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Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 41
[Beginn Spaltensatz] nahe Verwandte sein müßten. Was Du mir aus Deinem Leben
erzähltest, bewies mir, daß wir Brüder sind.

Bei diesen Worten Falke's hörten mit einemmale die Tänze
und Gesänge der Landstreicher auf, und Stimmen riefen:

-- Auf! Auf! Wir sind überfallen! Die Leute des Ritters
Olaf!

-- Er selbst an ihrer Spitze!

-- Auf! Die Leute des Ritters Olaf! Unsere Wachen haben
sie von weitem gesehen.

Die kleine Gudrun, die der Lärm erweckte, und welche die
Worte hörte, warf sich mit den Worten an den Hals Siegfried's:

-- Der Ritter Olaf! Rette mich!

-- Fürchte nichts, armes Kind. Er muß fürchten.

Dann wendete sich Siegfried an Falke und setzte hinzu:

-- Bruder, das Schicksal sendet uns einen der Unter-
drücker. Jch will diesen Ritter erschlagen, der einer der Grau-
samsten ist.

-- Tödte mich auch, flüsterte Gudrun, indem sie mit gefal-
tenen Händen auf ihre Kniee sank; lieber will ich sterben, als
dem Ritter wiederum in die Hände fallen.

Siegfried, den die Verzweiflung des Mädchens rührte und
der den Ausgang des Kampfes nicht voraussehen konnte, blieb
einen Augenblick nachdenklich; dann erblickte er einen ziemlich
hohen dicken Eichenast, sprang empor, faßte das Ende des-
selben, zog ihn so nieder und hielt ihn mit starker Hand
gebogen.

-- Bruder, sagte er zu dem Eremiten, setze Gudrun auf
diesen Ast; sie wird, wenn er hinaufschnellt, sich in die Aeste
schwingen und da sich versteckt halten können bis nach dem Ge-
fecht. Jch rufe unsere Leute zusammen. Guten Muth, Gudrun,
ich komme wieder.

Er eilte auch sofort zu seinen Gefährten, während die Leib-
eigene, von Falke auf den Eichenzweig gehoben, in dem dichten
Blätterdach des Baumes verschwand.

[Spaltenumbruch]

Der Morgen dämmerte; die Wipfel der Bäume glühten in
den ersten Strahlen der Sonne. Die Landstreicher, welche die
Annäherung des Ritters Olaf mit seinen Mannen gemeldet
hatten, waren auf einem für die Pferde der Dänen unzugäng-
lichen kürzern Wege durch das Dickicht gekommen. Die meisten
Landstreicher waren, müde vom Trinken, Singen und Tanzen,
auf dem Rasen kurz vor dem Aufgange der Sonne eingeschlafen;
jetzt eilten sie, aufgeschreckt, zu den Waffen, während die Leibei-
genen und Frauen, die sich ihnen unterwegs angeschlossen hatten,
als sie die Ankunft der Feinde erfuhren, zu zittern aufingen oder
nach dem dichtesten Theile des Waldes entflohen. Eine ziemliche
Anzahl indeß blieb muthig und versah sich, weil sie nichts anderes
hatte, mit dicken Keulen. Die Landstreicher zählten etwa ein
Dutzend vortreffliche Bogenschützen; die anderen waren mit Beilen,
mit Streitäxten, mit Lanzen, mit Schwertern oder Sensen be-
waffnet. Bei dem ersten Alarmrufe hatten sich die kecken
Burschen um Siegfried und den Eremiten gesammelt. Sollten
sie kämpfen oder fliehen? Wenige wollten das letztere, Viele das
erstere, und die schöne Nonne rief am Arme ihres Jägers lauter
als Alle: "zum Kampfe! zum Kampfe!" denn sie hoffte so nach
einer Nacht der Liebe und der Freiheit den Tod zu finden.

Zwei andere Schildwachen eilten jetzt herbei. Sie waren
im Gebüsch versteckt gewesen und hatten die Mannen des Ritters
zählen können. Es waren nur zwanzig zu Pferd, aber wohl
hundert zu Fuß, mit Lanzen und Kenlen bewaffnet, theils Dänen,
theils Leute aus der Stadt Schleswig, die im Namen des
Dänenkönigs durch Olaf aufgefordert worden waren, Mannschaft
zur Verfolgung der Landstreicher zu stellen. Mehrere Leibeigene
des Bischofs, welche aus Furcht vor der Hölle den Landstreichern
nach dem Brande nicht hatten folgen wollen, vermehrten die
Schaar Olafs, während die Landstreicher, mit Einschluß der
Neugeworbenen, die zu kämpfen entschlossen waren, höchstens acht-
zig Mann zählten.

