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Social-politische Blätter. 3. Lieferung. Berlin, 6. März 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 52
[Beginn Spaltensatz] sofort gemeinsame communistische Produktion einzuführen
vermag, und die Hindernisse, welche der manchem Arbeiter
noch anklebende Egoismus hervorruft, es gleichwohl noth-
wendig, daß unter möglichster Berücksichtigung der mensch-
lichen Schwächen und unter Verhütung von Geschäfts-
stockungen, ein Zweig der Produktion nach dem andern in
ruhiger Entwicklung der Kapitalmacht entwunden und der
Arbeit dienstbar gemacht wird. Jst Letzteres einmal ge-
schehen, so kann der Egoismus durch gemeinsame Arbeit
und durch entsprechende Jugenderziehung mit der Zeit völlig
ausgerottet werden. Cabets Lehre läßt diesen planmäßigen
Uebergang vermissen.

Die Saint Simonisten lehren eine vollständige des-
potische Gewalt des Staates über den einzelnen Bürger.
Er soll die Fähigkeiten der Bürger prüfen, ihnen dann ihre
Arbeit anweisen und überhaupt soll diese ganze Organisa-
tion nur von oben herab geleitet werden. Daß hieraus
ein unerträglicher, unhaltbarer Zustand entstehen müßte, um
so mehr als die Saint Simonisten die Vertheilung des
gemeinsamen Arbeitsertrages nur nach den vom Staat ab-
geschätzten Fähigkeiten der Einzelnen gestatten wollen, liegt
auf der Hand.

Allen diesen an den schwersten Mängeln leidenden,
recht unpraktischen Vorschlägen steht Louis Blanc's, von
Ferdinand Lassalle hernach geläutertes, Princip gegenüber,
wonach die Anbahnung des Socialismus durch Produktiv-
assoziationen mittelst Staatshülfe zu geschehen hat. Mit
diesem Princip verlassen wir nämlich den Boden der Pro-
jektemacherei vollständig und fassen Fuß auf dem festen
Wege der Praxis. Und es ist gewiß kein Zufall, daß Louis
Blanc der einzige Socialist gewesen ist, welcher im Jahre
1848 kurze Zeit hindurch glückliche Versuche mit Gründung
von Produktivassoziationen machen konnte, deren Früchte
freilich von der Bourgeoisie durch gewaltsame Unterdrückung
der Assoziationen zerstört wurden. Die Experimente der
übrigen Socialisten schlugen aus inneren Gründen fehl;
Louis Blanc's Wirksamkeit scheiterte nur durch Eingriff
feindlicher Gewalten. Hierbei ist natürlich zu bedenken,
daß die Pariser Nationalwerkstätten des Jahres 1848 nicht
von Louis Blanc sondern von dessen Feinden, von der
Bourgeoisie eingerichtet wurden, um den Socialismus in
Mißkredit zu bringen; die Nationalwerkstätten, worin Arbeiter
aller Branchen unproduktive Arbeit verrichteten, Erde karren
mußten oder faullenzten, bildeten natürlich nur Almosen-
anstalten und mußten zu Grunde gehen.

Doch gehen wir speziell auf Louis Blanc's und Lassalle's
Anschauungen ein.

Der Unterschied zwischen den Grundsätzen und Hand-
lungen beider Männer besteht weniger in ihren verschieden-
artigen Ansichten über Produktivassoziationen als in ihrem
Charakter.

Ferdinand Lassalle ist der unbeugsame Vorkämpfer des
vierten Standes, welcher den Muth hatte, die Arbeiter auf-
zurufen, sich ganz unabhängig von der Leitung irgend einer
andern Klasse zu organisiren; mit seiner tiefen Geschichts-
auffassung der socialen Entwicklung, als scharfer Kritiker
des natürlichen und des erworbenen Rechtes, als konse-
quenter Denker, der vor keiner Schlußfolgerung zurückschreckt,
[Spaltenumbruch] mußte Lassalle natürlich das Prinzip der socialen Revo-
lution in seiner Totalität erfassen und dem Proletariat
daher den Klassenkampf bis zur Beseitigung aller Klassen-
unterschiede als historische Aufgabe vorzeichnen; alles Kom-
promißmachen und Paktiren mit der Bourgeoisie hat er
daher gradezu verfehmt.

Louis Blanc ist ein schwächerer, schwankender Cha-
rakter. Er glaubt alle Klassen durch die Befreiung der
Arbeit aus den Banden des Kapitals gleichmäßig zu be-
glücken und hofft daher immerfort, daß wenigstens die re-
publikanischen Bourgeois aus Bürgertugend mit Hand an-
legen werden bei der socialistischen Umwälzung der Pro-
duktionsweise. Dies hat zu der zweideutigen Stellung ge-
führt, welche Louis Blanc bei allen socialen Kämpfen
einnahm. Er verdammte den Klassenkampf und Bürgerkrieg,
und so kam es, daß er sich mit den entschiedenen Revolu-
tionsmännern, wie z. B. Blanqui tödtlich verfeindete. Als
im Februar 1848 Louis Blanc die gewaltigste Macht in
Händen hatte, und sein Ruf das ganze Proletariat zu
den Waffen treiben konnte, ließ er vertrauensselig die
Bourgeoisie sich zum Bürgerkriege rüsten. Als es zu spät
war, bei den Donnern der Junischlacht, wie während des
Kampfes der Pariser Commune, legte Louis Blanc die
Hände in den Schooß. So lähmt die Charakterschwäche
vollständig die Thätigkeit dieses talentvollsten französischen
Socialisten.

