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Reichspost. Nr. 219, Wien, 26.09.1899.

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Preis 4 kr.



Redaction, Administration,
Expedition
und Druckerei:
VIII., Strozzigasse 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 15.
Zeitungsbureau Weis.




Unfrankirte Briefe werden nicht an-
genommen; Manuskripte werden
nicht zurückgestellt. Unverschlossene
Reclamationen sind portofrei.




Inserate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigasse
41, sowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erscheint täglich, 6 Uhr Nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage


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Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns.

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Preis 4 kr.



Bezugspreise:
Für Wien mit Zustellung ins Haus
ganzjährig ..... 16 fl.
vierteljährig ..... 4 fl.
monatlich .... 1 fl. 35 kr.

Einzeine Nummern 4 kr., per Post
5 kr.

Bei Abholung in unserer Administra-
tion ganzj. 13 fl., monatlich 1 fl. 10 kr.

Für: Oesterreich-Ungarn:
ganzjährig ...... 18 fl.
vierteljährig .... 4 fl. 60 kr.
monatlich .... 1 fl. 55 kr.

Für Deutschland:
vierteljährig .... 5 fl. 50 kr.
oder 9 Mark.

Länder des Weltpostverein[es]:
viertelj. [6] fl. 50 kr. oder 11 Mark.




Telephon 1828.




VI. Jahrgang. Wien, Dienstag den 26. September 1899. Nr. 219.



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Zur gefälligen Beachtung!

Wir machen jene p. t. Abonnenten, deren Be-
zugsrecht mit Ende dieses Monats ablauft, höf-
lichst darauf aufmerksam, daß wir zum Zwecke der
Erneuerung desselben unserer heutigen Nummer
eine Postanweisung zur geneigten Benützung bei-
geschlossen haben.

Auch ersuchen wir jene p. t. Abonnenten,
welche mit der Erneuerung des Bezugsrechtes noch
im Rückstande sind, dasselbe ehebaldigst erneuern
zu wollen, damit in der regelmäßigen Zusendung
des Blattes keine Unterbrechung eintritt.

Hochachtungsvoll




Die Krise.


Heute soll die Entscheidung des Monarchen
fallen über die Annahme der Demission des
Cabinets Thun. Es ist wohl ziemlich zweifellos,
daß die Demission angenommen wird, es müßte
denn jede neue Combination als aussichtslos oder
undurchführbar sich erweisen. Momentan stehen
zwei Combinationen im Vordergrund, die Com-
bination Alfred Liechtenstein-Körber-Dipauli oder
Bildung eines Beamtenministeriums mit dem bis-
herigen Statthalter in Steiermark, Grafen Clary-
Aldringen an der Spitze. Beide Variationen
kommen bisher um eine Schwierigkeit nicht herum,
das ist die nach Außen wenigstens als unerschütterlich
proclamirte Solidarität der Rechten. Fürst Liechten-
stein will ohne die Zustimmung der Rechten die
Sprachenverordnungen nicht aufheben, er will
gleichzeitig ohne feste Mehrheit die Regierung nicht
[Spaltenumbruch] übernehmen, jene Solidarität jedoch schließt ent-
weder das Eine oder das Andere aus, darum ist
die Cabinetsbildung Liechtenstein noch nicht einen
Schritt vorwärtsgekommen, wenn sie nicht viel-
leicht gar schon zurückgegangen ist.

Ein Beamtenministerium findet die Sachlage
vielleicht noch schwieriger, es hat möglicher Weise
nicht alle Parteien des Hauses gegen sich, aber
gewiß keine unbedingt für sich. Die Feindseligkeit,
die von Seiten der Rechten gegen ein Beamten-
ministerium an den Tag gelegt wird, läßt es
eigentlich schon von Haus aus in der Minorität
sein, es läßt gar keine Berechnung darüber mit
einiger Sicherheit zu, wie es nach der doch unver-
meidlichen Aufhebung der Sprachenverordnungen
parlamentarisch postirt sein werde, es schließt
endlich bezüglich des Ausgleiches eigentlich jede
Calculation von vornherein aus.

Dazu kommt noch, daß in den letzten Jahren
alle hervorragenden Sectionschefs nahezu aufge-
braucht wurden, um für ein paar Wochen Minister-
portefeuilles zu tragen, daß man also das Be-
amtenministerium entweder a la Kielmansegg aus
provisorischen Leitern zusammenstellen oder vor-
übergehende Sedisvacanzen auf verschiedenen
Statthalter- und Landespräsidentenposten in den
Kauf nehmen müßte. Auch diese Erwägung stellt
sich einem Beamten-Ministerium entgegen,
abgesehen davon, daß gerade im jetzigen Augen-
blicke eine entschiedene, nach festen Zielen vor-
gehende Persönlichkeit an der Spitze der Geschäfte
schon mehr als nothwendig wäre.