Man hielt also Rath. Was man beschloß, werden wir später
erfahren.     ( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Zwei Lieder
von Heinrich Heine.
[Beginn Spaltensatz]
Das goldene Kalb.
( Eine Legende. )
Doppelflöten, Hörner, Geigen
Spielen auf zum Götzenreigen,
Und es tanzen Jakob's Töchter
Um das goldne Kalb herum --
Brumm -- brumm -- brumm --
Paukenschläge und Gelächter!
Hochgeschürzt bis zu den Lenden
Und sich fassend an den Händen,
Jungfrau'n edelster Geschlechter
Kreisen wie ein Wirbelwind
Um das Rind --
Paukenschläge und Gelächter!
Aron selbst wird fortgezogen
Von des Tanzes Wahnsinnwogen,
Und er selbst, der Glaubenswächter,
Tanzt im Hohenpriesterrock,
Wie ein Bock --
Paukenschläge und Gelächter!


[Spaltenumbruch]
Entartung.
Hat die Natur sich auch verschlechtert,
Und nimmt sie Menschenfehler an?
Mich dünkt, die Pflanzen und die Thiere,
Sie lügen jetzt wie Jedermann.
Jch glaub' nicht an der Lilje Keuschheit,
Es buhlt mit ihr der bunte Geck,
Der Schmetterling; der küsst und flattert
Am End' mit ihrer Unschuld weg.
Von der Bescheidenheit der Veilchen
Halt' ich nicht viel. Die kleine Blum',
Mit den koketten Düften lockt sie,
Und heimlich dürstet sie nach Ruhm.
Jch zweifle auch, ob sie empfindet,
Die Nachtigall, Das, was sie singt;
Sie übertreibt und schluchzt und trillert
Nur aus Routine, wie mich dünkt.
Die Wahrheit schwindet von der Erde,
Auch mit der Treu' ist es vorbei.
Die Hunde wedeln noch und stinken
Wie sonst, doch sind sie nicht mehr treu.


[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 41
[Beginn Spaltensatz] nahe Verwandte sein müßten. Was Du mir aus Deinem Leben
erzähltest, bewies mir, daß wir Brüder sind.

Bei diesen Worten Falke's hörten mit einemmale die Tänze
und Gesänge der Landstreicher auf, und Stimmen riefen:

— Auf! Auf! Wir sind überfallen! Die Leute des Ritters
Olaf!

— Er selbst an ihrer Spitze!

— Auf! Die Leute des Ritters Olaf! Unsere Wachen haben
sie von weitem gesehen.

Die kleine Gudrun, die der Lärm erweckte, und welche die
Worte hörte, warf sich mit den Worten an den Hals Siegfried's:

— Der Ritter Olaf! Rette mich!

— Fürchte nichts, armes Kind. Er muß fürchten.

Dann wendete sich Siegfried an Falke und setzte hinzu:

— Bruder, das Schicksal sendet uns einen der Unter-
drücker. Jch will diesen Ritter erschlagen, der einer der Grau-
samsten ist.

— Tödte mich auch, flüsterte Gudrun, indem sie mit gefal-
tenen Händen auf ihre Kniee sank; lieber will ich sterben, als
dem Ritter wiederum in die Hände fallen.

Siegfried, den die Verzweiflung des Mädchens rührte und
der den Ausgang des Kampfes nicht voraussehen konnte, blieb
einen Augenblick nachdenklich; dann erblickte er einen ziemlich
hohen dicken Eichenast, sprang empor, faßte das Ende des-
selben, zog ihn so nieder und hielt ihn mit starker Hand
gebogen.

— Bruder, sagte er zu dem Eremiten, setze Gudrun auf
diesen Ast; sie wird, wenn er hinaufschnellt, sich in die Aeste
schwingen und da sich versteckt halten können bis nach dem Ge-
fecht. Jch rufe unsere Leute zusammen. Guten Muth, Gudrun,
ich komme wieder.

