Reichspost. Nr. 78, Wien, 06.04.1897.[Spaltenumbruch]
Preis 5 kr. Redaction, Administration, Stadtexpedition I., Wollzeile 15. Unfrankirte Briefe werden nicht an- Inserate Abonnements werden ange- Erscheint täglich, 6 Uhr Nach- [Spaltenumbruch] Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Preis 5 kr. Bezugspreise: Bei Abholung in unserer Administra- Für: Oesterreich-Ungarn: Für Deutschland: Länder des Weltpostverein[es] Telephon 1828. IV. Jahrgang. Wien, Dienstag, den 6. April 1897. Nr. 78. [Spaltenumbruch] Mit 31. März ist das Bezugspreise: für Wien 1 fl. 35 kr., für Die vertagte Krise. Wien, 5. April. Gestern wurde unter dem Vorsitze des Kaisers Eine kleine Gewitterwolke zeigt sich aber [Spaltenumbruch] Die wichtigste Stütze für das Cabinet ist das Die Marinedebatten im deutschen Reichstag. Die letzten Marinedebatten des [Spaltenumbruch] Feuilleton. Johannes Brahms. Dem großen Meister Dr. Anton Bruckner Brahms, der seinen Vornamen gerne mit der Dieselbe Größe zeigte er auch in den zahlreichen So trocken und streng uns aber auch Meister Als Dirigent ist Brahms -- wenn er auch einige Nun ist auch Brahms, beglückt mit den höchsten [Abbildung] Die heutige Nummer ist 10 Seiten stark. [Abbildung] [Spaltenumbruch]
Preis 5 kr. Redaction, Adminiſtration, Stadtexpedition I., Wollzeile 15. Unfrankirte Briefe werden nicht an- Inſerate Abonnements werden ange- Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach- [Spaltenumbruch] Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Preis 5 kr. Bezugspreiſe: Bei Abholung in unſerer Adminiſtra- Für: Oeſterreich-Ungarn: Für Deutſchland: Länder des Weltpoſtverein[eſ] Telephon 1828. IV. Jahrgang. Wien, Dienſtag, den 6. April 1897. Nr. 78. [Spaltenumbruch] Mit 31. März iſt das Bezugspreiſe: für Wien 1 fl. 35 kr., für Die vertagte Kriſe. Wien, 5. April. Geſtern wurde unter dem Vorſitze des Kaiſers Eine kleine Gewitterwolke zeigt ſich aber [Spaltenumbruch] Die wichtigſte Stütze für das Cabinet iſt das Die Marinedebatten im deutſchen Reichstag. Die letzten Marinedebatten des [Spaltenumbruch] Feuilleton. Johannes Brahms. Dem großen Meiſter Dr. Anton Bruckner Brahms, der ſeinen Vornamen gerne mit der Dieſelbe Größe zeigte er auch in den zahlreichen So trocken und ſtreng uns aber auch Meiſter Als Dirigent iſt Brahms — wenn er auch einige Nun iſt auch Brahms, beglückt mit den höchſten [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. 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April.</dateline><lb/> <p>Geſtern wurde unter dem Vorſitze des Kaiſers<lb/> ein Kronrath abgehalten, der nahezu zwei Stunden<lb/> dauerte und mit der Vertagung der Kriſe endete.<lb/> Beſeitigt iſt eben die Kriſe nicht, ſie kann nach den<lb/> Oſterfeiertagen wieder aufleben, ſie kann auch im<lb/> Sande verlaufen; für den Augenblick iſt ein Ausweg<lb/> gefunden, ob er auch für ſpäter gilt, wird erſt die<lb/> Zukunft lehren. Der <hi rendition="#g">Kaiſer</hi> hat die Demiſſion<lb/> des Miniſteriums <hi rendition="#g">nicht</hi> angenommen, es verbleibt<lb/> bis auf Weiteres in ſeiner bisherigen Zuſammen-<lb/> ſetzung im Amte, wobei aber ſchon jetzt Verän-<lb/> derungen in einzelnen Reſſorts in abſehbarer Zeit<lb/> mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ſind. 