Reichspost. Nr. 273, Wien, 11.11.1907.Wien, Montag Reichspost. 11. November 1907 273 [Spaltenumbruch] nahme, eine solche Verpflichtung gegenüber dem Volks- und Sehr interessant sind die Ausführungen des deutsch- Es ist eine bewußte Fälschung der liberalen Presse, Das "Deutsche Volksblatt" meint: Wer Recht behalten wird, die Freunde oder die Gegner Die "Zeit" preist die erfolgte Demokratisierung des Der demokratische Zug in der österreichischen Politik Das konservative "Vaterland" sagt, das Man weiß auch, mit wessen Hilfe er dieses Ziel erreicht Die "Arbeiter-Zeitung" möchte gern aus "Herr Dr. Geßmann hat auf das berühmte "Mein Wie originell! Die christlichsoziale Partei wäre also Die Beeidigung der neuen Minister. Empfang in Schönbrunn. Heute um 10 Uhr wurden die neuernannten Bei diesem feierlichen Akte intervenierten der Die Vorgänge im Polenlager. Aus Lemberg wird uns telegraphiert: Die Das jungtschechische Organ gegen die jungtschechische Politik. "Narodni Listy" "Unsere parlamentarischen Delegierten dienen der Regie- [Spaltenumbruch] Auch die Tschechischradikalen benützen Politische Rundschau. Oesterreich-Ungarn. Wien, 11. November. Der ungarische Ministerpräsident bei[m] Kaiser. Sonntag empfing der Kaiser um 11 Uhr Die Deutschradikalen gegen den Ausgleich. Gestern Sonntag, vormittags 11 Uhr, fand im Eine Rede des Prinzen Liechtenstein über Dr. Lueger. In der gestern in den Engelsälen statt- "Im alten Rom, wo die Sklaven die ungeheure Mehr- Wien, Montag Reichspoſt. 11. November 1907 273 [Spaltenumbruch] nahme, eine ſolche Verpflichtung gegenüber dem Volks- und Sehr intereſſant ſind die Ausführungen des deutſch- Es iſt eine bewußte Fälſchung der liberalen Preſſe, Das „Deutſche Volksblatt“ meint: Wer Recht behalten wird, die Freunde oder die Gegner Die „Zeit“ preiſt die erfolgte Demokratiſierung des Der demokratiſche Zug in der öſterreichiſchen Politik Das konſervative „Vaterland“ ſagt, das Man weiß auch, mit weſſen Hilfe er dieſes Ziel erreicht Die „Arbeiter-Zeitung“ möchte gern aus „Herr Dr. Geßmann hat auf das berühmte „Mein Wie originell! Die chriſtlichſoziale Partei wäre alſo Die Beeidigung der neuen Miniſter. Empfang in Schönbrunn. Heute um 10 Uhr wurden die neuernannten Bei dieſem feierlichen Akte intervenierten der Die Vorgänge im Polenlager. Aus Lemberg wird uns telegraphiert: Die Das jungtſchechiſche Organ gegen die jungtſchechiſche Politik. „Narodni Liſty“ „Unſere parlamentariſchen Delegierten dienen der Regie- [Spaltenumbruch] Auch die Tſchechiſchradikalen benützen Politiſche Rundſchau. Oeſterreich-Ungarn. Wien, 11. November. Der ungariſche Miniſterpräſident bei[m] Kaiſer. Sonntag empfing der Kaiſer um 11 Uhr Die Deutſchradikalen gegen den Ausgleich. Geſtern Sonntag, vormittags 11 Uhr, fand im Eine Rede des Prinzen Liechtenſtein über Dr. Lueger. In der geſtern in den Engelſälen ſtatt- „Im alten Rom, wo die Sklaven die ungeheure Mehr- <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Wien, Montag <hi rendition="#g">Reichspoſt.</hi> 11. November 1907 273</hi> </fw><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div xml:id="volksministerium2" prev="#volksministerium1" type="jArticle" n="2"> <p>nahme, eine ſolche Verpflichtung gegenüber dem Volks- und<lb/> dem Staatsintereſſe, und gegen dieſe höheren ethiſchen<lb/> Rückſichten mußten die Erwägungen der Parteitaktik zurück-<lb/> treten, mochten ſie an ſich noch ſo begründet erſcheinen.</p><lb/> <p>Sehr intereſſant ſind die Ausführungen des deutſch-<lb/> radikalen <hi rendition="#g">„Wiener D. Tagbl.“:</hi> </p><lb/> <p>Es iſt eine bewußte Fälſchung der liberalen Preſſe,<lb/> wenn ſie behauptet, daß die Deutſchnationalen ſich unter<lb/> das klerikale Diktat gebeugt, daß ſie den Chriſtlichſozialen<lb/> in den Sattel geholfen haben. <hi rendition="#g">In den Sattel ge-<lb/> hoben wurden die Chriſtlichſozialen<lb/> von den deutſchen Wählern,</hi> die mehr als<lb/> 90 Abgeordnete der konſervativen Richtung in den Reichs-<lb/> rat entſendeten. Der Eintritt der Chriſtlichſozialen<lb/> iſt das Kabinett Beck war nur eine Frage der Zeit.