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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 25. Juli 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 178
[Beginn Spaltensatz] empor; es war ein erhebender Anblick, dieses Greisenantlitz mit
dem kahlen, nur im Nacken von silbernem Haar umkränzten
Schädel, und die blühende, feurige Korilla und den edlen Sohn
bei der Hand fassend, sprach er in feierlichem Tone: Ja, Jkar,
mein verstorbener Freund, Du hattest uns begeistert, und wir
halfen Dir; und so sei Dir denn Ruhm un Ehre; meine Lie-
ben, singt Jkar's und des Vaterlandes Lob!

Das Auge blitzte dem greisen Kämpfer; eine Thräne auch
schlich sich hervor unter den grauen Wimpern, während die Fa-
milie den hinreißendsten der Gesänge anstimmte.....

Jch fand mich in meinem Zimmer, ich wußte kaum wie! so
[Spaltenumbruch] abgezogen von sich und auf das nie Gesehene, Unerhörte, welches
plötzlich in meine Lebensbahn eingebrochen, hingelenkt ward mein
Bewußtsein. Jch war im Wachen wie im Traum. Die man-
nigfachsten Bilder und Jdeen durchkreuzten sich in mir; diese
große, bisher beispiellose Republik, und in ihr diese herrliche
Familie, und in ihr der hohe Greis, und Dinaros, Walmor, und
eine Korilla; -- oh, ich hätte die Nacht ausstreichen und sofort
den Tag heraufrufen mögen, um schnell zu dem Spaziergange
zu eilen, auf den ich von ihr eine freundliche Einladung erhal-
ten hatte.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



[Beginn Spaltensatz]
Ueber den Luxus

gab vor einigen Jahren ein französischer Redner folgende drastische
Schilderung, die wir hier folgen lassen:

" Jn letzter Zeit wurde viel von einer Rede des General-
Prokurators Dupin gesprochen, welche derselbe in einer geheimen
Sitzung des französischen Senates bei Gelegenheit einer Petition
gegen die Prostitution hielt. Herr Dupin, der die verderb-
lichen Folgen des Luxus vor der Oeffentlichkeit besprochen ha-
ben wollte, ließ seine Rede drucken und in einer gewissen Anzahl
von Exemplaren vertheilen. Sie lautet: "Meine Herren Sena-
toren! Der römische Senat hatte auch seine geheimen Comite's.
Jeder erinnert sich der Aufregung, welche unter den Römischen
Damen ein gewisses geheimes Comite hervorrief, über welches
man Cato befragte. Er zog sich nur dadurch aus der Verlegen-
heit, daß er ihnen sagte: "Der Senat hat über die Frage be-
rathen, ob die Männer mehrere Frauen, oder die Frauen mehrere
Männer haben sollen." Es war ein Scherz, der in der Stadt
nicht die mindeste Konsequenz hatte. Jch glaube nicht, daß man
durch das Geheimniß, welches man für die Prostitutionsfrage
angeordnet hat, in große Aufregung versetzt werden würde; in-
dessen wird sich vielleicht Jeder sagen, daß, wenn der Senat,
der schon seiner öffentlichen Tribunen beraubt ist, ein geheimes
Comite in dieser Affäre angeordnet hat, es ohne Zweifel ge-
schehen ist, weil ganz außerordentliche Dinge vorgefallen sind.
Handelt es sich um eine Prostitutions = Gesellschaft, deren Mit-
glieder man nicht namhaft machen will, weil zu hochstehende
Personen in dieselbe verwickelt sind?...: Sollen dort Dinge
enthüllt werden, welche das Publikum nicht kennt? Man wird
sich diese Fragen stellen können.... Darin liegt die Gefahr
der geheimen Comite's. Jm Grunde genommen, bin ich der
Ansicht des Herrn de Boissy. Was der Herr Berichterstatter
gesagt, bietet nicht allein keine Gefahr außerhalb des Saales
dar, sondern die Oeffentlichkeit würde sogar von Vortheil ge-
wesen sein. Es giebt keinen Prediger, der nicht eben so viel
sagen würde, aber in weniger studirten, weniger gelehrten, jedoch
in lebhafteren und beißenderen Ausdrücken, indem er sich an ein
Auditorium wendet, in welchen er zuweilen diejenigen mehr oder
weniger zu bezeichnen sucht, welche die Heftigkeit, den heiligen
Zorn der Kanzel provozirt haben. Es ist alsdann die Oeffent-
lichkeit selbst, welche die Züchtigung, die Ermahnung oder das
Beispiel ist. Die Religion, die Moral, Jedermann verdammt
die Prostitution; darüber herrscht nur Eine Stimme: aber der
Staat, wenn er handeln muß, kann sich nur an die greifbaren
Thatsachen, an das, was öffentlich geschieht, an die halten, die
Grund zur Bestrafung darbieten. Und dieses hat er gethan.
