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Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 79
[Beginn Spaltensatz] der Prostitution in den großen Städten Deutschlands,
läßt zur Genüge darauf schließen, daß auch dort das
Familienleben des arbeitenden Volkes die schwerste Störung
erleidet.

Was kann man auch Anderes erwarten? Jst doch
gerade in Deutschland nirgend eine gesetzliche Schranke der
Frauenarbeit, und steht es daher im Belieben der Fabri-
kanten gerade in jenen Jndustriezweigen dieselbe zu ver-
wenden, wo die längste Arbeitszeit vorherrscht, weil gerade
Frauen, so gefährlich dies überlange Arbeiten auch ihrer
Gesundheit ist, doch am Wenigsten Widerstandskraft gegen
die Ausbeutung besitzen und am Wenigsten es wagen, auf
die Gefahr der Arbeitslosigkeit hin, den Fabrikanten Trotz
zu bieten.

So sehen wir denn die Schmach, daß auch vornehm-
lich in den Jndustrieen, welche Brustkrankheiten erzeugen,
Frauen beschäftigt werden, obschon gerade ihr Geschlecht den
schädlichen Einflüssen nothwendig viel leichter unterliegen
muß, als das männliche. Die Tabatindustrie, die Maschinen-
spinnerei, die Streichholzfabrikation nebst vielen sonstigen
chemischen Fabrikationen sind bekannt als Lungenkrankheiten
durch die sich entwickelnden Staubtheile erzeugend. Die
Kapitalmacht kennt aber keine Rücksichten auf das Menschen-
wohl und verlangt ohne Scrupel hier Frauen und Kinder-
arbeit, weil selbiges bessere Gewinne abwirft.

Die Fabrikarbeit der Frauen hat nun aber nicht blos
den directen Schaden für das weibliche Geschlecht, soweit
es in die Fabriken eingekerkert ist, nein sie wird zum Fluch
der gesammten weiblichen Arbeiterklasse. Die Familien
werden direct zerstört, bei denen Mann, Frau und Kinder
in verschiedene moderne Zwingburgen geschleppt werden,
um dort dem Kapital zu frohnen; indirect aber wird das
ganze Familienleben unterwühlt, denn durch die Konkurrenz
der Arbeit innerhalb der Fabriken werden auch die Arbeiter-
familien außerhalb derselben gezwungen, durch Lohnarbeit
der Frauen und Kinder Schritt zu halten mit der Ueber-
arbeitung der Fabrikarbeiterfamilien.

Wir hatten weiter oben gefunden, daß nach dem ehernen
Lohngesetze die Gesammtarbeit einer Familie durch einen
Arbeitslohn bezahlt wird, welcher ihren kargen Unterhalt
zuläßt. Wenn also Frauen= und Kinderarbeit vorkommt,
so ist es klar, daß der Lohn des Mannes sinkt und durch diese
übermäßig niedrigen Fabrikarbeiterlöhne auch der Lohn im All-
gemeinen so weit herabgedrückt wird, daß er zum Unterhalt der
Familie nicht mehr ausreicht. Jndirect werden somit auch
die Frauen und Kinder, welche nicht in die Fabriken wan-
dern, durch selbe gezwungen, Lohnarbeit zu verrichten.

Diese Lohnarbeit ist aber ein ebenso großer Krebs-
schaden als die Fabrikarbeit; sie zerstört das Familienleben
ebenso rasch.

Einmal haben wir es mit der industriellen Hausarbeit
zu thun, welche die Arbeiterfamilie meist dazu zwingt, vier-
zehn Stunden und mehr noch rastlos eine so geisttödtende
und so ungesunde Arbeit in ihrer Hütte zu verrichten, daß
die Arbeit in einer einigermaßen gesundheitspolizeilich kon-
trollirten Fabrik noch als eine Wohlthat dagegen erscheint.
Diese Hausarbeit läßt ebensowenig ein Familienleben auf-
[Spaltenumbruch] kommen wie Fabrikarbeit, denn an eine geistige Ausbildung,
an ein liebevolles Zusammenleben ist doch dort nicht zu
denken, wo die Eltern, selbst rastlos sich quälend, den Kin-
dern nur als Zuchtmeister, welche sie zur Arbeit treiben,
gegenüber stehen.

