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Reichspost. Nr. 117, Wien, 28.04.1908.

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Wien, Dienstag Reichspost 28. April 1908 117

[Spaltenumbruch]

Unter Regimentssprache versteht man die in
einem Truppenkörper durch die Mannschaft vorwiegend
gesprochene Sprache. Je nach der Nationalität gibt es in
einer Truppe oft 2 bis 3 und mehr Sprachen. Seit langem
ist es jedoch üblich, innerhalb eines Truppenkörpers nur
dann eine Sprache zur Regimentssprache zu erklären,
wenn wenigstens 20% des Mannschaftsstandes dieser
Sprache zugehören. Solcherart kann ein und dieselbe
Truppe auch mehr als zwei Regimentssprachen besitzen.
Es wurde aber vor einigen Jahren verfügt, daß bei den
ungarländischen Truppen zugunsten der magyarischen
Regimentssprache auch andersnationale Mannschaft zu diesen
20% einzurechnen sei, soferne sie nebst ihrer Muttersprache
auch des Magyarischen mächtig ist. Auf diese Weise wurde
erreicht, daß unter den ungarländischen Regimentern es nur
mehr ganz wenige gibt, für die die magyarische Sprache
nicht gleichzeitig Regimentssprache ist.

Da überdies in Ungarn die magyarische Sprache
gesetzlich zur Staatssprache, also zur Sprache des öffentlichen
Verkehres erklärt ist und diese Sprache in allen Volksschulen
des Landes gelehrt wird, so begreift es sich auch, daß die
Truppen mit magyarischer Regimentssprache stetig zu-
nehmen, weil die Kenntnis des Magyarischen sich eben
immer mehr verbreitet. In Oesterreich ist das Umgekehrte
der Fall, hier nehmen die reindeutschen Regimenter stetig
ab, weil die in sie eingestellten anderssprachigen Rekruten
anwachsen. Unter den 37 ungarländischen Infanterie-
regimentern gibt es angeblich bereits 15 rein magyarische,
hingegen unter den 65 österreichischen Regimentern nur
mehr 8 rein deutsche. Die Regimentssprachen mancher
Truppenkörper sind also gewissen Wandlungen unter-
worfen.

Die Regimentssprache hat nicht die Bedeutung der
Dienstsprache, gleichgültig ist sie aber doch nicht. Sie dient
vernehmlich dazu, um dem Reichskriegsministerium die Ein-
teilung der Offiziere zu erleichtern. Aus ihr ersieht die
Zentralbehörde, welcher Sprache der Offizier vorwiegend
mächtig sein müsse, um in der betreffenden Truppe er-
sprießlich wirken zu können. Immerhin ist die Regiments-
sprache aber doch bis zu einem gewissen Grade auch be-
stimmend für die Wahl der Unterrichtssprache, weil alle
jene Leute, welche zwei oder mehr Sprachen sprechen, selbst-
verständlich in jener Sprache unterrichtet werden, die auch
der Offizier beherrscht und nach dem geschilderten Bildungs-
gange der Offiziere kann dies bei den ungarländischen
Truppenkörpern eben nur die magyarische sein, weil nur
diese in den Kadettenschulen gelehrt wird. Andererseits ist
die Unterweisung der Mannschaft naturgemäß umso leichter,
je weniger Nationalsprachen in der Truppe vorkommen
oder, was bezüglich des Unterrichtsergebnisses wohl das-
selbe ist, je mehr Lente ein und dieselbe Sprache verstehen.

In jüngster Zeit tauchte zu den vorstehenden noch eine
neue militärische Sprachkennzeichnung auf, nämlich der
Ausdruck "Geschäftssprache", die den Magyaren
angeblich zugestanden werden soll. Was darunter zu ver-
stehen sei, ist jedoch nicht ganz klar. Daß nicht die Ver-
kehrssprache mit den ungarländischen Behörden gemeint sein
könne, ist sicher, denn seit einigen Jahren sind ohnehin alle
ungarländischen Truppen verpflichtet, mit dem einheimischen
Behörden magyarisch zu verkehren. Sollte aber unter jenem
Ausdrucke etwa gemeint sein, daß die Abwicklung der
inneren Geschäftsgebarung bei den Regimentern, die Aus-
fertigung von schriftlichen Dienststücken, Befehlen u. dgl, ge-
meint sei, dann ist es nichts anderes als der Ersatz der
deutschen Dienstsprache durch die magyarische, nur auf einem
Umwege und unter einem andern Schlagworte.

Es gereicht der Armee gewiß zum Vorteil und der
Truppe zum Nutzen, daß endlich ernstliche Vorkehrungen
getroffen wurden, damit die Offiziere die Muttersprache der
durch sie befehligten Mannschaften auch tatsächlich sich an-
eignen müssen. Auch die Heranziehung eines ausgiebigen
[Spaltenumbruch] ungarländischen Nachwuchses für das Offizierskorps der ge-
meinsamen Armee ist nur zu begrüßen. Bisher waren nahe-
zu 80% der Offiziere Oesterreicher, die vielmals der
Landessprache ihrer Untergebenen nur notdürftig mächtig
waren. Binnen wenigen Jahren wird dies aber wesentlich
anders sein. Vom Jahre 1908 ab werden alle in die Armee
neu eintretenden Offiziere und Kadetten nebst der deutschen
noch eine zweite Regimentssprache beherrschen und kurz
darauf werden auch die Militärbildungsaustalten mit der
Abgabe jener ihrer Zöglinge an die Armee beginnen, welche
auf den jüngst neu gestifteten ungarischen Aerarialfreiplätzen
untergebracht wurden. Die Kenntnis der verschiedenen
Landessprachen und insbesonders der magyarischen Sprache
innerhalb der gemeinsamen Armee wird also binnen kurzem
sehr bedeutend zunehmen, ja letzterer Sprache wird eine
Stellung angewiesen sein, die über das rein militärische Be-
dürfnis augenscheinlich hinausreicht. Worin sollen also die
bisher geheimgehaltenen Konzessionen bestehen, welche Ungarn
in bezug auf auf die gemeinsamen Armee noch immer glaubt
fordern zu können? In Wahrheit scheint es sich doch immer
wieder um die magyarische Dienstsprache zu handeln, be-
züglich welcher ein Paktieren nicht möglich ist, soll die Ein-
heit und Gemeinsamkeit der Armee nicht dauernd leiden
und gänzlich in die Brüche gehen. Die Wappen- und
Fahnenfrage steht unserer Meinung nach erst in zweiter
Linie.

Es ist wichtig, daß mit dem Hinausschieben und Ver-
schleppen aller militärischen Angelegenheiten endlich gebrochen
wurde. Die Sicherheit und der Bestand des Staates
erfordern die zeitgemäße Ausgestaltung der Armee. Wir
wollen uns nicht erneuten Niederlagen aussetzen. Unser
Volk schreit förmlich nach einem Wehrgesetz mit zweijähriger
Dienstpflicht, nach Erleichterungen in der Stellungspflicht,
nach Ernteurlauben und Abkürzung der Waffenübungen,
nach einem neuen Militärstrafgesetze und moderner Rechts-
pflege, nach angemessener Versorgung der Invaliden sowie
vielen anderen berechtigten Dingen, die ohne Bedenken
geboten werden können und der Armee selbst zugute kämen.
Oesterreich trägt jährlich viele Millionen bei für die Er-
haltung der ungarländischen Truppen und zum Lohne dessen
soll eine starrköpfige, in der Minderheit befindliche Partei
es in ihrer Macht haben, uns vor wohlerwogenen und
zweckförderlichen Beschlüssen zurückzuhalten? Ein solcher
Zustand ist unhaltbar und nicht allein unwürdig, sondern
auf die Dauer für den Gesamtstaat im höchsten Grade
gefährlich.




