Reichspost. Nr. 308, Wien, 04.07.1914.[Spaltenumbruch]
Morgenblatt 8 h Morgenvlatt. Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Bezugspreise: Nr. 308 Wien, Samstag den 4. Juli 1914 XXI. Jahrgang Erzherzog Franz Ferdinand +. [Spaltenumbruch] Das Lebewohl. W[i]en, 3. Jauli. Lebewohl zu Deiner letzten Fahrt, Du Großer, Du Leb' wohl, nun ist aus unserer Mitte gegangen Du warst unsere Hoffnung, unsere Zuversicht, In unserer Einöde, in unserem grauen Alltag, in Und nun sehen wir Dich nicht mehr, Du bist mit Es wäre das höchste Glück, das erhabenste Los Die letzte Ehre. Der Kaiser und die Kinder an der Bahre. Der Kaiser und die drei Kinder der Die Kinder waren heute um 1/25 Uhr nachmittags [Spaltenumbruch] Feuilleton. In Artstetten ... Von dem Spezialberichterstatter der "Reichspost". Leise gleitet die Fähre stromüber. Die Donauwellen schlin- Der Wald nimmt uns dann auf. Der reine Märchenwald. Wir waren die letzten der tagüblichen Passagiere, die heute [Spaltenumbruch] Am Ufer unten rüsten sie schon zur klagevollen Vorarbeit. Mehr als einer schluchzt ... Und so stehen sie, diese schlichten, heimatstreuen Menschen, Wir aber schreiten durch den bergigen Wald. Noch immer Da sinkt die junge Dame, der wir Führer sind, schluchzend O hilf, Du Gnadenreiche! Hilf! -- den armen, verwaisten Ja, das ist dieses Schloß mit seinen fünf buntleuchtenden Wir kennen den Werktag dieser waldbäuerlichen Welt. Den toten Thronfolger hat dieses Volk über alles geltebt! Am heutigen Tage haben Werkleute die Schloßkirche und Auch die ersten Blumengewinde sind bereits eingetroffen. [Spaltenumbruch]
Morgenblatt 8 h Morgenvlatt. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Bezugspreiſe: Nr. 308 Wien, Samstag den 4. Juli 1914 XXI. Jahrgang Erzherzog Franz Ferdinand †. [Spaltenumbruch] Das Lebewohl. W[i]en, 3. Jauli. Lebewohl zu Deiner letzten Fahrt, Du Großer, Du Leb’ wohl, nun iſt aus unſerer Mitte gegangen Du warſt unſere Hoffnung, unſere Zuverſicht, In unſerer Einöde, in unſerem grauen Alltag, in Und nun ſehen wir Dich nicht mehr, Du biſt mit Es wäre das höchſte Glück, das erhabenſte Los Die letzte Ehre. Der Kaiſer und die Kinder an der Bahre. Der Kaiſer und die drei Kinder der Die Kinder waren heute um ½5 Uhr nachmittags [Spaltenumbruch] Feuilleton. In Artſtetten ... Von dem Spezialberichterſtatter der „Reichspoſt“. Leiſe gleitet die Fähre ſtromüber. Die Donauwellen ſchlin- Der Wald nimmt uns dann auf. Der reine Märchenwald. Wir waren die letzten der tagüblichen Paſſagiere, die heute [Spaltenumbruch] Am Ufer unten rüſten ſie ſchon zur klagevollen Vorarbeit. Mehr als einer ſchluchzt ... Und ſo ſtehen ſie, dieſe ſchlichten, heimatstreuen Menſchen, Wir aber ſchreiten durch den bergigen Wald. Noch immer Da ſinkt die junge Dame, der wir Führer ſind, ſchluchzend O hilf, Du Gnadenreiche! Hilf! — den armen, verwaiſten Ja, das iſt dieſes Schloß mit ſeinen fünf buntleuchtenden Wir kennen den Werktag dieſer waldbäuerlichen Welt. Den toten Thronfolger hat dieſes Volk über alles geltebt! Am heutigen Tage haben Werkleute die Schloßkirche und Auch die erſten Blumengewinde ſind bereits eingetroffen. <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="1"/> <cb/> <div type="jExpedition"> <p><hi rendition="#b">Morgenblatt 8 <hi rendition="#aq">h</hi><lb/> Nachmittagsaus-<lb/> gabe 4 <hi rendition="#aq">h</hi> in Wien.