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Reichspost. Nr. 18, Wien, 22.01.1901.

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Wien, Dienstag Reichspost 22. Jänner 1901 18

[Spaltenumbruch] ist. Der älteste Sohn der Königin, der gegenwärtige
Thronfolger Prinz Albert Eduard von Wales, der
am 9. November 1841 geboren wurde, vermählte sich
am 10. März 1863 mit der Prinzessin Alexandra,
Tochter des Königs Christian von Dänemark. Ein
Enkel der Königin, Herzog Leopold von Albany, hat
nach dem Tode seines Oheims, des kinderlosen
Herzogs Alfred von Sachsen-Coburg-Gotha, den
Thron dieses Landes bestiegen. Die Königin ist mit
den meisten europäischen Herrscherhäusern verwandt.

In das erste Regierungsjahr der Königin fiel
die Abtrennung Hannovers, wo nur das männliche
Erbrecht galt, von Großbritanien. Hannover erhielt
in Herzog Ernst August, dem ältesten Bruder des
verstorbenen Oheims der Königin Victoria, den ersten
König. Zur Zeit des Regierungsantrittes der Kö-
nigin herrschten in England die Whigs, von
welchen sich ein radicaler Flügel abgetrennt hatte,
der eine vollständige Umgestaltung der socialen
und politischen Verhältnisse ins Auge faßte. Heftige
Kämpfe entspannen sich um die Volkscharte, worin
allgemeine directe Wahlen ohne Census, jährliche
Parlamentswahlen, Abschaffung des Armengesetzes,
Verminderung der Abgaben etc. etc. gefordert wurden
und um die Peel'sche Kornbill (1842). Im Jahre
1846 wurde nach Beseitigung der Kornzölle, das
System des Freihandels, das Großbritannien zur
Blüthe führte, proclamirt. Die radicale Bewegung,
die im Volke festen Fuß gefaßt hatte, ließ den Aus-
bruch von Unruhen im Jahre 1848 befürchten, doch blieb
es, da inzwischen die wirthschaftlichen Verhältnisse eine
Besserung erfahren hatten, bei unschädlichen Demon-
strationsversuchen und Aufzügen.

In der auswärtigen Politik, die in diesem Zeit-
raum von Palmerston geleitet wurde, war nicht
immer günstig für England. So wurde das Insel-
reich bei dem Unternehmen, die Pforte gegen die
russischen Eroberungspläne zu schützen, in den Krim-
krieg verwickelt. Glücklicher waren die Engländer in
ihrer Colonialpolitik. Sie erzielten bedeutende Erfolge
in Indien, wo nach Unterdrückung des Sipoys-Auf-
standes 1858, das Land direct unter die Herrschaft
der Krone gestellt wurde. Von China erzwang man
1842 das später in verwerflichster Weise ausgeübte
Recht des Opiumhandels, die Abtretung der Insel
Hongkong und die Eröffnung von fünf Häfen. Auch
spätere Kriege gegen China 1857/58 und 1860 mit
Hilfe Frankreichs endeten vortheilhaft für den engli-
schen Handel.

In das Jahr 1867 fällt die Durchführung einer
dem conservativen Ministerium Derby-Disraeli von
den Liberalen aufgezwungenen Parlamentsreform, die
den Census herabsetzte. Die Annahme eines Antrages
Gladstone's auf Aufhebung der englischen Hochkirche
in Irland im Unterhause, veranlaßte den Rücktritt
des Ministeriums und die Berufung Gladstone's zur
Leitung der Regierung. Dieser schritt energisch an die
Lösung der irischen Frage, die eine brennende
geworden. Gladstone versuchte die von den geheimen
Gesellschaften, besonders von den Geheimbund der
Fenier genährte Empörung zu beruhigen. Gladstone
setzte zunächst die Entstaatlichung der anglikanischen
Kirche in Irland durch; die Kirchenbill von 1869
verdrängte die Staatskirche aus dem ausschließlichen
Besitze des irischen Kirchenvermögens und dotirte
dasselbe mit einem Capitale von 12 Millionen Pfund
Sterling. Eine gleichzeitige erlassene Agrarbill sollte
die irischen Pächter gegen die Willkür der Gutsherrn
schützen. Die irische Frage war aber dadurch nicht
gelöst, sie beschäftigte in hervorragender Weise auch
die späteren Regierungen.

Auch unter diesem Ministerium Gladstone war die
auswärtige englische Politik eine engherzige, von den
Interessen des Großhandels bestimmte Krämerpolitik.
Großbritannten griff nicht in die Ereignisse der Jahre
1864, 1866 und 1870 ein. Auf der Londoner Con-
ferenz im März 1871 wurden die Schranken beseitigt,
die englischer Einfluß nach dem Krimkriege der
Flotte Rußlands im Schwarzen Meer und seiner
Einfahrt gezogen hatte. Unter dem conservativen
Ministerium Disraelt, das von 1874--1880 die Ge-
schäfte führte, griff England mit rauher Hand in die
Verhältnisse Egyptens ein, es kaufte die Actien des
Suezcanales auf und übernahm die Ordnung der
zerrütteten Finanzverhältnisse des Landes, wodurch
es sich seinen Einfluß sicherte und das Protectorat
vorbereitete. Im russisch-türkischen Kriege 1877
bis 1878 trat England aus egoistischen Gründen
für die Pforte ein und verstärkte seine Position im
Mittelmeere durch die 1878 erfolgte Besetzung
Cyperns. In das Jahr 1876 fällt die Verkündigung
der Bill in London, durch welche der Königin von
England der Titel einer Kaiserin von Indien ver-
liehen wurde. Das gewaltsame Vorgehen gegen die
Zulus, sowie die unrechtmäßige Besetzung von Trans-
vaal, die einen Aufstand der Boeren hervorrief,
brachten Disraeli's Politik in Mißeredit und bei den
Neuwahlen kamen die Liberalen wieder ans Ruder.
Gladstone, der von 1880 bis 1885 die Regierung
führte, gab Afghanistan und Transvaal wieder auf,
gerieth aber bald mit den Iren in Schwierigkeiten,
da die halben Maßregeln gegen die terroristisch auf-
tretende Landliga nicht den gewünschten Erfolg
hatten. In rascher Reihenfolge lösten sich Gladstone
und Lord Salisbury in der Führung der Geschäfte
[ab] und jeder war vergebens bemüht, Ordnung in die
[Spaltenumbruch] irischen Wirren zu bringen. Unter Salisbury wurde
die Politik der Repression durch Zwangsbills wieder
aufgenommen. Die Verhaftungen parnellitischer
Abgeordneter steigerte die Aufregung derart, daß selbst
Beschwichtigungsversuche des Papstes und der
Bischöfe erfolglos blieben. Die Spaltung in der
irischen Partei, die den Plänen der Regierung förder-
lich war, nahm mit Parnell's Tode ein Ende und es
kam zu einem engen Zusammenschlusse der Gruppen.
Im Jahre 1890 gelang es Salibury die znr
Schaffung eines selbständigen irischen Bauernstandes
bestimmte Landbill durchzubringen.

