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Reichspost. Nr. 18, Wien, 22.01.1901.

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Wien, Dienstag Reichspost 22. Jänner 1991 18

[Spaltenumbruch]

"speciell" Radicalnationalen mit Ausschluß der
Christlich-Socialen. Das wird eine schöne Gesell-
schaft von Antisemiten werden: die "freiheitlichen"
Herren Noske, Wrabetz, Dr. Menger und Consorten,
ferner die schönerianischen Kampfgenossen Dr. Adlers
und schließlich Abgeordnete der Deutschen Volkspartei,
die ihre Weisheit in der "N. Fr. Presse" verkünden
lassen. Das kann ja einen ganz netten Antisemitis-
mus der Deutschen Volkspartei und der Deutsch-
radicalen abgeben!

Wer will aber mehr verlangen? Die Herren
sind während der letzten vier Monate überall den
Juden nachgelaufen, wo diesen nur ein Stück Brot
aus der Tasche sah; in Wien und St. Pölten haben
sowohl Schönerianer als die gewisse radicale Gattung
der Deutschen Volkspartei mit den Juden unter einer
Decke gegen die Christlich-Socialen gearbeitet und
nun soll der Antisemitismus dieser Leute auf einmal
Kraftproben bestehen? Wenn nicht Alles täuscht,
werden die Christlich-Socialen bald die einzigen
Antisemiten sein!




Politische Rundschau.
Oesterreich-Ungarn.


Die Einberufung des Reichsrathes.

Der Reichsrath wird für Donnerstag den
31 Jänner einberufen; die morgige "Wiener Ztg."
wird das diesbezügliche allerhöchste Handschreiben
verlautbaren. Die Entscheidung, den Reichsrath noch
für Ende dieses Monats einzuberufen, ist nach
längerem Schwanken der Regierung in dem Minister-
rath, der letzten Samstag Nachmittags stattfand, be-
schlossen und dem Kaiser in einer Audienz, die gestern
Sonntags Dr. v. Koerber hatte, zur Genehmigung
unterbreitet worden. Die kommende Session wird
sich vor Allem mit dem Recrutengesetz, der Wahl
der Quotendeputationen und Delegationen zu befassen
haben. Letztere beiden Gegenstände sind rasch zu er-
ledigen. Außerdem wird die Regierung nach der
Verfassung alle Nothverordnungen dem Hause
binnen vier Wochen zur Genehmigung vorzulegen
haben, darunter auch das ganze Bündel der Aus-
gleichsverordnungen. Das letztere wird für das Par-
lament gefährlich wie -- Dynamit sein. Daß die
Regierung auch die Actiengesetz- und Investitions-
Vorlage erneuern will, dürfte leider nur theoretischen
Werth haben.

Die ersten Fragen, die das neue Haus beschäf-
tigen werden, wird die Beantwortung der Thronrede
und die Präsidentenwahl sein. Da die Regierung
ohne jede feste Mehrheit dasteht, wird es keine
geringe Mühe kosten, eine Adresse zu vereinbaren,
wenn nicht etwa der Polenclub eine vermittelnde
Stellung einnimmt. Mit Rücksicht auf die starke
Betonung der Autonomie-Bestrebungen, wie sie von
Seite der verblichenen Majorität in ihrer Adresse
und auch später zur Schau getragen wurde, ist eine
solche Vermittelung ziemlich unwahrscheinlich. Was
die Präsidentenfrage anlangt, so stehen Aenderungen
gegen die letzte Session bevor. Für die Präsidenten-
stelle wird u. A. Dr. Kathrein genannt. Von den
zwei Vicepräsidentenstellen würde dann eine der
Deutschen Volkspartei und eine wahrscheinlich dem
Polenclub zufallen.

Eine ehrbare Annäherung.

Wie sich doch
die Zeiten ändern! Vor einigen Monaten hat sich das
Brünner "Deutsche Blatt" auf vollkommen radical-
nationale Basis gestellt und hat sich mit der "Deutschen
Volkspartei" entzweit. Heute setzt sich dieses Organ
für eine Vereinigung der deutschfortschritt-
lichen
Abgeordneten, die sich mit ihrer Forderung
der deutschen Staatssprache dem Linzer Programm
sehr genähert (!) haben, mit den Abgeordneten
der Deutschen Volkspartei und der deutschradicalen
Partei in einem gemeinsamen deutschnationalen Ver-
bande im Abgeordnetenhause ein. Es dürfte ein recht
interessantes Bild im künftigen Abgeordnetenhause
geben: Herr Leon Rosenzweig in demselben
Clubverband mit Herrn Schönerer und Wolff.

Die deutschen Agrarier

werden, wie Baron
Rokitansky in seinem Blatte versichert, im neuen Ab-
geordnetenhause eine Partei von sieben Mann bilden
und zwar bestehend aus den Abgeordneten Bleikolm
(Steiermark), Orasch (Kärnten), Haider und Gmachl
(Salzburg), Soukup, Peschka und Niesig (Böhmen).
Wir sind neugierig, wielang sich diese "Bauern-
bündlerpartei" halten wird. Bisher wetteiferten die
Parteien, diese angeblichen Bauernbündler für sich in
Anspruch zu nehmen.


[Spaltenumbruch]
Die Aussichten des Reichsrathes

werden
in einer Wiener Correspondenz des "Bud. Tagbl."
"für nicht gar so ungünstig" erklärt. "Principiell,"
heißt es da, "ist keine Partei für die Obstruction
engagirt, weder die Jungczechen noch die Schönerianer.
Es gibt keine Majorität und es läßt sich weder die
alte Rechte, noch die Coalitionsmajorität der Aera
Windischgrätz, noch die alte Majorität der Linken
von Anno dazumal herstellen. Dafür aber gibt
es auch keine Partei, die für die Regierung oder
für eine Majoritätsbildung unentbehrlich wäre.
Es geht eventuell ohne die Czechen, aber es geht
eventuell auch ohne die deutsche Fortschrittspartei
oder die deutsche Volkspartei. Niemand ist, beziehungs-
weise wird im neuen Abgeordnetenhause unentbehrlich
sein, d. h. Niemand wird der Regierung und dem
Hause Gesetze vorschreiben können."

Diese Beurtheilung entspringt einer ähnlichen
Anschauung wie einer von uns jüngst geäußerten. --
Die Deutschen werden diesmal klaren Kopf behalten
müssen; siegen auf ihrer Seite österreichfeindliche
Tendenzen, dann freilich ist es auch diesmal um den
Reichsrath geschehen.

