Reichspost. Nr. 143, Wien, 26.06.1900.143 Wien, Dienstag Reichspost 26. Juni 1900 [Spaltenumbruch] -- Die Philharmonischen Concerte in Paris ergaben ein Deficit von 20.000 Francs, -- Das wissenschaftliche Programm der Urania. Donnerstag, den 21. d. M., fand im Urania-Theater in Aus dem Gerichtssaale. Proceß Hülsner -- verschoben. Wie aus Nicht einmal in einem öffentlichen Amt ist ein Mädchen vor Wüstlingen sicher. Während Einen Urlaub erschwindeln wollte sich der in Volkswirthschaftlicher Theil. Für die Tauernbahn, welche den Norden und Ungarische Massen-Auswanderung. Wo Unsere Handelsbilanz. Das statistische De- Die allgemeine Versicherungs-Gesellschaft "Providentia" in Wien berichtet, daß in der letzten Vom k. k. Oesterreichischen Handels- museum wird mitgetheilt: "Firmen, welche mit Insolvenznachrichten. Der Creditorenverein meldet [Spaltenumbruch] Der Mutter Wille. 11 (Nachdruck verboten.) "Du bist ein vollständig verpfuschter Mensch!" Natürlich waren derartige mütterliche Herzens- "Das halt ich nicht mehr aus, Vater!" sagte Der Müller nickte still vor sich hin. "So wills Mit zweihundert Thalern werde ich Meister und Damit war die Sache abgemacht. Der junge Die geschäftigen Klatschzungen, mit denen Frau Vater Kraft zuckte still die Schultern und hielt es, Im Uebrigen ging die Hoffnung der guten Frau Der Sommer war dahin. Ueber die Stoppel- (Fortsetzung folgt.) 143 Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. Juni 1900 [Spaltenumbruch] — Die Philharmoniſchen Concerte in Paris ergaben ein Deficit von 20.000 Francs, — Das wiſſenſchaftliche Programm der Urania. Donnerſtag, den 21. d. M., fand im Urania-Theater in Aus dem Gerichtsſaale. Proceß Hülsner — verſchoben. Wie aus Nicht einmal in einem öffentlichen Amt iſt ein Mädchen vor Wüſtlingen ſicher. Während Einen Urlaub erſchwindeln wollte ſich der in Volkswirthſchaftlicher Theil. Für die Tauernbahn, welche den Norden und Ungariſche Maſſen-Auswanderung. Wo Unſere Handelsbilanz. Das ſtatiſtiſche De- Die allgemeine Verſicherungs-Geſellſchaft „Providentia“ in Wien berichtet, daß in der letzten Vom k. k. Oeſterreichiſchen Handels- muſeum wird mitgetheilt: „Firmen, welche mit Inſolvenznachrichten. Der Creditorenverein meldet [Spaltenumbruch] Der Mutter Wille. 11 (Nachdruck verboten.) „Du biſt ein vollſtändig verpfuſchter Menſch!“ Natürlich waren derartige mütterliche Herzens- „Das halt ich nicht mehr aus, Vater!“ ſagte Der Müller nickte ſtill vor ſich hin. „So wills Mit zweihundert Thalern werde ich Meiſter und Damit war die Sache abgemacht. Der junge Die geſchäftigen Klatſchzungen, mit denen Frau Vater Kraft zuckte ſtill die Schultern und hielt es, Im Uebrigen ging die Hoffnung der guten Frau Der Sommer war dahin. Ueber die Stoppel- (Fortſetzung folgt.) <TEI> <text> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0011" n="11"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">143 Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. Juni 1900</hi> </fw><lb/> <cb/> </div> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">— Die Philharmoniſchen Concerte in<lb/> Paris</hi> </head> <p>ergaben ein Deficit von 20.000 Francs,<lb/> welches von Baron Albert Rothſchild gedeckt wurde.<lb/> Und doch wurde ſtets über maſſenhafte Beſuche dieſer<lb/> Concerte berichtet!</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">— Das wiſſenſchaftliche Programm der Urania.</hi> </head><lb/> <p>Donnerſtag, den 21. d. M., fand im Urania-Theater in<lb/> der Wollzeile unter dem Vorſitze des Directors der Stern-<lb/> warte Dr. E. <hi rendition="#g">Weiß</hi> eine gut beſuchte Verſammlung des<lb/> wiſſenſchaftlichen Ausſchuſſes der Urania ſtatt. Der wiſſen-<lb/> ſchaftliche Leiter Profeſſor Dr. Friedrich <hi rendition="#g">Umlauft</hi> er-<lb/> örterte in längerer Rede das wiſſenſchaftliche Programm<lb/> der Urania und betonte insbeſondere, daß von nun ab an-<lb/> geſichts der conſolidirten Verhältniſſe des Inſtitutes eine<lb/> entſprechende Honorirung der Vortragenden eintreten werde.<lb/> Nach einer längeren Debatte wurden die Herren Dr. Adolf<lb/> E. Forſter, Dr. Carl Koſterſitz, Dr. Anton Lampa, Doctor<lb/> Joſef Szombathy und Dr. Alexander Zahlbruckner in ein<lb/> engeres Comité gewählt, welches ſpeciell die Vorträge in<lb/> der Urania zu organiſiren haben wird. Schließlich hatte<lb/> in Folge einer geſtellten Anfrage der Präſident der Urania<lb/> Dr. Ludwig <hi rendition="#g">Koeßler</hi> Gelegenheit, die erfreulich ge-<lb/> beſſerten Verhältniſſe der Urania zu conſtatiren, welche es<lb/> derſelben geſtatten, nunmehr an die Verwirklichung ihres<lb/> populär-wiſſenſchaftlichen Programmes zu gehen.