Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Zur Unterhaltung und Belehrung. 44
[Beginn Spaltensatz] Heinrich's V. oder Napoleon's, noch für Rechnung der Republik
erhoben. Die Jnsurrektion hatte dießmal einen weit furchtbareren
Charakter. Denn sie war eine blutige Darlegung der Nieder-
trächtigkeit und Heuchelei der vermeintlichen Freiheit der Arbeit,
welche den Armen der Willkür des Reichen anheimgiebt und der
Habgier, die zu warten versteht, einen leichten Sieg über den
Hunger verleiht, der nicht warten kann. Arbeitend leben
oder kämpfend sterben!
Nie war eine herzzerreißendere,
schrecklichere Devise auf eine Fahne geschrieben worden; sie zeigte
in der Jnsurrektion der Lyoner Arbeiter einen wahren Sklaven-
krieg, und an der Macht, welche diese Sklaven der modernen
Zeiten entfaltet hatten, obwohl ihnen ein Spartakus gefehlt
hatte, lies sich leicht erkennen, welche Stürme das 19te Jahr-
hundert in seinem Schooße trage.

Aber die Verblendung und Unwissenheit der Männer, welche
damals an der Spitze der Gesellschaft standen, war so groß, daß
sie sich vollkommen beruhigt fühlten, als sie erfuhren, die Jn-
surrektion habe keinen politischen Charakter gehabt. "Das
hat nichts zu besagen!" riefen die Organe der Regierung um
die Wette aus, "das ist ein bloßer Streit zwischen den Fabri-
kanten und den Arbeitern."

Die Kammer glaubte für die Heilung des ungeheuren Uebels,
von welchem der Aufstand zu Lyon ein Symptom war, genug
zu thun, indem sie auf den Vorschlag Herrn Augustin Giraud's
dem Könige eine folgendermaßen lautende Adresse überreichte:

" Sire, wir haben mit Dankbarkeit und zugleich mit Schmerz
die freimüthigen und vollständigen Mittheilungen entgegenge-
nommen, welche uns die Minister Jhrer Majestät über die in
der Stadt Lyon ausgebrochenen Unruhen übergeben haben. Wir
geben dem patriotischen Schwunge, welcher den Prinzen, Jhren
Sohn, bewogen hat, sich in die Mitte der Franzosen, deren Blut
fließt, zu begeben, um dem Blutvergießen Einhalt zu thun, unsern
vollen Beifall. Wir beeilen uns, Jhrer Majestät den einstimmigen
Wunsch der Deputirten Frankreichs dahin auszusprechen, daß die
Regierung diesen beklagenswerthen Ausschweifungen die ganze
Macht der Gesetze entgegensetzen möge. Die Sicherheit der
Personen ist gewaltsam angegriffen worden; das Eigenthum ist
in seinem Prinzipe gefährdet worden; der Freiheit der Jndustrie
hat Zerstörung gedroht; die Stimme der Behörden ist nicht ge-
hört worden. Diese Unordnungen müssen rasch aufhören; solche
Unternehmungen müssen kräftig unterdrückt werden. Ganz Frank-
reich ist durch diese Antastung der Rechte Aller in der Person[unleserliches Material]einiger Bürger verletzt worden. Die von der Regierung Jhrer
Majestät schon ergriffenen Maßregeln geben uns das Vertrauen,
daß die Rückkehr der Ordnung nicht lange ausbleiben wird. Die
feste Vereinigung der Nationalgarden und der Linientruppen be-
ruhigt alle guten Bürger. Jhre Majestät kann auf die Har-
monie der Staatsgewalten zählen. Wir sind glücklich, Sire,
Jhnen im Namen Frankreichs die Mitwirkung seiner Deputirten
zur Wiederherstellung des Friedens, wo er gestört ist, zur Er-
stickung der Keime der Anarchie, zur Befestigung der heiligen
Prinzipien, auf welchen die Existenz der Nation beruht, zur Auf-
rechthaltung des glorreichen Werks der Juli=Revolution und
zur Festhaltung der Kraft und der Festigkeit des Gesetzes anzu-
bieten."

Eine ähnliche Adresse wurde von der Pairs=Kammer votirt,
und der König erhielt so Gelegenheit, die Freude auszu-
sprechen, welche ihm die Uebereinstimmung der Staatsgewalten
verursache.

Also Kanonen, um den Uebelständen der Konkurrenz zu
begegnen; Festungen, um eine Masse Unglücklicher zu unter-
werfen, welche ihre Arbeit unter der Bedingung, nicht Hungers
zu sterben, anboten; Soldaten d. h. bewaffnete Arme, um
waffenlose Arme zu bändigen -- -- schienen den Ministern, De-
putirten, Pairs das beste Mittel der Regierung.

So endete die erste Schlacht des Proletariats. --

Jn dem nächsten Jahre am 5. und 6 Juni 1832 fand in
Paris beim Leichenbegängniß des Generals Lamarque ein repu-
blikanischer Aufstand statt. Derselbe trug zwar keinen socialen
Charakter, jedoch war von diesem Augenblick an zwischen dem rein
politischen Pariser und rein socialen Element zu Lyon eine Brücke
angebahnt. Männer wie Buonarotti, der Gefährte Babeuf's,
welcher damals sein Werk "die Verschwörung des Babeuf" ver-
breitete, und Cabet wußten den Pariser Republikanern die sociale
Frage näher zu bringen. Zugleich dehnten sich die politischen
Bünde, vornehmlich "die Gesellschaft der Menschenrechte", nach
Lyon aus, und die französische Arbeiterbewegung gewann von jetzt
[Spaltenumbruch] ab den entschieden social=demokratischen Charakter. Die zweite
Schlacht des Proletariats nahte heran; sie trug den neuen be-
wußten social=politischen Charakter des Klassenkampfes des Pro-
letariats.