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Die weitere Verſion, daß dieſes<lb/> Comité gegen den Willen des Grafen Badeni<lb/> erfolgt ſein ſoll, macht den Vorgang für<lb/> das Cabinet umſo bedrohlicher. Die Majorität<lb/> von Fall zu Fall iſt alſo thatſächlich vorhanden,<lb/> das iſt richtig, es iſt ebenſo wahrſcheinlich, daß<lb/> dieſe Majorität bei allen wichtigen Vorlagen, ja<lb/> ſelbſt beim Ausgleiche nicht verſagen wird, aber<lb/> ein ſolches Verſagen iſt bei der bekannten Unver-<lb/> läßlichkeit der Polen und Czechen im Beſuche der<lb/> Sitzungen immerhin möglich und nachträgliche<lb/> Reparaturen von Beſchlüſſen haben auf alle Fälle<lb/> ihr Mißliches, beſonders wenn ſie öfter vorkommen<lb/> und kein Chlumecky mehr zur Hand iſt.</p><lb/> <cb/> <p>Die wichtigſte Stütze für das Cabinet iſt das<lb/> unerſchütterte Vertrauen der Krone, es hat bei<lb/> der fortbeſtehenden, unſicheren parlamentariſchen<lb/> Lage dieſe Stütze um ſo nothwendiger. Dieſer<lb/> Erwägung mag auch, wenigſtens theilweiſe, die<lb/> vom antiſemitiſchen Montagsblatte mitgetheilte<lb/> Abſicht der Krone entſpringen, das im Amte ver-<lb/> bleibende Cabinet mit einer beſonderen Vertrauens-<lb/> kundgebung auszuzeichnen. Die Kriſe iſt alſo bei-<lb/> gelegt, aber keineswegs bleibend oder auf längere<lb/> Zeit, ſondern eigentlich nur vertagt, vertagt bis<lb/> auf Weiteres.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div xml:id="marinedebatten1" next="#marinedebatten2" type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Marinedebatten im deutſchen<lb/> Reichstag.</hi> </head><lb/> <p>Die letzten <hi rendition="#g">Marinedebatten</hi> des<lb/> deutſchen Reichstages boten ſoviel des Inter-<lb/> eſſanten, daß es auch jetzt nicht unangebracht ſein<lb/> dürfte, Einiges daraus hervorzuheben. Eine her-<lb/> vorragende Rolle, allerdings nicht in gutem<lb/> Sinne, ſpielt dabei wieder mit einigen anderen<lb/> gleichgearteten Herren der vielgenannte Freiherr<lb/> v. <hi rendition="#g">Stumm.</hi> Es iſt nur zu bedauern, daß ſolche<lb/> Leute ſich unwiderſprochen intime Freunde des<lb/> Kaiſers nennen dürfen. Die Anſichten dieſes<lb/> Herrn ſind ſtets ſo paradox-excentriſch, ſein ganzes<lb/> Auftreten, ſeine Sprache, faſt möchte ich ſagen, ſein<lb/> Geſichtsausdruck, ſeine Haltung dabei ſo wirklich<lb/> protzenhaft-provocirend, daß man zum Widerſpruch<lb/> förmlich gereizt wird und ein wahres Vergnügen<lb/> empfindet über die ſcharfen Hiebe, die ihm auch<lb/> faſt jedes Mal ohne Erbarmen von allen Seiten<lb/> zutheil werden. Recht ſchwierig wird die<lb/><hi rendition="#g">Stellung</hi> der Regierungsvertreter einem<lb/> ſolchen <hi rendition="#g">Manne</hi> gegenüber. 