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Reichspost. Nr. 78, Wien, 06.04.1897.

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78 Reichspost Wien, Dienstag, 6. April 1897

[Spaltenumbruch]

In den letzten Tagen war wiederholt Kriegsrath
im Yildiz-Kiosk.

In einer am Samstag abgehaltenen Besprechung
der Botschafter wurde die Autonomie für Kreta und die
Wahl eines Gouverneurs in Berathung gezogen.

Die Gesellschaft des "Rothen Halbmondes" stellte
in ihrer gestrigen Sitzung das vorhandene alte Material
zur Verfügung der Armee. Die Activirung eines
eigenen Dienstes, für welchen 9330 Pfund verfügbar
sind, wurde vorläufig nicht beschlossen.

Nachstehend die letzteingelangten Telegramme:

Die Blockade.

Das "Journalde
St. Petersbourg"
schreibt: Die aggres-
sive provocirende Haltung,
welche
Griechenland mit bedauernswerther Hart-
näckigkeit
beobachtet, zwingt die Groß-
mächte,
sehr gegen ihren Wunsch, zur Blockade
des Golfes von Athen zu schreiten. Durch Be-
lassung
der Truppen des Obersten Vassos auf
Kreta, legt die griechische Regierung
schon seit einiger Zeit der Bevölkerung der
Insel alle Nachtheile auf,
welche die
Blockade zur Folge hat. Sie vereitelt die der
Wiederherstellung von friedlichen Zuständen gewidmete
Aufgabe der Admirale und verhindert die Großmächte,
die wahren Wünsche der Bewohner Kreta's zu ermitteln,
welche erst nach dem Ausscheiden eines jeglichen inter-
essirten Druckes und Einflusses befragt werden können.
Die Berichte der Admiräle und Consuln bezeugen die
vollständige Unmöglichkeit, gegenwärtig
in unmittelbaren Verkehr mit der eigent-
lichen kretensischen Bevölkerung zu treten.
Letztere wird durch die Aufständischen und deren
Führer, insoweit nicht die freiwilligen griechischen
Officiere der Natur der Sache nach dem überwiegenden
Einflusse der griechischen Truppenabtheilung unter-
liegen, in Orten zurückgehalten, welche den europäischen
Unterhändlern unzugänglich sind. Die Handlungen des
Obersten Vassos sind genügend bekannt. Ist
dieser Officier doch so weit gegangen, that-
sächlich
allen Großmächten den Krieg zu
erklären. Aber nicht zusrieden mit dieser unbegreiflichen
Haltung einer geistig so hervorragend begabten Nation,
wie die griechische, gefallen sich gewisse überspannte, ge-
wohnheitsmäßige Unruhestifter, die Kriegs-
erklärung
gegen die Türkei für den
6. April oder den Tag des Beginnes der
Blockade der griechischen Häfen in überschwäng-
licher Weise zu empfehlen. Wir weigern
uns entschieden, die Möglichkeit dieser außerordent-
lichen Thorheit zuzugeben; aber eintretenden
Falles wäre Griechenland unzweifelhaft der Angreifer
und allein verantwortlich für die Europa so hin-
geworfene Kriegserklärung, welches die Aufrechthaltung
des Friedens wünscht und alle seine Anstrengungen
nach diesem Ziele richtet. Es wäre Zeit, auf Illusionen
zu verzichten, die nur zu schmerzlichen Irrthümern
führen könnten. Jede Macht, welche gegenwärtig die
Initiative zu einem Angriffe ergreifen würde, müßte
sicherlich die schwersten Folgen auf sich nehmen. Wenn
Griechenland um jeden Preis sich in
den Krieg stürzen wollte, könnte es augen-
scheinlich auf Niemandes Unterstützung
zählen. Welches übrigens auch der Ausgang eines
so provocirten Kampfes wäre, die Großmächte
würden doch niemals zugeben, daß der
Angreifer auch nur den geringsten
Vortheildaraus zöge.
Nachdem die Groß-
mächte alle irgendwie möglichen Mittel erschöpften,
um Griechenland die Leiden zu ersparen, welche es sich
selbst zugezogen hätte, würden sie es weiter nicht
nöthig haben, in Aufregung zu gerathen. Ihr voll-
ständiges Einvernehmen
bleibt un-
veränderlich.
Das ist die sicherste Bürgschaft
für den endlichen Sieg der Principien der Ordnung,
des Rechtes und der Billigkeit und das beste Unter-
pfand für die Aufrechterhaltung des allgemeinen
Friedens, selbst bei der Möglichkeit einer theilweisen
Beunruhigung durch Griechenland, welche die Mächte
im Nothfalle zu unterdrücken wissen würden.

Die "Agenzia Stefani" meldet
aus Suda vom Heutigen: Sämmtliche Mächte
ertheilten ihren Admirälen die
Weisung, zur friedlichen Blockade
Athens
zu schreiten. Die Admiräle erwägen die
diesbezüglichen Modalitäten.

Die Agence Havas meldet aus
Athen vom Heutigen, 9 Uhr Abends: Obwohl ge-
nauere Nachrichten fehlen, wird die Blockade als
unmittelbar bevorstehend
angesehen.
Die Erklärungen Hanotaux' über die Aufnahme der
Autonomie durch die Kreter rufen entrüstete Proteste
der Blätter hervor. Für Dienstag, den Tag des
Nationalfestes wird ein großes Meeting vorbereitet,
welches gegen das Vorgehen der Mächte einen Protest
einlegen und der Regierung das Vertrauen aus-
sprechen soll.

Gegen Griechenland.

Parlamentsuntersecreär Curzon
hielt in Southpost eine Rede, in welcher er bei Be-
sprechung der Orientfrage sagte: Die Kriegs-
wolken
am Horizonte vergrößern sich,
aber noch hoffen die Mächte, das Unheil abzuwenden.
Die Integrität des ottomanischen Reiches müsse als
Theil des Völkerrechtes behandelt und Modificationen,
[Spaltenumbruch] die Aussicht auf Erfolg hätten, von Europa gemein-
sam vorgenommen werden. Es könne Griechenland
nicht erlaubt werden, ein Stück des ottomanischen Ge-
bietes ohne Zustimmung der Mächte zu nehmen. Er
bezweifle, daß Griechenland das Geld oder die
Macht habe, Kreta zu beruhigen. Die neue Verfassung
werde der Insel zur richtigen Zeit gegeben werden.
Zunächst müsse aber eine neue Regierungsautorität ge-
schaffen und Kreta beruhigt werden. Der neue Gouver-
neur werde Christ sein und von den Mächten ernannt
werden. Die Zurückziehung der türkischen Truppen
werde logischer Weise eintreten, nachdem Kreta der
Autorität des Sultans entzogen sein werde. Die Auf-
ständischen
und die griechischen Trup-
pen verzögerten
durch ihre aggressive
Haltung die Entfernung der türki-
schen Truppen.
Griechenland könne kein größeres
Verbrechen begehen, als die Türkei anzugreifen. Es sei
die Pflicht Englands, bei dem europäi-
schen Concerte
zu verbleiben, das, von
den Cabineten der Mächte gebildet, der größte Fort-
schritt des Völkerrechtes und der Moral gewesen sei,
den das Jahrhundert gesehen.

