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Reichspost. Nr. 19, Wien, 24.01.1899.

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Telephon 1828.




VI. Jahrgang. Wien, Dienstag, den 24. Jänner 1899. Nr. 19.



[Spaltenumbruch]
Charakteristische Zeichen.

Wenn sich wirklich ernste, einschneidende Ver-
änderungen anbahnen, dann kann man dies in
der Regel an kleinen, charakteristischen Zeichen er-
kennen. Alle Welt fühlt, daß etwas in der Luft
liegt; die politischen Taktiken gehen zwar ihren
alten Gang, die Gegner stehen sich womöglich mit
noch größerer Bärbeißigkeit gegenüber, aber für
den Kenner zeigt sich an hundert Kleinigkeiten,
daß sich, wie man sagt, "etwas anspinnt".
Ein besonderes Kennzeichen solcher kritischer
Tage in der Politik ist die Verwir-
rung in der Presse.
Ist die
politische Lage gegeben, die Constellation der
Parteien, die Stellung der Regierung eine
momentan feste, so wird je nach der Parteistellung
oder sonstigen Zugehörigkeit der Standpunkt der
Majorität oder Opposition oder einzelnen Fraction
vertreten, da ist es nicht gar so schwer, schreibender
Politiker zu sein.

Ganz anders, wenn politische Erdbeben im
Anzuge oder bereits in Thätigkeit sind, wenn sich
Verschiebungen der politischen Lage oder der
Stellung der Parteien unter einander und zur
Regierung anbahnen, wenn kleine Risse in ein-
zelnen Gruppen selbst sich in klaffende Spalten zu
erweitern streben, da tritt der sinnverwirrende
Einfluß der Erdbeben auch in der Presse
zu Tage, die unsinnigsten Gerüchte werden col-
portirt, Feinde umarmen sich, Freunde schlagen
aufeinander los und damit auch die immer specu-
lirende Schlechtigkeit nicht fehle, kommen die
Pächter der "journalistischen Vornehmheit", um in
der allgemeinen Aufregung für ihre speciellen
Zwecke Capital zu schlagen.

Diese Verwirrung in der Presse haben wir
heute vor uns. Wir sehen die hitzigsten Preß-
[Spaltenumbruch] kämpfen milde Versöhnung predigen, wir sehen,
wie die professionellen Versöhnungsmeier sich in-
dignirt wegen Verletzung ihres Patentes zurück-
ziehen, ja sogar dieser oder jener Partei ziemlich
unverblümt nahelegen, wie man die "Ueber-
zeugungstreue" -- manche Leute nennen es
Dickkopf -- auch an den wichtigsten
Wendepunkten nicht vergessen dürfe. Wir sehen
aber auch, wie Blätter, welche selbst zur Zeit der
schärssten Opposition ihre Informationen aus
Regierungsgebäuden bezogen haben, auf einmal
durch ihre Unwissenheit über die Pläne der
Regierung glänzen, während andere sonst nicht
so gut gestellte Colleginnen mit dem gesunden
Menschenverstand das Richtige treffen. Soll
man sich nicht Gedanken machen, wenn die
"Narodni Listy" z. B. behaupten, der Reichsrath
werde aufgelöst werden, eine so unwahrscheinliche
Voraussage, daß sie selbst im "Grazer Tag-
blatt" überraschen würde. Ist es nicht
Erdbebenwahnsinn, wenn in einem Blatte mit
anscheinend wirklichem Ernst geschrieben wird,
"man erwarte, daß Dr. Lueger mit seiner Partei
sich mit der Katholischen Volkspartei coaliren und
auf diese Weise die derzeitige Majorität
verstärken werde". Soll es nicht charakteristisch
sein, daß thatsächlich fast bei allen Parteien eine
gewisse Friedenssehnsucht vorherrscht, ihre Presse
dagegen wo möglich noch mehr in die Kriegs-
trompete stoßt, und auf der parlamentarischen
Bühne sogar der Zeitungsstempel obstruirt wird?
Und damit auch das letzte Charakteristicum nicht
fehle, so fehlt auch der Versuch nicht, die
große nationale und wirthschaftliche Frage von
Deutschthum und Ausgleich auf ein persön-
liches Gebiet überzuspielen zum doppelten
Zwecke der Erschwerung oder Hintertreibung
der Versöhnung und eventuellen Zuschanzung von
[Spaltenumbruch] Ministerportefeuilles an die judenliberale Clique.
Es sind also genug charakteristische Zeichen vor-
handen, und wir sind überzeugt, daß sie auch
wirklich Symptome eines großen Wendeproceßes
sind. Da aber halten wir zum guten Verlaufe des
Processes vor allem Eines für nothwendig: daß
man den natürlichen Heilproceß nicht störe, daß
keine unglücklichen Hände sich einmengen. Man
mag ja diese und jene Gründe für eine Bertagung
des Reichsrathes eben im Interesse einer Be-
schleunigung des Processes anführen; uns wollen
die Gründe nicht einleuchten, uns will es scheinen,
als ob gerade unter dem parlamentarischen Schlacht-
gewühle, beinahe hätten wir gesagt, von demselben
gedeckt, am leichtesten die Verständigungssaat auf-
gehen könnte, uns will es scheinen, als ob in der
Vertagung gerade leicht die Bethätigung der
störenden Hand erblickt werden könnte. Darum
besser, ruhig zusehen, die Verständigung macht sich
von selbst.




"Neu Babylon."

