Reichspost. Nr. 595, Wien, 24.12.1912.[Spaltenumbruch]
Morgenblatt 8 h [Spaltenumbruch] Mittagsblatt. Reichspost. Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk Oesterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Bezugspreise: Nr. 595 Wien, Montag den 23. Dezember 1912. XIX. Jahrgang. [Spaltenumbruch] Die Bürgermeisterwahl. Dr. Weiskirchner mit 129 Stimmen gewählt. Die Stadt Wien hat heute vormittag nach nicht Den Vorschriften des Statuts gehorchend waren Um 1/411 Uhr eröffnete der erste Vizebürgermeister Als Dr. Weiskirchner, der auf seinem Platz Der Sitzungsbericht. Kurz nach 10 Uhr erklärte der Vorsitzende Vizebürgermeister [Spaltenumbruch] Beginn der Wahl. Es wird nun sofort zur Vornahme der Wahl geschritten Als der 80. auf Dr. Weiskirchner lautende Stimmzettel Der Vorsitzende teilt mit: 155 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Exzellenz VB. Dr. Porzer enunziert, daß also Exzellenz Dr. Weis- Die Opposition verläßt, während die Mitglieder der Auf die Frage des Vorsitzenden VB. Dr. Porzer, ob er Die Antrittsrede Dr. Weiskirchners. Meine hochgeehrten Herren Kollegen! Vorbehaltlich der Ich danke herzlichst allen jenen verehrten Kollegen, welche Nehmen Sie von mir heute das schlichte, aber ehrliche und Jene Kollegen aber, welche mich heute nicht gewählt haben, Habe ich doch an einer anderen Stelle den Befähigungs- Zu meinem neuen Amte bringe ich die reichen Erfahrungen Ich bitte die verehrten Kollegen, und zwar alle, auch die, In Treue ergeben dem deutschen Volke So will ich denn, meine verehrten Herren Kollegen, in Vorsitzender Vizebürgermeister Dr. Porzer erklärt, daß der Der neugewählte Bürgermeister wurde indes von den Mit- Die für heute nachmittag anberaumte Geschäftssitzung Blätterstimmen über die Wahl Doktor Weiskirchners zum Bürgermeister. Der Bürgerklub der christlichsozialen Wiener Ge- Die "Neue Freie Presse" verfällt in ihrer Desperation Die "Arbeiter-Zeitung" stößt den Schreckensruf [Spaltenumbruch]
Morgenblatt 8 h [Spaltenumbruch] Mittagsblatt. Reichspoſt. Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns. [Spaltenumbruch] Bezugspreiſe: Nr. 595 Wien, Montag den 23. Dezember 1912. XIX. Jahrgang. [Spaltenumbruch] Die Bürgermeiſterwahl. Dr. Weiskirchner mit 129 Stimmen gewählt. Die Stadt Wien hat heute vormittag nach nicht Den Vorſchriften des Statuts gehorchend waren Um ¼11 Uhr eröffnete der erſte Vizebürgermeiſter Als Dr. Weiskirchner, der auf ſeinem Platz Der Sitzungsbericht. Kurz nach 10 Uhr erklärte der Vorſitzende Vizebürgermeiſter [Spaltenumbruch] Beginn der Wahl. Es wird nun ſofort zur Vornahme der Wahl geſchritten Als der 80. auf Dr. Weiskirchner lautende Stimmzettel Der Vorſitzende teilt mit: 155 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Exzellenz VB. Dr. Porzer enunziert, daß alſo Exzellenz Dr. Weis- Die Oppoſition verläßt, während die Mitglieder der Auf die Frage des Vorſitzenden VB. Dr. Porzer, ob er Die Antrittsrede Dr. Weiskirchners. Meine hochgeehrten Herren Kollegen! Vorbehaltlich der Ich danke herzlichſt allen jenen verehrten Kollegen, welche Nehmen Sie von mir heute das ſchlichte, aber ehrliche und Jene Kollegen aber, welche mich heute nicht gewählt haben, Habe ich doch an einer anderen Stelle den Befähigungs- Zu meinem neuen Amte bringe ich die reichen Erfahrungen Ich bitte die verehrten Kollegen, und zwar alle, auch die, In Treue ergeben dem deutſchen Volke So will ich denn, meine verehrten Herren Kollegen, in Vorſitzender Vizebürgermeiſter Dr. Porzer erklärt, daß der Der neugewählte Bürgermeiſter wurde indes von den Mit- Die für heute nachmittag anberaumte Geſchäftsſitzung Blätterſtimmen über die Wahl Doktor Weiskirchners zum Bürgermeiſter. Der Bürgerklub der chriſtlichſozialen Wiener Ge- Die „Neue Freie Preſſe“ verfällt in ihrer Deſperation Die „Arbeiter-Zeitung“ ſtößt den Schreckensruf <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="1"/> <cb/> <div type="jExpedition"> <p><hi rendition="#b">Morgenblatt 8 <hi rendition="#aq">h</hi><lb/> in Wien.<lb/> Redaktion:</hi><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Strozzigaſſe 41.<lb/><hi rendition="#b">Telephon: 18082.<lb/> Verwaltung:</hi> <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Strozzig. 42.<lb/><hi rendition="#b">Telephon: 13870.<lb/> Druckerei:</hi> <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Strozzigaſſe 41.<lb/><hi rendition="#b">Telephon: 22641.<lb/> Kleiner Anzeiger</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi> Schulerſtr. 21.<lb/><hi rendition="#b">Telephon: 2926.