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Reichspost. Nr. 273, Wien, 11.11.1907.

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Preis 8 h



Redaktion: VIII. Strozzigasse 41.
Telephon: 18082.




Verwaltung: VIII. Strozzig. 42.
Telephon: 13870.




Druckerei: VIII. Strozzigasse 41.
Telephon: 22641.




Stadtexpedition I. Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldschmiedt.




Blattbestellungen übernimmt auch
J. Heindl, I., Stephansplatz 7.




Montag erfolgt die Blattausgabe
um 2 Uhr nachmittags.


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Mittagsblatt.
Reichspost.
Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns.

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Preis 8 h



Bezugspreise:
Für Österreich-Ungarn:

ganzjährig ......... 32 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h




Für Deutschland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.




Länder des Weltpostvereines
vierteljährig 12 K oder 10 Mark




Inserate
werden in der Verwaltung der
"Reichspost". VIII. Strozzigasse 42
sowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




XIV. Jahrgang. Wien, Montag, den 11. November 1907. Nr. 273.



[Spaltenumbruch]
Das erste Volksministerium.
Blätterstimmen.


Die Umgestaltung unseres Parla ments durch das
gleiche Wahlrecht hat nun auch der Physiognomie der
Regierung ihr Zeichen aufgedrückt. Das Kabinett Beck,
das man vor den Maiwahlen füglich ein parlamentarisches
nennen durfte, das aber nach den Wahlen nur mehr eine
verhältnismäßig schwache Minderheit des Parla-
ments repräsentierte, im übrigen ein reines
Beamtenkabinett war, hat den Kräfteverhältnissen
des neuen Volkshauses Rechnung getragen
und sich umgestaltet. Dem Volkhparlament ein Volks-
ministerium. Das Ideal des Parlamentarismus ist zwar
noch nicht erreicht, wir sind ihm aber näher ge-
kommen.
Neben den "Beamtenministern" Baron
Beck, Baron Bienerth, Dr. Klein und Dr. Marchet, von
denen der letztere erst durch die Wahlen im Mai die par-
lamentarische Marke verloren hat, sitzen nun als Vertreter
der Parlamentsmehrheit die vom Volke am Wahltage mit
seinem Vertrauen ausgestatteten, "parlamentarischen
Minister" Dr. von Derschatta, Dr. Geßmann, Dr.
Ebenhoch, Peschka, Dr. Fiedler, Prasek und
Abrahamywicz, welche daher im Kabinette
selbst über die knappe Mehrzahl
der
Stimmenverfügen.

Man kann also sagen, daß das neue Ministerium
das erste Volksministerium ist. Möge sein
Wirken ein gedeihlicheres sein, als das des ersten
"Bürgerministeriums", das seinerzeit mit viel reklame-
haftem Lärm und unbegrenzten Hoffnungen begrüßt
[Spaltenumbruch] worden ist, aber alle diese Hoffnungen schmählich ent-
täuschte.

Es ist charakteristisch für die Umgestaltung unserer ganzen
politischen Machtverhältnisse und vielleicht ein gutes Omen,
daß im neuen Ministerium zwei Bauern als Ver-
trauensmänner der deutschen und tschechischen Nation sitzen.
Was den Akademikern und Theoretikern nicht gelungen
ist, vielleicht gelingt es dem gesunden Hausverstande der
Bauern: die nationale Verständigung zu
erwirken. Niemand hat mehr unter den Folgen des natio-
nalen Streites, der das Parlament seit mehr als
einem Jahrzehnt lahmgelegt und impotent gemacht
hat, zu leiden gehabt als gerade die ländliche Bevöl-
kerung. Wie oft hieß es: Wir, die Völker, vertrügen uns
schon, wenn man uns erst fragen würde. Nun sitzen
zwei Bauern-Exzellenzen im Kabinett und zwar gerade
als Repräsentanten des deutschen und tschechischen
Volkes.

Dem nationalen Frieden, den wir erhoffen, voraus-
gegangen ist eine vorläufig Verständigung der maß-
gebenden Parteien innerhalb der einzelnen Nationen. Die
Friedensstörer wurden ausgeschaltet und kaltgestellt, unter
den Deutschen wie unter den Tschechen, während unter
den Polen eine der Wirklichkeit besser entsprechende Macht-
verteilung stattfand.




Sämtliche Blätter von Samstag befassen sich an
leitender Stelle mit der Umgestaltung des Kabinetts.
Das "Fremdenblatt" führt u. a. aus:

