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Reichspost. Nr. 7, Wien, 10.01.1905.

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[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Redaktion, Administration,
Expedition
und Druckerei:
VIII., Strozzigasse 41.




Stadterpedition I., Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldschmiedt.




Unfrankierte und nicht genügend
frankierte Briefe werden nicht ange-
nommen; Manuskripte werden nicht
zurückgestellt. Unverschlossene Rekla-
mationen sind portofrei.




Inserate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigasse 41,
sowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erscheint täglich 6 Uhr nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


[Spaltenumbruch]
Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Österreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Bezugspreise:
Für Wien mit Zustellung ins Haus
ganzjährig ......... 28 K
halbjährig ......... 14 K
vierteljährig ........ 7 K
monatlich ....... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h, per Post
10 h.

Bei Abholung in unserer Administra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für Österreich-Ungarn:
ganzjährig ......... 32 K
halbjährig ......... 16 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h

Für Deutschland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Weltpostvereines:
vierteljährig 12 K oder 10 Mark.




Telephon 18082.




XII. Jahrgang. Wien, Dienstag, 10. Jänner 1905. Nr. 7.



[Spaltenumbruch]
Wehrhafter Katholizismus.


Heute abends versammeln sich in der Volks-
halle des Wiener Rathauses Tausende von
Katholiken Wiens. Hinter den Tausenden, die
erscheinen, stehen Hunderttausende andere in- und
außerhalb der Reichshauptstadt. Viele Hunderte
von Kundgebungen aus allen Kronländern be-
zeugen dies. -- Das ist keine künstlich erzeugte
Bewegung, die das Volk durchflutet, sondern ein
lang angesammelter, durch eine wahre Leidens-
geschichte des österreichischen Katholizismus ange-
sammelter Groll, der sich laut und entschieden
kundgibt. Das Volk erträgt es nicht länger, daß
die Verrohung, die Brutalität, ein Preßpiratentum,
welches sich längst außerhalb aller Gesetze mensch-
licher Gesittung gestellt hat, gegenüber jedem
ruhigen Bürger, gegenüber jedem Heiligtum des
christlichen Volkes das Recht strafloser Verun-
glimpfung und Verletzung haben sollen. Das
Maß der Schuld und des Zornes ist nun über-
gelaufen.

Die Abwehr gilt nicht einer vereinzelten
Erscheinung; wenn die Bewegung durch einen
einzelnen Vorfall in Fluß kam, so war dies nur
der letzte Anstoß, und es ist sehr abgeschmackt von
der liberalen Presse, sich mit dem Versuche abzu-
mühen, die Abwehrbewegung der Wiener Katho-
liken durch die Behauptung zu verkleinern, die
Größe derselben stehe in gar keinem Verhältnis
zu der Bedeutungslosigkeit des Wiener alldeutschen
Blättchens und verleihe letzterem ein ungebühr-
liches Gewicht. Sollte es wirklich ein beneidens-
wertes Schicksal eines Blattes sein, vor aller
Welt und unter Zustimmung aller Anständigen
dem Abscheu preisgegeben zu werden? -- Aber
die Entrüstung der Bevölkerung gilt ja nicht so
[Spaltenumbruch] sehr einem einzelnen Preßerzeugnis, sondern der
ganzen eingerissenen Uebung, daß alles
Katholische mit Steinen beworfen wird.
Diese Uebung wird von Dutzenden alldeutscher
und jüdisch-sozialdemokratischer Blätter und Blätt-
chen in Wien und anderwärts ohne Unterlaß be-
trieben und das Bezeichnendste daran ist, daß sich
diese Uebung seitens der Regierung einer respekt-
vollen Duldung erfreut. So ist eine gewisse Gat-
tung von Preßerzeugnissen zu einem Asyl für alle
Verletzungen der bürgerlichen Gemeinschaft ge-
worden, einem Asyl, das durch die unerhörtesten
Privilegien gegen die Gesetze geschützt zu sein
scheint.

Dagegen wenden wir uns, gegen diese
Entartung der staatlichen Auffassungen über den
Rechtsschutz der Bürger, und nicht gegen die wahre
Preßfreiheit und die Freiheit der Ueberzeugungen
zielt diese Bewegung, sondern gegen die Knechtung
und gewalttätige Verletzung der Freiheit der
Ueberzeugung. Der Schutz dieser Freiheit kann
niemals in Widerspruch stehen mit einer recht-
verstandenen Preßfreiheit.