Serbien und Novibazar.
Ein serbischer Auschlag gegen die Sandschak-
bahn.

Man erinnert sich der blutrünstigen Aeußerung, die
jüngst ein serbischer, in Nisch stationierter Offizier über die
Sandschakbahn tat: Serbien werde sich eher in einen
Trümmerhaufen verwandeln lassen, bevor es den Bau dieser
von Oesterreich in Angriff genommenen Bahn zulassen
würde. Wie sich jetzt zeigt, war es nicht eine in die Luft
gesprochene Drohung, die diese Worte enthielten, sondern
es war den wahnsinnigen serbischen Chauvinisten, denen die
unbegrenzten Möglichkeiten ihres heimatlichen Regimes
völlig die Köpfe verwirrt haben, blutiger Ernst damit. Aus
Uesküb wird berichtet, daß die türkischen Behörden einer
über den Sandschak Novibazar verzweig-
ten serbischen Verschwörung auf die
Spurgekommen sind,
die von dem "Komitee
derferbischen Verteidigung"
in Belgrad
organisiert wurde und den Zweck hatte, die am 25. d. be-
reits in Angriff genommenen Arbeiten für den
Bau der Sandschakbahn zu ver-
eiteln.
An der Spitze dieser Verschwörung standen
die Popen Jewstatije und Prota Jowan
Karamatijevic, Vater und Sohn, in Nowi-
Warosch und die serbischen Lehrer Samarsic, Antonijevic
[Spaltenumbruch] und Peric. Die Hausdurchsuchungen ergaben komprimittie-
rendes Beweismaterial für die Verbindung dieser Personen
mit dem Belgrader Komitee der serbischen Verteidigung.
Die Schuldigen wurden verhaftet und nach Uesküb einge-
liefert. -- Die türkischen Behörden drohen, wie man der
"N. Fr. Pr." meldet, mit der Schließung aller serbischen
Schulen im Sandschak Novibazar, wenn die serbische Geist-
lichkeit und die serbischen Lehrer nicht aufhören, die ortho-
doxe Bevölkerung gegen den Bau der Sandschakbahn auf-
zuwiegeln.

Der Sandschak Novibazar ist in seinem nördlichen
Teile fast ausschließlich von Serben bewohnt, unter denen
sich nur kleine mohammedanische Siedelungen be-
finden; gegen Uesküb zu dringt auch schon das
albanesische Element ein und überwiegt die mohammedanische
Bevölkerung, die mit den Serben in der Regel nicht in
guten Beziehungen steht. Das in Schulsachen sehr liberale
türkische Regime hat es gestattet, daß die Serben und
Montenegriner im Sandschak verschiedene autonome National-
schulen erhalten, von denen es aber dem Kenner des
Landes niemals ein Geheimnis war, daß sie viel weniger
der Schulerziehung als dem politischen Agentendienste
diente. Die Lehrer sind nicht selten Abenteurer, denen zu
ihrem Lehrerberufe alles abgeht, die aber umso eifriger sich
der politischen Agitation und der Spionage hingeben. Nicht
selten trifft man im Sandschak Novibazar diese Schulen an
militärisch wichtigen Beobachtungspunkten gebaut.

Von welchem Haß gegen Oesterreich unter dem Drucke
dieser Agitation die Bevölkerung dieser Gegenden beseelt
ist, davon gibt ein in der österreichischen
Offiziersmesse in Priboj
getaner Ausspruch
des benachbarten serbischen Archimandriten
Zeugnis: "Die Oesterreicher mögen uns
Straßen bauen, die Post versorgen, Aerzte und Medizinen
bringen und für die Sicherheit sorgen -- aber lieber
möge das türkische Joch fortdauern, be-
vor Oesterreich den Sandschak erhalten
soll.
" Es ist zu bemerken, daß die von den k. u. k. Truppen
durchgeführten Straßenbauten im nördlichen Sandschak der
ganzen Bevölkerung zugute kommen und daß bei den kleinsten
k. u. k. Garnisonen Militärärzte stationiert sind, um der Be-
völkerung unentgeltlich ärztliche Hilfe zu geben. Auch sonst
erfährt die Bevölkerung von den k. u. k. Truppen das denk-
bar größte Entgegenkommen.

Es wird voraussichtlich -- da mit der Verhastung
einiger Schuldiger das Feuer nicht ausgetreten ist -- nichts
übrig bleiben, als daß der Trassierungslinie der Sandschak-
bahn entlang österreichisch-ungarische Truppen vorgeschoben
werden, wenigstens bis Novibazar, während
der südliche Teil der Strecke: Mitrovitza-Novi-
bazar
von türkischen Truppen unter strenge Kontrolle
genommen werden könnte. Wie wenig die offiziellen Kreise
in Serbien Grund haben, den Mantel ihrer Liebe über die
Umtriebe jenseits der serbischen Grenzen zu breiten und wie
gut sie täten, im eigenen Hause vorzusorgen, beweist ein
Vorfall, der sich am griechischen Palmsonntag, wie die Lon-
doner "Daily Mail" meldet, in der Kathedrale zu Belgrad
in Gegenwart des Königs Peter und vieler Würdenträger
ereignete: Der Militärkaplan Sabbas Keichzt hielt eine
Predigt, die sich gegen die Dynastie Karageorgevich richtete.
"Mein Gewissen erlaubt mir nicht", sagte der Prediger,
"die nationale Bedeutung dieses Tages zu übergehen, der so
eng mit dem Andenken der großen Dynastie Obrenovich ver-
knüpft ist. Der große Milosch erhob am Palmsonntag die Fahne
der Revolution gegen die moslemitischen Unterdrücker, und
sein Sohn, Michael der Märtyrer, nahm an diesem Tage
Besitz von ihrer letzten Feste. Seine Gebeine liegen in
dieser Kirche, eine ewige Mahnung daran, was wir ihm
schulden. Schande über den Elenden, der den
Tod des patriotischen Prinzen herbeigeführt hat! Ruhm
den Herschern des Hauses Obrenovich!"

König Peter soll bei diesen Worten regungslos vor sich
hingestarrt haben. Es heißt, der Prediger wurde in der
Sakristei von den übrigen Geistlichen zu seinem Mut be-
glückwünscht und es wurde ihm versichert, die Geistlichkeit
werde in allen Fällen zu ihm stehen.

Der "Trümmerhaufen" ist also für König Peter nahe
genug. Er braucht dazu die Sandschakbahn nicht.




[Spaltenumbruch]

Ueberhaupt war die Wirkung des Lustgases keines-
wegs immer so angenehm, wie die ersten Experimentatoren
verkündet hatten. Als die Versuche Davys auf dem Kon-
tinent wiederholt wurden, kam man zu ganz anderen
Resultaten und überall machte sich eine große Enttäuschung
geltend. So berichtet der berühmte französische Gelehrte
Pronst: "Ich war willens, das oxydierte Stickgas zu atmen,
um die fröhliche Trunkenheit zu kosten, welche die englischen
Chemiker davon verkündigten. Ich hatte mit Sorgfalt
alle Vorbereitungen dazu getroffen; von dem Gas war
nur derjenige Anteil aufgefangen, der einen bleibenden
Eindruck im Schlunde zurückließ. In meinem Lehnstuhl
sitzend, voll Vertrauens, jedoch unter den Augen einer
Person, die mir sagen konnte, wenn sie Veränderungen
an mir durch Zeichen von Ekstase oder Grimassen wahr-
nähme, fing ich an, reichlich zu atmen, nachdem ich vor-
her die Lungen durch Ausatmen von Luft entleert hatte.
Aber wie geschah mir? Verwirrung meines Gesichts,
eine wachsende Betäubung, Anast, Doppeltsehen, Ohn-
macht endlich endigten den Versuch. Ich hatte genug, ich
fühlte mich soweit von jener sanften Fröhlichkeit ent-
fernt, daß ich gänzlich die Lust verlor fortzufahren."
Auch der deutsche Chemiker Wurzer machte mit dem Lust-
gas wenig lustvolle Erfahrungen. "Ein quälendes Ge-
fühl in der Brust und ein Druck in der Gegend der
Schläfe war die Wirkung, die ich davon empfand."