Vor 40--50 Jahren -- und alle diejenigen, welche alt genug
sind, können sich dessen erinnern -- promenirte die Prostitution
öffemlich in den Straßen von Paris; im Palais Royal war
es nicht auszuhalten; dort war eine permanente Ausstellung;
die ehrbaren Frauen wagten selbst nicht einmal, durch dasselbe
zu gehen. Dieses alles ist verschwunden; die Prostitution ist in
die Häuser zurückgetreten. Wollen Sie, daß man dort die Pro-
stitution aufsucht und sie bis dahin verfolgt? Das ist schwieriger,
und ich werde in dieser Beziehung nur Ein Wort sagen, näm-
lich: daß in den Ländern der Jnquisition, wo man überall Zu-
ritt hat, die Prostitution vielleicht schlimmer ist, als in denen,
[Spaltenumbruch] wo die Toleranz herrscht, von welcher der Gesetzgeber Ludwig
der Heilige sich genöthigt geglaubt hat, das Beispiel zu geben.
Was liegt aber nun dieser Petition zu Grunde? Die Meinung,
daß unsere Gesetze nicht ausreichen, die Tribunale augenschein-
lich nachlässig sind und die Polizei nicht ihre Pflicht thut. Aber
dieses würde zum Uebel der Prostitution noch andere ebenfalls
große Uebel hinzufügen. Schon jetzt haben die Gesetze Alles
festgestellt, was sich in solchen Dingen feststellen läßt; die Tri-
bunale haben in ihren Juterpretationen immer eine große Nei-
gung dargethan, den Sinn der Gesetze eher auszudehnen als zu
beschränken, um möglichst viele Fälle zu erreichen, in welchen die
öffentliche Moral beleidigt worden ist und denen man den Cha-
rakter vou[unleserliches Material] Vergehen geben kann. Die Polizei, ich glaube es,
thut ihre Pflicht, und sie hat von oben bis unten viel zu thun
( Heiterkeit ) , denn man spricht von den unteren Klassen, aber
nicht von den oberen, die schwerer zu erreichen sind, die aber
nicht die sind, welche zu erblicken am schwierigsten ist. Man
spricht von Courtisanen, welche sich an öffentlichen Orten breit
machen. Ja, diese würden im Stande sein, in einer glänzenden
Karosse die Blicke auf sich zu ziehen. Was thut aber die
hohe Gesellschaft?