Die Entwaffnung der Baschibozuks.

Die Aufständischen von Akro-
tiri baten die Admirale um die Ermächtigung, die Halb-
insel verlassen und sich unter ihrem Schutze in das
Innere begeben zu dürfen.

Admiral Canevaro ermächtigte die Aufständischen,
mit ihren Familien und Hausthieren abzuziehen. Be-
waffnete Baschibozuks stellten sich gestern dem Abzuge
der Aufständischen entgegen. Abtheilungen europäischer
Truppen gehen an die Sudabai ab, um die Baschibozuks
zu entwaffnen.

(A. H.)

Die Entwaffnung
der Baschibozuks hat heute Früh begonnen. Da die
Baschibozuks in der Ortschaft Kalieni die Ablieferung
der Wassen verweigern, wird diese Ortschaft von euro-
päischen Truppen cernirt.

"A. H."

Die Unterhandlungen
wegen der Entwaffnung der Baschibozuks in Kalieni,
welche der k. u. k Oberst Guzek leitete, dauerten eine
Stunde. Die Führer der Baschibozuks verlangten einen
diesbezüglichen Befehl des Gouverneurs und die An-
wesenheit Edhem Paschas. Oberst Guzek hatte eben
angeordnet, daß man mit den Hausdurchsuchungen
beginnen solle, als Edhem Pascha, welchen der öster-
reichisch-ungarische Consul im Konak aufgesucht hatte,
und der über energisches Drängen des Consuls sich zur
Intervention entfchloß, in der Ortschaft Kalieni eintraf,
um die Entwaffnung zu leiten. Die von dem Truppen-
cordon eingeschlossenen Baschibozuks begannen sodann in
Ruhe die Waffen abzuliefern.


Die Entwaffnung der Baschibozuks nimmt einen ruhigen
Verlauf. Edhem Pascha wurde für die Operation ver-
antwortlich gemacht. 500 Gewehre sollen morgen abge-
liefert werden. Von Konstantinopel kommende türkische
Officiere landeten hier, um den Befehl über das von
Kandia kommende türkische Bataillon zu übernehmen
Ungeachtet des Befehles der Admirale weigern sich die
türkischen Behörden, drei gefangene Griechen von
Akrotiri freizulassen. Die von Vassos gefangen ge-
nommenen türkischen Soldaten weigerten sich, das Lager
zu verlassen. Dieselben werden in Platania eingeschifft
und nach der Türkei gebracht werden.

Unsere Soldaten im Kampfe bei Kanea.

Ein hiesiges italienisches Blatt
vermeldet, allerdings unverbürgt, daß bei den am
Samstag stattgefundenen Kämpfen sowohl italienische,
wie auch österreichisch-ungarische Soldaten eingegriffen
haben, wobei von den letzteren 7 Mann verwundet und
3 Soldaten des Mannschaftsstandes und ein Ober-
lieutenant getödtet worden sind.




Auf dem Dampfer "Cherson"
der freiwilligen Flotte, welcher in Sebastopol eine
Feldbatterie an Bord genommen hatte, wurde hier ein
Bataillon des 56. Shitomir'schen Regiments in der
Stärke von 657 Mann, 15 Officieren und 20 Pferden
eingeschifft, worauf der Dampfer nach Kreta abging.

("A.-H.").

Ein heute erschienenes königliches Decret verbietet die
Beförderung von chiffrirten Telegrammen im Inland
und ins Ausland. Bei Kandia dauern die
Kämpfe fort.

Die "A.-H." meldet aus Neapel:

Heute Nachmittags fand im Theater San Carlo ein
Meeting zu Gunsten Kretas statt. Die
Ordnung wurde nirgends gestört.

Die Agence Havas meldet aus
Athen: "Ein Telegramm aus Larissa besagt, daß man
trotz der pessimistischen Vorhersagungen es als sicher
betrachtet, daß sich morgen an der Grenze
keinerlei Zwischenfall
ereignen werde,
und daß die Anwesenheit des griechischen Kronprinzen
eine Bürgschaft dafür biete. Es wurden namentlich für
morgen strengste Befehle ertheilt, deren Befolgung
außer Zweifel stehe. Indessen ergreifen die Türken
außerordentliche Maßnahmen und verstärken ihre
Posten."

Einer Meldung aus Kreta zu Folge entspann sich
vorgestern in Atsipopulos bei Rethymno ein
Kampf,
der neun Stunden dauerte, wobei die
Türken mit beträchtlichen Verlusten zurückgeschlagen
wurden.


[Spaltenumbruch]

Die auf türkischer
Seite immer noch bestehende Besorgniß vor griechischen
Provocationen von Feindseligkeiten an der Grenze am
6. April veranlassen tägliche Sitzungen des
Kriegsrathes
im Yildiz-Kiosk unter Theilnahme
des Kriegsministers, des Marineministers, Ghazi Osman
Paschas und acht anderer Generale. Der Comman-
dirende Edhem Pascha erhielt die Weisung, am
6. d. M. vertheidigungsbereit zu sein
und eingehende Befehle bezüglich seiner Haltung bei der
Vertheidigung der Grenze. Es verlautet, daß eine Ver-
stärkung der Grenztruppen durch weitere 40 Redif-
bataillone des 2. Corps, welche zur Einübung mit
dem Mausergewehre mobil gemacht werden, ge-
plant sei.

Nach Consularmeldungen ist bei Gusinje ein
türkisch-montenegrinischer Conflict
entstanden, welcher militärische Vorkehrungen von tür-
kischer Seite veranlaßt.

"Daily News" melden aus
Saloniki vom 2. d.: Einem glaubhaften Berichte zu-
folge fand bei Gazega in der Nähe von Kiponri
ein Zusammenstoß zwischen 300 Auf-
ständischen
unter Takis und Türken statt,
be[i] welchem 38 Personen getödtet wurden. Zehn ver-
wundete Türken wurden nach Grevena gebracht.

Wie die "Morning Post" aus Constantinopel vom
3. d. meldet, entwarf der Ministerrath
eine an die griechische Regierung zu richtende Note,
in welcher die Zurückziehung der griechischen Truppen
von Kreta verlangt wird. Im Falle eines abschlägigen
Bescheides träfe Griechenland die Verantwortlichkeit.




