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Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 3
[Beginn Spaltensatz] Arbeit getrennt ist. Die Folge hiervon ist, daß, während das
Arbeitsinstrument naturgemäß nur im Dienste der Arbeit stehen
sollte, dasselbe heutzutage diese vielmehr unterjocht. Der "freie"
Vertrag zwischen dem kapitalbesitzenden Unternehmer und dem
kapitallosen Arbeiter muß nothwendig zu einer Benachtheiligung
des letzteren ausschlagen: denn das todte Arbeitsinstrument ( z. B.
die Lebensmittel, der Rohstoff, die Maschine ) kann schlimmsten
Falles länger warten, als der lebendige Arbeiter, den der Hun-
ger treibt. Also Unterwerfung desjenigen, der die Arbeit stellt,
unter den Willen desjenigen, der das Kapital stellt!

Mit der Ursache und nur mit dieser hört die Wirkung auf.

Jst die traurige Lage der Arbeiterklasse die Wirkung des
Gegensatzes von Kapital und Arbeit, so hört dieselbe dann und
nur dann auf, wenn dieser Gegensatz selbst aufhört.

Der Gegensatz von Kapital und Arbeit ist nicht vorhanden
in der Produktiv = Association, das heißt in derjenigen Ver-
einigung, wo nicht eine Anzahl von Arbeitern im Solde eines
Unternehmers steht, der den ganzen Ueberschuß der Produktion
an sich zieht, sondern wo alle Theilnehmer am Produkt ( am
Erzeugniß der gemeinsamen Arbeit ) berechtigt sind, so daß sie,
nach gewissen Grundsätzen, den gesammten Ertrag ihrer Pro-
duktion unter sich vertheilen.

Wenn man also will, daß der Gegensatz von Kapital und
Arbeit aufhöre, und wenn hierzu das Mittel in der Produktiv-
Association geboten ist, so muß darnach gestrebt werden, dieselbe
in so hohem Maße in die Gesellschaft einzuführen, daß ihre, auf
Aufhebung jenes Gegensatzes gerichtete Wirkung [unleserliches Material - 7 Zeichen fehlen]fühlbar wer-
den kann.

Zur Errichtung von Produktiv=Associationen im Großen ist
ein ansehnliches Kapital erforderlich. Wo soll dieses herkommen?

Von den Arbeitern? Nein! Sie sind nicht in der Lage,
so viel zu ersparen, daß an allen Hauptpunkten in Stadt und
Land große Produktiv=Associationen errichtet werden können.

Bleibt also nur der Staat: er kann, er soll die erforder-
lichen Mittel vorschießen.

Er kann es: denn er vermag auf dem Kreditwege, wie hun-
dertfältige Erfahrung beweist, über eine Summe von z. B. 100
Millionen bequem zu verfügen, er hat es zu andern Zwecken
schon hundertmal gethan. Und es ist hier kein Risiko, da das
Geld unter geeigneter geschäftlicher ( nicht politischer ) Ueberwachung
produktiv verwandt wird, das heißt: vermehrt wieder zum Vor-
schein kommt; und weil etwaige Verluste einer einzelnen Asso-
ciation durch die in einem Assekuranz=Verband stehende Gesammt-
heit der Associationen gedeckt werden können.

Er soll es; denn es handelt sich um eine civilisatorische
Jdee, um die allmälige Ausgleichung der Vermögensverhältnisse
und die hierdurch allein mögliche Zugänglichmachung der Civili-
sation und ihrer Segnungen für Alle.

Unter Staat ist hier verstanden: erstens ein Großstaat, und
zweitens ein solcher, der durch volksthümliche Einrichtungen die
Sicherheit bietet, daß die Arbeitersache nicht zu Sonderzwecken
mißbraucht werde.

Bestehen aber einmal solche Associationen in hinreichender
Menge an den Hauptpunkten der Produktion, so bleibt dem Pri-
vatkapital, wenn es nicht müßig bleiben und daher gar keinen
Gewinn beziehen will, nichts anderes übrig, als höhere Löhne
zu bieten und sich mit geringerem Gewinn zn begnügen. Da-
durch aber wird auch auf diesem Wege die Zeit näher gerückt,
wo die Lohnarbeit überhaupt wegfällt und den Arbeitenden der
volle Arbeitsertrag zusällt.

