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Reichspost. Nr. 595, Wien, 24.12.1912.

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Wien, Montag Reichspost 23. Dezember 1912 Nr. 595

[Spaltenumbruch] und des gewesenen liberalen Statthalters Grafen
Kielmansegg ist und gegen den Protest der damaligen
christlichsozialen Opposition zustande kam!), schwätzt
allerlei von Kontrollosigkeit, Frevel, Verbrechen usw.,
bequemt sich aber schließlich zu den artigen Sätzen:
"Er (Weiskirchner) hat Zeit gehabt, über die bittere
Lehre nachzudenken. Wir wollen sehen, ob er etwas
gelernt hat. In seiner Macht liegt es, den entarteten
Gemeinderat wieder emporzuheben, ihn zu einer ernsten,
unserer Stadt würdigen Körperschaft zu erziehen. Er
kann es jetzt, wenn er nur will.
" --
Nun also.

Der "Morgen" weiß sich keinen andern Rat mehr,
als den der liberal-sozialdemokratischen Opposition,
die mit ihrem Latein zu Ende ist: "Auflösen
heißt die Parole. Der Herr Statthalter hat das Wort!"
Minder naiv äußert sich der ebenso alt-
testamentarische Haß der "Sonn- und Montags-
zeitung":

Man wird in der Annahme kaum irren, daß man in allen
entscheidenden Kreisen der Monarchie, in denen man einst das
günstige Urteil des Dr. Lueger über Dr. Weiskirchner ungeprüft
als richtig annahm, heute dieses Urteil korrigiert hat und über
seine Wahl schwerlich erfreut ist. Das wird allerdings
kein Hindernis für seine Bestätigung
sein und auch die Zeit für eine Auflösung des Gemeinde-
rates ist noch nicht gekommen. Darüber
können nur die Wahlergebnisse ent-
scheiden.
So lange die Christlichsozialen Sieger in den
Wahlen
bleiben, so lange werden sie auch im Rathause
herrschen, wenn sie nicht durch eklatante Mißwirtschaft die
Grundlagen dieser Herrschaft untergraben. Das ist aber selbst
bei großem Leichtsinn unwahrscheinlich, da sie im
Besitze der großen und einträglichen Monopole: Wasser, Gas,
Elektrizität und Lokalverkehr, sind, aus denen ihnen stets reiche
Ressourcen zur Verfügung stehen.

Das Blatt gibt schließlich zu verstehen, daß es das
einzige Heil für die Gegner der Christlichsozialen davon
erwartet, daß sich unter diesen vielleicht doch noch ein
Verräter
finde. Das Schicksal der Ver-
räter und Renegaten aus den Jahren 1910
und 1911 reizt aber nicht zur Nacheiferung
und es dürfte sich schwerlich jemand finden,
den es nach der Rolle gelüstet, die in der "Sonn-
und Montagszeitung" zur Wiederbesetzung ausge-
schrieben ist.

Höchst seltsam ist die Art, in der das offi-
ziöse "Fremdenblatt"
zur Wahl Weiskirchners
Stellung nimmt:

In dem Augenblicke, da der Bürgerklub darüber entschieden
hat, wer an die Spitze des Gemeinwesens treten soll, fällt es
schwer, der zukünftigen Verwaltung Wiens ein Prognostikon zu
stellen. Man muß annehmen, daß die Majorität des Bürger-
klubs sich vorher vergewissert hat, Dr. Weiskirchner werde als
erster Städtevertreter in Hinkunft eine städtische,
konsumenten freundliche
Wirtschaftspolitik be-
treiben, denn mit der Handelspolitik des Handelsmini-
sters
Dr. Weiskirchner konnte auch die Majorität des Ge-
meinderates sich nicht befreunden; eine solche Freundschaft
hätte ja die kommunalen Vertreter der Bevölkerung voll-
kommen entfremdet.
Dr. Weiskirchner glaubt, wie
aus seiner Antrittsrede zu entnehmen ist, daß ihm in den ver-
flossenen Monaten "manches Unrecht widerfahren" ist. Wir
wollen seine Worte dahin interpretieren, daß er bereit ist, zu
beweisen, es wäre unrecht, aus seiner Ver-
gangenheit auf seine Zukunft Schlüsse zu
ziehen.
Wiens Bevölkerung bedarf endlich einer kräftigen
Konsumentenpolitik, um sie von dem Druck einer beispiellosen
Teuerung zu befreien.

Die Handelspolitik Weiskirchners gegen diese verspäteten
offiziösen Partherpfeile zu verteidigen, ist wirklich
überflüssig, aber festgestellt sei, daß Weiskirchners
Handelspolitik die Politik der Kabinetts Bienerth
war, die gerade in den fraglichen Belangen sowohl
vom Kabinett Gautsch als auch von
der gegenwärtigen Regierung ausdrücklich
im Parlament als die einzig mögliche übernommen
wurde. Die Kritik der offiziösen Organ geht
also gegen die Politik der drei Re-
gierungen Bienerth, Gautsch und
Stürgkh,
wobei festzustellen ist, daß allein unter
Bienerth--Weiskirchner tatsächlich argentinisches Fleisch
zur Bekämpfung der Fleischnot nach Wien gekommen
ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu untersuchen, wieso
ein offiziöses Organ urplötzlich zu einem so heftigen
Ausfall gegen die Politik der gegenwärtigen und der
zwei ihr vorausgegangenen Regierungen gelangen konnte.

Die deutschradikale "Ostdeutsche Rundschau" schreibt:

Wenn auch die deutschnationale Bevölkerung
Wiens aus gewichtigen Gründen der Bürgermeistermahl nur
ein sehr bedingtes Vertrauen entgegenbringen kann, so muß sie
die Entscheidung des Bürgerklubs doch mit Genugtuung zur
Kenntnis nehmen ... Die Deutschnationalen Wiens knüpfen an
die begrüßenswerte Beachtung ihres Standpunktes die sichere
Hoffnung, daß der neue Bürgermeister Dr. Weiskirchner, der
gewiß auch in jener Zeit, als er dem Handels-
ministerium vorstand, in nationaler
Beziehung Ersprießliches geleistet hat,

nunmehr flets bestrebt sein wird, die nationalen Anliegen der
Stadt Wien und ihrer deutschen Bevölkerung in jeder Be-
ziehung und mit allem Nachdrucke zu wahren. Wenn wir dem
neuen Bürgermeister und seiner Partei politisch auch als
Gegner gegenüberstehen, so wird diese Gegnerschaft im Falle
der Erfüllung dieser uns[e]rer Hoffnung nie den Rahmen der
Sachlichkeit verlassen. Die unerhörten Vorfälle, die das
jüdisch-sozialdemokratische Bündnis gestern im Gemeinderate
hervorgerufen hat, werden uns in unserer Ansicht nur noch be-
stärken, wenn wir nach wie vor Judentum und Sozial-
demokratie
als die gefährlichsten Feinde des deutschen
Volkes betrachten.




Herrenhaus.

Das Herrenhaus hält seine nächste Sitzung am
Montag den 30. Dezember ab. Auf der
Tagesordnung stehen Berichte über Petitionen (Referent
Graf Franz Walterskirchen) und die Wahl
des neungliedrigen Schiffahrtsausschusses. Die Sitzung
dürfte zur Erledigung des Budgetprovisoriums
vorbereitet sein.


