Reichspost. Nr. 219, Wien, 26.09.1899.Wien, Dienstag Reichspost 26. September 1899 219 [Spaltenumbruch] besitzen, über nationale und staatsrechtliche, über Politische Rundschau. Wien, 25 September. Oesterreich-Ungarn. Der Cabinetswechsel. Das Ministerium Der letzte Anstoß zum Minister- Vor Rücksichtnahme auf die gerechten For- und Uebermuth unsere Wünsche mißachtest." In Der Mutter Haare waren inzwischen weiß (Schluß folgt.) [Spaltenumbruch] fassung des Finanzministers Kaizl mußte aber Damit war das Schicksal des Ministeriums Das künftige Ministerium. Seit Samstag Darum bezeichnete diese Presse schon gestern Die Jungczechen verharren auf ihrem Die Prager "Politik" versichert: "Die Situa- "Narodni Listy" dagegen drohen: "Wir Vernünftiger urtheilen dagegen czechische Blätter Auf solche vernünftige Einsicht in Diese mittelparteiliche Gruppirung soll Gelingt dem Fürsten Alfred Liechtenstein oder Ist auch ein Uebergangs-Ministerium nicht durch- Reminiscenzen. Wie sich die Gesinnung im Zur Lage Die Vertreter der deutschen Opposition, Unter den ernsten Candidaten für ein neues Der ungarische Reichstag tritt am 28. d. Gestern berief der Kaiser den Führer des ver- Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. September 1899 219 [Spaltenumbruch] beſitzen, über nationale und ſtaatsrechtliche, über Politiſche Rundſchau. Wien, 25 September. Oeſterreich-Ungarn. Der Cabinetswechſel. Das Miniſterium Der letzte Anſtoß zum Miniſter- Vor Rückſichtnahme auf die gerechten For- und Uebermuth unſere Wünſche mißachteſt.“ In Der Mutter Haare waren inzwiſchen weiß (Schluß folgt.) [Spaltenumbruch] faſſung des Finanzminiſters Kaizl mußte aber Damit war das Schickſal des Miniſteriums Das künftige Miniſterium. Seit Samſtag Darum bezeichnete dieſe Preſſe ſchon geſtern Die Jungczechen verharren auf ihrem Die Prager „Politik“ verſichert: „Die Situa- „Narodni Liſty“ dagegen drohen: „Wir Vernünftiger urtheilen dagegen czechiſche Blätter Auf ſolche vernünftige Einſicht in Dieſe mittelparteiliche Gruppirung ſoll Gelingt dem Fürſten Alfred Liechtenſtein oder Iſt auch ein Uebergangs-Miniſterium nicht durch- Reminiscenzen. Wie ſich die Geſinnung im Zur Lage Die Vertreter der deutſchen Oppoſition, Unter den ernſten Candidaten für ein neues Der ungariſche Reichstag tritt am 28. d. Geſtern berief der Kaiſer den Führer des ver- <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header">Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. September 1899 219</fw><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div xml:id="krise2" prev="#krise1" type="jArticle" n="2"> <p>beſitzen, über nationale und ſtaatsrechtliche, über<lb/> unöſterreichiſche und umſtürzleriſche Intranſigenten<lb/> zur Tagesordnung übergehen zu können, es wird<lb/> die <hi rendition="#g">Völker</hi> auf ſeiner Seite finden, die die<lb/> Parteien ſchon willig <hi rendition="#g">machen</hi> werden, ſoweit ſie<lb/> es nicht ſind. 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Graf Thun<lb/> rüſtet ſich zur Heimkehr nach Tetſchen; Doctor<lb/> Kaizl will, was wir nicht recht glauben, wieder<lb/> einfaches Mitglied des Jungczechenclubs werden,<lb/> ſtatt ein gut dotirtes Staatsamt anzuſtreben;<lb/> Baron Dipauli hält ſich für eine neue Miniſter-<lb/> combination bereit, ohne jedoch viel Ausſicht auf<lb/> Erfolg zu haben, da wohl alle mit der Ver-<lb/> antwortung für die § 14-Arbeit belaſteten Ex-<lb/> cellenzen der neuen Entwicklung am beſten ganz<lb/> aus dem Wege gehen.</p> </div><lb/> <div xml:id="ministerwechsel1" next="#ministerwechsel2" type="jArticle" n="3"> <p><hi rendition="#b">Der letzte Anſtoß zum Miniſter-<lb/> wechſel</hi> wird, wie wir vorige Woche wiederholt<lb/> anführten, <hi rendition="#g">thatſächlich</hi> dem Leiter unſeres<lb/> äußeren Amtes, dem Grafen Goluchowski, zu-<lb/> geſchrieben. Derſelbe hatte ja ſeit neueſter Zeit alle<lb/> Urſache, die gefährlich wachſende Verwirrung der<lb/> inneren Lage als für das äußere Anſehen unſerer<lb/> Monarchie und ſeine Bündnißfähigkeit be-<lb/> denklich anzuſehen. Um der engherzigen Jung-<lb/> czechenpolitik willen, welcher ſich auf Drängen des<lb/> Dr. Kaizl das Cabinet Thun ſeit anderthalb<lb/> Jahren leider viel zu ſehr zur Verfügung geſtellt<lb/> hat, kann doch unmöglich das Staatsgefüge in<lb/> Frage geſtellt werden. Graf Goluchowski ſowohl<lb/> wie der Reichskriegsminiſter Baron Krieghammer<lb/> wollten <hi rendition="#g">nur</hi> vor <hi rendition="#g">verfaſſungmäßig,</hi><lb/> alſo im Parlament herkömmlich gewählten<lb/> Delegationen, ihre Reſſort-Angelegenheiten ver-<lb/> treten.