<lb/> Redaktion, Verwaltung,<lb/> Druckerei:</hi> Wien, <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Strozzi-<lb/> gaſſe 8, <hi rendition="#b">Telephon: 18082, 13870,<lb/> 22641. Poſtſpartaſſenkonto Oeſter-<lb/> reich 30656, Ungarn 3, Bosnien-<lb/> Herzegovina 7744. 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Leb’ wohl, leb’ wohl;<lb/> mit verſagender Stimme beten wir, daß der Herr Dich<lb/> und die treue Gefährtin Deines Lebensglückes und<lb/> Deines Todes ruhen laſſe in ſeligem Frieden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Es wäre das höchſte Glück, das erhabenſte Los<lb/> geweſen, an Stelle deſſen ſterben und das Blut hingeben<lb/> zu dürfen, den wir in Artſtetten zu Grabe tragen. Gott<lb/> hat es anders gewollt. Er hat das große Opfer<lb/> von unſerem Vaterlande verlangt, vielleicht, damit<lb/> es einmal ſehend werde und die unmittelbaren<lb/> Gefahren erkenne, an die bisher viele nicht glauben<lb/> konnten. Und um ſo größer ſind nach dieſem Opfer<lb/> unſere Pflichten. Und wenn uns auch die Augen noch<lb/> naß ſind vom Schmerze, ſo wollen wir in dieſer Stunde<lb/> ſchon einen feſten Entſchluß faſſen, den wir wie ein<lb/> Gelöbnis dem Toten in die Gruft mitgeben: Wir wollen<lb/> arbeiten mit ganzen Kräften für die Größe und Ehre<lb/> unſeres chriſtlichen Vaterlandes, wir wollen alles, was<lb/><cb/> wir ſind und haben, dem Dienſt jener Ideale widmne,<lb/> die unſere Toten von Artſtetten geleitet haben. Und<lb/> dieſe Märtyrer ihrer Pflicht werden uns von oben<lb/> ſegnen und aus ihrem Blute wird unſer Vaterland in<lb/> ſchwerer Zeit neue Stärke empfangen. 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Vor Kurzem noch nahmen<lb/> die Eltern mit Segenswünſchen von den Kinden Ab-<lb/> ſchied, um nach Bosnien zu gehen, und heute ſind den<lb/> Kindern die zwei metallenen, glänzenden Särge ihrer<lb/> Eltern gezeigt worden.</p><lb/> <p>Die Kinder waren heute um ½5 Uhr nachmittags<lb/> in Begleitung ihrer Tante, der Gräfin Henriette<lb/> Chotek, aus Chlumetz hier eingetroffen. Als die drei<lb/> verwaiſten Kinder des Thronfolgerpaares in das Bel-<lb/> vedere gebracht waren, fuhren beim Belvedere Ihre<lb/> k. u. k. Hoheit Herr Erzherzog <hi rendition="#g">Karl Franz Joſef</hi><lb/> und Gemahlin Frau Erzherzogin <hi rendition="#g">Zita</hi> vor. Sie<lb/> wollten die Kinder tröſten und ihnen in ihrem namen-<lb/> loſen Schmerz beiſtehen. 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Rauhe Stimmen werden da weich, riſſige<lb/> Fäuſte öffnen ſich, und ſchwere, müde Hände falten ſich zum<lb/> Gebete — —</p><lb/> <p>Mehr als einer ſchluchzt ...