Reichspost. Nr. 168, Wien, 26.07.1900.Wien, Donnerstag Reichspost 26. Juli 1900 168 [Spaltenumbruch] seiner Miliz mehr oder weniger ein Hinderniß für die europäischen Soldaten. Ob die Kaiserin die Früchte ihres Werkes genißen wird, scheint uns zweifelhaft. Sollte sie auch wirklich siegreich sein gegen die Mächte, was aber auf die Dauer der Zeit wohl ausgeschlossen ist, so wird doch zuletzt der revolutionäre Charakter der da han hui oder Boxers zutage treten und auch ihr den Todesstoß geben. Es scheint auch, daß der jetzige Aufstand der Kaiserin zu früh gekommen sei. Im Anschlusse hieran geben wir auch das "Herr Gesandter! Von Tag zu Tag wird die Schulberichte. Eine niederösterreichische Landes-Muster- Anstalt. Der 25. Jahresbericht des n.-ö. Landes- Aus dem Gerichtssaale. Unterschleife im Hause Czjzek. Der Angeklagte Carl Singer gibt an, daß er Der Angeklagte gibt zu, daß er sich die fälligen Vors.: Wie sind Sie nun zu dem tiefen Griff Der Angeklagte Paul Jonientz bekennt sich Der Vorsitzende confrontirt hierauf die Angeklagten [Spaltenumbruch] Der Angeklagte Otto Erban, Couponcassier bei Der Angeklagte Hans Kremar behauptet Zeugenverhör. Der Gesellschafter der Bankfirma Czizek, Doctor Was die gegenseitige Cassensperre betrifft, so Zeuge gibt weiter bezüglich der eingestellten Zah- Der gewesene Procurist der Firma Czjzek, Alois Der verbrannte Hirtenbrief. Der Heraus- Der mysteriöse Mord in Konitz. Wie aus Gewerbe. Zu den Wahlen in das Gewerbe- gericht. Binnen Kurzem finden die Ersatzwahlen für die Wien, Donnerſtag Reichspoſt 26. Juli 1900 168 [Spaltenumbruch] ſeiner Miliz mehr oder weniger ein Hinderniß für die europäiſchen Soldaten. Ob die Kaiſerin die Früchte ihres Werkes genißen wird, ſcheint uns zweifelhaft. Sollte ſie auch wirklich ſiegreich ſein gegen die Mächte, was aber auf die Dauer der Zeit wohl ausgeſchloſſen iſt, ſo wird doch zuletzt der revolutionäre Charakter der da han hui oder Boxers zutage treten und auch ihr den Todesſtoß geben. Es ſcheint auch, daß der jetzige Aufſtand der Kaiſerin zu früh gekommen ſei. Im Anſchluſſe hieran geben wir auch das „Herr Geſandter! Von Tag zu Tag wird die Schulberichte. Eine niederöſterreichiſche Landes-Muſter- Anſtalt. Der 25. Jahresbericht des n.-ö. Landes- Aus dem Gerichtsſaale. Unterſchleife im Hauſe Czjzek. Der Angeklagte Carl Singer gibt an, daß er Der Angeklagte gibt zu, daß er ſich die fälligen Vorſ.: Wie ſind Sie nun zu dem tiefen Griff Der Angeklagte Paul Jonientz bekennt ſich Der Vorſitzende confrontirt hierauf die Angeklagten [Spaltenumbruch] Der Angeklagte Otto Erban, Couponcaſſier bei Der Angeklagte Hans Kremar behauptet Zeugenverhör. Der Geſellſchafter der Bankfirma Czizek, Doctor Was die gegenſeitige Caſſenſperre betrifft, ſo Zeuge gibt weiter bezüglich der eingeſtellten Zah- Der geweſene Procuriſt der Firma Czjzek, Alois Der verbrannte Hirtenbrief. Der Heraus- Der myſteriöſe Mord in Konitz. Wie aus Gewerbe. Zu den Wahlen in das Gewerbe- gericht. Binnen Kurzem finden die Erſatzwahlen für die <TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Wien, Donnerſtag Reichspoſt 26. Juli 1900 168</hi></fw><lb/><cb/> ſeiner Miliz mehr oder weniger ein Hinderniß für die<lb/> europäiſchen Soldaten. Ob die Kaiſerin die Früchte<lb/> ihres Werkes genißen wird, ſcheint uns zweifelhaft.<lb/> Sollte ſie auch wirklich ſiegreich ſein gegen die Mächte,<lb/> was aber auf die Dauer der Zeit wohl ausgeſchloſſen<lb/> iſt, ſo wird doch zuletzt der revolutionäre Charakter<lb/> der <hi rendition="#aq">da han hui</hi> oder Boxers zutage treten und auch<lb/> ihr den Todesſtoß geben. Es ſcheint auch, daß der<lb/> jetzige Aufſtand der Kaiſerin zu früh gekommen ſei.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Im Anſchluſſe hieran geben wir auch das<lb/><hi rendition="#b">Warnungsſchreiben,</hi> welches der <hi rendition="#g">apoſto-<lb/> liſche Vicar in Peking</hi> <hi rendition="#b">ſchon am<lb/> 19. Mai</hi> an den franzöſiſchen Geſandten Herrn<lb/> Pichon richtete, in dem er auf die große Gefahr<lb/> der Lage hinwies. Das Alles ließ Frankreich,<lb/> ließen die europäiſchen Mächte unbeachtet. Das<lb/> Schriftſtück lautet:</p><lb/> <p>„Herr Geſandter! Von Tag zu Tag wird die<lb/> Lage ernſter und bedrohlicher. Im Bezirke Paoting-<lb/> fu ſind mehr als 70 Chriſten niedergemacht worden;<lb/> in der Nähe von Tſchoo-tſchen wurden vor kaum drei<lb/> Tagen drei andere Neophyten in Stücke geſchnitten.