Die wesentlichste Neuerung hat sich jedoch
betreffs des deutschen Parteiwesens ergeben. Die Partei,
die als die weitaus stärkste aus der Wahlurne hervorge-
gangen, entsendet nun zwei Vertreter in die Regierung.
Das erstemal geschieht es, daß die Christlich-
[Spaltenumbruch] s'ozialen,
die bisher im Vollbewußtsein ihres Macht
bestandes sich scharf beobachtend verhalten hatten, jetzt aus
dieser Reserve heraustreten. Die Wahlen haben den
weiten Umfang ihres Besitzstan des er-
wiesen,
durch ihre Verschmelzung mit den altkonservativen
Gruppen der Alpenländer hat ihre Machtstellung eine
weitere erhebliche Steigerung erfahren. Der Eintritt der
Christlichsozialen in die Regierung entspricht als notwendige
Konsequenz der parlamentarischen Situation ....
Die Christlichsozialen haben sich bisher als kampf-
fähig erwiesen, im wildesten Ringen, mittels einer
energischen Propaganda sind sie emporgekommen; sie haben
dann zahlreiche Beweise ihrer Ver-
waltungsfähigkeit in Stadt und Land

gegeben. Jetzt ist es an ihnen, ihre Regierungsfähigkeit zu
erweisen, indem sie, wie dies allen ans Ruder gelangenden
Parteien geboten ist, extremste Tendenzen vor den großen,
über alle Fraktionspolitik hinwegragenden Notwendigkeiten
des Staatslebens zurückstellen und sich maßvoll in das
Gesamtwirken des Ministeriums einfügen. Die Kraft,
die ihrer Parteiorganisation innewohnt, soll dem Ministerium
zugute kommen.

Die "Neue Freie Presse" bespricht --
beklagt halb, halb verspottet sie -- den Wandel im
Polenklub:

Bei diesem ernsten Wahrzeichen historischen Wandels
fehlt auch die Stimmung zur Schadenfreude. Nur der Ge-
danke wird dabei wieder angeregt, daß jede Partei, welche
die Taktik höher stellt als die Grundsätze, die sich nicht auf
Volkstümlichkeit stützt, sondern auf parlamentarische Klüge-
leien, die der Nation durch das Verwischen aller Grenzen
der Ueberzeugungen unverständlich wird, sich vor dem
Verfall niemals retten kann.

Die "Deutsche Zeitung" betont:

Die Christlichsoziale Partei hat den Ausgleich nicht
geschlossen,
sie hat bei den Verhandlungen nicht
mitgewirkt,
manche jener Forderungen und Ideen,
die sie, wenn gegenwärtig, zweifellos zur Geltung gebracht
hätte, waren in den Konferenzen überhaupt nicht vertreten.
Sie hatte also dem Ausgleich gegenüber keine Verpflich-
tung, und ihre Führer haben dies auch offen aus-
gesprochen. Wohl aber fühlte sie, nicht zum wenigsten
vermöge ihrer durch die Wahlen bewirkten erheblichen Zu-




[Spaltenumbruch]

10 [Nachdruck verboten.]

Einen Tag Königin.

"Sicherlich," entgegnete ich. "Aber ich gedenke es
nicht zu tun. Ich will Dein Opernglas auf etwas
viel Interessanteres richten als auf schöne Frauen."

"Bist Du heute aber geheimnisvoll! Was ist
denn los?"

"Ach, ich wollte, ich wüßte es!"

Der Kellner kam mit dem Opernglas, ich putzte
die Linsen und beugte mich dann über das Geländer.
Die Hand war noch da, mit Brotkrümchen spielend.

So unauffällig als möglich richtete ich das Glas
auf die Hand oder vielmehr auf den Ring. Kein
Zweifel, es war das Gegenstück des Ringes, den
Italia besaß. Es war der weiße Stein, die zwei hoch-
roten Kreise, die das in vier Felder geteilte Viereck
einschlossen. Aber ein Unterschied zwischen den beiden
Ringen war doch.

In dem Italias befand sich das Malteserkreuz
im rechten oberen Felde, bei diesem im linken
unteren.

Ich gab das Glas dem Kellner zurück und bat
ihn, es wieder in den Ueberrock meines Freundes zu
stecken. Dann wandte ich mich an Ralston.

"Ralston," sagte ich, "ich bin heute voll Launen
und Grillen. Ich habe einen ausgesprochenen
Widerwillen gegen diesen Tisch. Da wir noch nicht
zu essen begonnen haben, können wir ihn leicht gegen
jenen dort drüben vertauschen, für den ich wieder eine
besondere Vorliebe habe."

Ich stand auf. Ralston blieb eigensinnig sitzen;
er sah sehr geärgert aus. Da der Kellner dabei
stand, beugte ich mich zu ihm herab und sagte leise:
"Es ist eine wichtige Sache, mein lieber Junge. Dort
[Spaltenumbruch] unten sitzt ein Mann, den ich beobachten muß. Von
hier aus kann ich ihn nur sehen, wenn ich mich über
die Brüstung lehne, und das möchte ich nicht, darum
laß uns dorthin gehen."

Ralston stand jetzt rasch auf.

"Aber natürlich, Aller!" sagte er. "Kellner,
wir möchten lieber an dem Tische dort drüben
sitzen."

Die Kellner trugen bereitwilligst alles hinüber
und wir setzten uns dort nieder.

"Was ist denn das für ein Geheimnis?" fragte
Ralston.

"Dem will ich eben jetzt auf die Spur kommen,"
entgegnete ich. Von diesem Platze aus konnte ich jetzt
den Eigentümer des Ringes bequem sehen. Er saß
allein an einem kleinen Tisch, aß und trank gemächlich.
Ich betrachtete ihn genau. Er war ein Mann von un-
gefähr sechzig Jahren, mit weißem Haar und Schnurr-
bart und blassem Gesicht.