Wie sehen aber in dieser Bewegung nicht nur
die Sache der gläubigen Katholiken, sondern über-
haupt aller derjenigen, welche die Aenderung
unserer tieftraurigen öffentlichen Zustände wollen.
Unser ganzes politisches Leben leidet heute an
einer Ueberproduktion von Gemeinheit. Die sach-
lichen Argumente im Kampfe der Parteien sind
von einigen Gruppen ausgetauscht worden gegen
Klopffechterei und Roheit. Wer am stärksten
schimpft und am wildesten herumschlägt, der flößt
der Regierung und einem Teile der Oeffentlichkeit
Respekt ein, nicht derjenige, der verständig
und überlegt zu handeln und zu sprechen weiß.
Derartige Verhältnisse müssen zum Verfalle
unseres politischen Lebens führen und dem ent-
[Spaltenumbruch] gegenzuarbeiten, ist nicht nur Sache der katholisch
gesinnten Bürgerschaft, sondern überhaupt aller,
denen an der Gesundung unserer politischen
Zustände, an der Lebensfähigkeit unserer Ver-
fassung, an der Erfüllung der zivilisatorischen
Aufgaben einer modernen Staatsgemeinschaft
etwas liegt.

Das Ministerium wird hier Gelegenheit
finden, seine Bereitschaft zur Mitarbeit an der
politischen Regeneration Oesterreichs, die der
Herr Ministerpräsident tagtäglich einem halben
Dutzend Parlamentarier versichert, praktisch zu
beweisen.




Politische Rundschau.
Oesterreich-Ungarn.


Die Konferenzen des Minister-
präsidenten.

Freiherr v. Gautsch empfing
gestern und vorgestern die Abgeordneten Graf
Ernst Sylva-Tarouca, Dr. v. Grabmayr,
Dr. Funke, Dr. Beurle, Dr. Ivcevic, Freiherr
v. Malfatti, Dr. Rizzi und Dr. Erler. Die
Besprechung galt vornehmlich der Innsbrucker
Fakultätsfrage. Heute empfing Herr v. Gautsch
die Obmänner des Jungtschechenklubs abermals
bei sich. Die Konferenzen sollen in dieser Woche
zu Ende gehen. Nach neuen Dispositionen steht
die Einberufung des Reichsrates bevor; die
Tagung soll bis Mitte April währen.

Ueber den Sturz Dr. v. Koerbers.

Der Obmann der deutschen Fortschrittspartei
Abg. Dr. Groß hat in Bielitz eine Rede ge-
halten, in der er unter vielem Unwesentlichen
auch den Abgang Dr. v. Koerbers besprach. Die




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



[Nachdruck verboten.]

Zur Geschichte des Deutschtums in
England.

(Von unserem englischen Korrespon-
denten.)

Lange vor der römischen Herrschaft besaß
England eine deutsche Kolonie, die sich an der
südlichen Küste seßhaft gemacht hatte. Cäsar fand
dort Leute vom Lande der Belgae, die in drei
Hauptvölkerschaften zerteilt waren und sich deutscher
Abkunft, deutscher Sitte und deutschen Geistes
rühmten. "Belgen, Friesen und Batavier waren
es, die vier Jahrhunderte hindurch in den römi-
schen Heeren dienten, Agricola auf seinem Zuge
nach Brittanien begleiteten und ihm diese Insel
erobern halfen." (Schiller: "Geschichte des Abfalls
der Niederlande".) Daneben waren sie aber auch
treffliche Ackerbauer und Viehzüchter und aus den
ehemaligen tapferen Kriegern wurden Kolonisten
und -- Städtegründer. In alten römischen Ur-
kunden aus der Regierungszeit von Valens und
Honorius wird wiederholt des "sächsischen
Ufers" von Britannien gedacht und auf der
römischen Karte der Insulae Britannicae heißt die
Küste gegenüber der Insel Wight bis nach Dover
hinauf: Litus Saxonicum. (Prof. Schaible:
"Die Deutschen in England"). Bezeichnend ist
noch heute, daß der Engländer zuweilen gerne
von seinen Saxon forefathers, von Deutschland
als dem Fatherland spricht und daß der
germanische Stamm der Angeln, die ursprünglich
zwischen der Weser und Elbe (im östlichen Teile
[Spaltenumbruch] des heutigen Hannover) wohnten England, (Angel-
land, Aenglaland) seinen Namen gegeben hat.

Während der Herrschaft der Angeln, Sachsen
und anderer deutscher Stämme unterhielt die
germanische Kolonie in England mit der Heimat
eine ununterbrochene Verbindung, die dadurch er-
leichtert wurde, daß sich die Sprache und die
Sitten der beiden Reiche im Laufe mehrerer
Jahrhunderte nur unwesentlich veränderten.
Man sprach von den Zuzüglern oder Besuchern
als "den Vettern aus Altsachsen", die deutschen
Kaufleute, die Geschäfte zu den "Inselsachsen"
führten, hießen "Kaisermannen", und König Aethel-
dred II. (976--1016), der ihnen zahlreiche Privi-
legien verlieh, nennt sie in einer Urkunde "die
Leute des Kaisers". Die später so häufig (seit
Georg II. sozusagen ständig) vorkommenden ehe-
lichen Verbindungen englischer und deutscher
Fürstenhäuser (und einer solchen entstammt auch
der heute regierende englische Monarch) nehmen
ihren Anfang mit einer Vermählung Ottos des
Großen (deutscher König und römischer Kaiser)
mit einer Enkelin des großen angelsächsischen
Königs Alfred.