Ebenso verwerflich wie diese Hausarbeit ist auch die
übermäßige Frauen= und Kinderarbeit in der Landwirth-
schaft, welche für wahre Hungerlöhne geschieht, die Familien
ebenfalls mehr oder weniger zerreißt und die Gesundheit
durch Ueberanstrengung und schädliche Witterungseinflüsse
oft genug schwer schädigt.

Der Umstand, daß der Männerlohn zum Unterhalt der
Familie nicht mehr ausreicht, erzeugt alle diese Neben-
arbeiten der Frauen und Kinder und desgleichen einen
scandalösen socialen Vorgang, der in der Neuzeit nicht
wenig an Leibeigenschaft und Sclaverei erinnert, -- wir
meinen das Dienstbotenwesen. Die ländliche oder städtische
Arbeiterfamilie ist gezwungen, ihre halbwüchsige Jugend
schon aus ihrer Mitte zu entfernen, in einem Alter, wo
gerade am Engsten sich die Bande der Familie schließen
sollten. Zu unproduktiver Arbeit, zu bloßem Prunk stolzer
Bourgeois müssen da die Söhne und Töchter des Prole-
tariats die Paläste der Reichen füllen und ein Leben führen,
wenig unterschieden von dem der Haussclaven des Alter-
thums. Die Noth und Hülflosigkeit dieser Volksklasse bei
Dienstentlassungen ist bekannt genug; rekrutirt doch grade
aus der Klasse der Dienstboten die Prostitution ihre Schaaren,
und sehen doch jene sogar mit Neid auf die wenigstens
persönlich etwas freier lebende Fabrikarbeiterin hin.

So finden wir denn, daß ein Uebel immer ein neues
gebiert, und daß, nachdem die Frauen= und Kinderarbeit
in den Fabriken einmal heimisch geworden ist, sie einen
Rückschlag auf das ganze Volk ausübt, welcher einer all-
gemeinen Zerstörung des Familienlebens der Arbeiterklasse
gleichkommt.

Uns kommt es natürlich nur auf die Sache an, nicht
auf den Schein, daher kümmert es uns sehr wenig, ob die
Arbeiterfamilien von Pfaffen zum Ehebund noch eingesegnet
werden, ein Civilbeamter die Ehe abschließt, oder ob keins
von beiden stattfindet. Wir unserseits fragen vielmehr da-
nach, ob ein wahres Familienleben, in welchem die Kinder
die volle Pflege der Eltern genießen, vorhanden ist, und da
dies nicht der Fall, so erklären wir, daß die heutige Ge-
sellschaft für die Arbeiterklasse die Familie bereits zer-
stört hat.

Daher ist es unsere, der Socialisten Aufgabe, diese
zerrütteten menschlichen Verhältnisse wieder neu zu gestalten,
und das wird geschehen durch die socialistische Umwandlung
der Gesellschaft.

Wenn die Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital
verschwindet vor der Association der Arbeiter, wenn die
egoistische Konkurrenz, welche jetzt selbst die Familie spaltet,
ersetzt wird durch allgemeine Brüderlichkeit, dann ist das
Familienleben gerettet, ja noch mehr, es dehnt sich aus auf
ganze Völker, auf die ganze Menschheit und verbürgt da-
durch immer sittlichere, immer intelligentere neue Genera-
tionen.

[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 79
[Beginn Spaltensatz] der Prostitution in den großen Städten Deutschlands,
läßt zur Genüge darauf schließen, daß auch dort das
Familienleben des arbeitenden Volkes die schwerste Störung
erleidet.