<lb/> Inſerute</hi><lb/> werden in der Verwaltung der<lb/> „Reichspoſt“ <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Strozzigaſſe 42,<lb/><hi rendition="#aq">I.</hi> Schulerſtraße 21, ſowie in<lb/> allen Annoncenbureaus des In-<lb/> und Auslandes angenommen.</p> </div><lb/> <cb/> <titlePage type="heading"> <titlePart type="sub"> <hi rendition="#b">Mittagsblatt.</hi> </titlePart><lb/> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Reichspoſt.</hi> </hi> </titlePart><lb/> <titlePart type="sub"> <hi rendition="#b">Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.</hi> </titlePart> </titlePage><lb/> <cb/> <div type="jExpedition"> <p><hi rendition="#b">Bezugspreiſe:</hi><lb/> bei täglich zweimaliger Zu-<lb/> ſtellung für Wien:<lb/> monatlich ....... <hi rendition="#aq">K</hi> 3.70<lb/> vierteljährig ...... „11.—<lb/> halbjährig ....... „22.—<lb/><hi rendition="#b">für Oeſterreich-Ungarn:</hi><lb/> monatlich ....... <hi rendition="#aq">K</hi> 3.85<lb/> vierteljährig ...... „ 11.50<lb/> halbjährig ....... „ 23.—<lb/> Bei täglich <hi rendition="#b">einmaliger</hi> Zu-<lb/> ſtellung (das Morgenblatt zu-<lb/> gleich mit der Nachmittagsaus-<lb/> gabe des vorherigen Tages)<lb/> für auswärts:<lb/> monatlich ....... <hi rendition="#aq">K</hi> 3.5<supplied>0</supplied><lb/> vierteljährig ...... „ 10.5<supplied>0</supplied><lb/> halbjährig ....... „ 21.—<lb/><hi rendition="#b">Für Deutſchland:</hi><lb/> vierteljährig Kreuzbandſendung<lb/><hi rendition="#aq">K</hi> 16.—.<lb/><hi rendition="#b">Länder des Weltpoſtvereines:</hi><lb/> vierteljährig Kreuzbandſendung<lb/><hi rendition="#aq">K</hi> 22.—.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <titlePage type="heading"> <docImprint> <docDate> <hi rendition="#b">Nr. 595 Wien, Montag den 23. Dezember 1912. <hi rendition="#aq">XIX.</hi> Jahrgang.</hi> </docDate> </docImprint><lb/> </titlePage> </front> <body> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Die Bürgermeiſterwahl.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Dr. Weiskirchner mit 129 Stimmen<lb/> gewählt.</hi> </head><lb/> <p>Die Stadt Wien hat heute vormittag nach nicht<lb/> einmal einer Woche während dem Interregnum ein neues<lb/> Oberhaupt erhalten. Dr. Richard <hi rendition="#g">Weiskirchner,</hi><lb/> von Dr. Lueger zu ſeinem Nachfolger und für die Voll-<lb/> endung der von Lueger begonnenen Werke beſtimmt,<lb/> wurde von der geſamten Majorität einſtimmig <hi rendition="#g">zum<lb/> Bürgermeiſter gewählt.</hi> </p><lb/> <p>Den Vorſchriften des Statuts gehorchend waren<lb/> alle Gemeinderäte zur Wahl gekommen, die nicht Krank-<lb/> heit oder vorher bewilligter Urlaub entſchuldigt hatten.<lb/> Das Statut verlangt bekanntlich auch, daß die Ge-<lb/> meinderäte während der Dauer der Wahl im Saale<lb/> verbleiben und ſieht den Mandatsverluſt als Strafe<lb/> für die Verletzung dieſer Beſtimmungen vor. Es waren<lb/> denn auch faſt alle Gemeinderäte zur Wahl erſchienen, die<lb/> Chriſtlichſozialen im Feſtkleid und mit der weißen<lb/> Nelke geſchmückt. Die Galerien waren bis auf<lb/> das letzte Plätzchen gefüllt. Im Saale waren auch die<lb/> Bezirksvorſteher und die Direktoren der ſtädtiſchen<lb/> Unternehmungen und die Beamten des Präſidialbureaus<lb/> anweſend.</p><lb/> <p>Um ¼11 Uhr eröffnete der erſte Vizebürgermeiſter<lb/> Dr. <hi rendition="#g">Porzer</hi> die denkwürdige Sitzung. Der Wahlakt,<lb/> eine ſchriftliche Abſtimmung, an der ſich auch<lb/> die Oppoſition beteiligte, verlief in vollſter Ruhe.<lb/> Die Sozialdemokraten und Liberalen beteiligten ſich an<lb/> der Wahl, die erſteren gaben ihrem Klubobmann<lb/><hi rendition="#g">Reumann</hi> die Stimme, die Liberalen bemerkens-<lb/> werterweiſe ihrem früheren Klubobmann Dr. Ritter<lb/> v. <hi rendition="#g">Dorn.</hi> </p><lb/> <p>Als Dr. <hi rendition="#g">Weiskirchner,</hi> der auf ſeinem Platz<lb/> in der erſten Reihe ſaß, die 80. Stimme erhalten und<lb/> damit die <hi rendition="#g">qualifizierte Mehrheit</hi> erreicht<lb/> hatte, ertönte lebhafter Beifall im Saale, der ſich<lb/> bei der Abgabe der 100. Stimme für Dr. Weis-<lb/> kirchner erneuerte und ſich dann zu ſtürmiſchen<lb/> Ovationen für den neuen Bürgermeiſter verſtärkte als<lb/> das Wahlergebnis verkündet wurde. Die Oppoſition<lb/> verkieß den Saal und der neugewählte Bürgermeiſter<lb/> hielt dann ſeine <hi rendition="#g">Antrittsrede,</hi> die den ſtärkſten<lb/> Eindruck hatte. Bürgermeiſter Dr. Weiskirchner<lb/> ſchloß ſeine Rede mit einem pietätvollen und<lb/> dankbaren Gedenken an Dr. Lueger: „Möge aus<lb/> weiten Himmelsfernen <hi rendition="#g">Luegers Geiſt ſegnend<lb/> auf mich</hi> herniederſchauen!