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Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 157. Leipzig (Sachsen), 2. April 1836.

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Das Pfennig=Magazin.
[Beginn Spaltensatz]
Seelengröße Heinrich's, des Findelkindes
von Kempten.

Daß in unsern Vorfahren der Sinn für die thätige
Menschenliebe reger gewesen sei als jetzt, bezeugt die
ungezählte Menge von Hospitälern, Krankenherbergen,
milden Stiftungen und Versorgungsanstalten für alte
Leute, die wir nicht allein in allen deutschen Städ-
ten, sondern selbst in vielen Dörfern finden; Stiftun-
gen, ohne welche die neuere Zeit vielleicht nicht beste-
hen könnte. Ein rührenderer Zug aber von Seelener-
habenheit und aufopfernder Sorge für die Noth des
Nächsten, als Heinrich's, des Findelkindes von Kemp-
ten, findet sich schwerlich in den Jahrbüchern der
Menschenliebe; vielleicht nur im Morgenlande unter
den ersten Bekennern Christi. Hören wir, wie der
einfache Natursohn seine That erzählt: "Jch, Hein-
rich Findelkind. Mein Vater, der mich fand, hieß
der Maier von Kempten, der verdarb wegen Bürgschaft.
Der hatte neun Kinder und ich, Heinrich Findelkind,
war das zehnte. Da that er uns halb aus dem Hause,
daß wir gingen und dienen sollten. Da kam ich, Hein-
rich Findelkind, zu zweien Priestern, die wollten nach
Rom; mit denen ging ich über den Arlberg und wir
kamen zu Jacklein über Rhein. Da sprach Jacklein:
wo wollt ihr mit dem Knaben hin? Da sprachen die
Herren: er ist zu uns kommen auf dem Felde. Da
sprach Jacklein, wollt ihr ihn hier lassen, daß er uns
die Schweine hüte? Da sprachen sie, was er thut, ist
uns lieb. Und er dingte mich und gab mir das erste
Jahr zwei Gulden. Da war ich bei dem genannten
Jacklein zehn Jahre und ging mit ihm zur Kirche in
dem Winter und trug ihm das Schwert nach. Da
brachte man viel Leute, die waren auf dem Arlberg in
dem Schnee verdorben; denen hatten die Vögel die Au-
gen ausgefressen und die Kehlen ab. Das erbarmte
mich, Heinrich Findelkind, so sehr und ich hatte 15 Gul-
den verdient mit dem Hirtenstab. Da rufte ich und
sprach, ob Jemand nehmen wollte die 15 Gulden und
einen Anfang anheben auf dem Arlberg zu bauen, daß
die Leute nicht so verdürben? Das wollte Niemand
thun; da nahm ich den allmächtigen Gott zu Hülfe
und den lieben Herrn Sanct Christophel, der ein großer
Nothhelfer ist, und fing an mit den 15 Gulden, die
ich mit dem Hirtenstab verdient hatte, und den ersten
Winter half sieben Menschen mit dem heiligen Almo-
sen. Seitdem haben mir Gott und ehrbare Leute ge-
holfen, daß ich und meine Helfer des Lebens geret-
tet haben 50 Menschen, und den Anfang hub ich an
im Anfang des Jahres 1386 am Tage Johannis des
Täufers."