Die von uns bereits kurz skizzirte Brochüre des
Grazer Abgeordneten Dr. v. Hochenburger
ist in allen Kreisen bereits Gegenstand der lebhaftesten
Aufmerksamkeit geworden. Von den nationalen Blattern
wurde diese Brochüre als eine programmatische Er-
klärung der Deutschen, als ein Wegweiser zur Lösung
der Sprachenfrage angesehen. Im Eingange der Brochüre
bespricht der Abg. v Hochenburger die Ent-
wicklung der sprachlichen Verwirrung, die durch Badeni
geschaffen wurde. Wäre Graf Badeni noch auf dem
Standpunkte des überlieferten Centralismus gestanden,
so hätte er einsehen müssen, daß die Zulässigkeit des
Gebrauches der deutschen Sprache in rein czechischen
Gebieten sich nicht aus der thatsächlich gar nicht ge-
gebenen "Landesüblichkeit" dieser Sache ableiten läßt,
sondern einzig und allein aus dem Umstande, daß sich
in einem auf deutsch-centralistischer Grundlage beruhen-
den Staatswesen jede Partei, welchem Volksstamm sie




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Huß.

II.

Zum Erzbischof von Prag wurde jetzt Zbynek
Zajik von Hasenburg gewählt, der den Deutschen nicht
günstig gesinnt war und Huß zum Synodalprediger
ernannte; gleichzeitig gab er ihm den Auftrag, alle
kirchlichen Mißstände ihm anzuzeigen. Huß ging weit
über den Auftrag hinaus, indem er jetzt begann, diese
Mißstände öffentlich vor dem Volke aufs Schärfste zu
geißeln. Nicht blos das! Der Papst forderte den Erz-
bischof auf, mit aller Entschiedenheit gegen die in Prag
sich verbreitenden Wyclef'schen Irrlehren, insbesondere
betreffend das Altarssacrament, aufzutreten. Huß und
seine Anhänger wollten aber überhaupt nicht gelten
lassen, daß Wyclef je kirchlich verurtheilt worden war.
Sie sandten den Prager Faulfisch nach Oxford, um
über die Verurtheilung Wyclef's Nachforschungen anzu-
stellen. Derselbe brachte eine Urkunde mit, worin
sogar der Rechtgläubigkeit Wyclef's das höchste Lob
gespendet wurde. Allein diese Urkunde war gefälscht,
was sich freilich erst später herausstellte. Huß wies sie
begeistert seinem Volke zu und rief aus: "Möchte
meine Seele da sein, wo Wyclef's Seele ist!" Auf
päpstlichem Befehl mußte der Erzbischof das Verbreiten
der Wyclef'schen Irrlehren verbieten, und der Clerus
erhob immer schärfere Klagen beim Erzbischof gegen Huß.
Deshalb enthob derselbe Huß seiner Stelle als Synodal-
prediger und verlangte als Kanzler der Universität,
die czechische Nation solle dem Urtheile der übrigen
Nationen betreffend die 45 Wiclef'schen Artikel beitreten;
allein die Czechen nahmen nur den Satz an: es solle
kein Czeche einen dieser Artikel in ketzerischem, irrigem
oder anstößigem Sinn lehren, -- was eine sophistische
Umgehung der Verurtheilung war. Theils um König
Wenzel zu gefallen, theils aus Schwäche und falscher
Friedensliebe gab sich der Erzbischof mit dieser Er-
klärung zufrieden.

Aber auch das half nichts. Neuer Zwiespalt sollte
kommen. König Wenzel verlangte bezüglich der beiden
[Spaltenumbruch] Gegenpäpste Gregor XII. und Benedict XIII., die sich
auf dem Concil zu Pisa 1409 gegenüberstanden, vom
Erzbischof und der Universität zu Prag Neutralität.
Während die Czechen Wenzels Antrag unterstützten, Huß
allen voran, hielten der Erzbischof und die drei anderen
Nationen der Universität an Gregor XII. fest, von dem
Wenzel nicht viel Gutes zu hoffen hatte. In dieser
Gegenaction der Czechen mußte der Erzbischof eine
Auflehnung erblicken, er untersagte daher allen
Prager Magistern, welche sich für die Neutrali-
tät erklärten, die Ausübung geistlicher Func-
tionen in der Erzdiöcese. Damit war der
nationale Streit auf's Neue erwacht. Dies bot den
Anlaß für Huß, neuerdings gegen das bisherige
Stimmenverhältniß an der Universität die Agitation
einzuleiten. Man versuchte es, den König Wenzel
dafür zu gewinnen; dieser gerieth Anfangs in Zorn,
daß Huß und Hieronymus von Prag immer wieder
neuen Aufruhr erregten, bald jedoch stimmten ihn seine
Günstlinge am Hofe wieder um, und nun decretirte
der König 1409, daß die Czechen an der Universität
in Zukunft drei, die anderen Nationen zusammen nur
eine Stimme haben sollten. Als aller Widerstand der
drei unterdrückten Nationen nichts half, und ihnen
schließlich mit aller Gewalt ein Rector aufgedrängt
wurde, verließen die deutschen Magistri, Baccalaurei
und Studenten, deren Zahl verschieden bis zu 20.000
angegeben wird, Prag und zogen auf andere deutsche
Universitäten. Das war in jeder Beziehung ein
schwerer Schlag für Prag. König Wenzel war auch
empört darüber, Huß aber feierte jubelnd den Sieg
von der Kanzel der Bethlehem-Capelle als einen Sieg
der sacrosancta natio bohemica. Thatsächlich war
das aber nicht bloß ein Sieg der Czechen über die
Deutschen, sondern auch ein Sieg der Wyclef'schen Häresie
an der Universität. Da der König und die Czechen nach wie
vor die Anhänger Gregor XII. drangsalirten und sogar mit
Strafe gegen sie vorgegangen wurde, verhängte der
Erzbischof das Interdict über Prag und Umgegend.
Huß und die Wyclefiten beachteten aber dasselbe gar
nicht, und Huß predigte sogar direct gegen den Erz-
bischof. König Wenzel verfolgte die Geistlichen, welche
[Spaltenumbruch] das Interdict hielten, derart, daß viele flüchteten,
worauf deren Güter der Confiscation anheimfielen;
andere wurden vom Adel verjagt, oder vom Volke
ausgeplündert, mißhandelt, ins Wasser geworfen oder
vertrieben. Diese Wirren endeten erst, als der Erz-
bischof endlich den vom Concil zu Pisa gewählten
Papst Alexander V. anerkannte. Huß wurde nun zum
Rector der Universität gewählt; nach dem neuen
Stimmenverhältniß war das selbstverständlich. Auch
wurde er königlicher Hofcaplan. Die Czechen
hatten jetzt die Alleinherrschaft in
Prag.
"Gelobt sei der allmächtige Gott", rief Huß
aus, "daß wir die Deutschen ausgeschlossen haben!
Gott hat nun einmal den Czechen dieses Land zu-
getheilt, wie einst Israel das gelobte Land." Huß
wurde der "Meister in Israel", der "König und
Mittler Böhmens" genannt.