Sie richtet ihre Blicke auf dieselben,
sie nimmt sie zum Muster, und es sind diese Dämchen, welche
selbst den Weltdamen die Moden angeben; sie sind es, welche
man kopirt; dieses ist das Beispiel, welches die höchste Klasse der
Gesellschaft giebt. Man hat Jhnen von einigen mehr oder we-
niger gut ausgeführten Photographieen zu 5 Sous das Stück
gesprochen. Gehen Sie in Jhre Theater: es giebt Stücke,
die nur eine lebende Schaustellung von Anfang bis zu Ende
sind, und welche die Typen von 200 Photographieen darbieten,
die Alles übersteigen, worüber Sie sich beklagen. Es giebt aber
noch eine andere Ursache der Prostitution -- und hier wende ich
mich ebenfalls mehr an die hohen, als an die niederen
Klassen, weil das Beispiel von oben herab gegeben wird, und
viel weniger von unten nach oben. Jst nicht eine augenschein-
liche Ursache zur Prostitution die Uebertreibung des Luxus,
der Exceß der Toiletten, welche Jedermann aus seiner Bahn
werfen? Die Allerwohlhabendsten wurden dadurch sogar erschreckt,
nnd jeden Winter, jede Saison kommen Moderechnungen zum
Vorschein, welche die beträchtlichsten Vermögen kaum bezahlen
können, die zuweilen genöthigt sind, um Wartezeit zu bitten oder
zu liquidiren. Dieses steigt durch Nachahmung, durch den Geist
der Gleichheit in die unteren Klassen hinab. Jede will die näm-
liche Toilette haben, wie die Andere. Lafontaine spottet in einer
seiner Fabeln über den Frosch, der so stark sein wollte wie ein
Ochs; aber mit den Moden der Jetztzeit würde es dem Frosch
gelingen. Es ist für jedes Gänschen genügend, um seine Taille
jene elastischen Dimensionen zu schlagen, die es eben so dick
machen, wie das Vorbild, das es erreichen will. Wenn man
etwas Neues gesehen hat, oder auf ein Fest gehen soll, wo man
eine Rolle spielen will, und die Mittel nicht dazu hat, so reißt
die Eigenliebe hin, man will es dem Manne nicht sagen, die
Kasse ist leer, man kleidet sich auf Kredit, man unterschreibt
Wechsel, für welche man Jndossanten sucht und deren Verfallzeit
immer verderblich für die Jugend ist. So ist, meine Herren,
die Lage unserer Gesellschaft. Hier muß man zu verbessern
suchen: quid leges sine moribus valent? ( Was helfen gute
Gesetze ohne gute Sitten? ) Es haben sich Mäßigkeitsvereine ge-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 178
[Beginn Spaltensatz] empor; es war ein erhebender Anblick, dieses Greisenantlitz mit
dem kahlen, nur im Nacken von silbernem Haar umkränzten
Schädel, und die blühende, feurige Korilla und den edlen Sohn
bei der Hand fassend, sprach er in feierlichem Tone: Ja, Jkar,
mein verstorbener Freund, Du hattest uns begeistert, und wir
halfen Dir; und so sei Dir denn Ruhm un Ehre; meine Lie-
ben, singt Jkar's und des Vaterlandes Lob!

Das Auge blitzte dem greisen Kämpfer; eine Thräne auch
schlich sich hervor unter den grauen Wimpern, während die Fa-
milie den hinreißendsten der Gesänge anstimmte.....

Jch fand mich in meinem Zimmer, ich wußte kaum wie! so
[Spaltenumbruch] abgezogen von sich und auf das nie Gesehene, Unerhörte, welches
plötzlich in meine Lebensbahn eingebrochen, hingelenkt ward mein
Bewußtsein. Jch war im Wachen wie im Traum. Die man-
nigfachsten Bilder und Jdeen durchkreuzten sich in mir; diese
große, bisher beispiellose Republik, und in ihr diese herrliche
Familie, und in ihr der hohe Greis, und Dinaros, Walmor, und
eine Korilla; — oh, ich hätte die Nacht ausstreichen und sofort
den Tag heraufrufen mögen, um schnell zu dem Spaziergange
zu eilen, auf den ich von ihr eine freundliche Einladung erhal-
ten hatte.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



[Beginn Spaltensatz]
Ueber den Luxus

gab vor einigen Jahren ein französischer Redner folgende drastische
Schilderung, die wir hier folgen lassen:

„ Jn letzter Zeit wurde viel von einer Rede des General-
Prokurators Dupin gesprochen, welche derselbe in einer geheimen
Sitzung des französischen Senates bei Gelegenheit einer Petition
gegen die Prostitution hielt. Herr Dupin, der die verderb-
lichen Folgen des Luxus vor der Oeffentlichkeit besprochen ha-
ben wollte, ließ seine Rede drucken und in einer gewissen Anzahl
von Exemplaren vertheilen. Sie lautet: „Meine Herren Sena-
toren! Der römische Senat hatte auch seine geheimen Comite's.