<lb/> Auch der ſchärfſte Widerſtand der freiheitlichen deutſchen<lb/> Parteien hätte dieſen Eintritt nicht hindern<lb/> können. Wohl aber wäre ein ſolcher Widerſtand für die<lb/> Deutſchnationalen und für das ganze dentſche Volk höchſt<lb/> ſchädlich geweſen. Der dentſche Einfluß wäre geſchwächt, die<lb/> Bildung eines neuen eiſernen Ringes in die Wege geleitet<lb/> worden. In einer ſolchen Politik des Wahnwitzes mögen<lb/> ſich die Herren Baron <hi rendition="#g">Hock</hi> und <hi rendition="#g">Kuranda</hi> gefallen,<lb/> eine deutſche Partei, die ſich ihrer Verantwortung bewußt<lb/> iſt, kann ſie nicht mitmachen. Der <hi rendition="#aq">Modus vivendi</hi> zwiſchen<lb/> freiheitlichen und konſervativen Deutſchen, der durch die<lb/> Schaffung des Zwölferausſchuſſes angebahnt, durch die<lb/> Rekonſtruktion des Miniſteriums fortgeſetzt wurde, bedeutet<lb/> einen nationalen Fortſchritt für die Deutſchen.</p><lb/> <p>Das <hi rendition="#g">„Deutſche Volksblatt“</hi> meint:</p><lb/> <p>Wer Recht behalten wird, die Freunde oder die Gegner<lb/> des Ausgleichs und der dualiſtiſchen Verfaſſung, wird die<lb/> Zukunft zeigen; wenn uns aber etwas mit der Entwicklung<lb/> der Dinge verſöhnen kann, ſo iſt es die bei dieſer Gelegen-<lb/> heit erzielte nationale Einigung der deutſchen Parteien, die<lb/> zu erhalten jeder Deutſche die Pflicht hat, weil in ihr die<lb/> Zukunft unſeres Volkes eingeſchloſſen iſt.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">„Zeit“</hi> preiſt die erfolgte Demokratiſierung des<lb/> Kabinetts und polemiſiert gegen die Zweifler:</p><lb/> <p>Der demokratiſche Zug in der öſterreichiſchen Politik<lb/> iſt noch eine zu neue Sache, ſo daß man im Volke ſelbſt<lb/> noch kein rechtes Vertrauen dazu hat und ſich lieber an die<lb/> guten alten öſterreichiſchen Gewohnheiten der öſterreichiſchen<lb/> Zweifelſucht und Spottluſt hält. Aber bei der ängſtlichen<lb/> oder heiteren Erwartung all der Blamagen, die den neuen<lb/> Männern bevorſtehen ſollen, vergißt man eines: daß<lb/> ſchließlich das neue Syſtem und die neuen Männer doch<lb/> nur darum notwendig geworden ſind, weil eben das alte<lb/> Syſtem und die alten Männer ſich ſo ſchlecht bewährt<lb/> haben.</p><lb/> <p>Das konſervative <hi rendition="#g">„Vaterland“</hi> ſagt, das<lb/> Kabinett Baron Beck habe ſich drei große<lb/> Aufgaben geſetzt (Wahlreform, Ausgleich und<lb/> die Löſung des nationalen Problems, von denen die zwei<lb/> erſteren Aufgaben bereits gelöſt, bezw. der Erfüllung ent-<lb/> gegengehen.</p><lb/> <p>Man weiß auch, mit weſſen Hilfe er dieſes Ziel erreicht<lb/> — mit den <hi rendition="#g">Chriſtliſozialen,</hi> deren zeitgemäßes<lb/> und energiſches Eingreifen dem langandauernden Intriguen-<lb/> ſpiel ein raſches Ende bereitet und den Ausgleich gerettet<lb/> hat. Daß es Baron Beck gelang, den genialen Führer der<lb/> Chriſtlichſozialen, Dr. <hi rendition="#g">Lueget,</hi> zum Eingreifen zu be-<lb/> wegen, zeigt, wie gut er die Bedeutung dieſes Parteiführers<lb/> und Staatsmannes gekannt und geſchätzt hat. Es iſt nicht<lb/> ganz gleichgültig für die Entwicklung unſerer innervolitiſchen<lb/> Verhältniſſe, daß <hi rendition="#g">die chriſtlichſoziale Partei</hi><lb/> ſowohl bei der <hi rendition="#g">Wahlreform</hi> als auch <hi rendition="#g">jetzt beim Aus-<lb/> gleich die Entſcheidung herbeigeführt;</hi><lb/> damals war Dr. <hi rendition="#g">Geßmann</hi> und jetzt iſt Dr. <hi rendition="#g">Lueger</hi><lb/> der „Nothelfer“ der Regierung. Und wir werden uns kaum<lb/> täuſchen, wenn wir hoffen und annehmen, daß die chriſtlich-<lb/> ſoziale Partei <hi rendition="#g">auch bei der Löſung der<lb/> dritten Auf gabe eine ausſchlag gebende<lb/> Rolleſpielen wird</hi> und das umſomehr, als ohne<lb/> ihre Mitwirkung das nationale Problem in Oeſterreich<lb/> nicht gelöſt werden kann. Denn nur eine katholiſche<lb/> Grundlage kann das Fundament des nationalen Ausgleiches<lb/> bilden.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">„Arbeiter-Zeitung“</hi> möchte gern aus<lb/> der Geſtaltung der Dinge agitatoriſchen Nutzen ziehen,<lb/> es will ihr aber nicht recht gelingen. Sie tobt:</p><lb/> <p>„Herr Dr. Geßmann hat auf das berühmte „Mein<lb/> lieber Dr. Geßmann!“ ſo zielbewußt hingearbeitet, daß es<lb/> geradezu ein äſthetiſches Vergnügen bereitet, dieſe voll-<lb/> kommene Streberkunſt zu verfolgen. Um auf den Miniſter-<lb/> ſtuhl zu gelangen, mußte die Partei ihren loyalen Cha-<lb/> rakter abſtreifen, ſich über die Luegerſche Bezirksgerberei<lb/> erheben und Einfluß im Reiche zu gewinnen ſuchen. Das<lb/> war nur möglich, wenn die Schranken der Kurie fallen:<lb/> alſo wurde Geßmann ein Träger der Wahlreform, die der<lb/> wieneriſchen Politik die Ausbreitungsfähigkeit im Staate<lb/> erſt möglich machte.