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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 1. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 182
[Beginn Spaltensatz] selbst nachgewiesener Maßen es gefunden und aufgestellt,
nicht mehr wagen.

Allein in anderer Weise sucht man dem Gesetze beizu-
kommen.

Mit der Behauptung: das Lohngesetz ist ein Natur-
gesetz, will man nämlich sagen: der vorhandene Sachver-
halt sei unabänderlich von der Natur vorgezeichnet und
eben darum auch in sich selbst gerechtfertigt. Gegen jenes
Gesetz ankämpfen wollen, sei eine widersinnige Auflehnung
gegen die naturgemäße Ordnung der Dinge.

Bei der Beliebtheit dieser Behauptung in den Kreisen
der herrschenden Richtung haben wir dieselbe mit aller Gründ-
lichkeit zu prüfen.

Die Untersuchung hat sich offenbar auf folgende Punkte
zu richten:

Was ist überhaupt ein Naturgesetz? Jst, bei Aner-
kennung des Vorhandenseins eines solchen, die Behauptung
zu folgern, daß ein unabänderlicher, in sich gerechtfertigter
Zustand vorliege?

Wenn wir die Erscheinungen der Natur um uns her
betrachten, so finden wir, daß jede gegebene Wirkung auf
eine zureichende Ursache hin erfolgt, d. h. daß, wenn diese
oder jene Erscheinung in der Natur eintritt, dieselbe ver-
möge der in der Materie befindlichen, von ihr unzertrenn-
lichen Kräfte weitere Erscheinungen herbeiführt. Dieser Vor-
gang, wonach irgend eine Veränderung der Materie als
Ursache sofort eine weitere Veränderung als Wirkung her-
vorruft, erfolgt mit innerer Nothwendigkeit.

Daß nun vermöge der in der Materie vorhandenen
Kräfte, vermöge dieser ihrer ewigen und unabänderlichen
Eigenschaften, auf eine bestimmt geartete Ursache unter den-
selben Verhältnissen jederzeit und allerwärts dieselbe Wir-
kung nothwendig erfolgt -- diese Thatsache nennen wir ein
Naturgesetz.

Jn Gemäßheit eines Naturgesetzes z. B. geschieht es,
daß der an dem Zündhölzchen befindliche Phosphor in
Folge einer starken Reibung, vermöge der ihm innewoh-
nenden Eigenschaft der Leichtentzündlichkeit, zu brennen
beginnt.

Der Begriff des Naturgesetzes also ist, daß auf eine
gegebene Ursache hin mit unfehlbarer innerer Nothwendig-
keit jederzeit und allerwärts genau dieselbe Wirkung her-
vortritt.

Wenn wir uns nun die Frage vorlegen: Kann diese
oder jene Erscheinung, welche auf einem Naturgesetze beruht,
aufgehoben werden -- so ist dies nur eine ungenaue Fassung
für die Frage:

Kann ich diese Erscheinung, welche in Gemäßheit eines
Naturgesetzes als die nothwendige Wirkung einer bestimmten
Ursache auftritt, dadurch aufheben, daß ich diese bewirkende
Ursache selbst hinwegnehme?

Nun giebt es Fälle, wo dieses Letztere unmöglich, ebenso
aber auch solche, wo es möglich ist.

Nehmen wir einige Beispiele!

Jn Gemäßheit eines Naturgesetzes z. B. geschieht es,
daß bei einer Temperatur unter 0 Grad Reaumur das
[Spaltenumbruch] Wasser eine feste Gestalt annimmt, zu Eis wird; da dies
vermöge einer dem Wasser wesentlich innewohnenden Eigen-
schaft geschieht, so können wir es an sich nicht ändern;
es fragt sich nur, ob wir die verwirrende Ursache hinwegneh-
men können. Jn den Meeren der Pole vermögen wir dies
nicht, müssen also ruhig zusehen, das ganze Eisberge ent-
stehen; bei dem Napf im Zimmer aber können wir die
Kälte durch Zuführung von Wärme allerdings vermindern
und die Verwandlung des Wassers in Eis wird somit nicht
erfolgen. Das Naturgesetz ist in beiden Fällen gleichmäßig
vorhanden -- nur tritt dasselbe in dem letztern Falle nicht
in Thätigkeit, weil die bewirkende Ursache hinweggenommen
wurde, von einer Wirkung ohne die Ursache aber nicht die
Rede sein kann.