Die Associationen selbst, sobald sie eine gewisse Höhe er-
reicht haben, können einander wesentlich vorwärts helfen. Dies
hat sich in Frankreich in den Jahren 1848 und 1849 sehr deut-
lich gezeigt, wo z. B. die Associationen der Schneider ihre Stiefel
nur bei den Associationen der Schuhmacher, diese ihre Kleider
bei jenen, beide ihre Hemden bei der Association der Näherin-
nen bestellten, während die Mitglieder sämmtlicher Vereinigungen
in den Lokalen der Association der Garköche zu Mittag aßen
u. s. f. Aller Geschäftsgewinn bleibt so unter den Associirten
und wird nicht an Kapitalisten weggegeben. Nur die reaktio-
näre Staatsgewalt im Verein mit der wüthenden Geldmacht
konnte damals die Associationen in Frankreich wieder rückwärts
werfen.

Ein System solcher Associationen, in denen der Gegensatz
von Kapital und Arbeit überwunden ist, stellt sich dar als ein
Keil, der in die heutige, von jenem Gegensatze ganz beherrschte
Gesellschaft hineingetrieben wird und sie schließlich zersprengt,
[Spaltenumbruch] oder auch gleicht einem Samenkorn, daß zum gewaltigen Baume
wird. Zuletzt ist die ganze Gesellschaft eine einzige, nur ver-
schieden verzweigte Produktiv=Association.

Der Lassalle'sche Vorschlag vereinigt also in sich zwei Eigen-
schaften, die selten zusammengehen: er kann auf friedlichem Wege
allmählich verwirklicht werden und er ist doch radikal, d. h. durch
die Macht des jenen Associationen innewohnenden Prinzips,
durch dessen ökonomische sowohl, wie durch dessen moralische Wir-
kung, werden diese Associationen die heutige Gesellschaftsordnung
in eine bessere und auf durchaus neuer Grundlage ruhende Ge-
sellschaft überführen.

Wir haben in diesem Artikel nur den Hauptpunkt berührt
und denselben präcis festgestellt. Die Einzelheiten des Lassalle-
schen Vorschlages sind in diesen Blättern oft schon berührt, vor-
nehmlich aber aus seinen Schriften zu ersehen.



Der gesetzlich festgestellte Normalarbeitstag

ist in allen industriell entwickelten Ländern eine Forderung der
Arbeiter; gleichwohl ist derselbe noch in keinem Staate in voller
Ausdehnung und mit allen zu seiner strikten Durchführung noth-
wendigen Bestimmungen eingeführt, auch findet er noch zahlreiche
Gegner, die ihn von den verschiedensten Standpunkten aus be-
kämpfen. Die Einwände gegen die gesetzliche Bestimmung eines
Arbeitstages, dessen Dauer nicht überschritten werden darf, lassen
sich in drei Arten eintheilen.