Erst während der normännischen Periode
wurde England für die Deutschen ein fremdes
Land, zumal deren Sprache fast verdrängt wurde.
An ihre Stelle trat das normännische Französisch,
das zur Sprache der herrschenden Klassen, der
Geistlichkeit und der Gebildeten wurde. Eine
fürchterliche Unterdrückung der Sachsen begann,
ihre Sprache verschwand als Schriftsprache fast
gänzlich oder sie wurde allmählich doch so
zersetzt, daß sich aus dem Angelsächsischen und
normännischen Französisch ein Konglomerat, eine
neue Sprache bildete. In jene Tage der Gewalt-
[Spaltenumbruch] tätigkeit fällt der Anfang des Fremdenhasses der
englischen Massen, der grell absticht von der ehe-
maligen Gutmütigkeit und vielgerühmten Gast-
freundlichkeit der alten Inselsachsen.

Unter den Plantagenets (1154--1485) brachen
für die beiden stammverwandten Völker bessere
Zeiten an und sie führten zu einer allmählichen
Wiederaufnahme der politischen, religiösen und
kaufmännischen Beziehungen. Heinrich II. gab
seine Tochter dem Welfen Heinrich dem Löwen
zur Gemahlin und Eduard I. bot dem Kaiser
Rudolf ein Heiratsbündnis zwischen den Häusern
Plantagenet und Habsburg an, das jedoch an
dem tragischen Tode Hartmanns, des Sohnes des
Kaisers, scheiterte. Der Adel beider Nationen kam
in innige Fühlung und so beteiligten sich z. B.
englische Ritter an den Kämpfen des deutschen
[R]itterordens gegen die Litthauer und Polen,
deutsche Ritter an den Einfällen Eduards III. in
Frankreich. Dieser ist, nebenbei bemerkt, auch
einer der ersten Förderer des Kölner Dombaues,
denn in Anerkennung der Hilfeleistung der Kölner
Kaufmannsgilde bei der Befreiung des englischen
Königs Richard I., mit dem Beinamen "Löwen-
herz", aus der Gefangenschaft, stiftete Eduard,
auf seiner Fahrt nach Koblenz, wo er am
31. August 1328 eintraf, zum Zwecke einer Zu-
sammenkunft mit Kaiser Ludwig, eine Summe,
die dem heutigen Werte nach 20.000 Mk. über-
schritten haben dürfte.

Mit den Tudors trat wohl eine Ver-
schlechterung der politischen, nicht aber der
religiösen und geistigen Beziehungen der beiden
Völker zu einander ein. Heinrich VIII. schloß
Bündnisse und löste sie wieder, gerade wie es ihm
am besten in den Kram paßte; er bekämpfte


[Abbildung] Die heutige Nummer ist 12 Seiten stark. [Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Redaktion, Adminiſtration,
Expedition
und Druckerei:
VIII., Strozzigaſſe 41.




Stadterpedition I., Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldſchmiedt.




Unfrankierte und nicht genügend
frankierte Briefe werden nicht ange-
nommen; Manuſkripte werden nicht
zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Rekla-
mationen ſind portofrei.




Inſerate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigaſſe 41,
ſowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erſcheint täglich 6 Uhr nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage.


[Spaltenumbruch]
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Öſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 8 h



Bezugspreiſe:
Für Wien mit Zuſtellung ins Haus
ganzjährig ......... 28 K
halbjährig ......... 14 K
vierteljährig ........ 7 K
monatlich ....... 2 K 35 h

Einzelne Nummern 8 h, per Poſt
10 h.

Bei Abholung in unſerer Adminiſtra-
tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K

Für Öſterreich-Ungarn:
ganzjährig ......... 32 K
halbjährig ......... 16 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h

Für Deutſchland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.

Länder des Weltpoſtvereines:
vierteljährig 12 K oder 10 Mark.




Telephon 18082.




XII. Jahrgang. Wien, Dienstag, 10. Jänner 1905. Nr. 7.



[Spaltenumbruch]
Wehrhafter Katholizismus.


Heute abends verſammeln ſich in der Volks-
halle des Wiener Rathauſes Tauſende von
Katholiken Wiens. Hinter den Tauſenden, die
erſcheinen, ſtehen Hunderttauſende andere in- und
außerhalb der Reichshauptſtadt. Viele Hunderte
von Kundgebungen aus allen Kronländern be-
zeugen dies. — Das iſt keine künſtlich erzeugte
Bewegung, die das Volk durchflutet, ſondern ein
lang angeſammelter, durch eine wahre Leidens-
geſchichte des öſterreichiſchen Katholizismus ange-
ſammelter Groll, der ſich laut und entſchieden
kundgibt. Das Volk erträgt es nicht länger, daß
die Verrohung, die Brutalität, ein Preßpiratentum,
welches ſich längſt außerhalb aller Geſetze menſch-
licher Geſittung geſtellt hat, gegenüber jedem
ruhigen Bürger, gegenüber jedem Heiligtum des
chriſtlichen Volkes das Recht ſtrafloſer Verun-
glimpfung und Verletzung haben ſollen. Das
Maß der Schuld und des Zornes iſt nun über-
gelaufen.