Im Jahre 1892 wurden, da die Majorität der
Regierung im Unterhause von der Gefolgschaft der
irischen Abgeordneten abhing, die irischen Verbrecher-
acte aufgehoben, durch deren energische Durchführung
das Ministerium Salisbury die Ruhe auf der Insel
nothdürftig hergestellt hatte. Im Jahre 1893 brachte
Gladstone eine neue Homerulebill ein, die wohl vom
Unterhause angenommen, vom Oberhause jedoch ab-
gelehnt wurde. Demselben Schicksal verfiel auch eine
spätere Vorlage der Regierung. Im Jahre 1895 ge-
langte eine Bill, welche weitere Erleichterungen für
die Umwandlung des Pachtverhältnisses in ein Eigen-
thumsverhältniß einführte und verhindern sollte, daß
die von den Pächtern in ihren Gütern vorgenommenen
Meliorationen zur Erhöhung der Pachtsumme benützt
werden, zur parlamentarischen Erledigung. Einen
wesentlichen Fortschritt in der inneren Entwicklung
Irlands bedeutet die im August 1898 ins Leben
getretene irische Selbstverwaltungsbill, die sich in allen
wesentlichen Punkten den englischen und schottischen
Gesetzen anschloß.

In die letzten Regierungsjahre der Königin
fallen die durch eine vom Krämergeist inspirirte Er-
oberungspolitik geführten Kriege in Afrika. In
diesem Welttheil hat England eine Mehrung seiner
Gebiete nicht immer auf friedlichem Wege gefunden.
Wir erinnern nur an die Kämpfe im Sudan und
in Südafrika, wo um der Interessen einiger
weniger aber mächtiger Speculanten willen, ein
erbitterter Vernichtungskampf gegen freie Völker ge-
führt wird, ein Kampf, der England die letzten
Sympathien der civilisirten Welt raubte. Es fehlte
aber auch nicht an Versuchen der Kolonien das Mutterland
zu schwächen, sich von ihm loszumachen. Dahin sind die Be-
strebungen zu zählen, die ihren vorläufigen Abschluß
in der Errichtung des australischen Staatenbundes
gefunden haben. Jedenfalls nimmt England nicht
mehr den Rang unter den europäischen Staaten ein,
den es noch bei Beginn der Regierungszeit der
Königin Viktoria inne hatte.




Letzte Nachrichten.
Auch ein Vorschlag.

In den "Tiroler
Stimmen"
schreibt ein conservativer Wähler: "Die
Einen rathen der Katholischen Volkspartei: mehr Be-
tonung des nationalen Elements in der Zukunft; in
christlich-socialen Blättern liest man sogar: stärkere
Hervorkehrung des antisemitischen Standpunktes. Mir
scheint, gegenüber dem allseitigen Ansturm gerade auf
die katholischen Positionen gibt es znnächst nur Eine
wirksame Gegenaction: Zusammenschluß aller
katholischen Elemente
und Festigung dieser
Position. Es handelt sich dabei nicht etwa um die
Verschmelzung der katholischen Volkspartei mi[t d]en
Christlich-Socialen; eine solche V[er]-
schmelzung liegt heute fe[rn]er
als je.
Es können auch die katholischen Ab-
geordneten des böhmischen Großgrundbesitzes für
diesen Zusammenschluß derzeit nicht in Betracht
kommen. Als Crystallisationspunkt sind die Parteien
gedacht, die sich bisher "Katholische Volks-
partei" und "Centrum" nannten.
Es ist
wohl selbstverständlich, daß ein Name gefunden
werden muß, unter dem sich diese beiden Gruppen
vereinigen. Der Club, der aus der Vereinigung
hervorgeht, wird dann gleich stark oder um einige
Mann stärker sein als die bisherige Katholische
Volkspartei. Aber damit darf es nicht sein Be-
wenden haben." Die Katholische Volkspartei zählt
heute 23 Mandate, das Centrum 6; macht zusammen
29 Mandate für diesen "Zusammenschluß aller
katholischen Elemente?"
-- Sein Vaterland
muß größer sein, möchten wir da mit Arndt sprechen.

Politische Maulhelden.

Herr Schönerer
scheint bei der czechischen Nation gelehrige Schüler
gefunden zu haben. Die sechs Mann hohe Partei der
national-socialen Arbeiter kündigt in ihrem Prager
Organ "Ceska Demokracie" der Regierung die
lärmende Obstruction an. Nachdem das Blatt die
drei vom Parlament zuerst zu erledigenden "Staats-
nothwendigkeiten" -- Delegationswahlen, Recruten-
bewilligung und 500 Millionen-Anleihe -- auf-
gezählt, fährt es fort: "Alles Andere will
die Regierung zurückstellen! Durchaus
schöne Pläne; aber ganz andere Ver-
hältnisse müssen existiren, damit die Regierung auf
Ruhe im Parlament rechnen könnte. Wir kennen nur
eine Nothwendigkeit: Das ist die Erhaltung der
eigenen Existenz. Alles Andere geht uns nichts an,
[Spaltenumbruch] und muß uns nichts angehen." Je kleiner eine
Fraction ist, desto anmaßender ist sie. So glauben die
fünf Nationalsocialen mit dem doppelgewählten Herrn
Klofac an der Spitze, daß die österreichische Politik
um ihre Wenigkeit sich drehen wird.

Der "Hagenbund" -- aufgelöst.

Bekanntlich
ist ein Theil der Mitglieder des Künstlerbundes
"Hagen" aus der Künstlergenossenschaft ausgetreten.
Diese Secession führte nun zu einer Auflösung des
genannten Bundes, welche auch bereits in der amt-
lichen "Wiener Zeitung" verlautbart wird.

Eine Enthüllung des "Vorwärts".

Der
Berliner "Vorwärts" veröffentlicht ein vom Juni
1896 datirtes Schreiben des Generalsecretärs des
Centralverbandes deutscher Industriellen, Bück, an
den bayerischen Reichsrath v. Haßler. Das ver-
trauliche
Schreiben constatirt, "daß wir (die Groß-
industrie) den Minister v. Berlepsch endlich doch
klein bekommen haben," daß der Nachfolger
Berlepsch', Herr Brefeld, ihn -- Bück -- gebeten
habe, stets zu ihm zu kommen, "wenn wir irgend
etwas haben," daß man mit Brefeld überhaupt zu-
frieden sein könne. Der Minister sei mit dem Kaiser
dahin einverstanden, in der Socialreform mehr
Ruhe eintreten zu lassen.
Die Lage der Ar-
beiter könne als eine vollkommen befriedigende be-
zeichnet werden. Entstehende Klagen seien Unfug. Der
Brief ist ein erneuter charakteristischer Beweis der
Intimität der Regierung und des Centralverbandes.

Die medicinische Facultät gegen den
Staatsanwalt.