Unsere Erzählung führt uns zum 9. April 1834; um
aber den Schlüssel zu den blutigen Ereignissen zu erhalten,
welche dieses Datum bezeichnet, müssen wir etwas weiter zurück-
gehen.

Jn Lyon war die Gährung lange schon ungeheuer groß, und
Alles trug dazu bei, den Sturm vom November, dessen Erschütte-
rung Frankreich noch fühlte, auf eine umfassendere und schreck-
lichere Weise zu erneuern.

Die Jnsurrektion vom November hatte die Regierung über-
rascht. Daher hatte sie nach ihrer Niederlage Alles aufgeboten,
um die Schmach derselben zu verwischen. Die Zahl der Garnison
wurde ungeheuer verstärkt; in allen benachbarten Städten waren
Truppen gesammelt, welche bereit waren, auf das erste Signal
zu marschiren; die Nationalgarde wurde auf eine brutale Weise
entwaffnet; Festungswerke erhoben sich um die Stadt, und die
Kanonen, welche sie bändigen oder zerstören sollten, waren vom
Rathhause, das im mittelsten und reichsten Viertel lag, nur um
1500--2000 Metres entfernt. Die Kriegsbehörde kaufte eine
große Mauer und ließ dieselbe ausbessern, um vermittelst derselben
die Vorstadt Croix=Rousse, die Wiege der Jnsurrektion vom No-
vember, zu isoliren; die Staatsgewalt suchte sich selbst im Jnnern
der Stadt befestigte Punkte zu verschaffen, mit einem Worte,
Lyon wurde wie ein befestigtes Lager für den vorhergesehenen
und unvermeidlichen Kampf in Stand gesetzt. Zugleich schien sich
die Militairbehörde in einer drohenden und pomphaften
Schaustellung ihrer Kräfte zu gefallen. Oft fanden die Lyoner
bei ihrem Erwachen die Plätze mit bewaffneten Soldaten
bedeckt. Jn allen Gemüthern herrschte Verwirrung, Schrecken
oder Zorn.

Ein republikanisches Arbeiterblatt, die "Glaneuse", tauchte
zu jener Zeit in Lyon auf; durch zwei Preßprocesse ward es
unterdrückt, was viel böses Blut unter den Arbeitern hervorrief.
Dann, im Beginn des Jahres 1834, regte sich wieder die in
Lyon so furchtbare Magenfrage.

Von jetzt ab gruppirten sich die Ereignisse zunächst um eine
Gewerkschaftsbewegung, den sogenannten Mutualismus.

Der Mutualismus war die Association der Seidenarbeiter;
dieselbe war rein industriell, und die Zeit ihres Entstehens fällt
in das Jahr 1828. Jhre Statuten schlossen ganz bestimmt re-
ligiöse und politische Erörterungen aus. Der Mutualismus,
der zunächst zum Zwecke gegenseitigen Beistandes unter den Ar-
beitern gegründet war, theilte sich in Logen von weniger als 20
Personen; elf Logen, von denen jede zwei Abgeordnete er-
nannte, bildeten eine Central=Loge, und die Leitung fiel einem
aus den Präsidenten der Central=Logen gebildeten Rathe zu.
Die Macht der Präsidenten der Central=Logen hatte sich bis
gegen Ende 1831 erhalten, um diese Zeit wurde sie erschüttert.
Die Association wollte ihren Einfluß erweitern, sie wollte die
Macht, welche sie aus der Einigung ihrer Mitglieder schöpfte,
zur Verhinderung der Verminderung des Arbeitslohnes anwenden;
sie wollte der heuchlerischen Tyrannei, welche im Kampfe des
Armen gegen den Reichen die Freiheit der Arbeit heißt, ein
Gegengewicht entgegensetzen. Aber zur Erreichung dieser neuen
Absichten bedurfte es einer neuen Gewalt. Die Präsidenten der
Central=Logen wurden abgesetzt, und ihre Gewalt ging in die
Hände eines ausübenden Rathes über, welcher übrigens
selbst nur ein Werkzeug der demokratisch organisirten Association war.

Jndeß verschlimmerte sich die Lage der Arbeiter immer mehr.
Jn Folge der Konkurrenz hatten die Bestellungen abgenommen.
Der Umsatz der Lyoner Fabrikate hatte sich in den ersten Mo-
naten des Jahres 1834 beträchtlich vermindert. Und nie hatte
sich vermöge eines traurigen Kontrastes die Freude der Reichen
auf eine lärmendere Weise geäußert. Die Bälle folgten mit
einer Schnelligkeit auf einander, die wie eine Herausforderung
erscheinen mußte. Lyon hallte vom Lärm der Feste wieder;
der Arme gerieth darüber in Jngrimm, und in seinem Herzen
setzte sich der Zorn neben der Verzweiflung fest. Die Krisis war
also unvermeidlich geworden; eine Veränderung des Arbeitslohnes
für den Sammetplüsch, welche 25 Centimes auf die Elle betrug,
beschleunigte dieselbe. Diese Herabsetzung war allerdings an und
für sich nicht sehr bedeutend, aber sie traf einen schon unzureichen-
den Lohn, und da sie noch weiteren Uebergriffen das Thor öffnete,
so war sie als ein erster Schritt zur Anwendung des Gesetzes
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 44
[Beginn Spaltensatz] Heinrich's V. oder Napoleon's, noch für Rechnung der Republik
erhoben. Die Jnsurrektion hatte dießmal einen weit furchtbareren
Charakter. Denn sie war eine blutige Darlegung der Nieder-
trächtigkeit und Heuchelei der vermeintlichen Freiheit der Arbeit,
welche den Armen der Willkür des Reichen anheimgiebt und der
Habgier, die zu warten versteht, einen leichten Sieg über den
Hunger verleiht, der nicht warten kann. Arbeitend leben
oder kämpfend sterben!
Nie war eine herzzerreißendere,
schrecklichere Devise auf eine Fahne geschrieben worden; sie zeigte
in der Jnsurrektion der Lyoner Arbeiter einen wahren Sklaven-
krieg, und an der Macht, welche diese Sklaven der modernen
Zeiten entfaltet hatten, obwohl ihnen ein Spartakus gefehlt
hatte, lies sich leicht erkennen, welche Stürme das 19te Jahr-
hundert in seinem Schooße trage.