Die ungeheure Lawine und eine kleine Kugel verfolgen
vermöge der ihnen innewohnenden Schwerkraft mit gleicher
innerer Nothwendigkeit ihren Weg von der Höhe eines
Berges nach dem tiefer liegenden Thale; allein während ich
die erstere nicht aufzuhalten vermag, weil ich ihr kein Hin-
derniß in den Weg legen kann, welches ihr gegenüber
als Versperrung der freien Bahn wirkte, kann ich sehr wohl
die kleine Kugel aufhalten, weil ich ihr gegenüber die Frei-
heit der Bahn, diese Vorbedingung ihrer Bewegung, ( etwa
durch Hinlegung eines Steins oder Balkens ) aufzuheben
vermag.

Aus diesen Beispielen und Erwägungen geht deutlich
hervor, daß die Behauptung: Diese Erscheinung ist in Ge-
mäßheit eines Naturgesetzes vorhanden, durchaus nicht be-
sagt, daß die fragliche Erscheinung eine unabänderliche ist.
Denn das fragliche Naturgesetz selbst ist zwar ewig unab-
änderlich; aber damit auch die in Gemäßheit derselben
erfolgenden Erscheinungen für Menschenkraft unabänderlich
seien -- dazu gehört überdies, daß eine Hinwegnahme oder
eine Abänderung der die fraglichen Erscheinungen bewirken-
den Ursachen für Menschenkraft unmöglich sei.

Wenn man aber gar irgend eine Erscheinung lediglich
darum, weil sie auf einem Naturgesetz beruht ( was beiläufig
gesagt immer der Fall ist ) , als nützlich oder heilbringend
anpreist: so muß man unbedingt auch das Herabrollen der
Alles zermalmenden Lawine für ein glückbringendes Ereig-
niß erklären, da dasselbe unläugbar in Gemäßheit eines
Naturgesetzes vor sich geht.

Der Umstand, daß die Momente, welche die Höhe des
Arbeitslohnes unter den jetzigen Umständen bestimmen, in
Gemäßheit von Naturgesetzen wirksam sind, kann kein Grund
sein, diese ungerechte Regulirungsart für eine weise und
gerechte Einrichtung ausgeben.

Was aber die Frage betrifft, ob diese Art der Reguli-
rung abgeändert werden kann, so ist lediglich ins Auge zu
fassen, daß das eherne Lohngesetz überhaupt nur unter
Voraussetzung der heutigen Grundlagen der menschlichen
Gesellschaft in Kraft tritt. Diese Grundlagen aber sind
selbst Menschenwerk, sind von den Menschen eingerichtet
worden und können von ihnen zu Gunsten einer besseren
Grundlage wieder beseitigt werden.

Die Sache liegt also einfach so:

[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 182
[Beginn Spaltensatz] selbst nachgewiesener Maßen es gefunden und aufgestellt,
nicht mehr wagen.

Allein in anderer Weise sucht man dem Gesetze beizu-
kommen.

Mit der Behauptung: das Lohngesetz ist ein Natur-
gesetz, will man nämlich sagen: der vorhandene Sachver-
halt sei unabänderlich von der Natur vorgezeichnet und
eben darum auch in sich selbst gerechtfertigt. Gegen jenes
Gesetz ankämpfen wollen, sei eine widersinnige Auflehnung
gegen die naturgemäße Ordnung der Dinge.

Bei der Beliebtheit dieser Behauptung in den Kreisen
der herrschenden Richtung haben wir dieselbe mit aller Gründ-
lichkeit zu prüfen.

Die Untersuchung hat sich offenbar auf folgende Punkte
zu richten:

Was ist überhaupt ein Naturgesetz? Jst, bei Aner-
kennung des Vorhandenseins eines solchen, die Behauptung
zu folgern, daß ein unabänderlicher, in sich gerechtfertigter
Zustand vorliege?