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Aus dem Gerichtsſaale.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Proceß Hülsner — verſchoben.</hi> </head> <p>Wie aus<lb/><hi rendition="#g">Piſek</hi> gemeldet wird, wurde der Proceß gegen den<lb/> wegen des <hi rendition="#g">Polnaer Mädchenmor des</hi> an-<lb/> geklagten Juden Leopold <hi rendition="#g">Hülsner</hi> bis zum<lb/><hi rendition="#g">Herbſte verſchoben,</hi> und zwar wegen der<lb/> Unmöglichkeit, das rieſige Material zu bewältigen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Nicht einmal in einem öffentlichen Amt<lb/> iſt ein Mädchen vor Wüſtlingen ſicher.</hi> </head> <p>Während<lb/> eines ſtarken Parteienandranges im Poſtamte, 7. 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Dr. <hi rendition="#g">Kleibl</hi>) zu fünf Tagen ſtrengen Arreſts<lb/> verurtheilt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Einen Urlaub erſchwindeln</hi> </head> <p>wollte ſich der in<lb/> Stanislau garniſonirende Officiersdiener <hi rendition="#g">Picha</hi> auf<lb/> folgende, allerdings nicht mehr originelle Weiſe, indem<lb/> er ſich von ſeiner Mutter, der Franciska <hi rendition="#g">Pich</hi> in<lb/> Wien telegraphiren ließ: „Komme ſofort nach Hauſe,<lb/> Mutter ſterbenskrank.“ Das Regimentscommando er-<lb/> kundigte ſich jedoch bei der Wiener Polizei, oa dieſes<lb/> Telegramm auf Wahrheit beruhe und ein in die<lb/> Wohnung der <hi rendition="#g">Picha</hi> geſendeter Detective fand die<lb/> „ſterberbenskranke“ Frau gar nicht zu Hauſe. Mit<lb/> welcher Strafe der erfinderiſche Officiesdiener ſeine<lb/> Pfiffigkeit büßen mußte, darüber ſchweigt die Geſchichte.<lb/> Seine Mutter wurde jedoch wegen Irreführung der<lb/> Behörde in Strafunterſuchung gezogen und bezirksge-<lb/> richtlich zu 48 Stunden Arreſt verurtheilt. Sie ergriff<lb/><cb/> dagegen die Berufung und über dieſe ſand die Verhandlung<lb/> vor dem Appellſenate ſtatt, dem Landesgerichtsrath<lb/> Dr. Ritter v <hi rendition="#g">Neubauer</hi> präſidirte. Der Ver-<lb/> theidiger machte geltend, daß ein Regimentscommando<lb/> keine Behörde im Sinne der betreffenden Geſetzesſtelle<lb/> ſei, und beſtritt die Abſicht einer Irreführung, indem<lb/> er ein ärztliches Zeugniß producirte, nach welchem die<lb/> Berufungswerberin herzleidend ſei, ſich alſo beſtändig<lb/> in der Möglichkeit des Ablebens befinde. Zudem ſei<lb/> eine Irreführung gar nicht erfolgt und bei jenem Vor-<lb/> gehen des Regimentscommandos auch nicht möglich ge-<lb/> weſen. Die Berufungswerberin wurde <hi rendition="#g">freige-<lb/> ſprochen.</hi> </p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jFinancialNews" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Volkswirthſchaftlicher Theil.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Für die Tauernbahn,</hi> </head> <p>welche den Norden und<lb/> Nordweſten Oeſterreichs bequemer mit dem Trieſter<lb/> Hafen verbinden ſoll, iſt die Begehung der Trace für<lb/> die Linie Schwarzach, St. Veit, Gaſtein, Möllbrücken ꝛc.<lb/> ſoeben vollzogen worden. Ueber den Verlauf der Action<lb/> wird näher mitgetheilt: Für den ſalzburgiſchen Theil<lb/> der Bahn trat die Commiſſion in der Staatsbahn-<lb/> ſtation Schwarzach—St. Veit zuſammen und fand die<lb/> volle Zuſtimmung der Gemeinden Schwarzach und<lb/> St. Veit. Dann begaben ſie ſich nach Lend, wo dieſe<lb/> Gemeinde das Anſuchen um Einſchaltung einer Per-<lb/> ſonen-Halteſtelle „Klammſtein“ ſtellte. Ein Wunſch der<lb/> Gemeinde Dorf-Gaſtein wegen Verlegung der Projects-<lb/> ſtation Mairhofen nach Dorf-Gaſtein und nach Be-<lb/> zeichnung mit dieſem Namen dürfte befürwortet werden.<lb/> In Hof-Gaſtein wurde die Commiſſion um Ausge-<lb/> ſtaltung dieſer Halteſtelle zu einer Station unter Wegfall der<lb/> in Ausſicht genommenen Projectſtation Hof-Gaſtein<lb/> nächſt Laderding gebeten. Dieſe Bitte konnte keine Ge-<lb/> währ finden, da betriebstechniſche Gründe dagegen<lb/> ſprechen. Um aber den Wünſchen der Gemeinde thun-<lb/> lichſt entgegenzukommen, dürfte die Perſonen-Halteſtelle<lb/> für die gleichzeitige Abfertigung von Reiſegepäck be-<lb/> ſtimmt werden. Für die weitere Strecke Bad-Gaſtein-<lb/> Böckſtein dürfte dem Wunſche der Gemeinde Bad-Gaſtein<lb/> nach Verſchiebung der Projectſtation thalabwärts zum<lb/> Steinbruch oberhalb der proteſtantiſchen Kirche ent-<lb/> ſprochen werden, falls Detailſtudien entſprechen-<lb/> de Reſultate liefern. Dagegen konnte die Ein-<lb/> ſchaltung einer Perſonen-Halteſtelle Böckſtein<lb/> nicht befürwortet werden. Darauf folgte in Bad-Gaſtein<lb/> die Schließung des Salzburger Verhandlungs-Proto-<lb/> kolls. Im Anſchluß daran trat die Commiſſion für<lb/> den Kärntner Theil der Bahn in der Südbahnſtation<lb/> Sachſenburg zuſammen, welche nach Durchführung<lb/> ihrer Arbeit das Protokoll in Klagenfurt ſchloß. Das<lb/> Ergebniß der Tracenreviſion für die Tauern-Bahn<lb/> wird als anſtandloſes und befriedigendes bezeichnet.