Die Abwehr gilt nicht einer vereinzelten
Erſcheinung; wenn die Bewegung durch einen
einzelnen Vorfall in Fluß kam, ſo war dies nur
der letzte Anſtoß, und es iſt ſehr abgeſchmackt von
der liberalen Preſſe, ſich mit dem Verſuche abzu-
mühen, die Abwehrbewegung der Wiener Katho-
liken durch die Behauptung zu verkleinern, die
Größe derſelben ſtehe in gar keinem Verhältnis
zu der Bedeutungsloſigkeit des Wiener alldeutſchen
Blättchens und verleihe letzterem ein ungebühr-
liches Gewicht. Sollte es wirklich ein beneidens-
wertes Schickſal eines Blattes ſein, vor aller
Welt und unter Zuſtimmung aller Anſtändigen
dem Abſcheu preisgegeben zu werden? — Aber
die Entrüſtung der Bevölkerung gilt ja nicht ſo
[Spaltenumbruch] ſehr einem einzelnen Preßerzeugnis, ſondern der
ganzen eingeriſſenen Uebung, daß alles
Katholiſche mit Steinen beworfen wird.
Dieſe Uebung wird von Dutzenden alldeutſcher
und jüdiſch-ſozialdemokratiſcher Blätter und Blätt-
chen in Wien und anderwärts ohne Unterlaß be-
trieben und das Bezeichnendſte daran iſt, daß ſich
dieſe Uebung ſeitens der Regierung einer reſpekt-
vollen Duldung erfreut. So iſt eine gewiſſe Gat-
tung von Preßerzeugniſſen zu einem Aſyl für alle
Verletzungen der bürgerlichen Gemeinſchaft ge-
worden, einem Aſyl, das durch die unerhörteſten
Privilegien gegen die Geſetze geſchützt zu ſein
ſcheint.

Dagegen wenden wir uns, gegen dieſe
Entartung der ſtaatlichen Auffaſſungen über den
Rechtsſchutz der Bürger, und nicht gegen die wahre
Preßfreiheit und die Freiheit der Ueberzeugungen
zielt dieſe Bewegung, ſondern gegen die Knechtung
und gewalttätige Verletzung der Freiheit der
Ueberzeugung. Der Schutz dieſer Freiheit kann
niemals in Widerſpruch ſtehen mit einer recht-
verſtandenen Preßfreiheit.

Wie ſehen aber in dieſer Bewegung nicht nur
die Sache der gläubigen Katholiken, ſondern über-
haupt aller derjenigen, welche die Aenderung
unſerer tieftraurigen öffentlichen Zuſtände wollen.
Unſer ganzes politiſches Leben leidet heute an
einer Ueberproduktion von Gemeinheit. Die ſach-
lichen Argumente im Kampfe der Parteien ſind
von einigen Gruppen ausgetauſcht worden gegen
Klopffechterei und Roheit. Wer am ſtärkſten
ſchimpft und am wildeſten herumſchlägt, der flößt
der Regierung und einem Teile der Oeffentlichkeit
Reſpekt ein, nicht derjenige, der verſtändig
und überlegt zu handeln und zu ſprechen weiß.
Derartige Verhältniſſe müſſen zum Verfalle
unſeres politiſchen Lebens führen und dem ent-
[Spaltenumbruch] gegenzuarbeiten, iſt nicht nur Sache der katholiſch
geſinnten Bürgerſchaft, ſondern überhaupt aller,
denen an der Geſundung unſerer politiſchen
Zuſtände, an der Lebensfähigkeit unſerer Ver-
faſſung, an der Erfüllung der ziviliſatoriſchen
Aufgaben einer modernen Staatsgemeinſchaft
etwas liegt.

Das Miniſterium wird hier Gelegenheit
finden, ſeine Bereitſchaft zur Mitarbeit an der
politiſchen Regeneration Oeſterreichs, die der
Herr Miniſterpräſident tagtäglich einem halben
Dutzend Parlamentarier verſichert, praktiſch zu
beweiſen.




Politiſche Rundſchau.
Oeſterreich-Ungarn.


Die Konferenzen des Miniſter-
präſidenten.

Freiherr v. Gautſch empfing
geſtern und vorgeſtern die Abgeordneten Graf
Ernſt Sylva-Tarouca, Dr. v. Grabmayr,
Dr. Funke, Dr. Beurle, Dr. Ivcevic, Freiherr
v. Malfatti, Dr. Rizzi und Dr. Erler. Die
Beſprechung galt vornehmlich der Innsbrucker
Fakultätsfrage. Heute empfing Herr v. Gautſch
die Obmänner des Jungtſchechenklubs abermals
bei ſich. Die Konferenzen ſollen in dieſer Woche
zu Ende gehen. Nach neuen Dispoſitionen ſteht
die Einberufung des Reichsrates bevor; die
Tagung ſoll bis Mitte April währen.