Aber die Verblendung und Unwissenheit der Männer, welche
damals an der Spitze der Gesellschaft standen, war so groß, daß
sie sich vollkommen beruhigt fühlten, als sie erfuhren, die Jn-
surrektion habe keinen politischen Charakter gehabt. „Das
hat nichts zu besagen!“ riefen die Organe der Regierung um
die Wette aus, „das ist ein bloßer Streit zwischen den Fabri-
kanten und den Arbeitern.“

Die Kammer glaubte für die Heilung des ungeheuren Uebels,
von welchem der Aufstand zu Lyon ein Symptom war, genug
zu thun, indem sie auf den Vorschlag Herrn Augustin Giraud's
dem Könige eine folgendermaßen lautende Adresse überreichte:

„ Sire, wir haben mit Dankbarkeit und zugleich mit Schmerz
die freimüthigen und vollständigen Mittheilungen entgegenge-
nommen, welche uns die Minister Jhrer Majestät über die in
der Stadt Lyon ausgebrochenen Unruhen übergeben haben. Wir
geben dem patriotischen Schwunge, welcher den Prinzen, Jhren
Sohn, bewogen hat, sich in die Mitte der Franzosen, deren Blut
fließt, zu begeben, um dem Blutvergießen Einhalt zu thun, unsern
vollen Beifall. Wir beeilen uns, Jhrer Majestät den einstimmigen
Wunsch der Deputirten Frankreichs dahin auszusprechen, daß die
Regierung diesen beklagenswerthen Ausschweifungen die ganze
Macht der Gesetze entgegensetzen möge. Die Sicherheit der
Personen ist gewaltsam angegriffen worden; das Eigenthum ist
in seinem Prinzipe gefährdet worden; der Freiheit der Jndustrie
hat Zerstörung gedroht; die Stimme der Behörden ist nicht ge-
hört worden. Diese Unordnungen müssen rasch aufhören; solche
Unternehmungen müssen kräftig unterdrückt werden. Ganz Frank-
reich ist durch diese Antastung der Rechte Aller in der Person[unleserliches Material]einiger Bürger verletzt worden. Die von der Regierung Jhrer
Majestät schon ergriffenen Maßregeln geben uns das Vertrauen,
daß die Rückkehr der Ordnung nicht lange ausbleiben wird. Die
feste Vereinigung der Nationalgarden und der Linientruppen be-
ruhigt alle guten Bürger. Jhre Majestät kann auf die Har-
monie der Staatsgewalten zählen. Wir sind glücklich, Sire,
Jhnen im Namen Frankreichs die Mitwirkung seiner Deputirten
zur Wiederherstellung des Friedens, wo er gestört ist, zur Er-
stickung der Keime der Anarchie, zur Befestigung der heiligen
Prinzipien, auf welchen die Existenz der Nation beruht, zur Auf-
rechthaltung des glorreichen Werks der Juli=Revolution und
zur Festhaltung der Kraft und der Festigkeit des Gesetzes anzu-
bieten.“

Eine ähnliche Adresse wurde von der Pairs=Kammer votirt,
und der König erhielt so Gelegenheit, die Freude auszu-
sprechen, welche ihm die Uebereinstimmung der Staatsgewalten
verursache.

Also Kanonen, um den Uebelständen der Konkurrenz zu
begegnen; Festungen, um eine Masse Unglücklicher zu unter-
werfen, welche ihre Arbeit unter der Bedingung, nicht Hungers
zu sterben, anboten; Soldaten d. h. bewaffnete Arme, um
waffenlose Arme zu bändigen — — schienen den Ministern, De-
putirten, Pairs das beste Mittel der Regierung.

So endete die erste Schlacht des Proletariats. —

Jn dem nächsten Jahre am 5. und 6 Juni 1832 fand in
Paris beim Leichenbegängniß des Generals Lamarque ein repu-
blikanischer Aufstand statt. Derselbe trug zwar keinen socialen
Charakter, jedoch war von diesem Augenblick an zwischen dem rein
politischen Pariser und rein socialen Element zu Lyon eine Brücke
angebahnt. Männer wie Buonarotti, der Gefährte Babeuf's,
welcher damals sein Werk „die Verschwörung des Babeuf“ ver-
breitete, und Cabet wußten den Pariser Republikanern die sociale
Frage näher zu bringen. Zugleich dehnten sich die politischen
Bünde, vornehmlich „die Gesellschaft der Menschenrechte“, nach
Lyon aus, und die französische Arbeiterbewegung gewann von jetzt
[Spaltenumbruch] ab den entschieden social=demokratischen Charakter. Die zweite
Schlacht des Proletariats nahte heran; sie trug den neuen be-
wußten social=politischen Charakter des Klassenkampfes des Pro-
letariats.

Unsere Erzählung führt uns zum 9. April 1834; um
aber den Schlüssel zu den blutigen Ereignissen zu erhalten,
welche dieses Datum bezeichnet, müssen wir etwas weiter zurück-
gehen.

Jn Lyon war die Gährung lange schon ungeheuer groß, und
Alles trug dazu bei, den Sturm vom November, dessen Erschütte-
rung Frankreich noch fühlte, auf eine umfassendere und schreck-
lichere Weise zu erneuern.

