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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 25. Juli 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 176
[Beginn Spaltensatz] faltigen Wunder und Räthsel, die den Fremdling bei jedem
Schritte umgeben, Bescheid zu ertheilen; auch möge er über Jkar
den Dictator und die ikarische Revolution das Erforderliche
sagen. Nicht unser Gast allein, fügte er lächelnd hinzu, wird
Jhnen gern zuhören.

Die Kinder waren eben bei ihren Spielen, doch ließen sie
dieselben liegen und kamen heran. Dinaros nahm sogleich
das Wort.

Grundsätze der gesellschaftlichen Organisation der
ikarischen Republik
.

-- Sie wissen, hub er an, Mylord, der Mensch unterschei-
det sich wesentlich von sämmtliche übrigen Geschöpfen durch Ver-
nunft, Fortschrittsfähigkeit und Geselligkeit.

Die Jkarier sind der unerschütterlichen Ueberzeugung, kein
wahres, kein wirkliches Glück könne bestehen ohne Gleichheit
und ohne Vergesellschaftung, und so ist es denn dahin ge-
kommen, daß wir eine Gesellschaft auf der Grundlage der
völligen Gleichheit ausgebildet haben.

Alle, sind so zu sagen, associirt, sind Bürger, sind gleich an
Rechten und Pflichten.

Alle theilen sich gleichmäßig in die Lasten und in die Vor-
theile der Association; alle formiren nur eine einzige Familie,
deren Mitglieder durch das Band der Bruderschaft verknüpft sind.

Wir sind ein einziges Brudervolk, und jedes unserer Gesetze
zweckt auf die Gleichheit, in allen Fällen, wo sie nicht materiell
unmöglich ist.

Hier machte ich dem Professor den Einwand, mir schiene die
Natur selber Ungleichheit zu stiften, indem den Menschen fast
immer ungleiche Fähigkeiten zu Theil werden, sowohl des Leibes
als des Geistes. Worauf er erwiderte:

-- Das ist freilich nicht zu leugnen, aber man bedenke, daß
die Menschen wenigstens alle gleich sind in ihrem Streben nach
Wohlsein und Glück, nach Dasein überhaupt. Leben wollen sie
alle. Und alle haben dasselbe Trachten nach Gleichheit, haben
Vernunft und Einsicht um das Glück, die Gesellschaft und die
Gleichheit zu verwirklichen. Uebrigens, Mylord, halten Sie sich
nicht auf bei diesem Einwurf, denn wir haben die Aufgabe ge-
löst, und Sie werden in Jkarien die vollkommene Gleichheit in
der Gesellschaft sehen. Wie wir nur eine einzige Gesellschaft,
ein einziges Volk, eine einzige Familie ausmachen, gerade so
macht unser Grund und Boden, mit seinen unterirdischen Reich-
thümern und seinen Bauten über der Erde, nur ein einziges
Grundstück, unser Gesellschaftsland, unsere Domäne, aus. Alle
beweglichen Güter der Associirten, nebst allen Produkten des
Bodens und der Jndustrie, bilden nur einziges Gesellschafts-
kapital.

Dieses, wie jenes, gehört untheilbar dem Volke, der Nation,
die es bebaut und benutzt, durch ihre Bevollmächtigten oder in
eigner Person verwaltet, und sich in die Erzeugnisse gleichmäßig
theilt. --

Jch konnte mich nicht enthalten, ihn hier mit dem Ausruf
zu unterbrechen: dies sei ja die Gütergemeinschaft! --

-- Ja wohl, sagte Walmors Vater; erschrecken Sie etwa
darüber?

-- Nein, das gerade nicht -- aber -- man hat doch immer
behauptet, sie sei unmöglich. --

-- Unmöglich? nun, Sie werden sehen, daß dem nicht so
bei uns gewesen ist.

