Reichspost. Nr. 273, Wien, 11.11.1907.273 Wien, Montag Reichspost. 11. November 1907 [Spaltenumbruch] verdankt, hat uns den Weg in die Provinzen geebnet. Wir sind jetzt die stärkste Partei im Reichsrate, dem einer der unserigen präsidiert. (Stürmischer Beifall.) Allerdings, sagte Prinz Liechtenstein weiter, jeder Kampf fordert Opfer auch vom Sieger. Was Dr. Lueger in diesen langen Jahren seiner aufreibenden Tätigkeit zugesetzt hat, ist seine Gesundheit, sie ist erschüttert, aber Gott sei dank nicht verloren, die Fügung des Himmels erhält sie uns. Richelieu, der große Staatsmann, der sein Vaterland aus den Wirren und der Ohnmacht der Bürger kriege gerettet hat, ist frühzeitig körperlich gealtert. Als er einst den Degen, den er als Jüngling geschwungen hatte, zu heben versuchte, versagte ihm der Arm und er brach in Tränen aus über die Entkräftung der Muskeln. Ein Freund, der ihm zugesehen hatte, rief ihm zu: Tröste Dich, andere mögen das Schwert führen, Du führst Frankreich und Du führst es gut! So rufen auch wir, die Partei der geeinigten Christlichsozialen, sechsundneunzig Volksvertreter des österreichischen Parlamentes, Dr. Lueger zu: Mag auch die Körperkraft der Jugend nachlassen, Dein Geist, Deine Erfahrung, Dein ungebrochener Mut, der stolze Wille, das bedrohte Vaterland zu retten, sind Dir geblieben, führe uns, dann sind wir des Sieges gewiß." Lang- auhaltender stürmischer Beifall folgte diesen Worten. Die Vorgeschichte der Metzelei von Cernova. Unser oberungarischer Kor- "Die Gemeinde Cernova erbaute die Kirche mit meiner In Rom sagte man mir seinerzeit, daß meine Anwesen- Am 16. Oktober ging ich nach Mähren, um am 17. in Das ist der erste Grund des Massenmordes; der zweite Die tschechische Sprache beim Egerer Gerichte. Eine bedenkliche Entscheidung, die in die [Spaltenumbruch] Um eine Entscheidung des Prager Oberlandes- Die Junge Herren-Politik. Wie uns aus Ausland. Die Agrargesetzgebung in Rumänien, Der Krieg gegen die christlichen Die Gärung in Persien ist noch nicht Campbell-Bannerman über britische Politik. In einer Samstag auf dem Guidehall-Baukett Das russische Fragezeichen. Eine Unter- redung mit Herrn Milukow. (Regierung und Duma. -- Taktik der Oktobristen. -- Die Aus Petersburg wird der "Reichspost" ge- Ihr Korrespondent fühlt sich Herrn Milukow "Zur Zeit -- äußert Herr Milukow -- sind von "Meiner Ansicht nach können wir in zwei Fragen Nach der Auflösung der zweiten Duma sah die "Gestatten Sie die Bemerkung, daß auch die Kadetten "Vor der zweiten Duma haben wir, abgesehen von "Und vor der ersten Duma?" ,Sie werden verstehen, daß uns damals die Linke "Sie halten also die Niederlage der Linken "Nein, nein! Die Klassenwahlen in Peters- 273 Wien, Montag Reichspoſt. 11. November 1907 [Spaltenumbruch] verdankt, hat uns den Weg in die Provinzen geebnet. Wir ſind jetzt die ſtärkſte Partei im Reichsrate, dem einer der unſerigen präſidiert. (Stürmiſcher Beifall.) Allerdings, ſagte Prinz Liechtenſtein weiter, jeder Kampf fordert Opfer auch vom Sieger. Was Dr. Lueger in dieſen langen Jahren ſeiner aufreibenden Tätigkeit zugeſetzt hat, iſt ſeine Geſundheit, ſie iſt erſchüttert, aber Gott ſei dank nicht verloren, die Fügung des Himmels erhält ſie uns. Richelieu, der große Staatsmann, der ſein Vaterland aus den Wirren und der Ohnmacht der Bürger kriege gerettet hat, iſt frühzeitig körperlich gealtert. Als er einſt den Degen, den er als Jüngling geſchwungen hatte, zu heben verſuchte, verſagte ihm der Arm und er brach in Tränen aus über die Entkräftung der Muskeln. Ein Freund, der ihm zugeſehen hatte, rief ihm zu: Tröſte Dich, andere mögen das Schwert führen, Du führſt Frankreich und Du führſt es gut! So rufen auch wir, die Partei der geeinigten Chriſtlichſozialen, ſechsundneunzig Volksvertreter des öſterreichiſchen Parlamentes, Dr. Lueger zu: Mag auch die Körperkraft der Jugend nachlaſſen, Dein Geiſt, Deine Erfahrung, Dein ungebrochener Mut, der ſtolze Wille, das bedrohte Vaterland zu retten, ſind Dir geblieben, führe uns, dann ſind wir des Sieges gewiß.“ Lang- auhaltender ſtürmiſcher Beifall folgte dieſen Worten. Die Vorgeſchichte der Metzelei von Cernova. Unſer oberungariſcher Kor- „Die Gemeinde Cernova erbaute die Kirche mit meiner In Rom ſagte man mir ſeinerzeit, daß meine Anweſen- Am 16. Oktober ging ich nach Mähren, um am 17. in Das iſt der erſte Grund des Maſſenmordes; der zweite Die tſchechiſche Sprache beim Egerer Gerichte. Eine bedenkliche Entſcheidung, die in die [Spaltenumbruch] Um eine Entſcheidung des Prager Oberlandes- Die Junge Herren-Politik. Wie uns aus Ausland. Die Agrargeſetzgebung in Rumänien, Der Krieg gegen die chriſtlichen Die Gärung in Perſien iſt noch nicht Campbell-Bannerman über britiſche Politik. In einer Samstag auf dem Guidehall-Baukett Das ruſſiſche Fragezeichen. Eine Unter- redung mit Herrn Milukow. (Regierung und Duma. — Taktik der Oktobriſten. — Die Aus Petersburg wird der „Reichspoſt“ ge- Ihr Korreſpondent fühlt ſich Herrn Milukow „Zur Zeit — äußert Herr Milukow — ſind von „Meiner Anſicht nach können wir in zwei Fragen Nach der Auflöſung der zweiten Duma ſah die „Geſtatten Sie die Bemerkung, daß auch die Kadetten „Vor der zweiten Duma haben wir, abgeſehen von „Und vor der erſten Duma?