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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 97. Leipzig (Sachsen), 9. November 1854.

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[Beginn Spaltensatz] Sie schalten ihn einen verschmitzten Buben, der um
Ausreden nicht verlegen sei, und sahen ihn als den
Späher und Gelegenheitsmacher einer Räuberbande an,
welche schon seit längerer Zeit die Gegend unsicher
machte. Ein trauriges Loch in einem Thurme ward
sein Gefängniß und eine Behandlung wie die eines
Verbrechers sein Theil.

Der Thurm war sehr hoch und zugleich von au-
ßerordentlicher Festigkeit, sodaß ein Entkommen aus
demselben beinahe unmöglich schien. Eben deswegen
hatte man auch wol die Fenster dieses Bollwerks
anstatt mit eisernen nur mit hölzernen Gittern ver-
sehen, die jedoch im Laufe der Jahrhunderte vom
Zahne der Zeit schon arg verwüstet worden wa-
ren. Um keine Reparatur an denselben vornehmen zu
müssen, sollten die Fenster eben damals bis zu einer
gewissen Höhe zugemauert werden, und zu diesem
Zwecke hatte man ein Gerüst außen vor denselben an-
gebracht. Mit einem Blicke bemerkte Albert die hier
gebotene Möglichkeit, zu entkommen, und beschloß, in
der nächsten Nacht einen Versuch für seine Freiheit zu
wagen.

Als sie angebrochen war, rüttelte er vorsichtig an
dem Gitter, bis es nachgab und zerbrach. Er stieg
aus dem Fenster auf das Gerüst und erblickte sich nun
vor einer schwindelnden Tiefe. Noch schien ihm ein
Sprung hinab zu gewagt und er beschloß daher, an
dem Gerüste niederzuklettern. Schon hatte er die
Hälfte der Höhe zurückgelegt, als eine Schildwache den
Flüchtling bemerkte und Lärm machte. Jetzt, von der
entsetzlichsten Angst gefoltert, bedachte er sich nicht län-
ger, den Sprung auf Leben und Tod zu wagen und
wunderbar! völlig unverletzt erreichte der Knabe den
Boden und -- war gerettet. Schon hatte er auch
die Stadt ziemlich weit hinter sich, als er bemerkte,
daß man ihm nachsetze. Eilenden Laufs stürzte er da-
her nach der offenstehenden Kirche eines nahen Dor-
fes, und hier zeigte ihm der Schein einer Lampe,
welche vor einem Heiligenbilde brannte, einen sichern
Zufluchtsort -- ein düsteres Grabgewölbe. Furchtlos
wie es von dem naturwüchsigen Burschen nicht anders
zu erwarten war, schlüpfte er hinter die morschen
Särge und bald schloß ein sanfter Schlummer die
Augen des von der übermächtigen Anstrengung bis
zum Tode Ermüdeten.

III.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Al-
bert erwachte und sich zugleich von einem wahren Heiß-
hunger gepeinigt fühlte. Da aber ein Tischler in der
Kirche an den Stühlen beschäftigt war, so getraute
sich der Ärmste nicht aus seinem Versteck hervor, son-
dern wartete lieber bis die Mittagsstunde den Arbeiter
nach Hause rief. Nun lugte er vorsichtig zwischen den
Särgen hindurch und der Anblick des freundlichen
Kirchleins war für ihn, der bis dahin wol nie ein
Gotteshaus betreten, ein überraschender. Die vielen
Bilder und Kreuze, die bunten Todtenkränze hinge-
schiedener Gemeindeglieder gefielen ihm, so wenig er
auch ihre wahre Bedeutung kannte, gar sehr, sodaß er
fast seinen Hunger darüber vergaß. Jetzt näherte er
sich dem Taufsteine, löschte seinen brennenden Durst
mit dem Wasser, das von der letzten Taufhandlung
her im Becken zurückgeblieben war, und betrachtete
mit kindlichem Wohlgefallen den zierlich geschnitzten und
reichlich vergoldeten Engel, der über der Taufschüssel
schwebte, mild auf ihn niederzulächeln und ihm zu
winken schien. Jmmer tiefer versenkte er sich in das
[Spaltenumbruch] Anschauen des freundlichen Bildes, als plötzlich ein
furchtbares Gewitter, verbunden mit heftigen Regen-
güssen, die vom Sturm getrieben rauschend an die
Fenster des Kirchleins anschlugen, ihn aufrüttelte, und
in demselben Augenblicke war es ihm, als flüstere eine
Stimme ihm leise zu, den Aufruhr der Elemente zu
seiner Flucht zu benutzen. Da zögerte er denn auch
nicht länger, verließ das Kirchlein und erreichte unge-
sehen das Freie, weil Alles im Dorfe bei diesem Un-
wetter das schützende Obdach der Behausung aufge-
sucht hatte.