Das Wieuer medicinische Pro-
fessorencollegium hat in seiner letzten Sitzung be-
schlossen, in Folge der Kritik, welcher der Staats-
anwalt Dr. Ritter v. Kleeborn das Gutachten der
Facultät in Sachen des in erster Instanz verurtheilten
Frauenarztes Dr. Schoßberger unterzogen hatte,
eine motivirte Beschwerde an die Regierung, bezw.
auf dem Wege des Unterrichtsministeriums an das
Justizministerium zu richten. Anderseits haben der Vor-
stand der Wiener Aerztekammer und der Verband der
Aerzte Wiens Resolutionen angenommen, welche die
Facultät zur entschiedenen Abwehr des staatsanwalt-
schaftlichen Angriffes auffordern. In der Resolution
der Aerztekammer wird der Thatsache mit Befriedi-
gung Ausdruck gegeben, "daß die Facultät ent-
schlossen ist, in entsprechender Weise gegen dieses
Vorgehen der Staatsanwalschaft einzuschreiten, durch
welches sich die gesammte Aerzteschaft getroffen fühlt,
deren wissenschaftliche Vertretung die medicinische
Facultät ist."

Ein Grubenbrand in Mährisch-Ostrau.

In Mährisch-Ostrau brach gestern Nachts, muthmaß-
lich in Folge Brandlegung, im Elisabeth-Flötze des
mitten im Stadtgebiete gelegenen Carolinen-Schachtes
der Witkowitzer Gruben in der Tiefe von 400 Metern
Feuer aus, welches die Zimmerung einer Verbin-
dungsstrecke zum oberen Horizonte ergriff. Menschen-
leben waren nicht gefährdet. Die Löscharbeiten dürften
mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Wieder ein Zusammenstoß mit der Elek-
trischen.

Auf der Favoritenstraße ist am 20. d. um
3/48 Uhr Abends ein Motorwagen der elektrischen
Straßenbahn so heftig an das Einspännerzeug
Nr. 1132 angefahren, daß letzteres ganz zertrümmert
wurde. Der Einspänuerkutscher Ignaz Kirchmayer
wurde vom Bocke geschleudert, hat aber keine Ver-
letzungen erlitten.

* Verunglückt.

Gestern Mittags ist der beim
Bau des Winterhafens beschäftigte 38jährige Tag-
löhner Carl Bauer am Praterspitz beim Transport
eines schweren eisernen Rades auf dem Baggerschiffe
"Vulkan" zu Boden gestürzt. Infolge des Druckes
durch das Rad erlitt er eine gefährliche Quetschung
des Bauches und der rechten Hüfte. -- Die bekannte
Volkssängerin Mizzi Panfy sollte am 19. d. M.
bends im Saale der Ressource, Reichsstraße Nr. 3,
bei einem Vereinsabend mitwirken. Auf der in den
Saal führenden Stiege stürzte sie beim Eintritte und
verstauchte sich den linken Fuß.

* Ueber einen Kampf mit Einbrechern

wird
der "N. Fr. Pr." aus Prag berichtet. Gestern Mor-
gens bemerkte ein Sicherheitswachmann, daß zwei
Strolche in dee Belvederegasse einen Laden erbrachen
um einen Raub zu verüben. Der Wachmann suchte
die beiden Strolche festzunehmen, wobei sich nun ein
heftiger Kampf entspann, in dem der Wachmann den
Säbel zog und einem Einbrecher 4 Finger zerschuitt.
Der Wachmann selbst erlitt durch mehrere Hiebe, die
einer der Einbrecher mit einer Hacke gegen ihn führte,
schwere Verletzungen. Die beiden Strolche ergriffen
die Flucht, doch gelang es, einen zu verhaften.

* Betrügerische Crida.

Das Laibacher
Landesgericht hat gegen den 42jährigen Bäckermeister
Mathias Miklaye aus Selo einen Steckbrief wegen
Betruges erlassen. Miklave hat vor der Concurs-
eröffnung Vermögensstücke bei Seite geschafft, unter
Anderem drei auf 3800 K lautende Sparcassebücher.

* Der Ball bei Hof abgesagt.

In Folge
der schweren Erkrankung der Königin von Eng-
land
findet auf allerhöchste Befehl der Ball bei Hof
am Dienstag, 22. d., nicht statt.




Wien, Dienſtag Reichspoſt 22. Jänner 1901 18

[Spaltenumbruch] iſt. Der älteſte Sohn der Königin, der gegenwärtige
Thronfolger Prinz Albert Eduard von Wales, der
am 9. November 1841 geboren wurde, vermählte ſich
am 10. März 1863 mit der Prinzeſſin Alexandra,
Tochter des Königs Chriſtian von Dänemark. Ein
Enkel der Königin, Herzog Leopold von Albany, hat
nach dem Tode ſeines Oheims, des kinderloſen
Herzogs Alfred von Sachſen-Coburg-Gotha, den
Thron dieſes Landes beſtiegen. Die Königin iſt mit
den meiſten europäiſchen Herrſcherhäuſern verwandt.

In das erſte Regierungsjahr der Königin fiel
die Abtrennung Hannovers, wo nur das männliche
Erbrecht galt, von Großbritanien. Hannover erhielt
in Herzog Ernſt Auguſt, dem älteſten Bruder des
verſtorbenen Oheims der Königin Victoria, den erſten
König. Zur Zeit des Regierungsantrittes der Kö-
nigin herrſchten in England die Whigs, von
welchen ſich ein radicaler Flügel abgetrennt hatte,
der eine vollſtändige Umgeſtaltung der ſocialen
und politiſchen Verhältniſſe ins Auge faßte. Heftige
Kämpfe entſpannen ſich um die Volkscharte, worin
allgemeine directe Wahlen ohne Cenſus, jährliche
Parlamentswahlen, Abſchaffung des Armengeſetzes,
Verminderung der Abgaben ꝛc. ꝛc. gefordert wurden
und um die Peel’ſche Kornbill (1842). Im Jahre
1846 wurde nach Beſeitigung der Kornzölle, das
Syſtem des Freihandels, das Großbritannien zur
Blüthe führte, proclamirt. Die radicale Bewegung,
die im Volke feſten Fuß gefaßt hatte, ließ den Aus-
bruch von Unruhen im Jahre 1848 befürchten, doch blieb
es, da inzwiſchen die wirthſchaftlichen Verhältniſſe eine
Beſſerung erfahren hatten, bei unſchädlichen Demon-
ſtrationsverſuchen und Aufzügen.

In der auswärtigen Politik, die in dieſem Zeit-
raum von Palmerſton geleitet wurde, war nicht
immer günſtig für England. So wurde das Inſel-
reich bei dem Unternehmen, die Pforte gegen die
ruſſiſchen Eroberungspläne zu ſchützen, in den Krim-
krieg verwickelt. Glücklicher waren die Engländer in
ihrer Colonialpolitik. Sie erzielten bedeutende Erfolge
in Indien, wo nach Unterdrückung des Sipoys-Auf-
ſtandes 1858, das Land direct unter die Herrſchaft
der Krone geſtellt wurde. Von China erzwang man
1842 das ſpäter in verwerflichſter Weiſe ausgeübte
Recht des Opiumhandels, die Abtretung der Inſel
Hongkong und die Eröffnung von fünf Häfen. Auch
ſpätere Kriege gegen China 1857/58 und 1860 mit
Hilfe Frankreichs endeten vortheilhaft für den engli-
ſchen Handel.