“ Es war ein<lb/><hi rendition="#g">ergreifender Moment,</hi> als nach dieſem<lb/> Worte ſofort alle Gemeinderäte zu Dr. Weis-<lb/> kirchner eilten und <hi rendition="#g">wie zum Treueſchwur<lb/> ihm die Hände reichten.</hi> Luegers Geiſt<lb/> ſchwebte im Saale, der Geiſt der Stärke<lb/> und Einigkeit, der Luegers Nachfolger und<lb/> Freunde vereint zu unermüdlicher Arbeit. An der<lb/> Spitze ſteht der beſte Kenner der Verwaltung<lb/> der Stadt Wien, den eine langjährige Tätigkeit in allen<lb/> Zweigen der Kommunalverwaltung und ſein „Be-<lb/> fähigungsnachweis“ im Parlament, auf den er heute<lb/> ſelbſt in ſeiner Rede anſpielte, als den Berufenſten er-<lb/> ſcheinen laſſen, Luegers Lebenswerk weiterzubauen zu<lb/> Ehren der Stadt Wien und zum Nutzen des Wiener<lb/> chriſtlichen Volkes.</p><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Der Sitzungsbericht.</hi> </head><lb/> <p>Kurz nach 10 Uhr erklärte der Vorſitzende Vizebürgermeiſter<lb/> Dr. <hi rendition="#b">Porzer</hi> die Sitzung eröffnet, konſtatierte die Anweſenheit<lb/> von mehr als 100 Mitgliedern des Gemeinderates und gab<lb/> bekannt, daß Gemeinderat <hi rendition="#b">Rauer,</hi> welcher ſchon ſeit Monaten<lb/> an einer ſchweren Krankheit leidet, infolgedeſſen ſich verpflichtet<lb/> gefühlt habe, ſein <hi rendition="#g">Mandat als Gemeinderat<lb/> zurückzulegen.</hi> Mit dem Ausdrucke lebhaften Bedauerns<lb/> nahm der Gemeinderat dieſe Verzichtleiſtung zur Kenntnis.<lb/> Der Vorſitzende teilt dann mit, daß die Gemeinderäte <hi rendition="#b">Hilſcher,<lb/> C. M. Mayer,</hi> Dr. <hi rendition="#b">Neumayer, Oppenberger, Weidinger</hi><lb/> entſchuldigt ſind und daß Gemeinderat <hi rendition="#b">Skaret</hi> von der<lb/> Sitzung ausgeſchloſſen iſt. Zu Schriftführern für den Wahlakt<lb/> werden die Gemeinderäte <hi rendition="#b">Philp</hi> und <hi rendition="#b">Leitner,</hi> zu Skrutatoren<lb/> die Gemeinderäte <hi rendition="#b">Schlechter</hi> und <hi rendition="#b">Vaugoin</hi> ernannt.</p> </div><lb/> <cb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Beginn der Wahl.</hi> </head><lb/> <p>Es wird nun ſofort zur Vornahme der Wahl geſchritten<lb/> und der Schriftführer beginnt mit dem Namensaufrufe. Als<lb/> erſter gibt Gemeinderat kaiſ. Rat <hi rendition="#b">Ahorner</hi> ſeinen Stimmzettel<lb/> ab. Er hat eben eine ſchwere Krankheit überſtanden und wird<lb/> von zwei Gemeinderatskollegen und VB. <hi rendition="#b">Hierhammer</hi> unter-<lb/> ſtützt zur Eſtrade geleitet und gibt dort ſeinen Stimmzettel ab.<lb/> Nachdem ſämtliche anweſende Gemeinderäte ihre Stimmzettel<lb/> abgegeben haben, wird ſofort zum Skrutinium geſchritten. Der<lb/> erſte aus der Urne gezogene Stimmzettel lautet auf Dr. <hi rendition="#b">Weis-<lb/> kirchner.</hi> </p><lb/> <p>Als der 80. auf Dr. <hi rendition="#b">Weiskirchner</hi> lautende Stimmzettel<lb/> verleſen wird, ertönen im Saale und auf der Galerie lebhafte<lb/> Beifallsrufe. (Zur Wahl des Bürgermeiſters ſind nämlich laut<lb/> Statut 80 Stimmen erforderlich.) Die Liberalen geben ihre<lb/> Stimmzettel für Dr. v. <hi rendition="#b">Dorn</hi> ab, die Sozialdemokraten ſtimmen<lb/> für ihren Obmann GR. <hi rendition="#b">Reumann.</hi> Gegen 11 Uhr iſt das<lb/> Skrutinium beendet.</p><lb/> <p>Der Vorſitzende teilt mit:</p><lb/> <p><hi rendition="#b">155 Stimmen abgegeben.</hi> Davon entfielen auf Exzellenz<lb/> Dr. <hi rendition="#b">Weiskirchner 126 Stimmen</hi> (Lebhafter Beifall), auf<lb/> Dr. v. <hi rendition="#b">Dorn 12 Stimmen,</hi> auf GR. <hi rendition="#b">Goltz 1 Stimme,</hi> auf<lb/> GR. <hi rendition="#b">Reumann 7 Stimmen, 9 Stimmzettel waren le<supplied>e</supplied>r.</hi> </p><lb/> <p>VB. Dr. <hi rendition="#b">Porzer</hi> enunziert, daß alſo Exzellenz Dr. <hi rendition="#b">Weis-<lb/> kirchner</hi> mit der vom Geſetze vorgeſchriebenen Anzahl von<lb/> Stimmen zum <hi rendition="#b">Bürgermeiſter gewählt</hi> iſt. (Stürmiſcher<lb/> Beifall und Händeklatſchen ſowie Tücherſchwenken im Saal und<lb/> auf der Galerie.)</p><lb/> <p>Die Oppoſition verläßt, während die Mitglieder der<lb/> Majorität unausgeſetzt ſtürmiſch Beifall klatſchen, den Saal.</p><lb/> <p>Auf die Frage des Vorſitzenden VB. Dr. <hi rendition="#b">Porzer,</hi> ob er<lb/> die Wahl zum Bürgermeiſter annehme, antwortet Exzellenz<lb/> Dr. <hi rendition="#b">Weiskirchner</hi> mit folgender Anſprache:</p><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b">Die Antrittsrede Dr. Weiskirchners.