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Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 30
[Beginn Spaltensatz] stützt, um vom naturrechtlichen Eigenthum des arbeitenden
Volkes, von seinem Arbeitsertrag zu genießen.

Fort drum mit dieser Lüge, in der sich die Fäulniß
der heutigen Gesellschaft so klar offenbart, nieder mit dem
ausbeutenden Privatkapital, und nennt man es tausendmal:
heilig! Hoch das socialistische Gemeingut, hoch die Arbeit! --

Von Freiheit sprecht Jhr Bourgeois.

Wo ist denn die Freiheit? Wo ist die Freiheit der
großen Masse der Menschheit?

Wir geben es zu: Der dritte Stand hat, als er seine
Revolution vollführte, die Macht der Adlichen und Priester
und die Ketten der Leibeigenen gebrochen. Jst aber etwa
die Freiheit, die wahre Freiheit an deren Stelle getreten?
Nur zu deutlich reden die Thatsachen!

Selbst dort, wo politische Freiheiten in modernen
Staaten gewährleistet sind, selbst dort, wo der Staat sich
Republik nennt, umschlingt eine Kette das arbeitende Volk,
welche nicht weniger drückt als die Sclavenkette, als das
Joch des Leibeigenen. Die sociale Gewalt des ehernen
Lohngesetzes, sie ist es, welche dem Mann der Arbeit nur
die karge Lebensnothdurft gewährt, sie verursacht es, daß
er ohne Bildung, ohne Kenntniß seiner politischen Rechte
aufwächst; sie erschlafft ihn durch übermäßige Arbeit; sie
entnervt ihn durch den Hunger, durch die Drohung mit
dem Hunger, daß er sich zitternd beugt vor dem Geldaristo-
kraten und es zitternd zuläßt, daß die Kapitalmacht ihren
Spott treibt mit der politischen Freiheit. Hunger peinigt
mehr als das Schwert; er ist eine furchtbarere Waffe in
der Hand der Bourgeoisie dem zersplitterten Proletariat
gegenüber, als die Macht des gewaltigsten Tyrannen gegen
ein unterworfenes Volk.

Drum spreche nie uns Jemand von Freiheit, so lange
noch die Emancipation der Arbeit aus den Fesseln des
Kapitals nicht Wahrheit geworden ist. Stets hat sich das
arbeitende Volk, wenn es mit seinem Blut auf den Barri-
kaden für die Bourgeoisie eine Revolution durchkämpfte,
nur neue Ketten geschmiedet.

Die heutige Freiheit; sie ist drum ein Trugbild, sie
ist nur eine Bourgeoisfreiheit, nur die Freiheit des Kapi-
tals, zu schalten und walten nach Gutdünken. Diese Frei-
heit aber, sie ist nicht die unsere, nicht die Freiheit der
Socialisten. Und wir bekämpfen sie, denn wir wollen die
wahre, volle Freiheit, bei der kein Mensch mehr den an-
deren ausbeuten und schädigen wird, wir wollen die poli-
tische und die sociale Freiheit.

Und selbst diese, ihre scheinbar im Naturrecht wurzelnde
Stütze, die blos politische Freiheit, wie hat überall die
Bourgeoisie sie verrotten lassen! Jst in der demokratischen
Republik die Freiheit ein Trugbild ohne den Socialismus,
so hat die Bourgeoisie sogar in den entwickelten Cultur-
staaten ohne Weiteres aus Furcht vor dem zum Klassen-
bewußtsein erwachenden Proletariat, die Freiheit über
Bord geworfen. Die Bourgeoisie hat sich bereits so
überlebt, daß sie ängstlich paktirt mit der Gewalt, welche
die Bajonnette zum Schutze des Geldsackes herbeiführen
kann. Deshalb verräth sie die politische Freiheit, welche
einst das schwungvolle Erwachen des dritten Standes be-
gleitete, deßhalb wirft sie sich dem Cäsarismus in die
[Spaltenumbruch] Arme, alles nur um das Privilegium der Ausbeutung der
Arbeit durch das Kapital sich zu erhalten.

Die Göttin der Freiheit ist zum verzerrten Götzenbilde
geworden, als die Bourgeoisie sie zum Heiligthum ihres
Altars machte und neben das goldene Kalb stellte! --

Und nun das Vaterland.

Wo finden wir eine tiefe, erhabene Auffassung des
nationalen Gedankens, der zur Völkerverbrüderung, zum
Kosmopolitismus führt, der sich stützt auf die Volkssouve-
ränität?

Nirgends finden wir ihn, es sei denn in den Reihen
des erwachenden Proletariats, welches sich in freiem, kosmo-
politischem Gedanken die Hand reicht über die Grenzen der
Länder hinaus und nur den einen nationalen Ehrgeiz und
Wetteifer kennt, die Brudernation durch keinen Nationalhaß
zu kränken und nur im Kampf für die Kulturaufgaben es
ihr womöglich voraus zu thun.

