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Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 29
[Beginn Spaltensatz] ebenso Eingriffe in die Rechte fremder Nationen verdammt,
wie das Prinzip der Freiheit die Schädigung eines Mit-
menschen. Die gegenseitige Gerechtigkeit der Völker muß viel-
mehr die Grundlage sein zur Vereinigung; aus dem Bunde der
Völker wird die staatliche Organisation der ganzen Menschheit,
aus der reinen Vaterlandsliebe die allgemeine Menschenliebe sich
naturgemäß entwickeln. Aber, fragen wir auch hier: Fälscht
nicht etwa die Bourgeoisie die Vaterlandsliebe?

Drei der Schlagworte der heutigen Gesellschaft sind
als ursprüngliche Begriffe, wie wir sehen, durchaus nicht
anfechtbar, denn sie entspringen naturrechtlichen Anschauungen,
sie können es nur werden, wenn ihr Jnhalt sich fälscht durch
die thatsächlichen Verhältnisse.

Anders stellt es sich mit der zweiten Dreifaltigkeit der
Bourgeoisie: Thron, Altar und Ehe. Diese drei Begriffe,
fern davon sich durch logische Schlußfolgerungen aus dem
Naturrecht entwickeln zu lassen, entstammen vielmehr einem
socialen Zustande, welcher der heutigen Gesellschaft voraus-
gegangen ist, und den sie verdrängt hat. Theils hat die Bour-
geoisie dieselben gleichsam auf Grund eines Kompromisses
übernommen, theils nutzt sie dieselben aus, um ihre Herr-
schaft zu sichern, nachdem sie in ihrem Geiste umgemodelt
und in Stützen der Kapitalmacht verwandelt sind.

Der Thron, der Monarch, ist die Verkörperung des
Prinzips der Geburtsaristokratie. "Der König ist der erste
Adliche", lautete das Schlagwort des feudalen Staates.
Nichts widerstrebt aber mehr den Prinzipien der Bourgeois-
gesellschaft als eine solche Auffassung des Königthums; daher
hat die Bourgeoisie, je nach Bedürfniß, dem Königthum eine
fremde Grundlage gegeben; sie beschützt nicht den Thron
von Gottes Gnaden, sondern sie beschützt ihren besonderen
Thron.

Auch der Altar, die Verkörperung der mittelalterlichen
Priestermacht, eine aus dem Naturrecht ebensowenig wie
der Thron abzuleitende Gewalt, ist von der Bourgeoisie aus
den vergangenen Zeiten übernommen und hat durch sie ein
ganz fremdes Gepräge erhalten.

Die Ehe endlich, diese von den bösen Socialisten und
Communisten bedrohte Einrichtung, ist endlich zur sechsten
Stütze von der Bourgeoisie erkoren. Auch sie ist aus
gänzlich verschiedenen Gesellschaftszuständen, nachdem sie
überall der herrschenden Klasse gedient hatte, auf die heutigen
Verhältnisse übertragen worden. Unter völliger Aufhebung
ihres einstigen socialen Zweckes hat die Bourgeoisgesellschaft
ihr ein neues Gepräge aufgedrückt und durch ihre Eman-
cipation von der Priesterschaft, sowie mittelst des Erbrechts
die Ehe zu einer speciellen Hülfsmacht des Kapitals gestaltet.

Wenn wir also insgesammt die sechs Grundsäulen
der heutigen Gesellschaft in's Auge fassen, so erblicken wir
die allerverschiedensten, theils überkommenen, theils neuen,
scheinbar auf dem Naturrecht begründeten Jnstitutionen.
Dies Ungereimte muß jeden ruhigen Kritiker von vorn
herein stutzig machen. Aber die ganze Hohlheit ist erst in
dem Augenblick zu durchschauen, wenn untersucht ist, was
nun die Bourgeoisgesellschaft aus ihren Heiligthümern ge-
macht hat. --

Das Eigenthum soll heilig sein.

[Spaltenumbruch]

Gut, der Spruch ist begründet, wenn der Arbeitser-
trag jedes Menschen zu seinem Eigenthum wird.

Aber wie steht es in Eurer Gesellschaft, Jhr Bour-
geois? Jst der Ertrag der Arbeit geheiligt, läßt man ihn
dem Arbeiter, tastet ihn kein Fremder an?