<lb/> Mehrere Dörfer wurden geplündert und in Brand<lb/> geſteckt, eine große Anzahl anderer Dörfer wurden<lb/> vollſtändig verlaſſen. Mehr als 2000 Chriſten ſind<lb/> auf der Flucht, ohne Brod, ohne Kleidung, ohne<lb/> Schutz. In Peking allein ſind ungefähr 400 Flücht-<lb/> linge, Männer, Frauen und Kinder, bei uns und bei<lb/> den Schweſtern untergebracht. In acht Tagen werden<lb/> ſich wahrſcheinlich mehrere Tauſend hier befinden, und<lb/> wir werden gezwungen ſein, die Schulen, Collegien<lb/> und alle Hoſpitäler freizumacheu, um für dieſe Un-<lb/> glücklichen Platz zu gewinnen. Vom Oſten her drohen<lb/> Plünderung und Brandſtiftung, und wir erhalten<lb/> täglich die beunruhigendſten Nachrichten. Peking iſt<lb/> von allen Seiten umzingelt, die <hi rendition="#g">Boxer</hi><lb/> nähern ſich täglich mehr der Hauptſtadt, wo-<lb/> bei ſie bloß durch die <hi rendition="#g">Ausrottung</hi> der<lb/> zum Chriſtenthume Bekehrten zurückgehalteu werden.<lb/> Ich bitte Sie, Herr Geſandter, mir zu glauben, denn<lb/> ich bin gut unterrichtet und behaupte nichts leichthin.<lb/> Die religiöſe Verfolgung iſt blos ein Vorhang, der<lb/> Hauptzweck iſt die Ausrottung der Europäer, ein<lb/> Zweck, der deutlich auf den Standarten der Boxer ge-<lb/> ſchrieben iſt. <hi rendition="#g">Ihre Anhänger erwarten<lb/> ſie in Peking; man wird mit dem An-<lb/> griff auf Kirchen beginnen und mit<lb/> einem ſolchen auf die Geſandtſchaften<lb/> ſchließen.</hi> Für uns hier in Peitang iſt ſogar ſchon<lb/> der <hi rendition="#g">Tag</hi> feſtgeſtellt, die <hi rendition="#g">ganze Stadt kennt</hi><lb/> ihn, <hi rendition="#g">alle Welt ſpricht davon</hi> und die<lb/> Gährung in der Bevölkerung iſt offenkundig. Erſt<lb/> geſtern Abends ſind 43 arme Frauen, die vor den<lb/> Maſſakres die Flucht ergriffen, mit ihren Kindern bei<lb/> den Schweſtern eingetroffen. Mehr als 500 Perſonen<lb/> begleiteten ſie und ſagten zu ihnen, wenn ſie auch dies-<lb/> mal entronnen ſind, ſo werden ſie hier bald mit den<lb/> Anderen davon ereilt werden. Ich erzähle Ihnen nicht,<lb/> Herr Geſandter, von den zahlloſen Plakaten gegen die<lb/> Europäer überhaupt, die in der ganzen Stadt affichirt<lb/> werden; jeden Tag tauchen neue Plakate auf, die<lb/> einen deutlicher als die anderen. Die Perſonen, welche<lb/> vor dreißig Jahren Zeugen der Maſſakres von Tientſin<lb/> waren, ſind von der Aehnlichkeit der damaligen Lage<lb/> mit der heutigen überraſcht, die gleichen Plakate, die<lb/> gleichen Drohungen, die <hi rendition="#g">gleichen Warnungen<lb/> und die gleiche Verblendung.</hi> Auch<lb/> damals haben, ebenſo wie heute, die Miſſionen, die<lb/> das furchtbare Erwachen vorausſahen, geſchrieben und<lb/> geheten. Unter dieſen Umſtänden halte ich es, Herr<lb/> Geſandter für meine Pflicht, Sie um die Entſendung<lb/> von 40 bis 50 Marineſoldaten wenigſtens nach Petang<lb/> zum Schutze unſerer Perſonen und unſerer Habe zu<lb/> bitten. Derartiges iſt ſchon unter viel weniger kritiſchen<lb/> Verhältniſſen geſchehen, und ich hoffe, daß Sie meine<lb/> ergebene Bitte in Betracht ziehen werden. † Stls. Jar-<lb/> lon, Ev. Coadjutor. † Alv. Favier, Ev. Vic. Apoſt v.<lb/> Peking. † C. M. Guillard, Vic. Gen.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jVarious" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Schulberichte.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Eine niederöſterreichiſche Landes-Muſter-<lb/> Anſtalt.</hi> </head> <p>Der 25. Jahresbericht des n.-ö. Landes-<lb/> Lehrer-Seminars in St. Pölten iſt erſchienen. Er ent-<lb/> hält neben den Schulnachrichten mehrere ſehr intereſſante<lb/> wiſſenſchaftliche Abhandlungen. Aus einer dem Bericht<lb/> vorangeſtellten Bemerkung geht hervor, daß der nieder-<lb/> öſterreichiſche Landesausſchuß geſtattete, daß aus An-<lb/> laß des 25jährigen Beſtandes dieſer Anſtalt, der<lb/> Jahresbericht heuer in ungewöhnlich ſtarken Umfang<lb/> erſcheine, um durch den Reichthum des Inhaltes ein<lb/> bleibendes Denkmal der geiſtigen Thätigkeit des Lehr-<lb/> körpers im gegebenen Augenblick der Folgezeit zu<lb/> hinterlaſſen. Dieſer Intention iſt im vollſtem Maße<lb/> entſprochen worden. Herr Anſtalts-Director Dr. R v.