</p><lb/> <p>Vor Rückſichtnahme auf die gerechten For-<lb/> derungen der deutſchen Geſammt-Oppoſition<lb/> beſtand aber für legale, <hi rendition="#g">parlamentariſche</hi><lb/> Delegationswahlen abſolut keine Ausſicht. 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Des<lb/> Vaters Segen baut den Kindern Häuſer auf, und<lb/> er iſt fort ohne unſern Segen.“ So redete die<lb/> Mutter zum Vater eines Sonntags Nachmittag,<lb/> als ſie allein ſaßen in der weiten Stube. „Gott<lb/> wird ihn noch zwingen, ſich den Segen zu holen,<lb/> Mutter, wenn er noch am Leben iſt, der Franz“,<lb/> erwiderte traurig der Vater. — „Ich glaube halt<lb/> immer, daß er ſchon geſtorben iſt, weil’s jetzt ſchon<lb/> bald 10 Jahre ſind. — Ehre Vater und Mutter,<lb/> auf daß du lange lebeſt, und es dir wohl ergehe<lb/> auf Erden!“ ſprach ſie leiſe wie zu ſich ſelber. —<lb/> Eine Thräne rollte um die andere herab auf die<lb/> knochendürren Hände, die im Schoße lagen. „Er<lb/> wird noch einmal zu uns kommen, Mutter, ich<lb/> glaube nicht, daß er todt iſt, es hätte doch irgend-<lb/> woher die Todtennachricht kommen müßen“, meinte<lb/> der Vater und griff nach der Holzpfeife, um ſie<lb/> in Brand zu ſtecken und ſich damit die ſchweren<lb/> Sorgen und das tiefe Leid zu verſcheuchen.</p><lb/> <p> <ref> <hi rendition="#c">(Schluß folgt.)</hi> </ref> </p> </div> </div><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div xml:id="ministerwechsel2" prev="#ministerwechsel1" type="jArticle" n="3"> <p>faſſung des Finanzminiſters Kaizl mußte aber<lb/> als verfaſſungswidrig beurtheilt werden. Darum<lb/> proteſtirte, wie man mittheilt, dagegen ſowohl<lb/> der Miniſter des Aeußern, der in dieſem<lb/> Sinne den Kaiſer informirte, wie Ungarn’s Mi-<lb/> niſterpräſident, der nur eine legal gewählte öſter-<lb/> reichiſche Delegation anerkennen wollte. Möglicher-<lb/> weiſe haben die Conferenzen zwiſchen Chlumecky<lb/> und Baron Szell in Ratot die Entſcheidung für<lb/> Ungarn’s Stellung eingeleitet.</p><lb/> <p>Damit war das Schickſal des Miniſteriums<lb/> Kaizl, genannt Thun, entſchieden und die nun un-<lb/> ausweichliche Demiſſion zur Frage weniger Tage<lb/> gemacht. Das verrieth auch die Schwenkung des<lb/> „Fremdenblatt“. Ein Nachgeben gegen Doctor<lb/> Kaizl’s Rathſchlag, welch Letzterer die Sprachen-<lb/> verordnungen und die czechiſchen Poſtulate um<lb/> jeden Preis retten wollte, hätte übrigens die<lb/> Bahn zu politiſch-<hi rendition="#g">uferloſen</hi> Zuſtänden in<lb/> Oeſterreich eröffnet. Darum erfolgte am 23. d. M.<lb/> die Abdankang des Cabinets, als auch über die<lb/> Einmüthigkeit der deutſchen Oppoſition und deren<lb/><hi rendition="#g">einſtimmige Ablehnung</hi> der Doctor v.<lb/> Fuchs’ſchen Verſtändigungsconferenz kein Zweifel<lb/> mehr übrigblieb.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Das künftige Miniſterium.</hi> </head> <p>Seit Samſtag<lb/> überſtürzt ſich die Senſationspreſſe, die jüdiſche aus<lb/> Berechnung für Iſraels Sonderintereſſen, die nicht-<lb/> jüdiſche aus Neuigkeits-Haſcherei, damit eine Maſſe der<lb/> buntſcheckigſten Miniſterliſten aufzuſtellen, als hätte<lb/> ſich der Kaiſer, in deſſen Händen allein die Ent-<lb/> ſcheidung liegt, <hi rendition="#g">ihre</hi> Rathſchläge erbeten. Sicher iſt<lb/> bis jetzt nur, daß Fürſt Alfred Liechtenſtein, der die<lb/> Aufhebung der Sprachenverordnungen für unerläßlich<lb/> anſieht, vom Kaiſer vorläufig damit betraut wurde,<lb/> ein neues Cabinet vorzuſchlagen. Fürſt Alfred<lb/> Liechtenſtein plant angeblich ein Miniſterium, das,<lb/> auf eine <hi rendition="#g">Mittelpartei</hi> ſich ſtützend, den<lb/> Deutſchen ihr Recht zurückgäbe, die Czechen aber von<lb/> wilder Obſtruction zurückhielte. Dieſe Aufgabe iſt überaus<lb/> ſchwierig, weil die Jungczechen mit dem Alleräußerſten<lb/> drohen, wenn ihnen die Beute der Sprachenver-<lb/> ordnungen, die Badeni ihnen als Grundlage der<lb/> Nationalſtaatsforderung gab, wieder entriſſen würde,<lb/> und weil ſofort auch die Quertreibereien der jüdiſchen<lb/> Großpreſſe begonnen haben, die jeder Neuordnung ſtets<lb/> opponirt und Verwirrung ſäet, wenn dabei nicht<lb/> Iſraels Macht gefördert wird.