<lb/> Ueberall wurde der lebhafte Wunſch ausgeſprochen,<lb/> daß die Regierung dieſes wichtige Project im Zuſammen-<lb/> hang mit den übrigen Linien zur That werden laſſe.<lb/> — Zu dieſer Tracen-Reviſion bemerkt ein Wiener Blatt,<lb/> es wäre da Alles in ſchönſter Ordnung bis auf die —<lb/><hi rendition="#g">verfaſſungsmäßige Zuſtimmung</hi> des<lb/><hi rendition="#g">Reichsrathes zum Bahnbauen.</hi> Die<lb/><cb/> Lahmlegung aller wirthſchaftlichen Inveſtitionen durch<lb/> die Arbeitsfähigkeit des Parlaments habe in der Be-<lb/> völkerung Apathie erzeugt, die bedenklicher ſei als<lb/> Leidenſchaftsausbrüche. <hi rendition="#g">Wer</hi> hat aber dieſe jämmer-<lb/> lichen Zuſtände — <hi rendition="#g">urſprünglichſt</hi> entſchuldigt<lb/> und erhält ſie durch Schwäche oder Zweizüngigkeit<lb/> oder Achſelträgerei weiter? Oeſterreich macht unter<lb/> ſolchen Umſtänden nicht nur „Rieſenrückſchritte“, ſondern<lb/> treibt durch ewiges conniventes „Fortwurſteln“ der<lb/> Anarchie und dem Zerfall zu.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Ungariſche Maſſen-Auswanderung.</hi> </head> <p>Wo<lb/> die arbeitenden Schichten maſſig zum Wanderſtab<lb/> greifen, da treibt ſie Erwerbsnoth und Hunger dazu.<lb/> Die Iren, die Polen, die Czechen, die Magyaren geben,<lb/> wenn den Urſachen ihres relativ ſtarken Wanderns in<lb/> die Fremde nachgeforſcht wird, Zeugniß dafür.<lb/> Bezüglich Ungarns und ſeiner polyglotten Bewohner-<lb/> ſchaft meldet Deutſchlands Auswanderer-Statiſtik, daß<lb/> im Laufe des Jahres 1899 32.800 Ungarn ihr Vater-<lb/> land verließen und ſich in Bremen und Hamburg nach<lb/> überſeeiſchen Gebieten eingeſchifft haben. Vom 1889 bis<lb/> Ende 1899, alſo im Verlaufe von 11 Jahren, haben<lb/> nach ungariſchen und reichsdeutſchen Angaben 274.663<lb/> ungariſche Staatsangehörige der Heimat den Rücken<lb/> gekehrt, was einen jährlichen Durchſchnitt von 24.969<lb/> Auswanderern, alſo rund 1·35 per Mille der Geſammt-<lb/> bevölkerung der Länder der ungariſchen Krone ergibt,<lb/> ein unerhört hoher Bruchtheil, beſonders wenn man<lb/> berückſichtigt, daß Ungarn ſich noch im Stadium der<lb/> landwirthſchaftlichen Kraftentwicklung befindet und erſt<lb/> ſeit wenigen Jahren beſtrebt iſt, ſich in einen Induſtrie-<lb/> ſtaat umzuwandeln.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Unſere Handelsbilanz.</hi> </head> <p>Das ſtatiſtiſche De-<lb/> partement des k. k. Handelsminiſteriums ſchließt die<lb/> Handelsbilanz im Mai mit einem <hi rendition="#g">Activum</hi> von<lb/> 14·3 Millionen Kronen (gegen 12·7 Millionen Kronen<lb/> im Vorjahr). Während der erſten Monate iſt ein<lb/> Activum von 36·4 Millionen Kronen ausgewieſen. Da<lb/> ſich für die gleiche Zeitperiode des Vorjahres ein<lb/> Activum von 36·4 Millionen Kronen ergab, iſt mithin<lb/> der Stand gegenwärtig um 23·6 Millionen Kronen<lb/> ungünſtiger. Der Import an Kohle und Cokes zeigt<lb/> in Folge der Rückwirkung des Streikes noch eine<lb/> Steigerung um 12·5 Millionen Kronen, der Export<lb/> eine Verminderung um 9·2 Millionen Kronen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die allgemeine Verſicherungs-Geſellſchaft<lb/> „Providentia“</hi> </head> <p>in Wien berichtet, daß in der letzten<lb/> Generalverſammlung die Vertheilung einer 6percentigen<lb/> Dividende beſchloſſen und mehrere Statutenänderungen<lb/> formaler Natur vorgenommen wurden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Vom k. k. Oeſterreichiſchen Handels-<lb/> muſeum</hi> </head> <p>wird mitgetheilt: „Firmen, welche mit<lb/> Liſſabon in Verbindung ſtehen, erhalten im k. k.<lb/> Oeſterreichiſchen Handelsmuſeum, 9. Bez., Berggaſſe 16,<lb/> gegen Legitimation eine vertrauliche Mittheilung.“</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Inſolvenznachrichten.</hi> </head> <p>Der Creditorenverein meldet<lb/> folgende Inſolvenzen: Anton Fleiſcher, Kaufmann in Wien,<lb/> 8. Bez., Joſefſtädterſtraße 7; Davidovits teſtverek, Handels-<lb/> firma in Nagybanya; Heinrich Kerndl, Fahrradhändler in<lb/> Mähriſch-Oſtrau. — Das Oeſterreichiſche Handelsmuſeum<lb/> gibt folgende Fallimente bekannt: Sofia: Spiro Athanaſſow;<lb/> Konſtantinopel: Hadji Mir Abdul Wahab; Niſch: Mirko<lb/> Mirkovic; Galatz: J. H. Goldſtein.