<lb/><hi rendition="#g">Muth</hi> ſchrieb eine hochintereſſante, von gründlicher<lb/> Beherrſchung des Stoffes zeugende Abhandlung:<lb/> „Die Abſtammung der Baiuwaren“, Herr Profeſſor<lb/> Stefan <hi rendition="#g">Blumauer</hi> bietet eine gediegene hiſtoriſche<lb/> Arbeit: „Die Baiern und Franzoſen in St. Pölten im<lb/> Jahre 1741“ und Herr Prof. Dr. Rud. <hi rendition="#g">Hornich</hi><lb/> behandelt in feſſelnder Form ein actuelles Thema:<lb/> „Die Moralſkepſis unſerer Zeit“. Herr Muſiklehrer<lb/><hi rendition="#g">Burger</hi> hat ſich mit einem beachtenswerthen Auf-<lb/> ſatz über „Cäcilianismus und Lehrerbildungsanſtalten“<lb/><cb/> eingeſtellt. Herr Uebungsſchullehrer <hi rendition="#g">Schwarz</hi><lb/> ſchreibt über „Elementar-Unterricht und Elementar-<lb/> lehrer“ und der Hausarzt des Internates <hi rendition="#aq">Med.</hi> Doctor<lb/> Math. <hi rendition="#g">Klaus</hi> liefert einen Beitrag: „Zur Waſſer-<lb/> verſorgung St. Pöltens.“ Der Jahresbericht conſtatirt<lb/> mit Befriedigung, daß ſich in der letzten Zeit die Zahl<lb/> der Beſucher mehrt, die die in ihrer vollſtändigen<lb/> Einrichtung allerdings ſehenswerthe Anſtalt zu beſich-<lb/> tigen wünſchen. Ueber das Claſſificationsergebniß<lb/> enthält der Bericht folgende Angaben: <hi rendition="#aq">a)</hi> Fortgang:<lb/> Vorzug 45. <hi rendition="#aq">I.</hi> Claſſe 115; <hi rendition="#aq">b)</hi> Sitten und Fleiß:<lb/> Lobenswerth. Ausdauer: 68 bezw. 35. Befriedigend:<lb/> 86 bezw. 100. Die Geſammtzahl der Schüler betrug<lb/> 167. Nicht unintereſſant iſt der Hinweis darauf, daß<lb/> der Pflege der <hi rendition="#g">Kirchenmuſik</hi> eine ſo intenſive<lb/> Aufmerkſamkeit in der Anſtalt zugewendet wurde, daß<lb/> es möglich war, vom November an eine Reihe kirchen-<lb/> muſikaliſcher Aufführungen in der Hauscapelle zu<lb/> veranſtalten.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Aus dem Gerichtsſaale.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Unterſchleife im Hauſe Czjzek.</hi> </head><lb/> <p>Der Angeklagte Carl <hi rendition="#g">Singer</hi> gibt an, daß er<lb/> ſchon früher im Bankhauſe Czjzek bedienſtet war, ſich<lb/> dann ſelbſtändig machte, indem er dem Bankhauſe<lb/> Singer und Stern als Geſellſchafter mit einer Ein-<lb/> lage von 50.000 <hi rendition="#aq">K</hi> beitrat, die jedoch ſchon nach einem<lb/> Jahre verloren ging. Er kam dann wieder zu Czjzek,<lb/> wo er monatlich 200 fl. und Bonificationen von 600<lb/> bis 800 fl. bezog.</p><lb/> <p>Der Angeklagte gibt zu, daß er ſich die fälligen<lb/> Coupons, die von den Werthpapieren noch nicht abge-<lb/> löſt waren, angeeignet, und daß beim Ankaufe von<lb/> Werthpapieren dem Bankhauſe größere als die ausbe-<lb/> zahlten Beträge und beim Verkaufe geringere als die<lb/> empfangenen Beträge verrechnet wurden. Das ſei aber<lb/> ſo uſuell geweſen, daß man annehmen mußte, das<lb/> Bankhaus ſei damit einverſtanden.</p><lb/> <p>Vorſ.: Wie ſind Sie nun zu dem tiefen Griff<lb/> in die Caſſe der Firma Czizek gekommen? —<lb/> Angekl.: Wir haben Börſeverluſte gehabt. — Vorſ.:<lb/> Wer wir? — Angekl.: Jonientz und ich. Ein<lb/> Committent hatte mir 25 Tramwayactien übergeben<lb/> mit dem Auftrag, ſie zu verkaufen; ich vergaß, und<lb/> plötzlich fielen Tramway um 5 bis 6 fl. Ich erzählte<lb/> Jonientz von meiner Schlamperei, und wir beſchloſſen,<lb/> die Actien auf eigene Rechnung zu übernehmen. Um<lb/> ½3 Uhr Nachmittags telephonirte der Client, ob die<lb/> Actien verkauft ſind; ich bejahte, ließ mir auf die<lb/> Actien einen Vorſchuß geben und zahlte den Clienten<lb/> aus. — Vorſ.: Jetzt beſaßen Sie 25 Stück Tram-<lb/> way und eröffneten ein Conto unter dem fingirten<lb/> Namen Braun. — Angekl.: Ja. Dieſes Conto war<lb/> der Anfang des Uebels. Am nächſten Tage ſchon<lb/> fielen Tramway um 15 fl., die Differenzen wurden<lb/> immer größer, der Curs immer tiefer, die Actien<lb/> fielen um faſt 300 fl., der Verluſt war<lb/> ein rieſiger. Dann ſpielte ich, um die Ver-<lb/> luſte zu decken, habe aber immer verloren. —<lb/> Vorſ.: Im April haben Sie nun der Caſſe des Hauſes<lb/> Czjzek 50 Stück Creditactien entnommen. Wozu? —<lb/> Angekl.: Um ſpielen zu können, hinterlegte ich ſie auf<lb/> den Namen meiner Frau bei Hirſch u. Comp. —<lb/> Vorſ.: Haben Sie ſie denn ſo nehmen können, ohne<lb/> daß es Jonientz, der Caſſier, geſehen hat? — Angekl.:<lb/> Ich habe ſelbſtändiges Verfügungsrecht gehabt, aller-<lb/> dings nicht für meinen Gebrauch. — Vorſ.: Anläßlich<lb/> einer bevorſtehenden Scontrirung liehen Sie ſich von<lb/> Jonientz 20.000 fl. Rente aus und löſten die Credit-<lb/> actien ein, damit ſie in der Caſſe ſeien? — Angekl.:<lb/> Ja. — Vorſ.: Erfuhren Sie vorher von einer Scon-<lb/> trirung? — Angekl.: Ja, es wurde mir geſagt. —<lb/> Vorſ.: Das iſt eine recht zweckmäßige Einrichtung! —<lb/> Angekl.: Ich hätte ſchließlich ja Alles noch im letzten<lb/> Augenblicke vertuſchen können, allein ich ging zum<lb/> Staatsanwalt. — Vorſ.: Früher wollten Sie ſich er-<lb/> ſchießen? — Angekl.: Ja. — Vorſ.: Es liegen Ihre<lb/> Abſchiedsbriefe vor. Sie haben es ſich jedoch wieder<lb/> anders überlegt.