Dinaros begann wieder:

-- Alle Jkarier sind, wie gesagt, gleich und associrt, jeder
muß folglich eine Jndustrie üben und dieselbe Anzahl Stunden
[Spaltenumbruch] arbeiten; aber ihre ganze Vernunft ist rastlos bemüht, Mittel
und Wege zu finden, um dieses Arbeiten leicht, bequem, ange-
nehm, kurz zu machen. Sämmtliche Werkzeuge der Arbeit und
die zu verarbeitenden Stoffe werden aus dem Gesellschaftskapital
bestritten; alle Produkte des Bodens und der Jndustrie werden
in den öffentlichen Magazinen aufgespeichert. Wir alle sind er-
nährt, logirt, gekleidet, und das geschieht auf Kosten des Gesell-
schaftskapitals; wir sind es alle auf gleichmäßige Weise, mit
der erforderlichen Berücksichtigung des Geschlechtes, des Alters
und einiger anderen Punkte, die im Gesetz angegeben sind. Auf
diese Art ist die Republik oder Gütergemeinschaft die alleinige
Besitzerin, die alleinige Eigenthümerin; sie allein organisirt ihre
Arbeiter und baut die Werkstätten und Magazine; sie allein
baut den Acker, errichtet die Häuser und fabricirt alle
Stücke, die zur Kleidung, Nahrung, Wohnung und Möblirung
nöthig sind.

Da die Erziehung bei uns als Grundlage der Gesellschaft
gilt, so giebt die Republik selbige jedem Bürger, jedem ihrer
Kinder, und zwar unentgeltlich, und zwar gleichmäßig, nicht
anders, wie sie jedem gleichmäßig die Nahrung giebt, deren er
bedarf.

Alle genießen das Brod des Leibes und das Brod des
Geistes in gleicher, gleichmäßiger, gleichartiger Weise. Alle be-
kommen den nämlichen Anfangsunterrricht und hinterdrein die-
jenige besondere Belehrung, welche zu ihrem besonderen Wirken,
zu ihrem besonderen Geschäft nothwendig ist. Diese Erziehung
bezweckt, aus allen Einwohnern tüchtige Arbeiter, gute Eltern,
wackere Bürger, kurz wahrhafte Menschen zu bilden.

Solches ist, in Bausch und Bogen, unsere Gesellschaftsein-
richtung, und aus diesen paar Worten können Sie wohl leicht
das Uebrige schließen, fügte der Großater hinzu, und jetzt wer-
den Sie sich nicht mehr wundern, daß Jkarien weder Arme noch
Dienstboten kennt.

-- Und daß wir weder Privatpferde, noch Privatwagen u.
s. w. haben, rief Walmor, sondern daß die Republik alle Com-
municationsmittel, alle Hotels u. s. w. besitzt, auf denen und in
denen sie alle Reisenden befördert und verpflegt. Da jeder von
uns übrigens alles ihm Nöthige in Wirklichkeit erhält, ist es
ganz nutzlos, Geld zu haben; deshalb wird auch bei uns nichts
gekauft noch verkauft. --

Jch war wie geblendet; ich konnte nichts erwidern, als einige
unruhige Worte des Zweifelns, die dem Greis ein Lächeln ent-
lockten, und ihn zu dem Ausruf veranlaßten: Mylord, Sie sehen
hier die Gütergemeinschaft wie ein Schiff mit vollen Segeln
fahren, und scheinen noch Bedenken zu suchen? Wohlan Dina-
ros, entwickeln Sie die politische Organisation unseres Staates.

Grundsätze der staatlichen Organisation der
ikarischen Republik
.