Auf der Höhe des erstrebten Zieles angelangt,
kamen aber jetzt Spaltungen ins czechische Volk selbst,
da immer mehr erkannt wurde, daß Huß auf dem
Boden der Revolution gegen die
Kirche
stand. Der Erzbischof untersagte nämlich,
einem Befehle des Papstes folgend, dem Huß das
Predigen. Huß kümmerte sich aber nicht um dies Ver-
bot, im Gegentheil verklagte er den Erzbischof beim
Papste -- Gregor XII. Papst Alexander V. befahl je-
doch dem Erzbischof, entschieden gegen die Irrlehren
einzuschreiten, und Huß wurde selbst nach Rom citirt,
die Wiclefitischen Schriften sollten abgeliefert werden.
Huß verweigerte den Gehorsam, und predigte sogar
gegen des Erzbischofs Anordnungen. Das verhetzte
czechische Volk stand zu ihm. Der Erzbischof verhängte
den Kirchenbann über Huß. Da stand das Volk mit
Gewalt auf und verhinderte die Verkündigung des
Bannes in den Kirchen. König Wenzel ließ dem Erz-
bischof die Einkünfte sperren. Der Erzbischof verhängte
abermals das Interdict über Prag und ließ, von Rom
bestärkt, den großen Bann in friedlichster Form gegen
Huß verkünden. Um nach dem Tode König Ruprecht's
wieder als König in Deutschland anerkannt zu werden,
wünschte jetzt Wenzel eine Aussöhnung zwischen
dem Erzbischof und Magister Huß. Ein Vergleich


[Abbildung] Die heutige Nummer ist 10 Seiten stark. [Abbildung]
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Telephon 1828.




VI. Jahrgang. Wien, Dienſtag, den 24. Jänner 1899. Nr. 19.



[Spaltenumbruch]
Charakteriſtiſche Zeichen.

Wenn ſich wirklich ernſte, einſchneidende Ver-
änderungen anbahnen, dann kann man dies in
der Regel an kleinen, charakteriſtiſchen Zeichen er-
kennen. Alle Welt fühlt, daß etwas in der Luft
liegt; die politiſchen Taktiken gehen zwar ihren
alten Gang, die Gegner ſtehen ſich womöglich mit
noch größerer Bärbeißigkeit gegenüber, aber für
den Kenner zeigt ſich an hundert Kleinigkeiten,
daß ſich, wie man ſagt, „etwas anſpinnt“.
Ein beſonderes Kennzeichen ſolcher kritiſcher
Tage in der Politik iſt die Verwir-
rung in der Preſſe.
Iſt die
politiſche Lage gegeben, die Conſtellation der
Parteien, die Stellung der Regierung eine
momentan feſte, ſo wird je nach der Parteiſtellung
oder ſonſtigen Zugehörigkeit der Standpunkt der
Majorität oder Oppoſition oder einzelnen Fraction
vertreten, da iſt es nicht gar ſo ſchwer, ſchreibender
Politiker zu ſein.

Ganz anders, wenn politiſche Erdbeben im
Anzuge oder bereits in Thätigkeit ſind, wenn ſich
Verſchiebungen der politiſchen Lage oder der
Stellung der Parteien unter einander und zur
Regierung anbahnen, wenn kleine Riſſe in ein-
zelnen Gruppen ſelbſt ſich in klaffende Spalten zu
erweitern ſtreben, da tritt der ſinnverwirrende
Einfluß der Erdbeben auch in der Preſſe
zu Tage, die unſinnigſten Gerüchte werden col-
portirt, Feinde umarmen ſich, Freunde ſchlagen
aufeinander los und damit auch die immer ſpecu-
lirende Schlechtigkeit nicht fehle, kommen die
Pächter der „journaliſtiſchen Vornehmheit“, um in
der allgemeinen Aufregung für ihre ſpeciellen
Zwecke Capital zu ſchlagen.