“ ‚Sie werden verſtehen, daß uns damals die Linke „Sie halten alſo die Niederlage der Linken „Nein, nein! Die Klaſſenwahlen in Peters- <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jArticle" n="3"> <p><pb facs="#f0003" n="3"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">273 Wien, Montag <hi rendition="#g">Reichspoſt.</hi> 11. November 1907</hi></fw><lb/><cb/> verdankt, hat uns den Weg in die Provinzen geebnet. Wir<lb/> ſind <hi rendition="#g">jetzt die ſtärkſte Partei im Reichsrate,</hi><lb/> dem einer der unſerigen präſidiert. (Stürmiſcher Beifall.)<lb/> Allerdings, ſagte Prinz Liechtenſtein weiter, jeder Kampf<lb/> fordert Opfer auch vom Sieger. Was Dr. Lueger in dieſen<lb/> langen Jahren ſeiner aufreibenden Tätigkeit zugeſetzt hat,<lb/><hi rendition="#g">iſt ſeine Geſundheit, ſie iſt erſchüttert,</hi><lb/> aber Gott ſei dank nicht verloren, die Fügung des<lb/> Himmels erhält ſie uns. <hi rendition="#g">Richelieu, der große<lb/> Staatsmann,</hi> der ſein Vaterland aus<lb/> den Wirren und der Ohnmacht der Bürger<lb/> kriege gerettet hat, iſt frühzeitig körperlich gealtert. Als er<lb/> einſt den Degen, den er als Jüngling geſchwungen hatte,<lb/> zu heben verſuchte, verſagte ihm der Arm und er brach in<lb/> Tränen aus über die Entkräftung der Muskeln. Ein<lb/> Freund, der ihm zugeſehen hatte, rief ihm zu: Tröſte Dich,<lb/> andere mögen das Schwert führen, Du führſt Frankreich<lb/> und Du führſt es gut! So rufen auch wir, die Partei der<lb/> geeinigten Chriſtlichſozialen, ſechsundneunzig Volksvertreter<lb/> des öſterreichiſchen Parlamentes, Dr. Lueger zu: Mag<lb/> auch die Körperkraft der Jugend nachlaſſen, Dein Geiſt,<lb/> Deine Erfahrung, Dein ungebrochener Mut, der ſtolze<lb/> Wille, das bedrohte Vaterland zu retten, ſind Dir geblieben,<lb/> führe uns, dann ſind wir des Sieges gewiß.“ Lang-<lb/> auhaltender ſtürmiſcher Beifall folgte dieſen Worten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die Vorgeſchichte der Metzelei von<lb/> Cernova.</hi> </head> <p><hi rendition="#g">Unſer oberungariſcher Kor-<lb/> reſpondent</hi> berichtet: Der vom Biſchof Parvy<lb/> abgeſetzte Roſenberger Pfarrer <hi rendition="#g">Hlinka</hi> ſendet von<lb/> Brünn an eine ſlovakiſche Zeitung ein Schreiben, in<lb/> welchem er die <hi rendition="#g">Vorgeſchichte des Maſſen-<lb/> mordes</hi> erörtert. Aus dieſem entnehmen wir<lb/> einiges, was auch weitere Kreiſe intereſſieren dürfte:</p><lb/> <p>„Die Gemeinde Cernova erbaute die Kirche mit meiner<lb/> Hilfe. Das Volk opferte viel und ich gab und bettelte,<lb/> wie ich konnte. Die Kirche bauten unſere ſlovakiſchen<lb/> Architekten Harminc und Jantſchek. Schon dieſer Umſtand<lb/> brachte das <hi rendition="#g">Bauſyndikat von Roſenberg<lb/> in Aufruhr.</hi> Sie verdächtigten mich in ihren<lb/> Blättern, daß ich das Volk um 7000 Kronen verkürzt habe,<lb/> obwohl ſie wußten, daß ich die Bänke beſtellt und auf die<lb/> Schuld 6000 Kronen <hi rendition="#g">daraufgezahlt habe.</hi><lb/> Ich erwiderte darauf nicht, ſondern arbeitete unermüdet<lb/> an der Vollendung des Werkes. Das Volk ſah dies und<lb/> deswegen war es durch die häßlichen Ausbrüche des Haſſes<lb/> meiner Feinde bis aufs tiefſte beleidigt. Das waren<lb/> größtenteils Prieſter von Roſenberg und Umgebung, an der<lb/> Spitze Janovcik und Fiſcher. Ich freute mich über das<lb/> vollendete Werk und das Volk frohlockte in der Hoffnung,<lb/> daß die Einweihung den Biſchof Parvy erweichen würde.<lb/> Als kein Geld da war, nahm mein Bruder eine Wechſel-<lb/> ſchuld von 30.000 Kronen auf ſich. Auf Wunſch<lb/> der Cernovaer ſchrieb ich an den Biſchof<lb/> eine ehrfurchtsvolle Bittſchrift um Vornahme der<lb/> Einweihung. — Auf einmal verbreitete ſich das Gerücht,<lb/> daß der Biſchof die Kirche weihen werde. Freude ergriff das<lb/> Volk und es verlangte meine Rehabilitierung, eventuell die<lb/> Verhandlung meines kanoniſchen Prozeſſes.</p><lb/> <p>In Rom ſagte man mir ſeinerzeit, daß meine Anweſen-<lb/> heit das Volk aufreizt und verlangte, daß ich für einige<lb/> Zeit die Diözeſe verlaſſe. Es verging ein halbes Jahr und<lb/><hi rendition="#g">mein Prozeßſtockte, offenbarinfolge</hi> des<lb/><hi rendition="#g">Eingreifens des Biſchofs und der Regie-<lb/> rung.