Reichspost. Nr. 219, Wien, 26.09.1899.[Spaltenumbruch]
Preis 4 kr. Redaction, Administration, Stadtexpedition I., Wollzeile 15. Unfrankirte Briefe werden nicht an- Inserate Abonnements werden ange- Erscheint täglich, 6 Uhr Nach- [Spaltenumbruch] Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Preis 4 kr. Bezugspreise: Einzeine Nummern 4 kr., per Post Bei Abholung in unserer Administra- Für: Oesterreich-Ungarn: Für Deutschland: Länder des Weltpostverein[es]: Telephon 1828. VI. Jahrgang. Wien, Dienstag den 26. September 1899. Nr. 219. [Spaltenumbruch] Zur gefälligen Beachtung! Wir machen jene p. t. Abonnenten, deren Be- Auch ersuchen wir jene p. t. Abonnenten, Hochachtungsvoll Die Krise. Wien am 25. September. Heute soll die Entscheidung des Monarchen Ein Beamtenministerium findet die Sachlage Dazu kommt noch, daß in den letzten Jahren Schon bei der Uebernahme der Mission zur Der Mann, der das Ruder des Staates in [Spaltenumbruch] Feuilleton. Nachdruck verboten. Himmelschlüssel. Eine Erinnerung aus der Studentenzeit. Um Michaeli herum war's. Die Natur, Braut Auf der staubigen Straße von Mühlthal Im Einkehrwirthshause "Waldmühl" strecken Sein Sohn, der Wagenhofer Franz, ist einer Ein Jahr war vorüber. Franz hatte die [Abbildung] Die heutige Nummer ist 10 Seiten stark. [Abbildung] [Spaltenumbruch]
Preis 4 kr. Redaction, Adminiſtration, Stadtexpedition I., Wollzeile 15. Unfrankirte Briefe werden nicht an- Inſerate Abonnements werden ange- Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach- [Spaltenumbruch] Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Preis 4 kr. Bezugspreiſe: Einzeine Nummern 4 kr., per Poſt Bei Abholung in unſerer Adminiſtra- Für: Oeſterreich-Ungarn: Für Deutſchland: Länder des Weltpoſtverein[eſ]: Telephon 1828. VI. Jahrgang. Wien, Dienſtag den 26. September 1899. Nr. 219. [Spaltenumbruch] Zur gefälligen Beachtung! Wir machen jene p. t. Abonnenten, deren Be- Auch erſuchen wir jene p. t. Abonnenten, Hochachtungsvoll Die Kriſe. Wien am 25. September. Heute ſoll die Entſcheidung des Monarchen Ein Beamtenminiſterium findet die Sachlage Dazu kommt noch, daß in den letzten Jahren Schon bei der Uebernahme der Miſſion zur Der Mann, der das Ruder des Staates in [Spaltenumbruch] Feuilleton. Nachdruck verboten. Himmelſchlüſſel. Eine Erinnerung aus der Studentenzeit. Um Michaeli herum war’s. Die Natur, Braut Auf der ſtaubigen Straße von Mühlthal Im Einkehrwirthshauſe „Waldmühl“ ſtrecken Sein Sohn, der Wagenhofer Franz, iſt einer Ein Jahr war vorüber. Franz hatte die [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. 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Die Feindſeligkeit,<lb/> die von Seiten der Rechten gegen ein Beamten-<lb/> miniſterium an den Tag gelegt wird, läßt es<lb/> eigentlich ſchon von Haus aus in der Minorität<lb/> ſein, es läßt gar keine Berechnung darüber mit<lb/> einiger Sicherheit zu, wie es nach der doch unver-<lb/> meidlichen Aufhebung der Sprachenverordnungen<lb/> parlamentariſch poſtirt ſein werde, es ſchließt<lb/> endlich bezüglich des Ausgleiches eigentlich jede<lb/> Calculation von vornherein aus.</p><lb/> <p>Dazu kommt noch, daß in den letzten Jahren<lb/> alle hervorragenden Sectionschefs nahezu aufge-<lb/> braucht wurden, um für ein paar Wochen Miniſter-<lb/> portefeuilles zu tragen, daß man alſo das Be-<lb/> amtenminiſterium entweder <hi rendition="#aq">à la</hi> Kielmansegg aus<lb/> proviſoriſchen Leitern zuſammenſtellen oder vor-<lb/> übergehende Sedisvacanzen auf verſchiedenen<lb/> Statthalter- und Landespräſidentenpoſten in den<lb/> Kauf nehmen müßte. 