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Perſönlich kannten dieſe<lb/> beiden edlen, beſcheidenen und gemüthlichen Männer<lb/> keine Gegnerſchaft; wie es echten Künſtlernaturen ge-<lb/> ziemt, ehrte und achtete einer den andern, ſchätzte jeder<lb/> die Meiſterwerke ſeines Antipoden.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Brahms,</hi> der ſeinen Vornamen gerne mit der<lb/> bibliſchen Bezeichnung „Johannes“ belegte, war ein<lb/><hi rendition="#g">Deutſcher,</hi> durch ſeine Geburt in Hamburg ein<lb/> norddeutſcher Meiſter. Nicht wie Bruckner, der mit der<lb/> Muttermilch die volksthümliche Muſik ſeines Landes,<lb/> den oberöſterreichiſchen Ländler und den leichten Fluß<lb/> der Wiener Volksweiſe in ſich eingeſogen hat, nährte<lb/> ſich Brahms zuerſt an dem ſtrengen Satze und dem<lb/> feſten Gefüge der claſſiſchen Tonkunſt, deren Urſprung<lb/> in Bach liegt. Von dieſem Standpunkt muß der<lb/> dahingeſchiedene Meiſter genommen werden. In ſeinem<lb/> weiteren Studium wurde — wie bei allen Tongrößen<lb/> — der allgewaltigſte Held deutſcher Claſſik, Beethoven,<lb/> ſein Vorbild, und erſt ſpäter, als er in Wien ſtändigen<lb/> Aufenthalt genommen, guckte gleichſam Schubert mit<lb/> der Lieblichkeit ſeiner Melodien in ſeine Werke herein.<lb/> Warum finden wir in ſeinen großen Symphonien,<lb/> deren Brahms vier componirte, durchaus Sätze von<lb/> thematiſcher Meiſterſchaft, die wir anſtaunen und be-<lb/> wundern müſſen und zuweilen einzelne Nummern, be-<lb/> ſonders im Scherzo, die von einer gewiſſen Anmuth<lb/> und einem Liebreiz ſeiner Phantaſie Zeugniß geben.<lb/> Seine Herrſchaft lag im Tonſatze, in der Entwicklung<lb/> und dem Aufbau der Harmonie, in der thematiſchen<lb/> Durchführung, alſo in der Theorie der Tonkunſt, und<lb/> in claſſiſch edler Form — ganz nach conſervativem<lb/><cb/> Muſter — führte er ſeine Themen durch. Als einer<lb/> der bedeutendſten Meiſter des Contrapunktes beſaß er<lb/> auch eine derartig hervorragende orcheſtrale Technik,<lb/> daß gerade von dieſem Standpunkte die virtuoſe Be-<lb/> handlung des Themas, wie wir ſie eben vor Kurzem<lb/> im vierten Satze ſeiner 4. Symphonie (in <hi rendition="#aq">E-moll</hi>)<lb/> bewunderten, die Variationen über ein gegebenes Thema<lb/> (in ſeinen mannigfachen Claviercompoſitionen) oder die<lb/> Verſchlingung einzelner Motive, wie in ſeiner akademiſchen<lb/> Feſtouverture die höchſte muſikaliſche Wiſſenſchaft be-<lb/> kunden. Dem Effect, ſowohl in Anlage als orcheſtraler<lb/> Durchführung war Brahms ſtets abhold; er iſt nie<lb/> aus ſeiner Individualität herausgetreten, und er blieb<lb/> immer derſelbe, der er von ſeinen noch in Deutſchland<lb/> componirten und geſpielten Clavierwerken an war.