Ach, welche Täuschung! Ein Gesetz beherrscht die
Gesellschaft, mächtig wie einst die Sclavenkette, wie einst
das Schwert des Raubritters; es ist das eherne Lohnge-
setz. Die Arbeit ist eine Waare, und da sich der Tausch-
werth einer jeden Waare nach Angebot und Nachfrage
richtet und somit auf die durchschnittlichen Herstellungs-
kosten beläuft, so ist auch der Tauschwerth der Arbeitskraft,
der Arbeitslohn, durchschnittlich nur gleich dem nothdürf-
tigsten Lebensunterhalt der Arbeiterfamilie. Was darüber
erzeugt wird an Arbeitsertrag, das fällt der Bourgeoisie
als Kapitalgewinn und Bodenrente anheim.

Nun, ist das etwa Heiligkeit des Eigenthums, wenn
so die Gesellschaft schaltet und waltet mit der Arbeiterklasse,
der großen Masse des Volkes? Jst es Heiligkeit des
Eigenthums, wenn in die Taschen einer kleinen Zahl das
von der darbenden Mehrheit Geschaffene fließt? Jst es
Heiligkeit des Eigenthums, wenn selbst der Gewinn, welchen
die Mitglieder der besitzenden Klasse machen, beeinflußt
wird durch unberechenbare Zufälle, wenn Speculationen,
Geschäftsconjuncturen, Handelskrisen und planlose Ueber-
produktion bald dort ungeheure Schätze ansammeln, bald hier
ganze Klassen mit Bankerot, Arbeitslosigkeit und Elend be-
drohen? Jstes Heiligkeit des Eigenthums, wenn sich die Bour-
geois selbst untereinander durch allerlei Börsenmanipulationen
ihre Schätze abgaunern? Wahrlich, jenes Recht auf Eigenthum,
welches man aus dem Naturrecht ableiten will, es enthält
nicht eine Spur, es wird geradezu schnöde entheiligt von
dem Eigenthum der heutigen Gesellschaft.

Das Eigenthum soll Produkt der Arbeit sein; die
heutige Gesellschaft macht das Eigenthum -- concentrirt
in wenigen Händen -- zum Ausbeutungsinstrument. Das
Eigenthum soll erworbenes Gut des Menschen sein; in der
heutigen Gesellschaft kauft das Kapital die menschliche Ar-
beitskraft, das heißt, den Arbeiter selbst als Waare, es
wirft sich zu seinem Herrn auf und stellt das naturrecht-
liche Eigenthumsverhältniß auf den Kopf.

Das heutige Eigenthum, das Bourgeoiseigenthum, das
Kapital, ist somit nichts weniger als ein geheiligter Aus-
fluß des Naturrechts. Drum bekämpfen wir Socialisten
dies Eigenthum, Euer Eigenthum, Jhr Bourgeois!

Wir wollen diese Jnstitution auf Grund des Natur-
rechts wieder in ihre Gränzen zurückweisen. Wir stellen
daher an die Spitze unserer Rechtsquellen die Arbeit. Der
Arbeit aber, der Mutter eines berechtigten Eigenthums, gebührt
der Vorzug. Die Arbeit soll der heilige Grundpfeiler des
Socialismus sein, und da die Ausbeutung und die plan-
lose Produktion nur durch die Gemeinsamkeit der socialisti-
schen Produktivassoziationen ersetzt werden können, so schreiben
wir das gemeinsame Eigenthum als Frucht der gemeinsamen
Arbeit auf unsre Fahne.

Nicht wir Socialisten wollen theilen. Jhr Bourgeois
seid die Theiler, die Jhr Euch auf das heutige Eigenthum
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 29
[Beginn Spaltensatz] ebenso Eingriffe in die Rechte fremder Nationen verdammt,
wie das Prinzip der Freiheit die Schädigung eines Mit-
menschen. Die gegenseitige Gerechtigkeit der Völker muß viel-
mehr die Grundlage sein zur Vereinigung; aus dem Bunde der
Völker wird die staatliche Organisation der ganzen Menschheit,
aus der reinen Vaterlandsliebe die allgemeine Menschenliebe sich
naturgemäß entwickeln. Aber, fragen wir auch hier: Fälscht
nicht etwa die Bourgeoisie die Vaterlandsliebe?