In das Jahr 1867 fällt die Durchführung einer
dem conſervativen Miniſterium Derby-Disraeli von
den Liberalen aufgezwungenen Parlamentsreform, die
den Cenſus herabſetzte. Die Annahme eines Antrages
Gladſtone’s auf Aufhebung der engliſchen Hochkirche
in Irland im Unterhauſe, veranlaßte den Rücktritt
des Miniſteriums und die Berufung Gladſtone’s zur
Leitung der Regierung. Dieſer ſchritt energiſch an die
Löſung der iriſchen Frage, die eine brennende
geworden. Gladſtone verſuchte die von den geheimen
Geſellſchaften, beſonders von den Geheimbund der
Fenier genährte Empörung zu beruhigen. Gladſtone
ſetzte zunächſt die Entſtaatlichung der anglikaniſchen
Kirche in Irland durch; die Kirchenbill von 1869
verdrängte die Staatskirche aus dem ausſchließlichen
Beſitze des iriſchen Kirchenvermögens und dotirte
dasſelbe mit einem Capitale von 12 Millionen Pfund
Sterling. Eine gleichzeitige erlaſſene Agrarbill ſollte
die iriſchen Pächter gegen die Willkür der Gutsherrn
ſchützen. Die iriſche Frage war aber dadurch nicht
gelöſt, ſie beſchäftigte in hervorragender Weiſe auch
die ſpäteren Regierungen.

Auch unter dieſem Miniſterium Gladſtone war die
auswärtige engliſche Politik eine engherzige, von den
Intereſſen des Großhandels beſtimmte Krämerpolitik.
Großbritannten griff nicht in die Ereigniſſe der Jahre
1864, 1866 und 1870 ein. Auf der Londoner Con-
ferenz im März 1871 wurden die Schranken beſeitigt,
die engliſcher Einfluß nach dem Krimkriege der
Flotte Rußlands im Schwarzen Meer und ſeiner
Einfahrt gezogen hatte. Unter dem conſervativen
Miniſterium Disraelt, das von 1874—1880 die Ge-
ſchäfte führte, griff England mit rauher Hand in die
Verhältniſſe Egyptens ein, es kaufte die Actien des
Suezcanales auf und übernahm die Ordnung der
zerrütteten Finanzverhältniſſe des Landes, wodurch
es ſich ſeinen Einfluß ſicherte und das Protectorat
vorbereitete. Im ruſſiſch-türkiſchen Kriege 1877
bis 1878 trat England aus egoiſtiſchen Gründen
für die Pforte ein und verſtärkte ſeine Poſition im
Mittelmeere durch die 1878 erfolgte Beſetzung
Cyperns. In das Jahr 1876 fällt die Verkündigung
der Bill in London, durch welche der Königin von
England der Titel einer Kaiſerin von Indien ver-
liehen wurde. Das gewaltſame Vorgehen gegen die
Zulus, ſowie die unrechtmäßige Beſetzung von Trans-
vaal, die einen Aufſtand der Boeren hervorrief,
brachten Disraeli’s Politik in Mißeredit und bei den
Neuwahlen kamen die Liberalen wieder ans Ruder.
Gladſtone, der von 1880 bis 1885 die Regierung
führte, gab Afghaniſtan und Transvaal wieder auf,
gerieth aber bald mit den Iren in Schwierigkeiten,
da die halben Maßregeln gegen die terroriſtiſch auf-
tretende Landliga nicht den gewünſchten Erfolg
hatten. In raſcher Reihenfolge löſten ſich Gladſtone
und Lord Salisbury in der Führung der Geſchäfte
[ab] und jeder war vergebens bemüht, Ordnung in die
[Spaltenumbruch] iriſchen Wirren zu bringen. Unter Salisbury wurde
die Politik der Repreſſion durch Zwangsbills wieder
aufgenommen. Die Verhaftungen parnellitiſcher
Abgeordneter ſteigerte die Aufregung derart, daß ſelbſt
Beſchwichtigungsverſuche des Papſtes und der
Biſchöfe erfolglos blieben. Die Spaltung in der
iriſchen Partei, die den Plänen der Regierung förder-
lich war, nahm mit Parnell’s Tode ein Ende und es
kam zu einem engen Zuſammenſchluſſe der Gruppen.
Im Jahre 1890 gelang es Salibury die znr
Schaffung eines ſelbſtändigen iriſchen Bauernſtandes
beſtimmte Landbill durchzubringen.

Im Jahre 1892 wurden, da die Majorität der
Regierung im Unterhauſe von der Gefolgſchaft der
iriſchen Abgeordneten abhing, die iriſchen Verbrecher-
acte aufgehoben, durch deren energiſche Durchführung
das Miniſterium Salisbury die Ruhe auf der Inſel
nothdürftig hergeſtellt hatte. Im Jahre 1893 brachte
Gladſtone eine neue Homerulebill ein, die wohl vom
Unterhauſe angenommen, vom Oberhauſe jedoch ab-
gelehnt wurde. Demſelben Schickſal verfiel auch eine
ſpätere Vorlage der Regierung. Im Jahre 1895 ge-
langte eine Bill, welche weitere Erleichterungen für
die Umwandlung des Pachtverhältniſſes in ein Eigen-
thumsverhältniß einführte und verhindern ſollte, daß
die von den Pächtern in ihren Gütern vorgenommenen
Meliorationen zur Erhöhung der Pachtſumme benützt
werden, zur parlamentariſchen Erledigung. Einen
weſentlichen Fortſchritt in der inneren Entwicklung
Irlands bedeutet die im Auguſt 1898 ins Leben
getretene iriſche Selbſtverwaltungsbill, die ſich in allen
weſentlichen Punkten den engliſchen und ſchottiſchen
Geſetzen anſchloß.

In die letzten Regierungsjahre der Königin
fallen die durch eine vom Krämergeiſt inſpirirte Er-
oberungspolitik geführten Kriege in Afrika. In
dieſem Welttheil hat England eine Mehrung ſeiner
Gebiete nicht immer auf friedlichem Wege gefunden.
Wir erinnern nur an die Kämpfe im Sudan und
in Südafrika, wo um der Intereſſen einiger
weniger aber mächtiger Speculanten willen, ein
erbitterter Vernichtungskampf gegen freie Völker ge-
führt wird, ein Kampf, der England die letzten
Sympathien der civiliſirten Welt raubte. Es fehlte
aber auch nicht an Verſuchen der Kolonien das Mutterland
zu ſchwächen, ſich von ihm loszumachen. Dahin ſind die Be-
ſtrebungen zu zählen, die ihren vorläufigen Abſchluß
in der Errichtung des auſtraliſchen Staatenbundes
gefunden haben. Jedenfalls nimmt England nicht
mehr den Rang unter den europäiſchen Staaten ein,
den es noch bei Beginn der Regierungszeit der
Königin Viktoria inne hatte.




Letzte Nachrichten.
Auch ein Vorſchlag.