<lb/> Seine Phantaſie nahm ſelten den hohen Flug eines<lb/> überſchäumenden Ideals, ſie war beherrſcht und be-<lb/> zwungen durch die Kraft des Gedankens. Das größte<lb/> Denkmal hat ſich Brahms unſtreitig geſetzt durch ſein<lb/> „Deutſches Requiem“ für Soli, Chor und Orcheſter,<lb/> welches — nicht melodiſch wie das von Verdi, nicht<lb/> leidenſchaftlich verzehrend wie das von Berlioz, auch<lb/> nicht tief innerlich ergreifend wie das von Mozart —<lb/> groß angelegt und groß gehalten iſt in deutſchem litur-<lb/> giſchem Geiſte, mit volksthümlicher Kraft und Hoheit.<lb/> Gleich Bruckner hat ſich Meiſter Brahms auf das<lb/> Gebiet der Oper nicht begeben, nicht weil ihm die<lb/> Technik des Orcheſters und des Chores gefehlt hätte,<lb/> ſondern weil ihm die dramatiſche Form der Muſik<lb/> nicht zuſagte. Denn gerade in ſeinen Chorwerken, die<lb/> bei einer guten Aufführung ſtets allgemeinen Anklang<lb/> finden, zeigt er in der melodiſchen Behandlung und in<lb/> der vocalen Stimmführung eine wahrhaſt ſeltene<lb/> Meiſterſchaft. Darum konnte er ſich in der muſikaliſchen<lb/> Bezwingung dichteriſcher Formen an die höchſten und<lb/> ſchwierigſten Aufgaben machen, wie in der „Stänie“,<lb/> dem „Schickſalslied“ und dem „Triumphlied“.</p><lb/> <p>Dieſelbe Größe zeigte er auch in den zahlreichen<lb/> Werken der intimen Kammermuſik, in denen oft auch<lb/> die Erfindung mit der virtuoſen Durchführung gleichen<lb/> Schritt hält und die zu jeder Zeit ſtehende Nummern<lb/> des muſikaliſchen Repertoirs bilden werden. Seine be-<lb/> deutende techniſche Erfahrung bezwang hier ganz hetero-<lb/> gene Gegenſätze, wie Horn, Clarinette, Flöte mit Streich-<lb/> orcheſter oder Clavier: ſein Sextett iſt eine Perle<lb/><cb/> deutſcher Kammermuſik. Ebenſo herrorragend ſind ſeine<lb/> Clavierwerke, ſein von den größten Virtuoſen geſpieltes<lb/> Violinconcert und ſeine zahlloſen gediegenen Clavier-<lb/> compoſitionen.</p><lb/> <p>So trocken und ſtreng uns aber auch Meiſter<lb/> Brahms in ſeinen großen Orcheſterwerken entgegentritt,<lb/> ſo lieblich, fein empfunden und gemüthlich iſt er im<lb/> einfachen Liede. Hier nimmt ſeine Tonmuſe ganz eine<lb/> andere Geſtalt an, und hier — im <hi rendition="#g">Liede</hi> — hat er<lb/> die größten, unbeſtrittenſten Erfolge. Seine herrlichen<lb/> Lieder, voll von Grazie, Melodie und Schwung, wer-<lb/> den bei allen Liederabenden, in allen Concertſälen in<lb/> allen Theilen der Welt geſungen und wir erinnern nur<lb/> an ſeine „ſapphiſche Ode“, ſein vergebliches Ständchen“,<lb/> ſein „O verſenk’“ und ſein ergreifendes „Minnelied“!<lb/> Auch fremde nationale Rhythmen wußte er zu vertonen<lb/> und in ſeine claſſiſche Form zu bezwingen; denn die<lb/> „ungariſchen Tänze“ von Brahms bilden wohl ſtehende<lb/> Nummern guter Hausmuſik. Als hätte er den Tod,<lb/> der ihn von einem längeren qualvollen Leiden erlöſte,<lb/> vorausgeahnt, ſchuf er noch als ſein letztes öffentliches<lb/><hi rendition="#aq">opus</hi> — die vier „ernſten Geſänge“ für Baßſtimmen,<lb/> die bei ihrer Aufführung im Concertſaale durch<lb/> Meſchaert mit erſchütternder Tragik auf die Zuhörer<lb/> wirkten.