</p><lb/> <p>Darum bezeichnete <hi rendition="#g">dieſe</hi> Preſſe ſchon geſtern<lb/> die Miſſion des Fürſten Alfred Liechtenſtein als <hi rendition="#g">ge-<lb/> ſcheitert,</hi> ohne daß bis heute dafür eine Be-<lb/> ſtätigung vorliegt. Die Berathungen dauern im Gegen-<lb/> theil fort.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Jungczechen</hi> verharren auf ihrem<lb/> ſtarren Standpunkte, und ihre Preſſe ſucht durch<lb/> Drohungen nach allen Seiten hin einſchüchternd zu<lb/> wirken. Eine Kundgebung der czechiſchen Abgeordneten<lb/> in Prag verkündete geſtern, daß der Czechenclub ent-<lb/> ſchiedenſt die Zumuthung <hi rendition="#g">zurückweiſe,</hi> als ob die<lb/> czechiſchen Ageordneten geneigt wären, einem Drucke<lb/> befreundeter Parteien der Rechten nachzugeben und<lb/> grundſätzliche Zugeſtändniſſe in <hi rendition="#g">ſprachlicher</hi> Hin-<lb/> ſicht zu machen. Das czechiſche Volk dürfe nicht daran<lb/> zweifeln, daß ſeine Abgeordneten nicht von der Linie<lb/> abweichen werden, die ſie ſich mit ihrer Prager Reſo-<lb/> lution vom 16. d. M. gezogen haben.</p><lb/> <p>Die Prager <hi rendition="#g">„Politik“</hi> verſichert: „Die Situa-<lb/> tion geſtaltet ſich gerade für die czechiſchen Vertreter<lb/> äußerſt ſchwierig. Sie kann gerettet, aber auch durch ver-<lb/> fehlte Taktik auf unabſehbare Zeiten ruinirt werden.“</p><lb/> <p><hi rendition="#g">„Narodni Liſty“</hi> dagegen drohen: „Wir<lb/> wiſſen in dieſem Augenblicke nicht, wie die Entſcheidung<lb/> ausfällt; das aber wiſſen wir, daß nicht nur die<lb/><hi rendition="#g">czechiſchen Abgeordneten,</hi> ſondern auch<lb/> das ganze <hi rendition="#g">czechiſche Volk</hi> durch die Wendung,<lb/> die ſich vorbereitet, <hi rendition="#g">ledig aller Rückſichten</hi><lb/> gegenüber unſeren nationalen Brüdern, für die Rechte<lb/> ihrer Sprache und ihrer Nation <hi rendition="#g">überall und<lb/> gegen Jedermann</hi> den <hi rendition="#g">ſchärfſten<lb/> Kampfführen</hi> werden, die ſie antaſten.“</p><lb/> <p>Vernünftiger urtheilen dagegen czechiſche Blätter<lb/> Mährens. Der Brünner <hi rendition="#g">„Hlas“</hi> warnt dringend vor<lb/> Obſtruction und Abſtinenz. Das Blatt ſchreibt: Obſtruction<lb/> ſeitens der czechiſchen Abgeordneten würde nicht, wie<lb/> jene der Deutſchen, die Wiener Gaſſe für ſich, ſondern<lb/><hi rendition="#g">gegen</hi> ſich haben. Deshalb ſei es nichts mit der<lb/> Obſtruction. Es bleibe nur die Frage der <hi rendition="#g">Abſti-<lb/> nenz</hi> offen, deren <hi rendition="#g">Ausſichtsloſigkeit</hi> aber<lb/> bekannt ſei. Die czechiſchen Abgeordneten ſtehen alſo<lb/> vor der Frage, <hi rendition="#g">entweder</hi> der <hi rendition="#g">Aufhebung<lb/> der Sprachenverordnungen zuzu-<lb/> ſtimmen</hi> und in der Mehrheit zu bleiben, oder die<lb/> Aufhebung der Sprachenverordnungen <hi rendition="#g">abzulehnen,</hi><lb/> dieſe aber trotzdem aufgehoben zu ſehen und in die<lb/> Oppoſition oder Abſtinenz einzutreten. Das Beſte ſei<lb/> der goldene <hi rendition="#g">Mittelweg.</hi> Die czechiſchen Abgeord-<lb/> neten möchten ſich alſo gegenüber einer zeitlichen Auf-<lb/> hebung der Sprachenverordnungen unter der Voraus-<lb/> ſetzung eines gerechten Sprachengeſetzes <hi rendition="#g">paſſiv</hi><lb/> verhalten.</p><lb/> <p>Auf <hi rendition="#g">ſolche vernünftige Einſicht</hi> in<lb/> czechiſchen Kreiſen rechnet Fürſt Alfred Liechtenſtein,<lb/> deſſen geplante <hi rendition="#g">Mittelpartei</hi> ſowohl die ver-<lb/> faſſungstreuen als die feudalen Großgrundbeſitzer, die<lb/> Polen, die von Dr. Kathrein geführten deutſchconſer-<lb/><cb/> vative Gruppe und überhaupt die gemäßigten Gruppen<lb/> von links und rechts enthalten ſoll. Darüber werden ſeit<lb/> geſtern ernſtliche Unterhandlungen geführt, an denen<lb/> ſich hervorragend auch Graf <hi rendition="#g">Oswald Thun,</hi> der<lb/> Führer des deutſchliberalen Großgrundbeſitzes, betheiligt.