Jeder erinnert sich der Aufregung, welche unter den Römischen
Damen ein gewisses geheimes Comite hervorrief, über welches
man Cato befragte. Er zog sich nur dadurch aus der Verlegen-
heit, daß er ihnen sagte: „Der Senat hat über die Frage be-
rathen, ob die Männer mehrere Frauen, oder die Frauen mehrere
Männer haben sollen.“ Es war ein Scherz, der in der Stadt
nicht die mindeste Konsequenz hatte. Jch glaube nicht, daß man
durch das Geheimniß, welches man für die Prostitutionsfrage
angeordnet hat, in große Aufregung versetzt werden würde; in-
dessen wird sich vielleicht Jeder sagen, daß, wenn der Senat,
der schon seiner öffentlichen Tribunen beraubt ist, ein geheimes
Comite in dieser Affäre angeordnet hat, es ohne Zweifel ge-
schehen ist, weil ganz außerordentliche Dinge vorgefallen sind.
Handelt es sich um eine Prostitutions = Gesellschaft, deren Mit-
glieder man nicht namhaft machen will, weil zu hochstehende
Personen in dieselbe verwickelt sind?...: Sollen dort Dinge
enthüllt werden, welche das Publikum nicht kennt? Man wird
sich diese Fragen stellen können.... Darin liegt die Gefahr
der geheimen Comite's. Jm Grunde genommen, bin ich der
Ansicht des Herrn de Boissy. Was der Herr Berichterstatter
gesagt, bietet nicht allein keine Gefahr außerhalb des Saales
dar, sondern die Oeffentlichkeit würde sogar von Vortheil ge-
wesen sein. Es giebt keinen Prediger, der nicht eben so viel
sagen würde, aber in weniger studirten, weniger gelehrten, jedoch
in lebhafteren und beißenderen Ausdrücken, indem er sich an ein
Auditorium wendet, in welchen er zuweilen diejenigen mehr oder
weniger zu bezeichnen sucht, welche die Heftigkeit, den heiligen
Zorn der Kanzel provozirt haben. Es ist alsdann die Oeffent-
lichkeit selbst, welche die Züchtigung, die Ermahnung oder das
Beispiel ist. Die Religion, die Moral, Jedermann verdammt
die Prostitution; darüber herrscht nur Eine Stimme: aber der
Staat, wenn er handeln muß, kann sich nur an die greifbaren
Thatsachen, an das, was öffentlich geschieht, an die halten, die
Grund zur Bestrafung darbieten. Und dieses hat er gethan.
Vor 40—50 Jahren — und alle diejenigen, welche alt genug
sind, können sich dessen erinnern — promenirte die Prostitution
öffemlich in den Straßen von Paris; im Palais Royal war
es nicht auszuhalten; dort war eine permanente Ausstellung;
die ehrbaren Frauen wagten selbst nicht einmal, durch dasselbe
zu gehen. Dieses alles ist verschwunden; die Prostitution ist in
die Häuser zurückgetreten. Wollen Sie, daß man dort die Pro-
stitution aufsucht und sie bis dahin verfolgt? Das ist schwieriger,
und ich werde in dieser Beziehung nur Ein Wort sagen, näm-
lich: daß in den Ländern der Jnquisition, wo man überall Zu-
ritt hat, die Prostitution vielleicht schlimmer ist, als in denen,
[Spaltenumbruch] wo die Toleranz herrscht, von welcher der Gesetzgeber Ludwig
der Heilige sich genöthigt geglaubt hat, das Beispiel zu geben.
Was liegt aber nun dieser Petition zu Grunde? Die Meinung,
daß unsere Gesetze nicht ausreichen, die Tribunale augenschein-
lich nachlässig sind und die Polizei nicht ihre Pflicht thut. Aber
dieses würde zum Uebel der Prostitution noch andere ebenfalls
große Uebel hinzufügen. Schon jetzt haben die Gesetze Alles
festgestellt, was sich in solchen Dingen feststellen läßt; die Tri-
bunale haben in ihren Juterpretationen immer eine große Nei-
gung dargethan, den Sinn der Gesetze eher auszudehnen als zu
beschränken, um möglichst viele Fälle zu erreichen, in welchen die
öffentliche Moral beleidigt worden ist und denen man den Cha-
rakter vou[unleserliches Material] Vergehen geben kann. Die Polizei, ich glaube es,
thut ihre Pflicht, und sie hat von oben bis unten viel zu thun
( Heiterkeit ) , denn man spricht von den unteren Klassen, aber
nicht von den oberen, die schwerer zu erreichen sind, die aber
nicht die sind, welche zu erblicken am schwierigsten ist. Man
spricht von Courtisanen, welche sich an öffentlichen Orten breit
machen. Ja, diese würden im Stande sein, in einer glänzenden
Karosse die Blicke auf sich zu ziehen. Was thut aber die
hohe Gesellschaft?
