bewegte
Stimme noch einmal.

Ei, sieh' doch! Du bist also aus Hartmannsau?
Ja, ja, ich erinnere mich -- des alten Tischlers Toch-
ter. Als kleine Kinder spielten wir manchmal beisam-
men. Aber Madame Arago hat mich wirklich zur Un-
gebühr warten lassen. Du dienst ja wol bei ihr?
Sage ihr, daß ich ihr meine Kundschaft entziehen
würde, wenn ein solcher Fall noch einmal vorkäme.

Margareth stand da wie vom Blitz getroffen. "Seit
fünf Jahren", sagte sie halblaut vor sich hin, "seit
fünf langen Jahren habe ich nichts Lieberes gedacht
als dies Wiedersehen, und wie ganz anders ist nun
Alles geworden! Aber ich kam nur zu ungelegener
Zeit -- wenn ich ein andermal wiederkommen dürfte"
bat sie freundlich.

Mein Gott, ja doch; aber wenn du irgend ein
Anliegen hast, eine Bitte, einen Wunsch, so kannst
du es immer an Babet sagen.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] nicht, so lange er lebet! Da meine ich denn, ich muß
seinen Willen thun, wenn es mir auch schwer an-
kömmt.

Durch die hohen Fenster des stattlichen Gemachs,
in dem die beiden Kinder standen, sah man in den
Garten hinaus, den der Sommer mit verschwenderi-
scher Fülle geschmückt hatte. Unzählige Rosen blühten
und dufteten; silberglänzende Blütensterne und goldige
Früchte drängten sich zwischen den grünen Blättern
der Orangenbäume hindurch und ein blauer Himmel
glänzte vom Spiegel des Teichs zurück, über den zwei
schöne Schwäne in stolzer Ruhe hinzogen. Aber we-
der Fanny noch Margareth achteten auf die Pracht
und Schönheit, die sie überall umgab; die eine von
ihnen war trotzig, weil ihr zum ersten male ein Wunsch
versagt werden sollte, das Herz der andern war voll
wirklicher Traurigkeit.

Du willst also nicht bei mir bleiben! weinte nun
Fanny auch, mehr im Zorn als vor Schmerz. Du
magst nicht einmal mir zu Liebe den Vater bitten, —
dann geh' nur, geh' — ich werde aber an nichts mehr
Freude haben — und von dir — von dir will ich
nun gar nichts mehr wissen.

Ach, liebe Fanny, sprich doch nicht so, bat die
andere, ich werde ja nicht immer in der Stadt blei-
ben; wenn ich etwas gelernt habe, dann komme ich
wieder heim, arbeite und pflege den alten Vater, und
daß ich dich nach ihm allermeisten lieb habe auf der
ganzen Welt, das sollst du dann schon sehen. Aber
Unrecht thun darf man doch nicht einem Menschen zu
Liebe, auch dir zu Liebe nicht, Fanny, und ich kann
dem guten Vater nicht ungehorsam sein; Gott hat es
verboten, und mein Herz verbietet es mir auch. Aber
zornig mußt du nicht von mir scheiden, gib mir doch
die Hand und sieh mich wieder so freundlich an als
sonst. Die arme Margareth konnte vor Thränen nicht
weiter sprechen.

Fanny hätte doch auch nicht weiter auf sie gehört.
Laut weinend lief sie aus dem Zimmer, dessen Thür
sie hastig zuwarf und die Tochter des Tischlers verließ
endlich zögernd und todtbetrübt das Schloß, ohne daß
Jemand auf sie geachtet hätte. Aber noch am andern
Morgen, als sie mit einem kleinen Bündel unter dem
Arme auf der Landstraße hinwanderte, ihr liebes Hei-
matsdorf immer weiter und weiter hinter sich lassend,
da zitterte der Schmerz dieser ersten Trennung ihres
Lebens noch in ihrem Herzen nach; sie war noch trau-
rig, als die Muhme sie freundlich willkommen hieß,
ja sie blieb traurig, obgleich sie in der großen Stadt
viel Neues sah und hörte, was wol die Eindrücke,
welche sie in letzter Zeit empfangen, leicht hätte ver-
wischen können. Sie lernte andere Kinder kennen und
fand Freunde, die mit großer Liebe an ihr hingen;
aber ihre Fanny vergaß sie nicht, und obgleich sie keine
Gelegenheit hatte, von ihr zu hören, so betete sie doch
jeden Tag für ihre kleine Freundin in der trauten
Heimat.