In den „Tiroler
Stimmen“
ſchreibt ein conſervativer Wähler: „Die
Einen rathen der Katholiſchen Volkspartei: mehr Be-
tonung des nationalen Elements in der Zukunft; in
chriſtlich-ſocialen Blättern lieſt man ſogar: ſtärkere
Hervorkehrung des antiſemitiſchen Standpunktes. Mir
ſcheint, gegenüber dem allſeitigen Anſturm gerade auf
die katholiſchen Poſitionen gibt es znnächſt nur Eine
wirkſame Gegenaction: Zuſammenſchluß aller
katholiſchen Elemente
und Feſtigung dieſer
Poſition. Es handelt ſich dabei nicht etwa um die
Verſchmelzung der katholiſchen Volkspartei mi[t d]en
Chriſtlich-Socialen; eine ſolche V[er]-
ſchmelzung liegt heute fe[rn]er
als je.
Es können auch die katholiſchen Ab-
geordneten des böhmiſchen Großgrundbeſitzes für
dieſen Zuſammenſchluß derzeit nicht in Betracht
kommen. Als Cryſtalliſationspunkt ſind die Parteien
gedacht, die ſich bisher „Katholiſche Volks-
partei“ und „Centrum“ nannten.
Es iſt
wohl ſelbſtverſtändlich, daß ein Name gefunden
werden muß, unter dem ſich dieſe beiden Gruppen
vereinigen. Der Club, der aus der Vereinigung
hervorgeht, wird dann gleich ſtark oder um einige
Mann ſtärker ſein als die bisherige Katholiſche
Volkspartei. Aber damit darf es nicht ſein Be-
wenden haben.“ Die Katholiſche Volkspartei zählt
heute 23 Mandate, das Centrum 6; macht zuſammen
29 Mandate für dieſen „Zuſammenſchluß aller
katholiſchen Elemente?“
— Sein Vaterland
muß größer ſein, möchten wir da mit Arndt ſprechen.

Politiſche Maulhelden.

Herr Schönerer
ſcheint bei der czechiſchen Nation gelehrige Schüler
gefunden zu haben. Die ſechs Mann hohe Partei der
national-ſocialen Arbeiter kündigt in ihrem Prager
Organ „Ceska Demokracie“ der Regierung die
lärmende Obſtruction an. Nachdem das Blatt die
drei vom Parlament zuerſt zu erledigenden „Staats-
nothwendigkeiten“ — Delegationswahlen, Recruten-
bewilligung und 500 Millionen-Anleihe — auf-
gezählt, fährt es fort: „Alles Andere will
die Regierung zurückſtellen! Durchaus
ſchöne Pläne; aber ganz andere Ver-
hältniſſe müſſen exiſtiren, damit die Regierung auf
Ruhe im Parlament rechnen könnte. Wir kennen nur
eine Nothwendigkeit: Das iſt die Erhaltung der
eigenen Exiſtenz. Alles Andere geht uns nichts an,
[Spaltenumbruch] und muß uns nichts angehen.“ Je kleiner eine
Fraction iſt, deſto anmaßender iſt ſie. So glauben die
fünf Nationalſocialen mit dem doppelgewählten Herrn
Klofač an der Spitze, daß die öſterreichiſche Politik
um ihre Wenigkeit ſich drehen wird.

Der „Hagenbund“ — aufgelöſt.

Bekanntlich
iſt ein Theil der Mitglieder des Künſtlerbundes
„Hagen“ aus der Künſtlergenoſſenſchaft ausgetreten.
Dieſe Seceſſion führte nun zu einer Auflöſung des
genannten Bundes, welche auch bereits in der amt-
lichen „Wiener Zeitung“ verlautbart wird.

Eine Enthüllung des „Vorwärts“.

Der
Berliner „Vorwärts“ veröffentlicht ein vom Juni
1896 datirtes Schreiben des Generalſecretärs des
Centralverbandes deutſcher Induſtriellen, Bück, an
den bayeriſchen Reichsrath v. Haßler. Das ver-
trauliche
Schreiben conſtatirt, „daß wir (die Groß-
induſtrie) den Miniſter v. Berlepſch endlich doch
klein bekommen haben,“ daß der Nachfolger
Berlepſch’, Herr Brefeld, ihn — Bück — gebeten
habe, ſtets zu ihm zu kommen, „wenn wir irgend
etwas haben,“ daß man mit Brefeld überhaupt zu-
frieden ſein könne. Der Miniſter ſei mit dem Kaiſer
dahin einverſtanden, in der Socialreform mehr
Ruhe eintreten zu laſſen.
Die Lage der Ar-
beiter könne als eine vollkommen befriedigende be-
zeichnet werden. Entſtehende Klagen ſeien Unfug. Der
Brief iſt ein erneuter charakteriſtiſcher Beweis der
Intimität der Regierung und des Centralverbandes.

Die mediciniſche Facultät gegen den
Staatsanwalt.

Das Wieuer mediciniſche Pro-
feſſorencollegium hat in ſeiner letzten Sitzung be-
ſchloſſen, in Folge der Kritik, welcher der Staats-
anwalt Dr. Ritter v. Kleeborn das Gutachten der
Facultät in Sachen des in erſter Inſtanz verurtheilten
Frauenarztes Dr. Schoßberger unterzogen hatte,
eine motivirte Beſchwerde an die Regierung, bezw.
auf dem Wege des Unterrichtsminiſteriums an das
Juſtizminiſterium zu richten. Anderſeits haben der Vor-
ſtand der Wiener Aerztekammer und der Verband der
Aerzte Wiens Reſolutionen angenommen, welche die
Facultät zur entſchiedenen Abwehr des ſtaatsanwalt-
ſchaftlichen Angriffes auffordern. In der Reſolution
der Aerztekammer wird der Thatſache mit Befriedi-
gung Ausdruck gegeben, „daß die Facultät ent-
ſchloſſen iſt, in entſprechender Weiſe gegen dieſes
Vorgehen der Staatsanwalſchaft einzuſchreiten, durch
welches ſich die geſammte Aerzteſchaft getroffen fühlt,
deren wiſſenſchaftliche Vertretung die mediciniſche
Facultät iſt.“

Ein Grubenbrand in Mähriſch-Oſtrau.

In Mähriſch-Oſtrau brach geſtern Nachts, muthmaß-
lich in Folge Brandlegung, im Eliſabeth-Flötze des
mitten im Stadtgebiete gelegenen Carolinen-Schachtes
der Witkowitzer Gruben in der Tiefe von 400 Metern
Feuer aus, welches die Zimmerung einer Verbin-
dungsſtrecke zum oberen Horizonte ergriff. Menſchen-
leben waren nicht gefährdet. Die Löſcharbeiten dürften
mehrere Tage in Anſpruch nehmen.

Wieder ein Zuſammenſtoß mit der Elek-
triſchen.

Auf der Favoritenſtraße iſt am 20. d. um
¾8 Uhr Abends ein Motorwagen der elektriſchen
Straßenbahn ſo heftig an das Einſpännerzeug
Nr. 1132 angefahren, daß letzteres ganz zertrümmert
wurde. Der Einſpänuerkutſcher Ignaz Kirchmayer
wurde vom Bocke geſchleudert, hat aber keine Ver-
letzungen erlitten.