Drei der Schlagworte der heutigen Gesellschaft sind
als ursprüngliche Begriffe, wie wir sehen, durchaus nicht
anfechtbar, denn sie entspringen naturrechtlichen Anschauungen,
sie können es nur werden, wenn ihr Jnhalt sich fälscht durch
die thatsächlichen Verhältnisse.

Anders stellt es sich mit der zweiten Dreifaltigkeit der
Bourgeoisie: Thron, Altar und Ehe. Diese drei Begriffe,
fern davon sich durch logische Schlußfolgerungen aus dem
Naturrecht entwickeln zu lassen, entstammen vielmehr einem
socialen Zustande, welcher der heutigen Gesellschaft voraus-
gegangen ist, und den sie verdrängt hat. Theils hat die Bour-
geoisie dieselben gleichsam auf Grund eines Kompromisses
übernommen, theils nutzt sie dieselben aus, um ihre Herr-
schaft zu sichern, nachdem sie in ihrem Geiste umgemodelt
und in Stützen der Kapitalmacht verwandelt sind.

Der Thron, der Monarch, ist die Verkörperung des
Prinzips der Geburtsaristokratie. „Der König ist der erste
Adliche“, lautete das Schlagwort des feudalen Staates.
Nichts widerstrebt aber mehr den Prinzipien der Bourgeois-
gesellschaft als eine solche Auffassung des Königthums; daher
hat die Bourgeoisie, je nach Bedürfniß, dem Königthum eine
fremde Grundlage gegeben; sie beschützt nicht den Thron
von Gottes Gnaden, sondern sie beschützt ihren besonderen
Thron.

Auch der Altar, die Verkörperung der mittelalterlichen
Priestermacht, eine aus dem Naturrecht ebensowenig wie
der Thron abzuleitende Gewalt, ist von der Bourgeoisie aus
den vergangenen Zeiten übernommen und hat durch sie ein
ganz fremdes Gepräge erhalten.

Die Ehe endlich, diese von den bösen Socialisten und
Communisten bedrohte Einrichtung, ist endlich zur sechsten
Stütze von der Bourgeoisie erkoren. Auch sie ist aus
gänzlich verschiedenen Gesellschaftszuständen, nachdem sie
überall der herrschenden Klasse gedient hatte, auf die heutigen
Verhältnisse übertragen worden. Unter völliger Aufhebung
ihres einstigen socialen Zweckes hat die Bourgeoisgesellschaft
ihr ein neues Gepräge aufgedrückt und durch ihre Eman-
cipation von der Priesterschaft, sowie mittelst des Erbrechts
die Ehe zu einer speciellen Hülfsmacht des Kapitals gestaltet.

Wenn wir also insgesammt die sechs Grundsäulen
der heutigen Gesellschaft in's Auge fassen, so erblicken wir
die allerverschiedensten, theils überkommenen, theils neuen,
scheinbar auf dem Naturrecht begründeten Jnstitutionen.
Dies Ungereimte muß jeden ruhigen Kritiker von vorn
herein stutzig machen. Aber die ganze Hohlheit ist erst in
dem Augenblick zu durchschauen, wenn untersucht ist, was
nun die Bourgeoisgesellschaft aus ihren Heiligthümern ge-
macht hat. —

Das Eigenthum soll heilig sein.

[Spaltenumbruch]

Gut, der Spruch ist begründet, wenn der Arbeitser-
trag jedes Menschen zu seinem Eigenthum wird.

Aber wie steht es in Eurer Gesellschaft, Jhr Bour-
geois? Jst der Ertrag der Arbeit geheiligt, läßt man ihn
dem Arbeiter, tastet ihn kein Fremder an?

Ach, welche Täuschung! Ein Gesetz beherrscht die
Gesellschaft, mächtig wie einst die Sclavenkette, wie einst
das Schwert des Raubritters; es ist das eherne Lohnge-
setz. Die Arbeit ist eine Waare, und da sich der Tausch-
werth einer jeden Waare nach Angebot und Nachfrage
richtet und somit auf die durchschnittlichen Herstellungs-
kosten beläuft, so ist auch der Tauschwerth der Arbeitskraft,
der Arbeitslohn, durchschnittlich nur gleich dem nothdürf-
tigsten Lebensunterhalt der Arbeiterfamilie. Was darüber
erzeugt wird an Arbeitsertrag, das fällt der Bourgeoisie
als Kapitalgewinn und Bodenrente anheim.