Dieses Weiß wurde noch auffallender durch seinen
schwarzen Rock, in dessen Knopfloch sich ein schmales
rotes Bändchen befand. Er war ein stattlicher Mann
von vornehmem Aeußern, und ich hielt ihn für einen
Franzosen wegen seiner Adlernase und seines Kinn-
bartes. Er machte den Eindruck eines alten Soldaten,
es war etwas Militärisches in seinem raschen, leb-
haften Blick und in der Art, wie er seinem Kellner
Befehle erteilte: ich bemerkte, daß ihn dieser besonders
aufmerksam bediente. Er war jedenfalls ein bedeutend
und vornehm aussehender Mann.

Was bedeutet wohl der Ring? Und was be-
deutete Italias Ring, und was überhaupt dies merk-
würdige Zeichen?

Ralston plauderte, ich hörte ihn nicht. Nur ab
und zu schlug der Name irgend eines früheren Kollegen
an mein Ohr; so sprach er wohl von unserer Studien-
zeit.

Der Mann mit dem Ring aß jetzt Eis und
schlürfte einen Likör dazu. Was aßen denn wir eigent-
[Spaltenumbruch] lich? War das eine Kotelette auf meinem Teller?
Hatte ich schon vorher etwas gegessen? Und warum
füllte der Kellner mein Glas? Hatte ich es schon ein-
mal geleert?

"Du bist heute in einer merkwürdigen Laune,"
hörte ich jetzt Ralston sagen. "Bist Du verliebt? Ich
glaube, Du hast nicht ein Wort von dem gehört, was
ich erzählt habe."

Der Mann mit dem Ring war jetzt vom Eis
zum Kaffee übergegangen. Ich mußte ihn im Auge
behalten.

"Mir tut es furchtbar leid, Ralston," sagte ich,
als ob ich zu jemand spräche, der tausend Meilen
entfernt war, "ich kann nichts dafür, vergib mir, aber
Du weißt, was es heißt --"

"Schon gut, schon gut, alter Junge! Verteidige
Dich nicht, aber sag, warum starrst Du so ununter-
brochen den alten Herrn an?"

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte weder ihm
noch sonst jemand sagen, was mich beschäftigte. Ueber-
dies reifte ein Plan in mir: ich wollte den Mann mit
dem Ring ansprechen.

Während der vorhergegangenen vierundzwanzig
Stunden hatte ich natürlich viel über Italias
Mission nachgedacht -- ich nannte sie jetzt schon bei
mir selbst Italia und nicht Fräulein Romatti --
und ich war zu der Ueberzeugung gelangt, daß der
Ring das geheime Zeichen irgendeiner Gesellschaft war,
deren Mitglied ihr Vater gewesen, und daß sein letzter
Auftrag für sie der war, einen Mann zu suchen, der
einen ähnlichen Ring trug wie der, den er getragen,
und den jetzt Italia tragen sollte; diesem Manne
sollte sie dann das Paket mit dem geheimen Zeichen
und wahrscheinlich auch die gezeichneten Banknoten über-
geben.

(Fortsetzung solgt.)


[Abbildung] Die heutige Nummer ist 8 Seiten stark. [Abbildung]
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Preis 8 h



Redaktion: VIII. Strozzigaſſe 41.
Telephon: 18082.




Verwaltung: VIII. Strozzig. 42.
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Druckerei: VIII. Strozzigaſſe 41.
Telephon: 22641.




Stadtexpedition I. Wollzeile 11
Zeitungsbureau H. Goldſchmiedt.




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Montag erfolgt die Blattausgabe
um 2 Uhr nachmittags.


[Spaltenumbruch]
Mittagsblatt.
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.

[Spaltenumbruch]
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Bezugspreiſe:
Für Öſterreich-Ungarn:

ganzjährig ......... 32 K
vierteljährig ........ 8 K
monatlich ....... 2 K 75 h




Für Deutſchland:
vierteljährig ...... 9 K 50 h
oder 8 Mark.




Länder des Weltpoſtvereines
vierteljährig 12 K oder 10 Mark




Inſerate
werden in der Verwaltung der
„Reichspoſt“. VIII. Strozzigaſſe 42
ſowie in allen Annoncenbureaux
des In- und Auslandes angenommen.




XIV. Jahrgang. Wien, Montag, den 11. November 1907. Nr. 273.



[Spaltenumbruch]
Das erſte Volksminiſterium.
Blätterſtimmen.