Der Krakauer "Czas" schreibt zu mannigfachen
formellen Schwierigkeiten, die mit Beginn des Reichs-
rathes auftauchen werden: "Die Regierung legt
großen Werth darauf, daß das Haus möglichst bald
in Verhandlung über das Investitionsbudget gelange.
Die Frage ist nur, ob das neu gewählte Hans nicht
auch auf eine Adreßdebatte bestehen wird, welche sehr
lange dauern und die bestehenden Antagonismen nur
noch mehr verschärfen könnte. Die Thronrede wird
wohl möglichst farblos sein, dennoch würde eine
Adreßdebatte oder auch nur ein Antrag auf
Abführung eiuer solchen Debatte die Erledigung
des ganzen Arbeitsprogramms verschieben. Die Re-
gierung rechnet vorerst auf gar keine politische
Majorität
und theilt diesbezüglich vollständig den
Standpunkt des Polenclub. Wenn man aber
andererseits die Zusammensetzung des neugewählten
Abgeordnetenhauses studirt, gelangt man zu der Con-
clusion, daß Mangels einer Differenzirung zwischen
Majorität und Minorität in jeder einzelnen Frage
kleinere Fractionen, wie Katholische Volkspartei und
die Italiener, ja sogar ganz kleine Gruppen, wie
beispielsweise die Rumänen die Entscheidung in
Händen haben werden. Ein solches Verhältniß
müßte aber seitens der Regierung, beziehungsweise
seitens des Staates unaufhörli Concessionen
und Concessiönchen erheischen und ließe sich
auch auf die Dauer nicht aufrecht erhalten. Uebrigens
lassen sich die politischen Verhältnisse heute noch durch-
aus nicht übersehen, da viele der kleineren Parteien
ihre Stellungnahme noch nicht klar präcisirt haben.
Schließlich sei noch erwähnt, daß der Cabinetschef
die Absicht hat, mit allen Parteiführern
Fühlung
zu nehmen, selbst mit den Führern der
radicalsten Gruppen." -- Wie oft hat man schon
"Fühlung genommen", ohne das richtige Gefühl
für dasjenige, was Oesterreich braucht, zu bekommen!

Herr Szell

hat sich durch eine Interpellation
des Abgeordneten Polonyi bewogen gefühlt, in der
Sitzung des ungarischen Abgeordnetenhauses vom
19. d. M. zu der sogenannten Baernreither'schen
Formel Stellung zu nehmen. Herr Polonyi, der
die Rufe "Los von Rom" und "Ein besserer Aus-
gleich mit Ungarn", die jetzt in Oesterreich als
Parole ausgegeben worden seien, in einen Topf
warf, wies auf die von Bülow proclamirte
Erhöhung der Agrarzölle hin und bemerkte, er könne
nicht glauben, daß Kaiser Wilhelm eine Strömung
billige, welche Ungarn, das "verläßlichste" Glied
des Dreibundes, wirthschaftlich exploitiren möchte.
Der durch eine eventuelle Annahme des Baernreither-
schen Vorschlages, -- die parlamentarische Be-
handlung der Nothverordnungen, vor der Hand durch
Beschluß des Hauses auszusetzen und ungesäumt mit
Ungarn neue Vereinbarungen betreffend die gemein-
samen Angelegenheiten und das uach gemeinsamen
Grundsätzen zu regelnden Zoll- und Handelsbündniß,
zu treffen -- geschaffene Zustand würde noch schlechter
sein als die § 14-Wirthschaft. In seiner Antwort
erklärte Ministerpräsident Szell die Baernreither-
schen Vorschläge für unannehmbar. Dies bedeutet
bei dem ungarischen Einflusse in Oesterreich, daß die
Baernreither'sche Formel ein "Vorschlag"
bleiben wird.

Deutsches Reich.

Der allgemeine Judentag kommt nicht zu
Stande.
Eine jüngst in Berlin abgehaltene Ver-
sammlung, in der sich die angesehensten Vertreter der
größten jüdischen Gemeinden befanden, sprach sich
gegen den Zionismus aus und lehnte mit erdrückender
Mehrheit die Einberufung eines allgemeinen Juden-
tages ab. Gegen eine solche Einberufung stimmten
geschlossen sämmtliche Vertreter aus Süddeutschland,
sowie die große Mehrheit der Vertreter der nord-
deutschen jüdischen Gemeinden und die politischen
Persönlichkeiten. Dagegen wurde beschlossen, eine
allgemeine Organisatiou innerhalb der
jüdischen Bevölkerung Deutschlands
in der
Form zu schaffen, daß aus den Vertretern des
Rabbinerverbandes, des Verbandes jüdischer Lehrer
und des Centralverbandes jüdischer Staatsbürger,
der großen jüdischen Gemeinden etc. Delegirte ernannt
[Spaltenumbruch] werden, deren Obliegenheit es sein soll, gelegentlich
in gegebenen Fällen für die Interessen der jüdischen
Bevölkerung einzutreten.

Eine allgemeine deutsche Rechtschreibung
strebt ein Antrag an, der im deutschen Reichs-
tage
von der freisinnigen Volkspartei eingebracht
wurde. Der Antrag lautet: "Der Reichstag wolle
beschließen, den Reichskanzler zu ersuchen, baldigst
geeinete Schritte zu thun, um für das Reichsgebiet
und, soweit angrenzend, auch für die benachbarten
deutschen Sprachgebiete von Oesterreich-Ungarn
und der Schweiz eine möglichst gleichmäßige deutsche
Rechtschreibung zu erzielen."

Der württembergische Landtag hat mit 53
gegen 29 Stimmen (gegen Demokratie und Social-
demokratie) beschlossen, die Thronrede nicht mit
einer Adresse zu beantworten.

Prinzregent Luipolt von Bayern beabsich-
tigt, eine große Anzahl von Personen, die wegen
nicht ehrenrühriger Vergehen verurtheilt sind, nach
Anträgen des Justizministers zur Feier der Vollen-
dung seines 80. Lebensjahres zu begnadigen. --
Die bayerische Regierung hat bei der preußischen den
Antrag auf Eröffnung der Verhandlungen über Ab-
schluß eines Staatsvertrages wegen der Main-
Canalisation
gestellt.