* Verunglückt.

Geſtern Mittags iſt der beim
Bau des Winterhafens beſchäftigte 38jährige Tag-
löhner Carl Bauer am Praterſpitz beim Transport
eines ſchweren eiſernen Rades auf dem Baggerſchiffe
„Vulkan“ zu Boden geſtürzt. Infolge des Druckes
durch das Rad erlitt er eine gefährliche Quetſchung
des Bauches und der rechten Hüfte. — Die bekannte
Volksſängerin Mizzi Panfy ſollte am 19. d. M.
bends im Saale der Reſſource, Reichsſtraße Nr. 3,
bei einem Vereinsabend mitwirken. Auf der in den
Saal führenden Stiege ſtürzte ſie beim Eintritte und
verſtauchte ſich den linken Fuß.

* Ueber einen Kampf mit Einbrechern

wird
der „N. Fr. Pr.“ aus Prag berichtet. Geſtern Mor-
gens bemerkte ein Sicherheitswachmann, daß zwei
Strolche in dee Belvederegaſſe einen Laden erbrachen
um einen Raub zu verüben. Der Wachmann ſuchte
die beiden Strolche feſtzunehmen, wobei ſich nun ein
heftiger Kampf entſpann, in dem der Wachmann den
Säbel zog und einem Einbrecher 4 Finger zerſchuitt.
Der Wachmann ſelbſt erlitt durch mehrere Hiebe, die
einer der Einbrecher mit einer Hacke gegen ihn führte,
ſchwere Verletzungen. Die beiden Strolche ergriffen
die Flucht, doch gelang es, einen zu verhaften.

* Betrügeriſche Crida.

Das Laibacher
Landesgericht hat gegen den 42jährigen Bäckermeiſter
Mathias Miklaye aus Selo einen Steckbrief wegen
Betruges erlaſſen. Miklave hat vor der Concurs-
eröffnung Vermögensſtücke bei Seite geſchafft, unter
Anderem drei auf 3800 K lautende Sparcaſſebücher.

* Der Ball bei Hof abgeſagt.

In Folge
der ſchweren Erkrankung der Königin von Eng-
land
findet auf allerhöchſte Befehl der Ball bei Hof
am Dienſtag, 22. d., nicht ſtatt.