Sie richtet ihre Blicke auf dieselben,
sie nimmt sie zum Muster, und es sind diese Dämchen, welche
selbst den Weltdamen die Moden angeben; sie sind es, welche
man kopirt; dieses ist das Beispiel, welches die höchste Klasse der
Gesellschaft giebt. Man hat Jhnen von einigen mehr oder we-
niger gut ausgeführten Photographieen zu 5 Sous das Stück
gesprochen. Gehen Sie in Jhre Theater: es giebt Stücke,
die nur eine lebende Schaustellung von Anfang bis zu Ende
sind, und welche die Typen von 200 Photographieen darbieten,
die Alles übersteigen, worüber Sie sich beklagen. Es giebt aber
noch eine andere Ursache der Prostitution — und hier wende ich
mich ebenfalls mehr an die hohen, als an die niederen
Klassen, weil das Beispiel von oben herab gegeben wird, und
viel weniger von unten nach oben. Jst nicht eine augenschein-
liche Ursache zur Prostitution die Uebertreibung des Luxus,
der Exceß der Toiletten, welche Jedermann aus seiner Bahn
werfen? Die Allerwohlhabendsten wurden dadurch sogar erschreckt,
nnd jeden Winter, jede Saison kommen Moderechnungen zum
Vorschein, welche die beträchtlichsten Vermögen kaum bezahlen
können, die zuweilen genöthigt sind, um Wartezeit zu bitten oder
zu liquidiren. Dieses steigt durch Nachahmung, durch den Geist
der Gleichheit in die unteren Klassen hinab. Jede will die näm-
liche Toilette haben, wie die Andere. Lafontaine spottet in einer
seiner Fabeln über den Frosch, der so stark sein wollte wie ein
Ochs; aber mit den Moden der Jetztzeit würde es dem Frosch
gelingen. Es ist für jedes Gänschen genügend, um seine Taille
jene elastischen Dimensionen zu schlagen, die es eben so dick
machen, wie das Vorbild, das es erreichen will. Wenn man
etwas Neues gesehen hat, oder auf ein Fest gehen soll, wo man
eine Rolle spielen will, und die Mittel nicht dazu hat, so reißt
die Eigenliebe hin, man will es dem Manne nicht sagen, die
Kasse ist leer, man kleidet sich auf Kredit, man unterschreibt
Wechsel, für welche man Jndossanten sucht und deren Verfallzeit
immer verderblich für die Jugend ist. So ist, meine Herren,
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Gesetze ohne gute Sitten? ) Es haben sich Mäßigkeitsvereine ge-
[Ende Spaltensatz]

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[178/0006] Zur Unterhaltung und Belehrung. 178 empor; es war ein erhebender Anblick, dieses Greisenantlitz mit dem kahlen, nur im Nacken von silbernem Haar umkränzten Schädel, und die blühende, feurige Korilla und den edlen Sohn bei der Hand fassend, sprach er in feierlichem Tone: Ja, Jkar, mein verstorbener Freund, Du hattest uns begeistert, und wir halfen Dir; und so sei Dir denn Ruhm un Ehre; meine Lie- ben, singt Jkar's und des Vaterlandes Lob! Das Auge blitzte dem greisen Kämpfer; eine Thräne auch schlich sich hervor unter den grauen Wimpern, während die Fa- milie den hinreißendsten der Gesänge anstimmte..... Jch fand mich in meinem Zimmer, ich wußte kaum wie! so abgezogen von sich und auf das nie Gesehene, Unerhörte, welches plötzlich in meine Lebensbahn eingebrochen, hingelenkt ward mein Bewußtsein. Jch war im Wachen wie im Traum. Die man- nigfachsten Bilder und Jdeen durchkreuzten sich in mir; diese große, bisher beispiellose Republik, und in ihr diese herrliche Familie, und in ihr der hohe Greis, und Dinaros, Walmor, und eine Korilla; — oh, ich hätte die Nacht ausstreichen und sofort den Tag heraufrufen mögen, um schnell zu dem Spaziergange zu eilen, auf den ich von ihr eine freundliche Einladung erhal- ten hatte. ( Fortsetzung folgt ) . Ueber