</hi> </head><lb/> <p>Meine hochgeehrten Herren Kollegen! Vorbehaltlich der<lb/> Allerhöchſten Beſtätigung durch Se. Majeſtät unſeren aller-<lb/> gnädigſten Kaiſer und Herrn erkläre ich die auf mich gefallene<lb/> hochehrende Wahl zum Bürgermeiſter der Reichshaupt- und<lb/> Reſidenzſtadt Wien anzunehmen. (Lebhafter Beifall.)</p><lb/> <p>Ich danke herzlichſt allen jenen verehrten Kollegen, welche<lb/> mir ihre Stimmen zugewendet und mich für würdig und fähig<lb/> erachtet haben, Oberhaupt dieſer Stadt zu werden.</p><lb/> <p>Nehmen Sie von mir heute das ſchlichte, aber ehrliche und<lb/> ernſte Verſprechen entgegen, daß ich gewillt bin, mein ganzes<lb/> Wiſſen und Können in den Dienſt <hi rendition="#g">meiner ge-<lb/> liebten Vaterſtadt</hi> zu ſtellen. (Lauter Beifall.)</p><lb/> <p>Jene Kollegen aber, welche mich heute nicht gewählt haben,<lb/> bitte ich, an meinem guten Willen und an meinen redlichen<lb/> Abſichten nicht zu zweifeln.</p><lb/> <p>Habe ich doch an einer anderen Stelle den Befähigungs-<lb/> nachweis für das <hi rendition="#g">Amt eines Vorſitzenden</hi> bereits<lb/> erbracht. (Stürmiſcher Beifall.) Als erſter Präſident im Volks-<lb/> hauſe des allgemeinen Wahlrechtes habe ich unter ſchwierigen<lb/> Verhältniſſen den Vorſitz übernommen, mit ruhiger, feſter Hand<lb/> in objektiver Weiſe die Geſchäfte geführt und hiefür auch die<lb/> Anerkennung meiner parteipolitiſchen Gegner gefunden. (Leb-<lb/> hafte Zuſtimmung.)</p><lb/> <p>Zu meinem neuen Amte bringe ich die reichen Erfahrungen<lb/> meiner bald <hi rendition="#g">30jährigen Tätigkeit auf<lb/> kommunalen Gebiete mit;</hi> ich kenne<lb/> die ſtädtiſche Verwaltung in allen ihren Zweigen, ich<lb/> kenne die Bedürfniſſe der großſtädtiſchen Bevölkerung und<lb/> weiß, wie <hi rendition="#g">breite Schichten des Volkes</hi> in ſchwerem<lb/> Kampf und harter Arbeit um ihre Lebensexiſtenz ringen. Als<lb/> Beamter der Gemeinde habe ich unentwegt an der Anſchauung<lb/> feſtgehalten, daß die oberſte Pflicht des Amtes darin beſteht,<lb/><hi rendition="#g">dem Volke zu dienen</hi> (großer Beifall), ſeine Bedürf-<lb/> niſſe wahrzunehmen und dieſelben im Rahmen des geſamtwirt-<lb/> ſchaftlichen Intereſſes auch zu befriedigen. Dieſer Gedanke wird<lb/> mich auch zum <hi rendition="#g">Sorgenſtuhl des Bürgermeiſters</hi><lb/> geleiten und an dieſem Gedanken will ich feſthalten. Arbeit<lb/> und Verdienſt zu ſchaffen wird ſtets ein Leitſtern meines<lb/> Handelns ſein. Große, weitausgreifende Aufgaben ſind in<lb/> unſerem Gemeinweſen zu erfüllen, verantwortungsvolle Arbeit<lb/> wartet ſchon in nächſter Zeit und eine Reihe wichtiger Fragen<lb/> heiſcht gebieteriſch dringende großzügige Löſung. (Beifall.) Ich<lb/> bin mir hiebei der Pflicht bewußt, nicht der wirtſchaftlichen<lb/> Wohlfahrt des Volkes zu dienen, ſondern auch deſſen kulturellen<lb/> und geiſtigen Fortſchritt zu fördern und ſoziale Reformen im<lb/> chriſtlichen Sinne vorzubereiten. (Neuerlicher Beifall.)</p><lb/> <p>Ich bitte die verehrten Kollegen, und zwar alle, auch die,<lb/> die ſoeben den Saal verlaſſen haben, um ihre Unterſtützung.<lb/> Ich werde es auch als eine Pflicht des Bürgermeiſters halten,<lb/> alle Gemeinderäte genaueſtens zu informieren, wenn ſie Information<lb/> wünſchen. Meine Herren! Wir haben <hi rendition="#g">Gott ſei Dank<lb/> eine gute Verwaltung,</hi> und in eine gute Ver-<lb/> waltung kann jeder ungeſcheut Einſicht nehmen. (Stürmiſcher<lb/> Beifall.)</p><lb/> <p>In <hi rendition="#g">Treue ergeben dem deutſchen Volke</hi><lb/> (demonſtrativer Beifall), dem ich entſproſſen bin, treu meinem<lb/> Vaterlande Oeſterreich, werde ich auch weiter unentwegt feſt-<lb/> halten an den Grundſätzen <hi rendition="#g">deutſchchriſtlicher Welt-<lb/> anſchauung</hi> (Beifall), deren Betägigung nach meiner<lb/><cb/> unerſchütterlichen Ueberzeugung die einzige Gewähr für das<lb/> Gedeihen der Stadt und die Wohlfahrt ihrer Bewohner<lb/> bietet.</p><lb/> <p>So will ich denn, meine verehrten Herren Kollegen, <hi rendition="#g">in<lb/> Gottes Namen</hi> mit froher Zuverſicht einen neuen Abſchnitt<lb/> meines Lebens beginnen. <hi rendition="#g">Möge aus weiten<lb/> Himmelsſphären Luegers Geiſt ſegnend<lb/> auf mich niederſchauen!</hi> (Brauſender nicht enden-<lb/> wollender Beifall.)</p><lb/> <p>Vorſitzender Vizebürgermeiſter Dr. <hi rendition="#b">Porzer</hi> erklärt, daß der<lb/> Wahlakt an Seine Exzellenz den Herrn Statthalter geleitet<lb/> wird, und ſchließt hierauf die Sitzung.</p><lb/> <p>Der neugewählte Bürgermeiſter wurde indes von den Mit-<lb/> gliedern der Majorität umringt und in herzlichſter Weiſe be-<lb/> glückwünſcht. Auch Gemeinderat <hi rendition="#g">Schlechter</hi> ſchloß ſich den<lb/> Gratulanten an.