</p><lb/> <p>Und ſo ſtehen ſie, dieſe ſchlichten, heimatstreuen Menſchen,<lb/> und warten bei der Fähre auf den toten Fürſten und ſeine tote<lb/> Gemahlin. Immer röter wird der Himmel, und ſein Widerſchein<lb/> färbt die Wellen der Donau. Und es iſt, als ſtröme Blut und<lb/> wieder Blut gen Wien hinab. Das Herzblut Unzähliger.</p><lb/> <p>Wir aber ſchreiten durch den bergigen Wald. Noch immer<lb/> iſt das Rauſchen ober uns. Die erſten Sterne blinken auf. Von<lb/> der Gnadenkirche von Maria-Taferl klingt in hallenden, vom<lb/> Winde getragenen Tönen das Aveläuten herüber.</p><lb/> <p>Da ſinkt die junge Dame, der wir Führer ſind, ſchluchzend<lb/> in die Knie. Worte kommen aus ihrem Munde, qualvoll, gepreßt,<lb/> und durch das Weinen wie krampfhaft hervorgeſtoßen. Sie<lb/> betet:</p><lb/> <p>O hilf, Du Gnadenreiche! Hilf! — den armen, verwaiſten<lb/> Kindern ...</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Ja, das iſt dieſes Schloß mit ſeinen fünf buntleuchtenden<lb/> Türmen, das ganz verſteckt in poeſievoller Waldeinſamkeit ruht.<lb/> Wir haben es ſo oft ſchon geſehen; unten vom Strome aus,<lb/> da es uns grüßend zuwinkte, und hier heroben, im Schatten<lb/> hundertjähriger Buchen und Rüſtern. Immer iſt es uns wie ein<lb/> Märchenſchloß erſchienen. Ein Märchenſchloß unſerer Träume.<lb/> Weltfern, einſam, ein Sitz der Beſchaulichkeit, der Einkehr in<lb/> Gott ... Ein Ort, an dem auch der Schlechteſte gut, der Sünder<lb/> wieder tugendhaft werden muß. Denn nur Gottes Lob und<lb/><cb/> Preis umgibt uns hier. Eine begnadete, ſchöne und fruchtbare<lb/> Welt, ein frommgläubiges und arbeitſames Volk lernen wir hier<lb/> im Waldesweben kennen. Zwiſchen grünen Bergkuppeln lacht<lb/> fruchtbares, goldgelbes Ackerland. Tiefroter Mohn, buntfarbiger<lb/> Klee, Margariten, Vergißmeinnicht und blaue Kornblumen<lb/> ſticken unzählige, liebe Sternchen in dieſen weiten, wallenden<lb/> Teppich, über dem ſich der Schöpfl und im Hintergrund der<lb/> weißglitzernde Oetſcherkegel wie gleißende Diademe heben.</p><lb/> <p>Wir kennen den Werktag dieſer waldbäuerlichen Welt.<lb/> Wiſſen, wie hier ein ehrliches Brot mit harter Hände Werk, mit<lb/> ſaurem Schweiß erarbeitet wird. Hoch vom blauenden Himmels-<lb/> dom ertönt Lerchentriller. Bienengeſumme erfüllt eine würzige<lb/> Sommerluft. Wie heiß und mühſam iſt hier der Tag, und wie<lb/> grundehrlich und gottvertrauend iſt das ſchlichte Volk dieſes lieb-<lb/> lichen, in idylliſcher Geruhſamkeit atmenden Geländes. Wen<lb/> dieſes Volk liebt, der verdient es! Und der iſt wahr und offen,<lb/> arbeitſam und getreu bis in den Tod. Getreu ſich ſelbſt und<lb/> ſeinem Gotte.</p><lb/> <p>Den toten Thronfolger hat dieſes Volk über alles geltebt!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Am heutigen Tage haben Werkleute die Schloßkirche und<lb/> Gruft von Artſtetten zum Einzug des hohen Totenpaares ge-<lb/> ſchmückt. Trauer, tiefſte Trauer blickt uns von allen Seiten an.