Ueber den Sturz Dr. v. Koerbers.

Der Obmann der deutſchen Fortſchrittspartei
Abg. Dr. Groß hat in Bielitz eine Rede ge-
halten, in der er unter vielem Unweſentlichen
auch den Abgang Dr. v. Koerbers beſprach. Die




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



[Nachdruck verboten.]

Zur Geſchichte des Deutſchtums in
England.

(Von unſerem engliſchen Korreſpon-
denten.)

Lange vor der römiſchen Herrſchaft beſaß
England eine deutſche Kolonie, die ſich an der
ſüdlichen Küſte ſeßhaft gemacht hatte. Cäſar fand
dort Leute vom Lande der Belgae, die in drei
Hauptvölkerſchaften zerteilt waren und ſich deutſcher
Abkunft, deutſcher Sitte und deutſchen Geiſtes
rühmten. „Belgen, Frieſen und Batavier waren
es, die vier Jahrhunderte hindurch in den römi-
ſchen Heeren dienten, Agricola auf ſeinem Zuge
nach Brittanien begleiteten und ihm dieſe Inſel
erobern halfen.“ (Schiller: „Geſchichte des Abfalls
der Niederlande“.) Daneben waren ſie aber auch
treffliche Ackerbauer und Viehzüchter und aus den
ehemaligen tapferen Kriegern wurden Koloniſten
und — Städtegründer. In alten römiſchen Ur-
kunden aus der Regierungszeit von Valens und
Honorius wird wiederholt des „ſächſiſchen
Ufers“ von Britannien gedacht und auf der
römiſchen Karte der Insulae Britannicae heißt die
Küſte gegenüber der Inſel Wight bis nach Dover
hinauf: Litus Saxonicum. (Prof. Schaible:
„Die Deutſchen in England“). Bezeichnend iſt
noch heute, daß der Engländer zuweilen gerne
von ſeinen Saxon forefathers, von Deutſchland
als dem Fatherland ſpricht und daß der
germaniſche Stamm der Angeln, die urſprünglich
zwiſchen der Weſer und Elbe (im öſtlichen Teile
[Spaltenumbruch] des heutigen Hannover) wohnten England, (Angel-
land, Aenglaland) ſeinen Namen gegeben hat.

Während der Herrſchaft der Angeln, Sachſen
und anderer deutſcher Stämme unterhielt die
germaniſche Kolonie in England mit der Heimat
eine ununterbrochene Verbindung, die dadurch er-
leichtert wurde, daß ſich die Sprache und die
Sitten der beiden Reiche im Laufe mehrerer
Jahrhunderte nur unweſentlich veränderten.
Man ſprach von den Zuzüglern oder Beſuchern
als „den Vettern aus Altſachſen“, die deutſchen
Kaufleute, die Geſchäfte zu den „Inſelſachſen“
führten, hießen „Kaiſermannen“, und König Aethel-
dred II. (976—1016), der ihnen zahlreiche Privi-
legien verlieh, nennt ſie in einer Urkunde „die
Leute des Kaiſers“. Die ſpäter ſo häufig (ſeit
Georg II. ſozuſagen ſtändig) vorkommenden ehe-
lichen Verbindungen engliſcher und deutſcher
Fürſtenhäuſer (und einer ſolchen entſtammt auch
der heute regierende engliſche Monarch) nehmen
ihren Anfang mit einer Vermählung Ottos des
Großen (deutſcher König und römiſcher Kaiſer)
mit einer Enkelin des großen angelſächſiſchen
Königs Alfred.

Erſt während der normänniſchen Periode
wurde England für die Deutſchen ein fremdes
Land, zumal deren Sprache faſt verdrängt wurde.
An ihre Stelle trat das normänniſche Franzöſiſch,
das zur Sprache der herrſchenden Klaſſen, der
Geiſtlichkeit und der Gebildeten wurde. Eine
fürchterliche Unterdrückung der Sachſen begann,
ihre Sprache verſchwand als Schriftſprache faſt
gänzlich oder ſie wurde allmählich doch ſo
zerſetzt, daß ſich aus dem Angelſächſiſchen und
normänniſchen Franzöſiſch ein Konglomerat, eine
neue Sprache bildete. In jene Tage der Gewalt-
[Spaltenumbruch] tätigkeit fällt der Anfang des Fremdenhaſſes der
engliſchen Maſſen, der grell abſticht von der ehe-
maligen Gutmütigkeit und vielgerühmten Gaſt-
freundlichkeit der alten Inſelſachſen.