Schon bei der Uebernahme der Mission zur
Cabinetsbildung müßte sich diese Entschiedenheit
und Entschlossenheit documentiren. Wer den
verfahrenen Staatskarren in das richtige Geleise
bringen will, dürfte sich durch die Solidaritäts-
proclamation der Rechten nicht allzusehr imponiren
[Spaltenumbruch] lassen, er müßte einfach die Beseitigung der
Sprachenverordnungen als die conditio sine qua
non
des wieder functionirenden Parlamentarismus
durchführen und dann abwarten, ob die Polen,
die Südslaven und die Katholische Volkspartei
deshalb wirklich alles andere für die schönen
Augen der Jungczechen über den Haufen werfen
wollten. Wir glauben es nicht, ja die Katholische
Volkspartei müßte ihre eigenen Enunciationen
Lügen strafen, denn sie selbst hat ja durch ihre
Worführer wie durch ihre Presse jene Verordnungen
als beseitigungswerth bezeichnet. Haben nicht
gerade verschiedene Parteien der Rechten
sich als Träger der Staatsnothwendigkeiten auf-
gespielt und kann vielleicht jemand leugnen, daß
die Beseitigung der Sprachenverordnungen durch
den Gang der Dinge derzeit eine Staatsnoth-
wendigkeit ersten Rangen geworden ist, ohne die
der wichtigste Factor der Staatsmaschine, die
Gesetzgebung lahm gelegt bleibt, ohne die die Illega-
lität sogar in die Sphäre der gemeinsamen Ange-
legenheit hinübergreifen mußte?

Der Mann, der das Ruder des Staates in
die Hand nehmen wollte, müßte zur Erzielung
eines wirklichen Erfolges seiner Festigkeit und
Entschlossenheit auch auf dem Gebiete des Dualis-
mus von Hause aus die Probe bestehen
lassen, er müßte von vornherein die Revision
des Ausgleiches, das heißt die Verbesserung
der Octroy durch parlamentarische Behand-
lung auf sein Programm schreiben, er müßte
das thun, was wir immer verfochten haben, die
Krankheit dort behandeln, wo sie ihren eigentlichen
Sitz hat. Der Premier, der den Ausgleich zur
Discussion stellt, der hat eine Solidarität der
Rechten nicht zu fürchten, es wird für sein Pro-
gramm so ziemlich auf allen Seiten des Hauses
Anhänger finden, es wird die Macht, die Autorität




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Nachdruck verboten.

Himmelschlüssel.
Eine Erinnerung aus der Studentenzeit.

Um Michaeli herum war's. Die Natur, Braut
und bräutlich geschmückt im Lenze, war Mutter
geworden und wurde allmählich zur Matrone.
Ihre grauen Haare flogen glitzernd im Sonnen-
glanze durch die Fluren und wickelten sich um die
Stoppeln und Schwarzbeergebüsche am Waldrande.
Noch einen Monat und sie hüllt sich vielleicht
schon in's weiße, kalte Leichentuch. Ihr, der altern-
den, erkaltenden Mutter, hatten die Schwalben
bereits den Rücken gekehrt. Um den Kirchthurm
von Mühlthal flogen sie mehrmals herum, dann
ging's fort in die weite Welt. Recht warm schien
die Sonne noch herab auf die Muttererde, aber
trotzdem sah man überall schon das Absterben der
Natur. Die Blätter trugen schon zum Theile die
Todtenfarbe und fielen still, unheimlich geräuschlos
nieder auf den dürren Boden. Die Schwalben
waren fort, ihnen folgten die Studenten. Damals
begann die Schulzeit noch mit Anfang October.

Auf der staubigen Straße von Mühlthal
nach Frankstadt im südlichen Böhmen wandern
Studenten. Eine kleine Reisetasche über den
Rücken, einen wuchtigen Stock in der Hand,
schreiten sie rüstig fürbaß. Ihre Gedanken scheinen
noch in der eben verlassenen Heimat zu weilen;
denn sinnend und fast wehmüthigen Blickes
wandern sie dahin. Weinend hatte ihnen vor
wenigen Stunden die Mutter das heilige Kreuz-
zeichen auf die Stirne gemacht und ihr Angesicht
mit heil. Wasser besprengt. Sie fühlen noch die
[Spaltenumbruch] weiche Hand auf der Stirne, die Thränen der
Mutter in ihrer Seele. "Schau auf Dich und
vergiß Gott und uns nicht!" hatte sie auch ge-
sagt und das waren ihre letzten Worte gewesen.
Der Vater hatte seine schwieligen Hände aus-
gebreitet über den abziehenden Sohn und hatte
ihn gesegnet, bevor er den Reisestab in die Hand
nahm. Schwer wurde jedesmal der Abschied und
es rann manche Thräne aus den Augen der
Studenten, wie aus denen der Eltern und Ge-
schwister. Der Abschied wirkte deshalb auch
längere Zeit nach in den Empfindungen der
keuschen Herzen. Die Sonne hatte dann wieder
die Thränen getrocknet, die, wie der Thau am
Morgen an den Blumen, an den Augenwimpern
zeitlich Morgens hingen. Die Jugend vergißt ja
ebenso bald wieder die Thräne, wie das Kind sie
leicht vergißt.