Die Jnsurrektion vom November hatte die Regierung über-
rascht. Daher hatte sie nach ihrer Niederlage Alles aufgeboten,
um die Schmach derselben zu verwischen. Die Zahl der Garnison
wurde ungeheuer verstärkt; in allen benachbarten Städten waren
Truppen gesammelt, welche bereit waren, auf das erste Signal
zu marschiren; die Nationalgarde wurde auf eine brutale Weise
entwaffnet; Festungswerke erhoben sich um die Stadt, und die
Kanonen, welche sie bändigen oder zerstören sollten, waren vom
Rathhause, das im mittelsten und reichsten Viertel lag, nur um
1500—2000 Metres entfernt. Die Kriegsbehörde kaufte eine
große Mauer und ließ dieselbe ausbessern, um vermittelst derselben
die Vorstadt Croix=Rousse, die Wiege der Jnsurrektion vom No-
vember, zu isoliren; die Staatsgewalt suchte sich selbst im Jnnern
der Stadt befestigte Punkte zu verschaffen, mit einem Worte,
Lyon wurde wie ein befestigtes Lager für den vorhergesehenen
und unvermeidlichen Kampf in Stand gesetzt. Zugleich schien sich
die Militairbehörde in einer drohenden und pomphaften
Schaustellung ihrer Kräfte zu gefallen. Oft fanden die Lyoner
bei ihrem Erwachen die Plätze mit bewaffneten Soldaten
bedeckt. Jn allen Gemüthern herrschte Verwirrung, Schrecken
oder Zorn.

Ein republikanisches Arbeiterblatt, die „Glaneuse“, tauchte
zu jener Zeit in Lyon auf; durch zwei Preßprocesse ward es
unterdrückt, was viel böses Blut unter den Arbeitern hervorrief.
Dann, im Beginn des Jahres 1834, regte sich wieder die in
Lyon so furchtbare Magenfrage.

Von jetzt ab gruppirten sich die Ereignisse zunächst um eine
Gewerkschaftsbewegung, den sogenannten Mutualismus.

Der Mutualismus war die Association der Seidenarbeiter;
dieselbe war rein industriell, und die Zeit ihres Entstehens fällt
in das Jahr 1828. Jhre Statuten schlossen ganz bestimmt re-
ligiöse und politische Erörterungen aus. Der Mutualismus,
der zunächst zum Zwecke gegenseitigen Beistandes unter den Ar-
beitern gegründet war, theilte sich in Logen von weniger als 20
Personen; elf Logen, von denen jede zwei Abgeordnete er-
nannte, bildeten eine Central=Loge, und die Leitung fiel einem
aus den Präsidenten der Central=Logen gebildeten Rathe zu.
Die Macht der Präsidenten der Central=Logen hatte sich bis
gegen Ende 1831 erhalten, um diese Zeit wurde sie erschüttert.
Die Association wollte ihren Einfluß erweitern, sie wollte die
Macht, welche sie aus der Einigung ihrer Mitglieder schöpfte,
zur Verhinderung der Verminderung des Arbeitslohnes anwenden;
sie wollte der heuchlerischen Tyrannei, welche im Kampfe des
Armen gegen den Reichen die Freiheit der Arbeit heißt, ein
Gegengewicht entgegensetzen. Aber zur Erreichung dieser neuen
Absichten bedurfte es einer neuen Gewalt. Die Präsidenten der
Central=Logen wurden abgesetzt, und ihre Gewalt ging in die
Hände eines ausübenden Rathes über, welcher übrigens
selbst nur ein Werkzeug der demokratisch organisirten Association war.