Dieſe Verwirrung in der Preſſe haben wir
heute vor uns. Wir ſehen die hitzigſten Preß-
[Spaltenumbruch] kämpfen milde Verſöhnung predigen, wir ſehen,
wie die profeſſionellen Verſöhnungsmeier ſich in-
dignirt wegen Verletzung ihres Patentes zurück-
ziehen, ja ſogar dieſer oder jener Partei ziemlich
unverblümt nahelegen, wie man die „Ueber-
zeugungstreue“ — manche Leute nennen es
Dickkopf — auch an den wichtigſten
Wendepunkten nicht vergeſſen dürfe. Wir ſehen
aber auch, wie Blätter, welche ſelbſt zur Zeit der
ſchärſſten Oppoſition ihre Informationen aus
Regierungsgebäuden bezogen haben, auf einmal
durch ihre Unwiſſenheit über die Pläne der
Regierung glänzen, während andere ſonſt nicht
ſo gut geſtellte Colleginnen mit dem geſunden
Menſchenverſtand das Richtige treffen. Soll
man ſich nicht Gedanken machen, wenn die
„Narodni Liſty“ z. B. behaupten, der Reichsrath
werde aufgelöſt werden, eine ſo unwahrſcheinliche
Vorausſage, daß ſie ſelbſt im „Grazer Tag-
blatt“ überraſchen würde. Iſt es nicht
Erdbebenwahnſinn, wenn in einem Blatte mit
anſcheinend wirklichem Ernſt geſchrieben wird,
„man erwarte, daß Dr. Lueger mit ſeiner Partei
ſich mit der Katholiſchen Volkspartei coaliren und
auf dieſe Weiſe die derzeitige Majorität
verſtärken werde“. Soll es nicht charakteriſtiſch
ſein, daß thatſächlich faſt bei allen Parteien eine
gewiſſe Friedensſehnſucht vorherrſcht, ihre Preſſe
dagegen wo möglich noch mehr in die Kriegs-
trompete ſtoßt, und auf der parlamentariſchen
Bühne ſogar der Zeitungsſtempel obſtruirt wird?
Und damit auch das letzte Charakteriſticum nicht
fehle, ſo fehlt auch der Verſuch nicht, die
große nationale und wirthſchaftliche Frage von
Deutſchthum und Ausgleich auf ein perſön-
liches Gebiet überzuſpielen zum doppelten
Zwecke der Erſchwerung oder Hintertreibung
der Verſöhnung und eventuellen Zuſchanzung von
[Spaltenumbruch] Miniſterportefeuilles an die judenliberale Clique.
Es ſind alſo genug charakteriſtiſche Zeichen vor-
handen, und wir ſind überzeugt, daß ſie auch
wirklich Symptome eines großen Wendeproceßes
ſind. Da aber halten wir zum guten Verlaufe des
Proceſſes vor allem Eines für nothwendig: daß
man den natürlichen Heilproceß nicht ſtöre, daß
keine unglücklichen Hände ſich einmengen. Man
mag ja dieſe und jene Gründe für eine Bertagung
des Reichsrathes eben im Intereſſe einer Be-
ſchleunigung des Proceſſes anführen; uns wollen
die Gründe nicht einleuchten, uns will es ſcheinen,
als ob gerade unter dem parlamentariſchen Schlacht-
gewühle, beinahe hätten wir geſagt, von demſelben
gedeckt, am leichteſten die Verſtändigungsſaat auf-
gehen könnte, uns will es ſcheinen, als ob in der
Vertagung gerade leicht die Bethätigung der
ſtörenden Hand erblickt werden könnte. Darum
beſſer, ruhig zuſehen, die Verſtändigung macht ſich
von ſelbſt.




„Neu Babylon.“

Die von uns bereits kurz ſkizzirte Brochüre des
Grazer Abgeordneten Dr. v. Hochenburger
iſt in allen Kreiſen bereits Gegenſtand der lebhafteſten
Aufmerkſamkeit geworden. Von den nationalen Blattern
wurde dieſe Brochüre als eine programmatiſche Er-
klärung der Deutſchen, als ein Wegweiſer zur Löſung
der Sprachenfrage angeſehen. Im Eingange der Brochüre
beſpricht der Abg. v Hochenburger die Ent-
wicklung der ſprachlichen Verwirrung, die durch Badeni
geſchaffen wurde. Wäre Graf Badeni noch auf dem
Standpunkte des überlieferten Centralismus geſtanden,
ſo hätte er einſehen müſſen, daß die Zuläſſigkeit des
Gebrauches der deutſchen Sprache in rein czechiſchen
Gebieten ſich nicht aus der thatſächlich gar nicht ge-
gebenen „Landesüblichkeit“ dieſer Sache ableiten läßt,
ſondern einzig und allein aus dem Umſtande, daß ſich
in einem auf deutſch-centraliſtiſcher Grundlage beruhen-
den Staatsweſen jede Partei, welchem Volksſtamm ſie




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Huß.

II.