Er eilte auch sofort zu seinen Gefährten, während die Leib-
eigene, von Falke auf den Eichenzweig gehoben, in dem dichten
Blätterdach des Baumes verschwand.

[Spaltenumbruch]

Der Morgen dämmerte; die Wipfel der Bäume glühten in
den ersten Strahlen der Sonne. Die Landstreicher, welche die
Annäherung des Ritters Olaf mit seinen Mannen gemeldet
hatten, waren auf einem für die Pferde der Dänen unzugäng-
lichen kürzern Wege durch das Dickicht gekommen. Die meisten
Landstreicher waren, müde vom Trinken, Singen und Tanzen,
auf dem Rasen kurz vor dem Aufgange der Sonne eingeschlafen;
jetzt eilten sie, aufgeschreckt, zu den Waffen, während die Leibei-
genen und Frauen, die sich ihnen unterwegs angeschlossen hatten,
als sie die Ankunft der Feinde erfuhren, zu zittern aufingen oder
nach dem dichtesten Theile des Waldes entflohen. Eine ziemliche
Anzahl indeß blieb muthig und versah sich, weil sie nichts anderes
hatte, mit dicken Keulen. Die Landstreicher zählten etwa ein
Dutzend vortreffliche Bogenschützen; die anderen waren mit Beilen,
mit Streitäxten, mit Lanzen, mit Schwertern oder Sensen be-
waffnet. Bei dem ersten Alarmrufe hatten sich die kecken
Burschen um Siegfried und den Eremiten gesammelt. Sollten
sie kämpfen oder fliehen? Wenige wollten das letztere, Viele das
erstere, und die schöne Nonne rief am Arme ihres Jägers lauter
als Alle: „zum Kampfe! zum Kampfe!“ denn sie hoffte so nach
einer Nacht der Liebe und der Freiheit den Tod zu finden.

Zwei andere Schildwachen eilten jetzt herbei. Sie waren
im Gebüsch versteckt gewesen und hatten die Mannen des Ritters
zählen können. Es waren nur zwanzig zu Pferd, aber wohl
hundert zu Fuß, mit Lanzen und Kenlen bewaffnet, theils Dänen,
theils Leute aus der Stadt Schleswig, die im Namen des
Dänenkönigs durch Olaf aufgefordert worden waren, Mannschaft
zur Verfolgung der Landstreicher zu stellen. Mehrere Leibeigene
des Bischofs, welche aus Furcht vor der Hölle den Landstreichern
nach dem Brande nicht hatten folgen wollen, vermehrten die
Schaar Olafs, während die Landstreicher, mit Einschluß der
Neugeworbenen, die zu kämpfen entschlossen waren, höchstens acht-
zig Mann zählten.

Man hielt also Rath. Was man beschloß, werden wir später
erfahren.     ( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Zwei Lieder
von Heinrich Heine.
[Beginn Spaltensatz]
Das goldene Kalb.
( Eine Legende. )
Doppelflöten, Hörner, Geigen
Spielen auf zum Götzenreigen,
Und es tanzen Jakob's Töchter
Um das goldne Kalb herum —
Brumm — brumm — brumm —
Paukenschläge und Gelächter!
Hochgeschürzt bis zu den Lenden
Und sich fassend an den Händen,
Jungfrau'n edelster Geschlechter
Kreisen wie ein Wirbelwind
Um das Rind —
Paukenschläge und Gelächter!
Aron selbst wird fortgezogen
Von des Tanzes Wahnsinnwogen,
Und er selbst, der Glaubenswächter,
Tanzt im Hohenpriesterrock,
Wie ein Bock —
Paukenschläge und Gelächter!


[Spaltenumbruch]
Entartung.
Hat die Natur sich auch verschlechtert,
Und nimmt sie Menschenfehler an?
Mich dünkt, die Pflanzen und die Thiere,
Sie lügen jetzt wie Jedermann.
Jch glaub' nicht an der Lilje Keuschheit,
Es buhlt mit ihr der bunte Geck,
Der Schmetterling; der küsst und flattert
Am End' mit ihrer Unschuld weg.
Von der Bescheidenheit der Veilchen
Halt' ich nicht viel. Die kleine Blum',
Mit den koketten Düften lockt sie,
Und heimlich dürstet sie nach Ruhm.
Jch zweifle auch, ob sie empfindet,
Die Nachtigall, Das, was sie singt;
Sie übertreibt und schluchzt und trillert
Nur aus Routine, wie mich dünkt.
Die Wahrheit schwindet von der Erde,
Auch mit der Treu' ist es vorbei.
Die Hunde wedeln noch und stinken
Wie sonst, doch sind sie nicht mehr treu.