“</p><lb/> <p>Wie originell! Die chriſtlichſoziale Partei wäre alſo<lb/> eigens nur deshalb groß geworden, weil Dr. Geßmann<lb/> Miniſter werden wollte. Man weiß jetzt wenigſtens, wer<lb/> die Wahlreform gemacht hat: Dr. Geßmann! Das ſozial-<lb/> demokratiſche Organ erklärt es ſelbſt. Auch in der Folge<lb/> bleibt das Organ der allwiſſenden Genoſſen höchſt originell.<lb/> Es behauptet, die Chriſtlichſozialen hätten zwanzig Jahre<lb/> lang los von Ungarn! „gebrüllt“. Wahr iſt bekanntlich,<lb/> daß die Chriſtlichſozialen immer dieſes Ziel der<lb/> koſſuthiſtiſchen und alldeutſchen Politik bekämpft haben, wie<lb/> aus hunderten von Reden Dr. Luegers über dieſe Frage<lb/> leicht nachzuweiſen iſt. Auch das Eggenburger Partei-<lb/> programm verwirft die Formel „los von Ungarn“ aus-<lb/> drücklich. Gar ſo unwiſſend ſollte das Hauptorgan einer<lb/> 87 Mannpartei nicht ſein. Freilich haben die Sozial-<lb/><cb/> demokraten viel zu verbergen. Eine Partei, die ſich hin-<lb/> ſichtlich Ungarns vom koſſuthiſtiſchen Ellenbogen-Programm<lb/> zum Dr. Renner-Programm bekehrt hat und den Aus-<lb/> gleich Beck-Wekerle nur deshalb ablehnt, weil die ſozial-<lb/> demokratiſche Partei beim Abſchluſſe nicht als dritter mit-<lb/> beſchließender Faktor beigezogen wurde, ſollte gerade in<lb/> dieſer Frage hübſch den Mund halten.</p> </div> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Beeidigung der neuen<lb/> Miniſter.</hi> </head><lb/> <head> <hi rendition="#b">Empfang in Schönbrunn.</hi> </head><lb/> <p>Heute um 10 Uhr wurden <hi rendition="#g">die neuernannten<lb/> Miniſter vom Kaiſer</hi> in Schönbrunn<lb/> empfangen und <hi rendition="#g">in Eid genommen.</hi> </p><lb/> <p>Bei dieſem feierlichen Akte intervenierten der<lb/> Oberſtkämmerer Leopold Graf <hi rendition="#g">Gudenus</hi> und der<lb/> Miniſterpräſident Freiherr v. <hi rendition="#g">Beck.</hi> Die Eidesformel<lb/> murde vom Miniſterialrate Freiherrn v. <hi rendition="#g">Willani</hi><lb/> verleſen.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Vorgänge im Polenlager.</hi> </head><lb/> <p>Aus <hi rendition="#g">Lemberg</hi> wird uns telegraphiert: Die<lb/> hieſigen Blätter beſchäftigten ſich geſtern mit den<lb/> Vorgängen im Polenklub und berichten aus Wien:<lb/> Geſtern ſind nahezu ſämtliche polniſche Reichsrats-<lb/> abgeordneten in Wien eingetroffen, auch der Statthalter<lb/> Graf <hi rendition="#g">Potocki,</hi> der den ganzen Tag über mit<lb/> den leitenden Perſönlichkeiten der verſchiedenen polniſchen<lb/> Gruppen konferierte. Abends fand eine Beratung der<lb/> demokratiſchen Union des Polenklubs ſtatt, um zu der<lb/> heutigen <hi rendition="#g">Obmannwahl</hi> Stellung zu nehmen.<lb/> Während urſprünglich die Ausſichten des Allpolen<lb/> Abg. Profeſſor <hi rendition="#g">Glombinski</hi> beſſere als die<lb/> ſeines Gegenkandidaten Dr. von <hi rendition="#g">Dulemba</hi> waren,<lb/> iſt die Situation für <hi rendition="#g">Glombinski</hi> durch einen<lb/><hi rendition="#g">Brief,</hi> den der Führer der polniſchen Volkspartei,<lb/> Abg. <hi rendition="#g">Stapinski,</hi> an den Polenklub richtete,<lb/> ungünſtiger geworden. In dieſem Briefe wird ausdrücklich<lb/> darauf hingewieſen, daß die <hi rendition="#g">Polniſche Volks-<lb/> partei ihre Abſicht, in den Polen-<lb/> klub einzutreten, auf geben müßte,<lb/> wenn an der Spitze des Klubs<lb/> Dr. Glombinskiſtünde.</hi> (Wir haben ſchon<lb/> in der Sonntagsnummer dieſe Sachlage dargelegt.<lb/> D. R.). Zur <hi rendition="#g">Vorgeſchichte der Kriſe</hi> im<lb/> Polenlub melden die polniſchen Blätter noch folgende<lb/> Details: Die „Demokratiſche Union“ hatte für Frei-<lb/> tag abends eine Verſammlung einberufen und der-<lb/> ſelben eine Deklaration zur Unterſchrift vorgelegt,<lb/> welche vor allem als eine Polemik gegen die konſer-<lb/> vativen und radikalen polniſchen Blätter aufzufaſſen<lb/> war und die eigentlichen „Ziele der Union“ dargelegt.