Im Einkehrwirthshause "Waldmühl" strecken
schon an zehn, vielleicht zwanzig Collegen die
Hände heraus und rufen die Ankommenden an.
Hier ist der Sammelplatz für die Studiosen, das
was der Kirchthurm für die Schwalben ist. Unter
ähnlichem Geschrei und Gekreische ziehen sie von
hier in Rudeln nach der Provinzialstadt. Hier
helfen sich die Studenten hinweg über die Ver-
gangenheit und auch über die Zukunft. Hier werden
die Ferien begraben, eigentlich ertränkt. Es ist ein
lustiges Begräbniß. Die Studenten sind ja alle
lustige Erben. "Gaudeamus igitur, juvenes dum
sumus". Sic vivimus
wir Studenten -- Gelder
muß der Vater schicken, wenn der Sohn studieren
soll." So schallt und hallt es im lauten Chore,
und die Töne dringen himmelwärts. Daheim geht
die Mutter umher in dem öden Hause, und ihre
Thränen rinnen abwärts auf die Erde. Sorgen-
schweren Hauptes geht der Vater herum im leeren
[Spaltenumbruch] Felde und still spricht er: "Lang' können wir's
nicht mehr ermachen --"

Sein Sohn, der Wagenhofer Franz, ist einer
der lustigsten, ausgelassensten. Noch ein Jahr und
dann hat er das Gymnasium hinter sich und
kann werden, was er will -- der ganze Himmel
steht ihm ja offen, wenn er nur den rechten
Schlüssel dazu findet.

Ein Jahr war vorüber. Franz hatte die
"Matura" mit Auszeichnung bestanden. Wie
schön und segensvoll sind diese Ferien nach der
Matura. Franz schwelgte die ersten Tage in
Lust und Seligkeit. Nach mehreren Wochen, als
sich die Schwalben zur Abreise rüsteten, war er
verschwunden aus dem Elternhause. Niemand
wußte wohin und warum. Nur die Eltern
ahnten es. "Du weißt, Franz, daß es unsere
einzige Freude ist, wenn Du Geistlicher wirst,
acht Jahre lang freuen wir uns darauf. Darum
haben wir Dich studiren lassen und haben uns
das Letzte vom Munde abgespart, um es Dir
zu geben." So hatte die Mutter mit weiner-
licher Stimme zu ihm Tags vorher gesagt. "Ich
kann mich nicht ganz ruiniren Deinetwegen, Du
weißt, daß außer Dir noch sieben andere Ge-
schwister da sind, die auch einmal versorgt sein
wollen. Thue, was Du willst, ich will Dich
nicht zwingen dazu -- aber Geld kann ich Dir
keines mehr geben," hatte der Vater zu ihm
gesagt. Der Sohn trotzte, aß den ganzen Tag
nichts und trieb sich umher in den Wäldern,
wo er mit Beeren und Schwämmen seinen
Hunger stillte. "Gott wird Dich zwingen,
Franz," hatte wieder am Abend der Vater ein-
dringlich zum Sohne gesprochen, "Gott wird
Dich zwingen, uns doch einmal später die Freude
zu machen, wenn Du bloß aus wildem Trotz


[Abbildung] Die heutige Nummer ist 10 Seiten stark. [Abbildung]
[Spaltenumbruch]
Preis 4 kr.



Redaction, Adminiſtration,
Expedition
und Druckerei:
VIII., Strozzigaſſe 41.




Stadtexpedition I., Wollzeile 15.
Zeitungsbureau Weis.




Unfrankirte Briefe werden nicht an-
genommen; Manuſkripte werden
nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene
Reclamationen ſind portofrei.




Inſerate
werden im Ankündigungs-
Bureau
VIII., Strozzigaſſe
41, ſowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




Abonnements werden ange-
nommen außer in den Expeditionen
bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach-
mittags, mit Ausnahme der Sonn-
und Feiertage


[Spaltenumbruch]
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
Preis 4 kr.



Bezugspreiſe:
Für Wien mit Zuſtellung ins Haus
ganzjährig ..... 16 fl.
vierteljährig ..... 4 fl.
monatlich .... 1 fl. 35 kr.

Einzeine Nummern 4 kr., per Poſt
5 kr.

Bei Abholung in unſerer Adminiſtra-
tion ganzj. 13 fl., monatlich 1 fl. 10 kr.

Für: Oeſterreich-Ungarn:
ganzjährig ...... 18 fl.
vierteljährig .... 4 fl. 60 kr.
monatlich .... 1 fl. 55 kr.

Für Deutſchland:
vierteljährig .... 5 fl. 50 kr.
oder 9 Mark.

Länder des Weltpoſtverein[eſ]:
viertelj. [6] fl. 50 kr. oder 11 Mark.




Telephon 1828.




VI. Jahrgang. Wien, Dienſtag den 26. September 1899. Nr. 219.



[Spaltenumbruch]
Zur gefälligen Beachtung!