</hi> Der Biſchof hätte über mich zu Gericht ſitzen und<lb/> irgend ein Urteil fällen ſollen; und ich hätte es er-<lb/> tragen. Dieſes Vorgehen empörte das feine Gefühl<lb/> des Volkes, welches ſah, daß ich für ſein Wohl und<lb/> ſeine Rechte vor keinem Opfer zurückſchrecke, keine Arbeit<lb/> ſcheue. Dieſes Volk ſah, daß ich als Prieſter, Menſch und<lb/> Politiker tadellos arbeite und daß der Biſchof mein Gegner<lb/> war. Dadurch wurde es unwillig <hi rendition="#g">und läßt ſich durch<lb/> niemanden, auch nicht durch Gewehre</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Vajonetteüberreden, daß ich ein Sünder<lb/> oder Aufwiegler ſei.</hi> </p><lb/> <p>Am 16. Oktober ging ich nach Mähren, um am 17. in<lb/> Ungariſch-Hradiſch einen Vortrag zu halten.“ Pfarrer<lb/> Hlinka erfuhr erſt in Olmütz, daß die Einweihung der<lb/> Kirche für den 27. Oktober beſtimmt iſt. Der Dechant lud<lb/> ihn zu dem Feſte ein, aber Hlinka lehnte ab. Der Haupt-<lb/> grund ſeines Fernbleibens war, daß der Biſchof ſeine An-<lb/> weſenheit nicht wünſchte. Dann ſetzt er alſo fort: „Wie ich<lb/> aus glaubwürdiger Quelle erfahren habe, war es ſein <hi rendition="#g">be-<lb/> ſtimmter Wunſch, daß die Kirche dann<lb/> geweiht werde, wenn ich im Kerker ſein<lb/> werde,</hi> alſo ohne mich.“</p><lb/> <p>Das iſt der erſte Grund des Maſſenmordes; der zweite<lb/> iſt die Rückſichtsloſigkeit Fiſchers, der ſah, daß ihn das Volk<lb/> nicht wünſche; dennoch wollte er von Bajonetten begleitet<lb/> die Kirche weihen. Die Kirche hat er nicht geweiht, aber<lb/> Menſchenblut floß in Strömen. Er mag dafür Rechen-<lb/> ſchaft ablegen vor Gott und den Menſchen.“ <hi rendition="#aq">Spektator.</hi> </p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die tſchechiſche Sprache beim Egerer<lb/> Gerichte.</hi> </head> <p>Eine bedenkliche Entſcheidung, die in die<lb/> kaum einigermaßen beruhigte Situation neue Er-<lb/> regungen hineinzutragen droht, gelangte, wie uns aus<lb/> Eger telegraphiert wird, geſtern, Sonntag, an das<lb/> Egerer Kreisgericht ſeitens des Prager Oberlandes-<lb/> gerichtes herab, durch welche der jahrelange Kampf um<lb/> die Anerkennung der tſchechiſchen Sprache in Eger als<lb/> Gerichtsſprache <hi rendition="#g">zugunſten der Tſchechen</hi><lb/> entſchieden wurde. Der Prager Advokat Dr. <hi rendition="#g">Lohota</hi><lb/> hatte bereits vor einigen Monaten bei dem hieſigen<lb/> Bezirksgerichte eine tſchechiſche Klage eingereicht, die<lb/> jedoch zurückgewieſen wurde. Der dagegen beim Oher-<lb/> landesgerichte in Prag eingebrachte Rekurs wurde an das<lb/> Egerer Kreisgericht zurückgeleitet. Dieſes wies die Beſchwerde<lb/> zurück, da im Sinne der Beſtimmungen der Gerichts-<lb/> ordnung in Eger nur die deutſche Sprache als gerichts-<lb/> üblich anzuſehen ſei. Damit mußte ſich Dr. Lohoda<lb/> zufriedengeben und die betreffende Klage in deutſcher<lb/> Sprache einbringen.</p><lb/> <cb/> <p>Um eine Entſcheidung des Prager Oberlandes-<lb/> gerichtes zu provozieren, ſchlug nun Dr. Lohoda einen<lb/> anderen Weg ein; er überreichte beim Egerer Kreis-<lb/> gerichte eine (fingierte) Wechſelklage in tſchechiſcher<lb/> Sprache, bei der es ſich um einen Sichtwechſel, der<lb/> nur 4 Tage Laufzeit hatte, handelte. Da das Kreis-<lb/> gericht dieſe tſchechiſche Klage zurückwies, erhob Doktor<lb/> Lohoda den Rekurs an das Prager Oberlandesgericht.<lb/> In der heute herabgelangten Entſcheidung wird nun<lb/> das Egerer Kreisgericht angewieſen, die in tſchechiſcher<lb/> Sprache überreichte Wechſelklage nicht nur<lb/> anzunehmen, ſondern auch in tſchechiſcher Sprache zu<lb/> erledigen. Alle auf dieſe Klage Bezug habenden Aus-<lb/> fertigungen und Protokollierungen ſind in tſchechiſcher<lb/> Sprache vorzunehmen, ja ſogar im Einlaufsprotokoll<lb/> die Klage in tſchechiſcher Sprache zu verzeichnen, da<lb/> „die tſchechiſche Sprache in Eger als gerichtsüblich an-<lb/> zuſehen ſei“. In einer Sitzung der deutſchen Ver-<lb/> trauensmänner wurde beſchloſſen, ſofort eine um-<lb/> faſſende Proteſtaktion gegen dieſe Entſcheidung ein-<lb/> zuleiten und von derſelben alle deutſchböhmiſchen<lb/> Abgeordneten und den deutſchen Volksrat für Böhmen<lb/> zu verſtändigen. Auch die Stadtvertretung wird ſich<lb/> mit der Angelegenheit beſchäftigen und hiebei auch an<lb/> alle anderen deutſchböhmiſchen Städte appellieren.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Die Junge Herren-Politik.