</p><lb/> <p>Dieſe <hi rendition="#g">mittelparteiliche</hi> Gruppirung ſoll<lb/> zunächſt die parlamentariſche Indemnität für den nach<lb/> Auffaſſung der Krone unabänderlichen § 14-Ausgleich<lb/> mit Ungarn herbeiführen, die aufzuhebenden Sprachen-<lb/> verordnungen durch ein Nationalitäten- und Sprachen-<lb/> geſetz für Oeſtereich, das dem deutſchen Pfingſtgrogramm<lb/> ernſt Rechnung trägt, möglichſt bald erſetzen, die vielen<lb/> parlamentariſchen Rückſtände erledigen und kräftig an<lb/> die großen zeitgemäßen Reform-Aufgaben herantreten.</p><lb/> <p>Gelingt dem Fürſten Alfred Liechtenſtein oder<lb/> einem Anderen eine Cabinetsbildung ſolcher Structur<lb/> für <hi rendition="#g">dieſe</hi> Aufgaben <hi rendition="#g">nicht,</hi> dann ſoll die Bildung<lb/> eines <hi rendition="#g">Uebergangs-Miniſteriums</hi> mit<lb/> dem Statthalter von Steiermark, dem Grafen Clary<lb/> oder einem Anderen an der Spitze, verſucht werden.<lb/> Ein bloßes Beamtenminiſterium perhorrescirt auch die<lb/> den Jungczechen ſtets gefällige Ebenhoch-Gruppe, die<lb/> ſeit der Kriſis des <hi rendition="#g">jetzigen</hi> Syſtems ſich ſehr reſer-<lb/> virt hält.</p><lb/> <p>Iſt auch ein Uebergangs-Miniſterium nicht durch-<lb/> führbar, dann ſtehen, da ein jüdiſch-liberales Partei-<lb/> Miniſterium an höchſter Stelle direct ausgeſchloſſen<lb/> und überhaupt beſtandsunfähig iſt, innere Umgeſtal-<lb/> tungen der weitreichendſten Art in Ausſicht, zu deren<lb/> Durchführung möglicher Weiſe wieder Graf Thun in<lb/> Betracht käme.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Reminiscenzen.</hi> </head> <p>Wie ſich die Geſinnung im<lb/> Miniſterfrack ändert, dafür hat namentlich der jung-<lb/> czechiſche Finanzminiſter Dr. <hi rendition="#g">Kaizl</hi> ſtarke Proben<lb/> gegeben. Nach ſeiner Einführung der drückenden Er-<lb/> höhung der Zuckerſteuer und des P<supplied>e</supplied>troleumzolles wurde<lb/> daran erinnert, daß Dr. Kaizl, der ſeine draſtiſche<lb/> Verurtheilung des Zeitungsſtempels als Miniſter<lb/> völlig vergeſſen hat, in früherer Zeit jede<lb/> Conſumſteuer-Vergrößerung offen als „Verbrechen<lb/> am Volke“ bezeichnet habe. Jetzt aber erinnern ihn<lb/> Prager deutſche Blätter, daß er unmittelbar vor ſeinem<lb/> Eintritte ins Miniſterum im officiellen Cluborgan der<lb/> Jungczechen <hi rendition="#g">für die Aufhebung der<lb/> Gautſch’ſchen Sprachenverordnungen<lb/> plaidirt</hi> habe, indem er ſchrieb: „Die Hoch-<lb/> ſchulen in Prag ſind getheilt, das Schulweſen<lb/> überhaupt iſt auf <hi rendition="#g">nationale Grundlage</hi><lb/> geſtellt worden. Ueberall in der Kunſt und der<lb/> Wiſſenſchaft und in allen Inſtitutionen wird gegen die<lb/> Doppelſprachigkeit und <hi rendition="#g">für eigene nationale<lb/> Typen</hi> gekämpft, und nur die Behörden und die<lb/> Beamten ſollten zweiſprachig bleiben? Darin liegt ein<lb/><hi rendition="#g">Widerſpruch,</hi> und ich beſchränke mich darauf, ihn<lb/> zu conſtatiren.“ So ändern ſich Grundſätze und An-<lb/> ſchauungen um miniſterieller Beneficien willen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Zur Lage</hi> </head> <p>Die Vertreter der deutſchen Oppoſition,<lb/> welche Fürſt Alfred Lichtenſtein in Sachen der<lb/> Cabinets-Neubildung ſondiren ließ, weiſen auf ihre in der<lb/> Obmännerconferenz gegebenen gemeinſamen Erklärungen<lb/> hin, die bekanntlich außer der Zurückziehung der<lb/> Sprachenverordnungen auch verläſſige Bürgſchaften<lb/> für die Deutſchen anläßlich eines Syſtemswechſels<lb/> fordern.</p><lb/> <p>Unter den ernſten Candidaten für ein neues<lb/> dauerhaftes Cabinet werden die Abgeordneten Grab-<lb/> mayr, den der Kaiſer in Meran ſo wohlwollend an-<lb/> ſprach, ferner Dr. Pattai und der Handelsminiſter des<lb/> Cabinets Gautſch, Dr. v. Körber, genannt. Im<lb/> Uebrigen halten ſich die deutſchen Parteien der Gemein-<lb/> bürgſchaft abwartend zurück, ſo lange noch das Mini-<lb/> ſterium Thun amtirt.