Zunächst wird von den Vertretern der Kapitalistenklasse be-
hauptet, eine Regelung der Arbeitszeit, gleichviel ob für die ge-
sammte Arbeiterklasse oder für einzelne Arbeiterkorporationen, sei
überhaupt vom Uebel: die persönliche Freiheit des Menschen
werde dadurch beschränkt und die Jndustrie lahm gelegt, die na-
turgemäße Regelung der Arbeitszeit werde vielmehr schon durch
das Angebot der Arbeiter und die Nachfrage nach denselben auf
dem Arbeitsmarkte erzielt. Diese von den Leuten, die das stetig
wachsende sociale Elend nicht sehen wollen, auf ihr Programm
geschriebene Theorie, ist leicht als grundfalsch zu erkennen. Wenn
wir den Triebfedern der heutigen Gesellschaft nachforschen, so
erkennen wir als solche auf der einen Seite die Bereicherungs-
sucht einer kleinen Klasse, welche durch den Besitz aller Reich-
thümer und des bedeutendsten Grundbesitzes in den Stand gesetzt
ist, auf Kosten der großen Masse des Volks Schätze anzuhäufen,
auf der andern Seite den Hunger, der die große Arbeiterklasse
zwingt, sich ausbeuten zu lassen, weil sie zu ihrem Unterhalt zwar
arbeiten will, aber nur dann arbeiten kann, wenn die Kapita-
listenklasse es gestattet und ihren Vortheil dabei findet. So muß
denn der sogenannte freie Arbeiter heutzutage seine eigene und
seiner Familie Arbeitskraft auf dem Markte feil bieten, damit
der Produzent sie kaufe und möglichst lange ausnutze, damit er
sie kaufe für einen Lohn, der nur eben ausreicht, daß die Arbei-
terfamilie in Hunger und Kummer davon existiren kann, während
der außerdem in überlanger Arbeitszeit erarbeitete Werth als
Kapitalgewinn dem Produzenten anheimfällt. Das ist die ge-
rühmte "persönliche Freiheit" des Arbeiters, die, wie die Bour-
geoisie fabelt, verletzt wird, wenn er verhindert wird, daß der Ar-
beiter so lange, wie sein Ausbeuter es will, arbeite und Körper
und Geist ruinire. Jn der That ist es gerade umgekehrt. Zwar
bleibt der Arbeiter auch bei einem Normalarbeitstage noch immer
der Ausgebeutete, aber die Ausbeutung ist doch einigermaßen
eingeschränkt. Der Kapitalist, der dessen Arbeiskraft gekauft hat,
kann sie nicht mehr so maßlos lange ausnutzen, wie bisher und
muß doch die gleichen Löhne per Tag zahlen, wie früher, da der
Lohn nur davon abhängt, wie viel die Arbeiterfamilien eines
Landes durchschnittlich zur Lebensnothdurft gewohnheitsmäßig
brauchen -- ja der tägliche Lohn der Arbeiterklasse kann bei Be-
schränkung der Arbeitskraft noch wachsen, wenn die Befriedigung
höherer geistiger Bedürfnisse ihr zur Gewohnheit wird, sobald sie
nicht mehr durch geisttödtendes, überlanges Abhetzen verdummt
wird. Diese Verbesserung der Arbeiterlage, die der Normal-
arbeitstag im Gefolge hat, wird auch durch die thatsächlichen Vor-
gänge bei seiner Einführung in den verschiedensten Ländern be-
stätigt; England und Frankreich bieten massenhafte Belege für
die Richtigkeit unserer Ausführungen, obschon in England die
Beschränkung der Arbeitszeit nur für Frauen und Unerwachsene
gesetzlich bestimmt ist, und in Frankreich keine Ueberwachung der
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 3
[Beginn Spaltensatz] Arbeit getrennt ist. Die Folge hiervon ist, daß, während das
Arbeitsinstrument naturgemäß nur im Dienste der Arbeit stehen
sollte, dasselbe heutzutage diese vielmehr unterjocht. Der „freie“
Vertrag zwischen dem kapitalbesitzenden Unternehmer und dem
kapitallosen Arbeiter muß nothwendig zu einer Benachtheiligung
des letzteren ausschlagen: denn das todte Arbeitsinstrument ( z. B.
die Lebensmittel, der Rohstoff, die Maschine ) kann schlimmsten
Falles länger warten, als der lebendige Arbeiter, den der Hun-
ger treibt. Also Unterwerfung desjenigen, der die Arbeit stellt,
unter den Willen desjenigen, der das Kapital stellt!

Mit der Ursache und nur mit dieser hört die Wirkung auf.

Jst die traurige Lage der Arbeiterklasse die Wirkung des
Gegensatzes von Kapital und Arbeit, so hört dieselbe dann und
nur dann auf, wenn dieser Gegensatz selbst aufhört.