Die Umgeſtaltung unſeres Parla ments durch das
gleiche Wahlrecht hat nun auch der Phyſiognomie der
Regierung ihr Zeichen aufgedrückt. Das Kabinett Beck,
das man vor den Maiwahlen füglich ein parlamentariſches
nennen durfte, das aber nach den Wahlen nur mehr eine
verhältnismäßig ſchwache Minderheit des Parla-
ments repräſentierte, im übrigen ein reines
Beamtenkabinett war, hat den Kräfteverhältniſſen
des neuen Volkshauſes Rechnung getragen
und ſich umgeſtaltet. Dem Volkhparlament ein Volks-
miniſterium. Das Ideal des Parlamentarismus iſt zwar
noch nicht erreicht, wir ſind ihm aber näher ge-
kommen.
Neben den „Beamtenminiſtern“ Baron
Beck, Baron Bienerth, Dr. Klein und Dr. Marchet, von
denen der letztere erſt durch die Wahlen im Mai die par-
lamentariſche Marke verloren hat, ſitzen nun als Vertreter
der Parlamentsmehrheit die vom Volke am Wahltage mit
ſeinem Vertrauen ausgeſtatteten, „parlamentariſchen
Miniſter“ Dr. von Derſchatta, Dr. Geßmann, Dr.
Ebenhoch, Peſchka, Dr. Fiedler, Praſek und
Abrahamywicz, welche daher im Kabinette
ſelbſt über die knappe Mehrzahl
der
Stimmenverfügen.

Man kann alſo ſagen, daß das neue Miniſterium
das erſte Volksminiſterium iſt. Möge ſein
Wirken ein gedeihlicheres ſein, als das des erſten
„Bürgerminiſteriums“, das ſeinerzeit mit viel reklame-
haftem Lärm und unbegrenzten Hoffnungen begrüßt
[Spaltenumbruch] worden iſt, aber alle dieſe Hoffnungen ſchmählich ent-
täuſchte.

Es iſt charakteriſtiſch für die Umgeſtaltung unſerer ganzen
politiſchen Machtverhältniſſe und vielleicht ein gutes Omen,
daß im neuen Miniſterium zwei Bauern als Ver-
trauensmänner der deutſchen und tſchechiſchen Nation ſitzen.
Was den Akademikern und Theoretikern nicht gelungen
iſt, vielleicht gelingt es dem geſunden Hausverſtande der
Bauern: die nationale Verſtändigung zu
erwirken. Niemand hat mehr unter den Folgen des natio-
nalen Streites, der das Parlament ſeit mehr als
einem Jahrzehnt lahmgelegt und impotent gemacht
hat, zu leiden gehabt als gerade die ländliche Bevöl-
kerung. Wie oft hieß es: Wir, die Völker, vertrügen uns
ſchon, wenn man uns erſt fragen würde. Nun ſitzen
zwei Bauern-Exzellenzen im Kabinett und zwar gerade
als Repräſentanten des deutſchen und tſchechiſchen
Volkes.

Dem nationalen Frieden, den wir erhoffen, voraus-
gegangen iſt eine vorläufig Verſtändigung der maß-
gebenden Parteien innerhalb der einzelnen Nationen. Die
Friedensſtörer wurden ausgeſchaltet und kaltgeſtellt, unter
den Deutſchen wie unter den Tſchechen, während unter
den Polen eine der Wirklichkeit beſſer entſprechende Macht-
verteilung ſtattfand.




Sämtliche Blätter von Samstag befaſſen ſich an
leitender Stelle mit der Umgeſtaltung des Kabinetts.
Das „Fremdenblatt“ führt u. a. aus:

Die weſentlichſte Neuerung hat ſich jedoch
betreffs des deutſchen Parteiweſens ergeben. Die Partei,
die als die weitaus ſtärkſte aus der Wahlurne hervorge-
gangen, entſendet nun zwei Vertreter in die Regierung.
Das erſtemal geſchieht es, daß die Chriſtlich-
[Spaltenumbruch] ſ’ozialen,
die bisher im Vollbewußtſein ihres Macht
beſtandes ſich ſcharf beobachtend verhalten hatten, jetzt aus
dieſer Reſerve heraustreten. Die Wahlen haben den
weiten Umfang ihres Beſitzſtan des er-
wieſen,
durch ihre Verſchmelzung mit den altkonſervativen
Gruppen der Alpenländer hat ihre Machtſtellung eine
weitere erhebliche Steigerung erfahren. Der Eintritt der
Chriſtlichſozialen in die Regierung entſpricht als notwendige
Konſequenz der parlamentariſchen Situation ....
Die Chriſtlichſozialen haben ſich bisher als kampf-
fähig erwieſen, im wildeſten Ringen, mittels einer
energiſchen Propaganda ſind ſie emporgekommen; ſie haben
dann zahlreiche Beweiſe ihrer Ver-
waltungsfähigkeit in Stadt und Land

gegeben. Jetzt iſt es an ihnen, ihre Regierungsfähigkeit zu
erweiſen, indem ſie, wie dies allen ans Ruder gelangenden
Parteien geboten iſt, extremſte Tendenzen vor den großen,
über alle Fraktionspolitik hinwegragenden Notwendigkeiten
des Staatslebens zurückſtellen und ſich maßvoll in das
Geſamtwirken des Miniſteriums einfügen. Die Kraft,
die ihrer Parteiorganiſation innewohnt, ſoll dem Miniſterium
zugute kommen.