</p><lb/> <p>Der Angeklagte Paul <hi rendition="#g">Jonientz</hi> bekennt ſich<lb/> als <hi rendition="#g">nicht</hi> ſchuldig und gibt an, daß den Parteien<lb/> theils niedere, theils höhere Beträge gerechnet und die<lb/> Differenzen unter den Angeklagten getheilt wurden.<lb/> Alles dies ſei jedoch mit der Zuſtimmung des Bank-<lb/> hauſes geſchehen. — Vorſ.: Wenn dies der Fall ge-<lb/> weſen iſt, wieſo konnte <hi rendition="#g">Singer</hi> dann die Art der<lb/> gemeinſchaftlichen Gebahrungsweiſe als Malverſation<lb/> bezeichnen? — Angekl.: Das weiß ich nicht. — Vorſ.:<lb/> Wie viel hat alſo das „Conſortium“ nebenbei ver-<lb/> dient? — Angekl.: Circa 1900 fl. — Vorſ.: Vor<lb/> dem Unterſuchungsrichter haben Sie zugegeben, das<lb/> Bankhaus betrogen zu haben. Wie iſt das mit Ihrer<lb/> heutigen Darſtellung vereinbarlich? — Angekl.: Ich<lb/> war damals ſo aufgeregt, daß ich nicht wußte, was<lb/> ich Alles beſtätigte. — Vorſ.: An der Aneignung von<lb/> Coupons waren Sie nicht betheiligt? — Angekl.:<lb/> Die hat Singer genommen und mir Proviſionen be-<lb/> zahlt. Ich wollte doch Niemanden ſchädigen und wenn<lb/> ich gewußt hätte, daß man das, wozu wir Beamten<lb/> uns berechtigt hielten, als Diebſtahl auffaßt, hätte ich<lb/> dem Chef Alles geſagt und zurückgegeben, was ich be-<lb/> kommen habe.</p><lb/> <p>Der Vorſitzende confrontirt hierauf die Angeklagten<lb/> Jonientz und Singer miteinander. Erſterer ſagt zu<lb/> Singer: Coupons habe ich nicht genommen. — Singer:<lb/> Möglich, ich erinnere mich nicht.</p><lb/> <cb/> <p>Der Angeklagte Otto <hi rendition="#g">Erban,</hi> Couponcaſſier bei<lb/> Czizek, bezog <hi rendition="#g">nur</hi> einen Monatsgehalt von 90 fl.<lb/> und hatte für ſeine Gattin und zwei Kinder zu ſorgen.<lb/> Als er ſeine früher gehabte Nebenbeſchäftigung ver-<lb/> loren hatte und ſeine Frau überdies noch erkrankte,<lb/> ließ er ſich, wie er <hi rendition="#g">weinend</hi> angibt, verleiten, jene<lb/> Handlung zu begehen, wegen welcher er ſich nun zu<lb/> verantworten hat. <hi rendition="#g">Singer</hi> und Andere hätten<lb/> Coupons gebracht, die er einlöſte; er habe auch kleine<lb/> Proviſionen von Börſegeſchäften bekommen.</p><lb/> <p>Der Angeklagte Hans <hi rendition="#g">Kremar</hi> behauptet<lb/> ebenfalls, daß die Vortheile beim Ein- und Verkaufe<lb/> der Eſſecten vom Bankhauſe als Entſchädigung für<lb/> beſondere Leiſtungen den Beamten eingeräumt worden<lb/> ſeien; von dem Vortheile aus den Zinſendifferenzen<lb/> habe er überhaupt erſt nachträglich erfahren. —<lb/> Vorſ.: Und was hat es mit den Couponaneignungen<lb/> für ein Bewandtniß? — Angekl.: Davon hatte ich<lb/> gar keine Kenntniß, wenn es auch möglich iſt, daß ich<lb/> daraus, ohne daß mir dies bekannt gegeben wurde,<lb/> betheilt worden bin.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Zeugenverhör.</hi> </head><lb/> <p>Der Geſellſchafter der Bankfirma Czizek, Doctor<lb/><hi rendition="#g">Grimus v. Grimburg,</hi> deponirt, daß <hi rendition="#g">Singer</hi><lb/> zwar für das Bankhaus Erkundigungen auf der Börſe<lb/> einzuziehen und Aufträge des Bankhauſes auszuführen<lb/> hatte, aber nicht eigentlicher Börſendisponent des Bank-<lb/> hauſes war. Er war eigentlich Effectencaſſier und<lb/> theilte ſich in den damit zuſammenhängenden Parteien-<lb/> verkehr mit Jonienz. — Vorſ.: Welchen Einfluß hatte<lb/> Singer beim Ein- und Verkauf der Effecten? —<lb/> Zeuge: Ihm oblag die Cursbeſtimmung. — Vorſ.:<lb/> Innerhalb welcher Schranken? — Zeuge: Innerhalb<lb/> der Schranken der Curſe von Geld und Waare. Eine<lb/> Ausnahme machten nur gewiſſe Actien.</p><lb/> <p>Was die gegenſeitige Caſſenſperre betrifft, ſo<lb/> hatten Singer und Jonientz je einen Schlüſſel, doch<lb/> die Art dieſer Gegenſperre war eine ſolche, daß einer<lb/> der Vertheidiger mit Recht von derſelben ſagte: So<lb/> eine Sperre iſt mir in meinem Leben noch nicht vor-<lb/> gekommen. Bei Tag kann Singer oder Jonientz ſo oft<lb/> in die Caſſe, als ein Jeder will, und während der<lb/> Nacht iſt die Caſſe ohnedies geſchloſſen, ſo daß die<lb/> Doppelſperre eigentlich ganz werthlos iſt.