-- Da wir also alle gleich an Rechten, alle Bürger und
associirt sind, so folgt sicher von selbst, daß wir alle Wähler und
Wählbare, alle Mitglieder des Volks und der Volkswehrmann-
schaft sind. Wir alle, ohne Einen auszuschließen, sind Volk,
Nation, denn bei uns ist kein Unterschied zwischen Volk uud
Nation. Jch brauche Jhnen nicht erst zu bedeuten, daß unser
Volk nur sich selbst angehört, also selbstherrschend ist; demnach
das Recht besitzt, sich in seinen Berathungen und Thaten selbst-
ständig zu bestimmen. Es hat seine Gesetze sich ersonnen und
aufgestellt und kann sie, wenn es ihm gut dünkt, widerrufen oder
abändern. Viele hier zu Lande können gar nicht begreifen, wie
in andern Ländern das Ding anders sein darf. Das ikarische
Volk hat durch seine Gesetze Ordnung in die Ernährung, Klei-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 176
[Beginn Spaltensatz] faltigen Wunder und Räthsel, die den Fremdling bei jedem
Schritte umgeben, Bescheid zu ertheilen; auch möge er über Jkar
den Dictator und die ikarische Revolution das Erforderliche
sagen. Nicht unser Gast allein, fügte er lächelnd hinzu, wird
Jhnen gern zuhören.

Die Kinder waren eben bei ihren Spielen, doch ließen sie
dieselben liegen und kamen heran. Dinaros nahm sogleich
das Wort.

Grundsätze der gesellschaftlichen Organisation der
ikarischen Republik
.

— Sie wissen, hub er an, Mylord, der Mensch unterschei-
det sich wesentlich von sämmtliche übrigen Geschöpfen durch Ver-
nunft, Fortschrittsfähigkeit und Geselligkeit.

Die Jkarier sind der unerschütterlichen Ueberzeugung, kein
wahres, kein wirkliches Glück könne bestehen ohne Gleichheit
und ohne Vergesellschaftung, und so ist es denn dahin ge-
kommen, daß wir eine Gesellschaft auf der Grundlage der
völligen Gleichheit ausgebildet haben.

Alle, sind so zu sagen, associirt, sind Bürger, sind gleich an
Rechten und Pflichten.

Alle theilen sich gleichmäßig in die Lasten und in die Vor-
theile der Association; alle formiren nur eine einzige Familie,
deren Mitglieder durch das Band der Bruderschaft verknüpft sind.

Wir sind ein einziges Brudervolk, und jedes unserer Gesetze
zweckt auf die Gleichheit, in allen Fällen, wo sie nicht materiell
unmöglich ist.

Hier machte ich dem Professor den Einwand, mir schiene die
Natur selber Ungleichheit zu stiften, indem den Menschen fast
immer ungleiche Fähigkeiten zu Theil werden, sowohl des Leibes
als des Geistes. Worauf er erwiderte:

— Das ist freilich nicht zu leugnen, aber man bedenke, daß
die Menschen wenigstens alle gleich sind in ihrem Streben nach
Wohlsein und Glück, nach Dasein überhaupt. Leben wollen sie
alle. Und alle haben dasselbe Trachten nach Gleichheit, haben
Vernunft und Einsicht um das Glück, die Gesellschaft und die
Gleichheit zu verwirklichen. Uebrigens, Mylord, halten Sie sich
nicht auf bei diesem Einwurf, denn wir haben die Aufgabe ge-
löst, und Sie werden in Jkarien die vollkommene Gleichheit in
der Gesellschaft sehen. Wie wir nur eine einzige Gesellschaft,
ein einziges Volk, eine einzige Familie ausmachen, gerade so
macht unser Grund und Boden, mit seinen unterirdischen Reich-
thümern und seinen Bauten über der Erde, nur ein einziges
Grundstück, unser Gesellschaftsland, unsere Domäne, aus. Alle
beweglichen Güter der Associirten, nebst allen Produkten des
Bodens und der Jndustrie, bilden nur einziges Gesellschafts-
kapital.

Dieses, wie jenes, gehört untheilbar dem Volke, der Nation,
die es bebaut und benutzt, durch ihre Bevollmächtigten oder in
eigner Person verwaltet, und sich in die Erzeugnisse gleichmäßig
theilt. —

Jch konnte mich nicht enthalten, ihn hier mit dem Ausruf
zu unterbrechen: dies sei ja die Gütergemeinschaft! —

— Ja wohl, sagte Walmors Vater; erschrecken Sie etwa
darüber?