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p><hi rendition="#b">Der ungariſche Reichstag</hi> tritt am 28. d.<lb/> zuſammen. Miniſterpräſident Szell iſt Sonntag, den<lb/> 24. d., hier in Wien eingetroffen, offenbar um Klar-<lb/> heit über den Stand der diesſeitigen Miniſterkriſe ſo-<lb/> wie der Indemnitätsausſichten für den Ausgleich zu<lb/> erhalten. Jedenfalls wird er dabei auch auf die im Reichs-<lb/> tage bevorſtehenden Stürme vorbereiten, welche gelegentlich<lb/> der radicalen Interpellation über die Wiederaufrichtung<lb/> des Hentzi-Denkmals und über die Honvedbetheiligung an<lb/> der Weihe dieſes Monumentes zu erwarten ſind.<lb/> Von Seite der Koſſuth-Partei wird auch die officielle<lb/> Betheiligung des Reichstages und der Regierungskreiſe<lb/> an der Jahresſeier der Hinrichtung der 1848er Rebellen-<lb/> führer, der ſogenannten „Märtyrer der Nation“, für den<lb/> 6. October gefordert werden. Man ſieht, der magyariſche<lb/> Radicalismus geht in der Rückſichtsloſigkeit gegen das Haus<lb/> Habsburg geradezu unverſchämt vorwärts. Man darf<lb/> geſpannt ſein, wie das Miniſterium Szell ſich dazu<lb/> ſtellen, und welche „patriotiſche“ Erklärungen es dabei<lb/> abgeben wird. Miniſterpräſtdent Szell, der geſtern im<lb/> Laufe des Vormittags in Wien mit dem General-<lb/> gouverneur der Oeſterreichiſch-Ungariſchen Bank Dr.<lb/> v. Kautz conferirte, wurde heute Montag vom<lb/> Kaiſer in Audienz empfangen.</p><lb/> <p>Geſtern berief der Kaiſer den Führer des ver-<lb/> faſſungstreuen Großgrundbeſitzes, den Grafen Oswald<lb/> Thun nach Schönbrunn zu beſonderer Audienz. Der-<lb/> ſelbe verweilte über eine Stunde beim Monarchen.<lb/> Ebenſo hatte Reichs-Finanzminiſter v. Kallay geſtern<lb/> Nachmittags eine längere Audienz beim <hi rendition="#g">Kaiſer.</hi><lb/> Der Miniſter des Aeußern Graf Goluchowski erſchien<lb/> geſtern mehrmals beim Kaiſer. Auch Freiherr von<lb/> Chlumecky iſt wieder nach Wien berufen worden.<lb/> Miniſterpräſident Graf Thun wurde gegen Mittag<lb/> vom Kaiſer in Audienz empfangen.</p> </div> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [2/0002]
Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. September 1899 219
beſitzen, über nationale und ſtaatsrechtliche, über
unöſterreichiſche und umſtürzleriſche Intranſigenten
zur Tagesordnung übergehen zu können, es wird
die Völker auf ſeiner Seite finden, die die
Parteien ſchon willig machen werden, ſoweit ſie
es nicht ſind. Ob dieſer Premier ſich finden wird,
ob man ihn finden will, das werden die
nächſten Tage, vielleicht ſchon die nächſten Stunden
lehren.
Politiſche Rundſchau.
Wien, 25 September.
Oeſterreich-Ungarn.
Der Cabinetswechſel. Das Miniſterium
Thun-Kaizl-Dipauli führt nach ſeiner Demiſſion,
deren Annahme der Kaiſer ſich vorbehalten hat,
die aber für ſicher gilt, die Regierungsgeſchäfte
proviſoriſch bis zur Ernennung eines neuen
Miniſteriums weiter. Die Entſcheidung der
Krone wird in Bälde erwartet. Graf Thun
rüſtet ſich zur Heimkehr nach Tetſchen; Doctor
Kaizl will, was wir nicht recht glauben, wieder
einfaches Mitglied des Jungczechenclubs werden,
ſtatt ein gut dotirtes Staatsamt anzuſtreben;
Baron Dipauli hält ſich für eine neue Miniſter-
combination bereit, ohne jedoch viel Ausſicht auf
Erfolg zu haben, da wohl alle mit der Ver-
antwortung für die § 14-Arbeit belaſteten Ex-
cellenzen der neuen Entwicklung am beſten ganz
aus dem Wege gehen.
Der letzte Anſtoß zum Miniſter-
wechſel wird, wie wir vorige Woche wiederholt
anführten, thatſächlich dem Leiter unſeres
äußeren Amtes, dem Grafen Goluchowski, zu-
geſchrieben. Derſelbe hatte ja ſeit neueſter Zeit alle
Urſache, die gefährlich wachſende Verwirrung der
inneren Lage als für das äußere Anſehen unſerer
Monarchie und ſeine Bündnißfähigkeit be-
denklich anzuſehen. Um der engherzigen Jung-
czechenpolitik willen, welcher ſich auf Drängen des
Dr. Kaizl das Cabinet Thun ſeit anderthalb
Jahren leider viel zu ſehr zur Verfügung geſtellt
hat, kann doch unmöglich das Staatsgefüge in
Frage geſtellt werden. Graf Goluchowski ſowohl
wie der Reichskriegsminiſter Baron Krieghammer
wollten nur vor verfaſſungmäßig,
alſo im Parlament herkömmlich gewählten
Delegationen, ihre Reſſort-Angelegenheiten ver-
treten.