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> </div> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der Mutter Wille.</hi> </head><lb/> <byline>Eine Familiengeſchichte von <hi rendition="#g">Carl Zaſtrow.</hi> </byline><lb/> <p>11 <hi rendition="#et">(Nachdruck verboten.)</hi> </p><lb/> <p>„Du biſt ein vollſtändig verpfuſchter Menſch!“<lb/> grollte dann ungefähr die Mutter; „ich und der<lb/> Vater werdens noch erleben, daß Du gänzlich ver-<lb/> kommſt. Schämen ſollteſt Du Dich, Dein ſchönes<lb/> Geſchick zur Arbeit und zur Kunſt, was der Herrgott<lb/> Dir verliehen, ſo zu verlottern. Und die Strafe wird<lb/> Dir noch kommen dafür, daß Du Leib und Seele an<lb/> ein ſo unwürdiges Geſchöpf hängſt und dasſelbe mehr<lb/> im Herzen trägſt als die Mutter, die nur Dein<lb/> Beſtes will. Und eine ausgemachte Sache iſt es, daß<lb/> die Regiſtratorsdirne nichts taugt und keines braven<lb/> Mannes werth iſt. Hat ſie ſich nicht in Hamburg<lb/> dem Medicinpfuſcher, der ſich hier keine Exiſtenz<lb/> gründen konnte, an den Hals geworfen? Sprechen<lb/> Leute, die aus Hamburg kommen und ſie kennen, wohl<lb/> das geringſte Gute von ihr? Und ſo ein Geſchöpf<lb/> liebſt Du noch, vernachläſſigſt darum Dein ſchönes<lb/> Handwerk und Dein Talent, mit dem Du wuchern<lb/> ſollteſt nach des Herrn Willen zum Nutzen Deiner<lb/> Mitmenſchen? Pfui, ſchämen muß ich mich vor allen<lb/> Leuten, die uns kennen, und vor der ganzen ehrbaren<lb/> Familie ob der Schande, die Du uns machſt! Und<lb/> kurz und gut, wenn Du auf Deinem dummen und<lb/> eigenſinnigen Kopf ſtehen bleibſt, ſo erhältſt Du keinen<lb/> Pfennig Muttertheil, und ich werde auch den Vater<lb/> zu beſtimmen wiſſen, daß Du gänzlich von der Erb-<lb/> ſchaft ausgeſchloſſen wirſt!“</p><lb/> <p>Natürlich waren derartige mütterliche Herzens-<lb/> ergießungen nichts weniger als geeignet, das verwundete<lb/> Gemüth des jungen Mannes wieder aufzurichten. Im<lb/> Gegentheil wurde er dadurch nur mehr in ſeine düſtere.<lb/> menſchenfeindliche Stimmung hineingedrängt, die ihn<lb/> mehr und mehr dem Umgange mit Altersgenoſſen und<lb/> ſeinen Geſchwiſtern entfremdete. Er wurde mit jedem<lb/> Tage zurückhaltender und verdroſſener, und das ge-<lb/> ſpannte Verhältniß zwiſchen ihm und der Mutter ſtellte<lb/> ſich immer ſchroffer heraus. — Die letztere hatte bald<lb/> kein freundliches Wort, keinen Blick mehr für ihn.<lb/> Sie ſprach in ſeiner Gegenwart von nichts anderem,<lb/><cb/> als dem ungerathenen Sohne, welcher der Strafe für<lb/> ſeinen Ungehorſam und ſeine Charakterſchlechtigkeit nicht<lb/> entgehen werde.</p><lb/> <p>„Das halt ich nicht mehr aus, Vater!“ ſagte<lb/> Franz eines Abends, nachdem die Mutter wieder in<lb/> ähnlicher Weiſe ihren Unmuth Luft gemacht hatte;<lb/> „ich ſehe wohl ein, daß ich der Mutter ein Dorn im<lb/> Auge bin. Es gibt nichts Schrecklicheres, als ſich von<lb/> denjenigen gehaßt zu ſehen, die mau nach dem Gebote<lb/> Gottes lieben und ehren ſoll; ich muß aus dem Hauſe<lb/> Vater!“</p><lb/> <p>Der Müller nickte ſtill vor ſich hin. „So wills<lb/> die Mutter haben, Franz! Ich habs Dir lange ſagen<lb/> wollen, mein Junge, daß das am beſten iſt. Die<lb/> Helene Kemnitz heiratheſt Du nicht, alſo wird an eine<lb/> Einigung auf dieſer Welt nicht mehr zu denken ſein.<lb/> — Geh’ alſo mit Gott, Franz, und find Dich in das,<lb/> was nicht mehr zu ändern iſt. Zweihundert Thaler<lb/> kann ich Dir geben, ohne daß es auffällt. Damit<lb/> kannſt Du etwas anfangen und wenn’s ſchon nicht<lb/> viel iſt, doch Dein eigener Herr werden.</p><lb/> <p>Mit zweihundert Thalern werde ich Meiſter und<lb/> richte mir auch eine kleine Werkſtatt ein. So viel,<lb/> wie ich brauche, verdiene ich immer!“</p><lb/> <p>Damit war die Sache abgemacht. Der junge<lb/> Handwerker verließ bereits am folgenden Tage die<lb/> elterliche Wohnung und miethete ſich in der Vorſtadt<lb/> der Reſidenz eine kleine Werkſtätte mit daranſtoßendem<lb/> Stübchen. Das Meiſterſtück, ein elegantes Näh-<lb/> tiſchchen aus Roſenholz mit überaus kunſtvollen Ver-<lb/> zierungen, hatte er bereits in glücklicheren Tagen be-<lb/> gonnen. Es ſollte dereinſt das Stübchen der ge-<lb/> liebten Gattin zieren. Jetzt hatte die Vollendung<lb/> zu den Zweck, ihm eine ruhige Selbſtſtändigkeit, eine<lb/> friedliche, ſichere Exiſtenz zu ſichern. Er arbeitete mit<lb/> Ausdauer und Sorgfalt Tag und Nacht, und wenn<lb/> ihn auch kein Gedanke an eine frohe glückliche Zukunft<lb/> begeiſterte und ſeine Phantaſie zu neuen originellen<lb/> Schöpfungen befähigte, ſo wurde das Werk doch von<lb/> der Prüfungs-Commiſſion als ein Kunſtwerk von<lb/> hohem Werke taxirt und der Meiſterbrief dem ge-<lb/> ſchickten Geſellen unbedenklich ausgefertigt.