Telegramme.
Die italienische Thronrede.

In der Thronrede, mit welcher
König Humbert heute die Kammer eröffnete, lautet der
der internationalen Lage gewidmete Passus wie folgt:

"Gegenüber den Wirren in der Türkei trachte ich im
Einklange mit den Mächten Massacres zwischen den ver-
schiedenen Racen und den Bekennern verschiedener Religionen
zu verhindern und den Bevölkerungen die Wohlthaten der
Civilisation und der Justiz zu sichern. Unseren Allianzen
getreu und glücklich über die herzliche Freundschaft mit allen
Mächten vereinigt meine Regierung ihr Bestreben mit dem-
jenigen des europäischen Concertes, dessen Theil sie bildet,
wie dies die Pflichten einer loyalen Unterstützung zur Auf-
rechterhaltung des Friedens und die Sorge für die ita-
lienischen Interessen empfehlen.

Diese Wohlthat des Friedens wird dem parlamente
gestatten, sich dem Studium der Probleme zu widmen, die
seit langer Zeit der Lösung harren."

Die nordamerikanische Tarifbill.

Nach einem Telegramm der
"Times" aus Washington arbeitet das Schatzamt die
Ausführungsbestimmungen zu der Clausel, betreffend
die rückwirkende Kraft der Dingley-Bill aus.
Alle erreichbaren Auskünfte lassen die Zurückweisung
der Clausel im Senate erwarten.

Die Greuel von Tokat.

Die Pforte theilte
den Botschaften mit, daß die Commission in Tokat
136 Mohammedaner und 4 Armenier wegen Betheili-
gung an den letzten Vorfällen in Untersuchungshaft ge-
nommen habe.

Unruhen in Spanien.

In Alameda entstanden wegen
der Verzehrungssteuer Unruhen. Es wurden zahlreiche
Verhastungen vorgenommen.

Nansen in Berlin.

Bei dem Kaiserpaare fand
gestern Mittags eine größere Frühstückstafel statt, an
welcher unter Anderen Fridtjof Nansen, Reichskanzler
Fürst Hohenlohe, der schwedisch-norwegische Gesandte
und Militärbevollmächtigte, Staatssecretär Freiherr von
Marschall und Cultusminister Bosse theilnehmen.




Erzherzog Ludwig Victor
ist zum Besuche der Vereine vom Rothen Kreuze hier
angekommen.

In Folge einer Fels-
abrutschung
auf der Strecke Saalfelden-
Leogang
wurde heute Früh der Verkehr auf die
Dauer von 10 Stunden gestört. Der Personenverkehr
wird durch Umsteigen aufrechterhalten und wird vor-
aussichtlich mit dem heutigen Zuge Nr. 103 wieder voll
aufgenommen werden.

Die Zollcommissson
des Folkethings hat gegen die Stimmen zweier
Mitglieder der Rechten, welche den Zollschutz für die
Industrie zu vermehren oder beizubehalten wünschen,
sich dahin geeinigt, eine Revision vorzuschlagen, welche
die Rohstoffe und Productionsmittel von Einfuhrzöllen
befreit, beziehungsweise diese vermindert, den Zollschutz
für die großindustriellen Betriebe durchgängig um 15
bis 20% herabsetzt und den Zollschutz für das Klein-
gewerbe beibehält. Die fiscalisch bedeutungsvollen
Herabsetzungen würden durch Erhöhungen der Zollsätze
auf Tabak, Spiritus und mehrere Luxusartikel gedeckt
werden. Der Vorschlag der Commission würde jedoch
eine Verminderung der Zolleinnahmen von 51/2 Mil-
lionen Kronen bedingen. Zur Deckung dieses Aus-

78 Reichspoſt Wien, Dienſtag, 6. April 1897

[Spaltenumbruch]

In den letzten Tagen war wiederholt Kriegsrath
im Yildiz-Kiosk.

In einer am Samſtag abgehaltenen Beſprechung
der Botſchafter wurde die Autonomie für Kreta und die
Wahl eines Gouverneurs in Berathung gezogen.

Die Geſellſchaft des „Rothen Halbmondes“ ſtellte
in ihrer geſtrigen Sitzung das vorhandene alte Material
zur Verfügung der Armee. Die Activirung eines
eigenen Dienſtes, für welchen 9330 Pfund verfügbar
ſind, wurde vorläufig nicht beſchloſſen.

Nachſtehend die letzteingelangten Telegramme:

Die Blockade.

Das „Journalde
St. Petersbourg“
ſchreibt: Die aggreſ-
ſive provocirende Haltung,
welche
Griechenland mit bedauernswerther Hart-
näckigkeit
beobachtet, zwingt die Groß-
mächte,
ſehr gegen ihren Wunſch, zur Blockade
des Golfes von Athen zu ſchreiten. Durch Be-
laſſung
der Truppen des Oberſten Vaſſos auf
Kreta, legt die griechiſche Regierung
ſchon ſeit einiger Zeit der Bevölkerung der
Inſel alle Nachtheile auf,
welche die
Blockade zur Folge hat. Sie vereitelt die der
Wiederherſtellung von friedlichen Zuſtänden gewidmete
Aufgabe der Admirale und verhindert die Großmächte,
die wahren Wünſche der Bewohner Kreta’s zu ermitteln,
welche erſt nach dem Ausſcheiden eines jeglichen inter-
eſſirten Druckes und Einfluſſes befragt werden können.
Die Berichte der Admiräle und Conſuln bezeugen die
vollſtändige Unmöglichkeit, gegenwärtig
in unmittelbaren Verkehr mit der eigent-
lichen kretenſiſchen Bevölkerung zu treten.
Letztere wird durch die Aufſtändiſchen und deren
Führer, inſoweit nicht die freiwilligen griechiſchen
Officiere der Natur der Sache nach dem überwiegenden
Einfluſſe der griechiſchen Truppenabtheilung unter-
liegen, in Orten zurückgehalten, welche den europäiſchen
Unterhändlern unzugänglich ſind. Die Handlungen des
Oberſten Vaſſos ſind genügend bekannt. Iſt
dieſer Officier doch ſo weit gegangen, that-
ſächlich
allen Großmächten den Krieg zu
erklären. Aber nicht zuſrieden mit dieſer unbegreiflichen
Haltung einer geiſtig ſo hervorragend begabten Nation,
wie die griechiſche, gefallen ſich gewiſſe überſpannte, ge-
wohnheitsmäßige Unruheſtifter, die Kriegs-
erklärung
gegen die Türkei für den
6. April oder den Tag des Beginnes der
Blockade der griechiſchen Häfen in überſchwäng-
licher Weiſe zu empfehlen. Wir weigern
uns entſchieden, die Möglichkeit dieſer außerordent-
lichen Thorheit zuzugeben; aber eintretenden
Falles wäre Griechenland unzweifelhaft der Angreifer
und allein verantwortlich für die Europa ſo hin-
geworfene Kriegserklärung, welches die Aufrechthaltung
des Friedens wünſcht und alle ſeine Anſtrengungen
nach dieſem Ziele richtet. Es wäre Zeit, auf Illuſionen
zu verzichten, die nur zu ſchmerzlichen Irrthümern
führen könnten. Jede Macht, welche gegenwärtig die
Initiative zu einem Angriffe ergreifen würde, müßte
ſicherlich die ſchwerſten Folgen auf ſich nehmen. Wenn
Griechenland um jeden Preis ſich in
den Krieg ſtürzen wollte, könnte es augen-
ſcheinlich auf Niemandes Unterſtützung
zählen. Welches übrigens auch der Ausgang eines
ſo provocirten Kampfes wäre, die Großmächte
würden doch niemals zugeben, daß der
Angreifer auch nur den geringſten
Vortheildaraus zöge.
Nachdem die Groß-
mächte alle irgendwie möglichen Mittel erſchöpften,
um Griechenland die Leiden zu erſparen, welche es ſich
ſelbſt zugezogen hätte, würden ſie es weiter nicht
nöthig haben, in Aufregung zu gerathen. Ihr voll-
ſtändiges Einvernehmen
bleibt un-
veränderlich.
Das iſt die ſicherſte Bürgſchaft
für den endlichen Sieg der Principien der Ordnung,
des Rechtes und der Billigkeit und das beſte Unter-
pfand für die Aufrechterhaltung des allgemeinen
Friedens, ſelbſt bei der Möglichkeit einer theilweiſen
Beunruhigung durch Griechenland, welche die Mächte
im Nothfalle zu unterdrücken wiſſen würden.