Die Lachgasmode griff daher auf dem Kontinent
nicht sehr um sich, zumal man auch in England die Un-
sicherheit der Wirkung immer deutlicher erkannte, und
eine neue Periode in seiner Geschichte brach erst an, als
es Horace Wells 1844 zum erstenmale als Anästhetikum
benutzte.




[Spaltenumbruch]
Streiflichter.
Sozialdemokraten als Söldlinge einer Spiel-
hölle.

Aus Brüssel wird uns geschrieben: In der
Vorwoche verurteilte der Gerichtshof von Brügge den
Spielhöllenbesitzer Marquet, der mit einem in nichts
hinter der "Bank" von Monaco zurückstehenden Salon
in Ostende Millionen verdient hatte und sich nur sehr
ungern die kommende Badesaison entgehen ließ. Marquet
war lange Zeit den das Hasardspiel verbietenden Gesetzen
Belgiens mit Anwendung aller Kniffe entgangen. Und
als der Mann endlich doch straffällig wurde, wählte
er -- zwei sozialistische Abgeordnete, Grimard und
Picard, zu seinen Advokaten. Dazu schrieb das
sozialdemokratische Hauptorgan Belgiens, "Le Peuple":

"Am bedauerlichsten ist es, daß, wenn endlich das Gericht,
um einem bereits zu lange dauernden Skandal ein Ende zu
bereiten, das Gesetz walten läßt, Gesetzgeber den
Schuldigen verteidigen, große Gelehrte verspotten und
Marquet rein zu waschen suchen, indem man ihn, ohne zu
erröten, mit einem Alexander dem Großen vergleicht, und
ohne zu lachen, als einen Wohltäter der Menschheit hinstellt.
So weit hat uns in wenigen Jahren die
Freigebigkeit des Großmeisters des
Spiels gebracht.
Das Gericht von Brügge hat jetzt
die Quelle dieser Freigebigkeit verstopft. Das bedeutet einen
Sieg für alle, die meinen, daß die Emanzipation des
Proletariats nur dort möglich, wo die Seelen nicht herab-
gewürdigt sind."

Nie hat ein der Sozialdemokratie feindliches Blatt
ein so vernichtendes Urteil ausgesprochen wie dieses Partei-
organ. Zwei sozialistische Abgeordnete
haben den unehrlich zu Millionen
gekommenen Verbrecher verteidigt,
und das wegen der großen Geld-
summen, die er, der Besitzer der
[Spaltenumbruch] Spiele, gegeben
-- braucht es mehr? Auch
mit mehreren anderen Abgeordneten ihrer Partei sind
die "Genossen" Belgiens nicht zufrieden. Auf dem vor
einigen Tagen abgehaltenen sozialdemokratischen Kongreß
wurde bitter geklagt über das Fernbleiben der sozial-
demokratischen Abgeordneten von den Kammersitzungen.
"Genosse" Fayt von Thuin erklärte: "Das Wählen
ist für uns obligatorisch, die Anwesenheit in den
Sitzungen muß es für die Gewählten sein.
Ein zu Gunsten der Arbeiter durch Genossen Denis
vorgeschlagenes Amendement wurde verworfen, weil
drei sozialistische Abgeordnete fehlten.
Ich fordere die Anwesenheit unserer Abgeordneten und
verlange, daß unser Blatt jeden Tag die Namen
der Abwesenden veröffentlicht.
" Und
"Genosse" Baeck fügte hinzu: "Ich habe schon öfters
ähnliche Kritik geübt, doch je mehr man darauf dringt,
um so weniger erreicht man. Es gibt Abgeordnete, die
nie den Sitzungen beiwohnen." Und "Le Peuple" setzt
hinzu: "Die Genossen wollen nicht, daß der Sozialismus
für die Abgeordneten ein Luxusartikel sei, sondern
daß die Abgeordneten Sozialdemokraten seien wie die
Arbeiter.




Ein Schulbeispiel.

Es brachte jüngst, wie die "Reichspost" gemeldet,
das sozialdemokratische Organ für Tirol und Vorarlberg
einen geharnischten Artikel gegen die Klostermädchen-
volksschule in Talbach in Bregenz, in dem gemeldet
wurde, daß eine Lehrschwester der ersten Klasse einem
Mädchen den Gang zum Abort verwehrt habe; als dar-
aufhin das Kind den Boden näßte, habe die Schwester
voll Zorn einen Fetzen holen lassen und das Mädchen
gezwungen, den Boden zu sänbern und dann den
Fetzen dem armen Kinde um den Mund ge-
bunden.


Wien, Dienstag Reichspoſt 28. April 1908 117

[Spaltenumbruch]

Unter Regimentsſprache verſteht man die in
einem Truppenkörper durch die Mannſchaft vorwiegend
geſprochene Sprache. Je nach der Nationalität gibt es in
einer Truppe oft 2 bis 3 und mehr Sprachen. Seit langem
iſt es jedoch üblich, innerhalb eines Truppenkörpers nur
dann eine Sprache zur Regimentsſprache zu erklären,
wenn wenigſtens 20% des Mannſchaftsſtandes dieſer
Sprache zugehören. Solcherart kann ein und dieſelbe
Truppe auch mehr als zwei Regimentsſprachen beſitzen.
Es wurde aber vor einigen Jahren verfügt, daß bei den
ungarländiſchen Truppen zugunſten der magyariſchen
Regimentsſprache auch andersnationale Mannſchaft zu dieſen
20% einzurechnen ſei, ſoferne ſie nebſt ihrer Mutterſprache
auch des Magyariſchen mächtig iſt. Auf dieſe Weiſe wurde
erreicht, daß unter den ungarländiſchen Regimentern es nur
mehr ganz wenige gibt, für die die magyariſche Sprache
nicht gleichzeitig Regimentsſprache iſt.

Da überdies in Ungarn die magyariſche Sprache
geſetzlich zur Staatsſprache, alſo zur Sprache des öffentlichen
Verkehres erklärt iſt und dieſe Sprache in allen Volksſchulen
des Landes gelehrt wird, ſo begreift es ſich auch, daß die
Truppen mit magyariſcher Regimentsſprache ſtetig zu-
nehmen, weil die Kenntnis des Magyariſchen ſich eben
immer mehr verbreitet. In Oeſterreich iſt das Umgekehrte
der Fall, hier nehmen die reindeutſchen Regimenter ſtetig
ab, weil die in ſie eingeſtellten andersſprachigen Rekruten
anwachſen. Unter den 37 ungarländiſchen Infanterie-
regimentern gibt es angeblich bereits 15 rein magyariſche,
hingegen unter den 65 öſterreichiſchen Regimentern nur
mehr 8 rein deutſche. Die Regimentsſprachen mancher
Truppenkörper ſind alſo gewiſſen Wandlungen unter-
worfen.