<lb/> Da viele Mitglieder der „Union“ von Wien abweſend<lb/> waren, wurden deren Unterſchriften telegraphiſch m<supplied>it</supplied><lb/> dem Bemerken eingeholt, daß es ſich um eine „Mit-<lb/> teilung“ für die Blätter handle. Zu ihrer größten<lb/> Ueberraſchung aber erfuhren dieſe polniſchen<lb/> Abgeordneten nach ihrer Rückkehr nach Wien, daß die<lb/> Mitteilung <hi rendition="#g">noch einem anderen, vielwich<lb/> tigeren Zwecke zu dienen</hi> hatte. Nach der<lb/> Sitzung der „Demokratiſchen Union“ hatten ſich die<lb/> Abgeordneten <hi rendition="#g">Glombinski</hi> und <hi rendition="#g">Petelenz</hi> zu<lb/> dem Obmanne Ritter v. <hi rendition="#g">Abrahamowicz</hi> be-<lb/> geben und ihm die Erklärung der „Union“ überreicht,<lb/> wobei ſie ihm zu verſtehen gaben, daß es nun an ihm<lb/> ſei, die Konſequenzen daraus zu ziehen. Ritter<lb/> v. <hi rendition="#g">Abrahamowicz</hi> zögerte keinen Augenblick,<lb/> dies zu tun. Durch die Art des Vorgehens der „Union“<lb/> iſt auch unter einzelnen demokratiſchen Mitgliedern des<lb/> Polenktubs <hi rendition="#g">eine Mißſtimmung</hi> ausgebrochen.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das jungtſchechiſche Organ gegen die<lb/> jungtſchechiſche Politik.</hi> </head> <p><hi rendition="#g">„Narodni Liſty“</hi><lb/> greifen in ihrem geſtrigen Artikel die tſchechiſche Dele-<lb/> gation, da ſie ohne poſitive Abmachungen in die Regie-<lb/> rungsmajorität eingetreten ſei, ſcharf an:</p><lb/> <p>„Unſere parlamentariſchen Delegierten dienen der Regie-<lb/> rungsmajorität, ohne die geringſte Aenderung des deutſchen<lb/> zentraliſtiſchen Syſtems erlangt zu haben. Das iſt nach<lb/> unſerer Ueberzeugung <hi rendition="#g">ein ſchwerer Fehler,</hi> den ſich<lb/> zum Schaden des tſchechiſchen Volkes die tſchechiſchen<lb/> Agrarier, die Katholiſchnationalen und die Jungtſchechen<lb/> zuſchulden kommen ließen. Ein ſolcher folgen-<lb/> ſchwerer Fehler wurde ſeinerzeit auch von den<lb/> Alttſchechen im Jahre 1879 begangen, als dieſe ohne<lb/> Garantien in die Regierungsmajorität des Grafen Taaffe<lb/> eintraten. Wir halten es für unſere nationale Pflicht,<lb/> rechtzeitig unſere Nation auf die auf Abwege führende<lb/> Richtung der Politik der tſchechiſchen Delegierten aufmerkſam<lb/> zu machen, mit welcher <hi rendition="#g">wir auf keinen Fall<lb/> übereinſtimmen und die wir nicht<lb/> unterſtützen werden.</hi> Wir ſind und bleiben ein<lb/> unabhängiges Blatt, das nur der tſchechiſchen Sache dient<lb/> und darum können wir auch nicht unſere perſönlichen<lb/> Freunde auf dem Wege begleiten, den wir als <hi rendition="#g">un-<lb/> richtig, irrig und gefährlich erachten.</hi> </p><lb/> <cb/> <p>Auch die <hi rendition="#g">Tſchechiſchradikalen</hi> benützen<lb/> die günſtige Gelegenheit, um das Süpplein ihrer Par-<lb/> tei zu kochen. Wie uns aus <hi rendition="#g">Prag,</hi> 11. d., telegra-<lb/> phiert wird, legten geſtern in einer Verſammlung in<lb/> den Weinbergen die Abgeordneten <hi rendition="#g">Dr. Hejn, Choc</hi><lb/> und insbeſondere <hi rendition="#g">Klofac</hi> in der heftigſten Weiſe<lb/> gegen das Zurückſtellen der Poſtulatenpolitik durch die<lb/> miniſterialiſierten tſchechiſchen Gruppen los und nannten<lb/> dieſe Gruppen „Verräter am tſchechiſchen Volke.“ —<lb/> Das ſtand zu erwarten. Die tſchechiſche Nation wird<lb/> zu beweiſen haben, ob ſie politiſch reif iſt oder noch<lb/> immer radikalen Schreiern und Spekulanten nachläuft.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Politiſche Rundſchau.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Oeſterreich-Ungarn.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#g">Wien,</hi> 11. November.</dateline><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Der ungariſche Miniſterpräſident bei<supplied>m</supplied><lb/> Kaiſer.</hi> </head> <p>Sonntag empfing der Kaiſer um 11 Uhr<lb/> vormittags in Schönbrunn den ungariſchen Miniſter-<lb/> präſidenten Dr. Wekerle in einſtündiger beſonderer<lb/> Audienz. Dr. Wekerle, der zum letztenmale Mitte<lb/> September in Audienz empfangen worden war, er-<lb/> ſtattete bei dieſer Gelegenheit über den ganzem Kom-<lb/> plex der politiſchen Lage in Ungarn Bericht und unter-<lb/> breitete diesbezügliche Vorſchläge. Um 5 Uhr nach-<lb/> mittags kehrte der Miniſterpräſident nach Ofen-Peſt<lb/> zurück. Nach Meldungen Agramer Blätter überreichte<lb/> der ungariſche Miniſterpräſident Dr. Wekerle<lb/> u. a. dem Monarchen die mit dem Banus<lb/> v. Rakodzay vereinbarte Liſte der neuzu-<lb/> ernennenden Sektionschefs und Obergeſpäne zur Ge-<lb/> nehmigung. Es ſollen ernannt werden: zum Sektions-<lb/> chef des Innern Univerſitätsprofeſſor Dr. Franz<lb/> Spevec, zum Sektionschef für Juſtiz Dr. Gideon<lb/> Avakamovic, zum Sektionschef für Kultus und Unter-<lb/> richt Dr. Krisvovic; zu Obergeſpänen ſollen ernannt<lb/> werden für das Komitat Agram Dr. Sljepcevic, für<lb/> Ogulin der ehemalige Abg. Dedovic, für Poſega der<lb/> derzeitige Obergeſpan von Ogulin v. Kraljevic, für<lb/> Goſpic der Gerichtsrat Cekir, für Wlka-Krbva Bela<lb/> v. Adamovich und für Warasdin der Vizegeſpan<lb/> v. Beleſevich. Die zu ernennenden Perſönlichkeiten ge-<lb/> hören zu den nationalen und unioniſtiſchen Parteien.