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Haben nicht<lb/> gerade verſchiedene Parteien der Rechten<lb/> ſich als Träger der Staatsnothwendigkeiten auf-<lb/> geſpielt und kann vielleicht jemand leugnen, daß<lb/> die Beſeitigung der Sprachenverordnungen durch<lb/> den Gang der Dinge derzeit eine Staatsnoth-<lb/> wendigkeit erſten Rangen geworden iſt, ohne die<lb/> der wichtigſte Factor der Staatsmaſchine, die<lb/> Geſetzgebung lahm gelegt bleibt, ohne die die Illega-<lb/> lität ſogar in die Sphäre der gemeinſamen Ange-<lb/> legenheit hinübergreifen mußte?</p><lb/> <p>Der Mann, der das Ruder des Staates in<lb/> die Hand nehmen wollte, müßte zur Erzielung<lb/> eines wirklichen Erfolges ſeiner Feſtigkeit und<lb/> Entſchloſſenheit auch auf dem Gebiete des Dualis-<lb/> mus von Hauſe aus die Probe beſtehen<lb/> laſſen, er müßte von vornherein die Reviſion<lb/> des Ausgleiches, das heißt die Verbeſſerung<lb/> der Octroy durch parlamentariſche Behand-<lb/> lung auf ſein Programm ſchreiben, er müßte<lb/> das thun, was wir immer verfochten haben, die<lb/> Krankheit dort behandeln, wo ſie ihren eigentlichen<lb/> Sitz hat. 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Schwer wurde jedesmal der Abſchied und<lb/> es rann manche Thräne aus den Augen der<lb/> Studenten, wie aus denen der Eltern und Ge-<lb/> ſchwiſter. Der Abſchied wirkte deshalb auch<lb/> längere Zeit nach in den Empfindungen der<lb/> keuſchen Herzen. Die Sonne hatte dann wieder<lb/> die Thränen getrocknet, die, wie der Thau am<lb/> Morgen an den Blumen, an den Augenwimpern<lb/> zeitlich Morgens hingen. Die Jugend vergißt ja<lb/> ebenſo bald wieder die Thräne, wie das Kind ſie<lb/> leicht vergißt.</p><lb/> <p>Im Einkehrwirthshauſe „Waldmühl“ ſtrecken<lb/> ſchon an zehn, vielleicht zwanzig Collegen die<lb/> Hände heraus und rufen die Ankommenden an.<lb/> Hier iſt der Sammelplatz für die Studioſen, das<lb/> was der Kirchthurm für die Schwalben iſt. Unter<lb/> ähnlichem Geſchrei und Gekreiſche ziehen ſie von<lb/> hier in Rudeln nach der Provinzialſtadt. Hier<lb/> helfen ſich die Studenten hinweg über die Ver-<lb/> gangenheit und auch über die Zukunft. 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Franz hatte die<lb/> „Matura“ mit Auszeichnung beſtanden. Wie<lb/> ſchön und ſegensvoll ſind dieſe Ferien nach der<lb/> Matura. Franz ſchwelgte die erſten Tage in<lb/> Luſt und Seligkeit. Nach mehreren Wochen, als<lb/> ſich die Schwalben zur Abreiſe rüſteten, war er<lb/> verſchwunden aus dem Elternhauſe. Niemand<lb/> wußte wohin und warum. Nur die Eltern<lb/> ahnten es. „Du weißt, Franz, daß es unſere<lb/> einzige Freude iſt, wenn Du Geiſtlicher wirſt,<lb/> acht Jahre lang freuen wir uns darauf. Darum<lb/> haben wir Dich ſtudiren laſſen und haben uns<lb/> das Letzte vom Munde abgeſpart, um es Dir<lb/> zu geben.“ So hatte die Mutter mit weiner-<lb/> licher Stimme zu ihm Tags vorher geſagt. „Ich<lb/> kann mich nicht ganz ruiniren Deinetwegen, Du<lb/> weißt, daß außer Dir noch ſieben andere Ge-<lb/> ſchwiſter da ſind, die auch einmal verſorgt ſein<lb/> wollen. Thue, was Du willſt, ich will Dich<lb/> nicht zwingen dazu — aber Geld kann ich Dir<lb/> keines mehr geben,“ hatte der Vater zu ihm<lb/> geſagt. Der Sohn trotzte, aß den ganzen Tag<lb/> nichts und trieb ſich umher in den Wäldern,<lb/> wo er mit Beeren und Schwämmen ſeinen<lb/> Hunger ſtillte. „Gott wird Dich zwingen,<lb/> Franz,“ hatte wieder am Abend der Vater ein-<lb/> dringlich zum Sohne geſprochen, „Gott wird<lb/> Dich zwingen, uns doch einmal ſpäter die Freude<lb/> zu machen, wenn Du bloß aus wildem Trotz</p> </div> </div><lb/> <note> <ref> <hi rendition="#c"> <figure/> <hi rendition="#b">Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark.</hi> <figure/> </hi> </ref> </note><lb/> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
Preis 4 kr.