Der Gegensatz von Kapital und Arbeit ist nicht vorhanden
in der Produktiv = Association, das heißt in derjenigen Ver-
einigung, wo nicht eine Anzahl von Arbeitern im Solde eines
Unternehmers steht, der den ganzen Ueberschuß der Produktion
an sich zieht, sondern wo alle Theilnehmer am Produkt ( am
Erzeugniß der gemeinsamen Arbeit ) berechtigt sind, so daß sie,
nach gewissen Grundsätzen, den gesammten Ertrag ihrer Pro-
duktion unter sich vertheilen.

Wenn man also will, daß der Gegensatz von Kapital und
Arbeit aufhöre, und wenn hierzu das Mittel in der Produktiv-
Association geboten ist, so muß darnach gestrebt werden, dieselbe
in so hohem Maße in die Gesellschaft einzuführen, daß ihre, auf
Aufhebung jenes Gegensatzes gerichtete Wirkung [unleserliches Material – 7 Zeichen fehlen]fühlbar wer-
den kann.

Zur Errichtung von Produktiv=Associationen im Großen ist
ein ansehnliches Kapital erforderlich. Wo soll dieses herkommen?

Von den Arbeitern? Nein! Sie sind nicht in der Lage,
so viel zu ersparen, daß an allen Hauptpunkten in Stadt und
Land große Produktiv=Associationen errichtet werden können.

Bleibt also nur der Staat: er kann, er soll die erforder-
lichen Mittel vorschießen.

Er kann es: denn er vermag auf dem Kreditwege, wie hun-
dertfältige Erfahrung beweist, über eine Summe von z. B. 100
Millionen bequem zu verfügen, er hat es zu andern Zwecken
schon hundertmal gethan. Und es ist hier kein Risiko, da das
Geld unter geeigneter geschäftlicher ( nicht politischer ) Ueberwachung
produktiv verwandt wird, das heißt: vermehrt wieder zum Vor-
schein kommt; und weil etwaige Verluste einer einzelnen Asso-
ciation durch die in einem Assekuranz=Verband stehende Gesammt-
heit der Associationen gedeckt werden können.

Er soll es; denn es handelt sich um eine civilisatorische
Jdee, um die allmälige Ausgleichung der Vermögensverhältnisse
und die hierdurch allein mögliche Zugänglichmachung der Civili-
sation und ihrer Segnungen für Alle.

Unter Staat ist hier verstanden: erstens ein Großstaat, und
zweitens ein solcher, der durch volksthümliche Einrichtungen die
Sicherheit bietet, daß die Arbeitersache nicht zu Sonderzwecken
mißbraucht werde.

Bestehen aber einmal solche Associationen in hinreichender
Menge an den Hauptpunkten der Produktion, so bleibt dem Pri-
vatkapital, wenn es nicht müßig bleiben und daher gar keinen
Gewinn beziehen will, nichts anderes übrig, als höhere Löhne
zu bieten und sich mit geringerem Gewinn zn begnügen. Da-
durch aber wird auch auf diesem Wege die Zeit näher gerückt,
wo die Lohnarbeit überhaupt wegfällt und den Arbeitenden der
volle Arbeitsertrag zusällt.

Die Associationen selbst, sobald sie eine gewisse Höhe er-
reicht haben, können einander wesentlich vorwärts helfen. Dies
hat sich in Frankreich in den Jahren 1848 und 1849 sehr deut-
lich gezeigt, wo z. B. die Associationen der Schneider ihre Stiefel
nur bei den Associationen der Schuhmacher, diese ihre Kleider
bei jenen, beide ihre Hemden bei der Association der Näherin-
nen bestellten, während die Mitglieder sämmtlicher Vereinigungen
in den Lokalen der Association der Garköche zu Mittag aßen
u. s. f. Aller Geschäftsgewinn bleibt so unter den Associirten
und wird nicht an Kapitalisten weggegeben. Nur die reaktio-
näre Staatsgewalt im Verein mit der wüthenden Geldmacht
konnte damals die Associationen in Frankreich wieder rückwärts
werfen.