</hi> </head> <p>Wie uns aus<lb/><hi rendition="#g">Lemberg</hi> gemeldet wird, fand dort <hi rendition="#g">Samstag</hi><lb/> abends in einem Hörſaale der Univerſität eine von<lb/> allpolniſchen Studenten einberufene Proteſtverſammlung<lb/> gegen die den Ruthenen in Wien von der Regierung<lb/> gewährten Zugeſtändniſſe ſtatt. Zu der Verſammlung<lb/> hatten ſich zirka 200 allpolniſche Studenten, ſowie eine<lb/> große Anzahl von <hi rendition="#g">Sozialdemokraten</hi> (!)<lb/> eingefunden. Der Referent der Verſammlung, Student<lb/><hi rendition="#g">Meybaum</hi> — ganz gewiß ein Allpole! — wandte<lb/> ſich in hitzigen Worten gegen den Verſuch, „die Uni-<lb/> verſitätsfrage zum Gegenſtand von politiſchen<lb/> Verhandlungen zwiſchen den einzelnen parla-<lb/> mentariſchen Parteien in Wien zu machen<lb/> und erklärte, daß die polniſchen Studenten es <hi rendition="#g">nie<lb/> und nimmer zulaſſen werden,</hi> daß die<lb/> Autonomie der Univerſität und deren ausſchließlich<lb/> polniſcher Charakter angetaſtet werde. Trotzdem der<lb/> in der Verſammlung anweſende Profeſſor Dembinski<lb/> auf Grund authentiſcher Informationen die Verſamm-<lb/> lung zu beſchwichtigen ſuchte, wurde eine aufgeregte<lb/> Proteſtreſolution gegen die Verhandlungen der Re-<lb/> gierung mit den Ruthenen <hi rendition="#g">mit großer Mehr-<lb/> heit</hi> angenommen. Man darf wohl erwarten, daß<lb/> die Regierung weiß, was ſie mit ſolchen Kundgebungen<lb/> zu tun hat. Die Politik der Minderjährigen hat ſchon<lb/> einen allzu breiten Raum eingenommen.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Ausland.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p>Die <hi rendition="#g">Agrargeſetzgebung in Rumänien,</hi><lb/> die durch die letzten Bauernunruhen beſchleunigt<lb/> wurde, naht ſich ihrer Vollendung. Die parlamentariſche<lb/> Kommiſſion beendigte die Beratung über den Geſetz-<lb/> entwurf betreffend die landwirtſchaftlichen Pacht-<lb/> verträge und begann geſtern mit der Verhandlung des<lb/> Geſetzentwurfes betreffend die Monopoliſierung der<lb/> geiſtigen Getränke in den Landgemeinden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p><hi rendition="#g">Der Krieg gegen die chriſtlichen<lb/> Schulen in Frankreich</hi> dauert ungeſchwächt<lb/> fort. Wer ſich dagegen muckſt, wird durch Strafen<lb/> eingeſchüchtert. Soeben verurteilte das Zuchtpolizei-<lb/> gericht in Choley den Notar Bretaut und<lb/> den Gutsbeſitzer George de Tou, die bei<lb/> der Schließung der von Geiſtlichen geleiteten<lb/> Mittelſchule in Beaupr<hi rendition="#aq">é</hi> gegen das Eindringen der<lb/> Polizeimacht Stellung genommen hatten, zu je zehn<lb/> Tagen Gefängnis.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <p><hi rendition="#g">Die Gärung in Perſien</hi> iſt noch nicht<lb/> beruhigt. Samstag verhandelte das perſiſche Parla-<lb/> ment lange über verſchiedene <hi rendition="#g">auf rühr eriſche Ar-<lb/> tikel</hi> der Teheraner Preſſe, in denen von der Mög-<lb/> lichkeit der Einmiſchung fremder Mächte in Perſien<lb/> geſprochen und das engliſch-ruſſiſche Abkommen als ein<lb/> Eingriff in die Unabhängigkeit Perſiens bezeichnet wird.<lb/> Man einigte ſich dahin, daß Maßregeln gegen die Preſſe<lb/> ergriffen werden müßten.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Campbell-Bannerman über britiſche<lb/> Politik.</hi> </head><lb/> <p>In einer Samstag auf dem Guidehall-Baukett<lb/> gehaltenen Rede gedachte Premierminiſter Bannerman<lb/> des Beſuches des deutſchen Kaiſerpaares und ſagte:<lb/> Die fremden Beſuche werden immer häufiger und ſie<lb/> können nur Gutes leiſten, wenn nur begriffen wird,<lb/> daß ſie <hi rendition="#g">keine politiſchen Pläne</hi> decken.<lb/> Wir werden den deutſchen Kaiſer und die Kaiſerin<lb/> herzlichſt willkommen heißen, beſonders zu einer Zeit,<lb/><hi rendition="#g">wo der Kaiſer der Ruhe bedarf.</hi> Der<lb/> Miniſterpräſident beſchäftigte ſich auch mit der<lb/><cb/> <hi rendition="#g">Haager Konferenz</hi> und ſagte: Wir ſind von<lb/> ihren Ergebniſſen, was die Einſchränkung der Rüſtungen<lb/> betrifft, <hi rendition="#g">zwar enttäuſcht,</hi> doch hat ſie einige Ergebniſſe<lb/> gezeitigt, die nicht unbedeutend ſind. Der Premier-<lb/> miniſter ging ſodann zur Beſprechung des <hi rendition="#g">eng-<lb/> liſch-ruſſiſchen Vertrages</hi> über, den er<lb/> als eine bedeutende, weitere Sicherheit für den Welt-<lb/> frieden betrachtet und erinnerte hierauf an die <hi rendition="#g">in-<lb/> diſchen Unruhen,</hi> die ſicherlich die Aufmerkſam-<lb/> keit forderten. Die Unordnung ſei mit feſter Hand zu<lb/> unterdrücken und dabei gleichzeitig die freie Meinungs-<lb/> äußerung zuzulaſſen, ſoweit ſie nicht den Umſturz bezweckt,<lb/> das entſpreche den Wünſchen der Bewohner Indiens<lb/> Ueber den <hi rendition="#g">Kongoſtaat</hi> müſſe Redner mit großer<lb/> Reſerve ſprechen, weil das belgiſche Parlament kürzlich<lb/> gefragt