Der Segen des Herrn folgte einer so frommen
Johannisfeier und erweckte christliche Gemüther zur
Nachahmung. Heinrich durchzog bittend Deutschland,
Böhmen, Polen und Kroatien. Leopold, Herzog von
Östreich, welchem der arme Knecht Heinrich seine Bitte
vortrug, "ein Haus auf dem Arlberg zu bauen, damit
die armen Leute Herberge hätten, wenn sie vor Unwet-
ter oder Krankheit nicht weiter kommen könnten", gab
Beihülfe und Erlaubniß, weil viel guter Dinge von ein-
fältigen Leuten angefangen worden, und ermahnte in ei-
nem offenen Briefe, Grätz den 27. December 1386,
alle Nahegesessenen und Reisenden, sich dem Werke mit
zu unterziehen. Er selbst und noch drei fürstliche Paare
desselben Stammes verbrüderten sich mit der Versiche-
rung eines jährlichen Beitrages und ließen ihre Wap-
pen prächtig in das pergamentene Brüderbuch hinein-
malen, welches bis zum Jahre 1414 viele der edelsten
[Spaltenumbruch] Geschlechter Deutschlands aufführt; 17 Bischöfe gaben
reichliche Steuer oder geistliche Vortheile der St. =Chri-
stophelskapelle, welche in der Elendenherberge entstand.
Wenn Heinrich um Beisteuer bat, redete er also:
"Liebe Kinder, ihr sollt mir Almosen geben auf den
Arlberg zu Weg und Steg und zu einer Herberge, darin
man beherbergt Arm und Reich und aus dem ich mit
meinen Knechten, jeglicher mit vier Schneereifen, alle
Abende ausziehe und rufe, und wen wir im Schnee
finden, den tragen wir in die Herberge und geben ihm
Almosen."

Also ward, wie auf dem St.=Bernhard durch die
frommen Mönche, eine Brüderschaft gestiftet, deren zwei
Brüdermeistern die Pflicht auferlegt war, jährlich vor dem
Winter das Gottes= und Gasthaus zu besichtigen, dem
Oberbrüdermeister zu berichten, damit bei Zeiten vorge-
sorgt würde. Der Bruderwirth auf dem Berge wird
gehalten, jedem Reisenden über gute und böse Wege
Auskunft zu ertheilen, dem Reichen Speise und Trank
gegen Bezahlung, dem Armen umsonst zu reichen. Je-
dem pilgernden Priester ward gestattet, bei St. =Chri-
stophel Messe zu lesen für die Seelen verstorbener Brü-
der und Schwestern, und dafür an Speise und Trank
18 Kreuzer zu erhalten. Beim Ave Maria Abends
und Morgens mußte im Winter und bei Unwetter der
Wirth sammt einem Knechte mit vier Schneereifen, ei-
nem Kruge Wein und einem Stück Brot abwärts zu
den abgesteckten Stangen gehen, viermal mit lauter
Stimme rufen, und sobald er einen Hülfsbedürftigen
wahrnahm, ihn der Herberge zuführen, laben und spei-
sen. Alles, was sich das Jahr über zutrug, mußte der
Wirth dem Pfarrer zu Zambs, als nächstem Bruder-
meister, anzeigen.

Bis in die neuesten Zeiten, in welchen die Lan-
despolicei sich der Straßen und Wege annahm, ward
durch eine freiwillige Gesellschaft, ohne Geheiß als durch
das Gebot christlicher Liebe, vielen Tausenden Hülfe und
Rettung bereitet. Aber bis auf das Jahr 1790 ge-
dachte man nicht des Namens eines Wohlthäters, des-
sen Grab ein Wallfahrtsort für Freunde des Menschen-
wohls zu sein verdient.



Die Wanderkrabbe oder der Turluru.

Die sogenannte, in der umstehenden Abbildung dargestellte
Wanderkrabbe erreicht die Größe einer Hand und ist in
der Regel dunkelpurpurfarbig, zuweilen aber auch anders
gefärbt, auf dem Rücken hat sie eine Vertiefung, die ei-
nem H gleicht. Sie lebt in Jamaica und auch auf
dem festen Lande von Südamerika. Sie leben eigent-
lich auf dem Lande, in Höhlen, oft selbst in hochlie-
genden Gegenden, namentlich in Waldungen, doch auch
in den Feldern, wo sie großen Schaden durch Abknei-
pen der Blätter des jungen Zuckerrohrs und Korns an-
richten.