Unter den Plantagenets (1154—1485) brachen
für die beiden ſtammverwandten Völker beſſere
Zeiten an und ſie führten zu einer allmählichen
Wiederaufnahme der politiſchen, religiöſen und
kaufmänniſchen Beziehungen. Heinrich II. gab
ſeine Tochter dem Welfen Heinrich dem Löwen
zur Gemahlin und Eduard I. bot dem Kaiſer
Rudolf ein Heiratsbündnis zwiſchen den Häuſern
Plantagenet und Habsburg an, das jedoch an
dem tragiſchen Tode Hartmanns, des Sohnes des
Kaiſers, ſcheiterte. Der Adel beider Nationen kam
in innige Fühlung und ſo beteiligten ſich z. B.
engliſche Ritter an den Kämpfen des deutſchen
[R]itterordens gegen die Litthauer und Polen,
deutſche Ritter an den Einfällen Eduards III. in
Frankreich. Dieſer iſt, nebenbei bemerkt, auch
einer der erſten Förderer des Kölner Dombaues,
denn in Anerkennung der Hilfeleiſtung der Kölner
Kaufmannsgilde bei der Befreiung des engliſchen
Königs Richard I., mit dem Beinamen „Löwen-
herz“, aus der Gefangenſchaft, ſtiftete Eduard,
auf ſeiner Fahrt nach Koblenz, wo er am
31. Auguſt 1328 eintraf, zum Zwecke einer Zu-
ſammenkunft mit Kaiſer Ludwig, eine Summe,
die dem heutigen Werte nach 20.000 Mk. über-
ſchritten haben dürfte.

Mit den Tudors trat wohl eine Ver-
ſchlechterung der politiſchen, nicht aber der
religiöſen und geiſtigen Beziehungen der beiden
Völker zu einander ein. Heinrich VIII. ſchloß
Bündniſſe und löſte ſie wieder, gerade wie es ihm
am beſten in den Kram paßte; er bekämpfte