Jndeß verschlimmerte sich die Lage der Arbeiter immer mehr.
Jn Folge der Konkurrenz hatten die Bestellungen abgenommen.
Der Umsatz der Lyoner Fabrikate hatte sich in den ersten Mo-
naten des Jahres 1834 beträchtlich vermindert. Und nie hatte
sich vermöge eines traurigen Kontrastes die Freude der Reichen
auf eine lärmendere Weise geäußert. Die Bälle folgten mit
einer Schnelligkeit auf einander, die wie eine Herausforderung
erscheinen mußte. Lyon hallte vom Lärm der Feste wieder;
der Arme gerieth darüber in Jngrimm, und in seinem Herzen
setzte sich der Zorn neben der Verzweiflung fest. Die Krisis war
also unvermeidlich geworden; eine Veränderung des Arbeitslohnes
für den Sammetplüsch, welche 25 Centimes auf die Elle betrug,
beschleunigte dieselbe. Diese Herabsetzung war allerdings an und
für sich nicht sehr bedeutend, aber sie traf einen schon unzureichen-
den Lohn, und da sie noch weiteren Uebergriffen das Thor öffnete,
so war sie als ein erster Schritt zur Anwendung des Gesetzes
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Schlacht1" type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="44"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Zur Unterhaltung und Belehrung.</hi> 44</fw><cb type="start"/>
Heinrich's <hi rendition="#aq">V</hi>. oder Napoleon's, noch für Rechnung der Republik<lb/>
erhoben. Die Jnsurrektion hatte dießmal einen weit furchtbareren<lb/>
Charakter. Denn sie war eine blutige Darlegung der Nieder-<lb/>
trächtigkeit und Heuchelei der vermeintlichen Freiheit der Arbeit,<lb/>
welche den Armen der Willkür des Reichen anheimgiebt und der<lb/>
Habgier, die zu warten versteht, einen leichten Sieg über den<lb/>
Hunger verleiht, der nicht warten kann. <hi rendition="#g">Arbeitend leben<lb/>
oder kämpfend sterben!</hi> Nie war eine herzzerreißendere,<lb/>
schrecklichere Devise auf eine Fahne geschrieben worden; sie zeigte<lb/>
in der Jnsurrektion der Lyoner Arbeiter einen wahren Sklaven-<lb/>
krieg, und an der Macht, welche diese Sklaven der modernen<lb/>
Zeiten entfaltet hatten, obwohl ihnen ein Spartakus gefehlt<lb/>
hatte, lies sich leicht erkennen, welche Stürme das 19te Jahr-<lb/>
hundert in seinem Schooße trage. </p><lb/>
        <p>Aber die Verblendung und Unwissenheit der Männer, welche<lb/>
damals an der Spitze der Gesellschaft standen, war so groß, daß<lb/>
sie sich vollkommen beruhigt fühlten, als sie erfuhren, die Jn-<lb/>
surrektion habe <hi rendition="#g">keinen politischen Charakter</hi> gehabt. &#x201E;Das<lb/>
hat nichts zu besagen!&#x201C; riefen die Organe der Regierung um<lb/>
die Wette aus, &#x201E;das ist ein bloßer Streit zwischen den Fabri-<lb/>
kanten und den Arbeitern.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Kammer glaubte für die Heilung des ungeheuren Uebels,<lb/>
von welchem der Aufstand zu Lyon ein Symptom war, genug<lb/>
zu thun, indem sie auf den Vorschlag Herrn Augustin Giraud's<lb/>
dem Könige eine folgendermaßen lautende Adresse überreichte:</p><lb/>
        <p>&#x201E; Sire, wir haben mit Dankbarkeit und zugleich mit Schmerz<lb/>
die freimüthigen und vollständigen Mittheilungen entgegenge-<lb/>
nommen, welche uns die Minister Jhrer Majestät über die in<lb/>
der Stadt Lyon ausgebrochenen Unruhen übergeben haben. Wir<lb/>
geben dem patriotischen Schwunge, welcher den Prinzen, Jhren<lb/>
Sohn, bewogen hat, sich in die Mitte der Franzosen, deren Blut<lb/>
fließt, zu begeben, um dem Blutvergießen Einhalt zu thun, unsern<lb/>
vollen Beifall. Wir beeilen uns, Jhrer Majestät den einstimmigen<lb/>
Wunsch der Deputirten Frankreichs dahin auszusprechen, daß die<lb/>
Regierung diesen beklagenswerthen Ausschweifungen die ganze<lb/>
Macht der Gesetze entgegensetzen möge. Die Sicherheit der<lb/>
Personen ist gewaltsam angegriffen worden; das Eigenthum ist<lb/>
in seinem Prinzipe gefährdet worden; der Freiheit der Jndustrie<lb/>
hat Zerstörung gedroht; die Stimme der Behörden ist nicht ge-<lb/>
hört worden. Diese Unordnungen müssen rasch aufhören; solche<lb/>
Unternehmungen müssen kräftig unterdrückt werden. Ganz Frank-<lb/>
reich ist durch diese Antastung der Rechte Aller in der Person<gap reason="illegible"/>einiger Bürger verletzt worden. Die von der Regierung Jhrer<lb/>
Majestät schon ergriffenen Maßregeln geben uns das Vertrauen,<lb/>
daß die Rückkehr der Ordnung nicht lange ausbleiben wird. Die<lb/>
feste Vereinigung der Nationalgarden und der Linientruppen be-<lb/>
ruhigt alle guten Bürger. Jhre Majestät kann auf die Har-<lb/>
monie der Staatsgewalten zählen. Wir sind glücklich, Sire,<lb/>
Jhnen im Namen Frankreichs die Mitwirkung seiner Deputirten<lb/>
zur Wiederherstellung des Friedens, wo er gestört ist, zur Er-<lb/>
stickung der Keime der Anarchie, zur Befestigung der heiligen<lb/>
Prinzipien, auf welchen die Existenz der Nation beruht, zur Auf-<lb/>
rechthaltung des glorreichen Werks der Juli=Revolution und<lb/>
zur Festhaltung der Kraft und der Festigkeit des Gesetzes anzu-<lb/>
bieten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Eine ähnliche Adresse wurde von der Pairs=Kammer votirt,<lb/>
und der König erhielt so Gelegenheit, die Freude auszu-<lb/>
sprechen, welche ihm die Uebereinstimmung der Staatsgewalten<lb/>