Ein System solcher Associationen, in denen der Gegensatz
von Kapital und Arbeit überwunden ist, stellt sich dar als ein
Keil, der in die heutige, von jenem Gegensatze ganz beherrschte
Gesellschaft hineingetrieben wird und sie schließlich zersprengt,
[Spaltenumbruch] oder auch gleicht einem Samenkorn, daß zum gewaltigen Baume
wird. Zuletzt ist die ganze Gesellschaft eine einzige, nur ver-
schieden verzweigte Produktiv=Association.

Der Lassalle'sche Vorschlag vereinigt also in sich zwei Eigen-
schaften, die selten zusammengehen: er kann auf friedlichem Wege
allmählich verwirklicht werden und er ist doch radikal, d. h. durch
die Macht des jenen Associationen innewohnenden Prinzips,
durch dessen ökonomische sowohl, wie durch dessen moralische Wir-
kung, werden diese Associationen die heutige Gesellschaftsordnung
in eine bessere und auf durchaus neuer Grundlage ruhende Ge-
sellschaft überführen.

Wir haben in diesem Artikel nur den Hauptpunkt berührt
und denselben präcis festgestellt. Die Einzelheiten des Lassalle-
schen Vorschlages sind in diesen Blättern oft schon berührt, vor-
nehmlich aber aus seinen Schriften zu ersehen.



Der gesetzlich festgestellte Normalarbeitstag

ist in allen industriell entwickelten Ländern eine Forderung der
Arbeiter; gleichwohl ist derselbe noch in keinem Staate in voller
Ausdehnung und mit allen zu seiner strikten Durchführung noth-
wendigen Bestimmungen eingeführt, auch findet er noch zahlreiche
Gegner, die ihn von den verschiedensten Standpunkten aus be-
kämpfen. Die Einwände gegen die gesetzliche Bestimmung eines
Arbeitstages, dessen Dauer nicht überschritten werden darf, lassen
sich in drei Arten eintheilen.