den Luxus gab vor einigen Jahren ein französischer Redner folgende drastische Schilderung, die wir hier folgen lassen: „ Jn letzter Zeit wurde viel von einer Rede des General- Prokurators Dupin gesprochen, welche derselbe in einer geheimen Sitzung des französischen Senates bei Gelegenheit einer Petition gegen die Prostitution hielt. Herr Dupin, der die verderb- lichen Folgen des Luxus vor der Oeffentlichkeit besprochen ha- ben wollte, ließ seine Rede drucken und in einer gewissen Anzahl von Exemplaren vertheilen. Sie lautet: „Meine Herren Sena- toren! Der römische Senat hatte auch seine geheimen Comite's. Jeder erinnert sich der Aufregung, welche unter den Römischen Damen ein gewisses geheimes Comite hervorrief, über welches man Cato befragte. Er zog sich nur dadurch aus der Verlegen- heit, daß er ihnen sagte: „Der Senat hat über die Frage be- rathen, ob die Männer mehrere Frauen, oder die Frauen mehrere Männer haben sollen.“ Es war ein Scherz, der in der Stadt nicht die mindeste Konsequenz hatte. Jch glaube nicht, daß man durch das Geheimniß, welches man für die Prostitutionsfrage angeordnet hat, in große Aufregung versetzt werden würde; in- dessen wird sich vielleicht Jeder sagen, daß, wenn der Senat, der schon seiner öffentlichen Tribunen beraubt ist, ein geheimes Comite in dieser Affäre angeordnet hat, es ohne Zweifel ge- schehen ist, weil ganz außerordentliche Dinge vorgefallen sind. Handelt es sich um eine Prostitutions = Gesellschaft, deren Mit- glieder man nicht namhaft machen will, weil zu hochstehende Personen in dieselbe verwickelt sind?...: Sollen dort Dinge enthüllt werden, welche das Publikum nicht kennt? Man wird sich diese Fragen stellen können.... Darin liegt die Gefahr der geheimen Comite's. Jm Grunde genommen, bin ich der Ansicht des Herrn de Boissy. Was der Herr Berichterstatter gesagt, bietet nicht allein keine Gefahr außerhalb des Saales dar, sondern die Oeffentlichkeit würde sogar von Vortheil ge- wesen sein. Es giebt keinen Prediger, der nicht eben so viel sagen würde, aber in weniger studirten, weniger gelehrten, jedoch in lebhafteren und beißenderen Ausdrücken, indem er sich an ein Auditorium wendet, in welchen er zuweilen diejenigen mehr oder weniger zu bezeichnen sucht, welche die Heftigkeit, den heiligen Zorn der Kanzel provozirt haben. Es ist alsdann die Oeffent- lichkeit selbst, welche die Züchtigung, die Ermahnung oder das Beispiel ist. Die Religion, die Moral, Jedermann verdammt die Prostitution; darüber herrscht nur Eine Stimme: aber der Staat, wenn er handeln muß, kann sich nur an die greifbaren Thatsachen, an das, was öffentlich geschieht, an die halten, die Grund zur Bestrafung darbieten. Und dieses hat er gethan. Vor 40—50 Jahren — und alle diejenigen, welche alt genug sind, können sich dessen erinnern — promenirte die Prostitution öffemlich in den Straßen von Paris; im Palais Royal war es nicht auszuhalten; dort war eine permanente Ausstellung; die ehrbaren Frauen wagten selbst nicht einmal, durch dasselbe zu gehen. Dieses alles ist verschwunden; die Prostitution ist in die Häuser zurückgetreten. Wollen Sie, daß man dort die Pro- stitution aufsucht und sie bis dahin verfolgt? Das ist schwieriger, und ich werde in dieser Beziehung nur Ein Wort sagen, näm- lich: daß in den Ländern der Jnquisition, wo man überall Zu- ritt hat, die Prostitution vielleicht schlimmer ist, als in denen, wo die Toleranz herrscht, von welcher der Gesetzgeber Ludwig der Heilige sich genöthigt geglaubt hat, das Beispiel zu geben. Was liegt aber nun