Prinz Alfons von Bayern ist vom Prinz-
regenten Luitpold seiner Bitte entsprechend von dem
Commando der 1. Cavalleriebrigade, unter Be-
lassung a la suite des 1. schweren Reiterregiments,
Beförderung zum Generallieutenant und Verleihung
des Großcomthurkreuzes des Militärverdienstordens,
enthoben." So lautet die amtliche Meldung eines
Vorfalles, der in Bayern das höchste Aufsehen her-
vorruft. Denn trotz der Rangeserhöhung zum
Generallieutenant ist die Enthebung des Prinzen vom
Commando eine Maßregelung. Man führt sie auf
Folgendes zurück: Den Beisetzungsfeierlichkeiten des
Großherzogs Alexander von Sachsen-Weimar wohnte
Prinz Alfons als Vertreter des Prinz-Regenten bei.
Dabei ist es wegen des Vortrittes zu Meinungsver-
schiedenheiten mit dem preußischen commandirenden Ge-
neral v. Wittich, dem Vertreter des Kaisers, gekommen.
Prinz Alfons, geboren 24. Juni 1862 zu Madrid,
ist der jüngste Sohn des verewigten Prinzen Adal-
bert von Bayern, Bruders des Prinzregenten, uud
vermält seit 16. April 1891 mit Louise, Herzogin
von Alencon. Er ist einer der populärsten Prinzen
im Volke wie im Heere. Die "Münchener Neuesten
Nachr." geben als Grund des sensationellen Vor-
ganges Differenzen mit dem an Stelle des erkrankten
Prinzen Arnulf in den Herbstmanövern des
I. Armeecorps commandirenden Generaliieutenant
Freiherrn von Könitz an. Letzterer ertheilte deshalb
in dem Berichte an das Corpscommando dem
Prinzen Alfons eine schlechte Qualification, worin
er durch den Prinzen Arnulf und den Kriegsminister
unterstützt wurde. Wahrscheinlich sind beide ange-
führten Gründe richtig. Zwischen den beiden Prinzen
Alfons und Arnulf bestehen schon lange Mißhellig-
keiten. Prinz Alfons hat aber das Volk auf
seiner Seite, während Prinz Arnulf als "zu preu-
ßisch" gilt.




Tagesbericht.


* Kalender für Dienstag, den 22. Jänner 1901.

Katholiken: Vincenz. -- Griechen (9. Jänner):
Polyeuctes. -- Sonnenaufgang 7 Uhr 42 Minuten
Morgens. -- Sonnenuntergang 4 Uhr 42 Minuten
Abends. -- Mondesaufgang 8 Uhr 16 Minuten
Morgens. -- Mondesuntergang 7 Uhr 26 Min. Abends.

* Hof- und Personalnachrichten.

Erzherzogin
Maria Josefa besuchte Samstag Nachmittags die
gewerbliche Fortbildungsschule für Mädchen in Favo-
riten, Erlachgasse. -- Erzherzog Josef Ferdinand
ist aus Salzburg, Erzherzog Peter Ferdinand und
Gemahlin Erzherzogin Marie Christine sind aus
Linz und Erzherzog Franz Salvator und Ge-
mahlin Erzherzogin Marie Valerie aus Enns hier
eingetroffen. -- Hofcapellmeister Richard Strauß und
Gemahlin sind gestern Abends aus München mit dem
Orient-Expreßzuge in Wien angekommen und wurden
vom kaiserlichen Rathe Hofmusikverleger Gutmann
am Westbahnhofe empfangen. -- Beim Feldbischof Dr.
Bolopotoczky fand gestern ein Diner statt.

* Auszeichnungen und Ernennungen.

Der
Kaiser hat dem Gutsbesitzer Josef Hajos von
Dömsöd, dem Gutsbesitzer, Oberlieutenant in der Re-
serve des Infanterie-Regiments Markgraf von Baden
Nr. 23 Josef v. Köszeghy, dem ungarischen Reichs-
tagsabgeordneten Gutsbesitzer Alexander v. Köszeghy
und dem Gutsbesitzer, Ministerial-Vicesecretär a. D.
Michael Horwath von Nagyvarad die Käm-
mererswürde und dem in der Druckerei der "Wiener
Zeitung" bediensteten Carl Zandt das silberne Ver-
dienstkreuz mit der Krone verliehen, ferner den Finanz-
rath Adolf Pawlowski zum Oberfinanzrathe für
den Bereich der Finanz-Landesdirection in Lemberg
ernannt.

* Der Königssee zugefroren.

Wie aus
Berchtesgaden gemeldet wird, ist seit dem 16. d.
der Königssee ganz zugefroren, und es kann bis
St. Bartholomä mit dem Schlitten gefahren werden,
wo jeden Nachmittag Wildfütterung stattfindet.


Wien, Dienſtag Reichspoſt 22. Jänner 1991 18

[Spaltenumbruch]

„ſpeciell“ Radicalnationalen mit Ausſchluß der
Chriſtlich-Socialen. Das wird eine ſchöne Geſell-
ſchaft von Antiſemiten werden: die „freiheitlichen“
Herren Noske, Wrabetz, Dr. Menger und Conſorten,
ferner die ſchönerianiſchen Kampfgenoſſen Dr. Adlers
und ſchließlich Abgeordnete der Deutſchen Volkspartei,
die ihre Weisheit in der „N. Fr. Preſſe“ verkünden
laſſen. Das kann ja einen ganz netten Antiſemitis-
mus der Deutſchen Volkspartei und der Deutſch-
radicalen abgeben!

Wer will aber mehr verlangen? Die Herren
ſind während der letzten vier Monate überall den
Juden nachgelaufen, wo dieſen nur ein Stück Brot
aus der Taſche ſah; in Wien und St. Pölten haben
ſowohl Schönerianer als die gewiſſe radicale Gattung
der Deutſchen Volkspartei mit den Juden unter einer
Decke gegen die Chriſtlich-Socialen gearbeitet und
nun ſoll der Antiſemitismus dieſer Leute auf einmal
Kraftproben beſtehen? Wenn nicht Alles täuſcht,
werden die Chriſtlich-Socialen bald die einzigen
Antiſemiten ſein!




Politiſche Rundſchau.
Oeſterreich-Ungarn.


Die Einberufung des Reichsrathes.

Der Reichsrath wird für Donnerſtag den
31 Jänner einberufen; die morgige „Wiener Ztg.“
wird das diesbezügliche allerhöchſte Handſchreiben
verlautbaren. Die Entſcheidung, den Reichsrath noch
für Ende dieſes Monats einzuberufen, iſt nach
längerem Schwanken der Regierung in dem Miniſter-
rath, der letzten Samſtag Nachmittags ſtattfand, be-
ſchloſſen und dem Kaiſer in einer Audienz, die geſtern
Sonntags Dr. v. Koerber hatte, zur Genehmigung
unterbreitet worden. Die kommende Seſſion wird
ſich vor Allem mit dem Recrutengeſetz, der Wahl
der Quotendeputationen und Delegationen zu befaſſen
haben. Letztere beiden Gegenſtände ſind raſch zu er-
ledigen. Außerdem wird die Regierung nach der
Verfaſſung alle Nothverordnungen dem Hauſe
binnen vier Wochen zur Genehmigung vorzulegen
haben, darunter auch das ganze Bündel der Aus-
gleichsverordnungen. Das letztere wird für das Par-
lament gefährlich wie — Dynamit ſein. Daß die
Regierung auch die Actiengeſetz- und Inveſtitions-
Vorlage erneuern will, dürfte leider nur theoretiſchen
Werth haben.