Die „Neue Freie Preſſe“ beſpricht —
beklagt halb, halb verſpottet ſie — den Wandel im
Polenklub:

Bei dieſem ernſten Wahrzeichen hiſtoriſchen Wandels
fehlt auch die Stimmung zur Schadenfreude. Nur der Ge-
danke wird dabei wieder angeregt, daß jede Partei, welche
die Taktik höher ſtellt als die Grundſätze, die ſich nicht auf
Volkstümlichkeit ſtützt, ſondern auf parlamentariſche Klüge-
leien, die der Nation durch das Verwiſchen aller Grenzen
der Ueberzeugungen unverſtändlich wird, ſich vor dem
Verfall niemals retten kann.

Die „Deutſche Zeitung“ betont:

Die Chriſtlichſoziale Partei hat den Ausgleich nicht
geſchloſſen,
ſie hat bei den Verhandlungen nicht
mitgewirkt,
manche jener Forderungen und Ideen,
die ſie, wenn gegenwärtig, zweifellos zur Geltung gebracht
hätte, waren in den Konferenzen überhaupt nicht vertreten.
Sie hatte alſo dem Ausgleich gegenüber keine Verpflich-
tung, und ihre Führer haben dies auch offen aus-
geſprochen. Wohl aber fühlte ſie, nicht zum wenigſten
vermöge ihrer durch die Wahlen bewirkten erheblichen Zu-




[Spaltenumbruch]

10 [Nachdruck verboten.]

Einen Tag Königin.

„Sicherlich,“ entgegnete ich. „Aber ich gedenke es
nicht zu tun. Ich will Dein Opernglas auf etwas
viel Intereſſanteres richten als auf ſchöne Frauen.“

„Biſt Du heute aber geheimnisvoll! Was iſt
denn los?“

„Ach, ich wollte, ich wüßte es!“

Der Kellner kam mit dem Opernglas, ich putzte
die Linſen und beugte mich dann über das Geländer.
Die Hand war noch da, mit Brotkrümchen ſpielend.

So unauffällig als möglich richtete ich das Glas
auf die Hand oder vielmehr auf den Ring. Kein
Zweifel, es war das Gegenſtück des Ringes, den
Italia beſaß. Es war der weiße Stein, die zwei hoch-
roten Kreiſe, die das in vier Felder geteilte Viereck
einſchloſſen. Aber ein Unterſchied zwiſchen den beiden
Ringen war doch.

In dem Italias befand ſich das Malteſerkreuz
im rechten oberen Felde, bei dieſem im linken
unteren.

Ich gab das Glas dem Kellner zurück und bat
ihn, es wieder in den Ueberrock meines Freundes zu
ſtecken. Dann wandte ich mich an Ralſton.

„Ralſton,“ ſagte ich, „ich bin heute voll Launen
und Grillen. Ich habe einen ausgeſprochenen
Widerwillen gegen dieſen Tiſch. Da wir noch nicht
zu eſſen begonnen haben, können wir ihn leicht gegen
jenen dort drüben vertauſchen, für den ich wieder eine
beſondere Vorliebe habe.“

Ich ſtand auf. Ralſton blieb eigenſinnig ſitzen;
er ſah ſehr geärgert aus. Da der Kellner dabei
ſtand, beugte ich mich zu ihm herab und ſagte leiſe:
„Es iſt eine wichtige Sache, mein lieber Junge. Dort
[Spaltenumbruch] unten ſitzt ein Mann, den ich beobachten muß. Von
hier aus kann ich ihn nur ſehen, wenn ich mich über
die Brüſtung lehne, und das möchte ich nicht, darum
laß uns dorthin gehen.“

Ralſton ſtand jetzt raſch auf.

„Aber natürlich, Aller!“ ſagte er. „Kellner,
wir möchten lieber an dem Tiſche dort drüben
ſitzen.“

Die Kellner trugen bereitwilligſt alles hinüber
und wir ſetzten uns dort nieder.

„Was iſt denn das für ein Geheimnis?“ fragte
Ralſton.

„Dem will ich eben jetzt auf die Spur kommen,“
entgegnete ich. Von dieſem Platze aus konnte ich jetzt
den Eigentümer des Ringes bequem ſehen. Er ſaß
allein an einem kleinen Tiſch, aß und trank gemächlich.
Ich betrachtete ihn genau. Er war ein Mann von un-
gefähr ſechzig Jahren, mit weißem Haar und Schnurr-
bart und blaſſem Geſicht.

Dieſes Weiß wurde noch auffallender durch ſeinen
ſchwarzen Rock, in deſſen Knopfloch ſich ein ſchmales
rotes Bändchen befand. Er war ein ſtattlicher Mann
von vornehmem Aeußern, und ich hielt ihn für einen
Franzoſen wegen ſeiner Adlernaſe und ſeines Kinn-
bartes. Er machte den Eindruck eines alten Soldaten,
es war etwas Militäriſches in ſeinem raſchen, leb-
haften Blick und in der Art, wie er ſeinem Kellner
Befehle erteilte: ich bemerkte, daß ihn dieſer beſonders
aufmerkſam bediente. Er war jedenfalls ein bedeutend
und vornehm ausſehender Mann.

Was bedeutet wohl der Ring? Und was be-
deutete Italias Ring, und was überhaupt dies merk-
würdige Zeichen?