Die Regimentsſprache hat nicht die Bedeutung der
Dienſtſprache, gleichgültig iſt ſie aber doch nicht. Sie dient
vernehmlich dazu, um dem Reichskriegsminiſterium die Ein-
teilung der Offiziere zu erleichtern. Aus ihr erſieht die
Zentralbehörde, welcher Sprache der Offizier vorwiegend
mächtig ſein müſſe, um in der betreffenden Truppe er-
ſprießlich wirken zu können. Immerhin iſt die Regiments-
ſprache aber doch bis zu einem gewiſſen Grade auch be-
ſtimmend für die Wahl der Unterrichtsſprache, weil alle
jene Leute, welche zwei oder mehr Sprachen ſprechen, ſelbſt-
verſtändlich in jener Sprache unterrichtet werden, die auch
der Offizier beherrſcht und nach dem geſchilderten Bildungs-
gange der Offiziere kann dies bei den ungarländiſchen
Truppenkörpern eben nur die magyariſche ſein, weil nur
dieſe in den Kadettenſchulen gelehrt wird. Andererſeits iſt
die Unterweiſung der Mannſchaft naturgemäß umſo leichter,
je weniger Nationalſprachen in der Truppe vorkommen
oder, was bezüglich des Unterrichtsergebniſſes wohl das-
ſelbe iſt, je mehr Lente ein und dieſelbe Sprache verſtehen.

In jüngſter Zeit tauchte zu den vorſtehenden noch eine
neue militäriſche Sprachkennzeichnung auf, nämlich der
Ausdruck „Geſchäftsſprache“, die den Magyaren
angeblich zugeſtanden werden ſoll. Was darunter zu ver-
ſtehen ſei, iſt jedoch nicht ganz klar. Daß nicht die Ver-
kehrsſprache mit den ungarländiſchen Behörden gemeint ſein
könne, iſt ſicher, denn ſeit einigen Jahren ſind ohnehin alle
ungarländiſchen Truppen verpflichtet, mit dem einheimiſchen
Behörden magyariſch zu verkehren. Sollte aber unter jenem
Ausdrucke etwa gemeint ſein, daß die Abwicklung der
inneren Geſchäftsgebarung bei den Regimentern, die Aus-
fertigung von ſchriftlichen Dienſtſtücken, Befehlen u. dgl, ge-
meint ſei, dann iſt es nichts anderes als der Erſatz der
deutſchen Dienſtſprache durch die magyariſche, nur auf einem
Umwege und unter einem andern Schlagworte.

Es gereicht der Armee gewiß zum Vorteil und der
Truppe zum Nutzen, daß endlich ernſtliche Vorkehrungen
getroffen wurden, damit die Offiziere die Mutterſprache der
durch ſie befehligten Mannſchaften auch tatſächlich ſich an-
eignen müſſen. Auch die Heranziehung eines ausgiebigen
[Spaltenumbruch] ungarländiſchen Nachwuchſes für das Offizierskorps der ge-
meinſamen Armee iſt nur zu begrüßen. Bisher waren nahe-
zu 80% der Offiziere Oeſterreicher, die vielmals der
Landesſprache ihrer Untergebenen nur notdürftig mächtig
waren. Binnen wenigen Jahren wird dies aber weſentlich
anders ſein. Vom Jahre 1908 ab werden alle in die Armee
neu eintretenden Offiziere und Kadetten nebſt der deutſchen
noch eine zweite Regimentsſprache beherrſchen und kurz
darauf werden auch die Militärbildungsauſtalten mit der
Abgabe jener ihrer Zöglinge an die Armee beginnen, welche
auf den jüngſt neu geſtifteten ungariſchen Aerarialfreiplätzen
untergebracht wurden. Die Kenntnis der verſchiedenen
Landesſprachen und insbeſonders der magyariſchen Sprache
innerhalb der gemeinſamen Armee wird alſo binnen kurzem
ſehr bedeutend zunehmen, ja letzterer Sprache wird eine
Stellung angewieſen ſein, die über das rein militäriſche Be-
dürfnis augenſcheinlich hinausreicht. Worin ſollen alſo die
bisher geheimgehaltenen Konzeſſionen beſtehen, welche Ungarn
in bezug auf auf die gemeinſamen Armee noch immer glaubt
fordern zu können? In Wahrheit ſcheint es ſich doch immer
wieder um die magyariſche Dienſtſprache zu handeln, be-
züglich welcher ein Paktieren nicht möglich iſt, ſoll die Ein-
heit und Gemeinſamkeit der Armee nicht dauernd leiden
und gänzlich in die Brüche gehen. Die Wappen- und
Fahnenfrage ſteht unſerer Meinung nach erſt in zweiter
Linie.

Es iſt wichtig, daß mit dem Hinausſchieben und Ver-
ſchleppen aller militäriſchen Angelegenheiten endlich gebrochen
wurde. Die Sicherheit und der Beſtand des Staates
erfordern die zeitgemäße Ausgeſtaltung der Armee. Wir
wollen uns nicht erneuten Niederlagen ausſetzen. Unſer
Volk ſchreit förmlich nach einem Wehrgeſetz mit zweijähriger
Dienſtpflicht, nach Erleichterungen in der Stellungspflicht,
nach Ernteurlauben und Abkürzung der Waffenübungen,
nach einem neuen Militärſtrafgeſetze und moderner Rechts-
pflege, nach angemeſſener Verſorgung der Invaliden ſowie
vielen anderen berechtigten Dingen, die ohne Bedenken
geboten werden können und der Armee ſelbſt zugute kämen.
Oeſterreich trägt jährlich viele Millionen bei für die Er-
haltung der ungarländiſchen Truppen und zum Lohne deſſen
ſoll eine ſtarrköpfige, in der Minderheit befindliche Partei
es in ihrer Macht haben, uns vor wohlerwogenen und
zweckförderlichen Beſchlüſſen zurückzuhalten? Ein ſolcher
Zuſtand iſt unhaltbar und nicht allein unwürdig, ſondern
auf die Dauer für den Geſamtſtaat im höchſten Grade
gefährlich.




Serbien und Novibazar.
Ein ſerbiſcher Auſchlag gegen die Sandſchak-
bahn.

Man erinnert ſich der blutrünſtigen Aeußerung, die
jüngſt ein ſerbiſcher, in Niſch ſtationierter Offizier über die
Sandſchakbahn tat: Serbien werde ſich eher in einen
Trümmerhaufen verwandeln laſſen, bevor es den Bau dieſer
von Oeſterreich in Angriff genommenen Bahn zulaſſen
würde. Wie ſich jetzt zeigt, war es nicht eine in die Luft
geſprochene Drohung, die dieſe Worte enthielten, ſondern
es war den wahnſinnigen ſerbiſchen Chauviniſten, denen die
unbegrenzten Möglichkeiten ihres heimatlichen Regimes
völlig die Köpfe verwirrt haben, blutiger Ernſt damit. Aus
Uesküb wird berichtet, daß die türkiſchen Behörden einer
über den Sandſchak Novibazar verzweig-
ten ſerbiſchen Verſchwörung auf die
Spurgekommen ſind,
die von dem „Komitee
derferbiſchen Verteidigung“
in Belgrad
organiſiert wurde und den Zweck hatte, die am 25. d. be-
reits in Angriff genommenen Arbeiten für den
Bau der Sandſchakbahn zu ver-
eiteln.
An der Spitze dieſer Verſchwörung ſtanden
die Popen Jewſtatije und Prota Jowan
Karamatijevic, Vater und Sohn, in Nowi-
Waroſch und die ſerbiſchen Lehrer Samarſic, Antonijevic
[Spaltenumbruch] und Peric. Die Hausdurchſuchungen ergaben komprimittie-
rendes Beweismaterial für die Verbindung dieſer Perſonen
mit dem Belgrader Komitee der ſerbiſchen Verteidigung.
Die Schuldigen wurden verhaftet und nach Uesküb einge-
liefert. — Die türkiſchen Behörden drohen, wie man der
„N. Fr. Pr.“ meldet, mit der Schließung aller ſerbiſchen
Schulen im Sandſchak Novibazar, wenn die ſerbiſche Geiſt-
lichkeit und die ſerbiſchen Lehrer nicht aufhören, die ortho-
doxe Bevölkerung gegen den Bau der Sandſchakbahn auf-
zuwiegeln.