Zunächst wird von den Vertretern der Kapitalistenklasse be-
hauptet, eine Regelung der Arbeitszeit, gleichviel ob für die ge-
sammte Arbeiterklasse oder für einzelne Arbeiterkorporationen, sei
überhaupt vom Uebel: die persönliche Freiheit des Menschen
werde dadurch beschränkt und die Jndustrie lahm gelegt, die na-
turgemäße Regelung der Arbeitszeit werde vielmehr schon durch
das Angebot der Arbeiter und die Nachfrage nach denselben auf
dem Arbeitsmarkte erzielt. Diese von den Leuten, die das stetig
wachsende sociale Elend nicht sehen wollen, auf ihr Programm
geschriebene Theorie, ist leicht als grundfalsch zu erkennen. Wenn
wir den Triebfedern der heutigen Gesellschaft nachforschen, so
erkennen wir als solche auf der einen Seite die Bereicherungs-
sucht einer kleinen Klasse, welche durch den Besitz aller Reich-
thümer und des bedeutendsten Grundbesitzes in den Stand gesetzt
ist, auf Kosten der großen Masse des Volks Schätze anzuhäufen,
auf der andern Seite den Hunger, der die große Arbeiterklasse
zwingt, sich ausbeuten zu lassen, weil sie zu ihrem Unterhalt zwar
arbeiten will, aber nur dann arbeiten kann, wenn die Kapita-
listenklasse es gestattet und ihren Vortheil dabei findet. So muß
denn der sogenannte freie Arbeiter heutzutage seine eigene und
seiner Familie Arbeitskraft auf dem Markte feil bieten, damit
der Produzent sie kaufe und möglichst lange ausnutze, damit er
sie kaufe für einen Lohn, der nur eben ausreicht, daß die Arbei-
terfamilie in Hunger und Kummer davon existiren kann, während
der außerdem in überlanger Arbeitszeit erarbeitete Werth als
Kapitalgewinn dem Produzenten anheimfällt. Das ist die ge-
rühmte „persönliche Freiheit“ des Arbeiters, die, wie die Bour-
geoisie fabelt, verletzt wird, wenn er verhindert wird, daß der Ar-
beiter so lange, wie sein Ausbeuter es will, arbeite und Körper
und Geist ruinire. Jn der That ist es gerade umgekehrt. Zwar
bleibt der Arbeiter auch bei einem Normalarbeitstage noch immer
der Ausgebeutete, aber die Ausbeutung ist doch einigermaßen
eingeschränkt. Der Kapitalist, der dessen Arbeiskraft gekauft hat,
kann sie nicht mehr so maßlos lange ausnutzen, wie bisher und
muß doch die gleichen Löhne per Tag zahlen, wie früher, da der
Lohn nur davon abhängt, wie viel die Arbeiterfamilien eines
Landes durchschnittlich zur Lebensnothdurft gewohnheitsmäßig
brauchen — ja der tägliche Lohn der Arbeiterklasse kann bei Be-
schränkung der Arbeitskraft noch wachsen, wenn die Befriedigung
höherer geistiger Bedürfnisse ihr zur Gewohnheit wird, sobald sie
nicht mehr durch geisttödtendes, überlanges Abhetzen verdummt
wird. Diese Verbesserung der Arbeiterlage, die der Normal-
arbeitstag im Gefolge hat, wird auch durch die thatsächlichen Vor-
gänge bei seiner Einführung in den verschiedensten Ländern be-
stätigt; England und Frankreich bieten massenhafte Belege für
die Richtigkeit unserer Ausführungen, obschon in England die
Beschränkung der Arbeitszeit nur für Frauen und Unerwachsene
gesetzlich bestimmt ist, und in Frankreich keine Ueberwachung der
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[3/0003] Zur Unterhaltung und Belehrung. 3 Arbeit getrennt ist. Die Folge hiervon ist, daß, während das Arbeitsinstrument naturgemäß nur im Dienste der Arbeit stehen sollte, dasselbe heutzutage diese vielmehr unterjocht. Der „freie“ Vertrag zwischen dem kapitalbesitzenden Unternehmer und dem kapitallosen Arbeiter muß nothwendig zu einer Benachtheiligung des letzteren ausschlagen: denn das todte Arbeitsinstrument ( z. B. die Lebensmittel, der Rohstoff, die Maschine ) kann schlimmsten Falles länger warten, als der lebendige Arbeiter, den der Hun- ger treibt. Also Unterwerfung desjenigen, der die Arbeit stellt, unter den Willen desjenigen, der das Kapital stellt! Mit der Ursache und nur mit dieser hört die Wirkung auf. Jst die traurige Lage der Arbeiterklasse die Wirkung des Gegensatzes von Kapital und Arbeit, so hört dieselbe dann und nur dann auf, wenn dieser Gegensatz selbst aufhört. Der Gegensatz von Kapital und Arbeit ist nicht vorhanden in der Produktiv = Association, das heißt in derjenigen Ver- einigung, wo nicht eine Anzahl von Arbeitern im Solde eines Unternehmers steht, der den ganzen Ueberschuß der Produktion an sich zieht, sondern wo alle Theilnehmer am Produkt ( am Erzeugniß der gemeinsamen Arbeit ) berechtigt sind, so daß sie, nach gewissen Grundsätzen, den gesammten Ertrag ihrer Pro- duktion unter sich vertheilen. Wenn man also will, daß der Gegensatz von Kapital und Arbeit aufhöre, und wenn hierzu das Mittel in der Produktiv- Association geboten ist, so muß darnach gestrebt werden, dieselbe in so hohem Maße in die Gesellschaft einzuführen, daß ihre, auf Aufhebung jenes Gegensatzes gerichtete Wirkung _______fühlbar wer- den kann. Zur Errichtung von Produktiv=Associationen im Großen ist ein ansehnliches Kapital erforderlich. Wo soll dieses herkommen? Von den Arbeitern? Nein! Sie sind nicht in der Lage, so viel zu ersparen, daß an allen Hauptpunkten in Stadt und Land große Produktiv=Associationen errichtet werden können. Bleibt also nur der Staat: er kann, er soll die erforder- lichen Mittel vorschießen. Er kann es: denn er vermag auf dem Kreditwege, wie hun- dertfältige Erfahrung beweist, über eine Summe von z. B. 100 Millionen bequem zu verfügen, er hat es zu andern Zwecken schon hundertmal gethan. Und es ist hier kein Risiko, da das Geld unter geeigneter geschäftlicher ( nicht politischer ) Ueberwachung produktiv verwandt wird, das heißt: vermehrt wieder zum Vor- schein kommt; und weil etwaige Verluste einer einzelnen Asso- ciation durch die in einem Assekuranz=Verband stehende Gesammt- heit der Associationen gedeckt werden können. Er soll es; denn es handelt sich um eine civilisatorische Jdee, um die allmälige Ausgleichung der Vermögensverhältnisse und die hierdurch allein mögliche Zugänglichmachung der Civili- sation und ihrer Segnungen für Alle. Unter Staat ist hier verstanden: erstens ein Großstaat, und zweitens ein solcher, der durch volksthümliche Einrichtungen die Sicherheit bietet, daß die Arbeitersache nicht zu Sonderzwecken mißbraucht werde. Bestehen aber einmal solche Associationen in hinreichender Menge an den Hauptpunkten der Produktion, so bleibt dem Pri- vatkapital, wenn es nicht müßig bleiben und daher gar keinen Gewinn beziehen will, nichts anderes übrig, als höhere Löhne zu bieten und sich mit geringerem Gewinn zn begnügen. Da- durch aber wird auch auf diesem Wege die Zeit näher gerückt, wo die Lohnarbeit überhaupt wegfällt und den Arbeitenden der volle Arbeitsertrag zusällt. Die Associationen selbst, sobald sie eine gewisse Höhe er- reicht haben, können einander wesentlich vorwärts helfen. Dies hat sich in Frankreich in den Jahren 1848 und 1849 sehr deut- lich gezeigt, wo z. B. die Associationen der Schneider ihre Stiefel nur bei den Associationen der Schuhmacher, diese ihre Kleider bei jenen, beide ihre Hemden bei der Association der Näherin- nen bestellten, während die Mitglieder sämmtlicher Vereinigungen in den Lokalen der Association der Garköche zu Mittag aßen u. s. f. Aller Geschäftsgewinn bleibt so unter den Associirten und wird nicht an Kapitalisten weggegeben. Nur die reaktio- näre Staatsgewalt im Verein mit der wüthenden Geldmacht konnte damals die Associationen in Frankreich wieder rückwärts werfen. Ein System solcher Associationen, in denen der Gegensatz von Kapital und Arbeit überwunden ist, stellt sich dar als ein Keil, der in die heutige, von jenem Gegensatze ganz beherrschte Gesellschaft hineingetrieben wird und sie schließlich zersprengt, oder auch gleicht einem Samenkorn, daß zum gewaltigen Baume wird. Zuletzt ist die ganze Gesellschaft eine einzige, nur ver- schieden verzweigte Produktiv=Association. Der Lassalle'sche Vorschlag vereinigt also in sich zwei Eigen- schaften, die selten zusammengehen: er kann auf friedlichem Wege allmählich verwirklicht werden und er ist doch radikal, d. h. durch die Macht des jenen Associationen innewohnenden Prinzips, durch dessen ökonomische sowohl, wie durch dessen moralische Wir- kung, werden diese Associationen die heutige Gesellschaftsordnung in