verursache.</p><lb/>
        <p>Also Kanonen, um den Uebelständen der Konkurrenz zu<lb/>
begegnen; Festungen, um eine Masse Unglücklicher zu unter-<lb/>
werfen, welche ihre Arbeit unter der Bedingung, nicht Hungers<lb/>
zu sterben, anboten; Soldaten d. h. bewaffnete Arme, um<lb/>
waffenlose Arme zu bändigen &#x2014; &#x2014; schienen den Ministern, De-<lb/>
putirten, Pairs das beste Mittel der Regierung.</p><lb/>
        <p>So endete die erste Schlacht des Proletariats. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Jn dem nächsten Jahre am 5. und 6 Juni 1832 fand in<lb/>
Paris beim Leichenbegängniß des Generals Lamarque ein repu-<lb/>
blikanischer Aufstand statt. Derselbe trug zwar keinen socialen<lb/>
Charakter, jedoch war von diesem Augenblick an zwischen dem rein<lb/>
politischen Pariser und rein socialen Element zu Lyon eine Brücke<lb/>
angebahnt. Männer wie Buonarotti, der Gefährte Babeuf's,<lb/>
welcher damals sein Werk &#x201E;die Verschwörung des Babeuf&#x201C; ver-<lb/>
breitete, und Cabet wußten den Pariser Republikanern die sociale<lb/>
Frage näher zu bringen. Zugleich dehnten sich die politischen<lb/>
Bünde, vornehmlich &#x201E;die Gesellschaft der Menschenrechte&#x201C;, nach<lb/>
Lyon aus, und die französische Arbeiterbewegung gewann von jetzt<lb/><cb n="2"/>
ab den entschieden social=demokratischen Charakter. Die zweite<lb/>
Schlacht des Proletariats nahte heran; sie trug den neuen be-<lb/>
wußten social=politischen Charakter des Klassenkampfes des Pro-<lb/>
letariats.</p><lb/>
        <p>Unsere Erzählung führt uns zum 9. April 1834; um<lb/>
aber den Schlüssel zu den blutigen Ereignissen zu erhalten,<lb/>
welche dieses Datum bezeichnet, müssen wir etwas weiter zurück-<lb/>
gehen.</p><lb/>
        <p>Jn Lyon war die Gährung lange schon ungeheuer groß, und<lb/>
Alles trug dazu bei, den Sturm vom November, dessen Erschütte-<lb/>
rung Frankreich noch fühlte, auf eine umfassendere und schreck-<lb/>
lichere Weise zu erneuern.</p><lb/>
        <p>Die Jnsurrektion vom November hatte die Regierung über-<lb/>
rascht. Daher hatte sie nach ihrer Niederlage Alles aufgeboten,<lb/>
um die Schmach derselben zu verwischen. Die Zahl der Garnison<lb/>
wurde ungeheuer verstärkt; in allen benachbarten Städten waren<lb/>
Truppen gesammelt, welche bereit waren, auf das erste Signal<lb/>
zu marschiren; die Nationalgarde wurde auf eine brutale Weise<lb/>
entwaffnet; Festungswerke erhoben sich um die Stadt, und die<lb/>
Kanonen, welche sie bändigen oder zerstören sollten, waren vom<lb/>
Rathhause, das im mittelsten und reichsten Viertel lag, nur um<lb/>
1500&#x2014;2000 Metres entfernt. Die Kriegsbehörde kaufte eine<lb/>
große Mauer und ließ dieselbe ausbessern, um vermittelst derselben<lb/>
die Vorstadt Croix=Rousse, die Wiege der Jnsurrektion vom No-<lb/>
vember, zu isoliren; die Staatsgewalt suchte sich selbst im Jnnern<lb/>
der Stadt befestigte Punkte zu verschaffen, mit einem Worte,<lb/>
Lyon wurde wie ein befestigtes Lager für den vorhergesehenen<lb/>
und unvermeidlichen Kampf in Stand gesetzt. Zugleich schien sich<lb/>
die Militairbehörde in einer drohenden und pomphaften<lb/>
Schaustellung ihrer Kräfte zu gefallen. Oft fanden die Lyoner<lb/>
bei ihrem Erwachen die Plätze mit bewaffneten Soldaten<lb/>
bedeckt. Jn allen Gemüthern herrschte Verwirrung, Schrecken<lb/>
oder Zorn.</p><lb/>
        <p>Ein republikanisches Arbeiterblatt, die &#x201E;Glaneuse&#x201C;, tauchte<lb/>
zu jener Zeit in Lyon auf; durch zwei Preßprocesse ward es<lb/>
unterdrückt, was viel böses Blut unter den Arbeitern hervorrief.<lb/>
Dann, im Beginn des Jahres 1834, regte sich wieder die in<lb/>
Lyon so furchtbare Magenfrage.</p><lb/>
        <p>Von jetzt ab gruppirten sich die Ereignisse zunächst um eine<lb/>
Gewerkschaftsbewegung, den sogenannten Mutualismus.</p><lb/>
        <p>Der Mutualismus war die Association der Seidenarbeiter;<lb/>
dieselbe war rein industriell, und die Zeit ihres Entstehens fällt<lb/>
in das Jahr 1828. Jhre Statuten schlossen ganz bestimmt re-<lb/>
ligiöse und politische Erörterungen aus. Der Mutualismus,<lb/>
der zunächst zum Zwecke gegenseitigen Beistandes unter den Ar-<lb/>
beitern gegründet war, theilte sich in Logen von weniger als 20<lb/>
Personen; elf Logen, von denen jede zwei Abgeordnete er-<lb/>
nannte, bildeten eine Central=Loge, und die Leitung fiel einem<lb/>
aus den Präsidenten der Central=Logen gebildeten Rathe zu.<lb/>
Die Macht der Präsidenten der Central=Logen hatte sich bis<lb/>
gegen Ende 1831 erhalten, um diese Zeit wurde sie erschüttert.<lb/>
Die Association wollte ihren Einfluß erweitern, sie wollte die<lb/>
Macht, welche sie aus der Einigung ihrer Mitglieder schöpfte,<lb/>
zur Verhinderung der Verminderung des Arbeitslohnes anwenden;<lb/>
sie wollte der heuchlerischen Tyrannei, welche im Kampfe des<lb/>
Armen gegen den Reichen die Freiheit der Arbeit heißt, ein<lb/>
Gegengewicht entgegensetzen. Aber zur Erreichung dieser neuen<lb/>
Absichten bedurfte es einer neuen Gewalt. Die Präsidenten der<lb/>
Central=Logen wurden abgesetzt, und ihre Gewalt ging in die<lb/>
Hände eines ausübenden Rathes über, welcher übrigens<lb/>