</p><lb/> <p>Als Dirigent iſt Brahms — wenn er auch einige<lb/> Jahre die Singacademie und die Geſellſchaft der Muſik-<lb/> freunde leitete — nie beſonders hervorgetreten, wie<lb/> überhaupt öfientliche Wirkſamkeit, auch öffentliche Hul-<lb/> digungen, nicht in ſeinem Weſen lagen. Dagegen trat<lb/> er in früheren Jahren als Virtuos auf ſeinem Leib-<lb/> inſtrument, dem Claviere, auf, oft in der herrlichen<lb/> Begleitung ſeiner eigenen Lieder, und auch hier war<lb/> ſein Spiel, wie ſeine ganze Natur, groß, markig, ent-<lb/> ſchieden ung gediegen.</p><lb/> <p>Nun iſt auch Brahms, beglückt mit den höchſten<lb/> weltlichen Auszeichnungen und den größten Erfolgen<lb/> heimgegangen. Wer wird jetzt die Erbſchaft der großen<lb/> Männer übernehmen, die der Boden unſerer Vater-<lb/> ſtadt großgezogen und die die Liebe zu unſerem Wien<lb/> genährt und geſtärkt hat? Wer war größer, Bruckner<lb/> oder Brahms? fragt man vielleicht jetzt noch mehr als<lb/> früher. Laſſen wir den Streit an der offenen Bahre<lb/> des Künſtlers und begnügen wir uns mit der Ueber-<lb/> zeugung: Er war <hi rendition="#g">groß!</hi> </p> </div> </div><lb/> <note> <ref> <figure/> <hi rendition="#b">Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark.</hi> <figure/> </ref> </note><lb/> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
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Die vertagte Kriſe.
Wien, 5. April.
Geſtern wurde unter dem Vorſitze des Kaiſers
ein Kronrath abgehalten, der nahezu zwei Stunden
dauerte und mit der Vertagung der Kriſe endete.
Beſeitigt iſt eben die Kriſe nicht, ſie kann nach den
Oſterfeiertagen wieder aufleben, ſie kann auch im
Sande verlaufen; für den Augenblick iſt ein Ausweg
gefunden, ob er auch für ſpäter gilt, wird erſt die
Zukunft lehren. Der Kaiſer hat die Demiſſion
des Miniſteriums nicht angenommen, es verbleibt
bis auf Weiteres in ſeiner bisherigen Zuſammen-
ſetzung im Amte, wobei aber ſchon jetzt Verän-
derungen in einzelnen Reſſorts in abſehbarer Zeit
mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ſind. Die
Bildung einer feſten Regierungsmajorität iſt vor-
läufig fallen gelaſſen worden, da ſich der liberale
Großgrundbeſitz in der Sprachenverordnungsfrage
freie Hand vorbehalten hat, die Jungezechen da-
gegen auf der eheſten Publicirung der Verordnung
beſtehen. Es wird dieſe Verordnung vorausſichtlich
nach erfolgter Publicirung zur parlamentariſchen
Behandlung gelangen, die liberaleu
Großgrundbeſitzer werden bei
dieſem Anlaſſe ihre nationalen Bedenken geltend
machen, die Verordnung ſelbſt jedoch dürfte im
Hauſe eine Majorität von einigen Stimmen für
die Indemnität ſinden. Nach Erledigung der
Sprachenverordnungsangelegenheit könnte dann die
heutige Majorität der Regierung von Fall zu Fall
zu einer feſten gouvernementalen Mehrheit von
über 240 Stimmen, beſtehend aus der ganzen
Rechten — Polen, Ruthenen, Rumänen, Süd-
ſlaven, ſämmtlichen czechiſchen Abgeordneten,
Centrum, katholiſche Volkspartei — und dem
liberalen Großgrundbeſitze werden, wenn — nicht
wieder etwas dazwiſchen kommt.