</p><lb/> <p>Die geſchäftigen Klatſchzungen, mit denen Frau<lb/> Kraft eine ſorgfältige Verbindung unterhielt, er-<lb/> mittelten bald den neuen Aufenthalt und die ſonſtigen<lb/><cb/> Veränderungen in den äußeren Verhältniſſen des<lb/> Müllerſohnes und verfehlten nicht, ſich bei Frau<lb/> Kraft einzuſtellen und gegen die übliche Taſſe Mokka<lb/> ausführlichen Bericht zu erſtatten. Frau Kraft<lb/> ſchöpfte neue Hoffnung. „Ein geſchickter Junge iſt<lb/> er, das muß man ihm ſchon laſſen!“ ſagte ſie,<lb/> „ohne einen Pfennig Geld Meiſter und ſelbſtändig<lb/> geworden — das iſt immerhin etwas. Ich glaube<lb/> doch, Vater, der Franz wird noch vernünftig. Meinſt<lb/> Du nicht auch?“</p><lb/> <p>Vater Kraft zuckte ſtill die Schultern und hielt es,<lb/> um weiteren Erörterungen auszuweichen, für das Beſte,<lb/> ſich auf ſein Müllerſtübchen zurückzuziehen und daſelbſt<lb/> für des Sohnes Wohlfahrt ein ſtilles Vaterunſer<lb/> zu beten.</p><lb/> <p>Im Uebrigen ging die Hoffnung der guten Frau<lb/> nicht in Erfüllung. Franz hatte zwar mit Ehren die<lb/> Meiſterprüfung beſtanden und hantirte in ſeiner kleinen<lb/> Werkſtatt wacker und unverdroſſen, aber dabei blieb es<lb/> auch. Niemand durfte ihm ein Wort vom Heirathen<lb/> ſprechen oder auch nur eine Anſpielung auf eine „Frau<lb/> Meiſterin“ machen. Den Vater in der Mühle beſuchte<lb/> er zuweilen; in die elterliche Wohnung kam er nicht<lb/> mehr und Frau Kraft mußte wohl oder übel die<lb/> Ueberzeugung gewinnen, daß ſie wiederum eines ihrer<lb/> Kinder verloren habe.</p><lb/> <p>Der Sommer war dahin. Ueber die Stoppel-<lb/> felder brauſte ein kalter Nordwind. Die gelben<lb/> und rothen Blätter löſten ſich von den Bäumen<lb/> und ſanken auf den welken Raſen. Wenn der<lb/> Herbſtſturm ſeine wilden Weiſen aufſpielte, mußten<lb/> ſie pfeilſchnell, wild, ohne Ruhe und Raſt über<lb/> Gräben, Wieſen, Gärten, Zäune und Hecken hin-<lb/> wegtanzen und die alten Bäume ſchütteln trübe<lb/> und melancholiſch die kahlen Kronen darüber, daß man<lb/> ihre Kinder nicht zur Ruhe kommen ließ. Spärlicher<lb/> begegnete man den eleganten Spaziergängern<lb/> auf den Promenaden der Stadt. Jaconnet und Barége,<lb/> Blouſe, Mantille und Sommerhütchen waren verbannt<lb/> und wollene Stoffe, Tuch- oder Sammtmäntelchen, bei<lb/> den Herren warme Ueberzieher an die Stelle der<lb/> leichten Kleider getreten.</p><lb/> <p> <ref> <hi rendition="#c">(Fortſetzung folgt.)</hi> </ref> </p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [11/0011]
143 Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. Juni 1900
— Die Philharmoniſchen Concerte in
Paris ergaben ein Deficit von 20.000 Francs,
welches von Baron Albert Rothſchild gedeckt wurde.
Und doch wurde ſtets über maſſenhafte Beſuche dieſer
Concerte berichtet!
— Das wiſſenſchaftliche Programm der Urania.
Donnerſtag, den 21. d. M., fand im Urania-Theater in
der Wollzeile unter dem Vorſitze des Directors der Stern-
warte Dr. E. Weiß eine gut beſuchte Verſammlung des
wiſſenſchaftlichen Ausſchuſſes der Urania ſtatt. Der wiſſen-
ſchaftliche Leiter Profeſſor Dr. Friedrich Umlauft er-
örterte in längerer Rede das wiſſenſchaftliche Programm
der Urania und betonte insbeſondere, daß von nun ab an-
geſichts der conſolidirten Verhältniſſe des Inſtitutes eine
entſprechende Honorirung der Vortragenden eintreten werde.
Nach einer längeren Debatte wurden die Herren Dr. Adolf
E. Forſter, Dr. Carl Koſterſitz, Dr. Anton Lampa, Doctor
Joſef Szombathy und Dr. Alexander Zahlbruckner in ein
engeres Comité gewählt, welches ſpeciell die Vorträge in
der Urania zu organiſiren haben wird. Schließlich hatte
in Folge einer geſtellten Anfrage der Präſident der Urania
Dr. Ludwig Koeßler Gelegenheit, die erfreulich ge-
beſſerten Verhältniſſe der Urania zu conſtatiren, welche es
derſelben geſtatten, nunmehr an die Verwirklichung ihres
populär-wiſſenſchaftlichen Programmes zu gehen.
Aus dem Gerichtsſaale.
Proceß Hülsner — verſchoben. Wie aus
Piſek gemeldet wird, wurde der Proceß gegen den
wegen des Polnaer Mädchenmor des an-
geklagten Juden Leopold Hülsner bis zum
Herbſte verſchoben, und zwar wegen der
Unmöglichkeit, das rieſige Material zu bewältigen.