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="3"> <p>Die für heute nachmittag anberaumte <hi rendition="#b">Geſchäftsſitzung</hi><lb/> des Gemeinderates wurde abgeſagt.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Blätterſtimmen über die Wahl Doktor<lb/> Weiskirchners zum Bürgermeiſter.</hi> </head><lb/> <p>Der Bürgerklub der chriſtlichſozialen Wiener Ge-<lb/> meinderäte hat mit ſeiner Erwählung Dr. Weiskirchners<lb/> zum Bürgermeiſterkandidaten wirklich das Richtige ge-<lb/> troffen. Wenn noch irgend ein Zweifel be-<lb/> ſtehen konnte, der Uniſonoaufſchrei der jüdiſchen Preſſe<lb/> vom Adlerhof bis zur Fichtegaſſe beſeitigt ihn. Es iſt ein-<lb/> fach herzerhebend und erquickend, alle dieſe unfreiwilligen<lb/> Rechtfertigungen und indirekten Belobigungen des Bürger-<lb/> klubs zu genießen. Der Bürgerklub hat das getan, was<lb/> der Preſſe der geſchworenen Feinde des chriſtlichen<lb/> deutſchen Wien am wenigſten gefällt, alſo hat er ſeine<lb/> Pflicht erfüllt. Geradezu konſterniert iſt dieſe Preſſe von<lb/> der Einigkeit, Geſchloſſenheit und Entſchloſſenheit des<lb/> Bürgerklubs, der ſo raſch zu handeln wußte.</p><lb/> <p>Die „Neue Freie Preſſe“ verfällt in ihrer Deſperation<lb/> auf den originellen Gedanken, <hi rendition="#g">dem neuen Bürger-<lb/> meiſter die Schuld an der Kriegs-<lb/> gefahr</hi> und an allen ihren ſchweren wirtſchaftlichen<lb/> Schäden zuzuſchreiben: „Wenn jetzt Millionen und<lb/> Millionen von Volksvermögen verloren gegangen ſind;<lb/> wenn ſich Wien jetzt mühſelig aus der tiefen wirt-<lb/> ſchaftlichen Depreſſion losringt, die von einer Kata-<lb/> ſtrophe nicht ſehr weit entfernt war; wenn wieder<lb/> die Kriegsgefahr mit allen ihren Schäden für die Be-<lb/> völkerung hereingebrochen iſt, ſo muß es nur recht und<lb/> billig ſein, daß der Mann, deſſen Politik an all dieſem<lb/> Unglück mitſchuldig iſt, zum Bürgermeiſter der Reichs-<lb/> hauptſtadt erhoben wird.“ Offenbar war es Weis-<lb/> kirchner, der den Bund der vier Balkankönigreiche ge-<lb/> gründet und ihren Krieg gegen die Türkei verſchuldet<lb/> hat; und Weiskirchner war es zweifellos, der den<lb/> militäriſchen Zuſammenbruch der Türkei und ihre Gebiets-<lb/> verluſte auf dem Gewiſſen hat, beileibe nicht etwa das<lb/> jungtürkiſche Logentum; natürlich war es auch Weiskirch-<lb/> ner, der Herrn Paſic zu ſeinen Ueberſchwänglichkeiten ver-<lb/> leitet hat, und ſelbſtverſtändlich hat Weiskirchner Rußlands<lb/> Mobiliſierungen an unſerer Nordoſtgrenze veranlaßt.<lb/> Von welchen Qualitäten muß der Wiener Freiſinn ſein,<lb/> daß man ihm mit ſolchen Krampusgeſchichten kommen<lb/> darf! Schließlich ſtellt die „N. Fr. Pr.“ die Gretchen-<lb/> frage: „Dr. Weiskirchner, was iſt er eigentlich? Iſt er<lb/> klerikal? Iſt er deutſchnational? Iſt er chriſtlichſozial?<lb/> Niemand kann ganz klare Antwort darauf geben,<lb/> niemand kann von dem neuen Bürgermeiſter ein<lb/> wirkliches Bekenntnis, ein klares Wort, das die politiſche<lb/> Definition des ganzen Mannes gäbe, anführen“. Wenn<lb/> dem ſo wäre, warum verfährt denn dann das liberale<lb/> Hauptorgan ſo unfreundlich mit dem Gewählten, der,<lb/> wenn er nicht klerikal, nicht chriſtlichſozial, nicht<lb/> deutſchnational iſt, am Ende gar ein Parteigänger<lb/> der Fichtegaſſe iſt? Oh, ooh, oooh! Und dann<lb/> fiele ſeine Schuld an der Kriegsgefahr auf die<lb/> „N. Fr. Pr.“, und dieſe hätte ſich mit ihren blitz-<lb/> blauen Behauptungen ſelber in die Tinte geſetzt. Ach,<lb/> wie rührt mich dies!</p><lb/> <p>Die „Arbeiter-Zeitung“ ſtößt den Schreckensruf<lb/> aus: „Tisza im Rathauſe!“, gibt den Chriſtlichſozialen<lb/> die Schuld an der „Entartung des Wiener Gemeinde-<lb/> rates“ durch die Radauſzenen, welche die liberal-ſozial-<lb/> demokratiſche Oppoſition jetzt Sitzung für Sitzung auf-<lb/> führt, um die Gemeindeautonomie zu untergraben, denn<lb/> die chriſtlichſoziale Partei habe die Gemeindeverwaltung<lb/> dem Stadtrat und den Ausſchüſſen vorbehalten (wahr<lb/> iſt, daß dieſe Einrichtung das Werk der Liberalen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1/0001]
Morgenblatt 8 h
in Wien.
Redaktion: VIII. Strozzigaſſe 41.
Telephon: 18082.
Verwaltung: VIII. Strozzig. 42.
Telephon: 13870.
Druckerei: VIII. Strozzigaſſe 41.
Telephon: 22641.
Kleiner Anzeiger I. Schulerſtr. 21.
Telephon: 2926.
Inſerute
werden in der Verwaltung der
„Reichspoſt“ VIII. Strozzigaſſe 42,
I. Schulerſtraße 21, ſowie in
allen Annoncenbureaus des In-
und Auslandes angenommen.
Mittagsblatt.
