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Reichspost. Nr. 117, Wien, 28.04.1908.

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XV. Jahrgang. Wien, Dienstag, den 28. April 1908. Nr. 117.


[Spaltenumbruch]
Die Nationalsprachen in der ge-
meinsamen Armee.

Abermals wird von Kompromissen gesprochen, welche
die nächste Delegationssitzung zugunsten der Magyaren vor-
bereiten sollen. Täuscht man sich wirklich und übersieht, daß
die Verhältnisse in Oesterreich, die solche Kompromisse mög-
lich machten, andere geworden sind? Schon bei den jüngsten
Delegationsverhandlungen zeigte es sich, daß die öster-
reichische Volksvertretung ein tatsächliches Volkshaus gewor-
den. Statt des zaghaften, stets nachgiebigen und schwäch-
lichen Geistes von ehedem, trat uns endlich einmal Selbst-
gefühl und Kraftbewußtsein vor Augen.

Die Behandlung der Armeeangelegenheiten liefert uns
den Beweis dafür. Würde diese infolge unserer staatsrecht-
lichen Einrichtungen nicht dem eigentlichen Hause entrückt
sein, die Interessen der Armee fänden in diesem ein noch
besseres Echo. Je höher ein Volk seine politische Lage schätzt
und je unbehinderter es seine gesellschaftlichen Einrichtungen
nach eigenem Gutdünken gestalten kann, desto ausgiebiger
wird es für seinen eigenen Schutz sorgen und desto größere
Opfer wird es bringen, um seine Armee und dadurch sich
selbst unüberwindlich zu machen.

Blitzartig tritt heute die Kriegsgefahr heran und wer
nicht alle seine Verteidigungsmittel zum augenblicklichen
Gebrauche bereithält, ist von vorneherein so gut wie ver-
loren. Alle Tapferkeit und guter Wille sind machtlos gegen
die ungeheure Zahl der rasch auftauchenden feindlichen
Krieger und deren todspeiende Geschosse und Zerstörungs-
mittel. Ein besiegter Staat ist heute wahrhaft erbarmens-
wert. Er bezahlt sein kriegerisches Versäumnis mit Milli-
arden von Werten und dauernd auferlegten wirtschaftlichen
Verpflichtungen, die ihn auf lange Jahre hinaus schädigen
und gefügig erhalten. Darum auch die Wahrnehmung, daß
die auf ihr Selbstbestimmungsrecht und wirtschaftliche Un-
abhängigkeit meistbedachten Völker für die Steigerung ihrer
Schlagfertigkeit so Außerordentliches leisten. Die Träume
vom ewigen Frieden und allgemeiner Abrüstung sind Blend-
werk, Phantasiegebilde, die der menschlichen Natur wider-
sprechen.

Es scheint, daß die Erkenntnis dessen auch unsere
Delegation beherrscht hat, als sie bei ihrer letzten Tagung
aus eigener Initiative sich der Armee annahm und unver-
zagt der Durchsetzung ihres Willens nachging. In den
Delegationen weht merklich eine andere Luft heute, als
ehedem, und die christlichsoziale Partei kann stolz darauf
[Spaltenumbruch] sein, daß die Wandlung zum Besseren sowohl im Hause als
in den Delegationen von ihr ausgegangen ist.

Der politische Himmel Europas ist nicht sonnenhell
und ein heftiges Gewitter kann über Nacht hereinbrechen.
Es ist daher unverantwortlich, daß die Magyaren die
Armee benützen, um ihren überspannten, nationalen Ehr-
geiz zu stillen. Einstmals schloß sich Ungarn an Oesterreich
an, damit es ihm helfe, seine Grenzen zu schützen und die
inneren Zwistigkeiten niederzuhalten. Heute lähmt Ungarn
die gemeinsame Wehr. Erlitte aber Oesterreich eine
Niederlage, so würde es entweder zertrümmert oder auf
Jahre hinaus finanziell ausgepreßt. Wer aber würde die
Milliarden zahlen, die wir abgeben müßten und die Lasten
tragen, die uns auferlegt würden? Oesterreich, -- gewiß
nur Oesterreich, weil es etwas zu geben hat, nicht aber
Ungarn, das kapitalsarm ist.

Was will Ungarn eigentlich? Angeblich eine nationale
Armee, in Wahrheit aber will es die gemeinsame Armee
in den Dienst der Magyarisierung stellen. Darin liegt die
Haupttriebfeder aller Angriffe wider das Heer, die Kirche,
die Schule und die öffentliche Verwaltung, alles arbeitet in
Ungarn auf die Magyarisierung der nichtungarischen Natio-
nalitäten los, nur die gemeinsame Armee -- in gewissem
Sinne gleichfalls eine Schule höherer Art -- hielt sich bis-
her dieser Strömung ferne. Eben darum ist sie für die
gegenwärtig in Ungarn herrschende Klasse ein Stein des
Anstoßes, der umso mißliebiger erscheint, als die Sprache
der Armee deutsch ist.

Mit der Rückberufung aller in Ungarn
geborenen Offiziere in ungarländische
Truppenkörper
hat der einseitige Druck auf die
Heeresverwaltung seinen Anfang genommen. Leider wurde
ihm willfahrt, obwohl diese Maßregel, wenn sie nicht nur
vorübergehend ist, auch ihre recht bedenkliche Seite hat. Zur
Verschmelzung des Offizierskorps trägt sie keineswegs bei,
im Gegenteil ist zu befürchten, daß mit der Zeit der vater-
ländische Gesichtskreis vieler mehr als zuträglich eingeengt
werde.