Nur kurze Zeit verfolgte er die Landstraße, dann
wendete er sich feldeinwärts und gelangte bald nachher
auf einen wenig betretenen Fußpfad, der sich am
Saume eines Waldes hinzog. Der Regen hatte in-
zwischen nachgelassen und sinnend, den Blick auf den
Boden geheftet, verfolgte Albert seine Straße. Da
sah er etwas im Wege liegen. Er hob es auf und
siehe, es war ein schwerer, voller Geldbeutel. Noch
hielt er den Fund in seinen Händen, und nach allen
Seiten hin nach dem Eigenthümer desselben spähend,
ward er weit hinter sich einen Mann gewahr, der in
Begleitung eines Hundes ziemlich eilig auf unsern Al-
bert zuzukommen schien. Schnell sprang er in den
Wald, verbarg sich hinter einen Gebüsch und ließ nun
den Fremden ganz nahe herankommen.

Dieser blieb endlich auf der Stelle, wo Albert den
Geldbeutel gefunden hatte, stehen und aus den ängst-
lich am Boden umhersuchenden Blicken desselben sowie
aus den lauten Seufzern, welche von Zeit zu Zeit
über seine Lippen drangen, erkannte der im Gebüsch
Verborgene deutlich, daß er hier den Eigenthümer des
Geldbeutels vor sich habe. Gutmüthig trat er daher
mit seinem Funde hervor, und hochentzückt, sein Geld
wieder zu erhalten, zugleich aber auch verwundert über
die Ehrlichkeit des Knaben, herzte und küßte der Fremde
denselben und bat ihn, mitzukommen in sein Dorf.
Der Mann war ein Scherenschleifer, hatte das Geld
zum Kaufe eines Hauses gehoben und es beim Aus-
ruhen auf der Stelle, wo es Albert gefunden, in der
Eile liegen lassen, als er, vor dem herannahenden Ge-
witter sich zu bergen, schleunigst seines Wegs weiter
gezogen war. Der Ausdruck seines Gesichts flößte dem
Knaben Zutrauen ein, mehr aber noch der Umstand,
daß er einen Hund bei sich hatte, für welche Thiere
Albert nun einmal eine besondere Vorliebe besaß.
Schnell entschlossen sagte er daher zu und erzählte dem
Manne treuherzig den letzten Theil seiner Geschichte,
klagte ihm, wie hülflos und verlassen er sei und nahm
dadurch den wackern Schleifer noch mehr für sich ein.

( Fortsetzung folgt. )



Hirtentanz in den Alpen.

Zwischen der Via mala und dem Montblanc liegt eine
hohe Gebirgskette, von keiner Heerstraße durchzogen
und selten von einem Reisenden besucht. Eine Menge
Thäler, durch natürliche Mauern von der Welt abge-
schlossen, bilden dort gleichsam ein selbständiges Reich.
Die Mehrzahl seiner Bewohner kommt nie über die
engen Grenzen der Heimat hinaus, spricht einen eigen-
thümlichen Dialekt, hat seine besondern Sitten, seine
unschuldigen Hirtengebräuche vor jedem fremden Ein-
flusse bewahrt und ahnt nichts von allen den Sorgen
und Bedürfnissen der Städter jenseit der Berge. Das
sind frohe, unverderbte Naturmenschen! Zur Herbst-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Sie schalten ihn einen verschmitzten Buben, der um
Ausreden nicht verlegen sei, und sahen ihn als den
Späher und Gelegenheitsmacher einer Räuberbande an,
welche schon seit längerer Zeit die Gegend unsicher
machte. Ein trauriges Loch in einem Thurme ward
sein Gefängniß und eine Behandlung wie die eines
Verbrechers sein Theil.

Der Thurm war sehr hoch und zugleich von au-
ßerordentlicher Festigkeit, sodaß ein Entkommen aus
demselben beinahe unmöglich schien. Eben deswegen
hatte man auch wol die Fenster dieses Bollwerks
anstatt mit eisernen nur mit hölzernen Gittern ver-
sehen, die jedoch im Laufe der Jahrhunderte vom
Zahne der Zeit schon arg verwüstet worden wa-
ren. Um keine Reparatur an denselben vornehmen zu
müssen, sollten die Fenster eben damals bis zu einer
gewissen Höhe zugemauert werden, und zu diesem
Zwecke hatte man ein Gerüst außen vor denselben an-
gebracht. Mit einem Blicke bemerkte Albert die hier
gebotene Möglichkeit, zu entkommen, und beschloß, in
der nächsten Nacht einen Versuch für seine Freiheit zu
wagen.