Zum Erzbiſchof von Prag wurde jetzt Zbynek
Zajik von Haſenburg gewählt, der den Deutſchen nicht
günſtig geſinnt war und Huß zum Synodalprediger
ernannte; gleichzeitig gab er ihm den Auftrag, alle
kirchlichen Mißſtände ihm anzuzeigen. Huß ging weit
über den Auftrag hinaus, indem er jetzt begann, dieſe
Mißſtände öffentlich vor dem Volke aufs Schärfſte zu
geißeln. Nicht blos das! Der Papſt forderte den Erz-
biſchof auf, mit aller Entſchiedenheit gegen die in Prag
ſich verbreitenden Wyclef’ſchen Irrlehren, insbeſondere
betreffend das Altarsſacrament, aufzutreten. Huß und
ſeine Anhänger wollten aber überhaupt nicht gelten
laſſen, daß Wyclef je kirchlich verurtheilt worden war.
Sie ſandten den Prager Faulfiſch nach Oxford, um
über die Verurtheilung Wyclef’s Nachforſchungen anzu-
ſtellen. Derſelbe brachte eine Urkunde mit, worin
ſogar der Rechtgläubigkeit Wyclef’s das höchſte Lob
geſpendet wurde. Allein dieſe Urkunde war gefälſcht,
was ſich freilich erſt ſpäter herausſtellte. Huß wies ſie
begeiſtert ſeinem Volke zu und rief aus: „Möchte
meine Seele da ſein, wo Wyclef’s Seele iſt!“ Auf
päpſtlichem Befehl mußte der Erzbiſchof das Verbreiten
der Wyclef’ſchen Irrlehren verbieten, und der Clerus
erhob immer ſchärfere Klagen beim Erzbiſchof gegen Huß.
Deshalb enthob derſelbe Huß ſeiner Stelle als Synodal-
prediger und verlangte als Kanzler der Univerſität,
die czechiſche Nation ſolle dem Urtheile der übrigen
Nationen betreffend die 45 Wiclef’ſchen Artikel beitreten;
allein die Czechen nahmen nur den Satz an: es ſolle
kein Czeche einen dieſer Artikel in ketzeriſchem, irrigem
oder anſtößigem Sinn lehren, — was eine ſophiſtiſche
Umgehung der Verurtheilung war. Theils um König
Wenzel zu gefallen, theils aus Schwäche und falſcher
Friedensliebe gab ſich der Erzbiſchof mit dieſer Er-
klärung zufrieden.

Aber auch das half nichts. Neuer Zwieſpalt ſollte
kommen. König Wenzel verlangte bezüglich der beiden
[Spaltenumbruch] Gegenpäpſte Gregor XII. und Benedict XIII., die ſich
auf dem Concil zu Piſa 1409 gegenüberſtanden, vom
Erzbiſchof und der Univerſität zu Prag Neutralität.
Während die Czechen Wenzels Antrag unterſtützten, Huß
allen voran, hielten der Erzbiſchof und die drei anderen
Nationen der Univerſität an Gregor XII. feſt, von dem
Wenzel nicht viel Gutes zu hoffen hatte. In dieſer
Gegenaction der Czechen mußte der Erzbiſchof eine
Auflehnung erblicken, er unterſagte daher allen
Prager Magiſtern, welche ſich für die Neutrali-
tät erklärten, die Ausübung geiſtlicher Func-
tionen in der Erzdiöceſe. Damit war der
nationale Streit auf’s Neue erwacht. Dies bot den
Anlaß für Huß, neuerdings gegen das bisherige
Stimmenverhältniß an der Univerſität die Agitation
einzuleiten. Man verſuchte es, den König Wenzel
dafür zu gewinnen; dieſer gerieth Anfangs in Zorn,
daß Huß und Hieronymus von Prag immer wieder
neuen Aufruhr erregten, bald jedoch ſtimmten ihn ſeine
Günſtlinge am Hofe wieder um, und nun decretirte
der König 1409, daß die Czechen an der Univerſität
in Zukunft drei, die anderen Nationen zuſammen nur
eine Stimme haben ſollten. Als aller Widerſtand der
drei unterdrückten Nationen nichts half, und ihnen
ſchließlich mit aller Gewalt ein Rector aufgedrängt
wurde, verließen die deutſchen Magiſtri, Baccalaurei
und Studenten, deren Zahl verſchieden bis zu 20.000
angegeben wird, Prag und zogen auf andere deutſche
Univerſitäten. Das war in jeder Beziehung ein
ſchwerer Schlag für Prag. König Wenzel war auch
empört darüber, Huß aber feierte jubelnd den Sieg
von der Kanzel der Bethlehem-Capelle als einen Sieg
der sacrosancta natio bohemica. Thatſächlich war
das aber nicht bloß ein Sieg der Czechen über die
Deutſchen, ſondern auch ein Sieg der Wyclef’ſchen Häreſie
an der Univerſität. Da der König und die Czechen nach wie
vor die Anhänger Gregor XII. drangſalirten und ſogar mit
Strafe gegen ſie vorgegangen wurde, verhängte der
Erzbiſchof das Interdict über Prag und Umgegend.
Huß und die Wyclefiten beachteten aber dasſelbe gar
nicht, und Huß predigte ſogar direct gegen den Erz-
biſchof. König Wenzel verfolgte die Geiſtlichen, welche
[Spaltenumbruch] das Interdict hielten, derart, daß viele flüchteten,
worauf deren Güter der Confiscation anheimfielen;
andere wurden vom Adel verjagt, oder vom Volke
ausgeplündert, mißhandelt, ins Waſſer geworfen oder
vertrieben. Dieſe Wirren endeten erſt, als der Erz-
biſchof endlich den vom Concil zu Piſa gewählten
Papſt Alexander V. anerkannte. Huß wurde nun zum
Rector der Univerſität gewählt; nach dem neuen
Stimmenverhältniß war das ſelbſtverſtändlich. Auch
wurde er königlicher Hofcaplan. Die Czechen
hatten jetzt die Alleinherrſchaft in
Prag.
„Gelobt ſei der allmächtige Gott“, rief Huß
aus, „daß wir die Deutſchen ausgeſchloſſen haben!
Gott hat nun einmal den Czechen dieſes Land zu-
getheilt, wie einſt Iſrael das gelobte Land.“ Huß
wurde der „Meiſter in Iſrael“, der „König und
Mittler Böhmens“ genannt.