Die „Agenzia Stefani“ meldet
aus Suda vom Heutigen: Sämmtliche Mächte
ertheilten ihren Admirälen die
Weiſung, zur friedlichen Blockade
Athens
zu ſchreiten. Die Admiräle erwägen die
diesbezüglichen Modalitäten.

Die Agence Havas meldet aus
Athen vom Heutigen, 9 Uhr Abends: Obwohl ge-
nauere Nachrichten fehlen, wird die Blockade als
unmittelbar bevorſtehend
angeſehen.
Die Erklärungen Hanotaux’ über die Aufnahme der
Autonomie durch die Kreter rufen entrüſtete Proteſte
der Blätter hervor. Für Dienſtag, den Tag des
Nationalfeſtes wird ein großes Meeting vorbereitet,
welches gegen das Vorgehen der Mächte einen Proteſt
einlegen und der Regierung das Vertrauen aus-
ſprechen ſoll.

Gegen Griechenland.

Parlamentsunterſecreär Curzon
hielt in Southpoſt eine Rede, in welcher er bei Be-
ſprechung der Orientfrage ſagte: Die Kriegs-
wolken
am Horizonte vergrößern ſich,
aber noch hoffen die Mächte, das Unheil abzuwenden.
Die Integrität des ottomaniſchen Reiches müſſe als
Theil des Völkerrechtes behandelt und Modificationen,
[Spaltenumbruch] die Ausſicht auf Erfolg hätten, von Europa gemein-
ſam vorgenommen werden. Es könne Griechenland
nicht erlaubt werden, ein Stück des ottomaniſchen Ge-
bietes ohne Zuſtimmung der Mächte zu nehmen. Er
bezweifle, daß Griechenland das Geld oder die
Macht habe, Kreta zu beruhigen. Die neue Verfaſſung
werde der Inſel zur richtigen Zeit gegeben werden.
Zunächſt müſſe aber eine neue Regierungsautorität ge-
ſchaffen und Kreta beruhigt werden. Der neue Gouver-
neur werde Chriſt ſein und von den Mächten ernannt
werden. Die Zurückziehung der türkiſchen Truppen
werde logiſcher Weiſe eintreten, nachdem Kreta der
Autorität des Sultans entzogen ſein werde. Die Auf-
ſtändiſchen
und die griechiſchen Trup-
pen verzögerten
durch ihre aggreſſive
Haltung die Entfernung der türki-
ſchen Truppen.
Griechenland könne kein größeres
Verbrechen begehen, als die Türkei anzugreifen. Es ſei
die Pflicht Englands, bei dem europäi-
ſchen Concerte
zu verbleiben, das, von
den Cabineten der Mächte gebildet, der größte Fort-
ſchritt des Völkerrechtes und der Moral geweſen ſei,
den das Jahrhundert geſehen.

Die Entwaffnung der Baſchibozuks.

Die Aufſtändiſchen von Akro-
tiri baten die Admirale um die Ermächtigung, die Halb-
inſel verlaſſen und ſich unter ihrem Schutze in das
Innere begeben zu dürfen.

Admiral Canevaro ermächtigte die Aufſtändiſchen,
mit ihren Familien und Hausthieren abzuziehen. Be-
waffnete Baſchibozuks ſtellten ſich geſtern dem Abzuge
der Aufſtändiſchen entgegen. Abtheilungen europäiſcher
Truppen gehen an die Sudabai ab, um die Baſchibozuks
zu entwaffnen.

(A. H.)

Die Entwaffnung
der Baſchibozuks hat heute Früh begonnen. Da die
Baſchibozuks in der Ortſchaft Kalieni die Ablieferung
der Waſſen verweigern, wird dieſe Ortſchaft von euro-
päiſchen Truppen cernirt.

„A. H.“

Die Unterhandlungen
wegen der Entwaffnung der Baſchibozuks in Kalieni,
welche der k. u. k Oberſt Guzek leitete, dauerten eine
Stunde. Die Führer der Baſchibozuks verlangten einen
diesbezüglichen Befehl des Gouverneurs und die An-
weſenheit Edhem Paſchas. Oberſt Guzek hatte eben
angeordnet, daß man mit den Hausdurchſuchungen
beginnen ſolle, als Edhem Paſcha, welchen der öſter-
reichiſch-ungariſche Conſul im Konak aufgeſucht hatte,
und der über energiſches Drängen des Conſuls ſich zur
Intervention entfchloß, in der Ortſchaft Kalieni eintraf,
um die Entwaffnung zu leiten. Die von dem Truppen-
cordon eingeſchloſſenen Baſchibozuks begannen ſodann in
Ruhe die Waffen abzuliefern.