Als sie angebrochen war, rüttelte er vorsichtig an
dem Gitter, bis es nachgab und zerbrach. Er stieg
aus dem Fenster auf das Gerüst und erblickte sich nun
vor einer schwindelnden Tiefe. Noch schien ihm ein
Sprung hinab zu gewagt und er beschloß daher, an
dem Gerüste niederzuklettern. Schon hatte er die
Hälfte der Höhe zurückgelegt, als eine Schildwache den
Flüchtling bemerkte und Lärm machte. Jetzt, von der
entsetzlichsten Angst gefoltert, bedachte er sich nicht län-
ger, den Sprung auf Leben und Tod zu wagen und
wunderbar! völlig unverletzt erreichte der Knabe den
Boden und — war gerettet. Schon hatte er auch
die Stadt ziemlich weit hinter sich, als er bemerkte,
daß man ihm nachsetze. Eilenden Laufs stürzte er da-
her nach der offenstehenden Kirche eines nahen Dor-
fes, und hier zeigte ihm der Schein einer Lampe,
welche vor einem Heiligenbilde brannte, einen sichern
Zufluchtsort — ein düsteres Grabgewölbe. Furchtlos
wie es von dem naturwüchsigen Burschen nicht anders
zu erwarten war, schlüpfte er hinter die morschen
Särge und bald schloß ein sanfter Schlummer die
Augen des von der übermächtigen Anstrengung bis
zum Tode Ermüdeten.

III.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Al-
bert erwachte und sich zugleich von einem wahren Heiß-
hunger gepeinigt fühlte. Da aber ein Tischler in der
Kirche an den Stühlen beschäftigt war, so getraute
sich der Ärmste nicht aus seinem Versteck hervor, son-
dern wartete lieber bis die Mittagsstunde den Arbeiter
nach Hause rief. Nun lugte er vorsichtig zwischen den
Särgen hindurch und der Anblick des freundlichen
Kirchleins war für ihn, der bis dahin wol nie ein
Gotteshaus betreten, ein überraschender. Die vielen
Bilder und Kreuze, die bunten Todtenkränze hinge-
schiedener Gemeindeglieder gefielen ihm, so wenig er
auch ihre wahre Bedeutung kannte, gar sehr, sodaß er
fast seinen Hunger darüber vergaß. Jetzt näherte er
sich dem Taufsteine, löschte seinen brennenden Durst
mit dem Wasser, das von der letzten Taufhandlung
her im Becken zurückgeblieben war, und betrachtete
mit kindlichem Wohlgefallen den zierlich geschnitzten und
reichlich vergoldeten Engel, der über der Taufschüssel
schwebte, mild auf ihn niederzulächeln und ihm zu
winken schien. Jmmer tiefer versenkte er sich in das
[Spaltenumbruch] Anschauen des freundlichen Bildes, als plötzlich ein
furchtbares Gewitter, verbunden mit heftigen Regen-
güssen, die vom Sturm getrieben rauschend an die
Fenster des Kirchleins anschlugen, ihn aufrüttelte, und
in demselben Augenblicke war es ihm, als flüstere eine
Stimme ihm leise zu, den Aufruhr der Elemente zu
seiner Flucht zu benutzen. Da zögerte er denn auch
nicht länger, verließ das Kirchlein und erreichte unge-
sehen das Freie, weil Alles im Dorfe bei diesem Un-
wetter das schützende Obdach der Behausung aufge-
sucht hatte.

Nur kurze Zeit verfolgte er die Landstraße, dann
wendete er sich feldeinwärts und gelangte bald nachher
auf einen wenig betretenen Fußpfad, der sich am
Saume eines Waldes hinzog. Der Regen hatte in-
zwischen nachgelassen und sinnend, den Blick auf den
Boden geheftet, verfolgte Albert seine Straße. Da
sah er etwas im Wege liegen. Er hob es auf und
siehe, es war ein schwerer, voller Geldbeutel. Noch
hielt er den Fund in seinen Händen, und nach allen
Seiten hin nach dem Eigenthümer desselben spähend,
ward er weit hinter sich einen Mann gewahr, der in
Begleitung eines Hundes ziemlich eilig auf unsern Al-
bert zuzukommen schien. Schnell sprang er in den
Wald, verbarg sich hinter einen Gebüsch und ließ nun
den Fremden ganz nahe herankommen.