<lb/> Das ganze Kirchenſchiff iſt mit langen, ſchwarzen Portieren<lb/> ausgeſchlagen. Schwarze, herabwallende Tücher mit den blinken-<lb/> den, ſilbernen Kreuzen. Auch das Votivbild des Kirchenpatrons<lb/> iſt verhüllt. Dies prächtige, alte Gemälde — Sankt Jakob, den<lb/> der berühmte Kremſer Meiſter <hi rendition="#g">Schmidt</hi> uns im Kampfe mit<lb/> heidniſchen Mauren zeigt — bedecken gleichfalls dunkle, feierlich<lb/> ſtimmende Vorhänge. Vorne beim Altare haben ſie das Podium<lb/> errichtet, und darauf die Aufbahrungsſarkophage geſtellt. Pal-<lb/> men und Oleanderbäume bilden um dieſe zwei wehmütig<lb/> ſtimmenden Lagerſtätten gleichſam einen heiligen Hain des<lb/> Friedens und der Ruhe.</p><lb/> <p>Auch die erſten Blumengewinde ſind bereits eingetroffen.<lb/> Wertvolle, prächtige Kränze, voll berauſchend duftender Roſen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1/0001]
Morgenblatt 8 h
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Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.
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herigen Tages) für auswärts:
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Nr. 308 Wien, Samstag den 4. Juli 1914 XXI. Jahrgang
Erzherzog Franz Ferdinand †.
Das Lebewohl.
Wien, 3. Jauli.
Lebewohl zu Deiner letzten Fahrt, Du Großer, Du
Herrlicher! In tiefem Schweigen liegt das Donautal, in
düſterer Nacht bei Fackelſchein geht der Weg über den
Nibelungenſtrom hinüber durch die nachtrauſchenden
Wälder, die das alte Schloß mit dunklen Armen um-
fangen. Die Gruft iſt bereitet, das letzte Lager iſt beſtellt.
Bald wird ſich das ſchmale Pförtlein zu dieſer Toten-
heimſtatt ſchließen und fortan wird in dieſe Stille nur
wie von ferne herein das Glöcklein zur Meſſe des
Prieſters oben am Altare klingen und das Murmeln der
Gebete, die in der Kirche zu Häupten der Gruft An-
dächtige darbringen werden.
Leb’ wohl, nun iſt aus unſerer Mitte gegangen
auch, was an Dir ſterblich war, und unſer Schmerz
kann nur wie ein Lied der Sehnſucht, deſſen Laute an
Deinem Schloſſe erſterben, aufwärtsziehen.
Du warſt unſere Hoffnung, unſere Zuverſicht,
unſer Stolz, unſer Beiſpiel. Dein ſtarker Glaube an
Oeſterreich führte uns, Du zeigteſt uns wieder die
harmoniſche Zuſammengehörigkeit der Völker dieſes
Reiches, Du erweckteſt in unſerer Bruſt
die alten Klänge von Oeſterreichs Größe,
Miſſion und Weltbedeutung; Du warſt die
Zuflucht der Unterdrückten, der Freund der Verlaſſenen
und Dein Mut, der Dich bis zum Tode beſeelte, ſtrahlte
auf alle uns Sorgenvolle, Kleine und Schwache zurück.
Und welch ein Beiſpiel gabſt Du uns mit Deiner ritter-
lichen Frömmigkeit, die Deine ganze Welt- und Staats-
auffaſſung mit hohen chriſtlichen Idealen überſtrahlte,
mit Deinem zarten, ſüßen Familienglücke, das die Engel
einer großen Liebe und einer heiligen Reinheit bewachten.