Fanny spielte und sang einen ganzen Tag lang
nicht, als Margareth das Dorf verlassen hatte; sie
schlug ihren Papagai und zerbrach unmuthig ihre
Spielsachen, als aber die Tante aus der Hauptstadt
unerwartet zum Besuch kam und ihr einen kleinen
allerliebsten Fächer mitbrachte, auf den tanzende Kin-
der in prächtigen Anzügen gemalt waren, da tröstete
sie sich über die verlorene Gespielin und dachte nicht
weiter an die arme Margareth. Als der Herbst kam
und den Feldern und Gärten ihren Schmuck nahm,
die Vögel fortzogen und die Nebel kamen, da starb
[Spaltenumbruch] der alte Tischler im Dorfe nach kurzer Krankheit und
Margareth kehrte nicht wieder in die geliebte, unver-
gessene Heimat zurück. Und neue Frühlinge kamen,
um wieder von neuen Herbststürmen vertrieben zu wer-
den und Niemand gedachte des Kindes, das in
der Fremde lebte, mit den rückgewendeten Gedan-
ken: ob jetzt wol der große Birnbaum blühen mag
hinter des Vaters Häuschen, ob die Nachtigal noch
immer ihr Nest baut in die Platane im Schloßgarten
und wie hoch nur das Pfirsichbäumchen geworden ist,
das ich mit Fanny gepflanzt.

Ein Wiedersehen.

Hat die Modehändlerin die Blumen noch nicht ge-
schickt? fragte ungeduldig eine stattliche junge Dame,
die in weißem Spitzenkleide vor dem hohen Spiegel
stand und eifrig mit ihrem Anzuge beschäftigt war.
„Geh' auf der Stelle, Babet — oder nein, bleib, du
mußt mir die Schärpe noch einmal stecken, sie wirft
da unter dem Arme ein kleines Fältchen; der Bediente
der Tante soll gehen, aber sag' ihm, daß er sich eilt!
Jch werde nie wieder bei der nachlässigen Arago eine
Bestellung machen.“

Ein leises Pochen an der Thür unterbrach diese
Rede. Babet öffnete rasch, ein hübsches junges Mäd-
chen stand draußen, mit einem Carton in der Hand.
„Geschwind, geschwind“, rief die Ungeduldige, „ich
warte schon eine halbe Ewigkeit!“

Die Kommende trat mit bescheidenem Gruß in das
hellerleuchtete Zimmer, aber wie geblendet blieb sie
plötzlich stehen. Es war nicht die Pracht, die sie hier
umfing, nicht der Reichthum, der überall herrschte,
welcher auf das junge Mädchen einen so außerordent-
lichen Eindruck hervorbrachte — von alledem sah sie
nichts. Jhr Auge hing nur an der glänzenden Er-
scheinung vor dem Spiegel und der Carton mit den
so sehnsüchtig erwarteten Blumen glitt aus ihrer Hand,
die sie zitternd nach der jungen Dame ausstreckte.

Ungeschickte! schalt diese zornig, indem sie herbei-
sprang, um zu verhüten, daß die Blumen Schaden
nahmen.

Fanny! rief jene dagegen mit dem tiefinnigen Tone
der Liebe, der aufjauchzenden Freude. Endlich, endlich
sehe ich dich wieder!

Fanny sah und hörte nicht; sie probirte ihr Blu-
mendiadem, das sie musternd über die glänzend schwar-
zen Haare legte; da fühlte sie plötzlich ihre Hand er-
griffen und mit Thränen benetzt. „Kennst du mich
denn gar nicht mehr? Hast du die arme Margareth
schon so ganz vergessen?“ fragte die weiche, bewegte
Stimme noch einmal.

Ei, sieh' doch! Du bist also aus Hartmannsau?
Ja, ja, ich erinnere mich — des alten Tischlers Toch-
ter. Als kleine Kinder spielten wir manchmal beisam-
men. Aber Madame Arago hat mich wirklich zur Un-
gebühr warten lassen. Du dienst ja wol bei ihr?
Sage ihr, daß ich ihr meine Kundschaft entziehen
würde, wenn ein solcher Fall noch einmal vorkäme.

Margareth stand da wie vom Blitz getroffen. „Seit
fünf Jahren“, sagte sie halblaut vor sich hin, „seit
fünf langen Jahren habe ich nichts Lieberes gedacht
als dies Wiedersehen, und wie ganz anders ist nun
Alles geworden! Aber ich kam nur zu ungelegener
Zeit — wenn ich ein andermal wiederkommen dürfte“
bat sie freundlich.

Mein Gott, ja doch; aber wenn du irgend ein
Anliegen hast, eine Bitte, einen Wunsch, so kannst
du es immer an Babet sagen.

[Ende Spaltensatz]
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Mein Gott, ja doch; aber wenn du irgend ein Anliegen hast, eine Bitte, einen Wunsch, so kannst du es immer an Babet sagen.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 75. Leipzig (Sachsen), 1. Juni 1854, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig075_1854/2>, abgerufen am 01.06.2024.