selbst nur ein Werkzeug der demokratisch organisirten Association war.</p><lb/>
        <p>Jndeß verschlimmerte sich die Lage der Arbeiter immer mehr.<lb/>
Jn Folge der Konkurrenz hatten die Bestellungen abgenommen.<lb/>
Der Umsatz der Lyoner Fabrikate hatte sich in den ersten Mo-<lb/>
naten des Jahres 1834 beträchtlich vermindert. Und nie hatte<lb/>
sich vermöge eines traurigen Kontrastes die Freude der Reichen<lb/>
auf eine lärmendere Weise geäußert. Die Bälle folgten mit<lb/>
einer Schnelligkeit auf einander, die wie eine Herausforderung<lb/>
erscheinen mußte. Lyon hallte vom Lärm der Feste wieder;<lb/>
der Arme gerieth darüber in Jngrimm, und in seinem Herzen<lb/>
setzte sich der Zorn neben der Verzweiflung fest. Die Krisis war<lb/>
also unvermeidlich geworden; eine Veränderung des Arbeitslohnes<lb/>
für den Sammetplüsch, welche 25 Centimes auf die Elle betrug,<lb/>
beschleunigte dieselbe. Diese Herabsetzung war allerdings an und<lb/>
für sich nicht sehr bedeutend, aber sie traf einen schon unzureichen-<lb/>
den Lohn, und da sie noch weiteren Uebergriffen das Thor öffnete,<lb/>
so war sie als ein erster Schritt zur Anwendung des Gesetzes<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0020] Zur Unterhaltung und Belehrung. 44 Heinrich's V. oder Napoleon's, noch für Rechnung der Republik erhoben. Die Jnsurrektion hatte dießmal einen weit furchtbareren Charakter. Denn sie war eine blutige Darlegung der Nieder- trächtigkeit und Heuchelei der vermeintlichen Freiheit der Arbeit, welche den Armen der Willkür des Reichen anheimgiebt und der Habgier, die zu warten versteht, einen leichten Sieg über den Hunger verleiht, der nicht warten kann. Arbeitend leben oder kämpfend sterben! Nie war eine herzzerreißendere, schrecklichere Devise auf eine Fahne geschrieben worden; sie zeigte in der Jnsurrektion der Lyoner Arbeiter einen wahren Sklaven- krieg, und an der Macht, welche diese Sklaven der modernen Zeiten entfaltet hatten, obwohl ihnen ein Spartakus gefehlt hatte, lies sich leicht erkennen, welche Stürme das 19te Jahr- hundert in seinem Schooße trage. Aber die Verblendung und Unwissenheit der Männer, welche damals an der Spitze der Gesellschaft standen, war so groß, daß sie sich vollkommen beruhigt fühlten, als sie erfuhren, die Jn- surrektion habe keinen politischen Charakter gehabt. „Das hat nichts zu besagen!“ riefen die Organe der Regierung um die Wette aus, „das ist ein bloßer Streit zwischen den Fabri- kanten und den Arbeitern.“ Die Kammer glaubte für die Heilung des ungeheuren Uebels, von welchem der Aufstand zu Lyon ein Symptom war, genug zu thun, indem sie auf den Vorschlag Herrn Augustin Giraud's dem Könige eine folgendermaßen lautende Adresse überreichte: „ Sire, wir haben mit Dankbarkeit und zugleich mit Schmerz die freimüthigen und vollständigen Mittheilungen entgegenge- nommen, welche uns die Minister Jhrer Majestät über die in der Stadt Lyon ausgebrochenen Unruhen übergeben haben. Wir geben dem patriotischen Schwunge, welcher den Prinzen, Jhren Sohn, bewogen hat, sich in die Mitte der Franzosen, deren Blut fließt, zu begeben, um dem Blutvergießen Einhalt zu thun, unsern vollen Beifall. Wir beeilen uns, Jhrer Majestät den einstimmigen Wunsch der Deputirten Frankreichs dahin auszusprechen, daß die Regierung diesen beklagenswerthen Ausschweifungen die ganze Macht der Gesetze entgegensetzen möge. Die Sicherheit der Personen ist gewaltsam angegriffen worden; das Eigenthum ist in seinem Prinzipe gefährdet worden; der Freiheit der Jndustrie hat Zerstörung gedroht; die Stimme der Behörden ist nicht ge- hört worden. Diese Unordnungen müssen rasch aufhören; solche Unternehmungen müssen kräftig unterdrückt werden. Ganz Frank- reich ist durch diese Antastung der Rechte Aller in der Person_ einiger Bürger verletzt worden. Die von der Regierung Jhrer Majestät schon ergriffenen Maßregeln geben uns das Vertrauen, daß die Rückkehr der Ordnung nicht lange ausbleiben wird. Die feste Vereinigung der Nationalgarden und der Linientruppen be- ruhigt alle guten Bürger. Jhre Majestät kann auf die Har- monie der Staatsgewalten zählen. Wir sind glücklich, Sire, Jhnen im Namen Frankreichs die Mitwirkung seiner Deputirten zur Wiederherstellung des Friedens, wo er gestört ist, zur Er- stickung der Keime der Anarchie, zur Befestigung der heiligen Prinzipien, auf welchen die Existenz der Nation beruht, zur Auf- rechthaltung des glorreichen Werks der Juli=Revolution und zur Festhaltung der Kraft und der Festigkeit des Gesetzes anzu- bieten.