</p><lb/> <p>Zeuge gibt weiter bezüglich der eingeſtellten Zah-<lb/> lungen der Proviſionen an, er habe dieſelben deshalb<lb/> ſiſtirt, weil ſie erſtens zu hoch bemeſſen waren und es<lb/> anderſeits nicht heißen ſollte, durch dieſelben würden<lb/> die Beamten ſeines Hauſes zum Börſenſpiele verleitet.</p><lb/> <p>Der geweſene Procuriſt der Firma Czjzek, Alois<lb/><hi rendition="#g">Schwanzer</hi> und der Vicedirector der Verkehrs-<lb/> bank <hi rendition="#g">Hickl,</hi> der ſeinerzeit ebenfalls bei Czjzek gedient<lb/> hat, geben übereinſtimmend an, das <hi rendition="#g">Proviſions-<lb/> weſen</hi> ſei <hi rendition="#g">ſtillſchweigend</hi> geduldet worden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der verbrannte Hirtenbrief.</hi> </head> <p>Der Heraus-<lb/> geber des Schundblattes „Scherer“, Carl <hi rendition="#g">Haber-<lb/> mann,</hi> der bekanntlich im Juli v. J. in Innsbruck<lb/> öffentlich einen Hirtenbrief des Fürſterzbiſchofs von<lb/> Brixen verbrannt hat, hatte ſich bereits zum dritten<lb/> Male wegen dieſes Frevels vor Gericht zu verant-<lb/> worten. Das erſte Mal vor dem Innsbrucker Er-<lb/> kenntnißgerichte, welches Habermann freiſprach; der<lb/> Caſſationshof hob jedoch das Urtheil auf und bei der<lb/> neuerlichen Verhandlung wurde der Angeklagte zu 8 Tagen<lb/> Arreſts verurtheilt. Auf Grund der Nichtigkeitsbeſchwerde<lb/> hob der Caſſationshof das Urtheil abermals auf und<lb/> delegirte das Kreisgericht <hi rendition="#g">Feldkirch</hi> für die dritte<lb/> Verhandlung. Bei derſelben wurde der Angeklagte zur<lb/> Abwechslung wieder <hi rendition="#g">freigeſprochen</hi> mit der<lb/> Begründung, daß der objective Thatbeſtand, daß in<lb/> der <hi rendition="#g">Verbrennung des Hirtenbriefes</hi><lb/> eine <hi rendition="#g">Herabwürdigung einer kirch-<lb/> lichen</hi> Einrichtung liege, bejaht werden müſſe. Ebenſo<lb/> war die <hi rendition="#g">Verbrennung geeignet, öffent-<lb/> liches Aergerniß</hi> zu erregen. Das Schreiben<lb/> ſei zweifellos ein Hirtenbrief. Die Verbrennung dieſes<lb/> einzelnen, gegen den Angeklagten perſönlich ſich<lb/> richtenden Hirtenbriefes laſſe aber noch nicht erkennen,<lb/> daß die Herabwürdigung der ganzen kirchlichen<lb/> Inſtitution beabſichtigt war und deshalb erfolge der<lb/> Freiſpruch. Da diesmal der <hi rendition="#g">Staatsanwalt</hi> die<lb/><hi rendition="#g">Nichtigkeits beſchwerde</hi> anmeldete, gelangt<lb/> die Affaire auch noch zum drittenmale vor den<lb/> Caſſationshof.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der myſteriöſe Mord in Konitz.</hi> </head> <p>Wie aus<lb/><hi rendition="#g">Konitz</hi> telegraphirt wird, iſt das Verfahren gegen<lb/> den chriſtlichen Fleiſchermeiſter <hi rendition="#g">Hoffmann</hi> wegen<lb/> Todtſchlages durch Beſchluß der Strafkammer <hi rendition="#g">ein-<lb/> geſtellt</hi> worden. Nach dem Wortlaut des Beſchluſſes<lb/> hat die Vorunterſuchung ergeben, daß <hi rendition="#g">Hoffmann<lb/> ſchuldlos</hi> iſt.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jVarious" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Gewerbe.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Zu den Wahlen in das Gewerbe-<lb/> gericht.</hi> </head><lb/> <p>Binnen Kurzem finden die Erſatzwahlen für die<lb/> ausgeloſten oder aus anderen Gründen ausgeſchiedenen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0010]
Wien, Donnerſtag Reichspoſt 26. Juli 1900 168
ſeiner Miliz mehr oder weniger ein Hinderniß für die
europäiſchen Soldaten. Ob die Kaiſerin die Früchte
ihres Werkes genißen wird, ſcheint uns zweifelhaft.
Sollte ſie auch wirklich ſiegreich ſein gegen die Mächte,
was aber auf die Dauer der Zeit wohl ausgeſchloſſen
iſt, ſo wird doch zuletzt der revolutionäre Charakter
der da han hui oder Boxers zutage treten und auch
ihr den Todesſtoß geben. Es ſcheint auch, daß der
jetzige Aufſtand der Kaiſerin zu früh gekommen ſei.
Im Anſchluſſe hieran geben wir auch das
Warnungsſchreiben, welches der apoſto-
liſche Vicar in Peking ſchon am
19. Mai an den franzöſiſchen Geſandten Herrn
Pichon richtete, in dem er auf die große Gefahr
der Lage hinwies. Das Alles ließ Frankreich,
ließen die europäiſchen Mächte unbeachtet. Das
Schriftſtück lautet:
„Herr Geſandter! Von Tag zu Tag wird die
Lage ernſter und bedrohlicher. Im Bezirke Paoting-
fu ſind mehr als 70 Chriſten niedergemacht worden;
in der Nähe von Tſchoo-tſchen wurden vor kaum drei
Tagen drei andere Neophyten in Stücke geſchnitten.