Dann folgte die Begünstigung der magyarischen
Sprache in den Militärbildungs-
anstalten.
Auch hier ward den Magyaren nachgegeben,
und zwar in bedenklichster Weise. In allen in Ungarn befind-
lichen Kadettenschulen der gemeinsamen Armee werden seit dem
Jahre 1904 von 20 Vortragsgegenständen neun magyarisch
gelehrt, die übrigen deutsch und einige doppelsprachig.
Während aber in den gleichartigen in Oesterreich befind-
lichen Schulen nebst der deutschen Armeesprache -- je nach
dem Standorte der Schule -- die Zöglinge auch tschechisch,
polnisch, ruthenisch, italienisch, kroatisch und magyarisch
[Spaltenumbruch] lernen müssen, wird in den ungarländischen Schulen weder
rumänisch, noch slovakisch, noch serbisch gelehrt, so daß die
Kinder dieser Volksstämme ihrer Muttersprache zugunsten
des Magyarischen vollständig entraten müssen, was zur
Folge hat, daß es seinerzeit auch bei den betreffenden
Regimentern keine Offiziere geben wird, welche
mit den Mannschaften dieser Nationalitäten in der
Muttersprache werden verkehren können. Die
Magyaren haben also tatsächlich erreicht, daß
Einrichtungen der gemeinsamen Armee in den Dienst
magyarisierender Bestrebungen gestellt wurden, was umso
bedenklicher ist, als zu befürchten steht, daß der Widerstand
gegen den ungarischen Sprachenzwang sich zukünftig auch
gegen die gemeinsame Armee kehren wird, wenn die
Rumänen, Slovaken und Serben einmal die Zurücksetzung
inne werden, die ihnen zuteil geworden.

Gegenwärtig ist man bestrebt, sogenannte Konzessionen
zu verlangen in bezug auf die deutsche Kommando-, die
deutsche Dienst- und die Regimentssprache. Zwischen diesen
Abstufungen ist wohl zu unterscheiden, sie sind im praktischen
Militärleben nicht dasselbe und auch keinesfalls gleichwertig.

Die Kommandosprache ist die Sprache der
Befehlsgebung im engern Sinne, d. i. auf dem Exerzier-
platze, vor der Front. Sie ist wichtig, aber nicht die Haupt-
sache. Die Kommandosprache ist bekanntlich in der gemein-
samen Armee und österreichischen Landwehr deutsch, in der
ungarischen Landwehr magyarisch und in der kroatischen
kroatisch. Entscheidend in militärischer Beziehung ist die
Dienstsprache. Sie ist die Sprache des täglichen
Lebens bei der Truppe und in ihr wickelt sich innerhalb der
Truppe der ganze mündliche und schriftliche Verkehr ab,
vom Oberst bis zum letzten Unteroffizier, vorausgesetzt
natürlich, daß dieser der deutschen Sprache überhaupt
mächtig ist. Erst gegenüber dem einfachen Soldaten
wird notgedrungen allenthalben die Muttersprache
angewandt. Doch gibt es keine Engherzigkeit in sprachlicher
Beziehung. Für gewöhnlich spricht jedermann mit seinem
Kameraden oder Untergebenen in jener Sprache, welche
beiden am geläufigsten ist. Immerhin hat die einheitliche
Armeesprache eine tiefwurzelnde Bedeutung für jeden nicht-
deutschen Truppenkörper, so daß jeder alte Soldat unzweifel-
haft zugeben wird, daß die Spaltung der Armee nach
zweierlei Dienstsprachen sehr bald eine Differenzierung auch
in anderen wichtigen Belangen zur Folge hätte. In der
einheitlichen Dienst- und Umgangssprache liegt eben ein
unschätzbares, ganz unersetzliches Unterpfand des überein-
stimmenden Fühlens und Denkens, der Gemeinsamkeit und
Zusammengehörigkeit aller.




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Lachgasversuche.

Das Lach- oder Lustgas (Stickstoffoxydul) und seine
anästhetische Wirkung, die auch heute noch beim Zahn-
ziehen gute Dienste leistet, ist für uns längst aus der
Reihe der interessanten chemischen Produkte geschwunden
und wir wissen nicht mehr, was für ein Aufsehen dieses
Stickstoffpräparat kurz nach seiner Entdeckung in weiten
Kreisen hervorgerufen hat. In diese "intime Geschichte des
Lachgases" und zugleich in ein amüsantes kultur-
geschichtliches Milieu um die Wende des 18. Jahr-
hunderts führt uns ein hübsches Büchlein eines bekannten
Chemieprofessors, der hier ein reiches Material zur Ge-
schichte der Naturwissenschaften vor uns ausbreitet.

Das von Priestley 1772 entdeckte Stickstoffoxydul zog
das Interesse der Naturhistoriker in höchstem Maße an.
1796 verteidigte der amerikanische Professor Mitchill eine
abenteuerliche Theorie, nach der dieses Gas als die
Ursache aller ansteckenden Krankheiten anzusehen sei und
die schrecklichsten Wirkungen herbeiführe, wenn es auch
nur in ganz geringen Mengen von Mensch oder Tier
eingeatmet werde.

Diese aus den wunderlichen Anschauungen der
romantischen Medizin geborene Behauptung erschien
damals nicht weiter sonderbar. Hielt man doch zu seiner
Zeit überhaupt gewisse Gase für Krankheitserreger und
schrieb z. B. das Entstehen der Schwindsucht einem zu
großen. Sauerstoffgehalte des Organismus zu. Der
englische Arzt Thomas Beddoes ging daher bei seinen
Heilungen von der Ueberzeugung aus, daß sich viele
Krankheiten durch das Einatmen bestimmter Gase heilen
ließen, indem diese die Wirkung der schädlichen Gase
[Spaltenumbruch] aufheben könnten. Er gründete ein Institut für diese
"pneumatische Medizin" und sicherte sich dafür die Mit-
arbeit eines tüchtigen Experimentators, jenes Humphry
Davy, der zuerst die berauschenden Eigenschaften des
neuen Gases entdeckte. Davy atmete nun dieses "Lust-
oder Lachgas" zahllose Male ein und beschrieb in
poetischer Verzückung die Empfindungen, die ihn dabei
erfaßt hätten.

Nicht in den "idealen Träumen wilden Verlangens"
habe er je Aehnliches gefühlt: "Der Busen brennt mit
nie gefühltem Feuer, die Wange färbt sich rot mit
glühendem Wallen; die Augen leuchten auf mit hellem
Blitzen."

In Prosa erzählt er, in welch lebhafte Erregung
seine ganze Phantasie durch dieses Gas gebracht werde,
wie prächtige Bilder und große Gedanken sich in seinem
Hirn jagten, wie er in einer ganz neuen herrlicheren Welt
zu leben meine. Davys Freunde mußten natürlich auch
die wunderbare Kraft dieses merkwürdigen Stoffs an sich
erproben. Auch die Dichter Coleridge und Southey
ließen sich dadurch anregen und beschreiben, in welch
himmlische Fröhlichkeit sie dadurch versetzt wurden, wie
sie sich leicht und frei fühlten und in ein göttliches Ge-
lächter ausbrachen. Das große Publikum wollte gleich-
falls Anteil haben an diesem wahrhaft olympischen Mittel
der Lebenssteigerung. Wo eine naturwissenschaftlich in-
teressierte Gesellschaft beisammen war, da verfiel man
auf die Erprobung des Lustgases.