Wir machen jene p. t. Abonnenten, deren Be-
zugsrecht mit Ende dieſes Monats ablauft, höf-
lichſt darauf aufmerkſam, daß wir zum Zwecke der
Erneuerung desſelben unſerer heutigen Nummer
eine Poſtanweiſung zur geneigten Benützung bei-
geſchloſſen haben.

Auch erſuchen wir jene p. t. Abonnenten,
welche mit der Erneuerung des Bezugsrechtes noch
im Rückſtande ſind, dasſelbe ehebaldigſt erneuern
zu wollen, damit in der regelmäßigen Zuſendung
des Blattes keine Unterbrechung eintritt.

Hochachtungsvoll




Die Kriſe.


Heute ſoll die Entſcheidung des Monarchen
fallen über die Annahme der Demiſſion des
Cabinets Thun. Es iſt wohl ziemlich zweifellos,
daß die Demiſſion angenommen wird, es müßte
denn jede neue Combination als ausſichtslos oder
undurchführbar ſich erweiſen. Momentan ſtehen
zwei Combinationen im Vordergrund, die Com-
bination Alfred Liechtenſtein-Körber-Dipauli oder
Bildung eines Beamtenminiſteriums mit dem bis-
herigen Statthalter in Steiermark, Grafen Clary-
Aldringen an der Spitze. Beide Variationen
kommen bisher um eine Schwierigkeit nicht herum,
das iſt die nach Außen wenigſtens als unerſchütterlich
proclamirte Solidarität der Rechten. Fürſt Liechten-
ſtein will ohne die Zuſtimmung der Rechten die
Sprachenverordnungen nicht aufheben, er will
gleichzeitig ohne feſte Mehrheit die Regierung nicht
[Spaltenumbruch] übernehmen, jene Solidarität jedoch ſchließt ent-
weder das Eine oder das Andere aus, darum iſt
die Cabinetsbildung Liechtenſtein noch nicht einen
Schritt vorwärtsgekommen, wenn ſie nicht viel-
leicht gar ſchon zurückgegangen iſt.

Ein Beamtenminiſterium findet die Sachlage
vielleicht noch ſchwieriger, es hat möglicher Weiſe
nicht alle Parteien des Hauſes gegen ſich, aber
gewiß keine unbedingt für ſich. Die Feindſeligkeit,
die von Seiten der Rechten gegen ein Beamten-
miniſterium an den Tag gelegt wird, läßt es
eigentlich ſchon von Haus aus in der Minorität
ſein, es läßt gar keine Berechnung darüber mit
einiger Sicherheit zu, wie es nach der doch unver-
meidlichen Aufhebung der Sprachenverordnungen
parlamentariſch poſtirt ſein werde, es ſchließt
endlich bezüglich des Ausgleiches eigentlich jede
Calculation von vornherein aus.

Dazu kommt noch, daß in den letzten Jahren
alle hervorragenden Sectionschefs nahezu aufge-
braucht wurden, um für ein paar Wochen Miniſter-
portefeuilles zu tragen, daß man alſo das Be-
amtenminiſterium entweder à la Kielmansegg aus
proviſoriſchen Leitern zuſammenſtellen oder vor-
übergehende Sedisvacanzen auf verſchiedenen
Statthalter- und Landespräſidentenpoſten in den
Kauf nehmen müßte. Auch dieſe Erwägung ſtellt
ſich einem Beamten-Miniſterium entgegen,
abgeſehen davon, daß gerade im jetzigen Augen-
blicke eine entſchiedene, nach feſten Zielen vor-
gehende Perſönlichkeit an der Spitze der Geſchäfte
ſchon mehr als nothwendig wäre.

Schon bei der Uebernahme der Miſſion zur
Cabinetsbildung müßte ſich dieſe Entſchiedenheit
und Entſchloſſenheit documentiren. Wer den
verfahrenen Staatskarren in das richtige Geleiſe
bringen will, dürfte ſich durch die Solidaritäts-
proclamation der Rechten nicht allzuſehr imponiren
[Spaltenumbruch] laſſen, er müßte einfach die Beſeitigung der
Sprachenverordnungen als die conditio sine qua
non
des wieder functionirenden Parlamentarismus
durchführen und dann abwarten, ob die Polen,
die Südſlaven und die Katholiſche Volkspartei
deshalb wirklich alles andere für die ſchönen
Augen der Jungczechen über den Haufen werfen
wollten. Wir glauben es nicht, ja die Katholiſche
Volkspartei müßte ihre eigenen Enunciationen
Lügen ſtrafen, denn ſie ſelbſt hat ja durch ihre
Worführer wie durch ihre Preſſe jene Verordnungen
als beſeitigungswerth bezeichnet. Haben nicht
gerade verſchiedene Parteien der Rechten
ſich als Träger der Staatsnothwendigkeiten auf-
geſpielt und kann vielleicht jemand leugnen, daß
die Beſeitigung der Sprachenverordnungen durch
den Gang der Dinge derzeit eine Staatsnoth-
wendigkeit erſten Rangen geworden iſt, ohne die
der wichtigſte Factor der Staatsmaſchine, die
Geſetzgebung lahm gelegt bleibt, ohne die die Illega-
lität ſogar in die Sphäre der gemeinſamen Ange-
legenheit hinübergreifen mußte?