wurde, unter welchen Bedingungen es den<lb/> Kongoſtaat übernehmen wolle. Die britiſche Regierung<lb/> habe <hi rendition="#g">nicht die Abſicht, ſich einzumiſchen,</hi><lb/> ſei aber tief von dem Gefühl der <hi rendition="#g">Verantwort-<lb/> lichkeit</hi> durchdrungen, welche ſie mit anderen dafür<lb/> übernommen hat, daß der Kongo wie die Kolonien anderer<lb/> Nationen regiert werde. Admiral <hi rendition="#g">Fiſcher</hi> pries die<lb/> Tüchtigkeit der <hi rendition="#g">engliſchen</hi> Flotte und fuhr ſo-<lb/> dann fort, von einer <hi rendition="#g">deutſchen Invaſion</hi> zu<lb/> ſprechen, wäre Unſinn. Er gedachte in ſympathiſchen<lb/> Ausdrücken des Beſuches Kaiſer Wilhelms, den die<lb/> engliſche Marine mit Stolz zu ihren Admirälen zähle.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das ruſſiſche Fragezeichen. Eine Unter-<lb/> redung mit Herrn Milukow.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">(Regierung und Duma. — Taktik der Oktobriſten. — Die<lb/> Kadetten und die Polen.)</hi> </p><lb/> <p>Aus <hi rendition="#g">Petersburg</hi> wird der „Reichspoſt“ ge-<lb/> ſchrieben:</p><lb/> <p>Ihr Korreſpondent fühlt ſich Herrn Milukow<lb/> gegenüber zu ganz beſonderem Dank verpflichtet. Der<lb/> Kadettenführer empfing Ihren Mitarbeiter und gab<lb/> ihm mit der größten Freundlichkeit die gewünſchten<lb/> Auskünfte.</p><lb/> <p>„Zur Zeit — äußert Herr Milukow — ſind von<lb/> den Kadetten und den ihnen befreundeten Fortſchrittlern<lb/> ungefähr ſiebzig gewählt worden. Das iſt verhältnis-<lb/> mäßig eine ganz ſtattliche Zahl. Zählt man die zur<lb/> extremen Linken gehörenden 14 Abgeordneten dazu,<lb/> dann betragen die Kräfte der Oppoſition 80 bis 84<lb/> Abgeordnete. Bei der konſervativen Mehrheit wird der<lb/> Schwerpunkt naturgemäß bei den Oktobriſten liegen.<lb/> Die letzteren werden mit ihren 70 Abgeordneten eine<lb/> entſcheidende Rolle ſpielen, da es von ihnen abhängen<lb/> wird, der Oppoſition oder der Reaktion zum Siege zu<lb/> verhelfen.“</p><lb/> <p>„Meiner Anſicht nach können wir in zwei Fragen<lb/> ganz beſtimmt auf ein Zuſammengehen der Oktobriſten<lb/> mit der Oppoſition rechnen: die erſte betrifft die<lb/><hi rendition="#g">Rückkehr zur alten Staatsform</hi> vor<lb/> dem 30. Oktober; die zweite die Frage der<lb/><hi rendition="#g">lokalen Autonomie.</hi> Ich bin feſt überzeugt,<lb/> daß die Oktobriſten nicht mit Hand anlegen werden<lb/> zur gänzlichen Vernichtung der noch beſtehenden Selb-<lb/> ſtändigkeit der einzelnen Länder. Sollten meine Hoff-<lb/> nungen ſich nicht bewähren und die Oktobriſten ſich mit<lb/> der Regierungspartei vereinigen, dann wird die Lage<lb/> eine ſehr traurige werden. Die Rückkehr zu den alten<lb/> Dingen wäre nur noch eine Frage der Zeit. Uebrigens<lb/> haben ſich meine Vorausſetzungen betreffs der Wahl-<lb/> ergebniſſe erfüllt. Sowohl die Wähler der Linken<lb/> als der Rechten haben ſich uns bedeutend genähert.<lb/> Die Wahlergebniſſe ſind der beſte Beweis dafür, daß<lb/><hi rendition="#g">die linken Parteien immer mehr<lb/> unter den breiten Maſſen an Kredit<lb/> verlieren.</hi> Das <hi rendition="#g">Land hat genug von<lb/> all dieſen Unruhen</hi> und beſonders von der<lb/> Revolution mit ihrem Geſchrei, ihren Miſſetaten,<lb/> Bomben, Utopien und unſäglichem Chaos.</p><lb/> <p>Nach der Auflöſung der zweiten Duma ſah die<lb/> Mehrheit der Bevölkerung ein, daß die Taktik der<lb/> linken Parteien keine Kritik aushalte, daß ihre Ver-<lb/> ſprechen zwar anziehend, aber unausführbar ſind“ ...</p><lb/> <p>„Geſtatten Sie die Bemerkung, daß auch die Kadetten<lb/> einiges verſprochen haben, das ſich ſpäter als unaus-<lb/> führbar erwies?“ —</p><lb/> <p>„Vor der zweiten Duma haben wir, abgeſehen von<lb/> der parlamentariſchen Formulierung unſerer Tätigkeit,<lb/> keine Verſprechen gemacht.“ —</p><lb/> <p>„Und vor der erſten Duma?“</p><lb/> <p>‚Sie werden verſtehen, daß uns damals die Linke<lb/> unbekannt ſein konnte. Haben wir doch erſt in der<lb/> erſten Duma die Bekanntſchaft der Trudowiks machen<lb/> können.“</p><lb/> <p>„Sie halten alſo die Niederlage der Linken<lb/> keineswegs als eine Folge der <hi rendition="#g">neuen Wahlgeſetz-<lb/> ordung?</hi>“</p><lb/> <p>„<hi rendition="#g">Nein, nein!</hi> Die Klaſſenwahlen in Peters-<lb/> burg unterſcheiden ſich nur wenig von der früheren<lb/> und laſſen ſich nur durch die politiſche Reife der<lb/> Petersburger erklären, die uns den Sieg zuführten.“</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [3/0003]
273 Wien, Montag Reichspoſt. 11. November 1907
verdankt, hat uns den Weg in die Provinzen geebnet. Wir
ſind jetzt die ſtärkſte Partei im Reichsrate,
dem einer der unſerigen präſidiert. (Stürmiſcher Beifall.)