Was hat aber aus dem reinen Patriotismus die
Bourgeoisie gemacht? Sie hat ihn verderbt zu einem
Mittel für ihre Zwecke, sie hat den Völkerkrieg geschürt.
Wie der Mensch den Menschen ausbeutet in der heutigen
Gesellschaft, so soll eine Nation die andere ausbeuten, und
die Kriege sind in Wahrheit Kämpfe, um den Weltmarkt
für das nationale Kapital zu erobern.

So ehrt, so liebt die Bourgeoisie das Vaterland, und
man darf sich auch nicht verwundern, wenn im entscheiden-
den Augenblick das Kapital sich scheu zurückzieht oder gar
in's feindliche Lager flüchtet, wenn es dort Profite zu
machen giebt.

Wahrlich, einen solchen Patriotismus, ein solches
Vaterland kennt der Proletarier nicht. Unterworfen ist er
dem Kapital hier wie dort. Siege auf dem Schlachtfelde,
die sein Blut und das seiner Brüder kosten, haben noch
niemals bewirkt, daß daheim der Druck des Kapitals sich
erleichterte, daß der Hunger weniger schmerzte.

Wohlan, Jhr Bourgeois, wir Socialisten kennen Euren
Patriotismus und Euer Vaterland nicht. Wir wissen nur,
daß es der gerade Gegensatz der Nationen ist, welche der-
einst den kosmopolitischen Bund aller Menschen bilden
sollen.

Jst Euer Vaterland die Stütze der Kapitalmacht und
die Erzeugerin des Nationalhasses, wohlan, dann soll es
Platz machen dem neuen Arbeitervolk! --

Jhr Bourgeois denkt den Thron zu stützen?

Habt Jhr wirklich diese alte Einrichtung nur deshalb
aus dem Mittelalter übernommen, um Euch und Eurer
Gewalt eine Schranke zu setzen? Wahrlich, das wäre eine
recht wundersame Aufopferung.

Schauen wir die von der Kapitalmacht beherrschten
Staaten uns näher an, so scheint uns dort der Thron
eine wesentlich andere Stellung einzunehmen, als es nach
dem Symbol, welches er darstellen soll, der Fall sein
müßte. Der Thron soll die Staatsgewalt repräsentiren,
die alte befestigte Erbmacht. Die Bourgeoisie aber gestaltet
den ganzen Staat zur Domäne des Kapitals. Sie erkennt
dem Staate, also auch dem Throne, wenn dieser ihn re-
präsentiren soll, nur das Recht zu, die Ordnung, das heißt,
ihre Privilegien zu schützen. Sie macht deshalb den
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 30
[Beginn Spaltensatz] stützt, um vom naturrechtlichen Eigenthum des arbeitenden
Volkes, von seinem Arbeitsertrag zu genießen.

Fort drum mit dieser Lüge, in der sich die Fäulniß
der heutigen Gesellschaft so klar offenbart, nieder mit dem
ausbeutenden Privatkapital, und nennt man es tausendmal:
heilig! Hoch das socialistische Gemeingut, hoch die Arbeit! —

Von Freiheit sprecht Jhr Bourgeois.

Wo ist denn die Freiheit? Wo ist die Freiheit der
großen Masse der Menschheit?

Wir geben es zu: Der dritte Stand hat, als er seine
Revolution vollführte, die Macht der Adlichen und Priester
und die Ketten der Leibeigenen gebrochen. Jst aber etwa
die Freiheit, die wahre Freiheit an deren Stelle getreten?
Nur zu deutlich reden die Thatsachen!

Selbst dort, wo politische Freiheiten in modernen
Staaten gewährleistet sind, selbst dort, wo der Staat sich
Republik nennt, umschlingt eine Kette das arbeitende Volk,
welche nicht weniger drückt als die Sclavenkette, als das
Joch des Leibeigenen. Die sociale Gewalt des ehernen
Lohngesetzes, sie ist es, welche dem Mann der Arbeit nur
die karge Lebensnothdurft gewährt, sie verursacht es, daß
er ohne Bildung, ohne Kenntniß seiner politischen Rechte
aufwächst; sie erschlafft ihn durch übermäßige Arbeit; sie
entnervt ihn durch den Hunger, durch die Drohung mit
dem Hunger, daß er sich zitternd beugt vor dem Geldaristo-
kraten und es zitternd zuläßt, daß die Kapitalmacht ihren
Spott treibt mit der politischen Freiheit. Hunger peinigt
mehr als das Schwert; er ist eine furchtbarere Waffe in
der Hand der Bourgeoisie dem zersplitterten Proletariat
gegenüber, als die Macht des gewaltigsten Tyrannen gegen
ein unterworfenes Volk.

Drum spreche nie uns Jemand von Freiheit, so lange
noch die Emancipation der Arbeit aus den Fesseln des
Kapitals nicht Wahrheit geworden ist. Stets hat sich das
arbeitende Volk, wenn es mit seinem Blut auf den Barri-
kaden für die Bourgeoisie eine Revolution durchkämpfte,
nur neue Ketten geschmiedet.