Die Entwaffnung der Baſchibozuks nimmt einen ruhigen
Verlauf. Edhem Paſcha wurde für die Operation ver-
antwortlich gemacht. 500 Gewehre ſollen morgen abge-
liefert werden. Von Konſtantinopel kommende türkiſche
Officiere landeten hier, um den Befehl über das von
Kandia kommende türkiſche Bataillon zu übernehmen
Ungeachtet des Befehles der Admirale weigern ſich die
türkiſchen Behörden, drei gefangene Griechen von
Akrotiri freizulaſſen. Die von Vaſſos gefangen ge-
nommenen türkiſchen Soldaten weigerten ſich, das Lager
zu verlaſſen. Dieſelben werden in Platania eingeſchifft
und nach der Türkei gebracht werden.

Unſere Soldaten im Kampfe bei Kanea.

Ein hieſiges italieniſches Blatt
vermeldet, allerdings unverbürgt, daß bei den am
Samſtag ſtattgefundenen Kämpfen ſowohl italieniſche,
wie auch öſterreichiſch-ungariſche Soldaten eingegriffen
haben, wobei von den letzteren 7 Mann verwundet und
3 Soldaten des Mannſchaftsſtandes und ein Ober-
lieutenant getödtet worden ſind.




Auf dem Dampfer „Cherſon“
der freiwilligen Flotte, welcher in Sebaſtopol eine
Feldbatterie an Bord genommen hatte, wurde hier ein
Bataillon des 56. Shitomir’ſchen Regiments in der
Stärke von 657 Mann, 15 Officieren und 20 Pferden
eingeſchifft, worauf der Dampfer nach Kreta abging.

(„A.-H.“).

Ein heute erſchienenes königliches Decret verbietet die
Beförderung von chiffrirten Telegrammen im Inland
und ins Ausland. Bei Kandia dauern die
Kämpfe fort.

Die „A.-H.“ meldet aus Neapel:

Heute Nachmittags fand im Theater San Carlo ein
Meeting zu Gunſten Kretas ſtatt. Die
Ordnung wurde nirgends geſtört.

Die Agence Havas meldet aus
Athen: „Ein Telegramm aus Lariſſa beſagt, daß man
trotz der peſſimiſtiſchen Vorherſagungen es als ſicher
betrachtet, daß ſich morgen an der Grenze
keinerlei Zwiſchenfall
ereignen werde,
und daß die Anweſenheit des griechiſchen Kronprinzen
eine Bürgſchaft dafür biete. Es wurden namentlich für
morgen ſtrengſte Befehle ertheilt, deren Befolgung
außer Zweifel ſtehe. Indeſſen ergreifen die Türken
außerordentliche Maßnahmen und verſtärken ihre
Poſten.“

Einer Meldung aus Kreta zu Folge entſpann ſich
vorgeſtern in Atſipopulos bei Rethymno ein
Kampf,
der neun Stunden dauerte, wobei die
Türken mit beträchtlichen Verluſten zurückgeſchlagen
wurden.


[Spaltenumbruch]

Die auf türkiſcher
Seite immer noch beſtehende Beſorgniß vor griechiſchen
Provocationen von Feindſeligkeiten an der Grenze am
6. April veranlaſſen tägliche Sitzungen des
Kriegsrathes
im Yildiz-Kiosk unter Theilnahme
des Kriegsminiſters, des Marineminiſters, Ghazi Osman
Paſchas und acht anderer Generale. Der Comman-
dirende Edhem Paſcha erhielt die Weiſung, am
6. d. M. vertheidigungsbereit zu ſein
und eingehende Befehle bezüglich ſeiner Haltung bei der
Vertheidigung der Grenze. Es verlautet, daß eine Ver-
ſtärkung der Grenztruppen durch weitere 40 Redif-
bataillone des 2. Corps, welche zur Einübung mit
dem Mauſergewehre mobil gemacht werden, ge-
plant ſei.

Nach Conſularmeldungen iſt bei Guſinje ein
türkiſch-montenegriniſcher Conflict
entſtanden, welcher militäriſche Vorkehrungen von tür-
kiſcher Seite veranlaßt.

„Daily News“ melden aus
Saloniki vom 2. d.: Einem glaubhaften Berichte zu-
folge fand bei Gazega in der Nähe von Kiponri
ein Zuſammenſtoß zwiſchen 300 Auf-
ſtändiſchen
unter Takis und Türken ſtatt,
be[i] welchem 38 Perſonen getödtet wurden. Zehn ver-
wundete Türken wurden nach Grevena gebracht.

Wie die „Morning Poſt“ aus Conſtantinopel vom
3. d. meldet, entwarf der Miniſterrath
eine an die griechiſche Regierung zu richtende Note,
in welcher die Zurückziehung der griechiſchen Truppen
von Kreta verlangt wird. Im Falle eines abſchlägigen
Beſcheides träfe Griechenland die Verantwortlichkeit.




Telegramme.
Die italieniſche Thronrede.

In der Thronrede, mit welcher
König Humbert heute die Kammer eröffnete, lautet der
der internationalen Lage gewidmete Paſſus wie folgt:

„Gegenüber den Wirren in der Türkei trachte ich im
Einklange mit den Mächten Maſſacres zwiſchen den ver-
ſchiedenen Racen und den Bekennern verſchiedener Religionen
zu verhindern und den Bevölkerungen die Wohlthaten der
Civiliſation und der Juſtiz zu ſichern. Unſeren Allianzen
getreu und glücklich über die herzliche Freundſchaft mit allen
Mächten vereinigt meine Regierung ihr Beſtreben mit dem-
jenigen des europäiſchen Concertes, deſſen Theil ſie bildet,
wie dies die Pflichten einer loyalen Unterſtützung zur Auf-
rechterhaltung des Friedens und die Sorge für die ita-
lieniſchen Intereſſen empfehlen.

Dieſe Wohlthat des Friedens wird dem parlamente
geſtatten, ſich dem Studium der Probleme zu widmen, die
ſeit langer Zeit der Löſung harren.“

Die nordamerikaniſche Tarifbill.

Nach einem Telegramm der
„Times“ aus Waſhington arbeitet das Schatzamt die
Ausführungsbeſtimmungen zu der Clauſel, betreffend
die rückwirkende Kraft der Dingley-Bill aus.
Alle erreichbaren Auskünfte laſſen die Zurückweiſung
der Clauſel im Senate erwarten.

Die Greuel von Tokat.

Die Pforte theilte
den Botſchaften mit, daß die Commiſſion in Tokat
136 Mohammedaner und 4 Armenier wegen Betheili-
gung an den letzten Vorfällen in Unterſuchungshaft ge-
nommen habe.

Unruhen in Spanien.

In Alameda entſtanden wegen
der Verzehrungsſteuer Unruhen. Es wurden zahlreiche
Verhaſtungen vorgenommen.