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die Deutſchradikalen gegen den Ausgleich.</hi> </head><lb/> <p>Geſtern Sonntag, vormittags 11 Uhr, fand im<lb/> Deutſchen Haus in Wien ein deutſchradikaler Partei-<lb/><supplied>t</supplied>ag ſtatt, dem außer Parteigenoſſen aus den Kron-<lb/> ländern die Reichsratsabgeordneten Wolf, Kroy, Lößl,<lb/> Pacher, Dr. Sommer und von Stransky, Landes-<lb/> ausſchuß Dr. Freißler beiwohuten. Nach ſiebenſtündiger<lb/> eingehender Erörterung, in welcher der <hi rendition="#g">Ausgleich</hi><lb/> nach jeder Richtung beleuchtet wurde, fand folgende<lb/><hi rendition="#g">Entſchließung</hi> einhellige Annahme: „Die deutſch-<lb/> radikale Partei hält an ihrem Programmpunkte der<lb/><hi rendition="#g">Lostrennung von Ungarn unver-<lb/> rückbar feſt und verwirft den Aus-<lb/> gleich</hi> nicht nur in der vorliegenden, ſondern in<lb/> jeder Form.“ Viele zum Parteitag eingelangte Kund-<lb/> gebungen ſprachen ſich ebenfalls gegen den Ausgleich<lb/> aus.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Eine Rede des Prinzen Liechtenſtein über<lb/> Dr. Lueger.</hi> </head> <p>In der geſtern in den Engelſälen ſtatt-<lb/> gehabten Feſtverſammlung des Freundſchaftsverbandes<lb/> „Lueger“, die zugleich eine Luegerfeier war, hielt<lb/> Abg. Prinz Liechtenſtein die Feſtrede. Prinz Liechten-<lb/> ſtein ſchilderte, wie er Dr. Lueger vor nun mehr als<lb/> 30 Jahren kennen gelernt, als in Wien noch ſcheinbar<lb/> unbezwingbar der Geſchäftsliberalismus herrſchte und<lb/> dann ſagte der Feſtredner:</p><lb/> <p>„Im alten Rom, wo die Sklaven die ungeheure Mehr-<lb/> zahl bildeten, hatten die Herren, ein kleines Häuflein,<lb/> ihnen verboten, eine eigene Tracht, ein Abzeichen ihres<lb/> Standes zu tragen, wie es im Geſetze hieß: <hi rendition="#g">„<hi rendition="#aq">Ne se<lb/> numerent</hi> — damit ſie ſich nicht zählen“,</hi><lb/> und an ihrer Menge ihre Kraft erkennen. So war<lb/> es im damaligen judenbeherrſchten Wien verpönt, ſich<lb/> als Chriſt und Arier zu fühlen und zu bekennen.<lb/> Erſt <hi rendition="#g">Lueger und ſeine Antiſemiten</hi> haben den<lb/> Bann gebrochen, der uns niederhielt, erſt ſeine mutige<lb/> offene Agitation von einem Verſammlungslokale ins andere<lb/> hat dem Wiener Volke die un<supplied>ü</supplied>berwindliche Kraft vor<lb/> Augen geſtellt, welche in den Maſſen liegt, wenn ſie eines<lb/> Sinnes und Willens ſind. (Großer Beifall.) Vom erſten<lb/> Augenblicke an wurde <hi rendition="#g">Lueger</hi> inſtinktiv als <hi rendition="#g">der<lb/> geborene Führer durch das Wiener<lb/> Volk</hi> erkannt und ohne auch nur einen Augenblick zu<lb/> ſchwanken, hat es ihm die Treue bisher bewahrt. Die<lb/> Macht der Rede, die Kraft der Ueberzeugung, die Reinheit<lb/> des Charakters vereinigen ſich in ihm mit einer Staats-<lb/> klugheit und einer Vorausſicht, welche von weitem jede uns<lb/> drohende Gefahr auftauchen ſieht und ihr<lb/> bei Zeiten ſtets vorbeugt. (Stürmiſcher Beifall.)<lb/> Mit den Erfolgen wachſen ſeine Ziele. Jeder<lb/> Sieg wurde die Staffel zu neuen Errungenſchaften. Nach-<lb/> dem Wien befreit war, ging es an die Eroberung des<lb/> Stammlandes der Monarchie; nach dem Gemeinderate ge-<lb/> wann er uns den Landtag. Seine Popularität und der Ruf<lb/> von Rührigkeit und Energie, den die Partei ihrem Führer<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0002]
Wien, Montag Reichspoſt. 11. November 1907 273
nahme, eine ſolche Verpflichtung gegenüber dem Volks- und
dem Staatsintereſſe, und gegen dieſe höheren ethiſchen
Rückſichten mußten die Erwägungen der Parteitaktik zurück-
treten, mochten ſie an ſich noch ſo begründet erſcheinen.
Sehr intereſſant ſind die Ausführungen des deutſch-
radikalen „Wiener D. Tagbl.“:
Es iſt eine bewußte Fälſchung der liberalen Preſſe,
wenn ſie behauptet, daß die Deutſchnationalen ſich unter
das klerikale Diktat gebeugt, daß ſie den Chriſtlichſozialen
in den Sattel geholfen haben. In den Sattel ge-
hoben wurden die Chriſtlichſozialen
von den deutſchen Wählern, die mehr als
90 Abgeordnete der konſervativen Richtung in den Reichs-
rat entſendeten. Der Eintritt der Chriſtlichſozialen
iſt das Kabinett Beck war nur eine Frage der Zeit.