Nicht einmal in einem öffentlichen Amt
iſt ein Mädchen vor Wüſtlingen ſicher. Während
eines ſtarken Parteienandranges im Poſtamte, 7. Bez.,
Lindengaſſe, bemerkte der amtirende Beamte, wie ſich
ein Mann an der rückwärts angebrachten Rocktaſche
eines jungen Mädchens zu ſchaffen machte. Der Beamte
hielt den Menſchen für einen Taſchendieb und wollte
ihn eben feſtnehmen laſſen, als das Mädchen in Weinen
ausbrach und ſich beſchwerte, daß man nicht einmal in
einem öffentlichen Amte vor — Zudringlichkeiten ſicher
ſei. Wegen dieſes Unſittlichkeitsdelictes wurde der
Angehaltene — es war dies der Geſchäſtsdiener Alois
Hartmann — vom Bezirksgerichte Neubau (Ger.-
Secr. Dr. Kleibl) zu fünf Tagen ſtrengen Arreſts
verurtheilt.
Einen Urlaub erſchwindeln wollte ſich der in
Stanislau garniſonirende Officiersdiener Picha auf
folgende, allerdings nicht mehr originelle Weiſe, indem
er ſich von ſeiner Mutter, der Franciska Pich in
Wien telegraphiren ließ: „Komme ſofort nach Hauſe,
Mutter ſterbenskrank.“ Das Regimentscommando er-
kundigte ſich jedoch bei der Wiener Polizei, oa dieſes
Telegramm auf Wahrheit beruhe und ein in die
Wohnung der Picha geſendeter Detective fand die
„ſterberbenskranke“ Frau gar nicht zu Hauſe. Mit
welcher Strafe der erfinderiſche Officiesdiener ſeine
Pfiffigkeit büßen mußte, darüber ſchweigt die Geſchichte.
Seine Mutter wurde jedoch wegen Irreführung der
Behörde in Strafunterſuchung gezogen und bezirksge-
richtlich zu 48 Stunden Arreſt verurtheilt. Sie ergriff
dagegen die Berufung und über dieſe ſand die Verhandlung
vor dem Appellſenate ſtatt, dem Landesgerichtsrath
Dr. Ritter v Neubauer präſidirte. Der Ver-
theidiger machte geltend, daß ein Regimentscommando
keine Behörde im Sinne der betreffenden Geſetzesſtelle
ſei, und beſtritt die Abſicht einer Irreführung, indem
er ein ärztliches Zeugniß producirte, nach welchem die
Berufungswerberin herzleidend ſei, ſich alſo beſtändig
in der Möglichkeit des Ablebens befinde. Zudem ſei
eine Irreführung gar nicht erfolgt und bei jenem Vor-
gehen des Regimentscommandos auch nicht möglich ge-
weſen. Die Berufungswerberin wurde freige-
ſprochen.
Volkswirthſchaftlicher Theil.
Für die Tauernbahn, welche den Norden und
Nordweſten Oeſterreichs bequemer mit dem Trieſter
Hafen verbinden ſoll, iſt die Begehung der Trace für
die Linie Schwarzach, St. Veit, Gaſtein, Möllbrücken ꝛc.
ſoeben vollzogen worden. Ueber den Verlauf der Action
wird näher mitgetheilt: Für den ſalzburgiſchen Theil
der Bahn trat die Commiſſion in der Staatsbahn-
ſtation Schwarzach—St. Veit zuſammen und fand die
volle Zuſtimmung der Gemeinden Schwarzach und
St. Veit. Dann begaben ſie ſich nach Lend, wo dieſe
Gemeinde das Anſuchen um Einſchaltung einer Per-
ſonen-Halteſtelle „Klammſtein“ ſtellte. Ein Wunſch der
Gemeinde Dorf-Gaſtein wegen Verlegung der Projects-
ſtation Mairhofen nach Dorf-Gaſtein und nach Be-
zeichnung mit dieſem Namen dürfte befürwortet werden.
In Hof-Gaſtein wurde die Commiſſion um Ausge-
ſtaltung dieſer Halteſtelle zu einer Station unter Wegfall der
in Ausſicht genommenen Projectſtation Hof-Gaſtein
nächſt Laderding gebeten. Dieſe Bitte konnte keine Ge-
währ finden, da betriebstechniſche Gründe dagegen
ſprechen. Um aber den Wünſchen der Gemeinde thun-
lichſt entgegenzukommen, dürfte die Perſonen-Halteſtelle
für die gleichzeitige Abfertigung von Reiſegepäck be-
ſtimmt werden. Für die weitere Strecke Bad-Gaſtein-
Böckſtein dürfte dem Wunſche der Gemeinde Bad-Gaſtein
nach Verſchiebung der Projectſtation thalabwärts zum
Steinbruch oberhalb der proteſtantiſchen Kirche ent-
ſprochen werden, falls Detailſtudien entſprechen-
de Reſultate liefern. Dagegen konnte die Ein-
ſchaltung einer Perſonen-Halteſtelle Böckſtein
nicht befürwortet werden. Darauf folgte in Bad-Gaſtein
die Schließung des Salzburger Verhandlungs-Proto-
kolls. Im Anſchluß daran trat die Commiſſion für
den Kärntner Theil der Bahn in der Südbahnſtation
Sachſenburg zuſammen, welche nach Durchführung
ihrer Arbeit das Protokoll in Klagenfurt ſchloß. Das
Ergebniß der Tracenreviſion für die Tauern-Bahn
wird als anſtandloſes und befriedigendes bezeichnet.
Ueberall wurde der lebhafte Wunſch ausgeſprochen,
daß die Regierung dieſes wichtige Project im Zuſammen-
hang mit den übrigen Linien zur That werden laſſe.
— Zu dieſer Tracen-Reviſion bemerkt ein Wiener Blatt,
es wäre da Alles in ſchönſter Ordnung bis auf die —
verfaſſungsmäßige Zuſtimmung des
Reichsrathes zum Bahnbauen. Die
Lahmlegung aller wirthſchaftlichen Inveſtitionen durch
die Arbeitsfähigkeit des Parlaments habe in der Be-
völkerung Apathie erzeugt, die bedenklicher ſei als
Leidenſchaftsausbrüche. Wer hat aber dieſe jämmer-
lichen Zuſtände — urſprünglichſt entſchuldigt
und erhält ſie durch Schwäche oder Zweizüngigkeit
oder Achſelträgerei weiter? Oeſterreich macht unter
ſolchen Umſtänden nicht nur „Rieſenrückſchritte“, ſondern
treibt durch ewiges conniventes „Fortwurſteln“ der
Anarchie und dem Zerfall zu.