Mehrere Dörfer wurden geplündert und in Brand
geſteckt, eine große Anzahl anderer Dörfer wurden
vollſtändig verlaſſen. Mehr als 2000 Chriſten ſind
auf der Flucht, ohne Brod, ohne Kleidung, ohne
Schutz. In Peking allein ſind ungefähr 400 Flücht-
linge, Männer, Frauen und Kinder, bei uns und bei
den Schweſtern untergebracht. In acht Tagen werden
ſich wahrſcheinlich mehrere Tauſend hier befinden, und
wir werden gezwungen ſein, die Schulen, Collegien
und alle Hoſpitäler freizumacheu, um für dieſe Un-
glücklichen Platz zu gewinnen. Vom Oſten her drohen
Plünderung und Brandſtiftung, und wir erhalten
täglich die beunruhigendſten Nachrichten. Peking iſt
von allen Seiten umzingelt, die Boxer
nähern ſich täglich mehr der Hauptſtadt, wo-
bei ſie bloß durch die Ausrottung der
zum Chriſtenthume Bekehrten zurückgehalteu werden.
Ich bitte Sie, Herr Geſandter, mir zu glauben, denn
ich bin gut unterrichtet und behaupte nichts leichthin.
Die religiöſe Verfolgung iſt blos ein Vorhang, der
Hauptzweck iſt die Ausrottung der Europäer, ein
Zweck, der deutlich auf den Standarten der Boxer ge-
ſchrieben iſt. Ihre Anhänger erwarten
ſie in Peking; man wird mit dem An-
griff auf Kirchen beginnen und mit
einem ſolchen auf die Geſandtſchaften
ſchließen. Für uns hier in Peitang iſt ſogar ſchon
der Tag feſtgeſtellt, die ganze Stadt kennt
ihn, alle Welt ſpricht davon und die
Gährung in der Bevölkerung iſt offenkundig. Erſt
geſtern Abends ſind 43 arme Frauen, die vor den
Maſſakres die Flucht ergriffen, mit ihren Kindern bei
den Schweſtern eingetroffen. Mehr als 500 Perſonen
begleiteten ſie und ſagten zu ihnen, wenn ſie auch dies-
mal entronnen ſind, ſo werden ſie hier bald mit den
Anderen davon ereilt werden. Ich erzähle Ihnen nicht,
Herr Geſandter, von den zahlloſen Plakaten gegen die
Europäer überhaupt, die in der ganzen Stadt affichirt
werden; jeden Tag tauchen neue Plakate auf, die
einen deutlicher als die anderen. Die Perſonen, welche
vor dreißig Jahren Zeugen der Maſſakres von Tientſin
waren, ſind von der Aehnlichkeit der damaligen Lage
mit der heutigen überraſcht, die gleichen Plakate, die
gleichen Drohungen, die gleichen Warnungen
und die gleiche Verblendung. Auch
damals haben, ebenſo wie heute, die Miſſionen, die
das furchtbare Erwachen vorausſahen, geſchrieben und
geheten. Unter dieſen Umſtänden halte ich es, Herr
Geſandter für meine Pflicht, Sie um die Entſendung
von 40 bis 50 Marineſoldaten wenigſtens nach Petang
zum Schutze unſerer Perſonen und unſerer Habe zu
bitten. Derartiges iſt ſchon unter viel weniger kritiſchen
Verhältniſſen geſchehen, und ich hoffe, daß Sie meine
ergebene Bitte in Betracht ziehen werden. † Stls. Jar-
lon, Ev. Coadjutor. † Alv. Favier, Ev. Vic. Apoſt v.
Peking. † C. M. Guillard, Vic. Gen.
Schulberichte.
Eine niederöſterreichiſche Landes-Muſter-
Anſtalt. Der 25. Jahresbericht des n.-ö. Landes-
Lehrer-Seminars in St. Pölten iſt erſchienen. Er ent-
hält neben den Schulnachrichten mehrere ſehr intereſſante
wiſſenſchaftliche Abhandlungen. Aus einer dem Bericht
vorangeſtellten Bemerkung geht hervor, daß der nieder-
öſterreichiſche Landesausſchuß geſtattete, daß aus An-
laß des 25jährigen Beſtandes dieſer Anſtalt, der
Jahresbericht heuer in ungewöhnlich ſtarken Umfang
erſcheine, um durch den Reichthum des Inhaltes ein
bleibendes Denkmal der geiſtigen Thätigkeit des Lehr-
körpers im gegebenen Augenblick der Folgezeit zu
hinterlaſſen. Dieſer Intention iſt im vollſtem Maße
entſprochen worden. Herr Anſtalts-Director Dr. R v.
Muth ſchrieb eine hochintereſſante, von gründlicher
Beherrſchung des Stoffes zeugende Abhandlung:
„Die Abſtammung der Baiuwaren“, Herr Profeſſor
Stefan Blumauer bietet eine gediegene hiſtoriſche
Arbeit: „Die Baiern und Franzoſen in St. Pölten im
Jahre 1741“ und Herr Prof. Dr. Rud. Hornich
behandelt in feſſelnder Form ein actuelles Thema:
„Die Moralſkepſis unſerer Zeit“. Herr Muſiklehrer
Burger hat ſich mit einem beachtenswerthen Auf-
ſatz über „Cäcilianismus und Lehrerbildungsanſtalten“
eingeſtellt. Herr Uebungsſchullehrer Schwarz
ſchreibt über „Elementar-Unterricht und Elementar-
lehrer“ und der Hausarzt des Internates Med. Doctor
Math. Klaus liefert einen Beitrag: „Zur Waſſer-
verſorgung St. Pöltens.“ Der Jahresbericht conſtatirt
mit Befriedigung, daß ſich in der letzten Zeit die Zahl
der Beſucher mehrt, die die in ihrer vollſtändigen
Einrichtung allerdings ſehenswerthe Anſtalt zu beſich-
tigen wünſchen. Ueber das Claſſificationsergebniß
enthält der Bericht folgende Angaben: a) Fortgang:
Vorzug 45. I. Claſſe 115; b) Sitten und Fleiß:
Lobenswerth. Ausdauer: 68 bezw. 35. Befriedigend:
86 bezw. 100. Die Geſammtzahl der Schüler betrug
167. Nicht unintereſſant iſt der Hinweis darauf, daß
der Pflege der Kirchenmuſik eine ſo intenſive
Aufmerkſamkeit in der Anſtalt zugewendet wurde, daß
es möglich war, vom November an eine Reihe kirchen-
muſikaliſcher Aufführungen in der Hauscapelle zu
veranſtalten.