Der Sandſchak Novibazar iſt in ſeinem nördlichen
Teile faſt ausſchließlich von Serben bewohnt, unter denen
ſich nur kleine mohammedaniſche Siedelungen be-
finden; gegen Uesküb zu dringt auch ſchon das
albaneſiſche Element ein und überwiegt die mohammedaniſche
Bevölkerung, die mit den Serben in der Regel nicht in
guten Beziehungen ſteht. Das in Schulſachen ſehr liberale
türkiſche Regime hat es geſtattet, daß die Serben und
Montenegriner im Sandſchak verſchiedene autonome National-
ſchulen erhalten, von denen es aber dem Kenner des
Landes niemals ein Geheimnis war, daß ſie viel weniger
der Schulerziehung als dem politiſchen Agentendienſte
diente. Die Lehrer ſind nicht ſelten Abenteurer, denen zu
ihrem Lehrerberufe alles abgeht, die aber umſo eifriger ſich
der politiſchen Agitation und der Spionage hingeben. Nicht
ſelten trifft man im Sandſchak Novibazar dieſe Schulen an
militäriſch wichtigen Beobachtungspunkten gebaut.

Von welchem Haß gegen Oeſterreich unter dem Drucke
dieſer Agitation die Bevölkerung dieſer Gegenden beſeelt
iſt, davon gibt ein in der öſterreichiſchen
Offiziersmeſſe in Priboj
getaner Ausſpruch
des benachbarten ſerbiſchen Archimandriten
Zeugnis: „Die Oeſterreicher mögen uns
Straßen bauen, die Poſt verſorgen, Aerzte und Medizinen
bringen und für die Sicherheit ſorgen — aber lieber
möge das türkiſche Joch fortdauern, be-
vor Oeſterreich den Sandſchak erhalten
ſoll.
“ Es iſt zu bemerken, daß die von den k. u. k. Truppen
durchgeführten Straßenbauten im nördlichen Sandſchak der
ganzen Bevölkerung zugute kommen und daß bei den kleinſten
k. u. k. Garniſonen Militärärzte ſtationiert ſind, um der Be-
völkerung unentgeltlich ärztliche Hilfe zu geben. Auch ſonſt
erfährt die Bevölkerung von den k. u. k. Truppen das denk-
bar größte Entgegenkommen.

Es wird vorausſichtlich — da mit der Verhaſtung
einiger Schuldiger das Feuer nicht ausgetreten iſt — nichts
übrig bleiben, als daß der Traſſierungslinie der Sandſchak-
bahn entlang öſterreichiſch-ungariſche Truppen vorgeſchoben
werden, wenigſtens bis Novibazar, während
der ſüdliche Teil der Strecke: Mitrovitza-Novi-
bazar
von türkiſchen Truppen unter ſtrenge Kontrolle
genommen werden könnte. Wie wenig die offiziellen Kreiſe
in Serbien Grund haben, den Mantel ihrer Liebe über die
Umtriebe jenſeits der ſerbiſchen Grenzen zu breiten und wie
gut ſie täten, im eigenen Hauſe vorzuſorgen, beweiſt ein
Vorfall, der ſich am griechiſchen Palmſonntag, wie die Lon-
doner „Daily Mail“ meldet, in der Kathedrale zu Belgrad
in Gegenwart des Königs Peter und vieler Würdenträger
ereignete: Der Militärkaplan Sabbas Keichzt hielt eine
Predigt, die ſich gegen die Dynaſtie Karageorgevich richtete.
„Mein Gewiſſen erlaubt mir nicht“, ſagte der Prediger,
„die nationale Bedeutung dieſes Tages zu übergehen, der ſo
eng mit dem Andenken der großen Dynaſtie Obrenovich ver-
knüpft iſt. Der große Miloſch erhob am Palmſonntag die Fahne
der Revolution gegen die moslemitiſchen Unterdrücker, und
ſein Sohn, Michael der Märtyrer, nahm an dieſem Tage
Beſitz von ihrer letzten Feſte. Seine Gebeine liegen in
dieſer Kirche, eine ewige Mahnung daran, was wir ihm
ſchulden. Schande über den Elenden, der den
Tod des patriotiſchen Prinzen herbeigeführt hat! Ruhm
den Herſchern des Hauſes Obrenovich!

König Peter ſoll bei dieſen Worten regungslos vor ſich
hingeſtarrt haben. Es heißt, der Prediger wurde in der
Sakriſtei von den übrigen Geiſtlichen zu ſeinem Mut be-
glückwünſcht und es wurde ihm verſichert, die Geiſtlichkeit
werde in allen Fällen zu ihm ſtehen.

Der „Trümmerhaufen“ iſt alſo für König Peter nahe
genug. Er braucht dazu die Sandſchakbahn nicht.




[Spaltenumbruch]

Ueberhaupt war die Wirkung des Luſtgaſes keines-
wegs immer ſo angenehm, wie die erſten Experimentatoren
verkündet hatten. Als die Verſuche Davys auf dem Kon-
tinent wiederholt wurden, kam man zu ganz anderen
Reſultaten und überall machte ſich eine große Enttäuſchung
geltend. So berichtet der berühmte franzöſiſche Gelehrte
Pronſt: „Ich war willens, das oxydierte Stickgas zu atmen,
um die fröhliche Trunkenheit zu koſten, welche die engliſchen
Chemiker davon verkündigten. Ich hatte mit Sorgfalt
alle Vorbereitungen dazu getroffen; von dem Gas war
nur derjenige Anteil aufgefangen, der einen bleibenden
Eindruck im Schlunde zurückließ. In meinem Lehnſtuhl
ſitzend, voll Vertrauens, jedoch unter den Augen einer
Perſon, die mir ſagen konnte, wenn ſie Veränderungen
an mir durch Zeichen von Ekſtaſe oder Grimaſſen wahr-
nähme, fing ich an, reichlich zu atmen, nachdem ich vor-
her die Lungen durch Ausatmen von Luft entleert hatte.
Aber wie geſchah mir? Verwirrung meines Geſichts,
eine wachſende Betäubung, Anaſt, Doppeltſehen, Ohn-
macht endlich endigten den Verſuch. Ich hatte genug, ich
fühlte mich ſoweit von jener ſanften Fröhlichkeit ent-
fernt, daß ich gänzlich die Luſt verlor fortzufahren.“
Auch der deutſche Chemiker Wurzer machte mit dem Luſt-
gas wenig luſtvolle Erfahrungen. „Ein quälendes Ge-
fühl in der Bruſt und ein Druck in der Gegend der
Schläfe war die Wirkung, die ich davon empfand.“

Die Lachgasmode griff daher auf dem Kontinent
nicht ſehr um ſich, zumal man auch in England die Un-
ſicherheit der Wirkung immer deutlicher erkannte, und
eine neue Periode in ſeiner Geſchichte brach erſt an, als
es Horace Wells 1844 zum erſtenmale als Anäſthetikum
benutzte.




[Spaltenumbruch]
Streiflichter.
Sozialdemokraten als Söldlinge einer Spiel-
hölle.