Vor Rückſichtnahme auf die gerechten For-
derungen der deutſchen Geſammt-Oppoſition
beſtand aber für legale, parlamentariſche
Delegationswahlen abſolut keine Ausſicht. Der
jungezechiſche Finanzminiſter Dr. Kaizl rieth
darum im Cabinetsrathe eine willkürliche
Umgehung dahin an, daß bei obſtructioneller
Verhinderung einfach auf die vorjährigen
Delegirten zurückgegriffen werden möge. Das
Cabinet Thun fand thatſächlich keinen anderen
Ausweg oder wollte ihn nicht finden. Die Auf-
und Uebermuth unſere Wünſche mißachteſt.“ In
der Nacht war der Sohn verſchwunden und blieb
verſchollen.
Der Mutter Haare waren inzwiſchen weiß
geworden und des Vaters Rücken hatte ſich unter
der Laſt der Sorgen und Arbeiten gekrümmt.
Bleich und hohl lag im Angeſichte das tiefe Weh
ihrer Seele: es durchfurchte die einſt ſo friſchen,
geſunden Wangen, die Wurzeln reckten ſich und
ſtreckten ſich im ganzen Leibe und zehrten am
Lebensmarke. „Er kann kein Glück haben auf der
Welt, weil er ſo von uns gegangen iſt. Des
Vaters Segen baut den Kindern Häuſer auf, und
er iſt fort ohne unſern Segen.“ So redete die
Mutter zum Vater eines Sonntags Nachmittag,
als ſie allein ſaßen in der weiten Stube. „Gott
wird ihn noch zwingen, ſich den Segen zu holen,
Mutter, wenn er noch am Leben iſt, der Franz“,
erwiderte traurig der Vater. — „Ich glaube halt
immer, daß er ſchon geſtorben iſt, weil’s jetzt ſchon
bald 10 Jahre ſind. — Ehre Vater und Mutter,
auf daß du lange lebeſt, und es dir wohl ergehe
auf Erden!“ ſprach ſie leiſe wie zu ſich ſelber. —
Eine Thräne rollte um die andere herab auf die
knochendürren Hände, die im Schoße lagen. „Er
wird noch einmal zu uns kommen, Mutter, ich
glaube nicht, daß er todt iſt, es hätte doch irgend-
woher die Todtennachricht kommen müßen“, meinte
der Vater und griff nach der Holzpfeife, um ſie
in Brand zu ſtecken und ſich damit die ſchweren
Sorgen und das tiefe Leid zu verſcheuchen.
(Schluß folgt.)
faſſung des Finanzminiſters Kaizl mußte aber
als verfaſſungswidrig beurtheilt werden. Darum
proteſtirte, wie man mittheilt, dagegen ſowohl
der Miniſter des Aeußern, der in dieſem
Sinne den Kaiſer informirte, wie Ungarn’s Mi-
niſterpräſident, der nur eine legal gewählte öſter-
reichiſche Delegation anerkennen wollte. Möglicher-
weiſe haben die Conferenzen zwiſchen Chlumecky
und Baron Szell in Ratot die Entſcheidung für
Ungarn’s Stellung eingeleitet.
Damit war das Schickſal des Miniſteriums
Kaizl, genannt Thun, entſchieden und die nun un-
ausweichliche Demiſſion zur Frage weniger Tage
gemacht. Das verrieth auch die Schwenkung des
„Fremdenblatt“. Ein Nachgeben gegen Doctor
Kaizl’s Rathſchlag, welch Letzterer die Sprachen-
verordnungen und die czechiſchen Poſtulate um
jeden Preis retten wollte, hätte übrigens die
Bahn zu politiſch-uferloſen Zuſtänden in
Oeſterreich eröffnet. Darum erfolgte am 23. d. M.
die Abdankang des Cabinets, als auch über die
Einmüthigkeit der deutſchen Oppoſition und deren
einſtimmige Ablehnung der Doctor v.
Fuchs’ſchen Verſtändigungsconferenz kein Zweifel
mehr übrigblieb.
Das künftige Miniſterium. Seit Samſtag
überſtürzt ſich die Senſationspreſſe, die jüdiſche aus
Berechnung für Iſraels Sonderintereſſen, die nicht-
jüdiſche aus Neuigkeits-Haſcherei, damit eine Maſſe der
buntſcheckigſten Miniſterliſten aufzuſtellen, als hätte
ſich der Kaiſer, in deſſen Händen allein die Ent-
ſcheidung liegt, ihre Rathſchläge erbeten. Sicher iſt
bis jetzt nur, daß Fürſt Alfred Liechtenſtein, der die
Aufhebung der Sprachenverordnungen für unerläßlich
anſieht, vom Kaiſer vorläufig damit betraut wurde,
ein neues Cabinet vorzuſchlagen. Fürſt Alfred
Liechtenſtein plant angeblich ein Miniſterium, das,
auf eine Mittelpartei ſich ſtützend, den
Deutſchen ihr Recht zurückgäbe, die Czechen aber von
wilder Obſtruction zurückhielte. Dieſe Aufgabe iſt überaus
ſchwierig, weil die Jungczechen mit dem Alleräußerſten
drohen, wenn ihnen die Beute der Sprachenver-
ordnungen, die Badeni ihnen als Grundlage der
Nationalſtaatsforderung gab, wieder entriſſen würde,
und weil ſofort auch die Quertreibereien der jüdiſchen
Großpreſſe begonnen haben, die jeder Neuordnung ſtets
opponirt und Verwirrung ſäet, wenn dabei nicht
Iſraels Macht gefördert wird.