Ralſton plauderte, ich hörte ihn nicht. Nur ab
und zu ſchlug der Name irgend eines früheren Kollegen
an mein Ohr; ſo ſprach er wohl von unſerer Studien-
zeit.

Der Mann mit dem Ring aß jetzt Eis und
ſchlürfte einen Likör dazu. Was aßen denn wir eigent-
[Spaltenumbruch] lich? War das eine Kotelette auf meinem Teller?
Hatte ich ſchon vorher etwas gegeſſen? Und warum
füllte der Kellner mein Glas? Hatte ich es ſchon ein-
mal geleert?

„Du biſt heute in einer merkwürdigen Laune,“
hörte ich jetzt Ralſton ſagen. „Biſt Du verliebt? Ich
glaube, Du haſt nicht ein Wort von dem gehört, was
ich erzählt habe.“

Der Mann mit dem Ring war jetzt vom Eis
zum Kaffee übergegangen. Ich mußte ihn im Auge
behalten.

„Mir tut es furchtbar leid, Ralſton,“ ſagte ich,
als ob ich zu jemand ſpräche, der tauſend Meilen
entfernt war, „ich kann nichts dafür, vergib mir, aber
Du weißt, was es heißt —“

„Schon gut, ſchon gut, alter Junge! Verteidige
Dich nicht, aber ſag, warum ſtarrſt Du ſo ununter-
brochen den alten Herrn an?“

Ich ſchüttelte den Kopf. Ich wollte weder ihm
noch ſonſt jemand ſagen, was mich beſchäftigte. Ueber-
dies reifte ein Plan in mir: ich wollte den Mann mit
dem Ring anſprechen.

Während der vorhergegangenen vierundzwanzig
Stunden hatte ich natürlich viel über Italias
Miſſion nachgedacht — ich nannte ſie jetzt ſchon bei
mir ſelbſt Italia und nicht Fräulein Romatti —
und ich war zu der Ueberzeugung gelangt, daß der
Ring das geheime Zeichen irgendeiner Geſellſchaft war,
deren Mitglied ihr Vater geweſen, und daß ſein letzter
Auftrag für ſie der war, einen Mann zu ſuchen, der
einen ähnlichen Ring trug wie der, den er getragen,
und den jetzt Italia tragen ſollte; dieſem Manne
ſollte ſie dann das Paket mit dem geheimen Zeichen
und wahrſcheinlich auch die gezeichneten Banknoten über-
geben.

(Fortſetzung ſolgt.)