Sie dienen den ärmern Bewohnern jener Gegenden als
ein Hauptnahrungsmittel, und um sich dies zu verschaf-
fen, ziehen sie, wenn es dunkel wird, mit Fackeln trupp-
weise aus und kehren meist nach Mitternacht mit reichlich
gefüllten Körben zurück. Die Jndianer und Neger be-
gnügen sich aber nicht damit, sie blos so zu genießen,
sondern sie bewahren sie in Fässern und füttern sie mit Fei-
genschalen u. dergl., um sie fetter und wohlschmeckender zu
machen. Werden diese Thiere außerhalb ihres gewöhn-
lichen Aufenthalts gefunden, so suchen sie so schnell als
[Ende Spaltensatz]

Das Pfennig=Magazin.
[Beginn Spaltensatz]
Seelengröße Heinrich's, des Findelkindes
von Kempten.

Daß in unsern Vorfahren der Sinn für die thätige
Menschenliebe reger gewesen sei als jetzt, bezeugt die
ungezählte Menge von Hospitälern, Krankenherbergen,
milden Stiftungen und Versorgungsanstalten für alte
Leute, die wir nicht allein in allen deutschen Städ-
ten, sondern selbst in vielen Dörfern finden; Stiftun-
gen, ohne welche die neuere Zeit vielleicht nicht beste-
hen könnte. Ein rührenderer Zug aber von Seelener-
habenheit und aufopfernder Sorge für die Noth des
Nächsten, als Heinrich's, des Findelkindes von Kemp-
ten, findet sich schwerlich in den Jahrbüchern der
Menschenliebe; vielleicht nur im Morgenlande unter
den ersten Bekennern Christi. Hören wir, wie der
einfache Natursohn seine That erzählt: „Jch, Hein-
rich Findelkind. Mein Vater, der mich fand, hieß
der Maier von Kempten, der verdarb wegen Bürgschaft.
Der hatte neun Kinder und ich, Heinrich Findelkind,
war das zehnte. Da that er uns halb aus dem Hause,
daß wir gingen und dienen sollten. Da kam ich, Hein-
rich Findelkind, zu zweien Priestern, die wollten nach
Rom; mit denen ging ich über den Arlberg und wir
kamen zu Jacklein über Rhein. Da sprach Jacklein:
wo wollt ihr mit dem Knaben hin? Da sprachen die
Herren: er ist zu uns kommen auf dem Felde. Da
sprach Jacklein, wollt ihr ihn hier lassen, daß er uns
die Schweine hüte? Da sprachen sie, was er thut, ist
uns lieb. Und er dingte mich und gab mir das erste
Jahr zwei Gulden. Da war ich bei dem genannten
Jacklein zehn Jahre und ging mit ihm zur Kirche in
dem Winter und trug ihm das Schwert nach. Da
brachte man viel Leute, die waren auf dem Arlberg in
dem Schnee verdorben; denen hatten die Vögel die Au-
gen ausgefressen und die Kehlen ab. Das erbarmte
mich, Heinrich Findelkind, so sehr und ich hatte 15 Gul-
den verdient mit dem Hirtenstab. Da rufte ich und
sprach, ob Jemand nehmen wollte die 15 Gulden und
einen Anfang anheben auf dem Arlberg zu bauen, daß
die Leute nicht so verdürben? Das wollte Niemand
thun; da nahm ich den allmächtigen Gott zu Hülfe
und den lieben Herrn Sanct Christophel, der ein großer
Nothhelfer ist, und fing an mit den 15 Gulden, die
ich mit dem Hirtenstab verdient hatte, und den ersten
Winter half sieben Menschen mit dem heiligen Almo-
sen. Seitdem haben mir Gott und ehrbare Leute ge-
holfen, daß ich und meine Helfer des Lebens geret-
tet haben 50 Menschen, und den Anfang hub ich an
im Anfang des Jahres 1386 am Tage Johannis des
Täufers.“