Reichspoſt.
Unabhängiges Tagblatt für das chriſtliche Volk Oeſterreich-Ungarns.
Bezugspreiſe:
bei täglich zweimaliger Zu-
ſtellung für Wien:
monatlich ....... K 3.70
vierteljährig ...... „11.—
halbjährig ....... „22.—
für Oeſterreich-Ungarn:
monatlich ....... K 3.85
vierteljährig ...... „ 11.50
halbjährig ....... „ 23.—
Bei täglich einmaliger Zu-
ſtellung (das Morgenblatt zu-
gleich mit der Nachmittagsaus-
gabe des vorherigen Tages)
für auswärts:
monatlich ....... K 3.50
vierteljährig ...... „ 10.50
halbjährig ....... „ 21.—
Für Deutſchland:
vierteljährig Kreuzbandſendung
K 16.—.
Länder des Weltpoſtvereines:
vierteljährig Kreuzbandſendung
K 22.—.
Nr. 595 Wien, Montag den 23. Dezember 1912. XIX. Jahrgang.
Die Bürgermeiſterwahl.
Dr. Weiskirchner mit 129 Stimmen
gewählt.
Die Stadt Wien hat heute vormittag nach nicht
einmal einer Woche während dem Interregnum ein neues
Oberhaupt erhalten. Dr. Richard Weiskirchner,
von Dr. Lueger zu ſeinem Nachfolger und für die Voll-
endung der von Lueger begonnenen Werke beſtimmt,
wurde von der geſamten Majorität einſtimmig zum
Bürgermeiſter gewählt.
Den Vorſchriften des Statuts gehorchend waren
alle Gemeinderäte zur Wahl gekommen, die nicht Krank-
heit oder vorher bewilligter Urlaub entſchuldigt hatten.
Das Statut verlangt bekanntlich auch, daß die Ge-
meinderäte während der Dauer der Wahl im Saale
verbleiben und ſieht den Mandatsverluſt als Strafe
für die Verletzung dieſer Beſtimmungen vor. Es waren
denn auch faſt alle Gemeinderäte zur Wahl erſchienen, die
Chriſtlichſozialen im Feſtkleid und mit der weißen
Nelke geſchmückt. Die Galerien waren bis auf
das letzte Plätzchen gefüllt. Im Saale waren auch die
Bezirksvorſteher und die Direktoren der ſtädtiſchen
Unternehmungen und die Beamten des Präſidialbureaus
anweſend.
Um ¼11 Uhr eröffnete der erſte Vizebürgermeiſter
Dr. Porzer die denkwürdige Sitzung. Der Wahlakt,
eine ſchriftliche Abſtimmung, an der ſich auch
die Oppoſition beteiligte, verlief in vollſter Ruhe.
Die Sozialdemokraten und Liberalen beteiligten ſich an
der Wahl, die erſteren gaben ihrem Klubobmann
Reumann die Stimme, die Liberalen bemerkens-
werterweiſe ihrem früheren Klubobmann Dr. Ritter
v. Dorn.
Als Dr. Weiskirchner, der auf ſeinem Platz
in der erſten Reihe ſaß, die 80. Stimme erhalten und
damit die qualifizierte Mehrheit erreicht
hatte, ertönte lebhafter Beifall im Saale, der ſich
bei der Abgabe der 100. Stimme für Dr. Weis-
kirchner erneuerte und ſich dann zu ſtürmiſchen
Ovationen für den neuen Bürgermeiſter verſtärkte als
das Wahlergebnis verkündet wurde. Die Oppoſition
verkieß den Saal und der neugewählte Bürgermeiſter
hielt dann ſeine Antrittsrede, die den ſtärkſten
Eindruck hatte. Bürgermeiſter Dr. Weiskirchner
ſchloß ſeine Rede mit einem pietätvollen und
dankbaren Gedenken an Dr. Lueger: „Möge aus
weiten Himmelsfernen Luegers Geiſt ſegnend
auf mich herniederſchauen!“ Es war ein
ergreifender Moment, als nach dieſem
Worte ſofort alle Gemeinderäte zu Dr. Weis-
kirchner eilten und wie zum Treueſchwur
ihm die Hände reichten. Luegers Geiſt
ſchwebte im Saale, der Geiſt der Stärke
und Einigkeit, der Luegers Nachfolger und
Freunde vereint zu unermüdlicher Arbeit. An der
Spitze ſteht der beſte Kenner der Verwaltung
der Stadt Wien, den eine langjährige Tätigkeit in allen
Zweigen der Kommunalverwaltung und ſein „Be-
fähigungsnachweis“ im Parlament, auf den er heute
ſelbſt in ſeiner Rede anſpielte, als den Berufenſten er-
ſcheinen laſſen, Luegers Lebenswerk weiterzubauen zu
Ehren der Stadt Wien und zum Nutzen des Wiener
chriſtlichen Volkes.
Der Sitzungsbericht.
Kurz nach 10 Uhr erklärte der Vorſitzende Vizebürgermeiſter
Dr. Porzer die Sitzung eröffnet, konſtatierte die Anweſenheit
von mehr als 100 Mitgliedern des Gemeinderates und gab
bekannt, daß Gemeinderat Rauer, welcher ſchon ſeit Monaten
an einer ſchweren Krankheit leidet, infolgedeſſen ſich verpflichtet
gefühlt habe, ſein Mandat als Gemeinderat
zurückzulegen. Mit dem Ausdrucke lebhaften Bedauerns
nahm der Gemeinderat dieſe Verzichtleiſtung zur Kenntnis.
Der Vorſitzende teilt dann mit, daß die Gemeinderäte Hilſcher,
C. M. Mayer, Dr. Neumayer, Oppenberger, Weidinger
entſchuldigt ſind und daß Gemeinderat Skaret von der
Sitzung ausgeſchloſſen iſt. Zu Schriftführern für den Wahlakt
werden die Gemeinderäte Philp und Leitner, zu Skrutatoren
die Gemeinderäte Schlechter und Vaugoin ernannt.
Beginn der Wahl.