Aus Brüſſel wird uns geſchrieben: In der
Vorwoche verurteilte der Gerichtshof von Brügge den
Spielhöllenbeſitzer Marquet, der mit einem in nichts
hinter der „Bank“ von Monaco zurückſtehenden Salon
in Oſtende Millionen verdient hatte und ſich nur ſehr
ungern die kommende Badeſaiſon entgehen ließ. Marquet
war lange Zeit den das Haſardſpiel verbietenden Geſetzen
Belgiens mit Anwendung aller Kniffe entgangen. Und
als der Mann endlich doch ſtraffällig wurde, wählte
er — zwei ſozialiſtiſche Abgeordnete, Grimard und
Picard, zu ſeinen Advokaten. Dazu ſchrieb das
ſozialdemokratiſche Hauptorgan Belgiens, „Le Peuple“:

„Am bedauerlichſten iſt es, daß, wenn endlich das Gericht,
um einem bereits zu lange dauernden Skandal ein Ende zu
bereiten, das Geſetz walten läßt, Geſetzgeber den
Schuldigen verteidigen, große Gelehrte verſpotten und
Marquet rein zu waſchen ſuchen, indem man ihn, ohne zu
erröten, mit einem Alexander dem Großen vergleicht, und
ohne zu lachen, als einen Wohltäter der Menſchheit hinſtellt.
So weit hat uns in wenigen Jahren die
Freigebigkeit des Großmeiſters des
Spiels gebracht.
Das Gericht von Brügge hat jetzt
die Quelle dieſer Freigebigkeit verſtopft. Das bedeutet einen
Sieg für alle, die meinen, daß die Emanzipation des
Proletariats nur dort möglich, wo die Seelen nicht herab-
gewürdigt ſind.“

Nie hat ein der Sozialdemokratie feindliches Blatt
ein ſo vernichtendes Urteil ausgeſprochen wie dieſes Partei-
organ. Zwei ſozialiſtiſche Abgeordnete
haben den unehrlich zu Millionen
gekommenen Verbrecher verteidigt,
und das wegen der großen Geld-
ſummen, die er, der Beſitzer der
[Spaltenumbruch] Spiele, gegeben
— braucht es mehr? Auch
mit mehreren anderen Abgeordneten ihrer Partei ſind
die „Genoſſen“ Belgiens nicht zufrieden. Auf dem vor
einigen Tagen abgehaltenen ſozialdemokratiſchen Kongreß
wurde bitter geklagt über das Fernbleiben der ſozial-
demokratiſchen Abgeordneten von den Kammerſitzungen.
„Genoſſe“ Fayt von Thuin erklärte: „Das Wählen
iſt für uns obligatoriſch, die Anweſenheit in den
Sitzungen muß es für die Gewählten ſein.
Ein zu Gunſten der Arbeiter durch Genoſſen Denis
vorgeſchlagenes Amendement wurde verworfen, weil
drei ſozialiſtiſche Abgeordnete fehlten.
Ich fordere die Anweſenheit unſerer Abgeordneten und
verlange, daß unſer Blatt jeden Tag die Namen
der Abweſenden veröffentlicht.
“ Und
„Genoſſe“ Baeck fügte hinzu: „Ich habe ſchon öfters
ähnliche Kritik geübt, doch je mehr man darauf dringt,
um ſo weniger erreicht man. Es gibt Abgeordnete, die
nie den Sitzungen beiwohnen.“ Und „Le Peuple“ ſetzt
hinzu: „Die Genoſſen wollen nicht, daß der Sozialismus
für die Abgeordneten ein Luxusartikel ſei, ſondern
daß die Abgeordneten Sozialdemokraten ſeien wie die
Arbeiter.




Ein Schulbeiſpiel.

Es brachte jüngſt, wie die „Reichspoſt“ gemeldet,
das ſozialdemokratiſche Organ für Tirol und Vorarlberg
einen geharniſchten Artikel gegen die Kloſtermädchen-
volksſchule in Talbach in Bregenz, in dem gemeldet
wurde, daß eine Lehrſchweſter der erſten Klaſſe einem
Mädchen den Gang zum Abort verwehrt habe; als dar-
aufhin das Kind den Boden näßte, habe die Schweſter
voll Zorn einen Fetzen holen laſſen und das Mädchen
gezwungen, den Boden zu ſänbern und dann den
Fetzen dem armen Kinde um den Mund ge-
bunden.