dieser Petition zu Grunde? Die Meinung, daß unsere Gesetze nicht ausreichen, die Tribunale augenschein- lich nachlässig sind und die Polizei nicht ihre Pflicht thut. Aber dieses würde zum Uebel der Prostitution noch andere ebenfalls große Uebel hinzufügen. Schon jetzt haben die Gesetze Alles festgestellt, was sich in solchen Dingen feststellen läßt; die Tri- bunale haben in ihren Juterpretationen immer eine große Nei- gung dargethan, den Sinn der Gesetze eher auszudehnen als zu beschränken, um möglichst viele Fälle zu erreichen, in welchen die öffentliche Moral beleidigt worden ist und denen man den Cha- rakter vou_ Vergehen geben kann. Die Polizei, ich glaube es, thut ihre Pflicht, und sie hat von oben bis unten viel zu thun ( Heiterkeit ) , denn man spricht von den unteren Klassen, aber nicht von den oberen, die schwerer zu erreichen sind, die aber nicht die sind, welche zu erblicken am schwierigsten ist. Man spricht von Courtisanen, welche sich an öffentlichen Orten breit machen. Ja, diese würden im Stande sein, in einer glänzenden Karosse die Blicke auf sich zu ziehen. Was thut aber die hohe Gesellschaft? Sie richtet ihre Blicke auf dieselben, sie nimmt sie zum Muster, und es sind diese Dämchen, welche selbst den Weltdamen die Moden angeben; sie sind es, welche man kopirt; dieses ist das Beispiel, welches die höchste Klasse der Gesellschaft giebt. Man hat Jhnen von einigen mehr oder we- niger gut ausgeführten Photographieen zu 5 Sous das Stück gesprochen. Gehen Sie in Jhre Theater: es giebt Stücke, die nur eine lebende Schaustellung von Anfang bis zu Ende sind, und welche die Typen von 200 Photographieen darbieten, die Alles übersteigen, worüber Sie sich beklagen. Es giebt aber noch eine andere Ursache der Prostitution — und hier wende ich mich ebenfalls mehr an die hohen, als an die niederen Klassen, weil das Beispiel von oben herab gegeben wird, und viel weniger von unten nach oben. Jst nicht eine augenschein- liche Ursache zur Prostitution die Uebertreibung des Luxus, der Exceß der Toiletten, welche Jedermann aus seiner Bahn werfen? Die Allerwohlhabendsten wurden dadurch sogar erschreckt, nnd jeden Winter, jede Saison kommen Moderechnungen zum Vorschein, welche die beträchtlichsten Vermögen kaum bezahlen können, die zuweilen genöthigt sind, um Wartezeit zu bitten oder zu liquidiren. Dieses steigt durch Nachahmung, durch den Geist der Gleichheit in die unteren Klassen hinab. Jede will die näm- liche Toilette haben, wie die Andere. Lafontaine spottet in einer seiner Fabeln über den Frosch, der so stark sein wollte wie ein Ochs; aber mit den Moden der Jetztzeit würde es dem Frosch gelingen. Es ist für jedes Gänschen genügend, um seine Taille jene elastischen Dimensionen zu schlagen, die es eben so dick machen, wie das Vorbild, das es erreichen will. Wenn man etwas Neues gesehen hat, oder auf ein Fest gehen soll, wo man eine Rolle spielen will, und die Mittel nicht dazu hat, so reißt die Eigenliebe hin, man will es dem Manne nicht sagen, die Kasse ist leer, man kleidet sich auf Kredit, man unterschreibt Wechsel, für welche man Jndossanten sucht und deren Verfallzeit immer verderblich für die Jugend ist. So ist, meine Herren, die Lage unserer Gesellschaft. Hier muß man zu verbessern suchen: quid leges sine moribus valent? ( Was helfen gute Gesetze ohne gute Sitten? ) Es haben sich Mäßigkeitsvereine ge-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 25. Juli 1874, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0704_1874/6>, abgerufen am 03.12.2024.