Eine kleine Gewitterwolke zeigt ſich aber
ſchon am Horizont. Geſtern hielten die Führer
ſämmtlicher Gruppen der parlamentariſchen Rechten
— wie oben genannt — eine Conferenz ab, in
welcher die Bildung eines gemeinſamen Executiv-
comités beſchloſſen, nach weiteren Nachrichten auch
bereits gewählt wurde. Als erſter Zweck dieſes
Comités wird die Vereitelung jedweden Verſuches
zur Bildung einer liberalen Majoritätscombination
bezeichnet. Die weitere Verſion, daß dieſes
Comité gegen den Willen des Grafen Badeni
erfolgt ſein ſoll, macht den Vorgang für
das Cabinet umſo bedrohlicher. Die Majorität
von Fall zu Fall iſt alſo thatſächlich vorhanden,
das iſt richtig, es iſt ebenſo wahrſcheinlich, daß
dieſe Majorität bei allen wichtigen Vorlagen, ja
ſelbſt beim Ausgleiche nicht verſagen wird, aber
ein ſolches Verſagen iſt bei der bekannten Unver-
läßlichkeit der Polen und Czechen im Beſuche der
Sitzungen immerhin möglich und nachträgliche
Reparaturen von Beſchlüſſen haben auf alle Fälle
ihr Mißliches, beſonders wenn ſie öfter vorkommen
und kein Chlumecky mehr zur Hand iſt.
Die wichtigſte Stütze für das Cabinet iſt das
unerſchütterte Vertrauen der Krone, es hat bei
der fortbeſtehenden, unſicheren parlamentariſchen
Lage dieſe Stütze um ſo nothwendiger. Dieſer
Erwägung mag auch, wenigſtens theilweiſe, die
vom antiſemitiſchen Montagsblatte mitgetheilte
Abſicht der Krone entſpringen, das im Amte ver-
bleibende Cabinet mit einer beſonderen Vertrauens-
kundgebung auszuzeichnen. Die Kriſe iſt alſo bei-
gelegt, aber keineswegs bleibend oder auf längere
Zeit, ſondern eigentlich nur vertagt, vertagt bis
auf Weiteres.
Die Marinedebatten im deutſchen
Reichstag.
Die letzten Marinedebatten des
deutſchen Reichstages boten ſoviel des Inter-
eſſanten, daß es auch jetzt nicht unangebracht ſein
dürfte, Einiges daraus hervorzuheben. Eine her-
vorragende Rolle, allerdings nicht in gutem
Sinne, ſpielt dabei wieder mit einigen anderen
gleichgearteten Herren der vielgenannte Freiherr
v. Stumm. Es iſt nur zu bedauern, daß ſolche
Leute ſich unwiderſprochen intime Freunde des
Kaiſers nennen dürfen. Die Anſichten dieſes
Herrn ſind ſtets ſo paradox-excentriſch, ſein ganzes
Auftreten, ſeine Sprache, faſt möchte ich ſagen, ſein
Geſichtsausdruck, ſeine Haltung dabei ſo wirklich
protzenhaft-provocirend, daß man zum Widerſpruch
förmlich gereizt wird und ein wahres Vergnügen
empfindet über die ſcharfen Hiebe, die ihm auch
faſt jedes Mal ohne Erbarmen von allen Seiten
zutheil werden. Recht ſchwierig wird die
Stellung der Regierungsvertreter einem
ſolchen Manne gegenüber. Man kann
Feuilleton.
Johannes Brahms.
Von Gaigg von Bergheim.
Dem großen Meiſter Dr. Anton Bruckner
iſt nun in dieſer Muſikſaiſon ein nicht minder großer
Componiſt gefolgt, der in unſer lieben Vaterſtadt gelebt
und gewirkt hat — Johannes Brahms. Sehr
lange Zeit hindurch bezeichnete man dieſe beiden Größen
auf dem Gebiete der abſoluten Muſik als individuelle
Gegner und ſie waren es auch ſtets; man konnte den
einen nicht nennen, ohne an den andern zu denken. So
ſtreng waren die Gegenſätze, welche beide in ihrer Com-
poſitionsweiſe entfalteten. Perſönlich kannten dieſe
beiden edlen, beſcheidenen und gemüthlichen Männer
keine Gegnerſchaft; wie es echten Künſtlernaturen ge-
ziemt, ehrte und achtete einer den andern, ſchätzte jeder
die Meiſterwerke ſeines Antipoden.