Es wird nun ſofort zur Vornahme der Wahl geſchritten
und der Schriftführer beginnt mit dem Namensaufrufe. Als
erſter gibt Gemeinderat kaiſ. Rat Ahorner ſeinen Stimmzettel
ab. Er hat eben eine ſchwere Krankheit überſtanden und wird
von zwei Gemeinderatskollegen und VB. Hierhammer unter-
ſtützt zur Eſtrade geleitet und gibt dort ſeinen Stimmzettel ab.
Nachdem ſämtliche anweſende Gemeinderäte ihre Stimmzettel
abgegeben haben, wird ſofort zum Skrutinium geſchritten. Der
erſte aus der Urne gezogene Stimmzettel lautet auf Dr. Weis-
kirchner.
Als der 80. auf Dr. Weiskirchner lautende Stimmzettel
verleſen wird, ertönen im Saale und auf der Galerie lebhafte
Beifallsrufe. (Zur Wahl des Bürgermeiſters ſind nämlich laut
Statut 80 Stimmen erforderlich.) Die Liberalen geben ihre
Stimmzettel für Dr. v. Dorn ab, die Sozialdemokraten ſtimmen
für ihren Obmann GR. Reumann. Gegen 11 Uhr iſt das
Skrutinium beendet.
Der Vorſitzende teilt mit:
155 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf Exzellenz
Dr. Weiskirchner 126 Stimmen (Lebhafter Beifall), auf
Dr. v. Dorn 12 Stimmen, auf GR. Goltz 1 Stimme, auf
GR. Reumann 7 Stimmen, 9 Stimmzettel waren leer.
VB. Dr. Porzer enunziert, daß alſo Exzellenz Dr. Weis-
kirchner mit der vom Geſetze vorgeſchriebenen Anzahl von
Stimmen zum Bürgermeiſter gewählt iſt. (Stürmiſcher
Beifall und Händeklatſchen ſowie Tücherſchwenken im Saal und
auf der Galerie.)
Die Oppoſition verläßt, während die Mitglieder der
Majorität unausgeſetzt ſtürmiſch Beifall klatſchen, den Saal.
Auf die Frage des Vorſitzenden VB. Dr. Porzer, ob er
die Wahl zum Bürgermeiſter annehme, antwortet Exzellenz
Dr. Weiskirchner mit folgender Anſprache:
Die Antrittsrede Dr. Weiskirchners.
Meine hochgeehrten Herren Kollegen! Vorbehaltlich der
Allerhöchſten Beſtätigung durch Se. Majeſtät unſeren aller-
gnädigſten Kaiſer und Herrn erkläre ich die auf mich gefallene
hochehrende Wahl zum Bürgermeiſter der Reichshaupt- und
Reſidenzſtadt Wien anzunehmen. (Lebhafter Beifall.)
Ich danke herzlichſt allen jenen verehrten Kollegen, welche
mir ihre Stimmen zugewendet und mich für würdig und fähig
erachtet haben, Oberhaupt dieſer Stadt zu werden.
Nehmen Sie von mir heute das ſchlichte, aber ehrliche und
ernſte Verſprechen entgegen, daß ich gewillt bin, mein ganzes
Wiſſen und Können in den Dienſt meiner ge-
liebten Vaterſtadt zu ſtellen. (Lauter Beifall.)
Jene Kollegen aber, welche mich heute nicht gewählt haben,
bitte ich, an meinem guten Willen und an meinen redlichen
Abſichten nicht zu zweifeln.
Habe ich doch an einer anderen Stelle den Befähigungs-
nachweis für das Amt eines Vorſitzenden bereits
erbracht. (Stürmiſcher Beifall.) Als erſter Präſident im Volks-
hauſe des allgemeinen Wahlrechtes habe ich unter ſchwierigen
Verhältniſſen den Vorſitz übernommen, mit ruhiger, feſter Hand
in objektiver Weiſe die Geſchäfte geführt und hiefür auch die
Anerkennung meiner parteipolitiſchen Gegner gefunden. (Leb-
hafte Zuſtimmung.)
Zu meinem neuen Amte bringe ich die reichen Erfahrungen
meiner bald 30jährigen Tätigkeit auf
kommunalen Gebiete mit; ich kenne
die ſtädtiſche Verwaltung in allen ihren Zweigen, ich
kenne die Bedürfniſſe der großſtädtiſchen Bevölkerung und
weiß, wie breite Schichten des Volkes in ſchwerem
Kampf und harter Arbeit um ihre Lebensexiſtenz ringen. Als
Beamter der Gemeinde habe ich unentwegt an der Anſchauung
feſtgehalten, daß die oberſte Pflicht des Amtes darin beſteht,
dem Volke zu dienen (großer Beifall), ſeine Bedürf-
niſſe wahrzunehmen und dieſelben im Rahmen des geſamtwirt-
ſchaftlichen Intereſſes auch zu befriedigen. Dieſer Gedanke wird
mich auch zum Sorgenſtuhl des Bürgermeiſters
geleiten und an dieſem Gedanken will ich feſthalten. Arbeit
und Verdienſt zu ſchaffen wird ſtets ein Leitſtern meines
Handelns ſein. Große, weitausgreifende Aufgaben ſind in
unſerem Gemeinweſen zu erfüllen, verantwortungsvolle Arbeit
wartet ſchon in nächſter Zeit und eine Reihe wichtiger Fragen
heiſcht gebieteriſch dringende großzügige Löſung. (Beifall.) Ich
bin mir hiebei der Pflicht bewußt, nicht der wirtſchaftlichen
Wohlfahrt des Volkes zu dienen, ſondern auch deſſen kulturellen
und geiſtigen Fortſchritt zu fördern und ſoziale Reformen im
chriſtlichen Sinne vorzubereiten. (Neuerlicher Beifall.)
Ich bitte die verehrten Kollegen, und zwar alle, auch die,
die ſoeben den Saal verlaſſen haben, um ihre Unterſtützung.
Ich werde es auch als eine Pflicht des Bürgermeiſters halten,
alle Gemeinderäte genaueſtens zu informieren, wenn ſie Information
wünſchen. Meine Herren! Wir haben Gott ſei Dank
eine gute Verwaltung, und in eine gute Ver-
waltung kann jeder ungeſcheut Einſicht nehmen. (Stürmiſcher
Beifall.)