Darum bezeichnete dieſe Preſſe ſchon geſtern
die Miſſion des Fürſten Alfred Liechtenſtein als ge-
ſcheitert, ohne daß bis heute dafür eine Be-
ſtätigung vorliegt. Die Berathungen dauern im Gegen-
theil fort.
Die Jungczechen verharren auf ihrem
ſtarren Standpunkte, und ihre Preſſe ſucht durch
Drohungen nach allen Seiten hin einſchüchternd zu
wirken. Eine Kundgebung der czechiſchen Abgeordneten
in Prag verkündete geſtern, daß der Czechenclub ent-
ſchiedenſt die Zumuthung zurückweiſe, als ob die
czechiſchen Ageordneten geneigt wären, einem Drucke
befreundeter Parteien der Rechten nachzugeben und
grundſätzliche Zugeſtändniſſe in ſprachlicher Hin-
ſicht zu machen. Das czechiſche Volk dürfe nicht daran
zweifeln, daß ſeine Abgeordneten nicht von der Linie
abweichen werden, die ſie ſich mit ihrer Prager Reſo-
lution vom 16. d. M. gezogen haben.
Die Prager „Politik“ verſichert: „Die Situa-
tion geſtaltet ſich gerade für die czechiſchen Vertreter
äußerſt ſchwierig. Sie kann gerettet, aber auch durch ver-
fehlte Taktik auf unabſehbare Zeiten ruinirt werden.“
„Narodni Liſty“ dagegen drohen: „Wir
wiſſen in dieſem Augenblicke nicht, wie die Entſcheidung
ausfällt; das aber wiſſen wir, daß nicht nur die
czechiſchen Abgeordneten, ſondern auch
das ganze czechiſche Volk durch die Wendung,
die ſich vorbereitet, ledig aller Rückſichten
gegenüber unſeren nationalen Brüdern, für die Rechte
ihrer Sprache und ihrer Nation überall und
gegen Jedermann den ſchärfſten
Kampfführen werden, die ſie antaſten.“
Vernünftiger urtheilen dagegen czechiſche Blätter
Mährens. Der Brünner „Hlas“ warnt dringend vor
Obſtruction und Abſtinenz. Das Blatt ſchreibt: Obſtruction
ſeitens der czechiſchen Abgeordneten würde nicht, wie
jene der Deutſchen, die Wiener Gaſſe für ſich, ſondern
gegen ſich haben. Deshalb ſei es nichts mit der
Obſtruction. Es bleibe nur die Frage der Abſti-
nenz offen, deren Ausſichtsloſigkeit aber
bekannt ſei. Die czechiſchen Abgeordneten ſtehen alſo
vor der Frage, entweder der Aufhebung
der Sprachenverordnungen zuzu-
ſtimmen und in der Mehrheit zu bleiben, oder die
Aufhebung der Sprachenverordnungen abzulehnen,
dieſe aber trotzdem aufgehoben zu ſehen und in die
Oppoſition oder Abſtinenz einzutreten. Das Beſte ſei
der goldene Mittelweg. Die czechiſchen Abgeord-
neten möchten ſich alſo gegenüber einer zeitlichen Auf-
hebung der Sprachenverordnungen unter der Voraus-
ſetzung eines gerechten Sprachengeſetzes paſſiv
verhalten.
Auf ſolche vernünftige Einſicht in
czechiſchen Kreiſen rechnet Fürſt Alfred Liechtenſtein,
deſſen geplante Mittelpartei ſowohl die ver-
faſſungstreuen als die feudalen Großgrundbeſitzer, die
Polen, die von Dr. Kathrein geführten deutſchconſer-
vative Gruppe und überhaupt die gemäßigten Gruppen
von links und rechts enthalten ſoll. Darüber werden ſeit
geſtern ernſtliche Unterhandlungen geführt, an denen
ſich hervorragend auch Graf Oswald Thun, der
Führer des deutſchliberalen Großgrundbeſitzes, betheiligt.
Dieſe mittelparteiliche Gruppirung ſoll
zunächſt die parlamentariſche Indemnität für den nach
Auffaſſung der Krone unabänderlichen § 14-Ausgleich
mit Ungarn herbeiführen, die aufzuhebenden Sprachen-
verordnungen durch ein Nationalitäten- und Sprachen-
geſetz für Oeſtereich, das dem deutſchen Pfingſtgrogramm
ernſt Rechnung trägt, möglichſt bald erſetzen, die vielen
parlamentariſchen Rückſtände erledigen und kräftig an
die großen zeitgemäßen Reform-Aufgaben herantreten.
Gelingt dem Fürſten Alfred Liechtenſtein oder
einem Anderen eine Cabinetsbildung ſolcher Structur
für dieſe Aufgaben nicht, dann ſoll die Bildung
eines Uebergangs-Miniſteriums mit
dem Statthalter von Steiermark, dem Grafen Clary
oder einem Anderen an der Spitze, verſucht werden.