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[2/0002] Wien, Dienstag Reichspoſt 28. April 1908 117 Unter Regimentsſprache verſteht man die in einem Truppenkörper durch die Mannſchaft vorwiegend geſprochene Sprache. Je nach der Nationalität gibt es in einer Truppe oft 2 bis 3 und mehr Sprachen. Seit langem iſt es jedoch üblich, innerhalb eines Truppenkörpers nur dann eine Sprache zur Regimentsſprache zu erklären, wenn wenigſtens 20% des Mannſchaftsſtandes dieſer Sprache zugehören. Solcherart kann ein und dieſelbe Truppe auch mehr als zwei Regimentsſprachen beſitzen. Es wurde aber vor einigen Jahren verfügt, daß bei den ungarländiſchen Truppen zugunſten der magyariſchen Regimentsſprache auch andersnationale Mannſchaft zu dieſen 20% einzurechnen ſei, ſoferne ſie nebſt ihrer Mutterſprache auch des Magyariſchen mächtig iſt. Auf dieſe Weiſe wurde erreicht, daß unter den ungarländiſchen Regimentern es nur mehr ganz wenige gibt, für die die magyariſche Sprache nicht gleichzeitig Regimentsſprache iſt. Da überdies in Ungarn die magyariſche Sprache geſetzlich zur Staatsſprache, alſo zur Sprache des öffentlichen Verkehres erklärt iſt und dieſe Sprache in allen Volksſchulen des Landes gelehrt wird, ſo begreift es ſich auch, daß die Truppen mit magyariſcher Regimentsſprache ſtetig zu- nehmen, weil die Kenntnis des Magyariſchen ſich eben immer mehr verbreitet. In Oeſterreich iſt das Umgekehrte der Fall, hier nehmen die reindeutſchen Regimenter ſtetig ab, weil die in ſie eingeſtellten andersſprachigen Rekruten anwachſen. Unter den 37 ungarländiſchen Infanterie- regimentern gibt es angeblich bereits 15 rein magyariſche, hingegen unter den 65 öſterreichiſchen Regimentern nur mehr 8 rein deutſche. Die Regimentsſprachen mancher Truppenkörper ſind alſo gewiſſen Wandlungen unter- worfen. Die Regimentsſprache hat nicht die Bedeutung der Dienſtſprache, gleichgültig iſt ſie aber doch nicht. Sie dient vernehmlich dazu, um dem Reichskriegsminiſterium die Ein- teilung der Offiziere zu erleichtern. Aus ihr erſieht die Zentralbehörde, welcher Sprache der Offizier vorwiegend mächtig ſein müſſe, um in der betreffenden Truppe er- ſprießlich wirken zu können. Immerhin iſt die Regiments- ſprache aber doch bis zu einem gewiſſen Grade auch be- ſtimmend für die Wahl der Unterrichtsſprache, weil alle jene Leute, welche zwei oder mehr Sprachen ſprechen, ſelbſt- verſtändlich in jener Sprache unterrichtet werden, die auch der Offizier beherrſcht und nach dem geſchilderten Bildungs- gange der Offiziere kann dies bei den ungarländiſchen Truppenkörpern eben nur die magyariſche ſein, weil nur dieſe in den Kadettenſchulen gelehrt wird. Andererſeits iſt die Unterweiſung der Mannſchaft naturgemäß umſo leichter, je weniger Nationalſprachen in der Truppe vorkommen oder, was bezüglich des Unterrichtsergebniſſes wohl das- ſelbe iſt, je mehr Lente ein und dieſelbe Sprache verſtehen. In jüngſter Zeit tauchte zu den vorſtehenden noch eine neue militäriſche Sprachkennzeichnung auf, nämlich der Ausdruck „Geſchäftsſprache“, die den Magyaren angeblich zugeſtanden werden ſoll. Was darunter zu ver- ſtehen ſei, iſt jedoch nicht ganz klar. Daß nicht die Ver- kehrsſprache mit den ungarländiſchen Behörden gemeint ſein könne, iſt ſicher, denn ſeit einigen Jahren ſind ohnehin alle ungarländiſchen Truppen verpflichtet, mit dem einheimiſchen Behörden magyariſch zu verkehren. Sollte aber unter jenem Ausdrucke etwa gemeint ſein, daß die Abwicklung der inneren Geſchäftsgebarung bei den Regimentern, die Aus- fertigung von ſchriftlichen Dienſtſtücken, Befehlen u. dgl, ge- meint ſei, dann iſt es nichts anderes als der Erſatz der deutſchen Dienſtſprache durch die magyariſche, nur auf einem Umwege und unter einem andern Schlagworte. Es gereicht der Armee gewiß zum Vorteil und der Truppe zum Nutzen, daß endlich ernſtliche Vorkehrungen getroffen wurden, damit die Offiziere die Mutterſprache der durch ſie befehligten Mannſchaften auch tatſächlich ſich an- eignen müſſen. Auch die Heranziehung eines ausgiebigen ungarländiſchen Nachwuchſes für das Offizierskorps der ge- meinſamen Armee iſt nur zu begrüßen. Bisher waren nahe- zu 80% der Offiziere Oeſterreicher, die vielmals der Landesſprache ihrer Untergebenen nur notdürftig mächtig waren. Binnen wenigen Jahren wird dies aber weſentlich anders ſein. Vom Jahre 1908 ab werden alle in die Armee neu eintretenden Offiziere und Kadetten nebſt der deutſchen noch eine zweite Regimentsſprache beherrſchen und kurz darauf werden auch die Militärbildungsauſtalten mit der Abgabe jener ihrer Zöglinge an die Armee beginnen, welche auf den jüngſt neu geſtifteten ungariſchen Aerarialfreiplätzen untergebracht wurden. Die Kenntnis der verſchiedenen Landesſprachen und insbeſonders der magyariſchen Sprache innerhalb der gemeinſamen Armee wird alſo binnen kurzem ſehr bedeutend zunehmen, ja letzterer Sprache wird eine Stellung angewieſen ſein, die über das rein militäriſche Be- dürfnis augenſcheinlich hinausreicht. Worin ſollen alſo die bisher geheimgehaltenen Konzeſſionen beſtehen, welche Ungarn in bezug auf auf die gemeinſamen Armee noch immer glaubt fordern zu können? In Wahrheit ſcheint es ſich doch immer wieder um die magyariſche Dienſtſprache zu handeln, be- züglich welcher ein Paktieren nicht möglich iſt, ſoll die Ein- heit und Gemeinſamkeit der Armee nicht dauernd leiden und gänzlich in die Brüche gehen. Die Wappen- und Fahnenfrage ſteht unſerer Meinung nach erſt in zweiter Linie. Es iſt wichtig, daß mit dem Hinausſchieben und Ver- ſchleppen aller militäriſchen Angelegenheiten endlich gebrochen wurde. Die Sicherheit und der Beſtand des Staates erfordern die zeitgemäße Ausgeſtaltung der Armee. Wir wollen uns nicht erneuten Niederlagen ausſetzen. Unſer Volk ſchreit förmlich nach einem Wehrgeſetz mit zweijähriger Dienſtpflicht, nach Erleichterungen in der Stellungspflicht, nach Ernteurlauben und Abkürzung der Waffenübungen, nach einem neuen Militärſtrafgeſetze und moderner Rechts- pflege, nach angemeſſener Verſorgung der Invaliden ſowie vielen anderen berechtigten Dingen, die ohne Bedenken geboten werden können und der Armee ſelbſt zugute kämen. Oeſterreich trägt jährlich viele Millionen bei für die Er- haltung der ungarländiſchen Truppen und zum Lohne deſſen ſoll eine ſtarrköpfige, in der Minderheit befindliche Partei es in ihrer Macht haben, uns vor wohlerwogenen und zweckförderlichen Beſchlüſſen zurückzuhalten? Ein ſolcher Zuſtand iſt unhaltbar und nicht allein unwürdig, ſondern auf die Dauer für den Geſamtſtaat im höchſten Grade gefährlich. Serbien und Novibazar. Ein ſerbiſcher Auſchlag gegen die Sandſchak- bahn. Man erinnert ſich der blutrünſtigen Aeußerung, die jüngſt ein ſerbiſcher, in Niſch ſtationierter Offizier über die Sandſchakbahn tat: Serbien werde ſich eher in einen Trümmerhaufen verwandeln laſſen, bevor es den Bau dieſer von Oeſterreich in Angriff genommenen Bahn zulaſſen würde. Wie ſich jetzt zeigt, war es nicht eine in die Luft geſprochene Drohung, die dieſe Worte enthielten, ſondern es war den wahnſinnigen ſerbiſchen Chauviniſten, denen die unbegrenzten Möglichkeiten ihres heimatlichen Regimes völlig die Köpfe verwirrt haben, blutiger Ernſt damit. Aus Uesküb wird berichtet, daß die türkiſchen Behörden einer über den Sandſchak Novibazar verzweig- ten ſerbiſchen Verſchwörung auf die Spurgekommen ſind, die von dem „Komitee derferbiſchen Verteidigung“ in Belgrad organiſiert wurde und den Zweck hatte, die am 25. d. be- reits in Angriff genommenen Arbeiten für den Bau der Sandſchakbahn zu ver- eiteln. An der Spitze dieſer Verſchwörung ſtanden die Popen Jewſtatije und Prota Jowan Karamatijevic, Vater und Sohn, in Nowi- Waroſch und die ſerbiſchen Lehrer Samarſic, Antonijevic und Peric. Die Hausdurchſuchungen ergaben komprimittie- rendes Beweismaterial für die Verbindung dieſer Perſonen mit dem Belgrader Komitee der ſerbiſchen Verteidigung. Die Schuldigen wurden verhaftet und nach Uesküb einge- liefert. — Die türkiſchen Behörden drohen, wie man der „N. Fr. Pr.