Nanſen in Berlin.

Bei dem Kaiſerpaare fand
geſtern Mittags eine größere Frühſtückstafel ſtatt, an
welcher unter Anderen Fridtjof Nanſen, Reichskanzler
Fürſt Hohenlohe, der ſchwediſch-norwegiſche Geſandte
und Militärbevollmächtigte, Staatsſecretär Freiherr von
Marſchall und Cultusminiſter Boſſe theilnehmen.




Erzherzog Ludwig Victor
iſt zum Beſuche der Vereine vom Rothen Kreuze hier
angekommen.

In Folge einer Fels-
abrutſchung
auf der Strecke Saalfelden-
Leogang
wurde heute Früh der Verkehr auf die
Dauer von 10 Stunden geſtört. Der Perſonenverkehr
wird durch Umſteigen aufrechterhalten und wird vor-
ausſichtlich mit dem heutigen Zuge Nr. 103 wieder voll
aufgenommen werden.

Die Zollcommiſſſon
des Folkethings hat gegen die Stimmen zweier
Mitglieder der Rechten, welche den Zollſchutz für die
Induſtrie zu vermehren oder beizubehalten wünſchen,
ſich dahin geeinigt, eine Reviſion vorzuſchlagen, welche
die Rohſtoffe und Productionsmittel von Einfuhrzöllen
befreit, beziehungsweiſe dieſe vermindert, den Zollſchutz
für die großinduſtriellen Betriebe durchgängig um 15
bis 20% herabſetzt und den Zollſchutz für das Klein-
gewerbe beibehält. Die fiscaliſch bedeutungsvollen
Herabſetzungen würden durch Erhöhungen der Zollſätze
auf Tabak, Spiritus und mehrere Luxusartikel gedeckt
werden. Der Vorſchlag der Commiſſion würde jedoch
eine Verminderung der Zolleinnahmen von 5½ Mil-
lionen Kronen bedingen. Zur Deckung dieſes Aus-