[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]
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[[1]/0001] Preis 8 h Redaktion, Adminiſtration, Expedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadterpedition I., Wollzeile 11 Zeitungsbureau H. Goldſchmiedt. Unfrankierte und nicht genügend frankierte Briefe werden nicht ange- nommen; Manuſkripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Rekla- mationen ſind portofrei. Inſerate werden im Ankündigungs- Bureau VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie in allen Annoncenbureaux des In- und Auslandes angenommen. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7. Erſcheint täglich 6 Uhr nach- mittags, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Öſterreich-Ungarns. Preis 8 h Bezugspreiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig ......... 28 K halbjährig ......... 14 K vierteljährig ........ 7 K monatlich ....... 2 K 35 h Einzelne Nummern 8 h, per Poſt 10 h. Bei Abholung in unſerer Adminiſtra- tion ganzjährig 24 K monatlich 2 K Für Öſterreich-Ungarn: ganzjährig ......... 32 K halbjährig ......... 16 K vierteljährig ........ 8 K monatlich ....... 2 K 75 h Für Deutſchland: vierteljährig ...... 9 K 50 h oder 8 Mark. Länder des Weltpoſtvereines: vierteljährig 12 K oder 10 Mark. Telephon 18082. XII. Jahrgang. Wien, Dienstag, 10. Jänner 1905. Nr. 7. Wehrhafter Katholizismus. Wien, 9. Jänner 1905. Heute abends verſammeln ſich in der Volks- halle des Wiener Rathauſes Tauſende von Katholiken Wiens. Hinter den Tauſenden, die erſcheinen, ſtehen Hunderttauſende andere in- und außerhalb der Reichshauptſtadt. Viele Hunderte von Kundgebungen aus allen Kronländern be- zeugen dies. — Das iſt keine künſtlich erzeugte Bewegung, die das Volk durchflutet, ſondern ein lang angeſammelter, durch eine wahre Leidens- geſchichte des öſterreichiſchen Katholizismus ange- ſammelter Groll, der ſich laut und entſchieden kundgibt. Das Volk erträgt es nicht länger, daß die Verrohung, die Brutalität, ein Preßpiratentum, welches ſich längſt außerhalb aller Geſetze menſch- licher Geſittung geſtellt hat, gegenüber jedem ruhigen Bürger, gegenüber jedem Heiligtum des chriſtlichen Volkes das Recht ſtrafloſer Verun- glimpfung und Verletzung haben ſollen. Das Maß der Schuld und des Zornes iſt nun über- gelaufen. Die Abwehr gilt nicht einer vereinzelten Erſcheinung; wenn die Bewegung durch einen einzelnen Vorfall in Fluß kam, ſo war dies nur der letzte Anſtoß, und es iſt ſehr abgeſchmackt von der liberalen Preſſe, ſich mit dem Verſuche abzu- mühen, die Abwehrbewegung der Wiener Katho- liken durch die Behauptung zu verkleinern, die Größe derſelben ſtehe in gar keinem Verhältnis zu der Bedeutungsloſigkeit des Wiener alldeutſchen Blättchens und verleihe letzterem ein ungebühr- liches Gewicht. Sollte es wirklich ein beneidens- wertes Schickſal eines Blattes ſein, vor aller Welt und unter Zuſtimmung aller Anſtändigen dem Abſcheu preisgegeben zu werden? — Aber die Entrüſtung der Bevölkerung gilt ja nicht ſo ſehr einem einzelnen Preßerzeugnis, ſondern der ganzen eingeriſſenen Uebung, daß alles Katholiſche mit Steinen beworfen wird. Dieſe Uebung wird von Dutzenden alldeutſcher und jüdiſch-ſozialdemokratiſcher Blätter und Blätt- chen in Wien und anderwärts ohne Unterlaß be- trieben und das Bezeichnendſte daran iſt, daß ſich dieſe Uebung ſeitens der Regierung einer reſpekt- vollen Duldung erfreut. So iſt eine gewiſſe Gat- tung von Preßerzeugniſſen zu einem Aſyl für alle Verletzungen der bürgerlichen Gemeinſchaft ge- worden, einem Aſyl, das durch die unerhörteſten Privilegien gegen die Geſetze geſchützt zu ſein ſcheint. Dagegen wenden wir uns, gegen dieſe Entartung der ſtaatlichen Auffaſſungen über den Rechtsſchutz der Bürger, und nicht gegen die wahre Preßfreiheit und die Freiheit der Ueberzeugungen zielt dieſe Bewegung, ſondern gegen die Knechtung und gewalttätige Verletzung der Freiheit der Ueberzeugung. Der Schutz dieſer Freiheit kann niemals in Widerſpruch ſtehen mit einer recht- verſtandenen Preßfreiheit. Wie ſehen aber in dieſer Bewegung nicht nur die Sache der gläubigen Katholiken, ſondern über- haupt aller derjenigen, welche die Aenderung unſerer tieftraurigen öffentlichen Zuſtände wollen. Unſer ganzes politiſches Leben leidet heute an einer Ueberproduktion von Gemeinheit. Die ſach- lichen Argumente im Kampfe der Parteien ſind von einigen Gruppen ausgetauſcht worden gegen Klopffechterei und Roheit. Wer am ſtärkſten ſchimpft und am wildeſten herumſchlägt, der flößt der Regierung und einem Teile der Oeffentlichkeit Reſpekt ein, nicht derjenige, der verſtändig und überlegt zu handeln und zu ſprechen weiß. Derartige Verhältniſſe müſſen zum Verfalle unſeres politiſchen Lebens führen und dem ent- gegenzuarbeiten, iſt nicht nur Sache der katholiſch geſinnten Bürgerſchaft, ſondern überhaupt aller, denen an der Geſundung unſerer politiſchen Zuſtände, an der Lebensfähigkeit unſerer Ver- faſſung, an der Erfüllung der ziviliſatoriſchen Aufgaben einer modernen Staatsgemeinſchaft etwas liegt. Das Miniſterium wird hier Gelegenheit finden, ſeine Bereitſchaft zur Mitarbeit an der politiſchen Regeneration Oeſterreichs, die der Herr Miniſterpräſident tagtäglich einem halben Dutzend Parlamentarier verſichert, praktiſch zu beweiſen. Politiſche Rundſchau. Oeſterreich-Ungarn. Wien, am 8. Jänner. Die Konferenzen des Miniſter- präſidenten. Freiherr v. Gautſch empfing geſtern und vorgeſtern die Abgeordneten