Was nun speziell die Errichtung der Produktivassozia-
tionen betrifft, so wollen wir zunächst Louis Blanc's Vor-
schläge wiedergeben, welche er in seinen berühmten Werk
"Organisation der Arbeit" macht. Wir bemerken dazu,
daß derselbe, gleich Lassalle, die Staatshülfe nur von einem
politisch freien Staate erwartet.

Louis Blanc schreibt:

"Die Regierung müßte als die höchste Leiterin der Pro-
duktion betrachtet und mit einer großen Gewalt versehen
werden, um ihre Aufgabe erfüllen zu können.

"Diese Aufgabe würde darin bestehen, daß sie sich der
Waffe der Konkurrenz bediente, um dadurch die Kon-
kurrenz selbst aufzuheben.

"Die Regierung müßte ein Anlehen machen, um in
den wichtigsten Zweigen der nationalen Jndustrie Produktiv-
assoziationen errichten zu können.

"Da diese Errichtung eine bedeutende Geldanlage er-
fordern würde, so müßte die Zahl der ursprünglichen Pro-
duktivassoziationen auf das Strengste beschränkt werden;
allein eben durch ihre Organisation würden sie, wie man weiter
unten sehen wird, einer ungeheuern Ausdehnung fähig sein.

"Da die Regierung als die einzige Begründerin der Pro-
duktivassoziationen betrachtet werden müßte, so würde sie
die Statuten zu entwerfen haben. Diese Statuten, berathen
und beschlossen durch die Volksvertreter, würden die Form
und die Kraft von Gesetzen haben.

"Soweit das ursprüngliche Kapital erlaubte, würden
dann in den Produktivassoziationen alle Arbeiter aufge-
nommen, welche die Bürgschaft der Moralität gewährten.

"Da die falsche und durchaus nicht staatsbürgerliche
Erziehung, welche der heutigen Welt gegeben wird, nur
durch Zulage des Lohnes einen Trieb zur Nacheiferung
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 52
[Beginn Spaltensatz] sofort gemeinsame communistische Produktion einzuführen
vermag, und die Hindernisse, welche der manchem Arbeiter
noch anklebende Egoismus hervorruft, es gleichwohl noth-
wendig, daß unter möglichster Berücksichtigung der mensch-
lichen Schwächen und unter Verhütung von Geschäfts-
stockungen, ein Zweig der Produktion nach dem andern in
ruhiger Entwicklung der Kapitalmacht entwunden und der
Arbeit dienstbar gemacht wird. Jst Letzteres einmal ge-
schehen, so kann der Egoismus durch gemeinsame Arbeit
und durch entsprechende Jugenderziehung mit der Zeit völlig
ausgerottet werden. Cabets Lehre läßt diesen planmäßigen
Uebergang vermissen.

Die Saint Simonisten lehren eine vollständige des-
potische Gewalt des Staates über den einzelnen Bürger.
Er soll die Fähigkeiten der Bürger prüfen, ihnen dann ihre
Arbeit anweisen und überhaupt soll diese ganze Organisa-
tion nur von oben herab geleitet werden. Daß hieraus
ein unerträglicher, unhaltbarer Zustand entstehen müßte, um
so mehr als die Saint Simonisten die Vertheilung des
gemeinsamen Arbeitsertrages nur nach den vom Staat ab-
geschätzten Fähigkeiten der Einzelnen gestatten wollen, liegt
auf der Hand.

Allen diesen an den schwersten Mängeln leidenden,
recht unpraktischen Vorschlägen steht Louis Blanc's, von
Ferdinand Lassalle hernach geläutertes, Princip gegenüber,
wonach die Anbahnung des Socialismus durch Produktiv-
assoziationen mittelst Staatshülfe zu geschehen hat. Mit
diesem Princip verlassen wir nämlich den Boden der Pro-
jektemacherei vollständig und fassen Fuß auf dem festen
Wege der Praxis. Und es ist gewiß kein Zufall, daß Louis
Blanc der einzige Socialist gewesen ist, welcher im Jahre
1848 kurze Zeit hindurch glückliche Versuche mit Gründung
von Produktivassoziationen machen konnte, deren Früchte
freilich von der Bourgeoisie durch gewaltsame Unterdrückung
der Assoziationen zerstört wurden. Die Experimente der
übrigen Socialisten schlugen aus inneren Gründen fehl;
Louis Blanc's Wirksamkeit scheiterte nur durch Eingriff
feindlicher Gewalten. Hierbei ist natürlich zu bedenken,
daß die Pariser Nationalwerkstätten des Jahres 1848 nicht
von Louis Blanc sondern von dessen Feinden, von der
Bourgeoisie eingerichtet wurden, um den Socialismus in
Mißkredit zu bringen; die Nationalwerkstätten, worin Arbeiter
aller Branchen unproduktive Arbeit verrichteten, Erde karren
mußten oder faullenzten, bildeten natürlich nur Almosen-
anstalten und mußten zu Grunde gehen.