Allerdings, ſagte Prinz Liechtenſtein weiter, jeder Kampf
fordert Opfer auch vom Sieger. Was Dr. Lueger in dieſen
langen Jahren ſeiner aufreibenden Tätigkeit zugeſetzt hat,
iſt ſeine Geſundheit, ſie iſt erſchüttert,
aber Gott ſei dank nicht verloren, die Fügung des
Himmels erhält ſie uns. Richelieu, der große
Staatsmann, der ſein Vaterland aus
den Wirren und der Ohnmacht der Bürger
kriege gerettet hat, iſt frühzeitig körperlich gealtert. Als er
einſt den Degen, den er als Jüngling geſchwungen hatte,
zu heben verſuchte, verſagte ihm der Arm und er brach in
Tränen aus über die Entkräftung der Muskeln. Ein
Freund, der ihm zugeſehen hatte, rief ihm zu: Tröſte Dich,
andere mögen das Schwert führen, Du führſt Frankreich
und Du führſt es gut! So rufen auch wir, die Partei der
geeinigten Chriſtlichſozialen, ſechsundneunzig Volksvertreter
des öſterreichiſchen Parlamentes, Dr. Lueger zu: Mag
auch die Körperkraft der Jugend nachlaſſen, Dein Geiſt,
Deine Erfahrung, Dein ungebrochener Mut, der ſtolze
Wille, das bedrohte Vaterland zu retten, ſind Dir geblieben,
führe uns, dann ſind wir des Sieges gewiß.“ Lang-
auhaltender ſtürmiſcher Beifall folgte dieſen Worten.
Die Vorgeſchichte der Metzelei von
Cernova. Unſer oberungariſcher Kor-
reſpondent berichtet: Der vom Biſchof Parvy
abgeſetzte Roſenberger Pfarrer Hlinka ſendet von
Brünn an eine ſlovakiſche Zeitung ein Schreiben, in
welchem er die Vorgeſchichte des Maſſen-
mordes erörtert. Aus dieſem entnehmen wir
einiges, was auch weitere Kreiſe intereſſieren dürfte:
„Die Gemeinde Cernova erbaute die Kirche mit meiner
Hilfe. Das Volk opferte viel und ich gab und bettelte,
wie ich konnte. Die Kirche bauten unſere ſlovakiſchen
Architekten Harminc und Jantſchek. Schon dieſer Umſtand
brachte das Bauſyndikat von Roſenberg
in Aufruhr. Sie verdächtigten mich in ihren
Blättern, daß ich das Volk um 7000 Kronen verkürzt habe,
obwohl ſie wußten, daß ich die Bänke beſtellt und auf die
Schuld 6000 Kronen daraufgezahlt habe.
Ich erwiderte darauf nicht, ſondern arbeitete unermüdet
an der Vollendung des Werkes. Das Volk ſah dies und
deswegen war es durch die häßlichen Ausbrüche des Haſſes
meiner Feinde bis aufs tiefſte beleidigt. Das waren
größtenteils Prieſter von Roſenberg und Umgebung, an der
Spitze Janovcik und Fiſcher. Ich freute mich über das
vollendete Werk und das Volk frohlockte in der Hoffnung,
daß die Einweihung den Biſchof Parvy erweichen würde.
Als kein Geld da war, nahm mein Bruder eine Wechſel-
ſchuld von 30.000 Kronen auf ſich. Auf Wunſch
der Cernovaer ſchrieb ich an den Biſchof
eine ehrfurchtsvolle Bittſchrift um Vornahme der
Einweihung. — Auf einmal verbreitete ſich das Gerücht,
daß der Biſchof die Kirche weihen werde. Freude ergriff das
Volk und es verlangte meine Rehabilitierung, eventuell die
Verhandlung meines kanoniſchen Prozeſſes.
In Rom ſagte man mir ſeinerzeit, daß meine Anweſen-
heit das Volk aufreizt und verlangte, daß ich für einige
Zeit die Diözeſe verlaſſe. Es verging ein halbes Jahr und
mein Prozeßſtockte, offenbarinfolge des
Eingreifens des Biſchofs und der Regie-
rung. Der Biſchof hätte über mich zu Gericht ſitzen und
irgend ein Urteil fällen ſollen; und ich hätte es er-
tragen. Dieſes Vorgehen empörte das feine Gefühl
des Volkes, welches ſah, daß ich für ſein Wohl und
ſeine Rechte vor keinem Opfer zurückſchrecke, keine Arbeit
ſcheue. Dieſes Volk ſah, daß ich als Prieſter, Menſch und
Politiker tadellos arbeite und daß der Biſchof mein Gegner
war. Dadurch wurde es unwillig und läßt ſich durch
niemanden, auch nicht durch Gewehre und
Vajonetteüberreden, daß ich ein Sünder
oder Aufwiegler ſei.
Am 16. Oktober ging ich nach Mähren, um am 17. in
Ungariſch-Hradiſch einen Vortrag zu halten.“ Pfarrer
Hlinka erfuhr erſt in Olmütz, daß die Einweihung der
Kirche für den 27. Oktober beſtimmt iſt. Der Dechant lud
ihn zu dem Feſte ein, aber Hlinka lehnte ab. Der Haupt-
grund ſeines Fernbleibens war, daß der Biſchof ſeine An-
weſenheit nicht wünſchte. Dann ſetzt er alſo fort: „Wie ich
aus glaubwürdiger Quelle erfahren habe, war es ſein be-
ſtimmter Wunſch, daß die Kirche dann
geweiht werde, wenn ich im Kerker ſein
werde, alſo ohne mich.“
Das iſt der erſte Grund des Maſſenmordes; der zweite
iſt die Rückſichtsloſigkeit Fiſchers, der ſah, daß ihn das Volk
nicht wünſche; dennoch wollte er von Bajonetten begleitet
die Kirche weihen. Die Kirche hat er nicht geweiht, aber
Menſchenblut floß in Strömen. Er mag dafür Rechen-
ſchaft ablegen vor Gott und den Menſchen.“ Spektator.