Dieser blieb endlich auf der Stelle, wo Albert den
Geldbeutel gefunden hatte, stehen und aus den ängst-
lich am Boden umhersuchenden Blicken desselben sowie
aus den lauten Seufzern, welche von Zeit zu Zeit
über seine Lippen drangen, erkannte der im Gebüsch
Verborgene deutlich, daß er hier den Eigenthümer des
Geldbeutels vor sich habe. Gutmüthig trat er daher
mit seinem Funde hervor, und hochentzückt, sein Geld
wieder zu erhalten, zugleich aber auch verwundert über
die Ehrlichkeit des Knaben, herzte und küßte der Fremde
denselben und bat ihn, mitzukommen in sein Dorf.
Der Mann war ein Scherenschleifer, hatte das Geld
zum Kaufe eines Hauses gehoben und es beim Aus-
ruhen auf der Stelle, wo es Albert gefunden, in der
Eile liegen lassen, als er, vor dem herannahenden Ge-
witter sich zu bergen, schleunigst seines Wegs weiter
gezogen war. Der Ausdruck seines Gesichts flößte dem
Knaben Zutrauen ein, mehr aber noch der Umstand,
daß er einen Hund bei sich hatte, für welche Thiere
Albert nun einmal eine besondere Vorliebe besaß.
Schnell entschlossen sagte er daher zu und erzählte dem
Manne treuherzig den letzten Theil seiner Geschichte,
klagte ihm, wie hülflos und verlassen er sei und nahm
dadurch den wackern Schleifer noch mehr für sich ein.

( Fortsetzung folgt. )



Hirtentanz in den Alpen.

Zwischen der Via mala und dem Montblanc liegt eine
hohe Gebirgskette, von keiner Heerstraße durchzogen
und selten von einem Reisenden besucht. Eine Menge
Thäler, durch natürliche Mauern von der Welt abge-
schlossen, bilden dort gleichsam ein selbständiges Reich.
Die Mehrzahl seiner Bewohner kommt nie über die
engen Grenzen der Heimat hinaus, spricht einen eigen-
thümlichen Dialekt, hat seine besondern Sitten, seine
unschuldigen Hirtengebräuche vor jedem fremden Ein-
flusse bewahrt und ahnt nichts von allen den Sorgen
und Bedürfnissen der Städter jenseit der Berge. Das
sind frohe, unverderbte Naturmenschen! Zur Herbst-
[Ende Spaltensatz]