Doch gehen wir speziell auf Louis Blanc's und Lassalle's
Anschauungen ein.

Der Unterschied zwischen den Grundsätzen und Hand-
lungen beider Männer besteht weniger in ihren verschieden-
artigen Ansichten über Produktivassoziationen als in ihrem
Charakter.

Ferdinand Lassalle ist der unbeugsame Vorkämpfer des
vierten Standes, welcher den Muth hatte, die Arbeiter auf-
zurufen, sich ganz unabhängig von der Leitung irgend einer
andern Klasse zu organisiren; mit seiner tiefen Geschichts-
auffassung der socialen Entwicklung, als scharfer Kritiker
des natürlichen und des erworbenen Rechtes, als konse-
quenter Denker, der vor keiner Schlußfolgerung zurückschreckt,
[Spaltenumbruch] mußte Lassalle natürlich das Prinzip der socialen Revo-
lution in seiner Totalität erfassen und dem Proletariat
daher den Klassenkampf bis zur Beseitigung aller Klassen-
unterschiede als historische Aufgabe vorzeichnen; alles Kom-
promißmachen und Paktiren mit der Bourgeoisie hat er
daher gradezu verfehmt.

Louis Blanc ist ein schwächerer, schwankender Cha-
rakter. Er glaubt alle Klassen durch die Befreiung der
Arbeit aus den Banden des Kapitals gleichmäßig zu be-
glücken und hofft daher immerfort, daß wenigstens die re-
publikanischen Bourgeois aus Bürgertugend mit Hand an-
legen werden bei der socialistischen Umwälzung der Pro-
duktionsweise. Dies hat zu der zweideutigen Stellung ge-
führt, welche Louis Blanc bei allen socialen Kämpfen
einnahm. Er verdammte den Klassenkampf und Bürgerkrieg,
und so kam es, daß er sich mit den entschiedenen Revolu-
tionsmännern, wie z. B. Blanqui tödtlich verfeindete. Als
im Februar 1848 Louis Blanc die gewaltigste Macht in
Händen hatte, und sein Ruf das ganze Proletariat zu
den Waffen treiben konnte, ließ er vertrauensselig die
Bourgeoisie sich zum Bürgerkriege rüsten. Als es zu spät
war, bei den Donnern der Junischlacht, wie während des
Kampfes der Pariser Commune, legte Louis Blanc die
Hände in den Schooß. So lähmt die Charakterschwäche
vollständig die Thätigkeit dieses talentvollsten französischen
Socialisten.

Was nun speziell die Errichtung der Produktivassozia-
tionen betrifft, so wollen wir zunächst Louis Blanc's Vor-
schläge wiedergeben, welche er in seinen berühmten Werk
„Organisation der Arbeit“ macht. Wir bemerken dazu,
daß derselbe, gleich Lassalle, die Staatshülfe nur von einem
politisch freien Staate erwartet.

Louis Blanc schreibt:

„Die Regierung müßte als die höchste Leiterin der Pro-
duktion betrachtet und mit einer großen Gewalt versehen
werden, um ihre Aufgabe erfüllen zu können.

„Diese Aufgabe würde darin bestehen, daß sie sich der
Waffe der Konkurrenz bediente, um dadurch die Kon-
kurrenz selbst aufzuheben.

„Die Regierung müßte ein Anlehen machen, um in
den wichtigsten Zweigen der nationalen Jndustrie Produktiv-
assoziationen errichten zu können.

„Da diese Errichtung eine bedeutende Geldanlage er-
fordern würde, so müßte die Zahl der ursprünglichen Pro-
duktivassoziationen auf das Strengste beschränkt werden;
allein eben durch ihre Organisation würden sie, wie man weiter
unten sehen wird, einer ungeheuern Ausdehnung fähig sein.

„Da die Regierung als die einzige Begründerin der Pro-
duktivassoziationen betrachtet werden müßte, so würde sie
die Statuten zu entwerfen haben. Diese Statuten, berathen
und beschlossen durch die Volksvertreter, würden die Form
und die Kraft von Gesetzen haben.

„Soweit das ursprüngliche Kapital erlaubte, würden
dann in den Produktivassoziationen alle Arbeiter aufge-
nommen, welche die Bürgschaft der Moralität gewährten.

„Da die falsche und durchaus nicht staatsbürgerliche
Erziehung, welche der heutigen Welt gegeben wird, nur
durch Zulage des Lohnes einen Trieb zur Nacheiferung
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 3. Lieferung. Berlin, 6. März 1873, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social03_1873/4>, abgerufen am 21.11.2024.