"Einige junge Herren machten den Anfang", so er-
zählt der deutsche Naturforscher Schönbein von seiner
englischen Reise, "und sie alle gaben unzweideutige Zeichen
von Wohlbehagen und wilder Lust von sich; ein ältlicher
gesetzter Mann hegte aber auch seine Zweifel und ent-
schloß sich daher, selbst einige Maße des Lachgases zu
sich zu nehmen. Nachdem er eine Anzahl von Zügen ge-
tan, begann er auf einmal zu tanzen und richtete während
[Spaltenumbruch] seiner Ekstase in den benachbarten Blumenbeeten die
fürchterlichsten Verwüstungen an, zu großer Ergötzung
der Zuschauer. Vielleicht wird es auch noch einmal bei
uns Sitte, gegen das Ende eines Gastmahles Stickstoff-
oxydulgas zu atmen, anstatt Champagner zu trinken,
und tritt dieser Fall ein, so wird es auch an Lustgas-
fabriken nicht fehlen."

Diese kühne Prophezeiung ist zwar nicht eingetroffen,
aber jedenfalls wurde damals so viel Lachgas in England
eingeatmet, wie nie wieder. Die kleineren Theater brachten
zur Belehrung ihres Publikums Experimente mit dem
neuen Gas, wobei einer der Zuschauer sich der Einatmung
unterzog und wobei, wenn der Erfolg nicht ganz so
großartig gewesen, wie man sich ihn vorgestellt, das Ende
der Darbietung in eine wüste Schlägerei ausartete.

Die eigentliche Hochburg der Lachgasversuche aber
wurde das königliche Institut von Großbritannien, das
der bekannte Philantrop Graf Rumford, der Erfinder
jener berühmten billigen nahrhaften "Rumforder Suppen",
begründete. Durch dieses Institut sollte die Kenntnis der
Naturwissenschaften unter dem Publikum verbreitet werden,
und es erfreute sich auch wirklich rasch eines außerordent-
lichen Zuspruches.

Der Raum war bald zu klein für die Tausende
vornehmer Herren und Damen, die sich zu den Lachgas-
experimenten herbeidrängten. Ein neues Gebäude wurde
erbaut, "ein wahres Pantheon mit einer oben, wo das
Licht einfällt, verschließbaren Knppel", wie ein zeit-
genössischer Bericht sagt. Der Saal war der prächtigste
Hörsaal in ganz Europa. Der geniale Karikaturist
Gillray hat in einer Karikatur die elegante Lebewelt
Londons geschildert, wie sie grotesk aufgeputzt mit Notiz-
buch und Lorgnette um den Expertmentiertisch sitzt,
während ein vornehmer Baronet das Gas einatmet, das
aber bei ihm eine unerwartete, durchaus nicht salonfähige
Wirkung hervorbringt.

[Abbildung] Die heutige Nummer ist 12 Seiten stark. [Abbildung]


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Inſerate
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In- und Auslandes angenommen




XV. Jahrgang. Wien, Dienstag, den 28. April 1908. Nr. 117.


[Spaltenumbruch]
Die Nationalſprachen in der ge-
meinſamen Armee.

Abermals wird von Kompromiſſen geſprochen, welche
die nächſte Delegationsſitzung zugunſten der Magyaren vor-
bereiten ſollen. Täuſcht man ſich wirklich und überſieht, daß
die Verhältniſſe in Oeſterreich, die ſolche Kompromiſſe mög-
lich machten, andere geworden ſind? Schon bei den jüngſten
Delegationsverhandlungen zeigte es ſich, daß die öſter-
reichiſche Volksvertretung ein tatſächliches Volkshaus gewor-
den. Statt des zaghaften, ſtets nachgiebigen und ſchwäch-
lichen Geiſtes von ehedem, trat uns endlich einmal Selbſt-
gefühl und Kraftbewußtſein vor Augen.

Die Behandlung der Armeeangelegenheiten liefert uns
den Beweis dafür. Würde dieſe infolge unſerer ſtaatsrecht-
lichen Einrichtungen nicht dem eigentlichen Hauſe entrückt
ſein, die Intereſſen der Armee fänden in dieſem ein noch
beſſeres Echo. Je höher ein Volk ſeine politiſche Lage ſchätzt
und je unbehinderter es ſeine geſellſchaftlichen Einrichtungen
nach eigenem Gutdünken geſtalten kann, deſto ausgiebiger
wird es für ſeinen eigenen Schutz ſorgen und deſto größere
Opfer wird es bringen, um ſeine Armee und dadurch ſich
ſelbſt unüberwindlich zu machen.

Blitzartig tritt heute die Kriegsgefahr heran und wer
nicht alle ſeine Verteidigungsmittel zum augenblicklichen
Gebrauche bereithält, iſt von vorneherein ſo gut wie ver-
loren. Alle Tapferkeit und guter Wille ſind machtlos gegen
die ungeheure Zahl der raſch auftauchenden feindlichen
Krieger und deren todſpeiende Geſchoſſe und Zerſtörungs-
mittel. Ein beſiegter Staat iſt heute wahrhaft erbarmens-
wert. Er bezahlt ſein kriegeriſches Verſäumnis mit Milli-
arden von Werten und dauernd auferlegten wirtſchaftlichen
Verpflichtungen, die ihn auf lange Jahre hinaus ſchädigen
und gefügig erhalten. Darum auch die Wahrnehmung, daß
die auf ihr Selbſtbeſtimmungsrecht und wirtſchaftliche Un-
abhängigkeit meiſtbedachten Völker für die Steigerung ihrer
Schlagfertigkeit ſo Außerordentliches leiſten. Die Träume
vom ewigen Frieden und allgemeiner Abrüſtung ſind Blend-
werk, Phantaſiegebilde, die der menſchlichen Natur wider-
ſprechen.