Der Mann, der das Ruder des Staates in
die Hand nehmen wollte, müßte zur Erzielung
eines wirklichen Erfolges ſeiner Feſtigkeit und
Entſchloſſenheit auch auf dem Gebiete des Dualis-
mus von Hauſe aus die Probe beſtehen
laſſen, er müßte von vornherein die Reviſion
des Ausgleiches, das heißt die Verbeſſerung
der Octroy durch parlamentariſche Behand-
lung auf ſein Programm ſchreiben, er müßte
das thun, was wir immer verfochten haben, die
Krankheit dort behandeln, wo ſie ihren eigentlichen
Sitz hat. Der Premier, der den Ausgleich zur
Discuſſion ſtellt, der hat eine Solidarität der
Rechten nicht zu fürchten, es wird für ſein Pro-
gramm ſo ziemlich auf allen Seiten des Hauſes
Anhänger finden, es wird die Macht, die Autorität




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Nachdruck verboten.

Himmelſchlüſſel.
Eine Erinnerung aus der Studentenzeit.

Um Michaeli herum war’s. Die Natur, Braut
und bräutlich geſchmückt im Lenze, war Mutter
geworden und wurde allmählich zur Matrone.
Ihre grauen Haare flogen glitzernd im Sonnen-
glanze durch die Fluren und wickelten ſich um die
Stoppeln und Schwarzbeergebüſche am Waldrande.
Noch einen Monat und ſie hüllt ſich vielleicht
ſchon in’s weiße, kalte Leichentuch. Ihr, der altern-
den, erkaltenden Mutter, hatten die Schwalben
bereits den Rücken gekehrt. Um den Kirchthurm
von Mühlthal flogen ſie mehrmals herum, dann
ging’s fort in die weite Welt. Recht warm ſchien
die Sonne noch herab auf die Muttererde, aber
trotzdem ſah man überall ſchon das Abſterben der
Natur. Die Blätter trugen ſchon zum Theile die
Todtenfarbe und fielen ſtill, unheimlich geräuſchlos
nieder auf den dürren Boden. Die Schwalben
waren fort, ihnen folgten die Studenten. Damals
begann die Schulzeit noch mit Anfang October.

Auf der ſtaubigen Straße von Mühlthal
nach Frankſtadt im ſüdlichen Böhmen wandern
Studenten. Eine kleine Reiſetaſche über den
Rücken, einen wuchtigen Stock in der Hand,
ſchreiten ſie rüſtig fürbaß. Ihre Gedanken ſcheinen
noch in der eben verlaſſenen Heimat zu weilen;
denn ſinnend und faſt wehmüthigen Blickes
wandern ſie dahin. Weinend hatte ihnen vor
wenigen Stunden die Mutter das heilige Kreuz-
zeichen auf die Stirne gemacht und ihr Angeſicht
mit heil. Waſſer beſprengt. Sie fühlen noch die
[Spaltenumbruch] weiche Hand auf der Stirne, die Thränen der
Mutter in ihrer Seele. „Schau auf Dich und
vergiß Gott und uns nicht!“ hatte ſie auch ge-
ſagt und das waren ihre letzten Worte geweſen.
Der Vater hatte ſeine ſchwieligen Hände aus-
gebreitet über den abziehenden Sohn und hatte
ihn geſegnet, bevor er den Reiſeſtab in die Hand
nahm. Schwer wurde jedesmal der Abſchied und
es rann manche Thräne aus den Augen der
Studenten, wie aus denen der Eltern und Ge-
ſchwiſter. Der Abſchied wirkte deshalb auch
längere Zeit nach in den Empfindungen der
keuſchen Herzen. Die Sonne hatte dann wieder
die Thränen getrocknet, die, wie der Thau am
Morgen an den Blumen, an den Augenwimpern
zeitlich Morgens hingen. Die Jugend vergißt ja
ebenſo bald wieder die Thräne, wie das Kind ſie
leicht vergißt.

Im Einkehrwirthshauſe „Waldmühl“ ſtrecken
ſchon an zehn, vielleicht zwanzig Collegen die
Hände heraus und rufen die Ankommenden an.
Hier iſt der Sammelplatz für die Studioſen, das
was der Kirchthurm für die Schwalben iſt. Unter
ähnlichem Geſchrei und Gekreiſche ziehen ſie von
hier in Rudeln nach der Provinzialſtadt. Hier
helfen ſich die Studenten hinweg über die Ver-
gangenheit und auch über die Zukunft. Hier werden
die Ferien begraben, eigentlich ertränkt. Es iſt ein
luſtiges Begräbniß. Die Studenten ſind ja alle
luſtige Erben. »Gaudeamus igitur, juvenes dum
sumus«. Sic vivimus
wir Studenten — Gelder
muß der Vater ſchicken, wenn der Sohn ſtudieren
ſoll.“ So ſchallt und hallt es im lauten Chore,
und die Töne dringen himmelwärts. Daheim geht
die Mutter umher in dem öden Hauſe, und ihre
Thränen rinnen abwärts auf die Erde. Sorgen-
ſchweren Hauptes geht der Vater herum im leeren
[Spaltenumbruch] Felde und ſtill ſpricht er: „Lang’ können wir’s
nicht mehr ermachen —“

Sein Sohn, der Wagenhofer Franz, iſt einer
der luſtigſten, ausgelaſſenſten. Noch ein Jahr und
dann hat er das Gymnaſium hinter ſich und
kann werden, was er will — der ganze Himmel
ſteht ihm ja offen, wenn er nur den rechten
Schlüſſel dazu findet.