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VIII., Strozzigaſſe 41.
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genommen; Manuſkripte werden
nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene
Reclamationen ſind portofrei.
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werden im Ankündigungs-
Bureau VIII., Strozzigaſſe
41, ſowie in allen Annoncenbureaux
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VI. Jahrgang. Wien, Dienſtag den 26. September 1899. Nr. 219.
Zur gefälligen Beachtung!
Wir machen jene p. t. Abonnenten, deren Be-
zugsrecht mit Ende dieſes Monats ablauft, höf-
lichſt darauf aufmerkſam, daß wir zum Zwecke der
Erneuerung desſelben unſerer heutigen Nummer
eine Poſtanweiſung zur geneigten Benützung bei-
geſchloſſen haben.
Auch erſuchen wir jene p. t. Abonnenten,
welche mit der Erneuerung des Bezugsrechtes noch
im Rückſtande ſind, dasſelbe ehebaldigſt erneuern
zu wollen, damit in der regelmäßigen Zuſendung
des Blattes keine Unterbrechung eintritt.
Hochachtungsvoll
Die Adminiſtration der „Reichspoſt“.
Die Kriſe.
Wien am 25. September.
Heute ſoll die Entſcheidung des Monarchen
fallen über die Annahme der Demiſſion des
Cabinets Thun. Es iſt wohl ziemlich zweifellos,
daß die Demiſſion angenommen wird, es müßte
denn jede neue Combination als ausſichtslos oder
undurchführbar ſich erweiſen. Momentan ſtehen
zwei Combinationen im Vordergrund, die Com-
bination Alfred Liechtenſtein-Körber-Dipauli oder
Bildung eines Beamtenminiſteriums mit dem bis-
herigen Statthalter in Steiermark, Grafen Clary-
Aldringen an der Spitze. Beide Variationen
kommen bisher um eine Schwierigkeit nicht herum,
das iſt die nach Außen wenigſtens als unerſchütterlich
proclamirte Solidarität der Rechten. Fürſt Liechten-
ſtein will ohne die Zuſtimmung der Rechten die
Sprachenverordnungen nicht aufheben, er will
gleichzeitig ohne feſte Mehrheit die Regierung nicht
übernehmen, jene Solidarität jedoch ſchließt ent-
weder das Eine oder das Andere aus, darum iſt
die Cabinetsbildung Liechtenſtein noch nicht einen
Schritt vorwärtsgekommen, wenn ſie nicht viel-
leicht gar ſchon zurückgegangen iſt.
Ein Beamtenminiſterium findet die Sachlage
vielleicht noch ſchwieriger, es hat möglicher Weiſe
nicht alle Parteien des Hauſes gegen ſich, aber
gewiß keine unbedingt für ſich. Die Feindſeligkeit,
die von Seiten der Rechten gegen ein Beamten-
miniſterium an den Tag gelegt wird, läßt es
eigentlich ſchon von Haus aus in der Minorität
ſein, es läßt gar keine Berechnung darüber mit
einiger Sicherheit zu, wie es nach der doch unver-
meidlichen Aufhebung der Sprachenverordnungen
parlamentariſch poſtirt ſein werde, es ſchließt
endlich bezüglich des Ausgleiches eigentlich jede
Calculation von vornherein aus.
Dazu kommt noch, daß in den letzten Jahren
alle hervorragenden Sectionschefs nahezu aufge-
braucht wurden, um für ein paar Wochen Miniſter-
portefeuilles zu tragen, daß man alſo das Be-
amtenminiſterium entweder à la Kielmansegg aus
proviſoriſchen Leitern zuſammenſtellen oder vor-
übergehende Sedisvacanzen auf verſchiedenen
Statthalter- und Landespräſidentenpoſten in den
Kauf nehmen müßte. Auch dieſe Erwägung ſtellt
ſich einem Beamten-Miniſterium entgegen,
abgeſehen davon, daß gerade im jetzigen Augen-
blicke eine entſchiedene, nach feſten Zielen vor-
gehende Perſönlichkeit an der Spitze der Geſchäfte
ſchon mehr als nothwendig wäre.