Nun, ist das etwa Heiligkeit des Eigenthums, wenn
so die Gesellschaft schaltet und waltet mit der Arbeiterklasse,
der großen Masse des Volkes? Jst es Heiligkeit des
Eigenthums, wenn in die Taschen einer kleinen Zahl das
von der darbenden Mehrheit Geschaffene fließt? Jst es
Heiligkeit des Eigenthums, wenn selbst der Gewinn, welchen
die Mitglieder der besitzenden Klasse machen, beeinflußt
wird durch unberechenbare Zufälle, wenn Speculationen,
Geschäftsconjuncturen, Handelskrisen und planlose Ueber-
produktion bald dort ungeheure Schätze ansammeln, bald hier
ganze Klassen mit Bankerot, Arbeitslosigkeit und Elend be-
drohen? Jstes Heiligkeit des Eigenthums, wenn sich die Bour-
geois selbst untereinander durch allerlei Börsenmanipulationen
ihre Schätze abgaunern? Wahrlich, jenes Recht auf Eigenthum,
welches man aus dem Naturrecht ableiten will, es enthält
nicht eine Spur, es wird geradezu schnöde entheiligt von
dem Eigenthum der heutigen Gesellschaft.

Das Eigenthum soll Produkt der Arbeit sein; die
heutige Gesellschaft macht das Eigenthum — concentrirt
in wenigen Händen — zum Ausbeutungsinstrument. Das
Eigenthum soll erworbenes Gut des Menschen sein; in der
heutigen Gesellschaft kauft das Kapital die menschliche Ar-
beitskraft, das heißt, den Arbeiter selbst als Waare, es
wirft sich zu seinem Herrn auf und stellt das naturrecht-
liche Eigenthumsverhältniß auf den Kopf.

Das heutige Eigenthum, das Bourgeoiseigenthum, das
Kapital, ist somit nichts weniger als ein geheiligter Aus-
fluß des Naturrechts. Drum bekämpfen wir Socialisten
dies Eigenthum, Euer Eigenthum, Jhr Bourgeois!

Wir wollen diese Jnstitution auf Grund des Natur-
rechts wieder in ihre Gränzen zurückweisen. Wir stellen
daher an die Spitze unserer Rechtsquellen die Arbeit. Der
Arbeit aber, der Mutter eines berechtigten Eigenthums, gebührt
der Vorzug. Die Arbeit soll der heilige Grundpfeiler des
Socialismus sein, und da die Ausbeutung und die plan-
lose Produktion nur durch die Gemeinsamkeit der socialisti-
schen Produktivassoziationen ersetzt werden können, so schreiben
wir das gemeinsame Eigenthum als Frucht der gemeinsamen
Arbeit auf unsre Fahne.

Nicht wir Socialisten wollen theilen. Jhr Bourgeois
seid die Theiler, die Jhr Euch auf das heutige Eigenthum
[Ende Spaltensatz]

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[29/0005] Zur Unterhaltung und Belehrung. 29 ebenso Eingriffe in die Rechte fremder Nationen verdammt, wie das Prinzip der Freiheit die Schädigung eines Mit- menschen. Die gegenseitige Gerechtigkeit der Völker muß viel- mehr die Grundlage sein zur Vereinigung; aus dem Bunde der Völker wird die staatliche Organisation der ganzen Menschheit, aus der reinen Vaterlandsliebe die allgemeine Menschenliebe sich naturgemäß entwickeln. Aber, fragen wir auch hier: Fälscht nicht etwa die Bourgeoisie die Vaterlandsliebe? Drei der Schlagworte der heutigen Gesellschaft sind als ursprüngliche Begriffe, wie wir sehen, durchaus nicht anfechtbar, denn sie entspringen naturrechtlichen Anschauungen, sie können es nur werden, wenn ihr Jnhalt sich fälscht durch die thatsächlichen Verhältnisse. Anders stellt es sich mit der zweiten Dreifaltigkeit der Bourgeoisie: Thron, Altar und Ehe. 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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/5>, abgerufen am 24.11.2024.