Der Segen des Herrn folgte einer so frommen
Johannisfeier und erweckte christliche Gemüther zur
Nachahmung. Heinrich durchzog bittend Deutschland,
Böhmen, Polen und Kroatien. Leopold, Herzog von
Östreich, welchem der arme Knecht Heinrich seine Bitte
vortrug, „ein Haus auf dem Arlberg zu bauen, damit
die armen Leute Herberge hätten, wenn sie vor Unwet-
ter oder Krankheit nicht weiter kommen könnten“, gab
Beihülfe und Erlaubniß, weil viel guter Dinge von ein-
fältigen Leuten angefangen worden, und ermahnte in ei-
nem offenen Briefe, Grätz den 27. December 1386,
alle Nahegesessenen und Reisenden, sich dem Werke mit
zu unterziehen. Er selbst und noch drei fürstliche Paare
desselben Stammes verbrüderten sich mit der Versiche-
rung eines jährlichen Beitrages und ließen ihre Wap-
pen prächtig in das pergamentene Brüderbuch hinein-
malen, welches bis zum Jahre 1414 viele der edelsten
[Spaltenumbruch] Geschlechter Deutschlands aufführt; 17 Bischöfe gaben
reichliche Steuer oder geistliche Vortheile der St. =Chri-
stophelskapelle, welche in der Elendenherberge entstand.
Wenn Heinrich um Beisteuer bat, redete er also:
„Liebe Kinder, ihr sollt mir Almosen geben auf den
Arlberg zu Weg und Steg und zu einer Herberge, darin
man beherbergt Arm und Reich und aus dem ich mit
meinen Knechten, jeglicher mit vier Schneereifen, alle
Abende ausziehe und rufe, und wen wir im Schnee
finden, den tragen wir in die Herberge und geben ihm
Almosen.“

Also ward, wie auf dem St.=Bernhard durch die
frommen Mönche, eine Brüderschaft gestiftet, deren zwei
Brüdermeistern die Pflicht auferlegt war, jährlich vor dem
Winter das Gottes= und Gasthaus zu besichtigen, dem
Oberbrüdermeister zu berichten, damit bei Zeiten vorge-
sorgt würde. Der Bruderwirth auf dem Berge wird
gehalten, jedem Reisenden über gute und böse Wege
Auskunft zu ertheilen, dem Reichen Speise und Trank
gegen Bezahlung, dem Armen umsonst zu reichen. Je-
dem pilgernden Priester ward gestattet, bei St. =Chri-
stophel Messe zu lesen für die Seelen verstorbener Brü-
der und Schwestern, und dafür an Speise und Trank
18 Kreuzer zu erhalten. Beim Ave Maria Abends
und Morgens mußte im Winter und bei Unwetter der
Wirth sammt einem Knechte mit vier Schneereifen, ei-
nem Kruge Wein und einem Stück Brot abwärts zu
den abgesteckten Stangen gehen, viermal mit lauter
Stimme rufen, und sobald er einen Hülfsbedürftigen
wahrnahm, ihn der Herberge zuführen, laben und spei-
sen. Alles, was sich das Jahr über zutrug, mußte der
Wirth dem Pfarrer zu Zambs, als nächstem Bruder-
meister, anzeigen.

Bis in die neuesten Zeiten, in welchen die Lan-
despolicei sich der Straßen und Wege annahm, ward
durch eine freiwillige Gesellschaft, ohne Geheiß als durch
das Gebot christlicher Liebe, vielen Tausenden Hülfe und
Rettung bereitet. Aber bis auf das Jahr 1790 ge-
dachte man nicht des Namens eines Wohlthäters, des-
sen Grab ein Wallfahrtsort für Freunde des Menschen-
wohls zu sein verdient.



Die Wanderkrabbe oder der Turluru.