In unſerer Einöde, in unſerem grauen Alltag, in
dem ſo vieles ſo flach und niedrig, unfähig höheren
Schwunges der Seele und des Wollens iſt, ſtandeſt Du
hoch aufrecht, ein ganzer herrlicher Mann, dem keine Auf-
gabe, die für das Vaterland zu vollbringen war, zu
ſchwer ſchien.
Und nun ſehen wir Dich nicht mehr, Du biſt mit
der hohen Frau, die die würdige Liebe Deines großen
Herzens war und die für Dich und mit Dir den Tod
auf ſich nahm, von uns gegangen und unſere Tränen
vermiſchen ſich mit jenen der drei Waiſen, die Du uns
als teures Pfand gelaſſen haſt. Leb’ wohl, leb’ wohl;
mit verſagender Stimme beten wir, daß der Herr Dich
und die treue Gefährtin Deines Lebensglückes und
Deines Todes ruhen laſſe in ſeligem Frieden.
Es wäre das höchſte Glück, das erhabenſte Los
geweſen, an Stelle deſſen ſterben und das Blut hingeben
zu dürfen, den wir in Artſtetten zu Grabe tragen. Gott
hat es anders gewollt. Er hat das große Opfer
von unſerem Vaterlande verlangt, vielleicht, damit
es einmal ſehend werde und die unmittelbaren
Gefahren erkenne, an die bisher viele nicht glauben
konnten. Und um ſo größer ſind nach dieſem Opfer
unſere Pflichten. Und wenn uns auch die Augen noch
naß ſind vom Schmerze, ſo wollen wir in dieſer Stunde
ſchon einen feſten Entſchluß faſſen, den wir wie ein
Gelöbnis dem Toten in die Gruft mitgeben: Wir wollen
arbeiten mit ganzen Kräften für die Größe und Ehre
unſeres chriſtlichen Vaterlandes, wir wollen alles, was
wir ſind und haben, dem Dienſt jener Ideale widmne,
die unſere Toten von Artſtetten geleitet haben. Und
dieſe Märtyrer ihrer Pflicht werden uns von oben
ſegnen und aus ihrem Blute wird unſer Vaterland in
ſchwerer Zeit neue Stärke empfangen. So lenke und
walte es der alte Gott!
Die letzte Ehre.
Der Kaiſer und die Kinder an der Bahre.
Der Kaiſer und die drei Kinder der
Ermordeten weilten heute nachmittag
an der Trauerſtätte. Das gab dem heutigen
Tag das Kennzeichen, ſteigerte die Bedeutung der letzten
Ehrenbezeugung. Der Kaiſer war bereits am Mor-
gen in der Hofburg eingetroffen, während die Kinder
erſt abends zu den Särgen der Eltern geführt wurden.
Am Horizonte verblutete ſtill der ſchwüle Tag, als die
Kinder in der Burgpfarrkirche Einlaß erhielten. Herz-
zerreißend war der Schmerz der Waiſen, die ſich über die
Särge der Eltern warfen. Vor Kurzem noch nahmen
die Eltern mit Segenswünſchen von den Kinden Ab-
ſchied, um nach Bosnien zu gehen, und heute ſind den
Kindern die zwei metallenen, glänzenden Särge ihrer
Eltern gezeigt worden.
Die Kinder waren heute um ½5 Uhr nachmittags
in Begleitung ihrer Tante, der Gräfin Henriette
Chotek, aus Chlumetz hier eingetroffen. Als die drei
verwaiſten Kinder des Thronfolgerpaares in das Bel-
vedere gebracht waren, fuhren beim Belvedere Ihre
k. u. k. Hoheit Herr Erzherzog Karl Franz Joſef
und Gemahlin Frau Erzherzogin Zita vor. Sie
wollten die Kinder tröſten und ihnen in ihrem namen-
loſen Schmerz beiſtehen. Um ½8 Uhr abends wurden die
Kinder in die Hofburgpfarrkirche geführt, um an den
Feuilleton.