Ein Jahr war vorüber. Franz hatte die
„Matura“ mit Auszeichnung beſtanden. Wie
ſchön und ſegensvoll ſind dieſe Ferien nach der
Matura. Franz ſchwelgte die erſten Tage in
Luſt und Seligkeit. Nach mehreren Wochen, als
ſich die Schwalben zur Abreiſe rüſteten, war er
verſchwunden aus dem Elternhauſe. Niemand
wußte wohin und warum. Nur die Eltern
ahnten es. „Du weißt, Franz, daß es unſere
einzige Freude iſt, wenn Du Geiſtlicher wirſt,
acht Jahre lang freuen wir uns darauf. Darum
haben wir Dich ſtudiren laſſen und haben uns
das Letzte vom Munde abgeſpart, um es Dir
zu geben.“ So hatte die Mutter mit weiner-
licher Stimme zu ihm Tags vorher geſagt. „Ich
kann mich nicht ganz ruiniren Deinetwegen, Du
weißt, daß außer Dir noch ſieben andere Ge-
ſchwiſter da ſind, die auch einmal verſorgt ſein
wollen. Thue, was Du willſt, ich will Dich
nicht zwingen dazu — aber Geld kann ich Dir
keines mehr geben,“ hatte der Vater zu ihm
geſagt. Der Sohn trotzte, aß den ganzen Tag
nichts und trieb ſich umher in den Wäldern,
wo er mit Beeren und Schwämmen ſeinen
Hunger ſtillte. „Gott wird Dich zwingen,
Franz,“ hatte wieder am Abend der Vater ein-
dringlich zum Sohne geſprochen, „Gott wird
Dich zwingen, uns doch einmal ſpäter die Freude
zu machen, wenn Du bloß aus wildem Trotz