Auf der Höhe des erſtrebten Zieles angelangt,
kamen aber jetzt Spaltungen ins czechiſche Volk ſelbſt,
da immer mehr erkannt wurde, daß Huß auf dem
Boden der Revolution gegen die
Kirche
ſtand. Der Erzbiſchof unterſagte nämlich,
einem Befehle des Papſtes folgend, dem Huß das
Predigen. Huß kümmerte ſich aber nicht um dies Ver-
bot, im Gegentheil verklagte er den Erzbiſchof beim
Papſte — Gregor XII. Papſt Alexander V. befahl je-
doch dem Erzbiſchof, entſchieden gegen die Irrlehren
einzuſchreiten, und Huß wurde ſelbſt nach Rom citirt,
die Wiclefitiſchen Schriften ſollten abgeliefert werden.
Huß verweigerte den Gehorſam, und predigte ſogar
gegen des Erzbiſchofs Anordnungen. Das verhetzte
czechiſche Volk ſtand zu ihm. Der Erzbiſchof verhängte
den Kirchenbann über Huß. Da ſtand das Volk mit
Gewalt auf und verhinderte die Verkündigung des
Bannes in den Kirchen. König Wenzel ließ dem Erz-
biſchof die Einkünfte ſperren. Der Erzbiſchof verhängte
abermals das Interdict über Prag und ließ, von Rom
beſtärkt, den großen Bann in friedlichſter Form gegen
Huß verkünden. Um nach dem Tode König Ruprecht’s
wieder als König in Deutſchland anerkannt zu werden,
wünſchte jetzt Wenzel eine Ausſöhnung zwiſchen
dem Erzbiſchof und Magiſter Huß. Ein Vergleich