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[355/0003] 355 Sie schalten ihn einen verschmitzten Buben, der um Ausreden nicht verlegen sei, und sahen ihn als den Späher und Gelegenheitsmacher einer Räuberbande an, welche schon seit längerer Zeit die Gegend unsicher machte. Ein trauriges Loch in einem Thurme ward sein Gefängniß und eine Behandlung wie die eines Verbrechers sein Theil. Der Thurm war sehr hoch und zugleich von au- ßerordentlicher Festigkeit, sodaß ein Entkommen aus demselben beinahe unmöglich schien. Eben deswegen hatte man auch wol die Fenster dieses Bollwerks anstatt mit eisernen nur mit hölzernen Gittern ver- sehen, die jedoch im Laufe der Jahrhunderte vom Zahne der Zeit schon arg verwüstet worden wa- ren. Um keine Reparatur an denselben vornehmen zu müssen, sollten die Fenster eben damals bis zu einer gewissen Höhe zugemauert werden, und zu diesem Zwecke hatte man ein Gerüst außen vor denselben an- gebracht. Mit einem Blicke bemerkte Albert die hier gebotene Möglichkeit, zu entkommen, und beschloß, in der nächsten Nacht einen Versuch für seine Freiheit zu wagen. Als sie angebrochen war, rüttelte er vorsichtig an dem Gitter, bis es nachgab und zerbrach. Er stieg aus dem Fenster auf das Gerüst und erblickte sich nun vor einer schwindelnden Tiefe. Noch schien ihm ein Sprung hinab zu gewagt und er beschloß daher, an dem Gerüste niederzuklettern. Schon hatte er die Hälfte der Höhe zurückgelegt, als eine Schildwache den Flüchtling bemerkte und Lärm machte. Jetzt, von der entsetzlichsten Angst gefoltert, bedachte er sich nicht län- ger, den Sprung auf Leben und Tod zu wagen und wunderbar! völlig unverletzt erreichte der Knabe den Boden und — war gerettet. Schon hatte er auch die Stadt ziemlich weit hinter sich, als er bemerkte, daß man ihm nachsetze. Eilenden Laufs stürzte er da- her nach der offenstehenden Kirche eines nahen Dor- fes, und hier zeigte ihm der Schein einer Lampe, welche vor einem Heiligenbilde brannte, einen sichern Zufluchtsort — ein düsteres Grabgewölbe. Furchtlos wie es von dem naturwüchsigen Burschen nicht anders zu erwarten war, schlüpfte er hinter die morschen Särge und bald schloß ein sanfter Schlummer die Augen des von der übermächtigen Anstrengung bis zum Tode Ermüdeten. III. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Al- bert erwachte und sich zugleich von einem wahren Heiß- hunger gepeinigt fühlte. Da aber ein Tischler in der Kirche an den Stühlen beschäftigt war, so getraute sich der Ärmste nicht aus seinem Versteck hervor, son- dern wartete lieber bis die Mittagsstunde den Arbeiter nach Hause rief. Nun lugte er vorsichtig zwischen den Särgen hindurch und der Anblick des freundlichen Kirchleins war für ihn, der bis dahin wol nie ein Gotteshaus betreten, ein überraschender. 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Da zögerte er denn auch nicht länger, verließ das Kirchlein und erreichte unge- sehen das Freie, weil Alles im Dorfe bei diesem Un- wetter das schützende Obdach der Behausung aufge- sucht hatte. Nur kurze Zeit verfolgte er die Landstraße, dann wendete er sich feldeinwärts und gelangte bald nachher auf einen wenig betretenen Fußpfad, der sich am Saume eines Waldes hinzog. Der Regen hatte in- zwischen nachgelassen und sinnend, den Blick auf den Boden geheftet, verfolgte Albert seine Straße. Da sah er etwas im Wege liegen. Er hob es auf und siehe, es war ein schwerer, voller Geldbeutel. Noch hielt er den Fund in seinen Händen, und nach allen Seiten hin nach dem Eigenthümer desselben spähend, ward er weit hinter sich einen Mann gewahr, der in Begleitung eines Hundes ziemlich eilig auf unsern Al- bert zuzukommen schien. Schnell sprang er in den Wald, verbarg sich hinter einen Gebüsch und ließ nun den Fremden ganz nahe herankommen. Dieser blieb endlich auf der Stelle, wo Albert den Geldbeutel gefunden hatte, stehen und aus den ängst- lich am Boden umhersuchenden Blicken desselben sowie aus den lauten Seufzern, welche von Zeit zu Zeit über seine Lippen drangen, erkannte der im Gebüsch Verborgene deutlich, daß er hier den Eigenthümer des Geldbeutels vor sich habe. Gutmüthig trat er daher mit seinem Funde hervor, und hochentzückt, sein Geld wieder zu erhalten, zugleich aber auch verwundert über die Ehrlichkeit des Knaben, herzte und küßte der Fremde denselben und bat ihn, mitzukommen in sein Dorf. Der Mann war ein Scherenschleifer, hatte das Geld zum Kaufe eines Hauses gehoben und es beim Aus- ruhen auf der Stelle, wo es Albert gefunden, in der Eile liegen lassen, als er, vor dem herannahenden Ge- witter sich zu bergen, schleunigst seines Wegs weiter gezogen war. Der Ausdruck seines Gesichts flößte dem Knaben Zutrauen ein, mehr aber noch der Umstand, daß er einen Hund bei sich hatte, für welche Thiere Albert nun einmal eine besondere Vorliebe besaß. Schnell entschlossen sagte er daher zu und erzählte dem Manne treuherzig den letzten Theil seiner Geschichte, klagte ihm, wie hülflos und verlassen er sei und nahm dadurch den wackern Schleifer noch mehr für sich ein. ( Fortsetzung folgt. ) Hirtentanz in den Alpen. Zwischen der Via mala und dem Montblanc liegt eine hohe Gebirgskette, von keiner Heerstraße durchzogen und selten von einem Reisenden besucht. Eine Menge Thäler, durch natürliche Mauern von der Welt abge- schlossen, bilden dort gleichsam ein selbständiges Reich. Die Mehrzahl seiner Bewohner kommt nie über die engen Grenzen der Heimat hinaus, spricht einen eigen- thümlichen Dialekt, hat seine besondern Sitten, seine unschuldigen Hirtengebräuche vor jedem fremden Ein- flusse bewahrt und ahnt nichts von allen den Sorgen und Bedürfnissen der Städter jenseit der Berge. Das sind frohe, unverderbte Naturmenschen! Zur Herbst-

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 97. Leipzig (Sachsen), 9. November 1854, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig097_1854/3>, abgerufen am 03.12.2024.