[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. [Abbildung]
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[[1]/0001] Preis 4 kr. Redaction, Adminiſtration, Expedition und Druckerei: VIII., Strozzigaſſe 41. Stadtexpedition I., Wollzeile 15. Zeitungsbureau Weis. Unfrankirte Briefe werden nicht an- genommen; Manuſkripte werden nicht zurückgeſtellt. Unverſchloſſene Reclamationen ſind portofrei. Inſerate werden im Ankündigungs- Bureau VIII., Strozzigaſſe 41, ſowie in allen Annoncenbureaux des In- und Auslandes angenommen. Abonnements werden ange- nommen außer in den Expeditionen bei J. Heindl, I., Stephansplatz 7. Erſcheint täglich, 6 Uhr Nach- mittags, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. Preis 4 kr. Bezugspreiſe: Für Wien mit Zuſtellung ins Haus ganzjährig ..... 16 fl. vierteljährig ..... 4 fl. monatlich .... 1 fl. 35 kr. Einzeine Nummern 4 kr., per Poſt 5 kr. Bei Abholung in unſerer Adminiſtra- tion ganzj. 13 fl., monatlich 1 fl. 10 kr. 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Heute ſoll die Entſcheidung des Monarchen fallen über die Annahme der Demiſſion des Cabinets Thun. Es iſt wohl ziemlich zweifellos, daß die Demiſſion angenommen wird, es müßte denn jede neue Combination als ausſichtslos oder undurchführbar ſich erweiſen. Momentan ſtehen zwei Combinationen im Vordergrund, die Com- bination Alfred Liechtenſtein-Körber-Dipauli oder Bildung eines Beamtenminiſteriums mit dem bis- herigen Statthalter in Steiermark, Grafen Clary- Aldringen an der Spitze. Beide Variationen kommen bisher um eine Schwierigkeit nicht herum, das iſt die nach Außen wenigſtens als unerſchütterlich proclamirte Solidarität der Rechten. Fürſt Liechten- ſtein will ohne die Zuſtimmung der Rechten die Sprachenverordnungen nicht aufheben, er will gleichzeitig ohne feſte Mehrheit die Regierung nicht übernehmen, jene Solidarität jedoch ſchließt ent- weder das Eine oder das Andere aus, darum iſt die Cabinetsbildung Liechtenſtein noch nicht einen Schritt vorwärtsgekommen, wenn ſie nicht viel- leicht gar ſchon zurückgegangen iſt. Ein Beamtenminiſterium findet die Sachlage vielleicht noch ſchwieriger, es hat möglicher Weiſe nicht alle Parteien des Hauſes gegen ſich, aber gewiß keine unbedingt für ſich. Die Feindſeligkeit, die von Seiten der Rechten gegen ein Beamten- miniſterium an den Tag gelegt wird, läßt es eigentlich ſchon von Haus aus in der Minorität ſein, es läßt gar keine Berechnung darüber mit einiger Sicherheit zu, wie es nach der doch unver- meidlichen Aufhebung der Sprachenverordnungen parlamentariſch poſtirt ſein werde, es ſchließt endlich bezüglich des Ausgleiches eigentlich jede Calculation von vornherein aus. Dazu kommt noch, daß in den letzten Jahren alle hervorragenden Sectionschefs nahezu aufge- braucht wurden, um für ein paar Wochen Miniſter- portefeuilles zu tragen, daß man alſo das Be- amtenminiſterium entweder à la Kielmansegg aus proviſoriſchen Leitern zuſammenſtellen oder vor- übergehende Sedisvacanzen auf verſchiedenen Statthalter- und Landespräſidentenpoſten in den Kauf nehmen müßte. Auch dieſe Erwägung ſtellt ſich einem Beamten-Miniſterium entgegen, abgeſehen davon, daß gerade im jetzigen Augen- blicke eine entſchiedene, nach feſten Zielen vor- gehende Perſönlichkeit an der Spitze der Geſchäfte ſchon mehr als nothwendig wäre. Schon bei der Uebernahme der Miſſion zur Cabinetsbildung müßte ſich dieſe Entſchiedenheit und Entſchloſſenheit documentiren. Wer den verfahrenen Staatskarren in das richtige Geleiſe bringen will, dürfte ſich durch die Solidaritäts- proclamation der Rechten nicht allzuſehr imponiren laſſen, er müßte einfach die Beſeitigung der Sprachenverordnungen als die conditio sine qua non des wieder functionirenden Parlamentarismus durchführen und dann abwarten, ob die Polen, die Südſlaven und die Katholiſche Volkspartei deshalb wirklich alles andere für die ſchönen Augen der Jungczechen über den Haufen werfen wollten. Wir glauben es nicht, ja die Katholiſche Volkspartei müßte ihre eigenen Enunciationen Lügen ſtrafen, denn ſie ſelbſt hat ja durch ihre Worführer wie durch ihre Preſſe jene Verordnungen als beſeitigungswerth bezeichnet. Haben nicht gerade verſchiedene Parteien der Rechten ſich als Träger der Staatsnothwendigkeiten auf- geſpielt und kann vielleicht jemand leugnen, daß die Beſeitigung der Sprachenverordnungen durch den Gang der Dinge derzeit eine Staatsnoth- wendigkeit erſten Rangen geworden iſt, ohne die der wichtigſte Factor der Staatsmaſchine, die Geſetzgebung lahm gelegt bleibt, ohne die die Illega- lität ſogar in die Sphäre der gemeinſamen Ange- legenheit hinübergreifen mußte? Der Mann, der das Ruder des Staates in die Hand nehmen wollte, müßte zur Erzielung eines wirklichen Erfolges ſeiner Feſtigkeit und Entſchloſſenheit auch auf dem Gebiete des Dualis- mus von Hauſe aus die Probe beſtehen laſſen, er müßte von vornherein die Reviſion des Ausgleiches, das heißt die Verbeſſerung der Octroy durch parlamentariſche Behand- lung auf ſein Programm ſchreiben, er müßte das thun, was wir immer verfochten haben, die Krankheit dort behandeln, wo ſie ihren eigentlichen Sitz hat. Der Premier, der den Ausgleich zur Discuſſion