Ein bloßes Beamtenminiſterium perhorrescirt auch die
den Jungczechen ſtets gefällige Ebenhoch-Gruppe, die
ſeit der Kriſis des jetzigen Syſtems ſich ſehr reſer-
virt hält.
Iſt auch ein Uebergangs-Miniſterium nicht durch-
führbar, dann ſtehen, da ein jüdiſch-liberales Partei-
Miniſterium an höchſter Stelle direct ausgeſchloſſen
und überhaupt beſtandsunfähig iſt, innere Umgeſtal-
tungen der weitreichendſten Art in Ausſicht, zu deren
Durchführung möglicher Weiſe wieder Graf Thun in
Betracht käme.
Reminiscenzen. Wie ſich die Geſinnung im
Miniſterfrack ändert, dafür hat namentlich der jung-
czechiſche Finanzminiſter Dr. Kaizl ſtarke Proben
gegeben. Nach ſeiner Einführung der drückenden Er-
höhung der Zuckerſteuer und des Petroleumzolles wurde
daran erinnert, daß Dr. Kaizl, der ſeine draſtiſche
Verurtheilung des Zeitungsſtempels als Miniſter
völlig vergeſſen hat, in früherer Zeit jede
Conſumſteuer-Vergrößerung offen als „Verbrechen
am Volke“ bezeichnet habe. Jetzt aber erinnern ihn
Prager deutſche Blätter, daß er unmittelbar vor ſeinem
Eintritte ins Miniſterum im officiellen Cluborgan der
Jungczechen für die Aufhebung der
Gautſch’ſchen Sprachenverordnungen
plaidirt habe, indem er ſchrieb: „Die Hoch-
ſchulen in Prag ſind getheilt, das Schulweſen
überhaupt iſt auf nationale Grundlage
geſtellt worden. Ueberall in der Kunſt und der
Wiſſenſchaft und in allen Inſtitutionen wird gegen die
Doppelſprachigkeit und für eigene nationale
Typen gekämpft, und nur die Behörden und die
Beamten ſollten zweiſprachig bleiben? Darin liegt ein
Widerſpruch, und ich beſchränke mich darauf, ihn
zu conſtatiren.“ So ändern ſich Grundſätze und An-
ſchauungen um miniſterieller Beneficien willen.
Zur Lage Die Vertreter der deutſchen Oppoſition,
welche Fürſt Alfred Lichtenſtein in Sachen der
Cabinets-Neubildung ſondiren ließ, weiſen auf ihre in der
Obmännerconferenz gegebenen gemeinſamen Erklärungen
hin, die bekanntlich außer der Zurückziehung der
Sprachenverordnungen auch verläſſige Bürgſchaften
für die Deutſchen anläßlich eines Syſtemswechſels
fordern.
Unter den ernſten Candidaten für ein neues
dauerhaftes Cabinet werden die Abgeordneten Grab-
mayr, den der Kaiſer in Meran ſo wohlwollend an-
ſprach, ferner Dr. Pattai und der Handelsminiſter des
Cabinets Gautſch, Dr. v. Körber, genannt. Im
Uebrigen halten ſich die deutſchen Parteien der Gemein-
bürgſchaft abwartend zurück, ſo lange noch das Mini-
ſterium Thun amtirt.
Der ungariſche Reichstag tritt am 28. d.
zuſammen. Miniſterpräſident Szell iſt Sonntag, den
24. d., hier in Wien eingetroffen, offenbar um Klar-
heit über den Stand der diesſeitigen Miniſterkriſe ſo-
wie der Indemnitätsausſichten für den Ausgleich zu
erhalten. Jedenfalls wird er dabei auch auf die im Reichs-
tage bevorſtehenden Stürme vorbereiten, welche gelegentlich
der radicalen Interpellation über die Wiederaufrichtung
des Hentzi-Denkmals und über die Honvedbetheiligung an
der Weihe dieſes Monumentes zu erwarten ſind.
Von Seite der Koſſuth-Partei wird auch die officielle
Betheiligung des Reichstages und der Regierungskreiſe
an der Jahresſeier der Hinrichtung der 1848er Rebellen-
führer, der ſogenannten „Märtyrer der Nation“, für den
6. October gefordert werden. Man ſieht, der magyariſche
Radicalismus geht in der Rückſichtsloſigkeit gegen das Haus
Habsburg geradezu unverſchämt vorwärts. Man darf
geſpannt ſein, wie das Miniſterium Szell ſich dazu
ſtellen, und welche „patriotiſche“ Erklärungen es dabei
abgeben wird. Miniſterpräſtdent Szell, der geſtern im
Laufe des Vormittags in Wien mit dem General-
gouverneur der Oeſterreichiſch-Ungariſchen Bank Dr.
v. Kautz conferirte, wurde heute Montag vom
Kaiſer in Audienz empfangen.
Geſtern berief der Kaiſer den Führer des ver-
faſſungstreuen Großgrundbeſitzes, den Grafen Oswald
Thun nach Schönbrunn zu beſonderer Audienz. Der-
ſelbe verweilte über eine Stunde beim Monarchen.
Ebenſo hatte Reichs-Finanzminiſter v. Kallay geſtern
Nachmittags eine längere Audienz beim Kaiſer.
Der Miniſter des Aeußern Graf Goluchowski erſchien
geſtern mehrmals beim Kaiſer. Auch Freiherr von
Chlumecky iſt wieder nach Wien berufen worden.
Miniſterpräſident Graf Thun wurde gegen Mittag
vom Kaiſer in Audienz empfangen.
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