Brahms, der ſeinen Vornamen gerne mit der
bibliſchen Bezeichnung „Johannes“ belegte, war ein
Deutſcher, durch ſeine Geburt in Hamburg ein
norddeutſcher Meiſter. Nicht wie Bruckner, der mit der
Muttermilch die volksthümliche Muſik ſeines Landes,
den oberöſterreichiſchen Ländler und den leichten Fluß
der Wiener Volksweiſe in ſich eingeſogen hat, nährte
ſich Brahms zuerſt an dem ſtrengen Satze und dem
feſten Gefüge der claſſiſchen Tonkunſt, deren Urſprung
in Bach liegt. Von dieſem Standpunkt muß der
dahingeſchiedene Meiſter genommen werden. In ſeinem
weiteren Studium wurde — wie bei allen Tongrößen
— der allgewaltigſte Held deutſcher Claſſik, Beethoven,
ſein Vorbild, und erſt ſpäter, als er in Wien ſtändigen
Aufenthalt genommen, guckte gleichſam Schubert mit
der Lieblichkeit ſeiner Melodien in ſeine Werke herein.
Warum finden wir in ſeinen großen Symphonien,
deren Brahms vier componirte, durchaus Sätze von
thematiſcher Meiſterſchaft, die wir anſtaunen und be-
wundern müſſen und zuweilen einzelne Nummern, be-
ſonders im Scherzo, die von einer gewiſſen Anmuth
und einem Liebreiz ſeiner Phantaſie Zeugniß geben.
Seine Herrſchaft lag im Tonſatze, in der Entwicklung
und dem Aufbau der Harmonie, in der thematiſchen
Durchführung, alſo in der Theorie der Tonkunſt, und
in claſſiſch edler Form — ganz nach conſervativem
Muſter — führte er ſeine Themen durch. Als einer
der bedeutendſten Meiſter des Contrapunktes beſaß er
auch eine derartig hervorragende orcheſtrale Technik,
daß gerade von dieſem Standpunkte die virtuoſe Be-
handlung des Themas, wie wir ſie eben vor Kurzem
im vierten Satze ſeiner 4. Symphonie (in E-moll)
bewunderten, die Variationen über ein gegebenes Thema
(in ſeinen mannigfachen Claviercompoſitionen) oder die
Verſchlingung einzelner Motive, wie in ſeiner akademiſchen
Feſtouverture die höchſte muſikaliſche Wiſſenſchaft be-
kunden. Dem Effect, ſowohl in Anlage als orcheſtraler
Durchführung war Brahms ſtets abhold; er iſt nie
aus ſeiner Individualität herausgetreten, und er blieb
immer derſelbe, der er von ſeinen noch in Deutſchland
componirten und geſpielten Clavierwerken an war.
Seine Phantaſie nahm ſelten den hohen Flug eines
überſchäumenden Ideals, ſie war beherrſcht und be-
zwungen durch die Kraft des Gedankens. Das größte
Denkmal hat ſich Brahms unſtreitig geſetzt durch ſein
„Deutſches Requiem“ für Soli, Chor und Orcheſter,
welches — nicht melodiſch wie das von Verdi, nicht
leidenſchaftlich verzehrend wie das von Berlioz, auch
nicht tief innerlich ergreifend wie das von Mozart —
groß angelegt und groß gehalten iſt in deutſchem litur-
giſchem Geiſte, mit volksthümlicher Kraft und Hoheit.