Wenn wir die Erscheinungen der Natur um uns her
betrachten, so finden wir, daß jede gegebene Wirkung auf
eine zureichende Ursache hin erfolgt, d. h. daß, wenn diese
oder jene Erscheinung in der Natur eintritt, dieselbe ver-
möge der in der Materie befindlichen, von ihr unzertrenn-
lichen Kräfte weitere Erscheinungen herbeiführt. Dieser Vor-
gang, wonach irgend eine Veränderung der Materie als
Ursache sofort eine weitere Veränderung als Wirkung her-
vorruft, erfolgt mit innerer Nothwendigkeit.

Daß nun vermöge der in der Materie vorhandenen
Kräfte, vermöge dieser ihrer ewigen und unabänderlichen
Eigenschaften, auf eine bestimmt geartete Ursache unter den-
selben Verhältnissen jederzeit und allerwärts dieselbe Wir-
kung nothwendig erfolgt — diese Thatsache nennen wir ein
Naturgesetz.

Jn Gemäßheit eines Naturgesetzes z. B. geschieht es,
daß der an dem Zündhölzchen befindliche Phosphor in
Folge einer starken Reibung, vermöge der ihm innewoh-
nenden Eigenschaft der Leichtentzündlichkeit, zu brennen
beginnt.

Der Begriff des Naturgesetzes also ist, daß auf eine
gegebene Ursache hin mit unfehlbarer innerer Nothwendig-
keit jederzeit und allerwärts genau dieselbe Wirkung her-
vortritt.

Wenn wir uns nun die Frage vorlegen: Kann diese
oder jene Erscheinung, welche auf einem Naturgesetze beruht,
aufgehoben werden — so ist dies nur eine ungenaue Fassung
für die Frage:

Kann ich diese Erscheinung, welche in Gemäßheit eines
Naturgesetzes als die nothwendige Wirkung einer bestimmten
Ursache auftritt, dadurch aufheben, daß ich diese bewirkende
Ursache selbst hinwegnehme?

Nun giebt es Fälle, wo dieses Letztere unmöglich, ebenso
aber auch solche, wo es möglich ist.

Nehmen wir einige Beispiele!

Jn Gemäßheit eines Naturgesetzes z. B. geschieht es,
daß bei einer Temperatur unter 0 Grad Reaumur das
[Spaltenumbruch] Wasser eine feste Gestalt annimmt, zu Eis wird; da dies
vermöge einer dem Wasser wesentlich innewohnenden Eigen-
schaft geschieht, so können wir es an sich nicht ändern;
es fragt sich nur, ob wir die verwirrende Ursache hinwegneh-
men können. Jn den Meeren der Pole vermögen wir dies
nicht, müssen also ruhig zusehen, das ganze Eisberge ent-
stehen; bei dem Napf im Zimmer aber können wir die
Kälte durch Zuführung von Wärme allerdings vermindern
und die Verwandlung des Wassers in Eis wird somit nicht
erfolgen. Das Naturgesetz ist in beiden Fällen gleichmäßig
vorhanden — nur tritt dasselbe in dem letztern Falle nicht
in Thätigkeit, weil die bewirkende Ursache hinweggenommen
wurde, von einer Wirkung ohne die Ursache aber nicht die
Rede sein kann.

Die ungeheure Lawine und eine kleine Kugel verfolgen
vermöge der ihnen innewohnenden Schwerkraft mit gleicher
innerer Nothwendigkeit ihren Weg von der Höhe eines
Berges nach dem tiefer liegenden Thale; allein während ich
die erstere nicht aufzuhalten vermag, weil ich ihr kein Hin-
derniß in den Weg legen kann, welches ihr gegenüber
als Versperrung der freien Bahn wirkte, kann ich sehr wohl
die kleine Kugel aufhalten, weil ich ihr gegenüber die Frei-
heit der Bahn, diese Vorbedingung ihrer Bewegung, ( etwa
durch Hinlegung eines Steins oder Balkens ) aufzuheben
vermag.