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[6/0006] Wien, Dienſtag Reichspoſt 22. Jänner 1901 18 iſt. Der älteſte Sohn der Königin, der gegenwärtige Thronfolger Prinz Albert Eduard von Wales, der am 9. November 1841 geboren wurde, vermählte ſich am 10. März 1863 mit der Prinzeſſin Alexandra, Tochter des Königs Chriſtian von Dänemark. Ein Enkel der Königin, Herzog Leopold von Albany, hat nach dem Tode ſeines Oheims, des kinderloſen Herzogs Alfred von Sachſen-Coburg-Gotha, den Thron dieſes Landes beſtiegen. Die Königin iſt mit den meiſten europäiſchen Herrſcherhäuſern verwandt. In das erſte Regierungsjahr der Königin fiel die Abtrennung Hannovers, wo nur das männliche Erbrecht galt, von Großbritanien. Hannover erhielt in Herzog Ernſt Auguſt, dem älteſten Bruder des verſtorbenen Oheims der Königin Victoria, den erſten König. Zur Zeit des Regierungsantrittes der Kö- nigin herrſchten in England die Whigs, von welchen ſich ein radicaler Flügel abgetrennt hatte, der eine vollſtändige Umgeſtaltung der ſocialen und politiſchen Verhältniſſe ins Auge faßte. Heftige Kämpfe entſpannen ſich um die Volkscharte, worin allgemeine directe Wahlen ohne Cenſus, jährliche Parlamentswahlen, Abſchaffung des Armengeſetzes, Verminderung der Abgaben ꝛc. ꝛc. gefordert wurden und um die Peel’ſche Kornbill (1842). Im Jahre 1846 wurde nach Beſeitigung der Kornzölle, das Syſtem des Freihandels, das Großbritannien zur Blüthe führte, proclamirt. Die radicale Bewegung, die im Volke feſten Fuß gefaßt hatte, ließ den Aus- bruch von Unruhen im Jahre 1848 befürchten, doch blieb es, da inzwiſchen die wirthſchaftlichen Verhältniſſe eine Beſſerung erfahren hatten, bei unſchädlichen Demon- ſtrationsverſuchen und Aufzügen. In der auswärtigen Politik, die in dieſem Zeit- raum von Palmerſton geleitet wurde, war nicht immer günſtig für England. So wurde das Inſel- reich bei dem Unternehmen, die Pforte gegen die ruſſiſchen Eroberungspläne zu ſchützen, in den Krim- krieg verwickelt. Glücklicher waren die Engländer in ihrer Colonialpolitik. Sie erzielten bedeutende Erfolge in Indien, wo nach Unterdrückung des Sipoys-Auf- ſtandes 1858, das Land direct unter die Herrſchaft der Krone geſtellt wurde. Von China erzwang man 1842 das ſpäter in verwerflichſter Weiſe ausgeübte Recht des Opiumhandels, die Abtretung der Inſel Hongkong und die Eröffnung von fünf Häfen. Auch ſpätere Kriege gegen China 1857/58 und 1860 mit Hilfe Frankreichs endeten vortheilhaft für den engli- ſchen Handel. In das Jahr 1867 fällt die Durchführung einer dem conſervativen Miniſterium Derby-Disraeli von den Liberalen aufgezwungenen Parlamentsreform, die den Cenſus herabſetzte. Die Annahme eines Antrages Gladſtone’s auf Aufhebung der engliſchen Hochkirche in Irland im Unterhauſe, veranlaßte den Rücktritt des Miniſteriums und die Berufung Gladſtone’s zur Leitung der Regierung. Dieſer ſchritt energiſch an die Löſung der iriſchen Frage, die eine brennende geworden. Gladſtone verſuchte die von den geheimen Geſellſchaften, beſonders von den Geheimbund der Fenier genährte Empörung zu beruhigen. Gladſtone ſetzte zunächſt die Entſtaatlichung der anglikaniſchen Kirche in Irland durch; die Kirchenbill von 1869 verdrängte die Staatskirche aus dem ausſchließlichen Beſitze des iriſchen Kirchenvermögens und dotirte dasſelbe mit einem Capitale von 12 Millionen Pfund Sterling. Eine gleichzeitige erlaſſene Agrarbill ſollte die iriſchen Pächter gegen die Willkür der Gutsherrn ſchützen. Die iriſche Frage war aber dadurch nicht gelöſt, ſie beſchäftigte in hervorragender Weiſe auch die ſpäteren Regierungen. Auch unter dieſem Miniſterium Gladſtone war die auswärtige engliſche Politik eine engherzige, von den Intereſſen des Großhandels beſtimmte Krämerpolitik. Großbritannten griff nicht in die Ereigniſſe der Jahre 1864, 1866 und 1870 ein. Auf der Londoner Con- ferenz im März 1871 wurden die Schranken beſeitigt, die engliſcher Einfluß nach dem Krimkriege der Flotte Rußlands im Schwarzen Meer und ſeiner Einfahrt gezogen hatte. Unter dem conſervativen Miniſterium Disraelt, das von 1874—1880 die Ge- ſchäfte führte, griff England mit rauher Hand in die Verhältniſſe Egyptens ein, es kaufte die Actien des Suezcanales auf und übernahm die Ordnung der zerrütteten Finanzverhältniſſe des Landes, wodurch es ſich ſeinen Einfluß ſicherte und das Protectorat vorbereitete. Im ruſſiſch-türkiſchen Kriege 1877 bis 1878 trat England aus egoiſtiſchen Gründen für die Pforte ein und verſtärkte ſeine Poſition im Mittelmeere durch die 1878 erfolgte Beſetzung Cyperns. In das Jahr 1876 fällt die Verkündigung der Bill in London, durch welche der Königin von England der Titel einer Kaiſerin von Indien ver- liehen wurde. Das gewaltſame Vorgehen gegen die Zulus, ſowie die unrechtmäßige Beſetzung von Trans- vaal, die einen Aufſtand der Boeren hervorrief, brachten Disraeli’s Politik in Mißeredit und bei den Neuwahlen kamen die Liberalen wieder ans Ruder. Gladſtone, der von 1880 bis 1885 die Regierung führte, gab Afghaniſtan und Transvaal wieder auf, gerieth aber bald mit den Iren in Schwierigkeiten, da die halben Maßregeln gegen die terroriſtiſch auf- tretende Landliga nicht den gewünſchten Erfolg hatten. In raſcher Reihenfolge löſten ſich Gladſtone und Lord Salisbury in der Führung der Geſchäfte ab und jeder war vergebens bemüht, Ordnung in die iriſchen Wirren zu bringen. Unter Salisbury wurde die Politik der Repreſſion durch Zwangsbills wieder aufgenommen. Die Verhaftungen parnellitiſcher Abgeordneter ſteigerte die Aufregung derart, daß ſelbſt Beſchwichtigungsverſuche des Papſtes und der Biſchöfe erfolglos blieben. Die Spaltung in der iriſchen Partei, die den Plänen der Regierung förder- lich war, nahm mit Parnell’s Tode ein Ende und es kam zu einem engen Zuſammenſchluſſe der Gruppen. Im Jahre 1890 gelang es Salibury die znr Schaffung eines ſelbſtändigen iriſchen Bauernſtandes beſtimmte Landbill durchzubringen. Im Jahre 1892 wurden, da die Majorität der Regierung im Unterhauſe von der Gefolgſchaft der iriſchen Abgeordneten abhing, die iriſchen Verbrecher- acte aufgehoben, durch deren energiſche Durchführung das Miniſterium Salisbury die Ruhe auf der Inſel nothdürftig hergeſtellt hatte. Im Jahre 1893 brachte Gladſtone eine neue Homerulebill ein, die wohl vom Unterhauſe angenommen, vom Oberhauſe jedoch ab- gelehnt wurde. Demſelben Schickſal verfiel auch eine ſpätere Vorlage der Regierung. Im Jahre 1895 ge- langte eine Bill, welche weitere Erleichterungen für die Umwandlung des Pachtverhältniſſes in ein Eigen- thumsverhältniß einführte und verhindern ſollte, daß die von den Pächtern in ihren Gütern vorgenommenen Meliorationen zur Erhöhung der Pachtſumme benützt werden, zur parlamentariſchen Erledigung. Einen weſentlichen Fortſchritt in der inneren Entwicklung Irlands bedeutet die im Auguſt 1898 ins Leben getretene iriſche Selbſtverwaltungsbill, die ſich in allen weſentlichen Punkten den engliſchen und ſchottiſchen Geſetzen anſchloß. In die letzten Regierungsjahre der Königin fallen die durch eine vom Krämergeiſt inſpirirte Er- oberungspolitik geführten Kriege in Afrika. In dieſem Welttheil hat England eine Mehrung ſeiner Gebiete nicht immer auf friedlichem Wege gefunden. Wir erinnern nur an die Kämpfe im Sudan und in Südafrika, wo um der Intereſſen einiger weniger aber mächtiger Speculanten willen, ein erbitterter Vernichtungskampf gegen freie Völker ge- führt wird, ein Kampf, der England die letzten Sympathien der civiliſirten Welt raubte. Es fehlte aber auch nicht an Verſuchen der Kolonien das Mutterland zu