Die erſten Fragen, die das neue Haus beſchäf-
tigen werden, wird die Beantwortung der Thronrede
und die Präſidentenwahl ſein. Da die Regierung
ohne jede feſte Mehrheit daſteht, wird es keine
geringe Mühe koſten, eine Adreſſe zu vereinbaren,
wenn nicht etwa der Polenclub eine vermittelnde
Stellung einnimmt. Mit Rückſicht auf die ſtarke
Betonung der Autonomie-Beſtrebungen, wie ſie von
Seite der verblichenen Majorität in ihrer Adreſſe
und auch ſpäter zur Schau getragen wurde, iſt eine
ſolche Vermittelung ziemlich unwahrſcheinlich. Was
die Präſidentenfrage anlangt, ſo ſtehen Aenderungen
gegen die letzte Seſſion bevor. Für die Präſidenten-
ſtelle wird u. A. Dr. Kathrein genannt. Von den
zwei Vicepräſidentenſtellen würde dann eine der
Deutſchen Volkspartei und eine wahrſcheinlich dem
Polenclub zufallen.

Eine ehrbare Annäherung.

Wie ſich doch
die Zeiten ändern! Vor einigen Monaten hat ſich das
Brünner „Deutſche Blatt“ auf vollkommen radical-
nationale Baſis geſtellt und hat ſich mit der „Deutſchen
Volkspartei“ entzweit. Heute ſetzt ſich dieſes Organ
für eine Vereinigung der deutſchfortſchritt-
lichen
Abgeordneten, die ſich mit ihrer Forderung
der deutſchen Staatsſprache dem Linzer Programm
ſehr genähert (!) haben, mit den Abgeordneten
der Deutſchen Volkspartei und der deutſchradicalen
Partei in einem gemeinſamen deutſchnationalen Ver-
bande im Abgeordnetenhauſe ein. Es dürfte ein recht
intereſſantes Bild im künftigen Abgeordnetenhauſe
geben: Herr Leon Roſenzweig in demſelben
Clubverband mit Herrn Schönerer und Wolff.

Die deutſchen Agrarier

werden, wie Baron
Rokitansky in ſeinem Blatte verſichert, im neuen Ab-
geordnetenhauſe eine Partei von ſieben Mann bilden
und zwar beſtehend aus den Abgeordneten Bleikolm
(Steiermark), Oraſch (Kärnten), Haider und Gmachl
(Salzburg), Soukup, Peſchka und Nieſig (Böhmen).
Wir ſind neugierig, wielang ſich dieſe „Bauern-
bündlerpartei“ halten wird. Bisher wetteiferten die
Parteien, dieſe angeblichen Bauernbündler für ſich in
Anſpruch zu nehmen.


[Spaltenumbruch]
Die Ausſichten des Reichsrathes

werden
in einer Wiener Correſpondenz des „Bud. Tagbl.“
„für nicht gar ſo ungünſtig“ erklärt. „Principiell,“
heißt es da, „iſt keine Partei für die Obſtruction
engagirt, weder die Jungczechen noch die Schönerianer.
Es gibt keine Majorität und es läßt ſich weder die
alte Rechte, noch die Coalitionsmajorität der Aera
Windiſchgrätz, noch die alte Majorität der Linken
von Anno dazumal herſtellen. Dafür aber gibt
es auch keine Partei, die für die Regierung oder
für eine Majoritätsbildung unentbehrlich wäre.
Es geht eventuell ohne die Czechen, aber es geht
eventuell auch ohne die deutſche Fortſchrittspartei
oder die deutſche Volkspartei. Niemand iſt, beziehungs-
weiſe wird im neuen Abgeordnetenhauſe unentbehrlich
ſein, d. h. Niemand wird der Regierung und dem
Hauſe Geſetze vorſchreiben können.“

Dieſe Beurtheilung entſpringt einer ähnlichen
Anſchauung wie einer von uns jüngſt geäußerten. —
Die Deutſchen werden diesmal klaren Kopf behalten
müſſen; ſiegen auf ihrer Seite öſterreichfeindliche
Tendenzen, dann freilich iſt es auch diesmal um den
Reichsrath geſchehen.

Der Krakauer „Czas“ ſchreibt zu mannigfachen
formellen Schwierigkeiten, die mit Beginn des Reichs-
rathes auftauchen werden: „Die Regierung legt
großen Werth darauf, daß das Haus möglichſt bald
in Verhandlung über das Inveſtitionsbudget gelange.
Die Frage iſt nur, ob das neu gewählte Hans nicht
auch auf eine Adreßdebatte beſtehen wird, welche ſehr
lange dauern und die beſtehenden Antagonismen nur
noch mehr verſchärfen könnte. Die Thronrede wird
wohl möglichſt farblos ſein, dennoch würde eine
Adreßdebatte oder auch nur ein Antrag auf
Abführung eiuer ſolchen Debatte die Erledigung
des ganzen Arbeitsprogramms verſchieben. Die Re-
gierung rechnet vorerſt auf gar keine politiſche
Majorität
und theilt diesbezüglich vollſtändig den
Standpunkt des Polenclub. Wenn man aber
andererſeits die Zuſammenſetzung des neugewählten
Abgeordnetenhauſes ſtudirt, gelangt man zu der Con-
cluſion, daß Mangels einer Differenzirung zwiſchen
Majorität und Minorität in jeder einzelnen Frage
kleinere Fractionen, wie Katholiſche Volkspartei und
die Italiener, ja ſogar ganz kleine Gruppen, wie
beiſpielsweiſe die Rumänen die Entſcheidung in
Händen haben werden. Ein ſolches Verhältniß
müßte aber ſeitens der Regierung, beziehungsweiſe
ſeitens des Staates unaufhörli Conceſſionen
und Conceſſiönchen erheiſchen und ließe ſich
auch auf die Dauer nicht aufrecht erhalten. Uebrigens
laſſen ſich die politiſchen Verhältniſſe heute noch durch-
aus nicht überſehen, da viele der kleineren Parteien
ihre Stellungnahme noch nicht klar präciſirt haben.
Schließlich ſei noch erwähnt, daß der Cabinetschef
die Abſicht hat, mit allen Parteiführern
Fühlung
zu nehmen, ſelbſt mit den Führern der
radicalſten Gruppen.“ — Wie oft hat man ſchon
„Fühlung genommen“, ohne das richtige Gefühl
für dasjenige, was Oeſterreich braucht, zu bekommen!