Ungariſche Maſſen-Auswanderung. Wo
die arbeitenden Schichten maſſig zum Wanderſtab
greifen, da treibt ſie Erwerbsnoth und Hunger dazu.
Die Iren, die Polen, die Czechen, die Magyaren geben,
wenn den Urſachen ihres relativ ſtarken Wanderns in
die Fremde nachgeforſcht wird, Zeugniß dafür.
Bezüglich Ungarns und ſeiner polyglotten Bewohner-
ſchaft meldet Deutſchlands Auswanderer-Statiſtik, daß
im Laufe des Jahres 1899 32.800 Ungarn ihr Vater-
land verließen und ſich in Bremen und Hamburg nach
überſeeiſchen Gebieten eingeſchifft haben. Vom 1889 bis
Ende 1899, alſo im Verlaufe von 11 Jahren, haben
nach ungariſchen und reichsdeutſchen Angaben 274.663
ungariſche Staatsangehörige der Heimat den Rücken
gekehrt, was einen jährlichen Durchſchnitt von 24.969
Auswanderern, alſo rund 1·35 per Mille der Geſammt-
bevölkerung der Länder der ungariſchen Krone ergibt,
ein unerhört hoher Bruchtheil, beſonders wenn man
berückſichtigt, daß Ungarn ſich noch im Stadium der
landwirthſchaftlichen Kraftentwicklung befindet und erſt
ſeit wenigen Jahren beſtrebt iſt, ſich in einen Induſtrie-
ſtaat umzuwandeln.
Unſere Handelsbilanz. Das ſtatiſtiſche De-
partement des k. k. Handelsminiſteriums ſchließt die
Handelsbilanz im Mai mit einem Activum von
14·3 Millionen Kronen (gegen 12·7 Millionen Kronen
im Vorjahr). Während der erſten Monate iſt ein
Activum von 36·4 Millionen Kronen ausgewieſen. Da
ſich für die gleiche Zeitperiode des Vorjahres ein
Activum von 36·4 Millionen Kronen ergab, iſt mithin
der Stand gegenwärtig um 23·6 Millionen Kronen
ungünſtiger. Der Import an Kohle und Cokes zeigt
in Folge der Rückwirkung des Streikes noch eine
Steigerung um 12·5 Millionen Kronen, der Export
eine Verminderung um 9·2 Millionen Kronen.
Die allgemeine Verſicherungs-Geſellſchaft
„Providentia“ in Wien berichtet, daß in der letzten
Generalverſammlung die Vertheilung einer 6percentigen
Dividende beſchloſſen und mehrere Statutenänderungen
formaler Natur vorgenommen wurden.
Vom k. k. Oeſterreichiſchen Handels-
muſeum wird mitgetheilt: „Firmen, welche mit
Liſſabon in Verbindung ſtehen, erhalten im k. k.
Oeſterreichiſchen Handelsmuſeum, 9. Bez., Berggaſſe 16,
gegen Legitimation eine vertrauliche Mittheilung.“
Inſolvenznachrichten. Der Creditorenverein meldet
folgende Inſolvenzen: Anton Fleiſcher, Kaufmann in Wien,
8. Bez., Joſefſtädterſtraße 7; Davidovits teſtverek, Handels-
firma in Nagybanya; Heinrich Kerndl, Fahrradhändler in
Mähriſch-Oſtrau. — Das Oeſterreichiſche Handelsmuſeum
gibt folgende Fallimente bekannt: Sofia: Spiro Athanaſſow;
Konſtantinopel: Hadji Mir Abdul Wahab; Niſch: Mirko
Mirkovic; Galatz: J. H. Goldſtein.
Der Mutter Wille.
Eine Familiengeſchichte von Carl Zaſtrow.
11 (Nachdruck verboten.)
„Du biſt ein vollſtändig verpfuſchter Menſch!“
grollte dann ungefähr die Mutter; „ich und der
Vater werdens noch erleben, daß Du gänzlich ver-
kommſt. Schämen ſollteſt Du Dich, Dein ſchönes
Geſchick zur Arbeit und zur Kunſt, was der Herrgott
Dir verliehen, ſo zu verlottern. Und die Strafe wird
Dir noch kommen dafür, daß Du Leib und Seele an
ein ſo unwürdiges Geſchöpf hängſt und dasſelbe mehr
im Herzen trägſt als die Mutter, die nur Dein
Beſtes will. Und eine ausgemachte Sache iſt es, daß
die Regiſtratorsdirne nichts taugt und keines braven
Mannes werth iſt. Hat ſie ſich nicht in Hamburg
dem Medicinpfuſcher, der ſich hier keine Exiſtenz
gründen konnte, an den Hals geworfen? Sprechen
Leute, die aus Hamburg kommen und ſie kennen, wohl
das geringſte Gute von ihr? Und ſo ein Geſchöpf
liebſt Du noch, vernachläſſigſt darum Dein ſchönes
Handwerk und Dein Talent, mit dem Du wuchern
ſollteſt nach des Herrn Willen zum Nutzen Deiner
Mitmenſchen? Pfui, ſchämen muß ich mich vor allen
Leuten, die uns kennen, und vor der ganzen ehrbaren
Familie ob der Schande, die Du uns machſt! Und
kurz und gut, wenn Du auf Deinem dummen und
eigenſinnigen Kopf ſtehen bleibſt, ſo erhältſt Du keinen
Pfennig Muttertheil, und ich werde auch den Vater
zu beſtimmen wiſſen, daß Du gänzlich von der Erb-
ſchaft ausgeſchloſſen wirſt!“
Natürlich waren derartige mütterliche Herzens-
ergießungen nichts weniger als geeignet, das verwundete
Gemüth des jungen Mannes wieder aufzurichten. Im
Gegentheil wurde er dadurch nur mehr in ſeine düſtere.
menſchenfeindliche Stimmung hineingedrängt, die ihn
mehr und mehr dem Umgange mit Altersgenoſſen und
ſeinen Geſchwiſtern entfremdete. Er wurde mit jedem
Tage zurückhaltender und verdroſſener, und das ge-
ſpannte Verhältniß zwiſchen ihm und der Mutter ſtellte
ſich immer ſchroffer heraus. — Die letztere hatte bald
kein freundliches Wort, keinen Blick mehr für ihn.