“ Eine ähnliche Adresse wurde von der Pairs=Kammer votirt, und der König erhielt so Gelegenheit, die Freude auszu- sprechen, welche ihm die Uebereinstimmung der Staatsgewalten verursache. Also Kanonen, um den Uebelständen der Konkurrenz zu begegnen; Festungen, um eine Masse Unglücklicher zu unter- werfen, welche ihre Arbeit unter der Bedingung, nicht Hungers zu sterben, anboten; Soldaten d. h. bewaffnete Arme, um waffenlose Arme zu bändigen — — schienen den Ministern, De- putirten, Pairs das beste Mittel der Regierung. So endete die erste Schlacht des Proletariats. — Jn dem nächsten Jahre am 5. und 6 Juni 1832 fand in Paris beim Leichenbegängniß des Generals Lamarque ein repu- blikanischer Aufstand statt. Derselbe trug zwar keinen socialen Charakter, jedoch war von diesem Augenblick an zwischen dem rein politischen Pariser und rein socialen Element zu Lyon eine Brücke angebahnt. Männer wie Buonarotti, der Gefährte Babeuf's, welcher damals sein Werk „die Verschwörung des Babeuf“ ver- breitete, und Cabet wußten den Pariser Republikanern die sociale Frage näher zu bringen. Zugleich dehnten sich die politischen Bünde, vornehmlich „die Gesellschaft der Menschenrechte“, nach Lyon aus, und die französische Arbeiterbewegung gewann von jetzt ab den entschieden social=demokratischen Charakter. Die zweite Schlacht des Proletariats nahte heran; sie trug den neuen be- wußten social=politischen Charakter des Klassenkampfes des Pro- letariats. Unsere Erzählung führt uns zum 9. April 1834; um aber den Schlüssel zu den blutigen Ereignissen zu erhalten, welche dieses Datum bezeichnet, müssen wir etwas weiter zurück- gehen. Jn Lyon war die Gährung lange schon ungeheuer groß, und Alles trug dazu bei, den Sturm vom November, dessen Erschütte- rung Frankreich noch fühlte, auf eine umfassendere und schreck- lichere Weise zu erneuern. Die Jnsurrektion vom November hatte die Regierung über- rascht. Daher hatte sie nach ihrer Niederlage Alles aufgeboten, um die Schmach derselben zu verwischen. Die Zahl der Garnison wurde ungeheuer verstärkt; in allen benachbarten Städten waren Truppen gesammelt, welche bereit waren, auf das erste Signal zu marschiren; die Nationalgarde wurde auf eine brutale Weise entwaffnet; Festungswerke erhoben sich um die Stadt, und die Kanonen, welche sie bändigen oder zerstören sollten, waren vom Rathhause, das im mittelsten und reichsten Viertel lag, nur um 1500—2000 Metres entfernt. Die Kriegsbehörde kaufte eine große Mauer und ließ dieselbe ausbessern, um vermittelst derselben die Vorstadt Croix=Rousse, die Wiege der Jnsurrektion vom No- vember, zu isoliren; die Staatsgewalt suchte sich selbst im Jnnern der Stadt befestigte Punkte zu verschaffen, mit einem Worte, Lyon wurde wie ein befestigtes Lager für den vorhergesehenen und unvermeidlichen Kampf in Stand gesetzt. Zugleich schien sich die Militairbehörde in einer drohenden und pomphaften Schaustellung ihrer Kräfte zu gefallen. Oft fanden die Lyoner bei ihrem Erwachen die Plätze mit bewaffneten Soldaten bedeckt. Jn allen Gemüthern herrschte Verwirrung, Schrecken oder Zorn. Ein republikanisches Arbeiterblatt, die „Glaneuse“, tauchte zu jener Zeit in Lyon auf; durch zwei Preßprocesse ward es unterdrückt, was viel böses Blut unter den Arbeitern hervorrief. Dann, im Beginn des Jahres 1834, regte sich wieder die in Lyon so furchtbare Magenfrage. Von jetzt ab gruppirten sich die Ereignisse zunächst um eine Gewerkschaftsbewegung, den sogenannten Mutualismus. Der Mutualismus war die Association der Seidenarbeiter; dieselbe war rein industriell, und die Zeit ihres Entstehens fällt in das Jahr 1828. Jhre Statuten schlossen ganz bestimmt re- ligiöse und politische Erörterungen aus. Der Mutualismus, der zunächst zum Zwecke gegenseitigen Beistandes unter den Ar- beitern gegründet war, theilte sich in Logen von weniger als 20 Personen; elf Logen, von denen jede zwei Abgeordnete er- nannte, bildeten eine Central=Loge, und die Leitung fiel einem aus den Präsidenten der Central=Logen gebildeten Rathe zu. Die Macht der Präsidenten der Central=Logen hatte sich bis gegen Ende 1831 erhalten, um diese Zeit wurde sie erschüttert. Die Association wollte ihren Einfluß erweitern, sie wollte die Macht, welche sie aus der Einigung ihrer Mitglieder schöpfte, zur Verhinderung der Verminderung des Arbeitslohnes anwenden; sie wollte der heuchlerischen Tyrannei, welche im Kampfe des Armen gegen den Reichen die Freiheit der Arbeit heißt, ein Gegengewicht entgegensetzen. Aber zur Erreichung dieser neuen Absichten bedurfte es einer neuen Gewalt. Die Präsidenten der Central=Logen wurden abgesetzt, und ihre Gewalt ging in die Hände eines ausübenden Rathes über, welcher übrigens selbst nur ein Werkzeug der demokratisch organisirten Association war. Jndeß verschlimmerte sich die Lage der Arbeiter immer mehr. Jn Folge der Konkurrenz hatten die Bestellungen abgenommen. Der Umsatz der Lyoner Fabrikate hatte sich in den ersten Mo- naten des Jahres 1834 beträchtlich vermindert. Und nie hatte sich vermöge eines traurigen Kontrastes die Freude der Reichen auf eine lärmendere Weise geäußert. Die Bälle folgten mit einer Schnelligkeit auf einander, die wie eine Herausforderung erscheinen mußte. Lyon hallte vom Lärm der Feste wieder; der Arme gerieth darüber in Jngrimm, und in seinem Herzen setzte sich der Zorn neben der Verzweiflung fest. Die Krisis war also unvermeidlich geworden; eine Veränderung des Arbeitslohnes für den Sammetplüsch, welche 25 Centimes auf die Elle betrug, beschleunigte dieselbe. Diese Herabsetzung war allerdings an und für sich nicht sehr bedeutend, aber sie traf einen schon unzureichen- den Lohn, und da sie noch weiteren Uebergriffen das Thor öffnete, so war sie als ein erster Schritt zur Anwendung des Gesetzes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/20
Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/20>, abgerufen am 21.11.2024.