[Spaltenumbruch]
Die Friedenskonferenz.
Bulgarische Warnungen an die Türkei.


"Mir" betont den langsamen Fortgang der Ver-
handlungen der Friedenskonferenz, woran die Ver-
schleppungstaktik
schuld sei, die die Türken
selbst nach ihrer Niederlage nicht aufgegeben
haben.
Das Blatt stellt fest, daß die Hoffnung
der Türket, den Balkanblock durch die
Isolierung Griechenlands oder Ausführung möglicher inter-
nationaler Komplikationen zu zertrümmern, nunmehr ver-
nichtet sei, da Europa durch die Entscheidung der Bot-
schafterreunion bezüglich Albaniens und des kommerziellen
Ausganges Serbiens ans Meer seine Einigkeit in der
Wahrung des Friedens manifestiere.

Wenn also die Türken unter diesen Verhältnissen
einen Abbruch der Friedensverhandlungen pro-
vozieren, wie Nachrichten aus Konstantinopel dies voraus-
zusagen scheinen, so würden die sich daraus ergebenden
Komplikationen ihre Vernichtung herbei-
führen.
Indem die Verbündeten ihre Truppen vor
Tschataldscha zurückhielten, willigten sie in das letzte
Opfer ein, das sie für die Rettung Konstan-
tinopels bringen konnten,
doch würde sie
nach Wiederaufnahme der Feindseligkeiten nichts
mehr zurückhalten können.





Das Reutersche Bureau erfährt: Trotz des durch
die türkischen Delegierten verursachten Aufschubes herrschte
in der Samstagkonferenz die freundschaftlichste Stimmung.
Die Delegierten der Balkanverbündeten hegen den
lebhaften Wunsch, in eine meritorische Erörterung ein-
zugehen. In der heutigen Sitzung wurde deutlich zu
verstehen gegeben, daß die Verzögerungen
aufhören müßten.
Venizelos erklärte, die
die Delegierten seien bereits zehn Tage in London,
ohne daß sie irgendwelche Fortschritte erzielen. Er hob
die Notwendigkeit hervor, praktisch vorzugehen.

Abbruch der Verhandlungen.


Offizielle türkische Kreise erklären, daß die in
London über die gestrige Sitzung der Friedenskonferenz
veröffentliche Version unrichtig sei. Die Wahrheit
sei, daß, nachdem die türkischen Bevollmächtigten
die Approvisionierung Adrianopels
und der anderen belagerten Plätze als Bedin-
gung für die Einbeziehung der griechischen
Delegierten in die Verhandlungen erklärt
hatten, die Balkan-Bevollmächtigten erwiderten, daß
sie angesichts dieses unerwarteten Vorschlages von
ihren Regierungen Instruktionen verlangen müßten. Die
Konserenz sei also nicht durch Verschulden
dertürkischen Delegierten,
die Instruk-
tionen besäßen, sondern durch Verschulden der
Balkandelegierten vertagt worden.

In der morgigen Konferenz würden die türkischen Be-
vollmächtigten auf der Bedingung der
Approvisionierung bestehen
und wahr-
scheinlich erklären, daß sie im Falle der Ablehnung der
Bedingung über den Frieden nicht verhandeln
wollen.
Man befürchtet deshalb, daß morgen der
Abbruch der Verhandlungen erfolgen könnte.

Die finanzielle Wehrkraft Bulgariens.


Die Regierung hat in der Sobranje ein Budget-
provisorium für die Zeit vom 28. Dezember 1912 bis
Ende März 1913 eingebracht, worin die zur Organi-
sation der Finanzverwaltung, der Landwirtschaft und
der Kommunikationsmittel in den neu
gewonnenen Gebieten nötigen Kredite in der Gesamthöhe
von 7 Millionen vorgesehen werden. Bei der
heutigen Beratung des Budgetprovisoriums gab

Finanzminister Theodorow gab einen kurzen
Ueberblick über die finanzielle Lage des Landes und er-
klärte, infolge des Kriegszustandes hätten sich die
Schatzeinnahmen um beiläufig 25
Millionen vermindert,
andererseits werden
die Aufschiebung der in Ausführung begriffenen Ar-
beiten und die Verminderung des Verwaltungspersonales
eine Ersparnis in nahezu gleicher Höhe zur Folge haben,
so daß das Budget ohne Defizit schließen
werde. Dies zeuge von der guten Organisation der bul-
garischen Finanzen. In betreff der außerordentlichen
Kredite stellte der Minister fest, daß, abgesehen von den
84 Millionen, die im September votiert worden seien und
den 50 Millionen, die nun mehr angefordert
werden,
die Regierung zur Bezahlung von Gegen-
ständen, die im Requisitionswege beschafft worden
sind, rund 150 Millionen nötig haben
werde. Alle diese Kredite werden
durch eine Anleihe gedeckt werden,
die nach dem Kriege abzuschließen
sein werde.
Der Stand des Staatsschatzes ist, er-
klärt Redner, zum mindesten zufriedenstellend, dank der
wirtschaftlichen Kraft des Landes, welches wegen seines
agrarischen Charakters imstande ist, im Falle eines
Krieges aus eigenen Mitteln alles zu liefern, was
für die Bedürfnisse der Armee notwendig ist.
Abgesehen von den 25 Millionen Schatzscheinen, die
für Eisenbahnbauten und Anschaffung von rollendem
Material bereits emittiert worden sind, habe die Re-
gierung Schatzscheine im Betrage von 65 Millionen zu
sehr guten Bedingungen im Auslande placiert. Dank
[Spaltenumbruch] diesem zufriedenstellenden Stande der Dinge erklärte
der Minister, ist die Armee nunmehr mit Waffen und
Munition reichlich versehen und kann, wie
ich bereits betont habe, den Krieg, wenn es nötig ist,
noch durch 6 Monate fortsetzen. (Lebhafter
Beifall.)



Oesterreich-Ungarn und Serbien.

Hier wird in den politischen Kreisen folgende
Formel aufgestellt: Es ist nicht richtig, daß der Kon-
flikt mit Oesterreich schon gelöst sei. Die Situation ist,
daß Serbien seine Minimalforde-
rungen mit jenen Oesterreichs in
Einklang zu bringen trachtet.
Man
wird erst sehen, ob dies möglich ist.

Die Regierung hat alle Chefredakteure der
Belgrader Blätter vorgeladen und ihnen ernste Vor-
stellungen über die Schreibweise gegen die österreichisch-
ungarische Monarchie gemacht. Die Redakteure wurden
ersucht, auf keinen Fall mehr diesen Ton zu verfolgen.
Die Redakteure nahmen dies zur Kenntnis und ist tat-
sächlich jetzt ein geziemenderer Ton in den Artikeln zu
beobachten.


Die serbische Regierung hat in Böhmen 100.000
Paar Opanken bestellt. Die Bestellungen wurden in
Böhmen angenommen und werden auch ausgeführt
werden.




Der gewesene Sekretär des Zaren
über Rußland und Oesterreich.

Das Petersburger Tagblatt "S. Pet. Wiedomosti",
das Organ des Fürsten Uchtomskij, des gewesenen persön-
lichen Sekretärs des Zaren Nikolaus veröffentlichte, (in der
Nr. 268) einen längeren Aufsatz, in dem dieser vor der
Identifizierung der russischen Interessen mit den serbischen
und vor dem Kriege mit Oesterreich warnt. Diesem sehr
interessanten Artikel entnehmen wir:

"Wir müssen unsere Interessen mit den serbischen
Interessen ganz identifizieren... Wir müssen immer und
überall beweisen, daß wir unerschrockene Verteidiger der
serbischen Interessen sind..." So schreiben und schreien
die russischen Chauvinisten, die russischen Serbophilen, die
aber dabei keine Slavophilen sind. Nach meiner Ansicht
muß man im jetzigen für alle Slaven kritischen Momente
das slavische Geschäft von der slavischen histori-
schen Mission, die Sympathien zu den Serben von den
Sympathien zu den Slaven unterscheiden. Durazzo und
andere spezielle serbische Interessen sind ein slavisches Ge-
schäft, das künstlich mit einem Nimbus der slavischen
Mission umgeben wurde. Rußland sucht schon viele Jahre
lang den Zugang zu einem nicht zufrierenden Meere und
an das Tor Konstantinopels beabsichtigte schon Oleg
seinen Schild anzuschlagen. Hat sich Serbien an diesen rein
russischen Interessen beteiligt? Hat es nur einen Tropfen
Blut oder nur eine Kupfermünze zur Verwirklichung dieser
russischen Interessen geopfert? Hat uns Serbien vielleicht
Sympathien während unseres unglücklichen Krieges mit
Japan gezeigt? Obwohl dieser Krieg auch wegen historischer russi-
scher Interessen (Zugang zum nicht zufrierenden Meere) geführt
wurde? Identifizierte Serbien damals seine Interessen mit
den russischen? Wir haben davon nichts gehört. Dafür
jedoch hörten wir aus einer verläßlichen Quelle, daß
ein balkanischer slavischer Prinz nach
Mukden und Tschusima auf die Gesundheit
der Sieger trank
....

Der Krieg mit Oesterreich, der unvermeidlich
einen allgemeinen europäischen Zusammenstoß hervorrufen
würde, scheint dem vom Alkohol verbrannten
Gehirne unserer Chauvinisten
nur eine
Militärparade zu sein. -- "Die Oesterreicher haben
Kanonen von Bronze" -- rufen die vom Alkohol stotternden
Zungen. Und bei unseren Chauvinisten ist das Gehirn
von Bronze, könnte man ihnen zur Antwort geben. Seit
der Zeit, da Kuropatkin unsere Unüberwindlichkeit (!) im
fernen Osten so glänzend dokumentierte, obwohl die
japanische Armee von uns nur eine Schar der Zwergen
genannt wurde -- überhaupt noch von unserer Bereitschaft
zum Kriege zu reden und die Macht des Feindes zu unter-
schätzen, ist blöd. Mir ist z. B. sehr gut bekannt, daß
die österreichische Infanterie, die an
der russischen Grenze höchstwahrscheinlich nur als Gegen-
gewicht steht, außer den Bronzekanonen auch gute
Maschinengewehr
hat, welche 80 Patronen in
einer Minute -- und vielleicht noch mehr -- entladen und
daß die Gattung dieser Maschinengewehre ein Geheimnis
der Oesterreicher ist. Und überhaupt ich glaube, daß
Oesterreich in militär-technischer Hinsicht
uns Russen weit voran ist. ....

Es handelt sich aber auch um etwas anderes.
Schon der Gedanke von der Identifizierung der russischen
Interessen mit den Interessen des Herrn
Pasic ist odios.
Bei uns in Rußland gibt es
hundert Millionen Bewohner, die nicht lesen und nicht
schreiben können, bei uns gibt es eine untereinander
kämpfende, gegenseitig sich auffressende Intelligenz, bei
uns ist die Revolution überall, in unseren Dörfern
herrscht Hunger, Trunksucht, Sittenlosigkeit, und in den
Städten Gemeinheit und Wildheit, bei uns ist kein klares
Regime, es gibt keinen richtigen Begriff von Volkstum und
Vaterland, wir haben keine Grundsätze und keine richtigen
Leute für wichtige Arbeiten und Stellen, bei uns ist im

Wien, Montag Reichspoſt 23. Dezember 1912 Nr. 595

[Spaltenumbruch] und des geweſenen liberalen Statthalters Grafen
Kielmansegg iſt und gegen den Proteſt der damaligen
chriſtlichſozialen Oppoſition zuſtande kam!), ſchwätzt
allerlei von Kontrolloſigkeit, Frevel, Verbrechen uſw.,
bequemt ſich aber ſchließlich zu den artigen Sätzen:
„Er (Weiskirchner) hat Zeit gehabt, über die bittere
Lehre nachzudenken. Wir wollen ſehen, ob er etwas
gelernt hat. In ſeiner Macht liegt es, den entarteten
Gemeinderat wieder emporzuheben, ihn zu einer ernſten,
unſerer Stadt würdigen Körperſchaft zu erziehen. Er
kann es jetzt, wenn er nur will.
“ —
Nun alſo.

Der „Morgen“ weiß ſich keinen andern Rat mehr,
als den der liberal-ſozialdemokratiſchen Oppoſition,
die mit ihrem Latein zu Ende iſt: „Auflöſen
heißt die Parole. Der Herr Statthalter hat das Wort!“
Minder naiv äußert ſich der ebenſo alt-
teſtamentariſche Haß der „Sonn- und Montags-
zeitung“:

Man wird in der Annahme kaum irren, daß man in allen
entſcheidenden Kreiſen der Monarchie, in denen man einſt das
günſtige Urteil des Dr. Lueger über Dr. Weiskirchner ungeprüft
als richtig annahm, heute dieſes Urteil korrigiert hat und über
ſeine Wahl ſchwerlich erfreut iſt. Das wird allerdings
kein Hindernis für ſeine Beſtätigung
ſein und auch die Zeit für eine Auflöſung des Gemeinde-
rates iſt noch nicht gekommen. Darüber
können nur die Wahlergebniſſe ent-
ſcheiden.
So lange die Chriſtlichſozialen Sieger in den
Wahlen
bleiben, ſo lange werden ſie auch im Rathauſe
herrſchen, wenn ſie nicht durch eklatante Mißwirtſchaft die
Grundlagen dieſer Herrſchaft untergraben. Das iſt aber ſelbſt
bei großem Leichtſinn unwahrſcheinlich, da ſie im
Beſitze der großen und einträglichen Monopole: Waſſer, Gas,
Elektrizität und Lokalverkehr, ſind, aus denen ihnen ſtets reiche
Reſſourcen zur Verfügung ſtehen.

Das Blatt gibt ſchließlich zu verſtehen, daß es das
einzige Heil für die Gegner der Chriſtlichſozialen davon
erwartet, daß ſich unter dieſen vielleicht doch noch ein
Verräter
finde. Das Schickſal der Ver-
räter und Renegaten aus den Jahren 1910
und 1911 reizt aber nicht zur Nacheiferung
und es dürfte ſich ſchwerlich jemand finden,
den es nach der Rolle gelüſtet, die in der „Sonn-
und Montagszeitung“ zur Wiederbeſetzung ausge-
ſchrieben iſt.

Höchſt ſeltſam iſt die Art, in der das offi-
ziöſe „Fremdenblatt“
zur Wahl Weiskirchners
Stellung nimmt:

In dem Augenblicke, da der Bürgerklub darüber entſchieden
hat, wer an die Spitze des Gemeinweſens treten ſoll, fällt es
ſchwer, der zukünftigen Verwaltung Wiens ein Prognoſtikon zu
ſtellen. Man muß annehmen, daß die Majorität des Bürger-
klubs ſich vorher vergewiſſert hat, Dr. Weiskirchner werde als
erſter Städtevertreter in Hinkunft eine ſtädtiſche,
konſumenten freundliche
Wirtſchaftspolitik be-
treiben, denn mit der Handelspolitik des Handelsmini-
ſters
Dr. Weiskirchner konnte auch die Majorität des Ge-
meinderates ſich nicht befreunden; eine ſolche Freundſchaft
hätte ja die kommunalen Vertreter der Bevölkerung voll-
kommen entfremdet.
Dr. Weiskirchner glaubt, wie
aus ſeiner Antrittsrede zu entnehmen iſt, daß ihm in den ver-
floſſenen Monaten „manches Unrecht widerfahren“ iſt. Wir
wollen ſeine Worte dahin interpretieren, daß er bereit iſt, zu
beweiſen, es wäre unrecht, aus ſeiner Ver-
gangenheit auf ſeine Zukunft Schlüſſe zu
ziehen.
Wiens Bevölkerung bedarf endlich einer kräftigen
Konſumentenpolitik, um ſie von dem Druck einer beiſpielloſen
Teuerung zu befreien.

Die Handelspolitik Weiskirchners gegen dieſe verſpäteten
offiziöſen Partherpfeile zu verteidigen, iſt wirklich
überflüſſig, aber feſtgeſtellt ſei, daß Weiskirchners
Handelspolitik die Politik der Kabinetts Bienerth
war, die gerade in den fraglichen Belangen ſowohl
vom Kabinett Gautſch als auch von
der gegenwärtigen Regierung ausdrücklich
im Parlament als die einzig mögliche übernommen
wurde. Die Kritik der offiziöſen Organ geht
alſo gegen die Politik der drei Re-
gierungen Bienerth, Gautſch und
Stürgkh,
wobei feſtzuſtellen iſt, daß allein unter
Bienerth—Weiskirchner tatſächlich argentiniſches Fleiſch
zur Bekämpfung der Fleiſchnot nach Wien gekommen
iſt. Es iſt nicht unſere Aufgabe, zu unterſuchen, wieſo
ein offiziöſes Organ urplötzlich zu einem ſo heftigen
Ausfall gegen die Politik der gegenwärtigen und der
zwei ihr vorausgegangenen Regierungen gelangen konnte.

Die deutſchradikale „Oſtdeutſche Rundſchau“ ſchreibt:

Wenn auch die deutſchnationale Bevölkerung
Wiens aus gewichtigen Gründen der Bürgermeiſtermahl nur
ein ſehr bedingtes Vertrauen entgegenbringen kann, ſo muß ſie
die Entſcheidung des Bürgerklubs doch mit Genugtuung zur
Kenntnis nehmen ... Die Deutſchnationalen Wiens knüpfen an
die begrüßenswerte Beachtung ihres Standpunktes die ſichere
Hoffnung, daß der neue Bürgermeiſter Dr. Weiskirchner, der
gewiß auch in jener Zeit, als er dem Handels-
miniſterium vorſtand, in nationaler
Beziehung Erſprießliches geleiſtet hat,

nunmehr flets beſtrebt ſein wird, die nationalen Anliegen der
Stadt Wien und ihrer deutſchen Bevölkerung in jeder Be-
ziehung und mit allem Nachdrucke zu wahren. Wenn wir dem
neuen Bürgermeiſter und ſeiner Partei politiſch auch als
Gegner gegenüberſtehen, ſo wird dieſe Gegnerſchaft im Falle
der Erfüllung dieſer unſ[e]rer Hoffnung nie den Rahmen der
Sachlichkeit verlaſſen. Die unerhörten Vorfälle, die das
jüdiſch-ſozialdemokratiſche Bündnis geſtern im Gemeinderate
hervorgerufen hat, werden uns in unſerer Anſicht nur noch be-
ſtärken, wenn wir nach wie vor Judentum und Sozial-
demokratie
als die gefährlichſten Feinde des deutſchen
Volkes betrachten.




Herrenhaus.

Das Herrenhaus hält ſeine nächſte Sitzung am
Montag den 30. Dezember ab. Auf der
Tagesordnung ſtehen Berichte über Petitionen (Referent
Graf Franz Walterskirchen) und die Wahl
des neungliedrigen Schiffahrtsausſchuſſes. Die Sitzung
dürfte zur Erledigung des Budgetproviſoriums
vorbereitet ſein.


[Spaltenumbruch]
Die Friedenskonferenz.
Bulgariſche Warnungen an die Türkei.


„Mir“ betont den langſamen Fortgang der Ver-
handlungen der Friedenskonferenz, woran die Ver-
ſchleppungstaktik
ſchuld ſei, die die Türken
ſelbſt nach ihrer Niederlage nicht aufgegeben
haben.
Das Blatt ſtellt feſt, daß die Hoffnung
der Türket, den Balkanblock durch die
Iſolierung Griechenlands oder Ausführung möglicher inter-
nationaler Komplikationen zu zertrümmern, nunmehr ver-
nichtet ſei, da Europa durch die Entſcheidung der Bot-
ſchafterreunion bezüglich Albaniens und des kommerziellen
Ausganges Serbiens ans Meer ſeine Einigkeit in der
Wahrung des Friedens manifeſtiere.

Wenn alſo die Türken unter dieſen Verhältniſſen
einen Abbruch der Friedensverhandlungen pro-
vozieren, wie Nachrichten aus Konſtantinopel dies voraus-
zuſagen ſcheinen, ſo würden die ſich daraus ergebenden
Komplikationen ihre Vernichtung herbei-
führen.
Indem die Verbündeten ihre Truppen vor
Tſchataldſcha zurückhielten, willigten ſie in das letzte
Opfer ein, das ſie für die Rettung Konſtan-
tinopels bringen konnten,
doch würde ſie
nach Wiederaufnahme der Feindſeligkeiten nichts
mehr zurückhalten können.





Das Reuterſche Bureau erfährt: Trotz des durch
die türkiſchen Delegierten verurſachten Aufſchubes herrſchte
in der Samstagkonferenz die freundſchaftlichſte Stimmung.
Die Delegierten der Balkanverbündeten hegen den
lebhaften Wunſch, in eine meritoriſche Erörterung ein-
zugehen. In der heutigen Sitzung wurde deutlich zu
verſtehen gegeben, daß die Verzögerungen
aufhören müßten.
Venizelos erklärte, die
die Delegierten ſeien bereits zehn Tage in London,
ohne daß ſie irgendwelche Fortſchritte erzielen. Er hob
die Notwendigkeit hervor, praktiſch vorzugehen.

Abbruch der Verhandlungen.


Offizielle türkiſche Kreiſe erklären, daß die in
London über die geſtrige Sitzung der Friedenskonferenz
veröffentliche Verſion unrichtig ſei. Die Wahrheit
ſei, daß, nachdem die türkiſchen Bevollmächtigten
die Approviſionierung Adrianopels
und der anderen belagerten Plätze als Bedin-
gung für die Einbeziehung der griechiſchen
Delegierten in die Verhandlungen erklärt
hatten, die Balkan-Bevollmächtigten erwiderten, daß
ſie angeſichts dieſes unerwarteten Vorſchlages von
ihren Regierungen Inſtruktionen verlangen müßten. Die
Konſerenz ſei alſo nicht durch Verſchulden
dertürkiſchen Delegierten,
die Inſtruk-
tionen beſäßen, ſondern durch Verſchulden der
Balkandelegierten vertagt worden.

In der morgigen Konferenz würden die türkiſchen Be-
vollmächtigten auf der Bedingung der
Approviſionierung beſtehen
und wahr-
ſcheinlich erklären, daß ſie im Falle der Ablehnung der
Bedingung über den Frieden nicht verhandeln
wollen.
Man befürchtet deshalb, daß morgen der
Abbruch der Verhandlungen erfolgen könnte.

Die finanzielle Wehrkraft Bulgariens.


Die Regierung hat in der Sobranje ein Budget-
proviſorium für die Zeit vom 28. Dezember 1912 bis
Ende März 1913 eingebracht, worin die zur Organi-
ſation der Finanzverwaltung, der Landwirtſchaft und
der Kommunikationsmittel in den neu
gewonnenen Gebieten nötigen Kredite in der Geſamthöhe
von 7 Millionen vorgeſehen werden. Bei der
heutigen Beratung des Budgetproviſoriums gab

Finanzminiſter Theodorow gab einen kurzen
Ueberblick über die finanzielle Lage des Landes und er-
klärte, infolge des Kriegszuſtandes hätten ſich die
Schatzeinnahmen um beiläufig 25
Millionen vermindert,
andererſeits werden
die Aufſchiebung der in Ausführung begriffenen Ar-
beiten und die Verminderung des Verwaltungsperſonales
eine Erſparnis in nahezu gleicher Höhe zur Folge haben,
ſo daß das Budget ohne Defizit ſchließen
werde. Dies zeuge von der guten Organiſation der bul-
gariſchen Finanzen. In betreff der außerordentlichen
Kredite ſtellte der Miniſter feſt, daß, abgeſehen von den
84 Millionen, die im September votiert worden ſeien und
den 50 Millionen, die nun mehr angefordert
werden,
die Regierung zur Bezahlung von Gegen-
ſtänden, die im Requiſitionswege beſchafft worden
ſind, rund 150 Millionen nötig haben
werde. Alle dieſe Kredite werden
durch eine Anleihe gedeckt werden,
die nach dem Kriege abzuſchließen
ſein werde.
Der Stand des Staatsſchatzes iſt, er-
klärt Redner, zum mindeſten zufriedenſtellend, dank der
wirtſchaftlichen Kraft des Landes, welches wegen ſeines
agrariſchen Charakters imſtande iſt, im Falle eines
Krieges aus eigenen Mitteln alles zu liefern, was
für die Bedürfniſſe der Armee notwendig iſt.
Abgeſehen von den 25 Millionen Schatzſcheinen, die
für Eiſenbahnbauten und Anſchaffung von rollendem
Material bereits emittiert worden ſind, habe die Re-
gierung Schatzſcheine im Betrage von 65 Millionen zu
ſehr guten Bedingungen im Auslande placiert. Dank
[Spaltenumbruch] dieſem zufriedenſtellenden Stande der Dinge erklärte
der Miniſter, iſt die Armee nunmehr mit Waffen und
Munition reichlich verſehen und kann, wie
ich bereits betont habe, den Krieg, wenn es nötig iſt,
noch durch 6 Monate fortſetzen. (Lebhafter
Beifall.)



Oeſterreich-Ungarn und Serbien.

Hier wird in den politiſchen Kreiſen folgende
Formel aufgeſtellt: Es iſt nicht richtig, daß der Kon-
flikt mit Oeſterreich ſchon gelöſt ſei. Die Situation iſt,
daß Serbien ſeine Minimalforde-
rungen mit jenen Oeſterreichs in
Einklang zu bringen trachtet.
Man
wird erſt ſehen, ob dies möglich iſt.

Die Regierung hat alle Chefredakteure der
Belgrader Blätter vorgeladen und ihnen ernſte Vor-
ſtellungen über die Schreibweiſe gegen die öſterreichiſch-
ungariſche Monarchie gemacht. Die Redakteure wurden
erſucht, auf keinen Fall mehr dieſen Ton zu verfolgen.
Die Redakteure nahmen dies zur Kenntnis und iſt tat-
ſächlich jetzt ein geziemenderer Ton in den Artikeln zu
beobachten.


Die ſerbiſche Regierung hat in Böhmen 100.000
Paar Opanken beſtellt. Die Beſtellungen wurden in
Böhmen angenommen und werden auch ausgeführt
werden.




Der geweſene Sekretär des Zaren
über Rußland und Oeſterreich.

Das Petersburger Tagblatt „S. Pet. Wiedomoſti“,
das Organ des Fürſten Uchtomskij, des geweſenen perſön-
lichen Sekretärs des Zaren Nikolaus veröffentlichte, (in der
Nr. 268) einen längeren Aufſatz, in dem dieſer vor der
Identifizierung der ruſſiſchen Intereſſen mit den ſerbiſchen
und vor dem Kriege mit Oeſterreich warnt. Dieſem ſehr
intereſſanten Artikel entnehmen wir:

„Wir müſſen unſere Intereſſen mit den ſerbiſchen
Intereſſen ganz identifizieren... Wir müſſen immer und
überall beweiſen, daß wir unerſchrockene Verteidiger der
ſerbiſchen Intereſſen ſind...“ So ſchreiben und ſchreien
die ruſſiſchen Chauviniſten, die ruſſiſchen Serbophilen, die
aber dabei keine Slavophilen ſind. Nach meiner Anſicht
muß man im jetzigen für alle Slaven kritiſchen Momente
das ſlaviſche Geſchäft von der ſlaviſchen hiſtori-
ſchen Miſſion, die Sympathien zu den Serben von den
Sympathien zu den Slaven unterſcheiden. Durazzo und
andere ſpezielle ſerbiſche Intereſſen ſind ein ſlaviſches Ge-
ſchäft, das künſtlich mit einem Nimbus der ſlaviſchen
Miſſion umgeben wurde. Rußland ſucht ſchon viele Jahre
lang den Zugang zu einem nicht zufrierenden Meere und
an das Tor Konſtantinopels beabſichtigte ſchon Oleg
ſeinen Schild anzuſchlagen. Hat ſich Serbien an dieſen rein
ruſſiſchen Intereſſen beteiligt? Hat es nur einen Tropfen
Blut oder nur eine Kupfermünze zur Verwirklichung dieſer
ruſſiſchen Intereſſen geopfert? Hat uns Serbien vielleicht
Sympathien während unſeres unglücklichen Krieges mit
Japan gezeigt? Obwohl dieſer Krieg auch wegen hiſtoriſcher ruſſi-
ſcher Intereſſen (Zugang zum nicht zufrierenden Meere) geführt
wurde? Identifizierte Serbien damals ſeine Intereſſen mit
den ruſſiſchen? Wir haben davon nichts gehört. Dafür
jedoch hörten wir aus einer verläßlichen Quelle, daß
ein balkaniſcher ſlaviſcher Prinz nach
Mukden und Tſchuſima auf die Geſundheit
der Sieger trank
....

Der Krieg mit Oeſterreich, der unvermeidlich
einen allgemeinen europäiſchen Zuſammenſtoß hervorrufen
würde, ſcheint dem vom Alkohol verbrannten
Gehirne unſerer Chauviniſten
nur eine
Militärparade zu ſein. — „Die Oeſterreicher haben
Kanonen von Bronze“ — rufen die vom Alkohol ſtotternden
Zungen. Und bei unſeren Chauviniſten iſt das Gehirn
von Bronze, könnte man ihnen zur Antwort geben. Seit
der Zeit, da Kuropatkin unſere Unüberwindlichkeit (!) im
fernen Oſten ſo glänzend dokumentierte, obwohl die
japaniſche Armee von uns nur eine Schar der Zwergen
genannt wurde — überhaupt noch von unſerer Bereitſchaft
zum Kriege zu reden und die Macht des Feindes zu unter-
ſchätzen, iſt blöd. Mir iſt z. B. ſehr gut bekannt, daß
die öſterreichiſche Infanterie, die an
der ruſſiſchen Grenze höchſtwahrſcheinlich nur als Gegen-
gewicht ſteht, außer den Bronzekanonen auch gute
Maſchinengewehr
hat, welche 80 Patronen in
einer Minute — und vielleicht noch mehr — entladen und
daß die Gattung dieſer Maſchinengewehre ein Geheimnis
der Oeſterreicher iſt. Und überhaupt ich glaube, daß
Oeſterreich in militär-techniſcher Hinſicht
uns Ruſſen weit voran iſt. ....

Es handelt ſich aber auch um etwas anderes.
Schon der Gedanke von der Identifizierung der ruſſiſchen
Intereſſen mit den Intereſſen des Herrn
Paſic iſt odios.
Bei uns in Rußland gibt es
hundert Millionen Bewohner, die nicht leſen und nicht
ſchreiben können, bei uns gibt es eine untereinander
kämpfende, gegenſeitig ſich auffreſſende Intelligenz, bei
uns iſt die Revolution überall, in unſeren Dörfern
herrſcht Hunger, Trunkſucht, Sittenloſigkeit, und in den
Städten Gemeinheit und Wildheit, bei uns iſt kein klares
Regime, es gibt keinen richtigen Begriff von Volkstum und
Vaterland, wir haben keine Grundſätze und keine richtigen
Leute für wichtige Arbeiten und Stellen, bei uns iſt im

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[2/0002] Wien, Montag Reichspoſt 23. Dezember 1912 Nr. 595 und des geweſenen liberalen Statthalters Grafen Kielmansegg iſt und gegen den Proteſt der damaligen chriſtlichſozialen Oppoſition zuſtande kam!), ſchwätzt allerlei von Kontrolloſigkeit, Frevel, Verbrechen uſw., bequemt ſich aber ſchließlich zu den artigen Sätzen: „Er (Weiskirchner) hat Zeit gehabt, über die bittere Lehre nachzudenken. Wir wollen ſehen, ob er etwas gelernt hat. In ſeiner Macht liegt es, den entarteten Gemeinderat wieder emporzuheben, ihn zu einer ernſten, unſerer Stadt würdigen Körperſchaft zu erziehen. Er kann es jetzt, wenn er nur will.“ — Nun alſo. Der „Morgen“ weiß ſich keinen andern Rat mehr, als den der liberal-ſozialdemokratiſchen Oppoſition, die mit ihrem Latein zu Ende iſt: „Auflöſen heißt die Parole. Der Herr Statthalter hat das Wort!“ Minder naiv äußert ſich der ebenſo alt- teſtamentariſche Haß der „Sonn- und Montags- zeitung“: Man wird in der Annahme kaum irren, daß man in allen entſcheidenden Kreiſen der Monarchie, in denen man einſt das günſtige Urteil des Dr. Lueger über Dr. Weiskirchner ungeprüft als richtig annahm, heute dieſes Urteil korrigiert hat und über ſeine Wahl ſchwerlich erfreut iſt. Das wird allerdings kein Hindernis für ſeine Beſtätigung ſein und auch die Zeit für eine Auflöſung des Gemeinde- rates iſt noch nicht gekommen. Darüber können nur die Wahlergebniſſe ent- ſcheiden. So lange die Chriſtlichſozialen Sieger in den Wahlen bleiben, ſo lange werden ſie auch im Rathauſe herrſchen, wenn ſie nicht durch eklatante Mißwirtſchaft die Grundlagen dieſer Herrſchaft untergraben. Das iſt aber ſelbſt bei großem Leichtſinn unwahrſcheinlich, da ſie im Beſitze der großen und einträglichen Monopole: Waſſer, Gas, Elektrizität und Lokalverkehr, ſind, aus denen ihnen ſtets reiche Reſſourcen zur Verfügung ſtehen. Das Blatt gibt ſchließlich zu verſtehen, daß es das einzige Heil für die Gegner der Chriſtlichſozialen davon erwartet, daß ſich unter dieſen vielleicht doch noch ein Verräter finde. Das Schickſal der Ver- räter und Renegaten aus den Jahren 1910 und 1911 reizt aber nicht zur Nacheiferung und es dürfte ſich ſchwerlich jemand finden, den es nach der Rolle gelüſtet, die in der „Sonn- und Montagszeitung“ zur Wiederbeſetzung ausge- ſchrieben iſt. Höchſt ſeltſam iſt die Art, in der das offi- ziöſe „Fremdenblatt“ zur Wahl Weiskirchners Stellung nimmt: In dem Augenblicke, da der Bürgerklub darüber entſchieden hat, wer an die Spitze des Gemeinweſens treten ſoll, fällt es ſchwer, der zukünftigen Verwaltung Wiens ein Prognoſtikon zu ſtellen. Man muß annehmen, daß die Majorität des Bürger- klubs ſich vorher vergewiſſert hat, Dr. Weiskirchner werde als erſter Städtevertreter in Hinkunft eine ſtädtiſche, konſumenten freundliche Wirtſchaftspolitik be- treiben, denn mit der Handelspolitik des Handelsmini- ſters Dr. Weiskirchner konnte auch die Majorität des Ge- meinderates ſich nicht befreunden; eine ſolche Freundſchaft hätte ja die kommunalen Vertreter der Bevölkerung voll- kommen entfremdet. Dr. Weiskirchner glaubt, wie aus ſeiner Antrittsrede zu entnehmen iſt, daß ihm in den ver- floſſenen Monaten „manches Unrecht widerfahren“ iſt. Wir wollen ſeine Worte dahin interpretieren, daß er bereit iſt, zu beweiſen, es wäre unrecht, aus ſeiner Ver- gangenheit auf ſeine Zukunft Schlüſſe zu ziehen. Wiens Bevölkerung bedarf endlich einer kräftigen Konſumentenpolitik, um ſie von dem Druck einer beiſpielloſen Teuerung zu befreien. Die Handelspolitik Weiskirchners gegen dieſe verſpäteten offiziöſen Partherpfeile zu verteidigen, iſt wirklich überflüſſig, aber feſtgeſtellt ſei, daß Weiskirchners Handelspolitik die Politik der Kabinetts Bienerth war, die gerade in den fraglichen Belangen ſowohl vom Kabinett Gautſch als auch von der gegenwärtigen Regierung ausdrücklich im Parlament als die einzig mögliche übernommen wurde. Die Kritik der offiziöſen Organ geht alſo gegen die Politik der drei Re- gierungen Bienerth, Gautſch und Stürgkh, wobei feſtzuſtellen iſt, daß allein unter Bienerth—Weiskirchner tatſächlich argentiniſches Fleiſch zur Bekämpfung der Fleiſchnot nach Wien gekommen iſt. Es iſt nicht unſere Aufgabe, zu unterſuchen, wieſo ein offiziöſes Organ urplötzlich zu einem ſo heftigen Ausfall gegen die Politik der gegenwärtigen und der zwei ihr vorausgegangenen Regierungen gelangen konnte. Die deutſchradikale „Oſtdeutſche Rundſchau“ ſchreibt: Wenn auch die deutſchnationale Bevölkerung Wiens aus gewichtigen Gründen der Bürgermeiſtermahl nur ein ſehr bedingtes Vertrauen entgegenbringen kann, ſo muß ſie die Entſcheidung des Bürgerklubs doch mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen ... Die Deutſchnationalen Wiens knüpfen an die begrüßenswerte Beachtung ihres Standpunktes die ſichere Hoffnung, daß der neue Bürgermeiſter Dr. Weiskirchner, der gewiß auch in jener Zeit, als er dem Handels- miniſterium vorſtand, in nationaler Beziehung Erſprießliches geleiſtet hat, nunmehr flets beſtrebt ſein wird, die nationalen Anliegen der Stadt Wien und ihrer deutſchen Bevölkerung in jeder Be- ziehung und mit allem Nachdrucke zu wahren. Wenn wir dem neuen Bürgermeiſter und ſeiner Partei politiſch auch als Gegner gegenüberſtehen, ſo wird dieſe Gegnerſchaft im Falle der Erfüllung dieſer unſerer Hoffnung nie den Rahmen der Sachlichkeit verlaſſen. Die unerhörten Vorfälle, die das jüdiſch-ſozialdemokratiſche Bündnis geſtern im Gemeinderate hervorgerufen hat, werden uns in unſerer Anſicht nur noch be- ſtärken, wenn wir nach wie vor Judentum und Sozial- demokratie als die gefährlichſten Feinde des deutſchen Volkes betrachten. Herrenhaus. Das Herrenhaus hält ſeine nächſte Sitzung am Montag den 30. Dezember ab. Auf der Tagesordnung ſtehen Berichte über Petitionen (Referent Graf Franz Walterskirchen) und die Wahl des neungliedrigen Schiffahrtsausſchuſſes. Die Sitzung dürfte zur Erledigung des Budgetproviſoriums vorbereitet ſein. Die Friedenskonferenz. Bulgariſche Warnungen an die Türkei. Sofia, 22. Dezember. „Mir“ betont den langſamen Fortgang der Ver- handlungen der Friedenskonferenz, woran die Ver- ſchleppungstaktik ſchuld ſei, die die Türken ſelbſt nach ihrer Niederlage nicht aufgegeben haben. Das Blatt ſtellt feſt, daß die Hoffnung der Türket, den Balkanblock durch die Iſolierung Griechenlands oder Ausführung möglicher inter- nationaler Komplikationen zu zertrümmern, nunmehr ver- nichtet ſei, da Europa durch die Entſcheidung der Bot- ſchafterreunion bezüglich Albaniens und des kommerziellen Ausganges Serbiens ans Meer ſeine Einigkeit in der Wahrung des Friedens manifeſtiere. Wenn alſo die Türken unter dieſen Verhältniſſen einen Abbruch der Friedensverhandlungen pro- vozieren, wie Nachrichten aus Konſtantinopel dies voraus- zuſagen ſcheinen, ſo würden die ſich daraus ergebenden Komplikationen ihre Vernichtung herbei- führen. Indem die Verbündeten ihre Truppen vor Tſchataldſcha zurückhielten, willigten ſie in das letzte Opfer ein, das ſie für die Rettung Konſtan- tinopels bringen konnten, doch würde ſie nach Wiederaufnahme der Feindſeligkeiten nichts mehr zurückhalten können. London, 21. Dezember. Das Reuterſche Bureau erfährt: Trotz des durch die türkiſchen Delegierten verurſachten Aufſchubes herrſchte in der Samstagkonferenz die freundſchaftlichſte Stimmung. Die Delegierten der Balkanverbündeten hegen den lebhaften Wunſch, in eine meritoriſche Erörterung ein- zugehen. In der heutigen Sitzung wurde deutlich zu verſtehen gegeben, daß die Verzögerungen aufhören müßten. Venizelos erklärte, die die Delegierten ſeien bereits zehn Tage in London, ohne daß ſie irgendwelche Fortſchritte erzielen. Er hob die Notwendigkeit hervor, praktiſch vorzugehen. Abbruch der Verhandlungen. Konſtantinopel, 22. Dezember. Offizielle türkiſche Kreiſe erklären, daß die in London über die geſtrige Sitzung der Friedenskonferenz veröffentliche Verſion unrichtig ſei. Die Wahrheit