Graf Ernſt Sylva-Tarouca, Dr. v. Grabmayr, Dr. Funke, Dr. Beurle, Dr. Ivcevic, Freiherr v. Malfatti, Dr. Rizzi und Dr. Erler. Die Beſprechung galt vornehmlich der Innsbrucker Fakultätsfrage. Heute empfing Herr v. Gautſch die Obmänner des Jungtſchechenklubs abermals bei ſich. Die Konferenzen ſollen in dieſer Woche zu Ende gehen. Nach neuen Dispoſitionen ſteht die Einberufung des Reichsrates bevor; die Tagung ſoll bis Mitte April währen. Ueber den Sturz Dr. v. Koerbers. Der Obmann der deutſchen Fortſchrittspartei Abg. Dr. Groß hat in Bielitz eine Rede ge- halten, in der er unter vielem Unweſentlichen auch den Abgang Dr. v. Koerbers beſprach. Die Feuilleton. [Nachdruck verboten.] Zur Geſchichte des Deutſchtums in England. (Von unſerem engliſchen Korreſpon- denten.) Lange vor der römiſchen Herrſchaft beſaß England eine deutſche Kolonie, die ſich an der ſüdlichen Küſte ſeßhaft gemacht hatte. Cäſar fand dort Leute vom Lande der Belgae, die in drei Hauptvölkerſchaften zerteilt waren und ſich deutſcher Abkunft, deutſcher Sitte und deutſchen Geiſtes rühmten. „Belgen, Frieſen und Batavier waren es, die vier Jahrhunderte hindurch in den römi- ſchen Heeren dienten, Agricola auf ſeinem Zuge nach Brittanien begleiteten und ihm dieſe Inſel erobern halfen.“ (Schiller: „Geſchichte des Abfalls der Niederlande“.) Daneben waren ſie aber auch treffliche Ackerbauer und Viehzüchter und aus den ehemaligen tapferen Kriegern wurden Koloniſten und — Städtegründer. In alten römiſchen Ur- kunden aus der Regierungszeit von Valens und Honorius wird wiederholt des „ſächſiſchen Ufers“ von Britannien gedacht und auf der römiſchen Karte der Insulae Britannicae heißt die Küſte gegenüber der Inſel Wight bis nach Dover hinauf: Litus Saxonicum. (Prof. Schaible: „Die Deutſchen in England“). Bezeichnend iſt noch heute, daß der Engländer zuweilen gerne von ſeinen Saxon forefathers, von Deutſchland als dem Fatherland ſpricht und daß der germaniſche Stamm der Angeln, die urſprünglich zwiſchen der Weſer und Elbe (im öſtlichen Teile des heutigen Hannover) wohnten England, (Angel- land, Aenglaland) ſeinen Namen gegeben hat. Während der Herrſchaft der Angeln, Sachſen und anderer deutſcher Stämme unterhielt die germaniſche Kolonie in England mit der Heimat eine ununterbrochene Verbindung, die dadurch er- leichtert wurde, daß ſich die Sprache und die Sitten der beiden Reiche im Laufe mehrerer Jahrhunderte nur unweſentlich veränderten. Man ſprach von den Zuzüglern oder Beſuchern als „den Vettern aus Altſachſen“, die deutſchen Kaufleute, die Geſchäfte zu den „Inſelſachſen“ führten, hießen „Kaiſermannen“, und König Aethel- dred II. (976—1016), der ihnen zahlreiche Privi- legien verlieh, nennt ſie in einer Urkunde „die Leute des Kaiſers“. Die ſpäter ſo häufig (ſeit Georg II. ſozuſagen ſtändig) vorkommenden ehe- lichen Verbindungen engliſcher und deutſcher Fürſtenhäuſer (und einer ſolchen entſtammt auch der heute regierende engliſche Monarch) nehmen ihren Anfang mit einer Vermählung Ottos des Großen (deutſcher König und römiſcher Kaiſer) mit einer Enkelin des großen angelſächſiſchen Königs Alfred. Erſt während der normänniſchen Periode wurde England für die Deutſchen ein fremdes Land, zumal deren Sprache faſt verdrängt wurde. An ihre Stelle trat das normänniſche Franzöſiſch, das zur Sprache der herrſchenden Klaſſen, der Geiſtlichkeit und der Gebildeten wurde. Eine fürchterliche Unterdrückung der Sachſen begann, ihre Sprache verſchwand als Schriftſprache faſt gänzlich oder ſie wurde allmählich doch ſo zerſetzt, daß ſich aus dem Angelſächſiſchen und normänniſchen Franzöſiſch ein Konglomerat, eine neue Sprache bildete. In jene Tage der Gewalt- tätigkeit fällt der Anfang des Fremdenhaſſes der engliſchen Maſſen, der grell abſticht von der ehe- maligen Gutmütigkeit und vielgerühmten Gaſt- freundlichkeit der alten Inſelſachſen. Unter den Plantagenets (1154—1485) brachen für die beiden ſtammverwandten Völker beſſere Zeiten an und ſie führten zu einer allmählichen Wiederaufnahme der politiſchen, religiöſen und kaufmänniſchen Beziehungen. Heinrich II. gab ſeine Tochter dem Welfen Heinrich dem Löwen zur Gemahlin und Eduard I. bot dem Kaiſer Rudolf ein Heiratsbündnis zwiſchen den Häuſern Plantagenet und Habsburg an, das jedoch an dem tragiſchen Tode Hartmanns, des Sohnes des Kaiſers, ſcheiterte. Der Adel beider Nationen kam in innige Fühlung und ſo beteiligten ſich z. B. engliſche Ritter an den Kämpfen des deutſchen Ritterordens gegen die Litthauer und Polen, deutſche Ritter an den Einfällen Eduards III. in Frankreich. Dieſer iſt, nebenbei bemerkt, auch einer der erſten Förderer des Kölner Dombaues, denn in Anerkennung der Hilfeleiſtung der Kölner Kaufmannsgilde bei der Befreiung des engliſchen Königs Richard I., mit dem Beinamen „Löwen- herz“, aus der Gefangenſchaft, ſtiftete Eduard, auf ſeiner Fahrt nach Koblenz, wo er am 31. Auguſt 1328 eintraf, zum Zwecke einer Zu- ſammenkunft mit Kaiſer Ludwig, eine Summe, die dem heutigen Werte nach 20.000 Mk. über- ſchritten haben dürfte. Mit den Tudors trat wohl eine Ver- ſchlechterung der politiſchen, nicht aber der religiöſen und geiſtigen Beziehungen der beiden Völker zu einander ein. Heinrich VIII. ſchloß Bündniſſe und löſte ſie wieder, gerade wie es ihm am beſten in den Kram paßte; er bekämpfte [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 7, Wien, 10.01.1905, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost007_1905/1>, abgerufen am 21.11.2024.