— Nein, das gerade nicht — aber — man hat doch immer
behauptet, sie sei unmöglich. —

— Unmöglich? nun, Sie werden sehen, daß dem nicht so
bei uns gewesen ist.

Dinaros begann wieder:

— Alle Jkarier sind, wie gesagt, gleich und associrt, jeder
muß folglich eine Jndustrie üben und dieselbe Anzahl Stunden
[Spaltenumbruch] arbeiten; aber ihre ganze Vernunft ist rastlos bemüht, Mittel
und Wege zu finden, um dieses Arbeiten leicht, bequem, ange-
nehm, kurz zu machen. Sämmtliche Werkzeuge der Arbeit und
die zu verarbeitenden Stoffe werden aus dem Gesellschaftskapital
bestritten; alle Produkte des Bodens und der Jndustrie werden
in den öffentlichen Magazinen aufgespeichert. Wir alle sind er-
nährt, logirt, gekleidet, und das geschieht auf Kosten des Gesell-
schaftskapitals; wir sind es alle auf gleichmäßige Weise, mit
der erforderlichen Berücksichtigung des Geschlechtes, des Alters
und einiger anderen Punkte, die im Gesetz angegeben sind. Auf
diese Art ist die Republik oder Gütergemeinschaft die alleinige
Besitzerin, die alleinige Eigenthümerin; sie allein organisirt ihre
Arbeiter und baut die Werkstätten und Magazine; sie allein
baut den Acker, errichtet die Häuser und fabricirt alle
Stücke, die zur Kleidung, Nahrung, Wohnung und Möblirung
nöthig sind.

Da die Erziehung bei uns als Grundlage der Gesellschaft
gilt, so giebt die Republik selbige jedem Bürger, jedem ihrer
Kinder, und zwar unentgeltlich, und zwar gleichmäßig, nicht
anders, wie sie jedem gleichmäßig die Nahrung giebt, deren er
bedarf.

Alle genießen das Brod des Leibes und das Brod des
Geistes in gleicher, gleichmäßiger, gleichartiger Weise. Alle be-
kommen den nämlichen Anfangsunterrricht und hinterdrein die-
jenige besondere Belehrung, welche zu ihrem besonderen Wirken,
zu ihrem besonderen Geschäft nothwendig ist. Diese Erziehung
bezweckt, aus allen Einwohnern tüchtige Arbeiter, gute Eltern,
wackere Bürger, kurz wahrhafte Menschen zu bilden.

Solches ist, in Bausch und Bogen, unsere Gesellschaftsein-
richtung, und aus diesen paar Worten können Sie wohl leicht
das Uebrige schließen, fügte der Großater hinzu, und jetzt wer-
den Sie sich nicht mehr wundern, daß Jkarien weder Arme noch
Dienstboten kennt.

— Und daß wir weder Privatpferde, noch Privatwagen u.
s. w. haben, rief Walmor, sondern daß die Republik alle Com-
municationsmittel, alle Hotels u. s. w. besitzt, auf denen und in
denen sie alle Reisenden befördert und verpflegt. Da jeder von
uns übrigens alles ihm Nöthige in Wirklichkeit erhält, ist es
ganz nutzlos, Geld zu haben; deshalb wird auch bei uns nichts
gekauft noch verkauft. —

Jch war wie geblendet; ich konnte nichts erwidern, als einige
unruhige Worte des Zweifelns, die dem Greis ein Lächeln ent-
lockten, und ihn zu dem Ausruf veranlaßten: Mylord, Sie sehen
hier die Gütergemeinschaft wie ein Schiff mit vollen Segeln
fahren, und scheinen noch Bedenken zu suchen? Wohlan Dina-
ros, entwickeln Sie die politische Organisation unseres Staates.

Grundsätze der staatlichen Organisation der
ikarischen Republik
.