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[5/0005] 78 Reichspoſt Wien, Dienſtag, 6. April 1897 In den letzten Tagen war wiederholt Kriegsrath im Yildiz-Kiosk. In einer am Samſtag abgehaltenen Beſprechung der Botſchafter wurde die Autonomie für Kreta und die Wahl eines Gouverneurs in Berathung gezogen. Die Geſellſchaft des „Rothen Halbmondes“ ſtellte in ihrer geſtrigen Sitzung das vorhandene alte Material zur Verfügung der Armee. Die Activirung eines eigenen Dienſtes, für welchen 9330 Pfund verfügbar ſind, wurde vorläufig nicht beſchloſſen. Nachſtehend die letzteingelangten Telegramme: Die Blockade. Petersburg, 4. April. Das „Journalde St. Petersbourg“ ſchreibt: Die aggreſ- ſive provocirende Haltung, welche Griechenland mit bedauernswerther Hart- näckigkeit beobachtet, zwingt die Groß- mächte, ſehr gegen ihren Wunſch, zur Blockade des Golfes von Athen zu ſchreiten. Durch Be- laſſung der Truppen des Oberſten Vaſſos auf Kreta, legt die griechiſche Regierung ſchon ſeit einiger Zeit der Bevölkerung der Inſel alle Nachtheile auf, welche die Blockade zur Folge hat. Sie vereitelt die der Wiederherſtellung von friedlichen Zuſtänden gewidmete Aufgabe der Admirale und verhindert die Großmächte, die wahren Wünſche der Bewohner Kreta’s zu ermitteln, welche erſt nach dem Ausſcheiden eines jeglichen inter- eſſirten Druckes und Einfluſſes befragt werden können. Die Berichte der Admiräle und Conſuln bezeugen die vollſtändige Unmöglichkeit, gegenwärtig in unmittelbaren Verkehr mit der eigent- lichen kretenſiſchen Bevölkerung zu treten. Letztere wird durch die Aufſtändiſchen und deren Führer, inſoweit nicht die freiwilligen griechiſchen Officiere der Natur der Sache nach dem überwiegenden Einfluſſe der griechiſchen Truppenabtheilung unter- liegen, in Orten zurückgehalten, welche den europäiſchen Unterhändlern unzugänglich ſind. Die Handlungen des Oberſten Vaſſos ſind genügend bekannt. Iſt dieſer Officier doch ſo weit gegangen, that- ſächlich allen Großmächten den Krieg zu erklären. Aber nicht zuſrieden mit dieſer unbegreiflichen Haltung einer geiſtig ſo hervorragend begabten Nation, wie die griechiſche, gefallen ſich gewiſſe überſpannte, ge- wohnheitsmäßige Unruheſtifter, die Kriegs- erklärung gegen die Türkei für den 6. April oder den Tag des Beginnes der Blockade der griechiſchen Häfen in überſchwäng- licher Weiſe zu empfehlen. Wir weigern uns entſchieden, die Möglichkeit dieſer außerordent- lichen Thorheit zuzugeben; aber eintretenden Falles wäre Griechenland unzweifelhaft der Angreifer und allein verantwortlich für die Europa ſo hin- geworfene Kriegserklärung, welches die Aufrechthaltung des Friedens wünſcht und alle ſeine Anſtrengungen nach dieſem Ziele richtet. Es wäre Zeit, auf Illuſionen zu verzichten, die nur zu ſchmerzlichen Irrthümern führen könnten. Jede Macht, welche gegenwärtig die Initiative zu einem Angriffe ergreifen würde, müßte ſicherlich die ſchwerſten Folgen auf ſich nehmen. Wenn Griechenland um jeden Preis ſich in den Krieg ſtürzen wollte, könnte es augen- ſcheinlich auf Niemandes Unterſtützung zählen. Welches übrigens auch der Ausgang eines ſo provocirten Kampfes wäre, die Großmächte würden doch niemals zugeben, daß der Angreifer auch nur den geringſten Vortheildaraus zöge. Nachdem die Groß- mächte alle irgendwie möglichen Mittel erſchöpften, um Griechenland die Leiden zu erſparen, welche es ſich ſelbſt zugezogen hätte, würden ſie es weiter nicht nöthig haben, in Aufregung zu gerathen. Ihr voll- ſtändiges Einvernehmen bleibt un- veränderlich. Das iſt die ſicherſte Bürgſchaft für den endlichen Sieg der Principien der Ordnung, des Rechtes und der Billigkeit und das beſte Unter- pfand für die Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens, ſelbſt bei der Möglichkeit einer theilweiſen Beunruhigung durch Griechenland, welche die Mächte im Nothfalle zu unterdrücken wiſſen würden. Rom, 4. April. Die „Agenzia Stefani“ meldet aus Suda vom Heutigen: Sämmtliche Mächte ertheilten ihren Admirälen die Weiſung, zur friedlichen Blockade Athens zu ſchreiten. Die Admiräle erwägen die diesbezüglichen Modalitäten. Paris, 4. April. Die Agence Havas meldet aus Athen vom Heutigen, 9 Uhr Abends: Obwohl ge- nauere Nachrichten fehlen, wird die Blockade als unmittelbar bevorſtehend angeſehen. Die Erklärungen Hanotaux’ über die Aufnahme der Autonomie durch die Kreter rufen entrüſtete Proteſte der Blätter hervor. Für Dienſtag, den Tag des Nationalfeſtes wird ein großes Meeting vorbereitet, welches gegen das Vorgehen der Mächte einen Proteſt einlegen und der Regierung das Vertrauen aus- ſprechen ſoll. Gegen Griechenland. Londou, 4. April. Parlamentsunterſecreär Curzon hielt in Southpoſt eine Rede, in welcher er bei Be- ſprechung der Orientfrage ſagte: Die Kriegs- wolken am Horizonte vergrößern ſich, aber noch hoffen die Mächte, das Unheil abzuwenden. Die Integrität des ottomaniſchen Reiches müſſe als Theil des Völkerrechtes behandelt und Modificationen, die Ausſicht auf Erfolg hätten, von Europa gemein- ſam vorgenommen werden. Es könne Griechenland nicht erlaubt werden, ein Stück des ottomaniſchen Ge- bietes ohne Zuſtimmung der Mächte zu nehmen. Er bezweifle, daß Griechenland das Geld oder die Macht habe, Kreta zu beruhigen. Die neue Verfaſſung werde der Inſel zur richtigen Zeit gegeben werden. Zunächſt müſſe aber eine neue Regierungsautorität ge- ſchaffen und Kreta beruhigt werden. Der neue Gouver- neur werde Chriſt ſein und von den Mächten ernannt werden. Die Zurückziehung der türkiſchen Truppen werde logiſcher Weiſe eintreten, nachdem Kreta der Autorität des Sultans entzogen ſein werde. Die Auf- ſtändiſchen und die griechiſchen Trup- pen verzögerten durch ihre aggreſſive Haltung die Entfernung der türki- ſchen Truppen. Griechenland könne kein größeres Verbrechen begehen, als die Türkei anzugreifen. Es ſei die Pflicht Englands, bei dem europäi- ſchen Concerte zu verbleiben, das, von den Cabineten der Mächte gebildet, der größte Fort- ſchritt des Völkerrechtes und der Moral geweſen ſei, den das Jahrhundert geſehen. Die Entwaffnung der Baſchibozuks. Kanea, 4. April. Die Aufſtändiſchen von Akro- tiri baten die Admirale um die Ermächtigung, die Halb- inſel verlaſſen und ſich unter ihrem Schutze in das Innere begeben zu dürfen. Admiral Canevaro ermächtigte die Aufſtändiſchen, mit ihren Familien und Hausthieren abzuziehen. Be- waffnete Baſchibozuks ſtellten ſich geſtern dem Abzuge der Aufſtändiſchen entgegen. Abtheilungen europäiſcher Truppen gehen an die Sudabai ab, um die Baſchibozuks zu entwaffnen. Kanea, 4. April. (A. H.) Die Entwaffnung der Baſchibozuks hat heute Früh begonnen. Da die Baſchibozuks in der Ortſchaft Kalieni die Ablieferung der Waſſen verweigern, wird dieſe Ortſchaft von euro- päiſchen Truppen cernirt. Kanea, 4. April. „A. H.“ Die Unterhandlungen wegen der Entwaffnung der Baſchibozuks in Kalieni, welche der k. u. k Oberſt Guzek leitete, dauerten eine Stunde. Die Führer der Baſchibozuks verlangten einen diesbezüglichen Befehl des Gouverneurs und die An- weſenheit Edhem Paſchas. Oberſt Guzek hatte eben angeordnet, daß man mit den Hausdurchſuchungen beginnen ſolle, als Edhem Paſcha, welchen der öſter- reichiſch-ungariſche Conſul im Konak aufgeſucht hatte, und der über energiſches Drängen des Conſuls ſich zur Intervention entfchloß, in der Ortſchaft Kalieni eintraf, um die Entwaffnung zu leiten. Die von dem Truppen- cordon eingeſchloſſenen Baſchibozuks begannen ſodann in Ruhe die Waffen abzuliefern. Kanea, 4. April, 7 Uhr 5 Minuten Abends. Die Entwaffnung der Baſchibozuks nimmt einen ruhigen Verlauf. Edhem Paſcha wurde für die Operation ver- antwortlich gemacht. 