Aus dem Gerichtsſaale.
Unterſchleife im Hauſe Czjzek.
Der Angeklagte Carl Singer gibt an, daß er
ſchon früher im Bankhauſe Czjzek bedienſtet war, ſich
dann ſelbſtändig machte, indem er dem Bankhauſe
Singer und Stern als Geſellſchafter mit einer Ein-
lage von 50.000 K beitrat, die jedoch ſchon nach einem
Jahre verloren ging. Er kam dann wieder zu Czjzek,
wo er monatlich 200 fl. und Bonificationen von 600
bis 800 fl. bezog.
Der Angeklagte gibt zu, daß er ſich die fälligen
Coupons, die von den Werthpapieren noch nicht abge-
löſt waren, angeeignet, und daß beim Ankaufe von
Werthpapieren dem Bankhauſe größere als die ausbe-
zahlten Beträge und beim Verkaufe geringere als die
empfangenen Beträge verrechnet wurden. Das ſei aber
ſo uſuell geweſen, daß man annehmen mußte, das
Bankhaus ſei damit einverſtanden.
Vorſ.: Wie ſind Sie nun zu dem tiefen Griff
in die Caſſe der Firma Czizek gekommen? —
Angekl.: Wir haben Börſeverluſte gehabt. — Vorſ.:
Wer wir? — Angekl.: Jonientz und ich. Ein
Committent hatte mir 25 Tramwayactien übergeben
mit dem Auftrag, ſie zu verkaufen; ich vergaß, und
plötzlich fielen Tramway um 5 bis 6 fl. Ich erzählte
Jonientz von meiner Schlamperei, und wir beſchloſſen,
die Actien auf eigene Rechnung zu übernehmen. Um
½3 Uhr Nachmittags telephonirte der Client, ob die
Actien verkauft ſind; ich bejahte, ließ mir auf die
Actien einen Vorſchuß geben und zahlte den Clienten
aus. — Vorſ.: Jetzt beſaßen Sie 25 Stück Tram-
way und eröffneten ein Conto unter dem fingirten
Namen Braun. — Angekl.: Ja. Dieſes Conto war
der Anfang des Uebels. Am nächſten Tage ſchon
fielen Tramway um 15 fl., die Differenzen wurden
immer größer, der Curs immer tiefer, die Actien
fielen um faſt 300 fl., der Verluſt war
ein rieſiger. Dann ſpielte ich, um die Ver-
luſte zu decken, habe aber immer verloren. —
Vorſ.: Im April haben Sie nun der Caſſe des Hauſes
Czjzek 50 Stück Creditactien entnommen. Wozu? —
Angekl.: Um ſpielen zu können, hinterlegte ich ſie auf
den Namen meiner Frau bei Hirſch u. Comp. —
Vorſ.: Haben Sie ſie denn ſo nehmen können, ohne
daß es Jonientz, der Caſſier, geſehen hat? — Angekl.:
Ich habe ſelbſtändiges Verfügungsrecht gehabt, aller-
dings nicht für meinen Gebrauch. — Vorſ.: Anläßlich
einer bevorſtehenden Scontrirung liehen Sie ſich von
Jonientz 20.000 fl. Rente aus und löſten die Credit-
actien ein, damit ſie in der Caſſe ſeien? — Angekl.:
Ja. — Vorſ.: Erfuhren Sie vorher von einer Scon-
trirung? — Angekl.: Ja, es wurde mir geſagt. —
Vorſ.: Das iſt eine recht zweckmäßige Einrichtung! —
Angekl.: Ich hätte ſchließlich ja Alles noch im letzten
Augenblicke vertuſchen können, allein ich ging zum
Staatsanwalt. — Vorſ.: Früher wollten Sie ſich er-
ſchießen? — Angekl.: Ja. — Vorſ.: Es liegen Ihre
Abſchiedsbriefe vor. Sie haben es ſich jedoch wieder
anders überlegt.
Der Angeklagte Paul Jonientz bekennt ſich
als nicht ſchuldig und gibt an, daß den Parteien
theils niedere, theils höhere Beträge gerechnet und die
Differenzen unter den Angeklagten getheilt wurden.
Alles dies ſei jedoch mit der Zuſtimmung des Bank-
hauſes geſchehen. — Vorſ.: Wenn dies der Fall ge-
weſen iſt, wieſo konnte Singer dann die Art der
gemeinſchaftlichen Gebahrungsweiſe als Malverſation
bezeichnen? — Angekl.: Das weiß ich nicht. — Vorſ.:
Wie viel hat alſo das „Conſortium“ nebenbei ver-
dient? — Angekl.: Circa 1900 fl. — Vorſ.: Vor
dem Unterſuchungsrichter haben Sie zugegeben, das
Bankhaus betrogen zu haben. Wie iſt das mit Ihrer
heutigen Darſtellung vereinbarlich? — Angekl.: Ich
war damals ſo aufgeregt, daß ich nicht wußte, was
ich Alles beſtätigte. — Vorſ.: An der Aneignung von
Coupons waren Sie nicht betheiligt? — Angekl.:
Die hat Singer genommen und mir Proviſionen be-
zahlt. Ich wollte doch Niemanden ſchädigen und wenn
ich gewußt hätte, daß man das, wozu wir Beamten
uns berechtigt hielten, als Diebſtahl auffaßt, hätte ich
dem Chef Alles geſagt und zurückgegeben, was ich be-
kommen habe.
Der Vorſitzende confrontirt hierauf die Angeklagten
Jonientz und Singer miteinander. Erſterer ſagt zu
Singer: Coupons habe ich nicht genommen. — Singer:
Möglich, ich erinnere mich nicht.