— Da wir also alle gleich an Rechten, alle Bürger und
associirt sind, so folgt sicher von selbst, daß wir alle Wähler und
Wählbare, alle Mitglieder des Volks und der Volkswehrmann-
schaft sind. Wir alle, ohne Einen auszuschließen, sind Volk,
Nation, denn bei uns ist kein Unterschied zwischen Volk uud
Nation. Jch brauche Jhnen nicht erst zu bedeuten, daß unser
Volk nur sich selbst angehört, also selbstherrschend ist; demnach
das Recht besitzt, sich in seinen Berathungen und Thaten selbst-
ständig zu bestimmen. Es hat seine Gesetze sich ersonnen und
aufgestellt und kann sie, wenn es ihm gut dünkt, widerrufen oder
abändern. Viele hier zu Lande können gar nicht begreifen, wie
in andern Ländern das Ding anders sein darf. Das ikarische
Volk hat durch seine Gesetze Ordnung in die Ernährung, Klei-
[Ende Spaltensatz]

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Alle, sind so zu sagen, associirt, sind Bürger, sind gleich an Rechten und Pflichten. Alle theilen sich gleichmäßig in die Lasten und in die Vor- theile der Association; alle formiren nur eine einzige Familie, deren Mitglieder durch das Band der Bruderschaft verknüpft sind. Wir sind ein einziges Brudervolk, und jedes unserer Gesetze zweckt auf die Gleichheit, in allen Fällen, wo sie nicht materiell unmöglich ist. Hier machte ich dem Professor den Einwand, mir schiene die Natur selber Ungleichheit zu stiften, indem den Menschen fast immer ungleiche Fähigkeiten zu Theil werden, sowohl des Leibes als des Geistes. Worauf er erwiderte: — Das ist freilich nicht zu leugnen, aber man bedenke, daß die Menschen wenigstens alle gleich sind in ihrem Streben nach Wohlsein und Glück, nach Dasein überhaupt. Leben wollen sie alle. Und alle haben dasselbe Trachten nach Gleichheit, haben Vernunft und Einsicht um das Glück, die Gesellschaft und die Gleichheit zu verwirklichen. Uebrigens, Mylord, halten Sie sich nicht auf bei diesem Einwurf, denn wir haben die Aufgabe ge- löst, und Sie werden in Jkarien die vollkommene Gleichheit in der Gesellschaft sehen. Wie wir nur eine einzige Gesellschaft, ein einziges Volk, eine einzige Familie ausmachen, gerade so macht unser Grund und Boden, mit seinen unterirdischen Reich- thümern und seinen Bauten über der Erde, nur ein einziges Grundstück, unser Gesellschaftsland, unsere Domäne, aus. Alle beweglichen Güter der Associirten, nebst allen Produkten des Bodens und der Jndustrie, bilden nur einziges Gesellschafts- kapital. 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Wohlan Dina- ros, entwickeln Sie die politische Organisation unseres Staates. Grundsätze der staatlichen Organisation der ikarischen Republik. — Da wir also alle gleich an Rechten, alle Bürger und associirt sind, so folgt sicher von selbst, daß wir alle Wähler und Wählbare, alle Mitglieder des Volks und der Volkswehrmann- schaft sind. Wir alle, ohne Einen auszuschließen, sind Volk, Nation, denn bei uns ist kein Unterschied zwischen Volk uud Nation. Jch brauche Jhnen nicht erst zu bedeuten, daß unser Volk nur sich selbst angehört, also selbstherrschend ist; demnach das Recht besitzt, sich in seinen Berathungen und Thaten selbst- ständig zu bestimmen. Es hat seine Gesetze sich ersonnen und aufgestellt und kann sie, wenn es ihm gut dünkt, widerrufen oder abändern. Viele hier zu Lande können gar nicht begreifen, wie in andern Ländern das Ding anders sein darf. Das ikarische Volk hat durch seine Gesetze Ordnung in die Ernährung, Klei-

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Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 25. Juli 1874, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0704_1874/4>, abgerufen am 01.06.2024.