“ meldet, mit der Schließung aller ſerbiſchen Schulen im Sandſchak Novibazar, wenn die ſerbiſche Geiſt- lichkeit und die ſerbiſchen Lehrer nicht aufhören, die ortho- doxe Bevölkerung gegen den Bau der Sandſchakbahn auf- zuwiegeln. Der Sandſchak Novibazar iſt in ſeinem nördlichen Teile faſt ausſchließlich von Serben bewohnt, unter denen ſich nur kleine mohammedaniſche Siedelungen be- finden; gegen Uesküb zu dringt auch ſchon das albaneſiſche Element ein und überwiegt die mohammedaniſche Bevölkerung, die mit den Serben in der Regel nicht in guten Beziehungen ſteht. Das in Schulſachen ſehr liberale türkiſche Regime hat es geſtattet, daß die Serben und Montenegriner im Sandſchak verſchiedene autonome National- ſchulen erhalten, von denen es aber dem Kenner des Landes niemals ein Geheimnis war, daß ſie viel weniger der Schulerziehung als dem politiſchen Agentendienſte diente. Die Lehrer ſind nicht ſelten Abenteurer, denen zu ihrem Lehrerberufe alles abgeht, die aber umſo eifriger ſich der politiſchen Agitation und der Spionage hingeben. Nicht ſelten trifft man im Sandſchak Novibazar dieſe Schulen an militäriſch wichtigen Beobachtungspunkten gebaut. Von welchem Haß gegen Oeſterreich unter dem Drucke dieſer Agitation die Bevölkerung dieſer Gegenden beſeelt iſt, davon gibt ein in der öſterreichiſchen Offiziersmeſſe in Priboj getaner Ausſpruch des benachbarten ſerbiſchen Archimandriten Zeugnis: „Die Oeſterreicher mögen uns Straßen bauen, die Poſt verſorgen, Aerzte und Medizinen bringen und für die Sicherheit ſorgen — aber lieber möge das türkiſche Joch fortdauern, be- vor Oeſterreich den Sandſchak erhalten ſoll.“ Es iſt zu bemerken, daß die von den k. u. k. Truppen durchgeführten Straßenbauten im nördlichen Sandſchak der ganzen Bevölkerung zugute kommen und daß bei den kleinſten k. u. k. Garniſonen Militärärzte ſtationiert ſind, um der Be- völkerung unentgeltlich ärztliche Hilfe zu geben. Auch ſonſt erfährt die Bevölkerung von den k. u. k. Truppen das denk- bar größte Entgegenkommen. Es wird vorausſichtlich — da mit der Verhaſtung einiger Schuldiger das Feuer nicht ausgetreten iſt — nichts übrig bleiben, als daß der Traſſierungslinie der Sandſchak- bahn entlang öſterreichiſch-ungariſche Truppen vorgeſchoben werden, wenigſtens bis Novibazar, während der ſüdliche Teil der Strecke: Mitrovitza-Novi- bazar von türkiſchen Truppen unter ſtrenge Kontrolle genommen werden könnte. Wie wenig die offiziellen Kreiſe in Serbien Grund haben, den Mantel ihrer Liebe über die Umtriebe jenſeits der ſerbiſchen Grenzen zu breiten und wie gut ſie täten, im eigenen Hauſe vorzuſorgen, beweiſt ein Vorfall, der ſich am griechiſchen Palmſonntag, wie die Lon- doner „Daily Mail“ meldet, in der Kathedrale zu Belgrad in Gegenwart des Königs Peter und vieler Würdenträger ereignete: Der Militärkaplan Sabbas Keichzt hielt eine Predigt, die ſich gegen die Dynaſtie Karageorgevich richtete. „Mein Gewiſſen erlaubt mir nicht“, ſagte der Prediger, „die nationale Bedeutung dieſes Tages zu übergehen, der ſo eng mit dem Andenken der großen Dynaſtie Obrenovich ver- knüpft iſt. Der große Miloſch erhob am Palmſonntag die Fahne der Revolution gegen die moslemitiſchen Unterdrücker, und ſein Sohn, Michael der Märtyrer, nahm an dieſem Tage Beſitz von ihrer letzten Feſte. Seine Gebeine liegen in dieſer Kirche, eine ewige Mahnung daran, was wir ihm ſchulden. Schande über den Elenden, der den Tod des patriotiſchen Prinzen herbeigeführt hat! Ruhm den Herſchern des Hauſes Obrenovich!“ König Peter ſoll bei dieſen Worten regungslos vor ſich hingeſtarrt haben. Es heißt, der Prediger wurde in der Sakriſtei von den übrigen Geiſtlichen zu ſeinem Mut be- glückwünſcht und es wurde ihm verſichert, die Geiſtlichkeit werde in allen Fällen zu ihm ſtehen. Der „Trümmerhaufen“ iſt alſo für König Peter nahe genug. Er braucht dazu die Sandſchakbahn nicht. Ueberhaupt war die Wirkung des Luſtgaſes keines- wegs immer ſo angenehm, wie die erſten Experimentatoren verkündet hatten. Als die Verſuche Davys auf dem Kon- tinent wiederholt wurden, kam man zu ganz anderen Reſultaten und überall machte ſich eine große Enttäuſchung geltend. So berichtet der berühmte franzöſiſche Gelehrte Pronſt: „Ich war willens, das oxydierte Stickgas zu atmen, um die fröhliche Trunkenheit zu koſten, welche die engliſchen Chemiker davon verkündigten. Ich hatte mit Sorgfalt alle Vorbereitungen dazu getroffen; von dem Gas war nur derjenige Anteil aufgefangen, der einen bleibenden Eindruck im Schlunde zurückließ. In meinem Lehnſtuhl ſitzend, voll Vertrauens, jedoch unter den Augen einer Perſon, die mir ſagen konnte, wenn ſie Veränderungen an mir durch Zeichen von Ekſtaſe oder Grimaſſen wahr- nähme, fing ich an, reichlich zu atmen, nachdem ich vor- her die Lungen durch Ausatmen von Luft entleert hatte. Aber wie geſchah mir? Verwirrung meines Geſichts, eine wachſende Betäubung, Anaſt, Doppeltſehen, Ohn- macht endlich endigten den Verſuch. Ich hatte genug, ich fühlte mich ſoweit von jener ſanften Fröhlichkeit ent- fernt, daß ich gänzlich die Luſt verlor fortzufahren.“ Auch der deutſche Chemiker Wurzer machte mit dem Luſt- gas wenig luſtvolle Erfahrungen. „Ein quälendes Ge- fühl in der Bruſt und ein Druck in der Gegend der Schläfe war die Wirkung, die ich davon empfand.“ Die Lachgasmode griff daher auf dem Kontinent nicht ſehr um ſich, zumal man auch in England die Un- ſicherheit der Wirkung immer deutlicher erkannte, und eine neue Periode in ſeiner Geſchichte brach erſt an, als es Horace Wells 1844 zum erſtenmale als Anäſthetikum benutzte. Streiflichter. Sozialdemokraten als Söldlinge einer Spiel- hölle. Aus Brüſſel wird uns geſchrieben: In der Vorwoche verurteilte der Gerichtshof von Brügge den Spielhöllenbeſitzer Marquet, der mit einem in nichts hinter der „Bank“ von Monaco zurückſtehenden Salon in Oſtende Millionen verdient hatte und ſich nur ſehr ungern die kommende Badeſaiſon entgehen ließ. Marquet war lange Zeit den das Haſardſpiel verbietenden Geſetzen Belgiens mit Anwendung aller Kniffe entgangen. Und als der Mann endlich doch ſtraffällig wurde, wählte er — zwei ſozialiſtiſche Abgeordnete, Grimard und Picard, zu ſeinen Advokaten. Dazu ſchrieb das ſozialdemokratiſche Hauptorgan Belgiens, „Le Peuple“: „Am bedauerlichſten iſt es, daß, wenn endlich das Gericht, um einem bereits zu lange dauernden Skandal ein Ende zu bereiten, das Geſetz walten läßt, Geſetzgeber den Schuldigen verteidigen, große Gelehrte verſpotten und Marquet rein zu waſchen ſuchen, indem man ihn, ohne zu erröten, mit einem Alexander dem Großen vergleicht, und ohne zu lachen, als einen Wohltäter der Menſchheit hinſtellt. So weit hat uns in wenigen Jahren die Freigebigkeit des Großmeiſters des Spiels gebracht. Das Gericht von Brügge hat jetzt die Quelle dieſer Freigebigkeit verſtopft. Das bedeutet einen Sieg für alle, die meinen, daß die Emanzipation des Proletariats nur dort möglich, wo die Seelen nicht herab- gewürdigt ſind.“ Nie hat ein der Sozialdemokratie feindliches Blatt ein ſo vernichtendes Urteil ausgeſprochen wie dieſes Partei- organ. Zwei ſozialiſtiſche Abgeordnete haben den unehrlich zu Millionen gekommenen Verbrecher verteidigt, und das wegen der großen Geld- ſummen, die er, der Beſitzer der Spiele, gegeben — braucht es mehr? Auch mit mehreren anderen Abgeordneten ihrer Partei ſind die „Genoſſen“ Belgiens nicht zufrieden. Auf dem vor einigen Tagen abgehaltenen ſozialdemokratiſchen Kongreß wurde bitter geklagt über das Fernbleiben der ſozial- demokratiſchen Abgeordneten von den Kammerſitzungen. „Genoſſe“ Fayt von Thuin erklärte: „Das Wählen iſt für uns obligatoriſch, die Anweſenheit in den Sitzungen muß es für die Gewählten ſein. 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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: keine Angabe; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 117, Wien, 28.04.1908, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost117_1908/2>, abgerufen am 28.04.2024.