Es ſcheint, daß die Erkenntnis deſſen auch unſere
Delegation beherrſcht hat, als ſie bei ihrer letzten Tagung
aus eigener Initiative ſich der Armee annahm und unver-
zagt der Durchſetzung ihres Willens nachging. In den
Delegationen weht merklich eine andere Luft heute, als
ehedem, und die chriſtlichſoziale Partei kann ſtolz darauf
[Spaltenumbruch] ſein, daß die Wandlung zum Beſſeren ſowohl im Hauſe als
in den Delegationen von ihr ausgegangen iſt.

Der politiſche Himmel Europas iſt nicht ſonnenhell
und ein heftiges Gewitter kann über Nacht hereinbrechen.
Es iſt daher unverantwortlich, daß die Magyaren die
Armee benützen, um ihren überſpannten, nationalen Ehr-
geiz zu ſtillen. Einſtmals ſchloß ſich Ungarn an Oeſterreich
an, damit es ihm helfe, ſeine Grenzen zu ſchützen und die
inneren Zwiſtigkeiten niederzuhalten. Heute lähmt Ungarn
die gemeinſame Wehr. Erlitte aber Oeſterreich eine
Niederlage, ſo würde es entweder zertrümmert oder auf
Jahre hinaus finanziell ausgepreßt. Wer aber würde die
Milliarden zahlen, die wir abgeben müßten und die Laſten
tragen, die uns auferlegt würden? Oeſterreich, — gewiß
nur Oeſterreich, weil es etwas zu geben hat, nicht aber
Ungarn, das kapitalsarm iſt.

Was will Ungarn eigentlich? Angeblich eine nationale
Armee, in Wahrheit aber will es die gemeinſame Armee
in den Dienſt der Magyariſierung ſtellen. Darin liegt die
Haupttriebfeder aller Angriffe wider das Heer, die Kirche,
die Schule und die öffentliche Verwaltung, alles arbeitet in
Ungarn auf die Magyariſierung der nichtungariſchen Natio-
nalitäten los, nur die gemeinſame Armee — in gewiſſem
Sinne gleichfalls eine Schule höherer Art — hielt ſich bis-
her dieſer Strömung ferne. Eben darum iſt ſie für die
gegenwärtig in Ungarn herrſchende Klaſſe ein Stein des
Anſtoßes, der umſo mißliebiger erſcheint, als die Sprache
der Armee deutſch iſt.

Mit der Rückberufung aller in Ungarn
geborenen Offiziere in ungarländiſche
Truppenkörper
hat der einſeitige Druck auf die
Heeresverwaltung ſeinen Anfang genommen. Leider wurde
ihm willfahrt, obwohl dieſe Maßregel, wenn ſie nicht nur
vorübergehend iſt, auch ihre recht bedenkliche Seite hat. Zur
Verſchmelzung des Offizierskorps trägt ſie keineswegs bei,
im Gegenteil iſt zu befürchten, daß mit der Zeit der vater-
ländiſche Geſichtskreis vieler mehr als zuträglich eingeengt
werde.

Dann folgte die Begünſtigung der magyariſchen
Sprache in den Militärbildungs-
anſtalten.
Auch hier ward den Magyaren nachgegeben,
und zwar in bedenklichſter Weiſe. In allen in Ungarn befind-
lichen Kadettenſchulen der gemeinſamen Armee werden ſeit dem
Jahre 1904 von 20 Vortragsgegenſtänden neun magyariſch
gelehrt, die übrigen deutſch und einige doppelſprachig.
Während aber in den gleichartigen in Oeſterreich befind-
lichen Schulen nebſt der deutſchen Armeeſprache — je nach
dem Standorte der Schule — die Zöglinge auch tſchechiſch,
polniſch, rutheniſch, italieniſch, kroatiſch und magyariſch
[Spaltenumbruch] lernen müſſen, wird in den ungarländiſchen Schulen weder
rumäniſch, noch ſlovakiſch, noch ſerbiſch gelehrt, ſo daß die
Kinder dieſer Volksſtämme ihrer Mutterſprache zugunſten
des Magyariſchen vollſtändig entraten müſſen, was zur
Folge hat, daß es ſeinerzeit auch bei den betreffenden
Regimentern keine Offiziere geben wird, welche
mit den Mannſchaften dieſer Nationalitäten in der
Mutterſprache werden verkehren können. Die
Magyaren haben alſo tatſächlich erreicht, daß
Einrichtungen der gemeinſamen Armee in den Dienſt
magyariſierender Beſtrebungen geſtellt wurden, was umſo
bedenklicher iſt, als zu befürchten ſteht, daß der Widerſtand
gegen den ungariſchen Sprachenzwang ſich zukünftig auch
gegen die gemeinſame Armee kehren wird, wenn die
Rumänen, Slovaken und Serben einmal die Zurückſetzung
inne werden, die ihnen zuteil geworden.

Gegenwärtig iſt man beſtrebt, ſogenannte Konzeſſionen
zu verlangen in bezug auf die deutſche Kommando-, die
deutſche Dienſt- und die Regimentsſprache. Zwiſchen dieſen
Abſtufungen iſt wohl zu unterſcheiden, ſie ſind im praktiſchen
Militärleben nicht dasſelbe und auch keinesfalls gleichwertig.

Die Kommandoſprache iſt die Sprache der
Befehlsgebung im engern Sinne, d. i. auf dem Exerzier-
platze, vor der Front. Sie iſt wichtig, aber nicht die Haupt-
ſache. Die Kommandoſprache iſt bekanntlich in der gemein-
ſamen Armee und öſterreichiſchen Landwehr deutſch, in der
ungariſchen Landwehr magyariſch und in der kroatiſchen
kroatiſch. Entſcheidend in militäriſcher Beziehung iſt die
Dienſtſprache. Sie iſt die Sprache des täglichen
Lebens bei der Truppe und in ihr wickelt ſich innerhalb der
Truppe der ganze mündliche und ſchriftliche Verkehr ab,
vom Oberſt bis zum letzten Unteroffizier, vorausgeſetzt
natürlich, daß dieſer der deutſchen Sprache überhaupt
mächtig iſt. Erſt gegenüber dem einfachen Soldaten
wird notgedrungen allenthalben die Mutterſprache
angewandt. Doch gibt es keine Engherzigkeit in ſprachlicher
Beziehung. Für gewöhnlich ſpricht jedermann mit ſeinem
Kameraden oder Untergebenen in jener Sprache, welche
beiden am geläufigſten iſt. Immerhin hat die einheitliche
Armeeſprache eine tiefwurzelnde Bedeutung für jeden nicht-
deutſchen Truppenkörper, ſo daß jeder alte Soldat unzweifel-
haft zugeben wird, daß die Spaltung der Armee nach
zweierlei Dienſtſprachen ſehr bald eine Differenzierung auch
in anderen wichtigen Belangen zur Folge hätte. In der
einheitlichen Dienſt- und Umgangsſprache liegt eben ein
unſchätzbares, ganz unerſetzliches Unterpfand des überein-
ſtimmenden Fühlens und Denkens, der Gemeinſamkeit und
Zuſammengehörigkeit aller.