Schon bei der Uebernahme der Miſſion zur
Cabinetsbildung müßte ſich dieſe Entſchiedenheit
und Entſchloſſenheit documentiren. Wer den
verfahrenen Staatskarren in das richtige Geleiſe
bringen will, dürfte ſich durch die Solidaritäts-
proclamation der Rechten nicht allzuſehr imponiren
laſſen, er müßte einfach die Beſeitigung der
Sprachenverordnungen als die conditio sine qua
non des wieder functionirenden Parlamentarismus
durchführen und dann abwarten, ob die Polen,
die Südſlaven und die Katholiſche Volkspartei
deshalb wirklich alles andere für die ſchönen
Augen der Jungczechen über den Haufen werfen
wollten. Wir glauben es nicht, ja die Katholiſche
Volkspartei müßte ihre eigenen Enunciationen
Lügen ſtrafen, denn ſie ſelbſt hat ja durch ihre
Worführer wie durch ihre Preſſe jene Verordnungen
als beſeitigungswerth bezeichnet. Haben nicht
gerade verſchiedene Parteien der Rechten
ſich als Träger der Staatsnothwendigkeiten auf-
geſpielt und kann vielleicht jemand leugnen, daß
die Beſeitigung der Sprachenverordnungen durch
den Gang der Dinge derzeit eine Staatsnoth-
wendigkeit erſten Rangen geworden iſt, ohne die
der wichtigſte Factor der Staatsmaſchine, die
Geſetzgebung lahm gelegt bleibt, ohne die die Illega-
lität ſogar in die Sphäre der gemeinſamen Ange-
legenheit hinübergreifen mußte?
Der Mann, der das Ruder des Staates in
die Hand nehmen wollte, müßte zur Erzielung
eines wirklichen Erfolges ſeiner Feſtigkeit und
Entſchloſſenheit auch auf dem Gebiete des Dualis-
mus von Hauſe aus die Probe beſtehen
laſſen, er müßte von vornherein die Reviſion
des Ausgleiches, das heißt die Verbeſſerung
der Octroy durch parlamentariſche Behand-
lung auf ſein Programm ſchreiben, er müßte
das thun, was wir immer verfochten haben, die
Krankheit dort behandeln, wo ſie ihren eigentlichen
Sitz hat. Der Premier, der den Ausgleich zur
Discuſſion ſtellt, der hat eine Solidarität der
Rechten nicht zu fürchten, es wird für ſein Pro-
gramm ſo ziemlich auf allen Seiten des Hauſes
Anhänger finden, es wird die Macht, die Autorität
Feuilleton.
Nachdruck verboten.
Himmelſchlüſſel.
Eine Erinnerung aus der Studentenzeit.
Erzählung von Joſ. Brunner.
Um Michaeli herum war’s. Die Natur, Braut
und bräutlich geſchmückt im Lenze, war Mutter
geworden und wurde allmählich zur Matrone.
Ihre grauen Haare flogen glitzernd im Sonnen-
glanze durch die Fluren und wickelten ſich um die
Stoppeln und Schwarzbeergebüſche am Waldrande.
Noch einen Monat und ſie hüllt ſich vielleicht
ſchon in’s weiße, kalte Leichentuch. Ihr, der altern-
den, erkaltenden Mutter, hatten die Schwalben
bereits den Rücken gekehrt. Um den Kirchthurm
von Mühlthal flogen ſie mehrmals herum, dann
ging’s fort in die weite Welt. Recht warm ſchien
die Sonne noch herab auf die Muttererde, aber
trotzdem ſah man überall ſchon das Abſterben der
Natur. Die Blätter trugen ſchon zum Theile die
Todtenfarbe und fielen ſtill, unheimlich geräuſchlos
nieder auf den dürren Boden. Die Schwalben
waren fort, ihnen folgten die Studenten. Damals
begann die Schulzeit noch mit Anfang October.
Auf der ſtaubigen Straße von Mühlthal
nach Frankſtadt im ſüdlichen Böhmen wandern
Studenten. Eine kleine Reiſetaſche über den
Rücken, einen wuchtigen Stock in der Hand,
ſchreiten ſie rüſtig fürbaß. Ihre Gedanken ſcheinen
noch in der eben verlaſſenen Heimat zu weilen;
denn ſinnend und faſt wehmüthigen Blickes
wandern ſie dahin. Weinend hatte ihnen vor
wenigen Stunden die Mutter das heilige Kreuz-
zeichen auf die Stirne gemacht und ihr Angeſicht
mit heil. Waſſer beſprengt. Sie fühlen noch die
weiche Hand auf der Stirne, die Thränen der
Mutter in ihrer Seele. „Schau auf Dich und
vergiß Gott und uns nicht!“ hatte ſie auch ge-
ſagt und das waren ihre letzten Worte geweſen.