In Artſtetten ...
Von dem Spezialberichterſtatter der
„Reichspoſt“.
Leiſe gleitet die Fähre ſtromüber. Die Donauwellen ſchlin-
gen gurgelnd ans Tauwerk der beiden nachfahrenden Zillen,
lecken an dem mächtigen Holzblock, der uns über den mählich glei-
tenden, grünlichblauen Heimatsſtrom trägt. Schief ſchneidet der
Kiel durch aufſchäumendes Waſſer, das ſilberig blinkenden, ge-
kräuſelten Schaum zeigt. Ueber dem uralten Pöchlarn, dem Sitz
des vieledlen Nibelungenhelden Rüdiger, liegt hohe, mild rot-
farbene Abendröte. Wir aber fahren einem dunklen, weiten Wald
zu. Der zieht über Berge und Hügel und ſeine Konturen ver-
rinnen langſam in ein immer dunkler werdendes Firmament.
Wir machen die erſten Schritte am jenſeitigen Ufer. Kommen an
den wenigen Häuſern Klein-Pöchlarns vorbei, vor deren Toren
mit ſtillen, betrübten Mienen arbeitsmüde Landleute ſtehen.
Der Wald nimmt uns dann auf. Der reine Märchenwald.
Voll flüſternden Blätterſtimmen, ſchattigen Laubgängen und
vielen, wirr herumirrlichternden Johanniskäfern. Rauſchen, tie-
fes, mächtiges und wie feierliches Rauſchen tönt über unſeren
Häuptern wie ein Engelsgeſang. Noch einmal werfen wir den
Blick hinab auf die glitzernden Waſſer der Donau, die dem ſtei-
len Felſen zuſtrömen, auf dem ſich das altehrwürdige Gottes-
haus von Melk erhebt.
Wir waren die letzten der tagüblichen Paſſagiere, die heute
die Fähre über den Strom brachten. Ihre nächſten Fahrten wer-
den trauriger ſein. Zwei prunkende Leichenwägen, die zwei hohe,
unvergeßliche Tote zur letzten Ruheſtatt führen, und viel ſchwarz
verhängte Trauergeſpanne — das wird ihre bittere, ſchwere Ar-
beit ſein. Der tote Kronerbe wird das letztemal den Strom über-
ſetzen, den er ſo ſehr im Leben geliebt...
Am Ufer unten rüſten ſie ſchon zur klagevollen Vorarbeit.
Auf beiden Seiten. Drüben die Leute von Pöchlarn, hier ſolche
von Artſtetten und aus andern umliegenden Dörfern und Flecken.
Sehnige Bauerngeſtalten, oft in einer ſeltſam verblichenen Vete-
ranen- oder Feuerwehruniform. Sie laſſen es ſich nicht nehmen,
ihrem „guaten Herrn Erzherzog“, der ihnen allzeit ein gnädiger
und wohltätiger Gutsherr geweſen, auf dieſe Art eine letzte Ehre
angedeihen zu laſſen. Rauhe Stimmen werden da weich, riſſige
Fäuſte öffnen ſich, und ſchwere, müde Hände falten ſich zum
Gebete — —
Mehr als einer ſchluchzt ...
Und ſo ſtehen ſie, dieſe ſchlichten, heimatstreuen Menſchen,
und warten bei der Fähre auf den toten Fürſten und ſeine tote
Gemahlin. Immer röter wird der Himmel, und ſein Widerſchein
färbt die Wellen der Donau. Und es iſt, als ſtröme Blut und
wieder Blut gen Wien hinab. Das Herzblut Unzähliger.
Wir aber ſchreiten durch den bergigen Wald. Noch immer
iſt das Rauſchen ober uns. Die erſten Sterne blinken auf. Von
der Gnadenkirche von Maria-Taferl klingt in hallenden, vom
Winde getragenen Tönen das Aveläuten herüber.