eine bessere und auf durchaus neuer Grundlage ruhende Ge- sellschaft überführen. Wir haben in diesem Artikel nur den Hauptpunkt berührt und denselben präcis festgestellt. Die Einzelheiten des Lassalle- schen Vorschlages sind in diesen Blättern oft schon berührt, vor- nehmlich aber aus seinen Schriften zu ersehen. Der gesetzlich festgestellte Normalarbeitstag ist in allen industriell entwickelten Ländern eine Forderung der Arbeiter; gleichwohl ist derselbe noch in keinem Staate in voller Ausdehnung und mit allen zu seiner strikten Durchführung noth- wendigen Bestimmungen eingeführt, auch findet er noch zahlreiche Gegner, die ihn von den verschiedensten Standpunkten aus be- kämpfen. Die Einwände gegen die gesetzliche Bestimmung eines Arbeitstages, dessen Dauer nicht überschritten werden darf, lassen sich in drei Arten eintheilen. Zunächst wird von den Vertretern der Kapitalistenklasse be- hauptet, eine Regelung der Arbeitszeit, gleichviel ob für die ge- sammte Arbeiterklasse oder für einzelne Arbeiterkorporationen, sei überhaupt vom Uebel: die persönliche Freiheit des Menschen werde dadurch beschränkt und die Jndustrie lahm gelegt, die na- turgemäße Regelung der Arbeitszeit werde vielmehr schon durch das Angebot der Arbeiter und die Nachfrage nach denselben auf dem Arbeitsmarkte erzielt. Diese von den Leuten, die das stetig wachsende sociale Elend nicht sehen wollen, auf ihr Programm geschriebene Theorie, ist leicht als grundfalsch zu erkennen. Wenn wir den Triebfedern der heutigen Gesellschaft nachforschen, so erkennen wir als solche auf der einen Seite die Bereicherungs- sucht einer kleinen Klasse, welche durch den Besitz aller Reich- thümer und des bedeutendsten Grundbesitzes in den Stand gesetzt ist, auf Kosten der großen Masse des Volks Schätze anzuhäufen, auf der andern Seite den Hunger, der die große Arbeiterklasse zwingt, sich ausbeuten zu lassen, weil sie zu ihrem Unterhalt zwar arbeiten will, aber nur dann arbeiten kann, wenn die Kapita- listenklasse es gestattet und ihren Vortheil dabei findet. So muß denn der sogenannte freie Arbeiter heutzutage seine eigene und seiner Familie Arbeitskraft auf dem Markte feil bieten, damit der Produzent sie kaufe und möglichst lange ausnutze, damit er sie kaufe für einen Lohn, der nur eben ausreicht, daß die Arbei- terfamilie in Hunger und Kummer davon existiren kann, während der außerdem in überlanger Arbeitszeit erarbeitete Werth als Kapitalgewinn dem Produzenten anheimfällt. Das ist die ge- rühmte „persönliche Freiheit“ des Arbeiters, die, wie die Bour- geoisie fabelt, verletzt wird, wenn er verhindert wird, daß der Ar- beiter so lange, wie sein Ausbeuter es will, arbeite und Körper und Geist ruinire. Jn der That ist es gerade umgekehrt. Zwar bleibt der Arbeiter auch bei einem Normalarbeitstage noch immer der Ausgebeutete, aber die Ausbeutung ist doch einigermaßen eingeschränkt. Der Kapitalist, der dessen Arbeiskraft gekauft hat, kann sie nicht mehr so maßlos lange ausnutzen, wie bisher und muß doch die gleichen Löhne per Tag zahlen, wie früher, da der Lohn nur davon abhängt, wie viel die Arbeiterfamilien eines Landes durchschnittlich zur Lebensnothdurft gewohnheitsmäßig brauchen — ja der tägliche Lohn der Arbeiterklasse kann bei Be- schränkung der Arbeitskraft noch wachsen, wenn die Befriedigung höherer geistiger Bedürfnisse ihr zur Gewohnheit wird, sobald sie nicht mehr durch geisttödtendes, überlanges Abhetzen verdummt wird. Diese Verbesserung der Arbeiterlage, die der Normal- arbeitstag im Gefolge hat, wird auch durch die thatsächlichen Vor- gänge bei seiner Einführung in den verschiedensten Ländern be- stätigt; England und Frankreich bieten massenhafte Belege für die Richtigkeit unserer Ausführungen, obschon in England die Beschränkung der Arbeitszeit nur für Frauen und Unerwachsene gesetzlich bestimmt ist, und in Frankreich keine Ueberwachung der

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 1. Lieferung. Berlin, 7. Februar 1874, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social01_1874/3>, abgerufen am 21.11.2024.