[Abbildung] Die heutige Nummer iſt 8 Seiten ſtark. [Abbildung]
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Die Umgeſtaltung unſeres Parla ments durch das gleiche Wahlrecht hat nun auch der Phyſiognomie der Regierung ihr Zeichen aufgedrückt. Das Kabinett Beck, das man vor den Maiwahlen füglich ein parlamentariſches nennen durfte, das aber nach den Wahlen nur mehr eine verhältnismäßig ſchwache Minderheit des Parla- ments repräſentierte, im übrigen ein reines Beamtenkabinett war, hat den Kräfteverhältniſſen des neuen Volkshauſes Rechnung getragen und ſich umgeſtaltet. Dem Volkhparlament ein Volks- miniſterium. Das Ideal des Parlamentarismus iſt zwar noch nicht erreicht, wir ſind ihm aber näher ge- kommen. Neben den „Beamtenminiſtern“ Baron Beck, Baron Bienerth, Dr. Klein und Dr. Marchet, von denen der letztere erſt durch die Wahlen im Mai die par- lamentariſche Marke verloren hat, ſitzen nun als Vertreter der Parlamentsmehrheit die vom Volke am Wahltage mit ſeinem Vertrauen ausgeſtatteten, „parlamentariſchen Miniſter“ Dr. von Derſchatta, Dr. Geßmann, Dr. Ebenhoch, Peſchka, Dr. Fiedler, Praſek und Abrahamywicz, welche daher im Kabinette ſelbſt über die knappe Mehrzahl der Stimmenverfügen. Man kann alſo ſagen, daß das neue Miniſterium das erſte Volksminiſterium iſt. Möge ſein Wirken ein gedeihlicheres ſein, als das des erſten „Bürgerminiſteriums“, das ſeinerzeit mit viel reklame- haftem Lärm und unbegrenzten Hoffnungen begrüßt worden iſt, aber alle dieſe Hoffnungen ſchmählich ent- täuſchte. Es iſt charakteriſtiſch für die Umgeſtaltung unſerer ganzen politiſchen Machtverhältniſſe und vielleicht ein gutes Omen, daß im neuen Miniſterium zwei Bauern als Ver- trauensmänner der deutſchen und tſchechiſchen Nation ſitzen. Was den Akademikern und Theoretikern nicht gelungen iſt, vielleicht gelingt es dem geſunden Hausverſtande der Bauern: die nationale Verſtändigung zu erwirken. Niemand hat mehr unter den Folgen des natio- nalen Streites, der das Parlament ſeit mehr als einem Jahrzehnt lahmgelegt und impotent gemacht hat, zu leiden gehabt als gerade die ländliche Bevöl- kerung. Wie oft hieß es: Wir, die Völker, vertrügen uns ſchon, wenn man uns erſt fragen würde. Nun ſitzen zwei Bauern-Exzellenzen im Kabinett und zwar gerade als Repräſentanten des deutſchen und tſchechiſchen Volkes. Dem nationalen Frieden, den wir erhoffen, voraus- gegangen iſt eine vorläufig Verſtändigung der maß- gebenden Parteien innerhalb der einzelnen Nationen. Die Friedensſtörer wurden ausgeſchaltet und kaltgeſtellt, unter den Deutſchen wie unter den Tſchechen, während unter den Polen eine der Wirklichkeit beſſer entſprechende Macht- verteilung ſtattfand. Sämtliche Blätter von Samstag befaſſen ſich an leitender Stelle mit der Umgeſtaltung des Kabinetts. Das „Fremdenblatt“ führt u. a. aus: Die weſentlichſte Neuerung hat ſich jedoch betreffs des deutſchen Parteiweſens ergeben. Die Partei, die als die weitaus ſtärkſte aus der Wahlurne hervorge- gangen, entſendet nun zwei Vertreter in die Regierung. Das erſtemal geſchieht es, daß die Chriſtlich- ſ’ozialen, die bisher im Vollbewußtſein ihres Macht beſtandes ſich ſcharf beobachtend verhalten hatten, jetzt aus dieſer Reſerve heraustreten. Die Wahlen haben den weiten Umfang ihres Beſitzſtan des er- wieſen, durch ihre Verſchmelzung mit den altkonſervativen Gruppen der Alpenländer hat ihre Machtſtellung eine weitere erhebliche Steigerung erfahren. Der Eintritt der Chriſtlichſozialen in die Regierung entſpricht als notwendige Konſequenz der parlamentariſchen Situation .... Die Chriſtlichſozialen haben ſich bisher als kampf- fähig erwieſen, im wildeſten Ringen, mittels einer energiſchen Propaganda ſind ſie emporgekommen; ſie haben dann zahlreiche Beweiſe ihrer Ver- waltungsfähigkeit in Stadt und Land gegeben. Jetzt iſt es an ihnen, ihre Regierungsfähigkeit zu erweiſen, indem ſie, wie dies allen ans Ruder gelangenden Parteien geboten iſt, extremſte Tendenzen vor den großen, über alle Fraktionspolitik hinwegragenden Notwendigkeiten des Staatslebens zurückſtellen und ſich maßvoll in das Geſamtwirken des Miniſteriums einfügen. Die Kraft, die ihrer Parteiorganiſation innewohnt, ſoll dem Miniſterium zugute kommen. Die „Neue Freie Preſſe“ beſpricht — beklagt halb, halb verſpottet ſie — den Wandel im Polenklub: Bei dieſem ernſten Wahrzeichen hiſtoriſchen Wandels fehlt auch die Stimmung zur Schadenfreude. Nur der Ge- danke wird dabei wieder angeregt, daß jede Partei, welche die Taktik höher ſtellt als die Grundſätze, die ſich nicht auf Volkstümlichkeit ſtützt, ſondern auf parlamentariſche Klüge- leien, die der Nation durch das Verwiſchen aller Grenzen der Ueberzeugungen unverſtändlich wird, ſich vor dem Verfall niemals retten kann. Die „Deutſche Zeitung“ betont: Die Chriſtlichſoziale Partei hat den Ausgleich nicht geſchloſſen, ſie hat bei den Verhandlungen nicht mitgewirkt, manche jener Forderungen und Ideen, die ſie, wenn gegenwärtig, zweifellos zur Geltung gebracht hätte, waren in den Konferenzen überhaupt nicht vertreten. Sie hatte alſo dem Ausgleich gegenüber keine Verpflich- tung, und ihre Führer haben dies auch offen aus- geſprochen. Wohl aber fühlte ſie, nicht zum wenigſten vermöge ihrer durch die Wahlen bewirkten erheblichen Zu- 10 [Nachdruck verboten.] Einen Tag Königin. Roman von J. S. Fletcher. Autoriſierte Ueberſetzung von A. Gaus-Bachmann. „Sicherlich,“ entgegnete ich. „Aber ich gedenke es nicht zu tun. Ich will Dein Opernglas auf etwas viel Intereſſanteres richten als auf ſchöne Frauen.