Was kann man auch Anderes erwarten? Jst doch
gerade in Deutschland nirgend eine gesetzliche Schranke der
Frauenarbeit, und steht es daher im Belieben der Fabri-
kanten gerade in jenen Jndustriezweigen dieselbe zu ver-
wenden, wo die längste Arbeitszeit vorherrscht, weil gerade
Frauen, so gefährlich dies überlange Arbeiten auch ihrer
Gesundheit ist, doch am Wenigsten Widerstandskraft gegen
die Ausbeutung besitzen und am Wenigsten es wagen, auf
die Gefahr der Arbeitslosigkeit hin, den Fabrikanten Trotz
zu bieten.

So sehen wir denn die Schmach, daß auch vornehm-
lich in den Jndustrieen, welche Brustkrankheiten erzeugen,
Frauen beschäftigt werden, obschon gerade ihr Geschlecht den
schädlichen Einflüssen nothwendig viel leichter unterliegen
muß, als das männliche. Die Tabatindustrie, die Maschinen-
spinnerei, die Streichholzfabrikation nebst vielen sonstigen
chemischen Fabrikationen sind bekannt als Lungenkrankheiten
durch die sich entwickelnden Staubtheile erzeugend. Die
Kapitalmacht kennt aber keine Rücksichten auf das Menschen-
wohl und verlangt ohne Scrupel hier Frauen und Kinder-
arbeit, weil selbiges bessere Gewinne abwirft.

Die Fabrikarbeit der Frauen hat nun aber nicht blos
den directen Schaden für das weibliche Geschlecht, soweit
es in die Fabriken eingekerkert ist, nein sie wird zum Fluch
der gesammten weiblichen Arbeiterklasse. Die Familien
werden direct zerstört, bei denen Mann, Frau und Kinder
in verschiedene moderne Zwingburgen geschleppt werden,
um dort dem Kapital zu frohnen; indirect aber wird das
ganze Familienleben unterwühlt, denn durch die Konkurrenz
der Arbeit innerhalb der Fabriken werden auch die Arbeiter-
familien außerhalb derselben gezwungen, durch Lohnarbeit
der Frauen und Kinder Schritt zu halten mit der Ueber-
arbeitung der Fabrikarbeiterfamilien.

Wir hatten weiter oben gefunden, daß nach dem ehernen
Lohngesetze die Gesammtarbeit einer Familie durch einen
Arbeitslohn bezahlt wird, welcher ihren kargen Unterhalt
zuläßt. Wenn also Frauen= und Kinderarbeit vorkommt,
so ist es klar, daß der Lohn des Mannes sinkt und durch diese
übermäßig niedrigen Fabrikarbeiterlöhne auch der Lohn im All-
gemeinen so weit herabgedrückt wird, daß er zum Unterhalt der
Familie nicht mehr ausreicht. Jndirect werden somit auch
die Frauen und Kinder, welche nicht in die Fabriken wan-
dern, durch selbe gezwungen, Lohnarbeit zu verrichten.

Diese Lohnarbeit ist aber ein ebenso großer Krebs-
schaden als die Fabrikarbeit; sie zerstört das Familienleben
ebenso rasch.

Einmal haben wir es mit der industriellen Hausarbeit
zu thun, welche die Arbeiterfamilie meist dazu zwingt, vier-
zehn Stunden und mehr noch rastlos eine so geisttödtende
und so ungesunde Arbeit in ihrer Hütte zu verrichten, daß
die Arbeit in einer einigermaßen gesundheitspolizeilich kon-
trollirten Fabrik noch als eine Wohlthat dagegen erscheint.
Diese Hausarbeit läßt ebensowenig ein Familienleben auf-
[Spaltenumbruch] kommen wie Fabrikarbeit, denn an eine geistige Ausbildung,
an ein liebevolles Zusammenleben ist doch dort nicht zu
denken, wo die Eltern, selbst rastlos sich quälend, den Kin-
dern nur als Zuchtmeister, welche sie zur Arbeit treiben,
gegenüber stehen.