Die tſchechiſche Sprache beim Egerer
Gerichte. Eine bedenkliche Entſcheidung, die in die
kaum einigermaßen beruhigte Situation neue Er-
regungen hineinzutragen droht, gelangte, wie uns aus
Eger telegraphiert wird, geſtern, Sonntag, an das
Egerer Kreisgericht ſeitens des Prager Oberlandes-
gerichtes herab, durch welche der jahrelange Kampf um
die Anerkennung der tſchechiſchen Sprache in Eger als
Gerichtsſprache zugunſten der Tſchechen
entſchieden wurde. Der Prager Advokat Dr. Lohota
hatte bereits vor einigen Monaten bei dem hieſigen
Bezirksgerichte eine tſchechiſche Klage eingereicht, die
jedoch zurückgewieſen wurde. Der dagegen beim Oher-
landesgerichte in Prag eingebrachte Rekurs wurde an das
Egerer Kreisgericht zurückgeleitet. Dieſes wies die Beſchwerde
zurück, da im Sinne der Beſtimmungen der Gerichts-
ordnung in Eger nur die deutſche Sprache als gerichts-
üblich anzuſehen ſei. Damit mußte ſich Dr. Lohoda
zufriedengeben und die betreffende Klage in deutſcher
Sprache einbringen.
Um eine Entſcheidung des Prager Oberlandes-
gerichtes zu provozieren, ſchlug nun Dr. Lohoda einen
anderen Weg ein; er überreichte beim Egerer Kreis-
gerichte eine (fingierte) Wechſelklage in tſchechiſcher
Sprache, bei der es ſich um einen Sichtwechſel, der
nur 4 Tage Laufzeit hatte, handelte. Da das Kreis-
gericht dieſe tſchechiſche Klage zurückwies, erhob Doktor
Lohoda den Rekurs an das Prager Oberlandesgericht.
In der heute herabgelangten Entſcheidung wird nun
das Egerer Kreisgericht angewieſen, die in tſchechiſcher
Sprache überreichte Wechſelklage nicht nur
anzunehmen, ſondern auch in tſchechiſcher Sprache zu
erledigen. Alle auf dieſe Klage Bezug habenden Aus-
fertigungen und Protokollierungen ſind in tſchechiſcher
Sprache vorzunehmen, ja ſogar im Einlaufsprotokoll
die Klage in tſchechiſcher Sprache zu verzeichnen, da
„die tſchechiſche Sprache in Eger als gerichtsüblich an-
zuſehen ſei“. In einer Sitzung der deutſchen Ver-
trauensmänner wurde beſchloſſen, ſofort eine um-
faſſende Proteſtaktion gegen dieſe Entſcheidung ein-
zuleiten und von derſelben alle deutſchböhmiſchen
Abgeordneten und den deutſchen Volksrat für Böhmen
zu verſtändigen. Auch die Stadtvertretung wird ſich
mit der Angelegenheit beſchäftigen und hiebei auch an
alle anderen deutſchböhmiſchen Städte appellieren.
Die Junge Herren-Politik. Wie uns aus
Lemberg gemeldet wird, fand dort Samstag
abends in einem Hörſaale der Univerſität eine von
allpolniſchen Studenten einberufene Proteſtverſammlung
gegen die den Ruthenen in Wien von der Regierung
gewährten Zugeſtändniſſe ſtatt. Zu der Verſammlung
hatten ſich zirka 200 allpolniſche Studenten, ſowie eine
große Anzahl von Sozialdemokraten (!)
eingefunden. Der Referent der Verſammlung, Student
Meybaum — ganz gewiß ein Allpole! — wandte
ſich in hitzigen Worten gegen den Verſuch, „die Uni-
verſitätsfrage zum Gegenſtand von politiſchen
Verhandlungen zwiſchen den einzelnen parla-
mentariſchen Parteien in Wien zu machen
und erklärte, daß die polniſchen Studenten es nie
und nimmer zulaſſen werden, daß die
Autonomie der Univerſität und deren ausſchließlich
polniſcher Charakter angetaſtet werde. Trotzdem der
in der Verſammlung anweſende Profeſſor Dembinski
auf Grund authentiſcher Informationen die Verſamm-
lung zu beſchwichtigen ſuchte, wurde eine aufgeregte
Proteſtreſolution gegen die Verhandlungen der Re-
gierung mit den Ruthenen mit großer Mehr-
heit angenommen. Man darf wohl erwarten, daß
die Regierung weiß, was ſie mit ſolchen Kundgebungen
zu tun hat. Die Politik der Minderjährigen hat ſchon
einen allzu breiten Raum eingenommen.
Ausland.
Die Agrargeſetzgebung in Rumänien,
die durch die letzten Bauernunruhen beſchleunigt
wurde, naht ſich ihrer Vollendung. Die parlamentariſche
Kommiſſion beendigte die Beratung über den Geſetz-
entwurf betreffend die landwirtſchaftlichen Pacht-
verträge und begann geſtern mit der Verhandlung des
Geſetzentwurfes betreffend die Monopoliſierung der
geiſtigen Getränke in den Landgemeinden.
Der Krieg gegen die chriſtlichen
Schulen in Frankreich dauert ungeſchwächt
fort. Wer ſich dagegen muckſt, wird durch Strafen
eingeſchüchtert. Soeben verurteilte das Zuchtpolizei-
gericht in Choley den Notar Bretaut und
den Gutsbeſitzer George de Tou, die bei
der Schließung der von Geiſtlichen geleiteten
Mittelſchule in Beaupré gegen das Eindringen der
Polizeimacht Stellung genommen hatten, zu je zehn
Tagen Gefängnis.
Die Gärung in Perſien iſt noch nicht
beruhigt. Samstag verhandelte das perſiſche Parla-
ment lange über verſchiedene auf rühr eriſche Ar-
tikel der Teheraner Preſſe, in denen von der Mög-
lichkeit der Einmiſchung fremder Mächte in Perſien
geſprochen und das engliſch-ruſſiſche Abkommen als ein
Eingriff in die Unabhängigkeit Perſiens bezeichnet wird.
Man einigte ſich dahin, daß Maßregeln gegen die Preſſe
ergriffen werden müßten.
Campbell-Bannerman über britiſche
Politik.