Auch der ſchärfſte Widerſtand der freiheitlichen deutſchen
Parteien hätte dieſen Eintritt nicht hindern
können. Wohl aber wäre ein ſolcher Widerſtand für die
Deutſchnationalen und für das ganze dentſche Volk höchſt
ſchädlich geweſen. Der dentſche Einfluß wäre geſchwächt, die
Bildung eines neuen eiſernen Ringes in die Wege geleitet
worden. In einer ſolchen Politik des Wahnwitzes mögen
ſich die Herren Baron Hock und Kuranda gefallen,
eine deutſche Partei, die ſich ihrer Verantwortung bewußt
iſt, kann ſie nicht mitmachen. Der Modus vivendi zwiſchen
freiheitlichen und konſervativen Deutſchen, der durch die
Schaffung des Zwölferausſchuſſes angebahnt, durch die
Rekonſtruktion des Miniſteriums fortgeſetzt wurde, bedeutet
einen nationalen Fortſchritt für die Deutſchen.
Das „Deutſche Volksblatt“ meint:
Wer Recht behalten wird, die Freunde oder die Gegner
des Ausgleichs und der dualiſtiſchen Verfaſſung, wird die
Zukunft zeigen; wenn uns aber etwas mit der Entwicklung
der Dinge verſöhnen kann, ſo iſt es die bei dieſer Gelegen-
heit erzielte nationale Einigung der deutſchen Parteien, die
zu erhalten jeder Deutſche die Pflicht hat, weil in ihr die
Zukunft unſeres Volkes eingeſchloſſen iſt.
Die „Zeit“ preiſt die erfolgte Demokratiſierung des
Kabinetts und polemiſiert gegen die Zweifler:
Der demokratiſche Zug in der öſterreichiſchen Politik
iſt noch eine zu neue Sache, ſo daß man im Volke ſelbſt
noch kein rechtes Vertrauen dazu hat und ſich lieber an die
guten alten öſterreichiſchen Gewohnheiten der öſterreichiſchen
Zweifelſucht und Spottluſt hält. Aber bei der ängſtlichen
oder heiteren Erwartung all der Blamagen, die den neuen
Männern bevorſtehen ſollen, vergißt man eines: daß
ſchließlich das neue Syſtem und die neuen Männer doch
nur darum notwendig geworden ſind, weil eben das alte
Syſtem und die alten Männer ſich ſo ſchlecht bewährt
haben.
Das konſervative „Vaterland“ ſagt, das
Kabinett Baron Beck habe ſich drei große
Aufgaben geſetzt (Wahlreform, Ausgleich und
die Löſung des nationalen Problems, von denen die zwei
erſteren Aufgaben bereits gelöſt, bezw. der Erfüllung ent-
gegengehen.
Man weiß auch, mit weſſen Hilfe er dieſes Ziel erreicht
— mit den Chriſtliſozialen, deren zeitgemäßes
und energiſches Eingreifen dem langandauernden Intriguen-
ſpiel ein raſches Ende bereitet und den Ausgleich gerettet
hat. Daß es Baron Beck gelang, den genialen Führer der
Chriſtlichſozialen, Dr. Lueget, zum Eingreifen zu be-
wegen, zeigt, wie gut er die Bedeutung dieſes Parteiführers
und Staatsmannes gekannt und geſchätzt hat. Es iſt nicht
ganz gleichgültig für die Entwicklung unſerer innervolitiſchen
Verhältniſſe, daß die chriſtlichſoziale Partei
ſowohl bei der Wahlreform als auch jetzt beim Aus-
gleich die Entſcheidung herbeigeführt;
damals war Dr. Geßmann und jetzt iſt Dr. Lueger
der „Nothelfer“ der Regierung. Und wir werden uns kaum
täuſchen, wenn wir hoffen und annehmen, daß die chriſtlich-
ſoziale Partei auch bei der Löſung der
dritten Auf gabe eine ausſchlag gebende
Rolleſpielen wird und das umſomehr, als ohne
ihre Mitwirkung das nationale Problem in Oeſterreich
nicht gelöſt werden kann. Denn nur eine katholiſche
Grundlage kann das Fundament des nationalen Ausgleiches
bilden.
Die „Arbeiter-Zeitung“ möchte gern aus
der Geſtaltung der Dinge agitatoriſchen Nutzen ziehen,
es will ihr aber nicht recht gelingen. Sie tobt:
„Herr Dr. Geßmann hat auf das berühmte „Mein
lieber Dr. Geßmann!“ ſo zielbewußt hingearbeitet, daß es
geradezu ein äſthetiſches Vergnügen bereitet, dieſe voll-
kommene Streberkunſt zu verfolgen. Um auf den Miniſter-
ſtuhl zu gelangen, mußte die Partei ihren loyalen Cha-
rakter abſtreifen, ſich über die Luegerſche Bezirksgerberei
erheben und Einfluß im Reiche zu gewinnen ſuchen. Das
war nur möglich, wenn die Schranken der Kurie fallen:
alſo wurde Geßmann ein Träger der Wahlreform, die der
wieneriſchen Politik die Ausbreitungsfähigkeit im Staate
erſt möglich machte.“
Wie originell! Die chriſtlichſoziale Partei wäre alſo
eigens nur deshalb groß geworden, weil Dr. Geßmann
Miniſter werden wollte. Man weiß jetzt wenigſtens, wer
die Wahlreform gemacht hat: Dr. Geßmann! Das ſozial-
demokratiſche Organ erklärt es ſelbſt. Auch in der Folge
bleibt das Organ der allwiſſenden Genoſſen höchſt originell.
Es behauptet, die Chriſtlichſozialen hätten zwanzig Jahre
lang los von Ungarn! „gebrüllt“. Wahr iſt bekanntlich,
daß die Chriſtlichſozialen immer dieſes Ziel der
koſſuthiſtiſchen und alldeutſchen Politik bekämpft haben, wie
aus hunderten von Reden Dr. Luegers über dieſe Frage
leicht nachzuweiſen iſt. Auch das Eggenburger Partei-
programm verwirft die Formel „los von Ungarn“ aus-
drücklich. Gar ſo unwiſſend ſollte das Hauptorgan einer
87 Mannpartei nicht ſein. Freilich haben die Sozial-
demokraten viel zu verbergen. Eine Partei, die ſich hin-
ſichtlich Ungarns vom koſſuthiſtiſchen Ellenbogen-Programm
zum Dr. Renner-Programm bekehrt hat und den Aus-
gleich Beck-Wekerle nur deshalb ablehnt, weil die ſozial-
demokratiſche Partei beim Abſchluſſe nicht als dritter mit-
beſchließender Faktor beigezogen wurde, ſollte gerade in
dieſer Frage hübſch den Mund halten.