Ebenso verwerflich wie diese Hausarbeit ist auch die
übermäßige Frauen= und Kinderarbeit in der Landwirth-
schaft, welche für wahre Hungerlöhne geschieht, die Familien
ebenfalls mehr oder weniger zerreißt und die Gesundheit
durch Ueberanstrengung und schädliche Witterungseinflüsse
oft genug schwer schädigt.

Der Umstand, daß der Männerlohn zum Unterhalt der
Familie nicht mehr ausreicht, erzeugt alle diese Neben-
arbeiten der Frauen und Kinder und desgleichen einen
scandalösen socialen Vorgang, der in der Neuzeit nicht
wenig an Leibeigenschaft und Sclaverei erinnert, — wir
meinen das Dienstbotenwesen. Die ländliche oder städtische
Arbeiterfamilie ist gezwungen, ihre halbwüchsige Jugend
schon aus ihrer Mitte zu entfernen, in einem Alter, wo
gerade am Engsten sich die Bande der Familie schließen
sollten. Zu unproduktiver Arbeit, zu bloßem Prunk stolzer
Bourgeois müssen da die Söhne und Töchter des Prole-
tariats die Paläste der Reichen füllen und ein Leben führen,
wenig unterschieden von dem der Haussclaven des Alter-
thums. Die Noth und Hülflosigkeit dieser Volksklasse bei
Dienstentlassungen ist bekannt genug; rekrutirt doch grade
aus der Klasse der Dienstboten die Prostitution ihre Schaaren,
und sehen doch jene sogar mit Neid auf die wenigstens
persönlich etwas freier lebende Fabrikarbeiterin hin.

So finden wir denn, daß ein Uebel immer ein neues
gebiert, und daß, nachdem die Frauen= und Kinderarbeit
in den Fabriken einmal heimisch geworden ist, sie einen
Rückschlag auf das ganze Volk ausübt, welcher einer all-
gemeinen Zerstörung des Familienlebens der Arbeiterklasse
gleichkommt.

Uns kommt es natürlich nur auf die Sache an, nicht
auf den Schein, daher kümmert es uns sehr wenig, ob die
Arbeiterfamilien von Pfaffen zum Ehebund noch eingesegnet
werden, ein Civilbeamter die Ehe abschließt, oder ob keins
von beiden stattfindet. Wir unserseits fragen vielmehr da-
nach, ob ein wahres Familienleben, in welchem die Kinder
die volle Pflege der Eltern genießen, vorhanden ist, und da
dies nicht der Fall, so erklären wir, daß die heutige Ge-
sellschaft für die Arbeiterklasse die Familie bereits zer-
stört hat.

Daher ist es unsere, der Socialisten Aufgabe, diese
zerrütteten menschlichen Verhältnisse wieder neu zu gestalten,
und das wird geschehen durch die socialistische Umwandlung
der Gesellschaft.

Wenn die Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital
verschwindet vor der Association der Arbeiter, wenn die
egoistische Konkurrenz, welche jetzt selbst die Familie spaltet,
ersetzt wird durch allgemeine Brüderlichkeit, dann ist das
Familienleben gerettet, ja noch mehr, es dehnt sich aus auf
ganze Völker, auf die ganze Menschheit und verbürgt da-
durch immer sittlichere, immer intelligentere neue Genera-
tionen.

[Ende Spaltensatz]

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Wenn die Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital verschwindet vor der Association der Arbeiter, wenn die egoistische Konkurrenz, welche jetzt selbst die Familie spaltet, ersetzt wird durch allgemeine Brüderlichkeit, dann ist das Familienleben gerettet, ja noch mehr, es dehnt sich aus auf ganze Völker, auf die ganze Menschheit und verbürgt da- durch immer sittlichere, immer intelligentere neue Genera- tionen.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/7>, abgerufen am 24.11.2024.