ſtellt, der hat eine Solidarität der Rechten nicht zu fürchten, es wird für ſein Pro- gramm ſo ziemlich auf allen Seiten des Hauſes Anhänger finden, es wird die Macht, die Autorität Feuilleton. Nachdruck verboten. Himmelſchlüſſel. Eine Erinnerung aus der Studentenzeit. Erzählung von Joſ. Brunner. Um Michaeli herum war’s. Die Natur, Braut und bräutlich geſchmückt im Lenze, war Mutter geworden und wurde allmählich zur Matrone. Ihre grauen Haare flogen glitzernd im Sonnen- glanze durch die Fluren und wickelten ſich um die Stoppeln und Schwarzbeergebüſche am Waldrande. Noch einen Monat und ſie hüllt ſich vielleicht ſchon in’s weiße, kalte Leichentuch. Ihr, der altern- den, erkaltenden Mutter, hatten die Schwalben bereits den Rücken gekehrt. Um den Kirchthurm von Mühlthal flogen ſie mehrmals herum, dann ging’s fort in die weite Welt. Recht warm ſchien die Sonne noch herab auf die Muttererde, aber trotzdem ſah man überall ſchon das Abſterben der Natur. Die Blätter trugen ſchon zum Theile die Todtenfarbe und fielen ſtill, unheimlich geräuſchlos nieder auf den dürren Boden. Die Schwalben waren fort, ihnen folgten die Studenten. Damals begann die Schulzeit noch mit Anfang October. Auf der ſtaubigen Straße von Mühlthal nach Frankſtadt im ſüdlichen Böhmen wandern Studenten. Eine kleine Reiſetaſche über den Rücken, einen wuchtigen Stock in der Hand, ſchreiten ſie rüſtig fürbaß. Ihre Gedanken ſcheinen noch in der eben verlaſſenen Heimat zu weilen; denn ſinnend und faſt wehmüthigen Blickes wandern ſie dahin. Weinend hatte ihnen vor wenigen Stunden die Mutter das heilige Kreuz- zeichen auf die Stirne gemacht und ihr Angeſicht mit heil. Waſſer beſprengt. Sie fühlen noch die weiche Hand auf der Stirne, die Thränen der Mutter in ihrer Seele. „Schau auf Dich und vergiß Gott und uns nicht!“ hatte ſie auch ge- ſagt und das waren ihre letzten Worte geweſen. Der Vater hatte ſeine ſchwieligen Hände aus- gebreitet über den abziehenden Sohn und hatte ihn geſegnet, bevor er den Reiſeſtab in die Hand nahm. Schwer wurde jedesmal der Abſchied und es rann manche Thräne aus den Augen der Studenten, wie aus denen der Eltern und Ge- ſchwiſter. Der Abſchied wirkte deshalb auch längere Zeit nach in den Empfindungen der keuſchen Herzen. Die Sonne hatte dann wieder die Thränen getrocknet, die, wie der Thau am Morgen an den Blumen, an den Augenwimpern zeitlich Morgens hingen. Die Jugend vergißt ja ebenſo bald wieder die Thräne, wie das Kind ſie leicht vergißt. Im Einkehrwirthshauſe „Waldmühl“ ſtrecken ſchon an zehn, vielleicht zwanzig Collegen die Hände heraus und rufen die Ankommenden an. Hier iſt der Sammelplatz für die Studioſen, das was der Kirchthurm für die Schwalben iſt. Unter ähnlichem Geſchrei und Gekreiſche ziehen ſie von hier in Rudeln nach der Provinzialſtadt. Hier helfen ſich die Studenten hinweg über die Ver- gangenheit und auch über die Zukunft. Hier werden die Ferien begraben, eigentlich ertränkt. Es iſt ein luſtiges Begräbniß. Die Studenten ſind ja alle luſtige Erben. »Gaudeamus igitur, juvenes dum sumus«. Sic vivimus wir Studenten — Gelder muß der Vater ſchicken, wenn der Sohn ſtudieren ſoll.“ So ſchallt und hallt es im lauten Chore, und die Töne dringen himmelwärts. Daheim geht die Mutter umher in dem öden Hauſe, und ihre Thränen rinnen abwärts auf die Erde. Sorgen- ſchweren Hauptes geht der Vater herum im leeren Felde und ſtill ſpricht er: „Lang’ können wir’s nicht mehr ermachen —“ Sein Sohn, der Wagenhofer Franz, iſt einer der luſtigſten, ausgelaſſenſten. Noch ein Jahr und dann hat er das Gymnaſium hinter ſich und kann werden, was er will — der ganze Himmel ſteht ihm ja offen, wenn er nur den rechten Schlüſſel dazu findet. Ein Jahr war vorüber. Franz hatte die „Matura“ mit Auszeichnung beſtanden. Wie ſchön und ſegensvoll ſind dieſe Ferien nach der Matura. Franz ſchwelgte die erſten Tage in Luſt und Seligkeit. Nach mehreren Wochen, als ſich die Schwalben zur Abreiſe rüſteten, war er verſchwunden aus dem Elternhauſe. Niemand wußte wohin und warum. Nur die Eltern ahnten es. „Du weißt, Franz, daß es unſere einzige Freude iſt, wenn Du Geiſtlicher wirſt, acht Jahre lang freuen wir uns darauf. Darum haben wir Dich ſtudiren laſſen und haben uns das Letzte vom Munde abgeſpart, um es Dir zu geben.“ So hatte die Mutter mit weiner- licher Stimme zu ihm Tags vorher geſagt. „Ich kann mich nicht ganz ruiniren Deinetwegen, Du weißt, daß außer Dir noch ſieben andere Ge- ſchwiſter da ſind, die auch einmal verſorgt ſein wollen. Thue, was Du willſt, ich will Dich nicht zwingen dazu — aber Geld kann ich Dir keines mehr geben,“ hatte der Vater zu ihm geſagt. Der Sohn trotzte, aß den ganzen Tag nichts und trieb ſich umher in den Wäldern, wo er mit Beeren und Schwämmen ſeinen Hunger ſtillte. „Gott wird Dich zwingen, Franz,“ hatte wieder am Abend der Vater ein- dringlich zum Sohne geſprochen, „Gott wird Dich zwingen, uns doch einmal ſpäter die Freude zu machen, wenn Du bloß aus wildem Trotz [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 10 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 219, Wien, 26.09.1899, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost219_1899/1>, abgerufen am 21.11.2024.