Gleich Bruckner hat ſich Meiſter Brahms auf das
Gebiet der Oper nicht begeben, nicht weil ihm die
Technik des Orcheſters und des Chores gefehlt hätte,
ſondern weil ihm die dramatiſche Form der Muſik
nicht zuſagte. Denn gerade in ſeinen Chorwerken, die
bei einer guten Aufführung ſtets allgemeinen Anklang
finden, zeigt er in der melodiſchen Behandlung und in
der vocalen Stimmführung eine wahrhaſt ſeltene
Meiſterſchaft. Darum konnte er ſich in der muſikaliſchen
Bezwingung dichteriſcher Formen an die höchſten und
ſchwierigſten Aufgaben machen, wie in der „Stänie“,
dem „Schickſalslied“ und dem „Triumphlied“.
Dieſelbe Größe zeigte er auch in den zahlreichen
Werken der intimen Kammermuſik, in denen oft auch
die Erfindung mit der virtuoſen Durchführung gleichen
Schritt hält und die zu jeder Zeit ſtehende Nummern
des muſikaliſchen Repertoirs bilden werden. Seine be-
deutende techniſche Erfahrung bezwang hier ganz hetero-
gene Gegenſätze, wie Horn, Clarinette, Flöte mit Streich-
orcheſter oder Clavier: ſein Sextett iſt eine Perle
deutſcher Kammermuſik. Ebenſo herrorragend ſind ſeine
Clavierwerke, ſein von den größten Virtuoſen geſpieltes
Violinconcert und ſeine zahlloſen gediegenen Clavier-
compoſitionen.
So trocken und ſtreng uns aber auch Meiſter
Brahms in ſeinen großen Orcheſterwerken entgegentritt,
ſo lieblich, fein empfunden und gemüthlich iſt er im
einfachen Liede. Hier nimmt ſeine Tonmuſe ganz eine
andere Geſtalt an, und hier — im Liede — hat er
die größten, unbeſtrittenſten Erfolge. Seine herrlichen
Lieder, voll von Grazie, Melodie und Schwung, wer-
den bei allen Liederabenden, in allen Concertſälen in
allen Theilen der Welt geſungen und wir erinnern nur
an ſeine „ſapphiſche Ode“, ſein vergebliches Ständchen“,
ſein „O verſenk’“ und ſein ergreifendes „Minnelied“!
Auch fremde nationale Rhythmen wußte er zu vertonen
und in ſeine claſſiſche Form zu bezwingen; denn die
„ungariſchen Tänze“ von Brahms bilden wohl ſtehende
Nummern guter Hausmuſik. Als hätte er den Tod,
der ihn von einem längeren qualvollen Leiden erlöſte,
vorausgeahnt, ſchuf er noch als ſein letztes öffentliches
opus — die vier „ernſten Geſänge“ für Baßſtimmen,
die bei ihrer Aufführung im Concertſaale durch
Meſchaert mit erſchütternder Tragik auf die Zuhörer
wirkten.
Als Dirigent iſt Brahms — wenn er auch einige
Jahre die Singacademie und die Geſellſchaft der Muſik-
freunde leitete — nie beſonders hervorgetreten, wie
überhaupt öfientliche Wirkſamkeit, auch öffentliche Hul-
digungen, nicht in ſeinem Weſen lagen. Dagegen trat
er in früheren Jahren als Virtuos auf ſeinem Leib-
inſtrument, dem Claviere, auf, oft in der herrlichen
Begleitung ſeiner eigenen Lieder, und auch hier war
ſein Spiel, wie ſeine ganze Natur, groß, markig, ent-
ſchieden ung gediegen.
Nun iſt auch Brahms, beglückt mit den höchſten
weltlichen Auszeichnungen und den größten Erfolgen
heimgegangen. Wer wird jetzt die Erbſchaft der großen
Männer übernehmen, die der Boden unſerer Vater-
ſtadt großgezogen und die die Liebe zu unſerem Wien
genährt und geſtärkt hat? Wer war größer, Bruckner
oder Brahms? fragt man vielleicht jetzt noch mehr als
früher. Laſſen wir den Streit an der offenen Bahre
des Künſtlers und begnügen wir uns mit der Ueber-
zeugung: Er war groß!
[Abbildung]
Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark.
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