Herr Szell

hat ſich durch eine Interpellation
des Abgeordneten Polonyi bewogen gefühlt, in der
Sitzung des ungariſchen Abgeordnetenhauſes vom
19. d. M. zu der ſogenannten Baernreither’ſchen
Formel Stellung zu nehmen. Herr Polonyi, der
die Rufe „Los von Rom“ und „Ein beſſerer Aus-
gleich mit Ungarn“, die jetzt in Oeſterreich als
Parole ausgegeben worden ſeien, in einen Topf
warf, wies auf die von Bülow proclamirte
Erhöhung der Agrarzölle hin und bemerkte, er könne
nicht glauben, daß Kaiſer Wilhelm eine Strömung
billige, welche Ungarn, das „verläßlichſte“ Glied
des Dreibundes, wirthſchaftlich exploitiren möchte.
Der durch eine eventuelle Annahme des Baernreither-
ſchen Vorſchlages, — die parlamentariſche Be-
handlung der Nothverordnungen, vor der Hand durch
Beſchluß des Hauſes auszuſetzen und ungeſäumt mit
Ungarn neue Vereinbarungen betreffend die gemein-
ſamen Angelegenheiten und das uach gemeinſamen
Grundſätzen zu regelnden Zoll- und Handelsbündniß,
zu treffen — geſchaffene Zuſtand würde noch ſchlechter
ſein als die § 14-Wirthſchaft. In ſeiner Antwort
erklärte Miniſterpräſident Szell die Baernreither-
ſchen Vorſchläge für unannehmbar. Dies bedeutet
bei dem ungariſchen Einfluſſe in Oeſterreich, daß die
Baernreither’ſche Formel ein „Vorſchlag“
bleiben wird.

Deutſches Reich.

Der allgemeine Judentag kommt nicht zu
Stande.
Eine jüngſt in Berlin abgehaltene Ver-
ſammlung, in der ſich die angeſehenſten Vertreter der
größten jüdiſchen Gemeinden befanden, ſprach ſich
gegen den Zionismus aus und lehnte mit erdrückender
Mehrheit die Einberufung eines allgemeinen Juden-
tages ab. Gegen eine ſolche Einberufung ſtimmten
geſchloſſen ſämmtliche Vertreter aus Süddeutſchland,
ſowie die große Mehrheit der Vertreter der nord-
deutſchen jüdiſchen Gemeinden und die politiſchen
Perſönlichkeiten. Dagegen wurde beſchloſſen, eine
allgemeine Organiſatiou innerhalb der
jüdiſchen Bevölkerung Deutſchlands
in der
Form zu ſchaffen, daß aus den Vertretern des
Rabbinerverbandes, des Verbandes jüdiſcher Lehrer
und des Centralverbandes jüdiſcher Staatsbürger,
der großen jüdiſchen Gemeinden ꝛc. Delegirte ernannt
[Spaltenumbruch] werden, deren Obliegenheit es ſein ſoll, gelegentlich
in gegebenen Fällen für die Intereſſen der jüdiſchen
Bevölkerung einzutreten.

Eine allgemeine deutſche Rechtſchreibung
ſtrebt ein Antrag an, der im deutſchen Reichs-
tage
von der freiſinnigen Volkspartei eingebracht
wurde. Der Antrag lautet: „Der Reichstag wolle
beſchließen, den Reichskanzler zu erſuchen, baldigſt
geeinete Schritte zu thun, um für das Reichsgebiet
und, ſoweit angrenzend, auch für die benachbarten
deutſchen Sprachgebiete von Oeſterreich-Ungarn
und der Schweiz eine möglichſt gleichmäßige deutſche
Rechtſchreibung zu erzielen.“

Der württembergiſche Landtag hat mit 53
gegen 29 Stimmen (gegen Demokratie und Social-
demokratie) beſchloſſen, die Thronrede nicht mit
einer Adreſſe zu beantworten.

Prinzregent Luipolt von Bayern beabſich-
tigt, eine große Anzahl von Perſonen, die wegen
nicht ehrenrühriger Vergehen verurtheilt ſind, nach
Anträgen des Juſtizminiſters zur Feier der Vollen-
dung ſeines 80. Lebensjahres zu begnadigen.
Die bayeriſche Regierung hat bei der preußiſchen den
Antrag auf Eröffnung der Verhandlungen über Ab-
ſchluß eines Staatsvertrages wegen der Main-
Canaliſation
geſtellt.

Prinz Alfons von Bayern iſt vom Prinz-
regenten Luitpold ſeiner Bitte entſprechend von dem
Commando der 1. Cavalleriebrigade, unter Be-
laſſung à la suite des 1. ſchweren Reiterregiments,
Beförderung zum Generallieutenant und Verleihung
des Großcomthurkreuzes des Militärverdienſtordens,
enthoben.“ So lautet die amtliche Meldung eines
Vorfalles, der in Bayern das höchſte Aufſehen her-
vorruft. Denn trotz der Rangeserhöhung zum
Generallieutenant iſt die Enthebung des Prinzen vom
Commando eine Maßregelung. Man führt ſie auf
Folgendes zurück: Den Beiſetzungsfeierlichkeiten des
Großherzogs Alexander von Sachſen-Weimar wohnte
Prinz Alfons als Vertreter des Prinz-Regenten bei.
Dabei iſt es wegen des Vortrittes zu Meinungsver-
ſchiedenheiten mit dem preußiſchen commandirenden Ge-
neral v. Wittich, dem Vertreter des Kaiſers, gekommen.
Prinz Alfons, geboren 24. Juni 1862 zu Madrid,
iſt der jüngſte Sohn des verewigten Prinzen Adal-
bert von Bayern, Bruders des Prinzregenten, uud
vermält ſeit 16. April 1891 mit Louiſe, Herzogin
von Alençon. Er iſt einer der populärſten Prinzen
im Volke wie im Heere. Die „Münchener Neueſten
Nachr.“ geben als Grund des ſenſationellen Vor-
ganges Differenzen mit dem an Stelle des erkrankten
Prinzen Arnulf in den Herbſtmanövern des
I. Armeecorps commandirenden Generaliieutenant
Freiherrn von Könitz an. Letzterer ertheilte deshalb
in dem Berichte an das Corpscommando dem
Prinzen Alfons eine ſchlechte Qualification, worin
er durch den Prinzen Arnulf und den Kriegsminiſter
unterſtützt wurde. Wahrſcheinlich ſind beide ange-
führten Gründe richtig. Zwiſchen den beiden Prinzen
Alfons und Arnulf beſtehen ſchon lange Mißhellig-
keiten. Prinz Alfons hat aber das Volk auf
ſeiner Seite, während Prinz Arnulf als „zu preu-
ßiſch“ gilt.




Tagesbericht.


* Kalender für Dienſtag, den 22. Jänner 1901.

Katholiken: Vincenz. — Griechen (9. Jänner):
Polyeuctes. — Sonnenaufgang 7 Uhr 42 Minuten
Morgens. — Sonnenuntergang 4 Uhr 42 Minuten
Abends. — Mondesaufgang 8 Uhr 16 Minuten
Morgens. — Mondesuntergang 7 Uhr 26 Min. Abends.