Die sogenannte, in der umstehenden Abbildung dargestellte
Wanderkrabbe erreicht die Größe einer Hand und ist in
der Regel dunkelpurpurfarbig, zuweilen aber auch anders
gefärbt, auf dem Rücken hat sie eine Vertiefung, die ei-
nem H gleicht. Sie lebt in Jamaica und auch auf
dem festen Lande von Südamerika. Sie leben eigent-
lich auf dem Lande, in Höhlen, oft selbst in hochlie-
genden Gegenden, namentlich in Waldungen, doch auch
in den Feldern, wo sie großen Schaden durch Abknei-
pen der Blätter des jungen Zuckerrohrs und Korns an-
richten.

Sie dienen den ärmern Bewohnern jener Gegenden als
ein Hauptnahrungsmittel, und um sich dies zu verschaf-
fen, ziehen sie, wenn es dunkel wird, mit Fackeln trupp-
weise aus und kehren meist nach Mitternacht mit reichlich
gefüllten Körben zurück. Die Jndianer und Neger be-
gnügen sich aber nicht damit, sie blos so zu genießen,
sondern sie bewahren sie in Fässern und füttern sie mit Fei-
genschalen u. dergl., um sie fetter und wohlschmeckender zu
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[Ende Spaltensatz]

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Je- dem pilgernden Priester ward gestattet, bei St. =Chri- stophel Messe zu lesen für die Seelen verstorbener Brü- der und Schwestern, und dafür an Speise und Trank 18 Kreuzer zu erhalten. Beim Ave Maria Abends und Morgens mußte im Winter und bei Unwetter der Wirth sammt einem Knechte mit vier Schneereifen, ei- nem Kruge Wein und einem Stück Brot abwärts zu den abgesteckten Stangen gehen, viermal mit lauter Stimme rufen, und sobald er einen Hülfsbedürftigen wahrnahm, ihn der Herberge zuführen, laben und spei- sen. Alles, was sich das Jahr über zutrug, mußte der Wirth dem Pfarrer zu Zambs, als nächstem Bruder- meister, anzeigen. Bis in die neuesten Zeiten, in welchen die Lan- despolicei sich der Straßen und Wege annahm, ward durch eine freiwillige Gesellschaft, ohne Geheiß als durch das Gebot christlicher Liebe, vielen Tausenden Hülfe und Rettung bereitet. Aber bis auf das Jahr 1790 ge- dachte man nicht des Namens eines Wohlthäters, des- sen Grab ein Wallfahrtsort für Freunde des Menschen- wohls zu sein verdient. Die Wanderkrabbe oder der Turluru. Die sogenannte, in der umstehenden Abbildung dargestellte Wanderkrabbe erreicht die Größe einer Hand und ist in der Regel dunkelpurpurfarbig, zuweilen aber auch anders gefärbt, auf dem Rücken hat sie eine Vertiefung, die ei- nem H gleicht. Sie lebt in Jamaica und auch auf dem festen Lande von Südamerika. Sie leben eigent- lich auf dem Lande, in Höhlen, oft selbst in hochlie- genden Gegenden, namentlich in Waldungen, doch auch in den Feldern, wo sie großen Schaden durch Abknei- pen der Blätter des jungen Zuckerrohrs und Korns an- richten. Sie dienen den ärmern Bewohnern jener Gegenden als ein Hauptnahrungsmittel, und um sich dies zu verschaf- fen, ziehen sie, wenn es dunkel wird, mit Fackeln trupp- weise aus und kehren meist nach Mitternacht mit reichlich gefüllten Körben zurück. Die Jndianer und Neger be- gnügen sich aber nicht damit, sie blos so zu genießen, sondern sie bewahren sie in Fässern und füttern sie mit Fei- genschalen u. dergl., um sie fetter und wohlschmeckender zu machen. Werden diese Thiere außerhalb ihres gewöhn- lichen Aufenthalts gefunden, so suchen sie so schnell als

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 157. Leipzig (Sachsen), 2. April 1836, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig157_1836/3>, abgerufen am 23.11.2024.