“ „Biſt Du heute aber geheimnisvoll! Was iſt denn los?“ „Ach, ich wollte, ich wüßte es!“ Der Kellner kam mit dem Opernglas, ich putzte die Linſen und beugte mich dann über das Geländer. Die Hand war noch da, mit Brotkrümchen ſpielend. So unauffällig als möglich richtete ich das Glas auf die Hand oder vielmehr auf den Ring. Kein Zweifel, es war das Gegenſtück des Ringes, den Italia beſaß. Es war der weiße Stein, die zwei hoch- roten Kreiſe, die das in vier Felder geteilte Viereck einſchloſſen. Aber ein Unterſchied zwiſchen den beiden Ringen war doch. In dem Italias befand ſich das Malteſerkreuz im rechten oberen Felde, bei dieſem im linken unteren. Ich gab das Glas dem Kellner zurück und bat ihn, es wieder in den Ueberrock meines Freundes zu ſtecken. Dann wandte ich mich an Ralſton. „Ralſton,“ ſagte ich, „ich bin heute voll Launen und Grillen. Ich habe einen ausgeſprochenen Widerwillen gegen dieſen Tiſch. Da wir noch nicht zu eſſen begonnen haben, können wir ihn leicht gegen jenen dort drüben vertauſchen, für den ich wieder eine beſondere Vorliebe habe.“ Ich ſtand auf. Ralſton blieb eigenſinnig ſitzen; er ſah ſehr geärgert aus. Da der Kellner dabei ſtand, beugte ich mich zu ihm herab und ſagte leiſe: „Es iſt eine wichtige Sache, mein lieber Junge. Dort unten ſitzt ein Mann, den ich beobachten muß. Von hier aus kann ich ihn nur ſehen, wenn ich mich über die Brüſtung lehne, und das möchte ich nicht, darum laß uns dorthin gehen.“ Ralſton ſtand jetzt raſch auf. „Aber natürlich, Aller!“ ſagte er. „Kellner, wir möchten lieber an dem Tiſche dort drüben ſitzen.“ Die Kellner trugen bereitwilligſt alles hinüber und wir ſetzten uns dort nieder. „Was iſt denn das für ein Geheimnis?“ fragte Ralſton. „Dem will ich eben jetzt auf die Spur kommen,“ entgegnete ich. Von dieſem Platze aus konnte ich jetzt den Eigentümer des Ringes bequem ſehen. Er ſaß allein an einem kleinen Tiſch, aß und trank gemächlich. Ich betrachtete ihn genau. Er war ein Mann von un- gefähr ſechzig Jahren, mit weißem Haar und Schnurr- bart und blaſſem Geſicht. Dieſes Weiß wurde noch auffallender durch ſeinen ſchwarzen Rock, in deſſen Knopfloch ſich ein ſchmales rotes Bändchen befand. Er war ein ſtattlicher Mann von vornehmem Aeußern, und ich hielt ihn für einen Franzoſen wegen ſeiner Adlernaſe und ſeines Kinn- bartes. Er machte den Eindruck eines alten Soldaten, es war etwas Militäriſches in ſeinem raſchen, leb- haften Blick und in der Art, wie er ſeinem Kellner Befehle erteilte: ich bemerkte, daß ihn dieſer beſonders aufmerkſam bediente. Er war jedenfalls ein bedeutend und vornehm ausſehender Mann. Was bedeutet wohl der Ring? Und was be- deutete Italias Ring, und was überhaupt dies merk- würdige Zeichen? Ralſton plauderte, ich hörte ihn nicht. Nur ab und zu ſchlug der Name irgend eines früheren Kollegen an mein Ohr; ſo ſprach er wohl von unſerer Studien- zeit. Der Mann mit dem Ring aß jetzt Eis und ſchlürfte einen Likör dazu. Was aßen denn wir eigent- lich? War das eine Kotelette auf meinem Teller? Hatte ich ſchon vorher etwas gegeſſen? Und warum füllte der Kellner mein Glas? Hatte ich es ſchon ein- mal geleert? „Du biſt heute in einer merkwürdigen Laune,“ hörte ich jetzt Ralſton ſagen. „Biſt Du verliebt? Ich glaube, Du haſt nicht ein Wort von dem gehört, was ich erzählt habe.“ Der Mann mit dem Ring war jetzt vom Eis zum Kaffee übergegangen. Ich mußte ihn im Auge behalten. „Mir tut es furchtbar leid, Ralſton,“ ſagte ich, als ob ich zu jemand ſpräche, der tauſend Meilen entfernt war, „ich kann nichts dafür, vergib mir, aber Du weißt, was es heißt —“ „Schon gut, ſchon gut, alter Junge! Verteidige Dich nicht, aber ſag, warum ſtarrſt Du ſo ununter- brochen den alten Herrn an?“ Ich ſchüttelte den Kopf. Ich wollte weder ihm noch ſonſt jemand ſagen, was mich beſchäftigte. Ueber- dies reifte ein Plan in mir: ich wollte den Mann mit dem Ring anſprechen. Während der vorhergegangenen vierundzwanzig Stunden hatte ich natürlich viel über Italias Miſſion nachgedacht — ich nannte ſie jetzt ſchon bei mir ſelbſt Italia und nicht Fräulein Romatti — und ich war zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Ring das geheime Zeichen irgendeiner Geſellſchaft war, deren Mitglied ihr Vater geweſen, und daß ſein letzter Auftrag für ſie der war, einen Mann zu ſuchen, der einen ähnlichen Ring trug wie der, den er getragen, und den jetzt Italia tragen ſollte; dieſem Manne ſollte ſie dann das Paket mit dem geheimen Zeichen und wahrſcheinlich auch die gezeichneten Banknoten über- geben. (Fortſetzung ſolgt.) [Abbildung] Die heutige Nummer iſt 8 Seiten ſtark. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 273, Wien, 11.11.1907, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost273_1907/1>, abgerufen am 21.11.2024.