Die heutige Freiheit; sie ist drum ein Trugbild, sie
ist nur eine Bourgeoisfreiheit, nur die Freiheit des Kapi-
tals, zu schalten und walten nach Gutdünken. Diese Frei-
heit aber, sie ist nicht die unsere, nicht die Freiheit der
Socialisten. Und wir bekämpfen sie, denn wir wollen die
wahre, volle Freiheit, bei der kein Mensch mehr den an-
deren ausbeuten und schädigen wird, wir wollen die poli-
tische und die sociale Freiheit.

Und selbst diese, ihre scheinbar im Naturrecht wurzelnde
Stütze, die blos politische Freiheit, wie hat überall die
Bourgeoisie sie verrotten lassen! Jst in der demokratischen
Republik die Freiheit ein Trugbild ohne den Socialismus,
so hat die Bourgeoisie sogar in den entwickelten Cultur-
staaten ohne Weiteres aus Furcht vor dem zum Klassen-
bewußtsein erwachenden Proletariat, die Freiheit über
Bord geworfen. Die Bourgeoisie hat sich bereits so
überlebt, daß sie ängstlich paktirt mit der Gewalt, welche
die Bajonnette zum Schutze des Geldsackes herbeiführen
kann. Deshalb verräth sie die politische Freiheit, welche
einst das schwungvolle Erwachen des dritten Standes be-
gleitete, deßhalb wirft sie sich dem Cäsarismus in die
[Spaltenumbruch] Arme, alles nur um das Privilegium der Ausbeutung der
Arbeit durch das Kapital sich zu erhalten.

Die Göttin der Freiheit ist zum verzerrten Götzenbilde
geworden, als die Bourgeoisie sie zum Heiligthum ihres
Altars machte und neben das goldene Kalb stellte! —

Und nun das Vaterland.

Wo finden wir eine tiefe, erhabene Auffassung des
nationalen Gedankens, der zur Völkerverbrüderung, zum
Kosmopolitismus führt, der sich stützt auf die Volkssouve-
ränität?

Nirgends finden wir ihn, es sei denn in den Reihen
des erwachenden Proletariats, welches sich in freiem, kosmo-
politischem Gedanken die Hand reicht über die Grenzen der
Länder hinaus und nur den einen nationalen Ehrgeiz und
Wetteifer kennt, die Brudernation durch keinen Nationalhaß
zu kränken und nur im Kampf für die Kulturaufgaben es
ihr womöglich voraus zu thun.

Was hat aber aus dem reinen Patriotismus die
Bourgeoisie gemacht? Sie hat ihn verderbt zu einem
Mittel für ihre Zwecke, sie hat den Völkerkrieg geschürt.
Wie der Mensch den Menschen ausbeutet in der heutigen
Gesellschaft, so soll eine Nation die andere ausbeuten, und
die Kriege sind in Wahrheit Kämpfe, um den Weltmarkt
für das nationale Kapital zu erobern.

So ehrt, so liebt die Bourgeoisie das Vaterland, und
man darf sich auch nicht verwundern, wenn im entscheiden-
den Augenblick das Kapital sich scheu zurückzieht oder gar
in's feindliche Lager flüchtet, wenn es dort Profite zu
machen giebt.

Wahrlich, einen solchen Patriotismus, ein solches
Vaterland kennt der Proletarier nicht. Unterworfen ist er
dem Kapital hier wie dort. Siege auf dem Schlachtfelde,
die sein Blut und das seiner Brüder kosten, haben noch
niemals bewirkt, daß daheim der Druck des Kapitals sich
erleichterte, daß der Hunger weniger schmerzte.

Wohlan, Jhr Bourgeois, wir Socialisten kennen Euren
Patriotismus und Euer Vaterland nicht. Wir wissen nur,
daß es der gerade Gegensatz der Nationen ist, welche der-
einst den kosmopolitischen Bund aller Menschen bilden
sollen.

Jst Euer Vaterland die Stütze der Kapitalmacht und
die Erzeugerin des Nationalhasses, wohlan, dann soll es
Platz machen dem neuen Arbeitervolk! —

Jhr Bourgeois denkt den Thron zu stützen?

Habt Jhr wirklich diese alte Einrichtung nur deshalb
aus dem Mittelalter übernommen, um Euch und Eurer
Gewalt eine Schranke zu setzen? Wahrlich, das wäre eine
recht wundersame Aufopferung.

Schauen wir die von der Kapitalmacht beherrschten
Staaten uns näher an, so scheint uns dort der Thron
eine wesentlich andere Stellung einzunehmen, als es nach
dem Symbol, welches er darstellen soll, der Fall sein
müßte. Der Thron soll die Staatsgewalt repräsentiren,
die alte befestigte Erbmacht. Die Bourgeoisie aber gestaltet
den ganzen Staat zur Domäne des Kapitals. Sie erkennt
dem Staate, also auch dem Throne, wenn dieser ihn re-
präsentiren soll, nur das Recht zu, die Ordnung, das heißt,
ihre Privilegien zu schützen. Sie macht deshalb den
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/6>, abgerufen am 13.06.2024.