[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. [Abbildung]
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[[1]/0001] Preis 4 kr. Redartion, Adminiſtration, Erpedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadterpedition I., Wollzeile 15. Zeitungsbureau Weis. Unfrankirte Briefe werden nicht an- genommen; Manuſkripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Reclamationen ſind portofrei. Inſerate werden im Ankündigungs- Bureau VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie in allen Annoncenbureaux des In- und Auslandes angenommen. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7. Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach- mittags, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. Preis 4 kr. Bezugspeiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig ..... 16 fl. vierteljährig ...... 4 fl. monatlich .... 1 fl. 35 kr. Einzelne Nummern 4 kr., per Poſt 5 kr. 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Iſt die politiſche Lage gegeben, die Conſtellation der Parteien, die Stellung der Regierung eine momentan feſte, ſo wird je nach der Parteiſtellung oder ſonſtigen Zugehörigkeit der Standpunkt der Majorität oder Oppoſition oder einzelnen Fraction vertreten, da iſt es nicht gar ſo ſchwer, ſchreibender Politiker zu ſein. Ganz anders, wenn politiſche Erdbeben im Anzuge oder bereits in Thätigkeit ſind, wenn ſich Verſchiebungen der politiſchen Lage oder der Stellung der Parteien unter einander und zur Regierung anbahnen, wenn kleine Riſſe in ein- zelnen Gruppen ſelbſt ſich in klaffende Spalten zu erweitern ſtreben, da tritt der ſinnverwirrende Einfluß der Erdbeben auch in der Preſſe zu Tage, die unſinnigſten Gerüchte werden col- portirt, Feinde umarmen ſich, Freunde ſchlagen aufeinander los und damit auch die immer ſpecu- lirende Schlechtigkeit nicht fehle, kommen die Pächter der „journaliſtiſchen Vornehmheit“, um in der allgemeinen Aufregung für ihre ſpeciellen Zwecke Capital zu ſchlagen. Dieſe Verwirrung in der Preſſe haben wir heute vor uns. Wir ſehen die hitzigſten Preß- kämpfen milde Verſöhnung predigen, wir ſehen, wie die profeſſionellen Verſöhnungsmeier ſich in- dignirt wegen Verletzung ihres Patentes zurück- ziehen, ja ſogar dieſer oder jener Partei ziemlich unverblümt nahelegen, wie man die „Ueber- zeugungstreue“ — manche Leute nennen es Dickkopf — auch an den wichtigſten Wendepunkten nicht vergeſſen dürfe. Wir ſehen aber auch, wie Blätter, welche ſelbſt zur Zeit der ſchärſſten Oppoſition ihre Informationen aus Regierungsgebäuden bezogen haben, auf einmal durch ihre Unwiſſenheit über die Pläne der Regierung glänzen, während andere ſonſt nicht ſo gut geſtellte Colleginnen mit dem geſunden Menſchenverſtand das Richtige treffen. Soll man ſich nicht Gedanken machen, wenn die „Narodni Liſty“ z. B. behaupten, der Reichsrath werde aufgelöſt werden, eine ſo unwahrſcheinliche Vorausſage, daß ſie ſelbſt im „Grazer Tag- blatt“ überraſchen würde. Iſt es nicht Erdbebenwahnſinn, wenn in einem Blatte mit anſcheinend wirklichem Ernſt geſchrieben wird, „man erwarte, daß Dr. Lueger mit ſeiner Partei ſich mit der Katholiſchen Volkspartei coaliren und auf dieſe Weiſe die derzeitige Majorität verſtärken werde“. Soll es nicht charakteriſtiſch ſein, daß thatſächlich faſt bei allen Parteien eine gewiſſe Friedensſehnſucht vorherrſcht, ihre Preſſe dagegen wo möglich noch mehr in die Kriegs- trompete ſtoßt, und auf der parlamentariſchen Bühne ſogar der Zeitungsſtempel obſtruirt wird? Und damit auch das letzte Charakteriſticum nicht fehle, ſo fehlt auch der Verſuch nicht, die große nationale und wirthſchaftliche Frage von Deutſchthum und Ausgleich auf ein perſön- liches Gebiet überzuſpielen zum doppelten Zwecke der Erſchwerung oder Hintertreibung der Verſöhnung und eventuellen Zuſchanzung von Miniſterportefeuilles an die judenliberale Clique. Es ſind alſo genug charakteriſtiſche Zeichen vor- handen, und wir ſind überzeugt, daß ſie auch wirklich Symptome eines großen Wendeproceßes ſind. Da aber halten wir zum guten Verlaufe des Proceſſes vor allem Eines für nothwendig: daß man den natürlichen Heilproceß nicht ſtöre, daß keine unglücklichen Hände ſich einmengen. Man mag ja dieſe und jene Gründe für eine Bertagung des Reichsrathes eben im Intereſſe einer Be- ſchleunigung des Proceſſes anführen; uns wollen die Gründe nicht einleuchten, uns will es ſcheinen, als ob gerade unter dem parlamentariſchen Schlacht- gewühle, beinahe hätten wir geſagt, von demſelben gedeckt, am leichteſten die Verſtändigungsſaat auf- gehen könnte, uns will es ſcheinen, als ob in der Vertagung gerade leicht die Bethätigung der ſtörenden Hand erblickt werden könnte. Darum beſſer, ruhig zuſehen, die Verſtändigung macht ſich von ſelbſt. „Neu Babylon.“ Die von uns bereits kurz ſkizzirte Brochüre des Grazer Abgeordneten Dr. v. Hochenburger iſt in allen Kreiſen bereits Gegenſtand der lebhafteſten Aufmerkſamkeit geworden. Von den nationalen Blattern wurde dieſe Brochüre als eine programmatiſche Er- klärung der Deutſchen, als ein Wegweiſer zur Löſung der Sprachenfrage angeſehen. Im Eingange der Brochüre beſpricht der Abg. v Hochenburger die Ent- wicklung der ſprachlichen Verwirrung, die durch Badeni geſchaffen wurde. Wäre Graf Badeni noch auf dem Standpunkte des überlieferten Centralismus geſtanden, ſo hätte er einſehen müſſen, daß die Zuläſſigkeit des Gebrauches der deutſchen Sprache in rein czechiſchen Gebieten ſich nicht aus der thatſächlich gar nicht ge- gebenen „Landesüblichkeit“ dieſer Sache ableiten läßt, ſondern einzig und allein aus dem Umſtande, daß ſich in einem auf deutſch-centraliſtiſcher Grundlage beruhen- den Staatsweſen jede Partei, welchem Volksſtamm ſie Feuilleton. Huß. Skizze von W. Conrady. II. Zum Erzbiſchof von Prag wurde jetzt Zbynek Zajik von Haſenburg gewählt, der den Deutſchen nicht günſtig geſinnt war und Huß zum Synodalprediger ernannte; gleichzeitig gab er ihm den Auftrag, alle kirchlichen Mißſtände ihm anzuzeigen. Huß ging weit über den Auftrag hinaus, indem er jetzt begann, dieſe Mißſtände öffentlich vor dem Volke aufs Schärfſte zu geißeln. Nicht blos das! Der Papſt forderte den Erz- biſchof auf, mit aller Entſchiedenheit gegen die in Prag ſich verbreitenden Wyclef’ſchen Irrlehren, insbeſondere betreffend das Altarsſacrament, aufzutreten. Huß und ſeine Anhänger wollten aber überhaupt nicht gelten laſſen, daß Wyclef je kirchlich verurtheilt worden war. Sie ſandten den Prager Faulfiſch nach Oxford, um über die Verurtheilung Wyclef’s Nachforſchungen anzu- ſtellen. Derſelbe brachte eine Urkunde mit, worin ſogar der Rechtgläubigkeit Wyclef’s das höchſte Lob geſpendet wurde. Allein dieſe Urkunde war gefälſcht, was ſich freilich erſt ſpäter herausſtellte. Huß wies ſie begeiſtert ſeinem Volke zu und rief aus: „Möchte meine Seele da ſein, wo Wyclef’s Seele iſt!