Die Beeidigung der neuen
Miniſter.
Empfang in Schönbrunn.
Heute um 10 Uhr wurden die neuernannten
Miniſter vom Kaiſer in Schönbrunn
empfangen und in Eid genommen.
Bei dieſem feierlichen Akte intervenierten der
Oberſtkämmerer Leopold Graf Gudenus und der
Miniſterpräſident Freiherr v. Beck. Die Eidesformel
murde vom Miniſterialrate Freiherrn v. Willani
verleſen.
Die Vorgänge im Polenlager.
Aus Lemberg wird uns telegraphiert: Die
hieſigen Blätter beſchäftigten ſich geſtern mit den
Vorgängen im Polenklub und berichten aus Wien:
Geſtern ſind nahezu ſämtliche polniſche Reichsrats-
abgeordneten in Wien eingetroffen, auch der Statthalter
Graf Potocki, der den ganzen Tag über mit
den leitenden Perſönlichkeiten der verſchiedenen polniſchen
Gruppen konferierte. Abends fand eine Beratung der
demokratiſchen Union des Polenklubs ſtatt, um zu der
heutigen Obmannwahl Stellung zu nehmen.
Während urſprünglich die Ausſichten des Allpolen
Abg. Profeſſor Glombinski beſſere als die
ſeines Gegenkandidaten Dr. von Dulemba waren,
iſt die Situation für Glombinski durch einen
Brief, den der Führer der polniſchen Volkspartei,
Abg. Stapinski, an den Polenklub richtete,
ungünſtiger geworden. In dieſem Briefe wird ausdrücklich
darauf hingewieſen, daß die Polniſche Volks-
partei ihre Abſicht, in den Polen-
klub einzutreten, auf geben müßte,
wenn an der Spitze des Klubs
Dr. Glombinskiſtünde. (Wir haben ſchon
in der Sonntagsnummer dieſe Sachlage dargelegt.
D. R.). Zur Vorgeſchichte der Kriſe im
Polenlub melden die polniſchen Blätter noch folgende
Details: Die „Demokratiſche Union“ hatte für Frei-
tag abends eine Verſammlung einberufen und der-
ſelben eine Deklaration zur Unterſchrift vorgelegt,
welche vor allem als eine Polemik gegen die konſer-
vativen und radikalen polniſchen Blätter aufzufaſſen
war und die eigentlichen „Ziele der Union“ dargelegt.
Da viele Mitglieder der „Union“ von Wien abweſend
waren, wurden deren Unterſchriften telegraphiſch mit
dem Bemerken eingeholt, daß es ſich um eine „Mit-
teilung“ für die Blätter handle. Zu ihrer größten
Ueberraſchung aber erfuhren dieſe polniſchen
Abgeordneten nach ihrer Rückkehr nach Wien, daß die
Mitteilung noch einem anderen, vielwich
tigeren Zwecke zu dienen hatte. Nach der
Sitzung der „Demokratiſchen Union“ hatten ſich die
Abgeordneten Glombinski und Petelenz zu
dem Obmanne Ritter v. Abrahamowicz be-
geben und ihm die Erklärung der „Union“ überreicht,
wobei ſie ihm zu verſtehen gaben, daß es nun an ihm
ſei, die Konſequenzen daraus zu ziehen. Ritter
v. Abrahamowicz zögerte keinen Augenblick,
dies zu tun. Durch die Art des Vorgehens der „Union“
iſt auch unter einzelnen demokratiſchen Mitgliedern des
Polenktubs eine Mißſtimmung ausgebrochen.
Das jungtſchechiſche Organ gegen die
jungtſchechiſche Politik. „Narodni Liſty“
greifen in ihrem geſtrigen Artikel die tſchechiſche Dele-
gation, da ſie ohne poſitive Abmachungen in die Regie-
rungsmajorität eingetreten ſei, ſcharf an:
„Unſere parlamentariſchen Delegierten dienen der Regie-
rungsmajorität, ohne die geringſte Aenderung des deutſchen
zentraliſtiſchen Syſtems erlangt zu haben. Das iſt nach
unſerer Ueberzeugung ein ſchwerer Fehler, den ſich
zum Schaden des tſchechiſchen Volkes die tſchechiſchen
Agrarier, die Katholiſchnationalen und die Jungtſchechen
zuſchulden kommen ließen. Ein ſolcher folgen-
ſchwerer Fehler wurde ſeinerzeit auch von den
Alttſchechen im Jahre 1879 begangen, als dieſe ohne
Garantien in die Regierungsmajorität des Grafen Taaffe
eintraten. Wir halten es für unſere nationale Pflicht,
rechtzeitig unſere Nation auf die auf Abwege führende
Richtung der Politik der tſchechiſchen Delegierten aufmerkſam
zu machen, mit welcher wir auf keinen Fall
übereinſtimmen und die wir nicht
unterſtützen werden. Wir ſind und bleiben ein
unabhängiges Blatt, das nur der tſchechiſchen Sache dient
und darum können wir auch nicht unſere perſönlichen
Freunde auf dem Wege begleiten, den wir als un-
richtig, irrig und gefährlich erachten.