ſchwächen, ſich von ihm loszumachen. Dahin ſind die Be- ſtrebungen zu zählen, die ihren vorläufigen Abſchluß in der Errichtung des auſtraliſchen Staatenbundes gefunden haben. Jedenfalls nimmt England nicht mehr den Rang unter den europäiſchen Staaten ein, den es noch bei Beginn der Regierungszeit der Königin Viktoria inne hatte. Letzte Nachrichten. Auch ein Vorſchlag. In den „Tiroler Stimmen“ ſchreibt ein conſervativer Wähler: „Die Einen rathen der Katholiſchen Volkspartei: mehr Be- tonung des nationalen Elements in der Zukunft; in chriſtlich-ſocialen Blättern lieſt man ſogar: ſtärkere Hervorkehrung des antiſemitiſchen Standpunktes. Mir ſcheint, gegenüber dem allſeitigen Anſturm gerade auf die katholiſchen Poſitionen gibt es znnächſt nur Eine wirkſame Gegenaction: Zuſammenſchluß aller katholiſchen Elemente und Feſtigung dieſer Poſition. Es handelt ſich dabei nicht etwa um die Verſchmelzung der katholiſchen Volkspartei mit den Chriſtlich-Socialen; eine ſolche Ver- ſchmelzung liegt heute ferner als je. Es können auch die katholiſchen Ab- geordneten des böhmiſchen Großgrundbeſitzes für dieſen Zuſammenſchluß derzeit nicht in Betracht kommen. Als Cryſtalliſationspunkt ſind die Parteien gedacht, die ſich bisher „Katholiſche Volks- partei“ und „Centrum“ nannten. Es iſt wohl ſelbſtverſtändlich, daß ein Name gefunden werden muß, unter dem ſich dieſe beiden Gruppen vereinigen. Der Club, der aus der Vereinigung hervorgeht, wird dann gleich ſtark oder um einige Mann ſtärker ſein als die bisherige Katholiſche Volkspartei. Aber damit darf es nicht ſein Be- wenden haben.“ Die Katholiſche Volkspartei zählt heute 23 Mandate, das Centrum 6; macht zuſammen 29 Mandate für dieſen „Zuſammenſchluß aller katholiſchen Elemente?“ — Sein Vaterland muß größer ſein, möchten wir da mit Arndt ſprechen. Politiſche Maulhelden. Herr Schönerer ſcheint bei der czechiſchen Nation gelehrige Schüler gefunden zu haben. Die ſechs Mann hohe Partei der national-ſocialen Arbeiter kündigt in ihrem Prager Organ „Ceska Demokracie“ der Regierung die lärmende Obſtruction an. Nachdem das Blatt die drei vom Parlament zuerſt zu erledigenden „Staats- nothwendigkeiten“ — Delegationswahlen, Recruten- bewilligung und 500 Millionen-Anleihe — auf- gezählt, fährt es fort: „Alles Andere will die Regierung zurückſtellen! Durchaus ſchöne Pläne; aber ganz andere Ver- hältniſſe müſſen exiſtiren, damit die Regierung auf Ruhe im Parlament rechnen könnte. Wir kennen nur eine Nothwendigkeit: Das iſt die Erhaltung der eigenen Exiſtenz. Alles Andere geht uns nichts an, und muß uns nichts angehen.“ Je kleiner eine Fraction iſt, deſto anmaßender iſt ſie. So glauben die fünf Nationalſocialen mit dem doppelgewählten Herrn Klofač an der Spitze, daß die öſterreichiſche Politik um ihre Wenigkeit ſich drehen wird. Der „Hagenbund“ — aufgelöſt. Bekanntlich iſt ein Theil der Mitglieder des Künſtlerbundes „Hagen“ aus der Künſtlergenoſſenſchaft ausgetreten. Dieſe Seceſſion führte nun zu einer Auflöſung des genannten Bundes, welche auch bereits in der amt- lichen „Wiener Zeitung“ verlautbart wird. Eine Enthüllung des „Vorwärts“. Der Berliner „Vorwärts“ veröffentlicht ein vom Juni 1896 datirtes Schreiben des Generalſecretärs des Centralverbandes deutſcher Induſtriellen, Bück, an den bayeriſchen Reichsrath v. Haßler. Das ver- trauliche Schreiben conſtatirt, „daß wir (die Groß- induſtrie) den Miniſter v. Berlepſch endlich doch klein bekommen haben,“ daß der Nachfolger Berlepſch’, Herr Brefeld, ihn — Bück — gebeten habe, ſtets zu ihm zu kommen, „wenn wir irgend etwas haben,“ daß man mit Brefeld überhaupt zu- frieden ſein könne. Der Miniſter ſei mit dem Kaiſer dahin einverſtanden, in der Socialreform mehr Ruhe eintreten zu laſſen. Die Lage der Ar- beiter könne als eine vollkommen befriedigende be- zeichnet werden. Entſtehende Klagen ſeien Unfug. Der Brief iſt ein erneuter charakteriſtiſcher Beweis der Intimität der Regierung und des Centralverbandes. Die mediciniſche Facultät gegen den Staatsanwalt. Das Wieuer mediciniſche Pro- feſſorencollegium hat in ſeiner letzten Sitzung be- ſchloſſen, in Folge der Kritik, welcher der Staats- anwalt Dr. Ritter v. Kleeborn das Gutachten der Facultät in Sachen des in erſter Inſtanz verurtheilten Frauenarztes Dr. Schoßberger unterzogen hatte, eine motivirte Beſchwerde an die Regierung, bezw. auf dem Wege des Unterrichtsminiſteriums an das Juſtizminiſterium zu richten. Anderſeits haben der Vor- ſtand der Wiener Aerztekammer und der Verband der Aerzte Wiens Reſolutionen angenommen, welche die Facultät zur entſchiedenen Abwehr des ſtaatsanwalt- ſchaftlichen Angriffes auffordern. In der Reſolution der Aerztekammer wird der Thatſache mit Befriedi- gung Ausdruck gegeben, „daß die Facultät ent- ſchloſſen iſt, in entſprechender Weiſe gegen dieſes Vorgehen der Staatsanwalſchaft einzuſchreiten, durch welches ſich die geſammte Aerzteſchaft getroffen fühlt, deren wiſſenſchaftliche Vertretung die mediciniſche Facultät iſt.“ Ein Grubenbrand in Mähriſch-Oſtrau. In Mähriſch-Oſtrau brach geſtern Nachts, muthmaß- lich in Folge Brandlegung, im Eliſabeth-Flötze des mitten im Stadtgebiete gelegenen Carolinen-Schachtes der Witkowitzer Gruben in der Tiefe von 400 Metern Feuer aus, welches die Zimmerung einer Verbin- dungsſtrecke zum oberen Horizonte ergriff. Menſchen- leben waren nicht gefährdet. Die Löſcharbeiten dürften mehrere Tage in Anſpruch nehmen. Wieder ein Zuſammenſtoß mit der Elek- triſchen. Auf der Favoritenſtraße iſt am 20. d. um ¾8 Uhr Abends ein Motorwagen der elektriſchen Straßenbahn ſo heftig an das Einſpännerzeug Nr. 1132 angefahren, daß letzteres ganz zertrümmert wurde. Der Einſpänuerkutſcher Ignaz Kirchmayer wurde vom Bocke geſchleudert, hat aber keine Ver- letzungen erlitten. * Verunglückt. Geſtern Mittags iſt der beim Bau des Winterhafens beſchäftigte 38jährige Tag- löhner Carl Bauer am Praterſpitz beim Transport eines ſchweren eiſernen Rades auf dem Baggerſchiffe „Vulkan“ zu Boden geſtürzt. Infolge des Druckes durch das Rad erlitt er eine gefährliche Quetſchung des Bauches und der rechten Hüfte. — Die bekannte Volksſängerin Mizzi Panfy ſollte am 19. d. M. bends im Saale der Reſſource, Reichsſtraße Nr. 3, bei einem Vereinsabend mitwirken. Auf der in den Saal führenden Stiege ſtürzte ſie beim Eintritte und verſtauchte ſich den linken Fuß. * Ueber einen Kampf mit Einbrechern wird der „N. Fr. Pr.“ aus Prag berichtet. Geſtern Mor- gens bemerkte ein Sicherheitswachmann, daß zwei Strolche in dee Belvederegaſſe einen Laden erbrachen um einen Raub zu verüben. Der Wachmann ſuchte die beiden Strolche feſtzunehmen, wobei ſich nun ein heftiger Kampf entſpann, in dem der Wachmann den Säbel zog und einem Einbrecher 4 Finger zerſchuitt. Der Wachmann ſelbſt erlitt durch mehrere Hiebe, die einer der Einbrecher mit einer Hacke gegen ihn führte, ſchwere Verletzungen. Die beiden Strolche ergriffen die Flucht, doch gelang es, einen zu verhaften. * Betrügeriſche Crida. Das Laibacher Landesgericht hat gegen den 42jährigen Bäckermeiſter Mathias Miklaye aus Selo einen Steckbrief wegen Betruges erlaſſen. Miklave hat vor der Concurs- eröffnung Vermögensſtücke bei Seite geſchafft, unter Anderem drei auf 3800 K lautende Sparcaſſebücher. * Der Ball bei Hof abgeſagt. In Folge der ſchweren Erkrankung der Königin von Eng- land findet auf allerhöchſte Befehl der Ball bei Hof am Dienſtag, 22. d., nicht ſtatt.

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 18, Wien, 22.01.1901, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost018_1901/6>, abgerufen am 21.11.2024.