“ Auf päpſtlichem Befehl mußte der Erzbiſchof das Verbreiten der Wyclef’ſchen Irrlehren verbieten, und der Clerus erhob immer ſchärfere Klagen beim Erzbiſchof gegen Huß. Deshalb enthob derſelbe Huß ſeiner Stelle als Synodal- prediger und verlangte als Kanzler der Univerſität, die czechiſche Nation ſolle dem Urtheile der übrigen Nationen betreffend die 45 Wiclef’ſchen Artikel beitreten; allein die Czechen nahmen nur den Satz an: es ſolle kein Czeche einen dieſer Artikel in ketzeriſchem, irrigem oder anſtößigem Sinn lehren, — was eine ſophiſtiſche Umgehung der Verurtheilung war. Theils um König Wenzel zu gefallen, theils aus Schwäche und falſcher Friedensliebe gab ſich der Erzbiſchof mit dieſer Er- klärung zufrieden. Aber auch das half nichts. Neuer Zwieſpalt ſollte kommen. König Wenzel verlangte bezüglich der beiden Gegenpäpſte Gregor XII. und Benedict XIII., die ſich auf dem Concil zu Piſa 1409 gegenüberſtanden, vom Erzbiſchof und der Univerſität zu Prag Neutralität. Während die Czechen Wenzels Antrag unterſtützten, Huß allen voran, hielten der Erzbiſchof und die drei anderen Nationen der Univerſität an Gregor XII. feſt, von dem Wenzel nicht viel Gutes zu hoffen hatte. In dieſer Gegenaction der Czechen mußte der Erzbiſchof eine Auflehnung erblicken, er unterſagte daher allen Prager Magiſtern, welche ſich für die Neutrali- tät erklärten, die Ausübung geiſtlicher Func- tionen in der Erzdiöceſe. Damit war der nationale Streit auf’s Neue erwacht. Dies bot den Anlaß für Huß, neuerdings gegen das bisherige Stimmenverhältniß an der Univerſität die Agitation einzuleiten. Man verſuchte es, den König Wenzel dafür zu gewinnen; dieſer gerieth Anfangs in Zorn, daß Huß und Hieronymus von Prag immer wieder neuen Aufruhr erregten, bald jedoch ſtimmten ihn ſeine Günſtlinge am Hofe wieder um, und nun decretirte der König 1409, daß die Czechen an der Univerſität in Zukunft drei, die anderen Nationen zuſammen nur eine Stimme haben ſollten. Als aller Widerſtand der drei unterdrückten Nationen nichts half, und ihnen ſchließlich mit aller Gewalt ein Rector aufgedrängt wurde, verließen die deutſchen Magiſtri, Baccalaurei und Studenten, deren Zahl verſchieden bis zu 20.000 angegeben wird, Prag und zogen auf andere deutſche Univerſitäten. Das war in jeder Beziehung ein ſchwerer Schlag für Prag. König Wenzel war auch empört darüber, Huß aber feierte jubelnd den Sieg von der Kanzel der Bethlehem-Capelle als einen Sieg der sacrosancta natio bohemica. Thatſächlich war das aber nicht bloß ein Sieg der Czechen über die Deutſchen, ſondern auch ein Sieg der Wyclef’ſchen Häreſie an der Univerſität. Da der König und die Czechen nach wie vor die Anhänger Gregor XII. drangſalirten und ſogar mit Strafe gegen ſie vorgegangen wurde, verhängte der Erzbiſchof das Interdict über Prag und Umgegend. Huß und die Wyclefiten beachteten aber dasſelbe gar nicht, und Huß predigte ſogar direct gegen den Erz- biſchof. König Wenzel verfolgte die Geiſtlichen, welche das Interdict hielten, derart, daß viele flüchteten, worauf deren Güter der Confiscation anheimfielen; andere wurden vom Adel verjagt, oder vom Volke ausgeplündert, mißhandelt, ins Waſſer geworfen oder vertrieben. Dieſe Wirren endeten erſt, als der Erz- biſchof endlich den vom Concil zu Piſa gewählten Papſt Alexander V. anerkannte. Huß wurde nun zum Rector der Univerſität gewählt; nach dem neuen Stimmenverhältniß war das ſelbſtverſtändlich. Auch wurde er königlicher Hofcaplan. Die Czechen hatten jetzt die Alleinherrſchaft in Prag. „Gelobt ſei der allmächtige Gott“, rief Huß aus, „daß wir die Deutſchen ausgeſchloſſen haben! Gott hat nun einmal den Czechen dieſes Land zu- getheilt, wie einſt Iſrael das gelobte Land.“ Huß wurde der „Meiſter in Iſrael“, der „König und Mittler Böhmens“ genannt. Auf der Höhe des erſtrebten Zieles angelangt, kamen aber jetzt Spaltungen ins czechiſche Volk ſelbſt, da immer mehr erkannt wurde, daß Huß auf dem Boden der Revolution gegen die Kirche ſtand. Der Erzbiſchof unterſagte nämlich, einem Befehle des Papſtes folgend, dem Huß das Predigen. Huß kümmerte ſich aber nicht um dies Ver- bot, im Gegentheil verklagte er den Erzbiſchof beim Papſte — Gregor XII. Papſt Alexander V. befahl je- doch dem Erzbiſchof, entſchieden gegen die Irrlehren einzuſchreiten, und Huß wurde ſelbſt nach Rom citirt, die Wiclefitiſchen Schriften ſollten abgeliefert werden. Huß verweigerte den Gehorſam, und predigte ſogar gegen des Erzbiſchofs Anordnungen. Das verhetzte czechiſche Volk ſtand zu ihm. Der Erzbiſchof verhängte den Kirchenbann über Huß. Da ſtand das Volk mit Gewalt auf und verhinderte die Verkündigung des Bannes in den Kirchen. König Wenzel ließ dem Erz- biſchof die Einkünfte ſperren. Der Erzbiſchof verhängte abermals das Interdict über Prag und ließ, von Rom beſtärkt, den großen Bann in friedlichſter Form gegen Huß verkünden. Um nach dem Tode König Ruprecht’s wieder als König in Deutſchland anerkannt zu werden, wünſchte jetzt Wenzel eine Ausſöhnung zwiſchen dem Erzbiſchof und Magiſter Huß. Ein Vergleich [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 19, Wien, 24.01.1899, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost019_1899/1>, abgerufen am 21.11.2024.