In einer Samstag auf dem Guidehall-Baukett
gehaltenen Rede gedachte Premierminiſter Bannerman
des Beſuches des deutſchen Kaiſerpaares und ſagte:
Die fremden Beſuche werden immer häufiger und ſie
können nur Gutes leiſten, wenn nur begriffen wird,
daß ſie keine politiſchen Pläne decken.
Wir werden den deutſchen Kaiſer und die Kaiſerin
herzlichſt willkommen heißen, beſonders zu einer Zeit,
wo der Kaiſer der Ruhe bedarf. Der
Miniſterpräſident beſchäftigte ſich auch mit der
Haager Konferenz und ſagte: Wir ſind von
ihren Ergebniſſen, was die Einſchränkung der Rüſtungen
betrifft, zwar enttäuſcht, doch hat ſie einige Ergebniſſe
gezeitigt, die nicht unbedeutend ſind. Der Premier-
miniſter ging ſodann zur Beſprechung des eng-
liſch-ruſſiſchen Vertrages über, den er
als eine bedeutende, weitere Sicherheit für den Welt-
frieden betrachtet und erinnerte hierauf an die in-
diſchen Unruhen, die ſicherlich die Aufmerkſam-
keit forderten. Die Unordnung ſei mit feſter Hand zu
unterdrücken und dabei gleichzeitig die freie Meinungs-
äußerung zuzulaſſen, ſoweit ſie nicht den Umſturz bezweckt,
das entſpreche den Wünſchen der Bewohner Indiens
Ueber den Kongoſtaat müſſe Redner mit großer
Reſerve ſprechen, weil das belgiſche Parlament kürzlich
gefragt wurde, unter welchen Bedingungen es den
Kongoſtaat übernehmen wolle. Die britiſche Regierung
habe nicht die Abſicht, ſich einzumiſchen,
ſei aber tief von dem Gefühl der Verantwort-
lichkeit durchdrungen, welche ſie mit anderen dafür
übernommen hat, daß der Kongo wie die Kolonien anderer
Nationen regiert werde. Admiral Fiſcher pries die
Tüchtigkeit der engliſchen Flotte und fuhr ſo-
dann fort, von einer deutſchen Invaſion zu
ſprechen, wäre Unſinn. Er gedachte in ſympathiſchen
Ausdrücken des Beſuches Kaiſer Wilhelms, den die
engliſche Marine mit Stolz zu ihren Admirälen zähle.
Das ruſſiſche Fragezeichen. Eine Unter-
redung mit Herrn Milukow.
(Regierung und Duma. — Taktik der Oktobriſten. — Die
Kadetten und die Polen.)
Aus Petersburg wird der „Reichspoſt“ ge-
ſchrieben:
Ihr Korreſpondent fühlt ſich Herrn Milukow
gegenüber zu ganz beſonderem Dank verpflichtet. Der
Kadettenführer empfing Ihren Mitarbeiter und gab
ihm mit der größten Freundlichkeit die gewünſchten
Auskünfte.
„Zur Zeit — äußert Herr Milukow — ſind von
den Kadetten und den ihnen befreundeten Fortſchrittlern
ungefähr ſiebzig gewählt worden. Das iſt verhältnis-
mäßig eine ganz ſtattliche Zahl. Zählt man die zur
extremen Linken gehörenden 14 Abgeordneten dazu,
dann betragen die Kräfte der Oppoſition 80 bis 84
Abgeordnete. Bei der konſervativen Mehrheit wird der
Schwerpunkt naturgemäß bei den Oktobriſten liegen.
Die letzteren werden mit ihren 70 Abgeordneten eine
entſcheidende Rolle ſpielen, da es von ihnen abhängen
wird, der Oppoſition oder der Reaktion zum Siege zu
verhelfen.“
„Meiner Anſicht nach können wir in zwei Fragen
ganz beſtimmt auf ein Zuſammengehen der Oktobriſten
mit der Oppoſition rechnen: die erſte betrifft die
Rückkehr zur alten Staatsform vor
dem 30. Oktober; die zweite die Frage der
lokalen Autonomie. Ich bin feſt überzeugt,
daß die Oktobriſten nicht mit Hand anlegen werden
zur gänzlichen Vernichtung der noch beſtehenden Selb-
ſtändigkeit der einzelnen Länder. Sollten meine Hoff-
nungen ſich nicht bewähren und die Oktobriſten ſich mit
der Regierungspartei vereinigen, dann wird die Lage
eine ſehr traurige werden. Die Rückkehr zu den alten
Dingen wäre nur noch eine Frage der Zeit. Uebrigens
haben ſich meine Vorausſetzungen betreffs der Wahl-
ergebniſſe erfüllt. Sowohl die Wähler der Linken
als der Rechten haben ſich uns bedeutend genähert.
Die Wahlergebniſſe ſind der beſte Beweis dafür, daß
die linken Parteien immer mehr
unter den breiten Maſſen an Kredit
verlieren. Das Land hat genug von
all dieſen Unruhen und beſonders von der
Revolution mit ihrem Geſchrei, ihren Miſſetaten,
Bomben, Utopien und unſäglichem Chaos.
Nach der Auflöſung der zweiten Duma ſah die
Mehrheit der Bevölkerung ein, daß die Taktik der
linken Parteien keine Kritik aushalte, daß ihre Ver-
ſprechen zwar anziehend, aber unausführbar ſind“ ...
„Geſtatten Sie die Bemerkung, daß auch die Kadetten
einiges verſprochen haben, das ſich ſpäter als unaus-
führbar erwies?“ —
„Vor der zweiten Duma haben wir, abgeſehen von
der parlamentariſchen Formulierung unſerer Tätigkeit,
keine Verſprechen gemacht.“ —
„Und vor der erſten Duma?“
‚Sie werden verſtehen, daß uns damals die Linke
unbekannt ſein konnte. Haben wir doch erſt in der
erſten Duma die Bekanntſchaft der Trudowiks machen
können.“
„Sie halten alſo die Niederlage der Linken
keineswegs als eine Folge der neuen Wahlgeſetz-
ordung?“
„Nein, nein! Die Klaſſenwahlen in Peters-
burg unterſcheiden ſich nur wenig von der früheren
und laſſen ſich nur durch die politiſche Reife der
Petersburger erklären, die uns den Sieg zuführten.“
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