* Hof- und Perſonalnachrichten.

Erzherzogin
Maria Joſefa beſuchte Samſtag Nachmittags die
gewerbliche Fortbildungsſchule für Mädchen in Favo-
riten, Erlachgaſſe. — Erzherzog Joſef Ferdinand
iſt aus Salzburg, Erzherzog Peter Ferdinand und
Gemahlin Erzherzogin Marie Chriſtine ſind aus
Linz und Erzherzog Franz Salvator und Ge-
mahlin Erzherzogin Marie Valerie aus Enns hier
eingetroffen. — Hofcapellmeiſter Richard Strauß und
Gemahlin ſind geſtern Abends aus München mit dem
Orient-Expreßzuge in Wien angekommen und wurden
vom kaiſerlichen Rathe Hofmuſikverleger Gutmann
am Weſtbahnhofe empfangen. — Beim Feldbiſchof Dr.
Bolopotoczky fand geſtern ein Diner ſtatt.

* Auszeichnungen und Ernennungen.

Der
Kaiſer hat dem Gutsbeſitzer Joſef Hajos von
Dömſöd, dem Gutsbeſitzer, Oberlieutenant in der Re-
ſerve des Infanterie-Regiments Markgraf von Baden
Nr. 23 Joſef v. Köszeghy, dem ungariſchen Reichs-
tagsabgeordneten Gutsbeſitzer Alexander v. Köszeghy
und dem Gutsbeſitzer, Miniſterial-Viceſecretär a. D.
Michael Horwáth von Nagyvárad die Käm-
mererswürde und dem in der Druckerei der „Wiener
Zeitung“ bedienſteten Carl Zandt das ſilberne Ver-
dienſtkreuz mit der Krone verliehen, ferner den Finanz-
rath Adolf Pawlowski zum Oberfinanzrathe für
den Bereich der Finanz-Landesdirection in Lemberg
ernannt.

* Der Königsſee zugefroren.

Wie aus
Berchtesgaden gemeldet wird, iſt ſeit dem 16. d.
der Königsſee ganz zugefroren, und es kann bis
St. Bartholomä mit dem Schlitten gefahren werden,
wo jeden Nachmittag Wildfütterung ſtattfindet.