500 Gewehre ſollen morgen abge- liefert werden. Von Konſtantinopel kommende türkiſche Officiere landeten hier, um den Befehl über das von Kandia kommende türkiſche Bataillon zu übernehmen Ungeachtet des Befehles der Admirale weigern ſich die türkiſchen Behörden, drei gefangene Griechen von Akrotiri freizulaſſen. Die von Vaſſos gefangen ge- nommenen türkiſchen Soldaten weigerten ſich, das Lager zu verlaſſen. Dieſelben werden in Platania eingeſchifft und nach der Türkei gebracht werden. Unſere Soldaten im Kampfe bei Kanea. Trieſt, 5. April. Ein hieſiges italieniſches Blatt vermeldet, allerdings unverbürgt, daß bei den am Samſtag ſtattgefundenen Kämpfen ſowohl italieniſche, wie auch öſterreichiſch-ungariſche Soldaten eingegriffen haben, wobei von den letzteren 7 Mann verwundet und 3 Soldaten des Mannſchaftsſtandes und ein Ober- lieutenant getödtet worden ſind. Odeſſa, 5. April. Auf dem Dampfer „Cherſon“ der freiwilligen Flotte, welcher in Sebaſtopol eine Feldbatterie an Bord genommen hatte, wurde hier ein Bataillon des 56. Shitomir’ſchen Regiments in der Stärke von 657 Mann, 15 Officieren und 20 Pferden eingeſchifft, worauf der Dampfer nach Kreta abging. Athen, 3. April, ½12 Uhr Nachts. („A.-H.“). Ein heute erſchienenes königliches Decret verbietet die Beförderung von chiffrirten Telegrammen im Inland und ins Ausland. Bei Kandia dauern die Kämpfe fort. Rom, 4. April. Die „A.-H.“ meldet aus Neapel: Heute Nachmittags fand im Theater San Carlo ein Meeting zu Gunſten Kretas ſtatt. Die Ordnung wurde nirgends geſtört. Paris, 5. April. Die Agence Havas meldet aus Athen: „Ein Telegramm aus Lariſſa beſagt, daß man trotz der peſſimiſtiſchen Vorherſagungen es als ſicher betrachtet, daß ſich morgen an der Grenze keinerlei Zwiſchenfall ereignen werde, und daß die Anweſenheit des griechiſchen Kronprinzen eine Bürgſchaft dafür biete. Es wurden namentlich für morgen ſtrengſte Befehle ertheilt, deren Befolgung außer Zweifel ſtehe. Indeſſen ergreifen die Türken außerordentliche Maßnahmen und verſtärken ihre Poſten.“ Einer Meldung aus Kreta zu Folge entſpann ſich vorgeſtern in Atſipopulos bei Rethymno ein Kampf, der neun Stunden dauerte, wobei die Türken mit beträchtlichen Verluſten zurückgeſchlagen wurden. Konſtantinopel, 4. April. Die auf türkiſcher Seite immer noch beſtehende Beſorgniß vor griechiſchen Provocationen von Feindſeligkeiten an der Grenze am 6. April veranlaſſen tägliche Sitzungen des Kriegsrathes im Yildiz-Kiosk unter Theilnahme des Kriegsminiſters, des Marineminiſters, Ghazi Osman Paſchas und acht anderer Generale. Der Comman- dirende Edhem Paſcha erhielt die Weiſung, am 6. d. M. vertheidigungsbereit zu ſein und eingehende Befehle bezüglich ſeiner Haltung bei der Vertheidigung der Grenze. Es verlautet, daß eine Ver- ſtärkung der Grenztruppen durch weitere 40 Redif- bataillone des 2. Corps, welche zur Einübung mit dem Mauſergewehre mobil gemacht werden, ge- plant ſei. Nach Conſularmeldungen iſt bei Guſinje ein türkiſch-montenegriniſcher Conflict entſtanden, welcher militäriſche Vorkehrungen von tür- kiſcher Seite veranlaßt. London, 5. März. „Daily News“ melden aus Saloniki vom 2. d.: Einem glaubhaften Berichte zu- folge fand bei Gazega in der Nähe von Kiponri ein Zuſammenſtoß zwiſchen 300 Auf- ſtändiſchen unter Takis und Türken ſtatt, bei welchem 38 Perſonen getödtet wurden. Zehn ver- wundete Türken wurden nach Grevena gebracht. Wie die „Morning Poſt“ aus Conſtantinopel vom 3. d. meldet, entwarf der Miniſterrath eine an die griechiſche Regierung zu richtende Note, in welcher die Zurückziehung der griechiſchen Truppen von Kreta verlangt wird. Im Falle eines abſchlägigen Beſcheides träfe Griechenland die Verantwortlichkeit. Telegramme. Die italieniſche Thronrede. Rom, 5. April. In der Thronrede, mit welcher König Humbert heute die Kammer eröffnete, lautet der der internationalen Lage gewidmete Paſſus wie folgt: „Gegenüber den Wirren in der Türkei trachte ich im Einklange mit den Mächten Maſſacres zwiſchen den ver- ſchiedenen Racen und den Bekennern verſchiedener Religionen zu verhindern und den Bevölkerungen die Wohlthaten der Civiliſation und der Juſtiz zu ſichern. Unſeren Allianzen getreu und glücklich über die herzliche Freundſchaft mit allen Mächten vereinigt meine Regierung ihr Beſtreben mit dem- jenigen des europäiſchen Concertes, deſſen Theil ſie bildet, wie dies die Pflichten einer loyalen Unterſtützung zur Auf- rechterhaltung des Friedens und die Sorge für die ita- lieniſchen Intereſſen empfehlen. Dieſe Wohlthat des Friedens wird dem parlamente geſtatten, ſich dem Studium der Probleme zu widmen, die ſeit langer Zeit der Löſung harren.“ Die nordamerikaniſche Tarifbill. London, 5. April. Nach einem Telegramm der „Times“ aus Waſhington arbeitet das Schatzamt die Ausführungsbeſtimmungen zu der Clauſel, betreffend die rückwirkende Kraft der Dingley-Bill aus. Alle erreichbaren Auskünfte laſſen die Zurückweiſung der Clauſel im Senate erwarten. Die Greuel von Tokat. Konſtantiuopel, 5. April. Die Pforte theilte den Botſchaften mit, daß die Commiſſion in Tokat 136 Mohammedaner und 4 Armenier wegen Betheili- gung an den letzten Vorfällen in Unterſuchungshaft ge- nommen habe. Unruhen in Spanien. Madrid, 5. April. In Alameda entſtanden wegen der Verzehrungsſteuer Unruhen. Es wurden zahlreiche Verhaſtungen vorgenommen. Nanſen in Berlin. Berlin, 5. April. Bei dem Kaiſerpaare fand geſtern Mittags eine größere Frühſtückstafel ſtatt, an welcher unter Anderen Fridtjof Nanſen, Reichskanzler Fürſt Hohenlohe, der ſchwediſch-norwegiſche Geſandte und Militärbevollmächtigte, Staatsſecretär Freiherr von Marſchall und Cultusminiſter Boſſe theilnehmen. Klagenfurt, 5. April. Erzherzog Ludwig Victor iſt zum Beſuche der Vereine vom Rothen Kreuze hier angekommen. Innsbruck, 4. April. In Folge einer Fels- abrutſchung auf der Strecke Saalfelden- Leogang wurde heute Früh der Verkehr auf die Dauer von 10 Stunden geſtört. Der Perſonenverkehr wird durch Umſteigen aufrechterhalten und wird vor- ausſichtlich mit dem heutigen Zuge Nr. 103 wieder voll aufgenommen werden. Kopenhagen, 4. April. Die Zollcommiſſſon des Folkethings hat gegen die Stimmen zweier Mitglieder der Rechten, welche den Zollſchutz für die Induſtrie zu vermehren oder beizubehalten wünſchen, ſich dahin geeinigt, eine Reviſion vorzuſchlagen, welche die Rohſtoffe und Productionsmittel von Einfuhrzöllen befreit, beziehungsweiſe dieſe vermindert, den Zollſchutz für die großinduſtriellen Betriebe durchgängig um 15 bis 20% herabſetzt und den Zollſchutz für das Klein- gewerbe beibehält. Die fiscaliſch bedeutungsvollen Herabſetzungen würden durch Erhöhungen der Zollſätze auf Tabak, Spiritus und mehrere Luxusartikel gedeckt werden. Der Vorſchlag der Commiſſion würde jedoch eine Verminderung der Zolleinnahmen von 5½ Mil- lionen Kronen bedingen. Zur Deckung dieſes Aus-

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 78, Wien, 06.04.1897, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost078_1897/5>, abgerufen am 23.11.2024.