Der Vater hatte ſeine ſchwieligen Hände aus-
gebreitet über den abziehenden Sohn und hatte
ihn geſegnet, bevor er den Reiſeſtab in die Hand
nahm. Schwer wurde jedesmal der Abſchied und
es rann manche Thräne aus den Augen der
Studenten, wie aus denen der Eltern und Ge-
ſchwiſter. Der Abſchied wirkte deshalb auch
längere Zeit nach in den Empfindungen der
keuſchen Herzen. Die Sonne hatte dann wieder
die Thränen getrocknet, die, wie der Thau am
Morgen an den Blumen, an den Augenwimpern
zeitlich Morgens hingen. Die Jugend vergißt ja
ebenſo bald wieder die Thräne, wie das Kind ſie
leicht vergißt.
Im Einkehrwirthshauſe „Waldmühl“ ſtrecken
ſchon an zehn, vielleicht zwanzig Collegen die
Hände heraus und rufen die Ankommenden an.
Hier iſt der Sammelplatz für die Studioſen, das
was der Kirchthurm für die Schwalben iſt. Unter
ähnlichem Geſchrei und Gekreiſche ziehen ſie von
hier in Rudeln nach der Provinzialſtadt. Hier
helfen ſich die Studenten hinweg über die Ver-
gangenheit und auch über die Zukunft. Hier werden
die Ferien begraben, eigentlich ertränkt. Es iſt ein
luſtiges Begräbniß. Die Studenten ſind ja alle
luſtige Erben. »Gaudeamus igitur, juvenes dum
sumus«. Sic vivimus wir Studenten — Gelder
muß der Vater ſchicken, wenn der Sohn ſtudieren
ſoll.“ So ſchallt und hallt es im lauten Chore,
und die Töne dringen himmelwärts. Daheim geht
die Mutter umher in dem öden Hauſe, und ihre
Thränen rinnen abwärts auf die Erde. Sorgen-
ſchweren Hauptes geht der Vater herum im leeren
Felde und ſtill ſpricht er: „Lang’ können wir’s
nicht mehr ermachen —“
Sein Sohn, der Wagenhofer Franz, iſt einer
der luſtigſten, ausgelaſſenſten. Noch ein Jahr und
dann hat er das Gymnaſium hinter ſich und
kann werden, was er will — der ganze Himmel
ſteht ihm ja offen, wenn er nur den rechten
Schlüſſel dazu findet.
Ein Jahr war vorüber. Franz hatte die
„Matura“ mit Auszeichnung beſtanden. Wie
ſchön und ſegensvoll ſind dieſe Ferien nach der
Matura. Franz ſchwelgte die erſten Tage in
Luſt und Seligkeit. Nach mehreren Wochen, als
ſich die Schwalben zur Abreiſe rüſteten, war er
verſchwunden aus dem Elternhauſe. Niemand
wußte wohin und warum. Nur die Eltern
ahnten es. „Du weißt, Franz, daß es unſere
einzige Freude iſt, wenn Du Geiſtlicher wirſt,
acht Jahre lang freuen wir uns darauf. Darum
haben wir Dich ſtudiren laſſen und haben uns
das Letzte vom Munde abgeſpart, um es Dir
zu geben.“ So hatte die Mutter mit weiner-
licher Stimme zu ihm Tags vorher geſagt. „Ich
kann mich nicht ganz ruiniren Deinetwegen, Du
weißt, daß außer Dir noch ſieben andere Ge-
ſchwiſter da ſind, die auch einmal verſorgt ſein
wollen. Thue, was Du willſt, ich will Dich
nicht zwingen dazu — aber Geld kann ich Dir
keines mehr geben,“ hatte der Vater zu ihm
geſagt. Der Sohn trotzte, aß den ganzen Tag
nichts und trieb ſich umher in den Wäldern,
wo er mit Beeren und Schwämmen ſeinen
Hunger ſtillte. „Gott wird Dich zwingen,
Franz,“ hatte wieder am Abend der Vater ein-
dringlich zum Sohne geſprochen, „Gott wird
Dich zwingen, uns doch einmal ſpäter die Freude
zu machen, wenn Du bloß aus wildem Trotz
[Abbildung]
Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark.
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(2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
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