[Ende Spaltensatz]
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[41/0017] Zur Unterhaltung und Belehrung. 41 nahe Verwandte sein müßten. Was Du mir aus Deinem Leben erzähltest, bewies mir, daß wir Brüder sind. Bei diesen Worten Falke's hörten mit einemmale die Tänze und Gesänge der Landstreicher auf, und Stimmen riefen: — Auf! Auf! Wir sind überfallen! Die Leute des Ritters Olaf! — Er selbst an ihrer Spitze! — Auf! Die Leute des Ritters Olaf! Unsere Wachen haben sie von weitem gesehen. Die kleine Gudrun, die der Lärm erweckte, und welche die Worte hörte, warf sich mit den Worten an den Hals Siegfried's: — Der Ritter Olaf! Rette mich! — Fürchte nichts, armes Kind. Er muß fürchten. Dann wendete sich Siegfried an Falke und setzte hinzu: — Bruder, das Schicksal sendet uns einen der Unter- drücker. Jch will diesen Ritter erschlagen, der einer der Grau- samsten ist. — Tödte mich auch, flüsterte Gudrun, indem sie mit gefal- tenen Händen auf ihre Kniee sank; lieber will ich sterben, als dem Ritter wiederum in die Hände fallen. 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Die meisten Landstreicher waren, müde vom Trinken, Singen und Tanzen, auf dem Rasen kurz vor dem Aufgange der Sonne eingeschlafen; jetzt eilten sie, aufgeschreckt, zu den Waffen, während die Leibei- genen und Frauen, die sich ihnen unterwegs angeschlossen hatten, als sie die Ankunft der Feinde erfuhren, zu zittern aufingen oder nach dem dichtesten Theile des Waldes entflohen. Eine ziemliche Anzahl indeß blieb muthig und versah sich, weil sie nichts anderes hatte, mit dicken Keulen. Die Landstreicher zählten etwa ein Dutzend vortreffliche Bogenschützen; die anderen waren mit Beilen, mit Streitäxten, mit Lanzen, mit Schwertern oder Sensen be- waffnet. Bei dem ersten Alarmrufe hatten sich die kecken Burschen um Siegfried und den Eremiten gesammelt. Sollten sie kämpfen oder fliehen? 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( Fortsetzung folgt. ) Zwei Lieder von Heinrich Heine. Das goldene Kalb. ( Eine Legende. ) Doppelflöten, Hörner, Geigen Spielen auf zum Götzenreigen, Und es tanzen Jakob's Töchter Um das goldne Kalb herum — Brumm — brumm — brumm — Paukenschläge und Gelächter! Hochgeschürzt bis zu den Lenden Und sich fassend an den Händen, Jungfrau'n edelster Geschlechter Kreisen wie ein Wirbelwind Um das Rind — Paukenschläge und Gelächter! Aron selbst wird fortgezogen Von des Tanzes Wahnsinnwogen, Und er selbst, der Glaubenswächter, Tanzt im Hohenpriesterrock, Wie ein Bock — Paukenschläge und Gelächter! Entartung. Hat die Natur sich auch verschlechtert, Und nimmt sie Menschenfehler an? Mich dünkt, die Pflanzen und die Thiere, Sie lügen jetzt wie Jedermann. Jch glaub' nicht an der Lilje Keuschheit, Es buhlt mit ihr der bunte Geck, Der Schmetterling; der küsst und flattert Am End' mit ihrer Unschuld weg. Von der Bescheidenheit der Veilchen Halt' ich nicht viel. Die kleine Blum', Mit den koketten Düften lockt sie, Und heimlich dürstet sie nach Ruhm. Jch zweifle auch, ob sie empfindet, Die Nachtigall, Das, was sie singt; Sie übertreibt und schluchzt und trillert Nur aus Routine, wie mich dünkt. Die Wahrheit schwindet von der Erde, Auch mit der Treu' ist es vorbei. Die Hunde wedeln noch und stinken Wie sonst, doch sind sie nicht mehr treu.

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Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/17>, abgerufen am 21.11.2024.