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Lachgasverſuche.

Das Lach- oder Luſtgas (Stickſtoffoxydul) und ſeine
anäſthetiſche Wirkung, die auch heute noch beim Zahn-
ziehen gute Dienſte leiſtet, iſt für uns längſt aus der
Reihe der intereſſanten chemiſchen Produkte geſchwunden
und wir wiſſen nicht mehr, was für ein Aufſehen dieſes
Stickſtoffpräparat kurz nach ſeiner Entdeckung in weiten
Kreiſen hervorgerufen hat. In dieſe „intime Geſchichte des
Lachgaſes“ und zugleich in ein amüſantes kultur-
geſchichtliches Milieu um die Wende des 18. Jahr-
hunderts führt uns ein hübſches Büchlein eines bekannten
Chemieprofeſſors, der hier ein reiches Material zur Ge-
ſchichte der Naturwiſſenſchaften vor uns ausbreitet.

Das von Prieſtley 1772 entdeckte Stickſtoffoxydul zog
das Intereſſe der Naturhiſtoriker in höchſtem Maße an.
1796 verteidigte der amerikaniſche Profeſſor Mitchill eine
abenteuerliche Theorie, nach der dieſes Gas als die
Urſache aller anſteckenden Krankheiten anzuſehen ſei und
die ſchrecklichſten Wirkungen herbeiführe, wenn es auch
nur in ganz geringen Mengen von Menſch oder Tier
eingeatmet werde.

Dieſe aus den wunderlichen Anſchauungen der
romantiſchen Medizin geborene Behauptung erſchien
damals nicht weiter ſonderbar. Hielt man doch zu ſeiner
Zeit überhaupt gewiſſe Gaſe für Krankheitserreger und
ſchrieb z. B. das Entſtehen der Schwindſucht einem zu
großen. Sauerſtoffgehalte des Organismus zu. Der
engliſche Arzt Thomas Beddoes ging daher bei ſeinen
Heilungen von der Ueberzeugung aus, daß ſich viele
Krankheiten durch das Einatmen beſtimmter Gaſe heilen
ließen, indem dieſe die Wirkung der ſchädlichen Gaſe
[Spaltenumbruch] aufheben könnten. Er gründete ein Inſtitut für dieſe
„pneumatiſche Medizin“ und ſicherte ſich dafür die Mit-
arbeit eines tüchtigen Experimentators, jenes Humphry
Davy, der zuerſt die berauſchenden Eigenſchaften des
neuen Gaſes entdeckte. Davy atmete nun dieſes „Luſt-
oder Lachgas“ zahlloſe Male ein und beſchrieb in
poetiſcher Verzückung die Empfindungen, die ihn dabei
erfaßt hätten.

Nicht in den „idealen Träumen wilden Verlangens“
habe er je Aehnliches gefühlt: „Der Buſen brennt mit
nie gefühltem Feuer, die Wange färbt ſich rot mit
glühendem Wallen; die Augen leuchten auf mit hellem
Blitzen.“

In Proſa erzählt er, in welch lebhafte Erregung
ſeine ganze Phantaſie durch dieſes Gas gebracht werde,
wie prächtige Bilder und große Gedanken ſich in ſeinem
Hirn jagten, wie er in einer ganz neuen herrlicheren Welt
zu leben meine. Davys Freunde mußten natürlich auch
die wunderbare Kraft dieſes merkwürdigen Stoffs an ſich
erproben. Auch die Dichter Coleridge und Southey
ließen ſich dadurch anregen und beſchreiben, in welch
himmliſche Fröhlichkeit ſie dadurch verſetzt wurden, wie
ſie ſich leicht und frei fühlten und in ein göttliches Ge-
lächter ausbrachen. Das große Publikum wollte gleich-
falls Anteil haben an dieſem wahrhaft olympiſchen Mittel
der Lebensſteigerung. Wo eine naturwiſſenſchaftlich in-
tereſſierte Geſellſchaft beiſammen war, da verfiel man
auf die Erprobung des Luſtgaſes.

„Einige junge Herren machten den Anfang“, ſo er-
zählt der deutſche Naturforſcher Schönbein von ſeiner
engliſchen Reiſe, „und ſie alle gaben unzweideutige Zeichen
von Wohlbehagen und wilder Luſt von ſich; ein ältlicher
geſetzter Mann hegte aber auch ſeine Zweifel und ent-
ſchloß ſich daher, ſelbſt einige Maße des Lachgaſes zu
ſich zu nehmen. Nachdem er eine Anzahl von Zügen ge-
tan, begann er auf einmal zu tanzen und richtete während
[Spaltenumbruch] ſeiner Ekſtaſe in den benachbarten Blumenbeeten die
fürchterlichſten Verwüſtungen an, zu großer Ergötzung
der Zuſchauer. Vielleicht wird es auch noch einmal bei
uns Sitte, gegen das Ende eines Gaſtmahles Stickſtoff-
oxydulgas zu atmen, anſtatt Champagner zu trinken,
und tritt dieſer Fall ein, ſo wird es auch an Luſtgas-
fabriken nicht fehlen.“

Dieſe kühne Prophezeiung iſt zwar nicht eingetroffen,
aber jedenfalls wurde damals ſo viel Lachgas in England
eingeatmet, wie nie wieder. Die kleineren Theater brachten
zur Belehrung ihres Publikums Experimente mit dem
neuen Gas, wobei einer der Zuſchauer ſich der Einatmung
unterzog und wobei, wenn der Erfolg nicht ganz ſo
großartig geweſen, wie man ſich ihn vorgeſtellt, das Ende
der Darbietung in eine wüſte Schlägerei ausartete.