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[2/0002] Wien, Dienſtag Reichspoſt 22. Jänner 1991 18 „ſpeciell“ Radicalnationalen mit Ausſchluß der Chriſtlich-Socialen. Das wird eine ſchöne Geſell- ſchaft von Antiſemiten werden: die „freiheitlichen“ Herren Noske, Wrabetz, Dr. Menger und Conſorten, ferner die ſchönerianiſchen Kampfgenoſſen Dr. Adlers und ſchließlich Abgeordnete der Deutſchen Volkspartei, die ihre Weisheit in der „N. Fr. Preſſe“ verkünden laſſen. Das kann ja einen ganz netten Antiſemitis- mus der Deutſchen Volkspartei und der Deutſch- radicalen abgeben! Wer will aber mehr verlangen? Die Herren ſind während der letzten vier Monate überall den Juden nachgelaufen, wo dieſen nur ein Stück Brot aus der Taſche ſah; in Wien und St. Pölten haben ſowohl Schönerianer als die gewiſſe radicale Gattung der Deutſchen Volkspartei mit den Juden unter einer Decke gegen die Chriſtlich-Socialen gearbeitet und nun ſoll der Antiſemitismus dieſer Leute auf einmal Kraftproben beſtehen? Wenn nicht Alles täuſcht, werden die Chriſtlich-Socialen bald die einzigen Antiſemiten ſein! Politiſche Rundſchau. Oeſterreich-Ungarn. Wien, 21. Jänner 1901. Die Einberufung des Reichsrathes. Der Reichsrath wird für Donnerſtag den 31 Jänner einberufen; die morgige „Wiener Ztg.“ wird das diesbezügliche allerhöchſte Handſchreiben verlautbaren. Die Entſcheidung, den Reichsrath noch für Ende dieſes Monats einzuberufen, iſt nach längerem Schwanken der Regierung in dem Miniſter- rath, der letzten Samſtag Nachmittags ſtattfand, be- ſchloſſen und dem Kaiſer in einer Audienz, die geſtern Sonntags Dr. v. Koerber hatte, zur Genehmigung unterbreitet worden. Die kommende Seſſion wird ſich vor Allem mit dem Recrutengeſetz, der Wahl der Quotendeputationen und Delegationen zu befaſſen haben. Letztere beiden Gegenſtände ſind raſch zu er- ledigen. Außerdem wird die Regierung nach der Verfaſſung alle Nothverordnungen dem Hauſe binnen vier Wochen zur Genehmigung vorzulegen haben, darunter auch das ganze Bündel der Aus- gleichsverordnungen. Das letztere wird für das Par- lament gefährlich wie — Dynamit ſein. Daß die Regierung auch die Actiengeſetz- und Inveſtitions- Vorlage erneuern will, dürfte leider nur theoretiſchen Werth haben. Die erſten Fragen, die das neue Haus beſchäf- tigen werden, wird die Beantwortung der Thronrede und die Präſidentenwahl ſein. Da die Regierung ohne jede feſte Mehrheit daſteht, wird es keine geringe Mühe koſten, eine Adreſſe zu vereinbaren, wenn nicht etwa der Polenclub eine vermittelnde Stellung einnimmt. Mit Rückſicht auf die ſtarke Betonung der Autonomie-Beſtrebungen, wie ſie von Seite der verblichenen Majorität in ihrer Adreſſe und auch ſpäter zur Schau getragen wurde, iſt eine ſolche Vermittelung ziemlich unwahrſcheinlich. Was die Präſidentenfrage anlangt, ſo ſtehen Aenderungen gegen die letzte Seſſion bevor. Für die Präſidenten- ſtelle wird u. A. Dr. Kathrein genannt. Von den zwei Vicepräſidentenſtellen würde dann eine der Deutſchen Volkspartei und eine wahrſcheinlich dem Polenclub zufallen. Eine ehrbare Annäherung. Wie ſich doch die Zeiten ändern! Vor einigen Monaten hat ſich das Brünner „Deutſche Blatt“ auf vollkommen radical- nationale Baſis geſtellt und hat ſich mit der „Deutſchen Volkspartei“ entzweit. Heute ſetzt ſich dieſes Organ für eine Vereinigung der deutſchfortſchritt- lichen Abgeordneten, die ſich mit ihrer Forderung der deutſchen Staatsſprache dem Linzer Programm ſehr genähert (!) haben, mit den Abgeordneten der Deutſchen Volkspartei und der deutſchradicalen Partei in einem gemeinſamen deutſchnationalen Ver- bande im Abgeordnetenhauſe ein. Es dürfte ein recht intereſſantes Bild im künftigen Abgeordnetenhauſe geben: Herr Leon Roſenzweig in demſelben Clubverband mit Herrn Schönerer und Wolff. Die deutſchen Agrarier werden, wie Baron Rokitansky in ſeinem Blatte verſichert, im neuen Ab- geordnetenhauſe eine Partei von ſieben Mann bilden und zwar beſtehend aus den Abgeordneten Bleikolm (Steiermark), Oraſch (Kärnten), Haider und Gmachl (Salzburg), Soukup, Peſchka und Nieſig (Böhmen). Wir ſind neugierig, wielang ſich dieſe „Bauern- bündlerpartei“ halten wird. Bisher wetteiferten die Parteien, dieſe angeblichen Bauernbündler für ſich in Anſpruch zu nehmen. Die Ausſichten des Reichsrathes werden in einer Wiener Correſpondenz des „Bud. Tagbl.“ „für nicht gar ſo ungünſtig“ erklärt. „Principiell,“ heißt es da, „iſt keine Partei für die Obſtruction engagirt, weder die Jungczechen noch die Schönerianer. Es gibt keine Majorität und es läßt ſich weder die alte Rechte, noch die Coalitionsmajorität der Aera Windiſchgrätz, noch die alte Majorität der Linken von Anno dazumal herſtellen. Dafür aber gibt es auch keine Partei, die für die Regierung oder für eine Majoritätsbildung unentbehrlich wäre. Es geht eventuell ohne die Czechen, aber es geht eventuell auch ohne die deutſche Fortſchrittspartei oder die deutſche Volkspartei. Niemand iſt, beziehungs- weiſe wird im neuen Abgeordnetenhauſe unentbehrlich ſein, d. h. Niemand wird der Regierung und dem Hauſe Geſetze vorſchreiben können.“ Dieſe Beurtheilung entſpringt einer ähnlichen Anſchauung wie einer von uns jüngſt geäußerten. — Die Deutſchen werden diesmal klaren Kopf behalten müſſen; ſiegen auf ihrer Seite öſterreichfeindliche Tendenzen, dann freilich iſt es auch diesmal um den Reichsrath geſchehen. Der Krakauer „Czas“ ſchreibt zu mannigfachen formellen Schwierigkeiten, die mit Beginn des Reichs- rathes auftauchen werden: „Die Regierung legt großen Werth darauf, daß das Haus möglichſt bald in Verhandlung über das Inveſtitionsbudget gelange. Die Frage iſt nur, ob das neu gewählte Hans nicht auch auf eine Adreßdebatte beſtehen wird, welche ſehr lange dauern und die beſtehenden Antagonismen nur noch mehr verſchärfen könnte. Die Thronrede wird wohl möglichſt farblos ſein, dennoch würde eine Adreßdebatte oder auch nur ein Antrag auf Abführung eiuer ſolchen Debatte die Erledigung des ganzen Arbeitsprogramms verſchieben. Die Re- gierung rechnet vorerſt auf gar keine politiſche Majorität und theilt diesbezüglich vollſtändig den Standpunkt des Polenclub. Wenn man aber andererſeits die Zuſammenſetzung des neugewählten Abgeordnetenhauſes ſtudirt, gelangt man zu der Con- cluſion, daß Mangels einer Differenzirung zwiſchen Majorität und Minorität in jeder einzelnen Frage kleinere Fractionen, wie Katholiſche Volkspartei und die Italiener, ja ſogar ganz kleine Gruppen, wie beiſpielsweiſe die Rumänen die Entſcheidung in Händen haben werden. Ein ſolches Verhältniß müßte aber ſeitens der Regierung, beziehungsweiſe ſeitens des Staates unaufhörli Conceſſionen und Conceſſiönchen erheiſchen und ließe ſich auch auf die Dauer nicht aufrecht erhalten. Uebrigens laſſen ſich die politiſchen Verhältniſſe heute noch durch- aus nicht überſehen, da viele der kleineren Parteien ihre Stellungnahme noch nicht klar präciſirt haben. Schließlich ſei noch erwähnt, daß der Cabinetschef die Abſicht hat, mit allen Parteiführern Fühlung zu nehmen, ſelbſt mit den Führern der radicalſten Gruppen.