Sie ſprach in ſeiner Gegenwart von nichts anderem,
als dem ungerathenen Sohne, welcher der Strafe für
ſeinen Ungehorſam und ſeine Charakterſchlechtigkeit nicht
entgehen werde.
„Das halt ich nicht mehr aus, Vater!“ ſagte
Franz eines Abends, nachdem die Mutter wieder in
ähnlicher Weiſe ihren Unmuth Luft gemacht hatte;
„ich ſehe wohl ein, daß ich der Mutter ein Dorn im
Auge bin. Es gibt nichts Schrecklicheres, als ſich von
denjenigen gehaßt zu ſehen, die mau nach dem Gebote
Gottes lieben und ehren ſoll; ich muß aus dem Hauſe
Vater!“
Der Müller nickte ſtill vor ſich hin. „So wills
die Mutter haben, Franz! Ich habs Dir lange ſagen
wollen, mein Junge, daß das am beſten iſt. Die
Helene Kemnitz heiratheſt Du nicht, alſo wird an eine
Einigung auf dieſer Welt nicht mehr zu denken ſein.
— Geh’ alſo mit Gott, Franz, und find Dich in das,
was nicht mehr zu ändern iſt. Zweihundert Thaler
kann ich Dir geben, ohne daß es auffällt. Damit
kannſt Du etwas anfangen und wenn’s ſchon nicht
viel iſt, doch Dein eigener Herr werden.
Mit zweihundert Thalern werde ich Meiſter und
richte mir auch eine kleine Werkſtatt ein. So viel,
wie ich brauche, verdiene ich immer!“
Damit war die Sache abgemacht. Der junge
Handwerker verließ bereits am folgenden Tage die
elterliche Wohnung und miethete ſich in der Vorſtadt
der Reſidenz eine kleine Werkſtätte mit daranſtoßendem
Stübchen. Das Meiſterſtück, ein elegantes Näh-
tiſchchen aus Roſenholz mit überaus kunſtvollen Ver-
zierungen, hatte er bereits in glücklicheren Tagen be-
gonnen. Es ſollte dereinſt das Stübchen der ge-
liebten Gattin zieren. Jetzt hatte die Vollendung
zu den Zweck, ihm eine ruhige Selbſtſtändigkeit, eine
friedliche, ſichere Exiſtenz zu ſichern. Er arbeitete mit
Ausdauer und Sorgfalt Tag und Nacht, und wenn
ihn auch kein Gedanke an eine frohe glückliche Zukunft
begeiſterte und ſeine Phantaſie zu neuen originellen
Schöpfungen befähigte, ſo wurde das Werk doch von
der Prüfungs-Commiſſion als ein Kunſtwerk von
hohem Werke taxirt und der Meiſterbrief dem ge-
ſchickten Geſellen unbedenklich ausgefertigt.
Die geſchäftigen Klatſchzungen, mit denen Frau
Kraft eine ſorgfältige Verbindung unterhielt, er-
mittelten bald den neuen Aufenthalt und die ſonſtigen
Veränderungen in den äußeren Verhältniſſen des
Müllerſohnes und verfehlten nicht, ſich bei Frau
Kraft einzuſtellen und gegen die übliche Taſſe Mokka
ausführlichen Bericht zu erſtatten. Frau Kraft
ſchöpfte neue Hoffnung. „Ein geſchickter Junge iſt
er, das muß man ihm ſchon laſſen!“ ſagte ſie,
„ohne einen Pfennig Geld Meiſter und ſelbſtändig
geworden — das iſt immerhin etwas. Ich glaube
doch, Vater, der Franz wird noch vernünftig. Meinſt
Du nicht auch?“
Vater Kraft zuckte ſtill die Schultern und hielt es,
um weiteren Erörterungen auszuweichen, für das Beſte,
ſich auf ſein Müllerſtübchen zurückzuziehen und daſelbſt
für des Sohnes Wohlfahrt ein ſtilles Vaterunſer
zu beten.
Im Uebrigen ging die Hoffnung der guten Frau
nicht in Erfüllung. Franz hatte zwar mit Ehren die
Meiſterprüfung beſtanden und hantirte in ſeiner kleinen
Werkſtatt wacker und unverdroſſen, aber dabei blieb es
auch. Niemand durfte ihm ein Wort vom Heirathen
ſprechen oder auch nur eine Anſpielung auf eine „Frau
Meiſterin“ machen. Den Vater in der Mühle beſuchte
er zuweilen; in die elterliche Wohnung kam er nicht
mehr und Frau Kraft mußte wohl oder übel die
Ueberzeugung gewinnen, daß ſie wiederum eines ihrer
Kinder verloren habe.
Der Sommer war dahin. Ueber die Stoppel-
felder brauſte ein kalter Nordwind. Die gelben
und rothen Blätter löſten ſich von den Bäumen
und ſanken auf den welken Raſen. Wenn der
Herbſtſturm ſeine wilden Weiſen aufſpielte, mußten
ſie pfeilſchnell, wild, ohne Ruhe und Raſt über
Gräben, Wieſen, Gärten, Zäune und Hecken hin-
wegtanzen und die alten Bäume ſchütteln trübe
und melancholiſch die kahlen Kronen darüber, daß man
ihre Kinder nicht zur Ruhe kommen ließ. Spärlicher
begegnete man den eleganten Spaziergängern
auf den Promenaden der Stadt. Jaconnet und Barége,
Blouſe, Mantille und Sommerhütchen waren verbannt
und wollene Stoffe, Tuch- oder Sammtmäntelchen, bei
den Herren warme Ueberzieher an die Stelle der
leichten Kleider getreten.
(Fortſetzung folgt.)
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