In Treue ergeben dem deutſchen Volke
(demonſtrativer Beifall), dem ich entſproſſen bin, treu meinem
Vaterlande Oeſterreich, werde ich auch weiter unentwegt feſt-
halten an den Grundſätzen deutſchchriſtlicher Welt-
anſchauung (Beifall), deren Betägigung nach meiner
unerſchütterlichen Ueberzeugung die einzige Gewähr für das
Gedeihen der Stadt und die Wohlfahrt ihrer Bewohner
bietet.
So will ich denn, meine verehrten Herren Kollegen, in
Gottes Namen mit froher Zuverſicht einen neuen Abſchnitt
meines Lebens beginnen. Möge aus weiten
Himmelsſphären Luegers Geiſt ſegnend
auf mich niederſchauen! (Brauſender nicht enden-
wollender Beifall.)
Vorſitzender Vizebürgermeiſter Dr. Porzer erklärt, daß der
Wahlakt an Seine Exzellenz den Herrn Statthalter geleitet
wird, und ſchließt hierauf die Sitzung.
Der neugewählte Bürgermeiſter wurde indes von den Mit-
gliedern der Majorität umringt und in herzlichſter Weiſe be-
glückwünſcht. Auch Gemeinderat Schlechter ſchloß ſich den
Gratulanten an.
Die für heute nachmittag anberaumte Geſchäftsſitzung
des Gemeinderates wurde abgeſagt.
Blätterſtimmen über die Wahl Doktor
Weiskirchners zum Bürgermeiſter.
Der Bürgerklub der chriſtlichſozialen Wiener Ge-
meinderäte hat mit ſeiner Erwählung Dr. Weiskirchners
zum Bürgermeiſterkandidaten wirklich das Richtige ge-
troffen. Wenn noch irgend ein Zweifel be-
ſtehen konnte, der Uniſonoaufſchrei der jüdiſchen Preſſe
vom Adlerhof bis zur Fichtegaſſe beſeitigt ihn. Es iſt ein-
fach herzerhebend und erquickend, alle dieſe unfreiwilligen
Rechtfertigungen und indirekten Belobigungen des Bürger-
klubs zu genießen. Der Bürgerklub hat das getan, was
der Preſſe der geſchworenen Feinde des chriſtlichen
deutſchen Wien am wenigſten gefällt, alſo hat er ſeine
Pflicht erfüllt. Geradezu konſterniert iſt dieſe Preſſe von
der Einigkeit, Geſchloſſenheit und Entſchloſſenheit des
Bürgerklubs, der ſo raſch zu handeln wußte.
Die „Neue Freie Preſſe“ verfällt in ihrer Deſperation
auf den originellen Gedanken, dem neuen Bürger-
meiſter die Schuld an der Kriegs-
gefahr und an allen ihren ſchweren wirtſchaftlichen
Schäden zuzuſchreiben: „Wenn jetzt Millionen und
Millionen von Volksvermögen verloren gegangen ſind;
wenn ſich Wien jetzt mühſelig aus der tiefen wirt-
ſchaftlichen Depreſſion losringt, die von einer Kata-
ſtrophe nicht ſehr weit entfernt war; wenn wieder
die Kriegsgefahr mit allen ihren Schäden für die Be-
völkerung hereingebrochen iſt, ſo muß es nur recht und
billig ſein, daß der Mann, deſſen Politik an all dieſem
Unglück mitſchuldig iſt, zum Bürgermeiſter der Reichs-
hauptſtadt erhoben wird.“ Offenbar war es Weis-
kirchner, der den Bund der vier Balkankönigreiche ge-
gründet und ihren Krieg gegen die Türkei verſchuldet
hat; und Weiskirchner war es zweifellos, der den
militäriſchen Zuſammenbruch der Türkei und ihre Gebiets-
verluſte auf dem Gewiſſen hat, beileibe nicht etwa das
jungtürkiſche Logentum; natürlich war es auch Weiskirch-
ner, der Herrn Paſic zu ſeinen Ueberſchwänglichkeiten ver-
leitet hat, und ſelbſtverſtändlich hat Weiskirchner Rußlands
Mobiliſierungen an unſerer Nordoſtgrenze veranlaßt.
Von welchen Qualitäten muß der Wiener Freiſinn ſein,
daß man ihm mit ſolchen Krampusgeſchichten kommen
darf! Schließlich ſtellt die „N. Fr. Pr.“ die Gretchen-
frage: „Dr. Weiskirchner, was iſt er eigentlich? Iſt er
klerikal? Iſt er deutſchnational? Iſt er chriſtlichſozial?
Niemand kann ganz klare Antwort darauf geben,
niemand kann von dem neuen Bürgermeiſter ein
wirkliches Bekenntnis, ein klares Wort, das die politiſche
Definition des ganzen Mannes gäbe, anführen“. Wenn
dem ſo wäre, warum verfährt denn dann das liberale
Hauptorgan ſo unfreundlich mit dem Gewählten, der,
wenn er nicht klerikal, nicht chriſtlichſozial, nicht
deutſchnational iſt, am Ende gar ein Parteigänger
der Fichtegaſſe iſt? Oh, ooh, oooh! Und dann
fiele ſeine Schuld an der Kriegsgefahr auf die
„N. Fr. Pr.“, und dieſe hätte ſich mit ihren blitz-
blauen Behauptungen ſelber in die Tinte geſetzt. Ach,
wie rührt mich dies!
Die „Arbeiter-Zeitung“ ſtößt den Schreckensruf
aus: „Tisza im Rathauſe!“, gibt den Chriſtlichſozialen
die Schuld an der „Entartung des Wiener Gemeinde-
rates“ durch die Radauſzenen, welche die liberal-ſozial-
demokratiſche Oppoſition jetzt Sitzung für Sitzung auf-
führt, um die Gemeindeautonomie zu untergraben, denn
die chriſtlichſoziale Partei habe die Gemeindeverwaltung
dem Stadtrat und den Ausſchüſſen vorbehalten (wahr
iſt, daß dieſe Einrichtung das Werk der Liberalen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat).
(2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: keine Angabe; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |