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Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 2
[Beginn Spaltensatz]
Zu früh!

Von Leuten, welche im Grunde genommen ein gutes
Herz haben und einen verständigen Kopf auf den Schultern
tragen, hört man so oft, wenn von den Forderungen des
Socialismus gesprochen wird, mit denen sie sich im Allge-
meinen einverstanden erklären, ausrufen: " Es ist noch
zu früh!
"

Allerdings hätten diese Leute recht, wenn es wahr wäre,
daß jene Forderungen auf einmal realisirt werden sollten;
wir haben aber gerade in diesen Blättern schon vielfach
auf die stufenweise Steigerung der gesellschaftlichen Verhält-
nisse hingewiesen, um die herrliche Höhe des Socialismus
schwindelfrei erreichen und andauernd behaupten zu
können.

Versetzte man die heutige Gesellschaft wie durch einen
Zauberschlag plötzlich in einen socialistischen oder gar
communistischen Staat -- es würde toll genug in demselben
zugehen.

Das war gerade der Fehler der deutschen Communisten
von 1848, daß sie von der einfachen Aenderung der Staats-
und Gesellschafts formen die radikale Aenderung der Ge-
sellschaft
erwarteten. Da diese Herren nun bald aus
ihrem theoretischen Himmel fielen, sind sie meist so konfus
geworden, daß sie, den "rothen Becker" an der Spitze, der
rothen Reaktion in die Arme eilten.

Man wollte die Formen ändern; das Wesen der Ge-
sellschaft sollte sich dann sofort den Formen anpassen und
dadurch geändert sein. Auf diese Theorie blicken diejenigen,
welche fortwährend rufen: "es ist zu früh!"

Wenn man aber vorzugsweise, wie es ein einsichtiger
Socialist thun soll, auf die Aenderung des Wesens der
Gesellschaft das Hauptgewicht legt, dann ist der Anfang
hierzu eher zu spät, als zu früh.

Die Aenderung der Produktionsweise, sie soll
angestrebt werden, angestrebt zugleich mit dem freien
Volksstaat.

Und dieses Anstreben sollte zu früh sein? Wahrlich
nein, da in demselben nicht ein plötzliches Zertrümmern der
heutigen Gesellschaft liegt, sondern ein allmähliges Ueber-
führen in das Land der Freiheit und der Bruderliebe.

Es ist ja leicht erklärlich, daß die Klasse der Besitzenden
theils aus Unkenntniß, theils aus Bosheit dieses allmählige
Ueberführen für eine Unmöglichkeit ausgiebt -- es streitet
ja immer noch gegen ihr Klasseninteresse; auch ist es wie-
derum leicht erkärlich, warum eben diese Klasse die leicht-
gläubigen und thörichten Menschen anderer Klassen dadurch
zu schrecken sucht, daß sie den Socialismus für die Aus-
geburt der Hölle ausschreit, für ein Ungethüm, welches
Mord, Raub, Unzucht, Brand und -- Petroleum aus-
wirft -- dies liegt ja wiederum in ihrem Jnteresse.

Aber nicht so leicht ist es erklärlich, weshalb die Ar-
beiter, besonders die Frauen derselben, weshalb die Hand-
werksmeister, die niedern Beamten sich also täuschen lassen
-- diese Täuschung ist direkt gegen ihr Jnteresse gerichtet.

Es ist nicht allein möglich, daß die socialistische Ge-
sellschaft an Stelle der jetzigen kapitalistischen tritt, sondern
[Spaltenumbruch] dies ist eine kulturhistorische Nothwendigkeit, gegen
welche der Kampf ein vollständig verlorener ist, wenngleich
die kapitalistische Gesellschaft ihre ganze Macht in ihrer
Todesangst in das Feld führt.

Man würde nun vielleicht noch einwerfen, daß ein
Eingreifen in das Rad der Geschichte, wenn die Aenderung
der Gesellschaft eine Nothwendigkeit geworden, mindestens
überflüssig sei. -- Nun, überflüssig ist das Eingreifen auch
insofern, als das Rad doch zum Ziele rollt; aber nicht
überflüssig ist das Eingreifen, weil dadurch das Rad nicht
allein schneller, sondern auch geregelter das Ziel erreicht.

Schneller durch das Eingreifen aller Menschen, die
nicht zur Klasse der kapitalistischen Ausbeutung gehören,
geregelter aber, weil durch die Arbeit zum Wohle der Ge-
sammtheit Herz und Verstand geläutert werden, und die
Menschheit sich selbst nach und nach befähigt, einem
socialistischen Staate anzugehören.

Gerade durch den langen Kulturkampf, der in der
Aenderung der Produktionsweise und in der Errichtung des
freien Volksstaates liegt, werden erst Socialisten erzeugt.

Wir wissen wohl, daß dieser Kampf einen Opfermuth,
eine Volkskraft erfordert, die ihres Gleichen suchen, aber
wir wissen auch, daß schon während des Kampfes immer-
fort den Kämpfern neue Errungenschaften zu Theil werden,
so daß sie nicht ermatten und erlahmen.

Wenngleich nun auch die Reichen und Mächtigen dieser
Welt die starren und entsagungsvollen Kämpfer für eine
so hohe heilige Jdee, für die Jdee der wahren Menschen-
liebe mit dem Titel: Mordbrenner! belegen, so soll der
Kampf doch mit sittlicher Kraft, mit eiserner Ruhe fortge-
führt werden.

Hohe, edle Ziele verlangen auch tüchtige Charaktere,
und diese birgt allein in der heutigen Gesellschaft das ar-
beitende Volk in seinen Reihen.

Deshalb hervor, Jhr Arbeiter am Webstuhl, an der
Feueresse, Jhr, die Jhr den Acker bestellt und im Berges-
schacht die Schätze der Erde zu Tage fördert, heran zur höhe-
ren Arbeit
für die Menschenrechte und baldigst heran,
damit Euch nicht das fatale Wort einst in die Ohren tönt:

" Es war zu spät! "



Der Lassalle'sche Vorschlag zur Lösung der Arbeitersrage.

Lassalle geht von der richtigen Voraussetzung aus, daß die
ganze heutige Gesellschaft auf der Ausbeutung der Arbeitskraft
durch das Kapital, als auf einer durchaus schlechten Grundlage
beruht und daß somit nicht durch einzelne kleine Mittel, welche
diese Grundlage unberührt lassen, geholfen werden kann, sondern
nur durch eine Radikalkur, d. h. durch eine Umänderung und
Verbesserung der Grundlage selbst. Und dies soll auf dem
Wege friedlicher und gesetzlicher Entwickelung versucht werden.

Jn welcher Weise?

Zunächst müssen die Arbeiter überall das allgemeine, gleiche
und directe Wahlrecht durchsetzen, und wenn es durchgesetzt ist,
dasselbe kräftig in Anwendung bringen, um sich möglichst der
Gesetzgebung zu bemächtigen.

Jn welcher Richtung muß alsdann vorgegangen werden?

Die traurige Lage der Arbeiterklasse beruht auf dem Gegen-
satze von Kapital und Arbeit, d. h. darauf, daß unter den heu-
tigen Verhältnissen das Arbeitsinstrument, das Kapital, von der
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 2
[Beginn Spaltensatz]
Zu früh!

Von Leuten, welche im Grunde genommen ein gutes
Herz haben und einen verständigen Kopf auf den Schultern
tragen, hört man so oft, wenn von den Forderungen des
Socialismus gesprochen wird, mit denen sie sich im Allge-
meinen einverstanden erklären, ausrufen: „ Es ist noch
zu früh!

Allerdings hätten diese Leute recht, wenn es wahr wäre,
daß jene Forderungen auf einmal realisirt werden sollten;
wir haben aber gerade in diesen Blättern schon vielfach
auf die stufenweise Steigerung der gesellschaftlichen Verhält-
nisse hingewiesen, um die herrliche Höhe des Socialismus
schwindelfrei erreichen und andauernd behaupten zu
können.

Versetzte man die heutige Gesellschaft wie durch einen
Zauberschlag plötzlich in einen socialistischen oder gar
communistischen Staat — es würde toll genug in demselben
zugehen.

Das war gerade der Fehler der deutschen Communisten
von 1848, daß sie von der einfachen Aenderung der Staats-
und Gesellschafts formen die radikale Aenderung der Ge-
sellschaft
erwarteten. Da diese Herren nun bald aus
ihrem theoretischen Himmel fielen, sind sie meist so konfus
geworden, daß sie, den „rothen Becker“ an der Spitze, der
rothen Reaktion in die Arme eilten.

Man wollte die Formen ändern; das Wesen der Ge-
sellschaft sollte sich dann sofort den Formen anpassen und
dadurch geändert sein. Auf diese Theorie blicken diejenigen,
welche fortwährend rufen: „es ist zu früh!“

Wenn man aber vorzugsweise, wie es ein einsichtiger
Socialist thun soll, auf die Aenderung des Wesens der
Gesellschaft das Hauptgewicht legt, dann ist der Anfang
hierzu eher zu spät, als zu früh.

Die Aenderung der Produktionsweise, sie soll
angestrebt werden, angestrebt zugleich mit dem freien
Volksstaat.

Und dieses Anstreben sollte zu früh sein? Wahrlich
nein, da in demselben nicht ein plötzliches Zertrümmern der
heutigen Gesellschaft liegt, sondern ein allmähliges Ueber-
führen in das Land der Freiheit und der Bruderliebe.

Es ist ja leicht erklärlich, daß die Klasse der Besitzenden
theils aus Unkenntniß, theils aus Bosheit dieses allmählige
Ueberführen für eine Unmöglichkeit ausgiebt — es streitet
ja immer noch gegen ihr Klasseninteresse; auch ist es wie-
derum leicht erkärlich, warum eben diese Klasse die leicht-
gläubigen und thörichten Menschen anderer Klassen dadurch
zu schrecken sucht, daß sie den Socialismus für die Aus-
geburt der Hölle ausschreit, für ein Ungethüm, welches
Mord, Raub, Unzucht, Brand und — Petroleum aus-
wirft — dies liegt ja wiederum in ihrem Jnteresse.

Aber nicht so leicht ist es erklärlich, weshalb die Ar-
beiter, besonders die Frauen derselben, weshalb die Hand-
werksmeister, die niedern Beamten sich also täuschen lassen
— diese Täuschung ist direkt gegen ihr Jnteresse gerichtet.

Es ist nicht allein möglich, daß die socialistische Ge-
sellschaft an Stelle der jetzigen kapitalistischen tritt, sondern
[Spaltenumbruch] dies ist eine kulturhistorische Nothwendigkeit, gegen
welche der Kampf ein vollständig verlorener ist, wenngleich
die kapitalistische Gesellschaft ihre ganze Macht in ihrer
Todesangst in das Feld führt.

Man würde nun vielleicht noch einwerfen, daß ein
Eingreifen in das Rad der Geschichte, wenn die Aenderung
der Gesellschaft eine Nothwendigkeit geworden, mindestens
überflüssig sei. — Nun, überflüssig ist das Eingreifen auch
insofern, als das Rad doch zum Ziele rollt; aber nicht
überflüssig ist das Eingreifen, weil dadurch das Rad nicht
allein schneller, sondern auch geregelter das Ziel erreicht.

Schneller durch das Eingreifen aller Menschen, die
nicht zur Klasse der kapitalistischen Ausbeutung gehören,
geregelter aber, weil durch die Arbeit zum Wohle der Ge-
sammtheit Herz und Verstand geläutert werden, und die
Menschheit sich selbst nach und nach befähigt, einem
socialistischen Staate anzugehören.

Gerade durch den langen Kulturkampf, der in der
Aenderung der Produktionsweise und in der Errichtung des
freien Volksstaates liegt, werden erst Socialisten erzeugt.

Wir wissen wohl, daß dieser Kampf einen Opfermuth,
eine Volkskraft erfordert, die ihres Gleichen suchen, aber
wir wissen auch, daß schon während des Kampfes immer-
fort den Kämpfern neue Errungenschaften zu Theil werden,
so daß sie nicht ermatten und erlahmen.

Wenngleich nun auch die Reichen und Mächtigen dieser
Welt die starren und entsagungsvollen Kämpfer für eine
so hohe heilige Jdee, für die Jdee der wahren Menschen-
liebe mit dem Titel: Mordbrenner! belegen, so soll der
Kampf doch mit sittlicher Kraft, mit eiserner Ruhe fortge-
führt werden.

Hohe, edle Ziele verlangen auch tüchtige Charaktere,
und diese birgt allein in der heutigen Gesellschaft das ar-
beitende Volk in seinen Reihen.

Deshalb hervor, Jhr Arbeiter am Webstuhl, an der
Feueresse, Jhr, die Jhr den Acker bestellt und im Berges-
schacht die Schätze der Erde zu Tage fördert, heran zur höhe-
ren Arbeit
für die Menschenrechte und baldigst heran,
damit Euch nicht das fatale Wort einst in die Ohren tönt:

Es war zu spät!



Der Lassalle'sche Vorschlag zur Lösung der Arbeitersrage.

Lassalle geht von der richtigen Voraussetzung aus, daß die
ganze heutige Gesellschaft auf der Ausbeutung der Arbeitskraft
durch das Kapital, als auf einer durchaus schlechten Grundlage
beruht und daß somit nicht durch einzelne kleine Mittel, welche
diese Grundlage unberührt lassen, geholfen werden kann, sondern
nur durch eine Radikalkur, d. h. durch eine Umänderung und
Verbesserung der Grundlage selbst. Und dies soll auf dem
Wege friedlicher und gesetzlicher Entwickelung versucht werden.

Jn welcher Weise?

Zunächst müssen die Arbeiter überall das allgemeine, gleiche
und directe Wahlrecht durchsetzen, und wenn es durchgesetzt ist,
dasselbe kräftig in Anwendung bringen, um sich möglichst der
Gesetzgebung zu bemächtigen.

Jn welcher Richtung muß alsdann vorgegangen werden?

Die traurige Lage der Arbeiterklasse beruht auf dem Gegen-
satze von Kapital und Arbeit, d. h. darauf, daß unter den heu-
tigen Verhältnissen das Arbeitsinstrument, das Kapital, von der
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social01_1874/2>, abgerufen am 23.11.2024.