ſei, daß, nachdem die türkiſchen Bevollmächtigten die Approviſionierung Adrianopels und der anderen belagerten Plätze als Bedin- gung für die Einbeziehung der griechiſchen Delegierten in die Verhandlungen erklärt hatten, die Balkan-Bevollmächtigten erwiderten, daß ſie angeſichts dieſes unerwarteten Vorſchlages von ihren Regierungen Inſtruktionen verlangen müßten. Die Konſerenz ſei alſo nicht durch Verſchulden dertürkiſchen Delegierten, die Inſtruk- tionen beſäßen, ſondern durch Verſchulden der Balkandelegierten vertagt worden. In der morgigen Konferenz würden die türkiſchen Be- vollmächtigten auf der Bedingung der Approviſionierung beſtehen und wahr- ſcheinlich erklären, daß ſie im Falle der Ablehnung der Bedingung über den Frieden nicht verhandeln wollen. Man befürchtet deshalb, daß morgen der Abbruch der Verhandlungen erfolgen könnte. Die finanzielle Wehrkraft Bulgariens. Sofia, 21. Dezember. Die Regierung hat in der Sobranje ein Budget- proviſorium für die Zeit vom 28. Dezember 1912 bis Ende März 1913 eingebracht, worin die zur Organi- ſation der Finanzverwaltung, der Landwirtſchaft und der Kommunikationsmittel in den neu gewonnenen Gebieten nötigen Kredite in der Geſamthöhe von 7 Millionen vorgeſehen werden. Bei der heutigen Beratung des Budgetproviſoriums gab Finanzminiſter Theodorow gab einen kurzen Ueberblick über die finanzielle Lage des Landes und er- klärte, infolge des Kriegszuſtandes hätten ſich die Schatzeinnahmen um beiläufig 25 Millionen vermindert, andererſeits werden die Aufſchiebung der in Ausführung begriffenen Ar- beiten und die Verminderung des Verwaltungsperſonales eine Erſparnis in nahezu gleicher Höhe zur Folge haben, ſo daß das Budget ohne Defizit ſchließen werde. Dies zeuge von der guten Organiſation der bul- gariſchen Finanzen. In betreff der außerordentlichen Kredite ſtellte der Miniſter feſt, daß, abgeſehen von den 84 Millionen, die im September votiert worden ſeien und den 50 Millionen, die nun mehr angefordert werden, die Regierung zur Bezahlung von Gegen- ſtänden, die im Requiſitionswege beſchafft worden ſind, rund 150 Millionen nötig haben werde. Alle dieſe Kredite werden durch eine Anleihe gedeckt werden, die nach dem Kriege abzuſchließen ſein werde. Der Stand des Staatsſchatzes iſt, er- klärt Redner, zum mindeſten zufriedenſtellend, dank der wirtſchaftlichen Kraft des Landes, welches wegen ſeines agrariſchen Charakters imſtande iſt, im Falle eines Krieges aus eigenen Mitteln alles zu liefern, was für die Bedürfniſſe der Armee notwendig iſt. Abgeſehen von den 25 Millionen Schatzſcheinen, die für Eiſenbahnbauten und Anſchaffung von rollendem Material bereits emittiert worden ſind, habe die Re- gierung Schatzſcheine im Betrage von 65 Millionen zu ſehr guten Bedingungen im Auslande placiert. Dank dieſem zufriedenſtellenden Stande der Dinge erklärte der Miniſter, iſt die Armee nunmehr mit Waffen und Munition reichlich verſehen und kann, wie ich bereits betont habe, den Krieg, wenn es nötig iſt, noch durch 6 Monate fortſetzen. (Lebhafter Beifall.) Oeſterreich-Ungarn und Serbien. Von dem Korreſpondenten der „Reichspoſt“. Belgrad, 23. Dezember. Hier wird in den politiſchen Kreiſen folgende Formel aufgeſtellt: Es iſt nicht richtig, daß der Kon- flikt mit Oeſterreich ſchon gelöſt ſei. Die Situation iſt, daß Serbien ſeine Minimalforde- rungen mit jenen Oeſterreichs in Einklang zu bringen trachtet. Man wird erſt ſehen, ob dies möglich iſt. Die Regierung hat alle Chefredakteure der Belgrader Blätter vorgeladen und ihnen ernſte Vor- ſtellungen über die Schreibweiſe gegen die öſterreichiſch- ungariſche Monarchie gemacht. Die Redakteure wurden erſucht, auf keinen Fall mehr dieſen Ton zu verfolgen. Die Redakteure nahmen dies zur Kenntnis und iſt tat- ſächlich jetzt ein geziemenderer Ton in den Artikeln zu beobachten. S. Belgrad, 21. Dezember. Die ſerbiſche Regierung hat in Böhmen 100.000 Paar Opanken beſtellt. Die Beſtellungen wurden in Böhmen angenommen und werden auch ausgeführt werden. Der geweſene Sekretär des Zaren über Rußland und Oeſterreich. Das Petersburger Tagblatt „S. Pet. Wiedomoſti“, das Organ des Fürſten Uchtomskij, des geweſenen perſön- lichen Sekretärs des Zaren Nikolaus veröffentlichte, (in der Nr. 268) einen längeren Aufſatz, in dem dieſer vor der Identifizierung der ruſſiſchen Intereſſen mit den ſerbiſchen und vor dem Kriege mit Oeſterreich warnt. Dieſem ſehr intereſſanten Artikel entnehmen wir: „Wir müſſen unſere Intereſſen mit den ſerbiſchen Intereſſen ganz identifizieren... Wir müſſen immer und überall beweiſen, daß wir unerſchrockene Verteidiger der ſerbiſchen Intereſſen ſind...“ So ſchreiben und ſchreien die ruſſiſchen Chauviniſten, die ruſſiſchen Serbophilen, die aber dabei keine Slavophilen ſind. Nach meiner Anſicht muß man im jetzigen für alle Slaven kritiſchen Momente das ſlaviſche Geſchäft von der ſlaviſchen hiſtori- ſchen Miſſion, die Sympathien zu den Serben von den Sympathien zu den Slaven unterſcheiden. Durazzo und andere ſpezielle ſerbiſche Intereſſen ſind ein ſlaviſches Ge- ſchäft, das künſtlich mit einem Nimbus der ſlaviſchen Miſſion umgeben wurde. Rußland ſucht ſchon viele Jahre lang den Zugang zu einem nicht zufrierenden Meere und an das Tor Konſtantinopels beabſichtigte ſchon Oleg ſeinen Schild anzuſchlagen. Hat ſich Serbien an dieſen rein ruſſiſchen Intereſſen beteiligt? Hat es nur einen Tropfen Blut oder nur eine Kupfermünze zur Verwirklichung dieſer ruſſiſchen Intereſſen geopfert? Hat uns Serbien vielleicht Sympathien während unſeres unglücklichen Krieges mit Japan gezeigt? Obwohl dieſer Krieg auch wegen hiſtoriſcher ruſſi- ſcher Intereſſen (Zugang zum nicht zufrierenden Meere) geführt wurde? Identifizierte Serbien damals ſeine Intereſſen mit den ruſſiſchen? Wir haben davon nichts gehört. Dafür jedoch hörten wir aus einer verläßlichen Quelle, daß ein balkaniſcher ſlaviſcher Prinz nach Mukden und Tſchuſima auf die Geſundheit der Sieger trank .... Der Krieg mit Oeſterreich, der unvermeidlich einen allgemeinen europäiſchen Zuſammenſtoß hervorrufen würde, ſcheint dem vom Alkohol verbrannten Gehirne unſerer Chauviniſten nur eine Militärparade zu ſein. — „Die Oeſterreicher haben Kanonen von Bronze“ — rufen die vom Alkohol ſtotternden Zungen. Und bei unſeren Chauviniſten iſt das Gehirn von Bronze, könnte man ihnen zur Antwort geben. Seit der Zeit, da Kuropatkin unſere Unüberwindlichkeit (!) im fernen Oſten ſo glänzend dokumentierte, obwohl die japaniſche Armee von uns nur eine Schar der Zwergen genannt wurde — überhaupt noch von unſerer Bereitſchaft zum Kriege zu reden und die Macht des Feindes zu unter- ſchätzen, iſt blöd. Mir iſt z. B. ſehr gut bekannt, daß die öſterreichiſche Infanterie, die an der ruſſiſchen Grenze höchſtwahrſcheinlich nur als Gegen- gewicht ſteht, außer den Bronzekanonen auch gute Maſchinengewehr hat, welche 80 Patronen in einer Minute — und vielleicht noch mehr — entladen und daß die Gattung dieſer Maſchinengewehre ein Geheimnis der Oeſterreicher iſt. Und überhaupt ich glaube, daß Oeſterreich in militär-techniſcher Hinſicht uns Ruſſen weit voran iſt. .... Es handelt ſich aber auch um etwas anderes. Schon der Gedanke von der Identifizierung der ruſſiſchen Intereſſen mit den Intereſſen des Herrn Paſic iſt odios. Bei uns in Rußland gibt es hundert Millionen Bewohner, die nicht leſen und nicht ſchreiben können, bei uns gibt es eine untereinander kämpfende, gegenſeitig ſich auffreſſende Intelligenz, bei uns iſt die Revolution überall, in unſeren Dörfern herrſcht Hunger, Trunkſucht, Sittenloſigkeit, und in den Städten Gemeinheit und Wildheit, bei uns iſt kein klares Regime, es gibt keinen richtigen Begriff von Volkstum und Vaterland, wir haben keine Grundſätze und keine richtigen Leute für wichtige Arbeiten und Stellen, bei uns iſt im

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 595, Wien, 24.12.1912, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost595_1912/2>, abgerufen am 21.11.2024.