Aus diesen Beispielen und Erwägungen geht deutlich
hervor, daß die Behauptung: Diese Erscheinung ist in Ge-
mäßheit eines Naturgesetzes vorhanden, durchaus nicht be-
sagt, daß die fragliche Erscheinung eine unabänderliche ist.
Denn das fragliche Naturgesetz selbst ist zwar ewig unab-
änderlich; aber damit auch die in Gemäßheit derselben
erfolgenden Erscheinungen für Menschenkraft unabänderlich
seien — dazu gehört überdies, daß eine Hinwegnahme oder
eine Abänderung der die fraglichen Erscheinungen bewirken-
den Ursachen für Menschenkraft unmöglich sei.

Wenn man aber gar irgend eine Erscheinung lediglich
darum, weil sie auf einem Naturgesetz beruht ( was beiläufig
gesagt immer der Fall ist ) , als nützlich oder heilbringend
anpreist: so muß man unbedingt auch das Herabrollen der
Alles zermalmenden Lawine für ein glückbringendes Ereig-
niß erklären, da dasselbe unläugbar in Gemäßheit eines
Naturgesetzes vor sich geht.

Der Umstand, daß die Momente, welche die Höhe des
Arbeitslohnes unter den jetzigen Umständen bestimmen, in
Gemäßheit von Naturgesetzen wirksam sind, kann kein Grund
sein, diese ungerechte Regulirungsart für eine weise und
gerechte Einrichtung ausgeben.

Was aber die Frage betrifft, ob diese Art der Reguli-
rung abgeändert werden kann, so ist lediglich ins Auge zu
fassen, daß das eherne Lohngesetz überhaupt nur unter
Voraussetzung der heutigen Grundlagen der menschlichen
Gesellschaft in Kraft tritt. Diese Grundlagen aber sind
selbst Menschenwerk, sind von den Menschen eingerichtet
worden und können von ihnen zu Gunsten einer besseren
Grundlage wieder beseitigt werden.

Die Sache liegt also einfach so:

[Ende Spaltensatz]
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B. geschieht es, daß bei einer Temperatur unter 0 Grad Reaumur das Wasser eine feste Gestalt annimmt, zu Eis wird; da dies vermöge einer dem Wasser wesentlich innewohnenden Eigen- schaft geschieht, so können wir es an sich nicht ändern; es fragt sich nur, ob wir die verwirrende Ursache hinwegneh- men können. Jn den Meeren der Pole vermögen wir dies nicht, müssen also ruhig zusehen, das ganze Eisberge ent- stehen; bei dem Napf im Zimmer aber können wir die Kälte durch Zuführung von Wärme allerdings vermindern und die Verwandlung des Wassers in Eis wird somit nicht erfolgen. Das Naturgesetz ist in beiden Fällen gleichmäßig vorhanden — nur tritt dasselbe in dem letztern Falle nicht in Thätigkeit, weil die bewirkende Ursache hinweggenommen wurde, von einer Wirkung ohne die Ursache aber nicht die Rede sein kann. Die ungeheure Lawine und eine kleine Kugel verfolgen vermöge der ihnen innewohnenden Schwerkraft mit gleicher innerer Nothwendigkeit ihren Weg von der Höhe eines Berges nach dem tiefer liegenden Thale; allein während ich die erstere nicht aufzuhalten vermag, weil ich ihr kein Hin- derniß in den Weg legen kann, welches ihr gegenüber als Versperrung der freien Bahn wirkte, kann ich sehr wohl die kleine Kugel aufhalten, weil ich ihr gegenüber die Frei- heit der Bahn, diese Vorbedingung ihrer Bewegung, ( etwa durch Hinlegung eines Steins oder Balkens ) aufzuheben vermag. Aus diesen Beispielen und Erwägungen geht deutlich hervor, daß die Behauptung: Diese Erscheinung ist in Ge- mäßheit eines Naturgesetzes vorhanden, durchaus nicht be- sagt, daß die fragliche Erscheinung eine unabänderliche ist. 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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 1. August 1874, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0801_1874/2>, abgerufen am 14.06.2024.