Die eigentliche Hochburg der Lachgasverſuche aber
wurde das königliche Inſtitut von Großbritannien, das
der bekannte Philantrop Graf Rumford, der Erfinder
jener berühmten billigen nahrhaften „Rumforder Suppen“,
begründete. Durch dieſes Inſtitut ſollte die Kenntnis der
Naturwiſſenſchaften unter dem Publikum verbreitet werden,
und es erfreute ſich auch wirklich raſch eines außerordent-
lichen Zuſpruches.

Der Raum war bald zu klein für die Tauſende
vornehmer Herren und Damen, die ſich zu den Lachgas-
experimenten herbeidrängten. Ein neues Gebäude wurde
erbaut, „ein wahres Pantheon mit einer oben, wo das
Licht einfällt, verſchließbaren Knppel“, wie ein zeit-
genöſſiſcher Bericht ſagt. Der Saal war der prächtigſte
Hörſaal in ganz Europa. Der geniale Karikaturiſt
Gillray hat in einer Karikatur die elegante Lebewelt
Londons geſchildert, wie ſie grotesk aufgeputzt mit Notiz-
buch und Lorgnette um den Expertmentiertiſch ſitzt,
während ein vornehmer Baronet das Gas einatmet, das
aber bei ihm eine unerwartete, durchaus nicht ſalonfähige
Wirkung hervorbringt.

[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]


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[1/0001] Preis 8 h Redaktion: VIII. Strozzigaſſe 41. Telephon: 18082. Verwaltung: VIII. Strozzig. 42. Telephon: 13870. Druckerei: VIII. Strozzigaſſe 41. Telephon: 22641. Stadtexpedition I. Wollzeile 11. Zeitungsbureau H. Goldſchmied. Blattbeſtellungen übernimmt auch J. Heindl, I. Stefansplatz 7. Das Blatt erſcheint täglich ein- mal (als Morgenausgabe). Montag erfolgt die Ausgabe um 2 Uhr nachmittags. Morgenblatt. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarus. Preis 8 h Bezugspreiſe: Für Wien und Auswärts (ſamt Zuſtellung): ganzjährig ......... 32 K vierteljährig ........ 8 K monatlich ....... 2 K 75 h Für Deutſchland: vierteljährig ....... 12 K Länder des Weltpoſtvereines: vierteljährig ........ 16 K. Inſerate werden in der Verwaltung der „Reichspoſt“, VIII. Strozzigaſſe 42, ſowie in allen Annoncenbureaus des In- und Auslandes angenommen XV. Jahrgang. Wien, Dienstag, den 28. April 1908. Nr. 117. Die Nationalſprachen in der ge- meinſamen Armee. Vom Reichsratsabgeordneten Athanas von Guggenberg, General a. D. Abermals wird von Kompromiſſen geſprochen, welche die nächſte Delegationsſitzung zugunſten der Magyaren vor- bereiten ſollen. Täuſcht man ſich wirklich und überſieht, daß die Verhältniſſe in Oeſterreich, die ſolche Kompromiſſe mög- lich machten, andere geworden ſind? Schon bei den jüngſten Delegationsverhandlungen zeigte es ſich, daß die öſter- reichiſche Volksvertretung ein tatſächliches Volkshaus gewor- den. Statt des zaghaften, ſtets nachgiebigen und ſchwäch- lichen Geiſtes von ehedem, trat uns endlich einmal Selbſt- gefühl und Kraftbewußtſein vor Augen. Die Behandlung der Armeeangelegenheiten liefert uns den Beweis dafür. Würde dieſe infolge unſerer ſtaatsrecht- lichen Einrichtungen nicht dem eigentlichen Hauſe entrückt ſein, die Intereſſen der Armee fänden in dieſem ein noch beſſeres Echo. Je höher ein Volk ſeine politiſche Lage ſchätzt und je unbehinderter es ſeine geſellſchaftlichen Einrichtungen nach eigenem Gutdünken geſtalten kann, deſto ausgiebiger wird es für ſeinen eigenen Schutz ſorgen und deſto größere Opfer wird es bringen, um ſeine Armee und dadurch ſich ſelbſt unüberwindlich zu machen. Blitzartig tritt heute die Kriegsgefahr heran und wer nicht alle ſeine Verteidigungsmittel zum augenblicklichen Gebrauche bereithält, iſt von vorneherein ſo gut wie ver- loren. Alle Tapferkeit und guter Wille ſind machtlos gegen die ungeheure Zahl der raſch auftauchenden feindlichen Krieger und deren todſpeiende Geſchoſſe und Zerſtörungs- mittel. Ein beſiegter Staat iſt heute wahrhaft erbarmens- wert. Er bezahlt ſein kriegeriſches Verſäumnis mit Milli- arden von Werten und dauernd auferlegten wirtſchaftlichen Verpflichtungen, die ihn auf lange Jahre hinaus ſchädigen und gefügig erhalten. Darum auch die Wahrnehmung, daß die auf ihr Selbſtbeſtimmungsrecht und wirtſchaftliche Un- abhängigkeit meiſtbedachten Völker für die Steigerung ihrer Schlagfertigkeit ſo Außerordentliches leiſten. Die Träume vom ewigen Frieden und allgemeiner Abrüſtung ſind Blend- werk, Phantaſiegebilde, die der menſchlichen Natur wider- ſprechen. Es ſcheint, daß die Erkenntnis deſſen auch unſere Delegation beherrſcht hat, als ſie bei ihrer letzten Tagung aus eigener Initiative ſich der Armee annahm und unver- zagt der Durchſetzung ihres Willens nachging. In den Delegationen weht merklich eine andere Luft heute, als ehedem, und die chriſtlichſoziale Partei kann ſtolz darauf ſein, daß die Wandlung zum Beſſeren ſowohl im Hauſe als in den Delegationen von ihr ausgegangen iſt. Der politiſche Himmel Europas iſt nicht ſonnenhell und ein heftiges Gewitter kann über Nacht hereinbrechen. Es iſt daher unverantwortlich, daß die Magyaren die Armee benützen, um ihren überſpannten, nationalen Ehr- geiz zu ſtillen. Einſtmals ſchloß ſich Ungarn an Oeſterreich an, damit es ihm helfe, ſeine Grenzen zu ſchützen und die inneren Zwiſtigkeiten niederzuhalten. Heute lähmt Ungarn die gemeinſame Wehr. Erlitte aber Oeſterreich eine Niederlage, ſo würde es entweder zertrümmert oder auf Jahre hinaus finanziell ausgepreßt. Wer aber würde die Milliarden zahlen, die wir abgeben müßten und die Laſten tragen, die uns auferlegt würden? Oeſterreich, — gewiß nur Oeſterreich, weil es etwas zu geben hat, nicht aber Ungarn, das kapitalsarm iſt. Was will Ungarn eigentlich? Angeblich eine nationale Armee, in Wahrheit aber will es die gemeinſame Armee in den Dienſt der Magyariſierung ſtellen. Darin liegt die Haupttriebfeder aller Angriffe wider das Heer, die Kirche, die Schule und die öffentliche Verwaltung, alles arbeitet in Ungarn auf die Magyariſierung der nichtungariſchen Natio- nalitäten los, nur die gemeinſame Armee — in gewiſſem Sinne gleichfalls eine Schule höherer Art — hielt ſich bis- her dieſer Strömung ferne. Eben darum iſt ſie für die gegenwärtig in Ungarn herrſchende Klaſſe ein Stein des Anſtoßes, der umſo mißliebiger erſcheint, als die Sprache der Armee deutſch iſt. Mit der Rückberufung aller in Ungarn geborenen Offiziere in ungarländiſche Truppenkörper hat der einſeitige Druck auf die Heeresverwaltung ſeinen Anfang genommen. Leider wurde ihm willfahrt, obwohl dieſe Maßregel, wenn ſie nicht nur vorübergehend iſt, auch ihre recht bedenkliche Seite hat. Zur Verſchmelzung des Offizierskorps trägt ſie keineswegs bei, im Gegenteil iſt zu befürchten, daß mit der Zeit der vater- ländiſche Geſichtskreis vieler mehr als zuträglich eingeengt werde. Dann folgte die Begünſtigung der magyariſchen Sprache in den Militärbildungs- anſtalten. Auch hier ward den Magyaren nachgegeben, und zwar in bedenklichſter Weiſe. In allen in Ungarn befind- lichen Kadettenſchulen der gemeinſamen Armee werden ſeit dem Jahre 1904 von 20 Vortragsgegenſtänden neun magyariſch gelehrt, die übrigen deutſch und einige doppelſprachig. Während aber in den gleichartigen in Oeſterreich befind- lichen Schulen nebſt der deutſchen Armeeſprache — je nach dem Standorte der Schule — die Zöglinge auch tſchechiſch, polniſch, rutheniſch, italieniſch, kroatiſch und magyariſch lernen müſſen, wird in den ungarländiſchen Schulen weder rumäniſch, noch ſlovakiſch, noch ſerbiſch gelehrt, ſo daß die Kinder dieſer Volksſtämme ihrer Mutterſprache zugunſten des Magyariſchen vollſtändig entraten müſſen, was zur Folge hat, daß es ſeinerzeit auch bei den betreffenden Regimentern keine Offiziere geben wird, welche mit den Mannſchaften dieſer Nationalitäten in der Mutterſprache werden verkehren können. Die Magyaren haben alſo tatſächlich erreicht, daß Einrichtungen der gemeinſamen Armee in den Dienſt magyariſierender Beſtrebungen geſtellt wurden, was umſo bedenklicher iſt, als zu befürchten ſteht, daß der Widerſtand gegen den ungariſchen Sprachenzwang ſich zukünftig auch gegen die gemeinſame Armee kehren wird, wenn die Rumänen, Slovaken und Serben einmal die Zurückſetzung inne werden, die ihnen zuteil geworden. Gegenwärtig iſt man beſtrebt, ſogenannte Konzeſſionen zu verlangen in bezug auf die deutſche Kommando-, die deutſche Dienſt- und die Regimentsſprache. Zwiſchen dieſen Abſtufungen iſt wohl zu unterſcheiden, ſie ſind im praktiſchen Militärleben nicht dasſelbe und auch keinesfalls gleichwertig. Die Kommandoſprache iſt die Sprache der Befehlsgebung im engern Sinne, d. i. auf dem Exerzier- platze, vor der Front. Sie iſt wichtig, aber nicht die Haupt- ſache. Die Kommandoſprache iſt bekanntlich in der gemein- ſamen Armee und öſterreichiſchen Landwehr deutſch, in der ungariſchen Landwehr magyariſch und in der kroatiſchen kroatiſch. Entſcheidend in militäriſcher Beziehung iſt die Dienſtſprache. Sie iſt die Sprache des täglichen Lebens bei der Truppe und in ihr wickelt ſich innerhalb der Truppe der ganze mündliche und ſchriftliche Verkehr ab, vom Oberſt bis zum letzten Unteroffizier, vorausgeſetzt natürlich, daß dieſer der deutſchen Sprache überhaupt mächtig iſt. Erſt gegenüber dem einfachen Soldaten wird notgedrungen allenthalben die Mutterſprache angewandt. Doch gibt es keine Engherzigkeit in ſprachlicher Beziehung. Für gewöhnlich ſpricht jedermann mit ſeinem Kameraden oder Untergebenen in jener Sprache, welche beiden am geläufigſten iſt. Immerhin hat die einheitliche Armeeſprache eine tiefwurzelnde Bedeutung für jeden nicht- deutſchen Truppenkörper, ſo daß jeder alte Soldat unzweifel- haft zugeben wird, daß die Spaltung der Armee nach zweierlei Dienſtſprachen ſehr bald eine Differenzierung auch in anderen wichtigen Belangen zur Folge hätte. In der einheitlichen Dienſt- und Umgangsſprache liegt eben ein unſchätzbares, ganz unerſetzliches Unterpfand des überein- ſtimmenden Fühlens und Denkens, der Gemeinſamkeit und Zuſammengehörigkeit aller. Feuilleton. Lachgasverſuche. Das Lach- oder Luſtgas (Stickſtoffoxydul) und ſeine anäſthetiſche Wirkung, die auch heute noch beim Zahn- ziehen gute Dienſte leiſtet, iſt für uns längſt aus der Reihe der intereſſanten chemiſchen Produkte geſchwunden und wir wiſſen nicht mehr, was für ein Aufſehen dieſes Stickſtoffpräparat kurz nach ſeiner Entdeckung in weiten Kreiſen hervorgerufen hat. In dieſe „intime Geſchichte des Lachgaſes“ und zugleich in ein amüſantes kultur- geſchichtliches Milieu um die Wende des 18. Jahr- hunderts führt uns ein hübſches Büchlein eines bekannten Chemieprofeſſors, der hier ein reiches Material zur Ge- ſchichte der Naturwiſſenſchaften vor uns ausbreitet. Das von Prieſtley 1772 entdeckte Stickſtoffoxydul zog das Intereſſe der Naturhiſtoriker in höchſtem Maße an. 1796 verteidigte der amerikaniſche Profeſſor Mitchill eine abenteuerliche Theorie, nach der dieſes Gas als die Urſache aller anſteckenden Krankheiten anzuſehen ſei und die ſchrecklichſten Wirkungen herbeiführe, wenn es auch nur in ganz geringen Mengen von Menſch oder Tier eingeatmet werde. Dieſe aus den wunderlichen Anſchauungen der romantiſchen Medizin geborene Behauptung erſchien damals nicht weiter ſonderbar. Hielt man doch zu ſeiner Zeit überhaupt gewiſſe Gaſe für Krankheitserreger und ſchrieb z. B. das Entſtehen der Schwindſucht einem zu großen. Sauerſtoffgehalte des Organismus zu. Der engliſche Arzt Thomas Beddoes ging daher bei ſeinen Heilungen von der Ueberzeugung aus, daß ſich viele Krankheiten durch das Einatmen beſtimmter Gaſe heilen ließen, indem dieſe die Wirkung der ſchädlichen Gaſe aufheben könnten. Er gründete ein Inſtitut für dieſe „pneumatiſche Medizin“ und ſicherte ſich dafür die Mit- arbeit eines tüchtigen Experimentators, jenes Humphry Davy, der zuerſt die berauſchenden Eigenſchaften des neuen Gaſes entdeckte. Davy atmete nun dieſes „Luſt- oder Lachgas“ zahlloſe Male ein und beſchrieb in poetiſcher Verzückung die Empfindungen, die ihn dabei erfaßt hätten. Nicht in den „idealen Träumen wilden Verlangens“ habe er je Aehnliches gefühlt: „Der Buſen brennt mit nie gefühltem Feuer, die Wange färbt ſich rot mit glühendem Wallen; die Augen leuchten auf mit hellem Blitzen.“ In Proſa erzählt er, in welch lebhafte Erregung ſeine ganze Phantaſie durch dieſes Gas gebracht werde, wie prächtige Bilder und große Gedanken ſich in ſeinem Hirn jagten, wie er in einer ganz neuen herrlicheren Welt zu leben meine. Davys Freunde mußten natürlich auch die wunderbare Kraft dieſes merkwürdigen Stoffs an ſich erproben. Auch die Dichter Coleridge und Southey ließen ſich dadurch anregen und beſchreiben, in welch himmliſche Fröhlichkeit ſie dadurch verſetzt wurden, wie ſie ſich leicht und frei fühlten und in ein göttliches Ge- lächter ausbrachen. Das große Publikum wollte gleich- falls Anteil haben an dieſem wahrhaft olympiſchen Mittel der Lebensſteigerung. Wo eine naturwiſſenſchaftlich in- tereſſierte Geſellſchaft beiſammen war, da verfiel man auf die Erprobung des Luſtgaſes. „Einige junge Herren machten den Anfang“, ſo er- zählt der deutſche Naturforſcher Schönbein von ſeiner engliſchen Reiſe, „und ſie alle gaben unzweideutige Zeichen von Wohlbehagen und wilder Luſt von ſich; ein ältlicher geſetzter Mann hegte aber auch ſeine Zweifel und ent- ſchloß ſich daher, ſelbſt einige Maße des Lachgaſes zu ſich zu nehmen. Nachdem er eine Anzahl von Zügen ge- tan, begann er auf einmal zu tanzen und richtete während ſeiner Ekſtaſe in den benachbarten Blumenbeeten die fürchterlichſten Verwüſtungen an, zu großer Ergötzung der Zuſchauer. Vielleicht wird es auch noch einmal bei uns Sitte, gegen das Ende eines Gaſtmahles Stickſtoff- oxydulgas zu atmen, anſtatt Champagner zu trinken, und tritt dieſer Fall ein, ſo wird es auch an Luſtgas- fabriken nicht fehlen.“ Dieſe kühne Prophezeiung iſt zwar nicht eingetroffen, aber jedenfalls wurde damals ſo viel Lachgas in England eingeatmet, wie nie wieder. Die kleineren Theater brachten zur Belehrung ihres Publikums Experimente mit dem neuen Gas, wobei einer der Zuſchauer ſich der Einatmung unterzog und wobei, wenn der Erfolg nicht ganz ſo großartig geweſen, wie man ſich ihn vorgeſtellt, das Ende der Darbietung in eine wüſte Schlägerei ausartete. Die eigentliche Hochburg der Lachgasverſuche aber wurde das königliche Inſtitut von Großbritannien, das der bekannte Philantrop Graf Rumford, der Erfinder jener berühmten billigen nahrhaften „Rumforder Suppen“, begründete. Durch dieſes Inſtitut ſollte die Kenntnis der Naturwiſſenſchaften unter dem Publikum verbreitet werden, und es erfreute ſich auch wirklich raſch eines außerordent- lichen Zuſpruches. Der Raum war bald zu klein für die Tauſende vornehmer Herren und Damen, die ſich zu den Lachgas- experimenten herbeidrängten. Ein neues Gebäude wurde erbaut, „ein wahres Pantheon mit einer oben, wo das Licht einfällt, verſchließbaren Knppel“, wie ein zeit- genöſſiſcher Bericht ſagt. Der Saal war der prächtigſte Hörſaal in ganz Europa. Der geniale Karikaturiſt Gillray hat in einer Karikatur die elegante Lebewelt Londons geſchildert, wie ſie grotesk aufgeputzt mit Notiz- buch und Lorgnette um den Expertmentiertiſch ſitzt, während ein vornehmer Baronet das Gas einatmet, das aber bei ihm eine unerwartete, durchaus nicht ſalonfähige Wirkung hervorbringt. [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 12 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 117, Wien, 28.04.1908, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost117_1908/1>, abgerufen am 29.03.2024.