Der Angeklagte Otto Erban, Couponcaſſier bei
Czizek, bezog nur einen Monatsgehalt von 90 fl.
und hatte für ſeine Gattin und zwei Kinder zu ſorgen.
Als er ſeine früher gehabte Nebenbeſchäftigung ver-
loren hatte und ſeine Frau überdies noch erkrankte,
ließ er ſich, wie er weinend angibt, verleiten, jene
Handlung zu begehen, wegen welcher er ſich nun zu
verantworten hat. Singer und Andere hätten
Coupons gebracht, die er einlöſte; er habe auch kleine
Proviſionen von Börſegeſchäften bekommen.
Der Angeklagte Hans Kremar behauptet
ebenfalls, daß die Vortheile beim Ein- und Verkaufe
der Eſſecten vom Bankhauſe als Entſchädigung für
beſondere Leiſtungen den Beamten eingeräumt worden
ſeien; von dem Vortheile aus den Zinſendifferenzen
habe er überhaupt erſt nachträglich erfahren. —
Vorſ.: Und was hat es mit den Couponaneignungen
für ein Bewandtniß? — Angekl.: Davon hatte ich
gar keine Kenntniß, wenn es auch möglich iſt, daß ich
daraus, ohne daß mir dies bekannt gegeben wurde,
betheilt worden bin.
Zeugenverhör.
Der Geſellſchafter der Bankfirma Czizek, Doctor
Grimus v. Grimburg, deponirt, daß Singer
zwar für das Bankhaus Erkundigungen auf der Börſe
einzuziehen und Aufträge des Bankhauſes auszuführen
hatte, aber nicht eigentlicher Börſendisponent des Bank-
hauſes war. Er war eigentlich Effectencaſſier und
theilte ſich in den damit zuſammenhängenden Parteien-
verkehr mit Jonienz. — Vorſ.: Welchen Einfluß hatte
Singer beim Ein- und Verkauf der Effecten? —
Zeuge: Ihm oblag die Cursbeſtimmung. — Vorſ.:
Innerhalb welcher Schranken? — Zeuge: Innerhalb
der Schranken der Curſe von Geld und Waare. Eine
Ausnahme machten nur gewiſſe Actien.
Was die gegenſeitige Caſſenſperre betrifft, ſo
hatten Singer und Jonientz je einen Schlüſſel, doch
die Art dieſer Gegenſperre war eine ſolche, daß einer
der Vertheidiger mit Recht von derſelben ſagte: So
eine Sperre iſt mir in meinem Leben noch nicht vor-
gekommen. Bei Tag kann Singer oder Jonientz ſo oft
in die Caſſe, als ein Jeder will, und während der
Nacht iſt die Caſſe ohnedies geſchloſſen, ſo daß die
Doppelſperre eigentlich ganz werthlos iſt.
Zeuge gibt weiter bezüglich der eingeſtellten Zah-
lungen der Proviſionen an, er habe dieſelben deshalb
ſiſtirt, weil ſie erſtens zu hoch bemeſſen waren und es
anderſeits nicht heißen ſollte, durch dieſelben würden
die Beamten ſeines Hauſes zum Börſenſpiele verleitet.
Der geweſene Procuriſt der Firma Czjzek, Alois
Schwanzer und der Vicedirector der Verkehrs-
bank Hickl, der ſeinerzeit ebenfalls bei Czjzek gedient
hat, geben übereinſtimmend an, das Proviſions-
weſen ſei ſtillſchweigend geduldet worden.
Der verbrannte Hirtenbrief. Der Heraus-
geber des Schundblattes „Scherer“, Carl Haber-
mann, der bekanntlich im Juli v. J. in Innsbruck
öffentlich einen Hirtenbrief des Fürſterzbiſchofs von
Brixen verbrannt hat, hatte ſich bereits zum dritten
Male wegen dieſes Frevels vor Gericht zu verant-
worten. Das erſte Mal vor dem Innsbrucker Er-
kenntnißgerichte, welches Habermann freiſprach; der
Caſſationshof hob jedoch das Urtheil auf und bei der
neuerlichen Verhandlung wurde der Angeklagte zu 8 Tagen
Arreſts verurtheilt. Auf Grund der Nichtigkeitsbeſchwerde
hob der Caſſationshof das Urtheil abermals auf und
delegirte das Kreisgericht Feldkirch für die dritte
Verhandlung. Bei derſelben wurde der Angeklagte zur
Abwechslung wieder freigeſprochen mit der
Begründung, daß der objective Thatbeſtand, daß in
der Verbrennung des Hirtenbriefes
eine Herabwürdigung einer kirch-
lichen Einrichtung liege, bejaht werden müſſe. Ebenſo
war die Verbrennung geeignet, öffent-
liches Aergerniß zu erregen. Das Schreiben
ſei zweifellos ein Hirtenbrief. Die Verbrennung dieſes
einzelnen, gegen den Angeklagten perſönlich ſich
richtenden Hirtenbriefes laſſe aber noch nicht erkennen,
daß die Herabwürdigung der ganzen kirchlichen
Inſtitution beabſichtigt war und deshalb erfolge der
Freiſpruch. Da diesmal der Staatsanwalt die
Nichtigkeits beſchwerde anmeldete, gelangt
die Affaire auch noch zum drittenmale vor den
Caſſationshof.
Der myſteriöſe Mord in Konitz. Wie aus
Konitz telegraphirt wird, iſt das Verfahren gegen
den chriſtlichen Fleiſchermeiſter Hoffmann wegen
Todtſchlages durch Beſchluß der Strafkammer ein-
geſtellt worden. Nach dem Wortlaut des Beſchluſſes
hat die Vorunterſuchung ergeben, daß Hoffmann
ſchuldlos iſt.
Gewerbe.
Zu den Wahlen in das Gewerbe-
gericht.
Binnen Kurzem finden die Erſatzwahlen für die
ausgeloſten oder aus anderen Gründen ausgeſchiedenen
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