“ — Wie oft hat man ſchon „Fühlung genommen“, ohne das richtige Gefühl für dasjenige, was Oeſterreich braucht, zu bekommen! Herr Szell hat ſich durch eine Interpellation des Abgeordneten Polonyi bewogen gefühlt, in der Sitzung des ungariſchen Abgeordnetenhauſes vom 19. d. M. zu der ſogenannten Baernreither’ſchen Formel Stellung zu nehmen. Herr Polonyi, der die Rufe „Los von Rom“ und „Ein beſſerer Aus- gleich mit Ungarn“, die jetzt in Oeſterreich als Parole ausgegeben worden ſeien, in einen Topf warf, wies auf die von Bülow proclamirte Erhöhung der Agrarzölle hin und bemerkte, er könne nicht glauben, daß Kaiſer Wilhelm eine Strömung billige, welche Ungarn, das „verläßlichſte“ Glied des Dreibundes, wirthſchaftlich exploitiren möchte. Der durch eine eventuelle Annahme des Baernreither- ſchen Vorſchlages, — die parlamentariſche Be- handlung der Nothverordnungen, vor der Hand durch Beſchluß des Hauſes auszuſetzen und ungeſäumt mit Ungarn neue Vereinbarungen betreffend die gemein- ſamen Angelegenheiten und das uach gemeinſamen Grundſätzen zu regelnden Zoll- und Handelsbündniß, zu treffen — geſchaffene Zuſtand würde noch ſchlechter ſein als die § 14-Wirthſchaft. In ſeiner Antwort erklärte Miniſterpräſident Szell die Baernreither- ſchen Vorſchläge für unannehmbar. Dies bedeutet bei dem ungariſchen Einfluſſe in Oeſterreich, daß die Baernreither’ſche Formel ein „Vorſchlag“ bleiben wird. Deutſches Reich. Der allgemeine Judentag kommt nicht zu Stande. Eine jüngſt in Berlin abgehaltene Ver- ſammlung, in der ſich die angeſehenſten Vertreter der größten jüdiſchen Gemeinden befanden, ſprach ſich gegen den Zionismus aus und lehnte mit erdrückender Mehrheit die Einberufung eines allgemeinen Juden- tages ab. Gegen eine ſolche Einberufung ſtimmten geſchloſſen ſämmtliche Vertreter aus Süddeutſchland, ſowie die große Mehrheit der Vertreter der nord- deutſchen jüdiſchen Gemeinden und die politiſchen Perſönlichkeiten. Dagegen wurde beſchloſſen, eine allgemeine Organiſatiou innerhalb der jüdiſchen Bevölkerung Deutſchlands in der Form zu ſchaffen, daß aus den Vertretern des Rabbinerverbandes, des Verbandes jüdiſcher Lehrer und des Centralverbandes jüdiſcher Staatsbürger, der großen jüdiſchen Gemeinden ꝛc. Delegirte ernannt werden, deren Obliegenheit es ſein ſoll, gelegentlich in gegebenen Fällen für die Intereſſen der jüdiſchen Bevölkerung einzutreten. Eine allgemeine deutſche Rechtſchreibung ſtrebt ein Antrag an, der im deutſchen Reichs- tage von der freiſinnigen Volkspartei eingebracht wurde. Der Antrag lautet: „Der Reichstag wolle beſchließen, den Reichskanzler zu erſuchen, baldigſt geeinete Schritte zu thun, um für das Reichsgebiet und, ſoweit angrenzend, auch für die benachbarten deutſchen Sprachgebiete von Oeſterreich-Ungarn und der Schweiz eine möglichſt gleichmäßige deutſche Rechtſchreibung zu erzielen.“ Der württembergiſche Landtag hat mit 53 gegen 29 Stimmen (gegen Demokratie und Social- demokratie) beſchloſſen, die Thronrede nicht mit einer Adreſſe zu beantworten. Prinzregent Luipolt von Bayern beabſich- tigt, eine große Anzahl von Perſonen, die wegen nicht ehrenrühriger Vergehen verurtheilt ſind, nach Anträgen des Juſtizminiſters zur Feier der Vollen- dung ſeines 80. Lebensjahres zu begnadigen. — Die bayeriſche Regierung hat bei der preußiſchen den Antrag auf Eröffnung der Verhandlungen über Ab- ſchluß eines Staatsvertrages wegen der Main- Canaliſation geſtellt. Prinz Alfons von Bayern iſt vom Prinz- regenten Luitpold ſeiner Bitte entſprechend von dem Commando der 1. Cavalleriebrigade, unter Be- laſſung à la suite des 1. ſchweren Reiterregiments, Beförderung zum Generallieutenant und Verleihung des Großcomthurkreuzes des Militärverdienſtordens, enthoben.“ So lautet die amtliche Meldung eines Vorfalles, der in Bayern das höchſte Aufſehen her- vorruft. Denn trotz der Rangeserhöhung zum Generallieutenant iſt die Enthebung des Prinzen vom Commando eine Maßregelung. Man führt ſie auf Folgendes zurück: Den Beiſetzungsfeierlichkeiten des Großherzogs Alexander von Sachſen-Weimar wohnte Prinz Alfons als Vertreter des Prinz-Regenten bei. Dabei iſt es wegen des Vortrittes zu Meinungsver- ſchiedenheiten mit dem preußiſchen commandirenden Ge- neral v. Wittich, dem Vertreter des Kaiſers, gekommen. Prinz Alfons, geboren 24. Juni 1862 zu Madrid, iſt der jüngſte Sohn des verewigten Prinzen Adal- bert von Bayern, Bruders des Prinzregenten, uud vermält ſeit 16. April 1891 mit Louiſe, Herzogin von Alençon. Er iſt einer der populärſten Prinzen im Volke wie im Heere. Die „Münchener Neueſten Nachr.“ geben als Grund des ſenſationellen Vor- ganges Differenzen mit dem an Stelle des erkrankten Prinzen Arnulf in den Herbſtmanövern des I. Armeecorps commandirenden Generaliieutenant Freiherrn von Könitz an. Letzterer ertheilte deshalb in dem Berichte an das Corpscommando dem Prinzen Alfons eine ſchlechte Qualification, worin er durch den Prinzen Arnulf und den Kriegsminiſter unterſtützt wurde. Wahrſcheinlich ſind beide ange- führten Gründe richtig. Zwiſchen den beiden Prinzen Alfons und Arnulf beſtehen ſchon lange Mißhellig- keiten. Prinz Alfons hat aber das Volk auf ſeiner Seite, während Prinz Arnulf als „zu preu- ßiſch“ gilt. Tagesbericht. Wien, 21. Jänner * Kalender für Dienſtag, den 22. Jänner 1901. Katholiken: Vincenz. — Griechen (9. Jänner): Polyeuctes. — Sonnenaufgang 7 Uhr 42 Minuten Morgens. — Sonnenuntergang 4 Uhr 42 Minuten Abends. — Mondesaufgang 8 Uhr 16 Minuten Morgens. — Mondesuntergang 7 Uhr 26 Min. Abends. * Hof- und Perſonalnachrichten. Erzherzogin Maria Joſefa beſuchte Samſtag Nachmittags die gewerbliche Fortbildungsſchule für Mädchen in Favo- riten, Erlachgaſſe. — Erzherzog Joſef Ferdinand iſt aus Salzburg, Erzherzog Peter Ferdinand und Gemahlin Erzherzogin Marie Chriſtine ſind aus Linz und Erzherzog Franz Salvator und Ge- mahlin Erzherzogin Marie Valerie aus Enns hier eingetroffen. — Hofcapellmeiſter Richard Strauß und Gemahlin ſind geſtern Abends aus München mit dem Orient-Expreßzuge in Wien angekommen und wurden vom kaiſerlichen Rathe Hofmuſikverleger Gutmann am Weſtbahnhofe empfangen. — Beim Feldbiſchof Dr. Bolopotoczky fand geſtern ein Diner ſtatt. * Auszeichnungen und Ernennungen. Der Kaiſer hat dem Gutsbeſitzer Joſef Hajos von Dömſöd, dem Gutsbeſitzer, Oberlieutenant in der Re- ſerve des Infanterie-Regiments Markgraf von Baden Nr. 23 Joſef v. Köszeghy, dem ungariſchen Reichs- tagsabgeordneten Gutsbeſitzer Alexander v. Köszeghy und dem Gutsbeſitzer, Miniſterial-Viceſecretär a. D. Michael Horwáth von Nagyvárad die Käm- mererswürde und dem in der Druckerei der „Wiener Zeitung“ bedienſteten Carl Zandt das ſilberne Ver- dienſtkreuz mit der Krone verliehen, ferner den Finanz- rath Adolf Pawlowski zum Oberfinanzrathe für den Bereich der Finanz-Landesdirection in Lemberg ernannt. * Der Königsſee zugefroren. Wie aus Berchtesgaden gemeldet wird, iſt ſeit dem 16. d. der Königsſee ganz zugefroren, und es kann bis St. Bartholomä mit dem Schlitten gefahren werden, wo jeden Nachmittag Wildfütterung ſtattfindet.

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 18, Wien, 22.01.1901, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost018_1901/2>, abgerufen am 20.04.2024.