Da ſinkt die junge Dame, der wir Führer ſind, ſchluchzend
in die Knie. Worte kommen aus ihrem Munde, qualvoll, gepreßt,
und durch das Weinen wie krampfhaft hervorgeſtoßen. Sie
betet:
O hilf, Du Gnadenreiche! Hilf! — den armen, verwaiſten
Kindern ...
Ja, das iſt dieſes Schloß mit ſeinen fünf buntleuchtenden
Türmen, das ganz verſteckt in poeſievoller Waldeinſamkeit ruht.
Wir haben es ſo oft ſchon geſehen; unten vom Strome aus,
da es uns grüßend zuwinkte, und hier heroben, im Schatten
hundertjähriger Buchen und Rüſtern. Immer iſt es uns wie ein
Märchenſchloß erſchienen. Ein Märchenſchloß unſerer Träume.
Weltfern, einſam, ein Sitz der Beſchaulichkeit, der Einkehr in
Gott ... Ein Ort, an dem auch der Schlechteſte gut, der Sünder
wieder tugendhaft werden muß. Denn nur Gottes Lob und
Preis umgibt uns hier. Eine begnadete, ſchöne und fruchtbare
Welt, ein frommgläubiges und arbeitſames Volk lernen wir hier
im Waldesweben kennen. Zwiſchen grünen Bergkuppeln lacht
fruchtbares, goldgelbes Ackerland. Tiefroter Mohn, buntfarbiger
Klee, Margariten, Vergißmeinnicht und blaue Kornblumen
ſticken unzählige, liebe Sternchen in dieſen weiten, wallenden
Teppich, über dem ſich der Schöpfl und im Hintergrund der
weißglitzernde Oetſcherkegel wie gleißende Diademe heben.
Wir kennen den Werktag dieſer waldbäuerlichen Welt.
Wiſſen, wie hier ein ehrliches Brot mit harter Hände Werk, mit
ſaurem Schweiß erarbeitet wird. Hoch vom blauenden Himmels-
dom ertönt Lerchentriller. Bienengeſumme erfüllt eine würzige
Sommerluft. Wie heiß und mühſam iſt hier der Tag, und wie
grundehrlich und gottvertrauend iſt das ſchlichte Volk dieſes lieb-
lichen, in idylliſcher Geruhſamkeit atmenden Geländes. Wen
dieſes Volk liebt, der verdient es! Und der iſt wahr und offen,
arbeitſam und getreu bis in den Tod. Getreu ſich ſelbſt und
ſeinem Gotte.
Den toten Thronfolger hat dieſes Volk über alles geltebt!
Am heutigen Tage haben Werkleute die Schloßkirche und
Gruft von Artſtetten zum Einzug des hohen Totenpaares ge-
ſchmückt. Trauer, tiefſte Trauer blickt uns von allen Seiten an.
Das ganze Kirchenſchiff iſt mit langen, ſchwarzen Portieren
ausgeſchlagen. Schwarze, herabwallende Tücher mit den blinken-
den, ſilbernen Kreuzen. Auch das Votivbild des Kirchenpatrons
iſt verhüllt. Dies prächtige, alte Gemälde — Sankt Jakob, den
der berühmte Kremſer Meiſter Schmidt uns im Kampfe mit
heidniſchen Mauren zeigt — bedecken gleichfalls dunkle, feierlich
ſtimmende Vorhänge. Vorne beim Altare haben ſie das Podium
errichtet, und darauf die Aufbahrungsſarkophage geſtellt. Pal-
men und Oleanderbäume bilden um dieſe zwei wehmütig
ſtimmenden Lagerſtätten gleichſam einen heiligen Hain des
Friedens und der Ruhe.
Auch die erſten Blumengewinde ſind bereits eingetroffen.
Wertvolle, prächtige Kränze, voll berauſchend duftender Roſen,
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(2018-01-26T13:38:42Z)
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