Auch die Tſchechiſchradikalen benützen
die günſtige Gelegenheit, um das Süpplein ihrer Par-
tei zu kochen. Wie uns aus Prag, 11. d., telegra-
phiert wird, legten geſtern in einer Verſammlung in
den Weinbergen die Abgeordneten Dr. Hejn, Choc
und insbeſondere Klofac in der heftigſten Weiſe
gegen das Zurückſtellen der Poſtulatenpolitik durch die
miniſterialiſierten tſchechiſchen Gruppen los und nannten
dieſe Gruppen „Verräter am tſchechiſchen Volke.“ —
Das ſtand zu erwarten. Die tſchechiſche Nation wird
zu beweiſen haben, ob ſie politiſch reif iſt oder noch
immer radikalen Schreiern und Spekulanten nachläuft.
Politiſche Rundſchau.
Oeſterreich-Ungarn.
Wien, 11. November.
Der ungariſche Miniſterpräſident beim
Kaiſer. Sonntag empfing der Kaiſer um 11 Uhr
vormittags in Schönbrunn den ungariſchen Miniſter-
präſidenten Dr. Wekerle in einſtündiger beſonderer
Audienz. Dr. Wekerle, der zum letztenmale Mitte
September in Audienz empfangen worden war, er-
ſtattete bei dieſer Gelegenheit über den ganzem Kom-
plex der politiſchen Lage in Ungarn Bericht und unter-
breitete diesbezügliche Vorſchläge. Um 5 Uhr nach-
mittags kehrte der Miniſterpräſident nach Ofen-Peſt
zurück. Nach Meldungen Agramer Blätter überreichte
der ungariſche Miniſterpräſident Dr. Wekerle
u. a. dem Monarchen die mit dem Banus
v. Rakodzay vereinbarte Liſte der neuzu-
ernennenden Sektionschefs und Obergeſpäne zur Ge-
nehmigung. Es ſollen ernannt werden: zum Sektions-
chef des Innern Univerſitätsprofeſſor Dr. Franz
Spevec, zum Sektionschef für Juſtiz Dr. Gideon
Avakamovic, zum Sektionschef für Kultus und Unter-
richt Dr. Krisvovic; zu Obergeſpänen ſollen ernannt
werden für das Komitat Agram Dr. Sljepcevic, für
Ogulin der ehemalige Abg. Dedovic, für Poſega der
derzeitige Obergeſpan von Ogulin v. Kraljevic, für
Goſpic der Gerichtsrat Cekir, für Wlka-Krbva Bela
v. Adamovich und für Warasdin der Vizegeſpan
v. Beleſevich. Die zu ernennenden Perſönlichkeiten ge-
hören zu den nationalen und unioniſtiſchen Parteien.
Die Deutſchradikalen gegen den Ausgleich.
Geſtern Sonntag, vormittags 11 Uhr, fand im
Deutſchen Haus in Wien ein deutſchradikaler Partei-
tag ſtatt, dem außer Parteigenoſſen aus den Kron-
ländern die Reichsratsabgeordneten Wolf, Kroy, Lößl,
Pacher, Dr. Sommer und von Stransky, Landes-
ausſchuß Dr. Freißler beiwohuten. Nach ſiebenſtündiger
eingehender Erörterung, in welcher der Ausgleich
nach jeder Richtung beleuchtet wurde, fand folgende
Entſchließung einhellige Annahme: „Die deutſch-
radikale Partei hält an ihrem Programmpunkte der
Lostrennung von Ungarn unver-
rückbar feſt und verwirft den Aus-
gleich nicht nur in der vorliegenden, ſondern in
jeder Form.“ Viele zum Parteitag eingelangte Kund-
gebungen ſprachen ſich ebenfalls gegen den Ausgleich
aus.
Eine Rede des Prinzen Liechtenſtein über
Dr. Lueger. In der geſtern in den Engelſälen ſtatt-
gehabten Feſtverſammlung des Freundſchaftsverbandes
„Lueger“, die zugleich eine Luegerfeier war, hielt
Abg. Prinz Liechtenſtein die Feſtrede. Prinz Liechten-
ſtein ſchilderte, wie er Dr. Lueger vor nun mehr als
30 Jahren kennen gelernt, als in Wien noch ſcheinbar
unbezwingbar der Geſchäftsliberalismus herrſchte und
dann ſagte der Feſtredner:
„Im alten Rom, wo die Sklaven die ungeheure Mehr-
zahl bildeten, hatten die Herren, ein kleines Häuflein,
ihnen verboten, eine eigene Tracht, ein Abzeichen ihres
Standes zu tragen, wie es im Geſetze hieß: „Ne se
numerent — damit ſie ſich nicht zählen“,
und an ihrer Menge ihre Kraft erkennen. So war
es im damaligen judenbeherrſchten Wien verpönt, ſich
als Chriſt und Arier zu fühlen und zu bekennen.
Erſt Lueger und ſeine Antiſemiten haben den
Bann gebrochen, der uns niederhielt, erſt ſeine mutige
offene Agitation von einem Verſammlungslokale ins andere
hat dem Wiener Volke die unüberwindliche Kraft vor
Augen geſtellt, welche in den Maſſen liegt, wenn ſie eines
Sinnes und Willens ſind. (Großer Beifall.) Vom erſten
Augenblicke an wurde Lueger inſtinktiv als der
geborene Führer durch das Wiener
Volk erkannt und ohne auch nur einen Augenblick zu
ſchwanken, hat es ihm die Treue bisher bewahrt. Die
Macht der Rede, die Kraft der Ueberzeugung, die Reinheit
des Charakters vereinigen ſich in ihm mit einer Staats-
klugheit und einer Vorausſicht, welche von weitem jede uns
drohende Gefahr auftauchen ſieht und ihr
bei Zeiten ſtets vorbeugt. (Stürmiſcher Beifall.)
Mit den Erfolgen wachſen ſeine Ziele. Jeder
Sieg wurde die Staffel zu neuen Errungenſchaften. Nach-
dem Wien befreit war, ging es an die Eroberung des
Stammlandes der Monarchie; nach dem Gemeinderate ge-
wann er uns den Landtag. Seine Popularität und der Ruf
von Rührigkeit und Energie, den die Partei ihrem Führer
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat).
(2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: keine Angabe; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |