Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 2. Berlin, 8. August 1874.Zur Unterhaltung und Belehrung. 194 [Beginn Spaltensatz]
reinlich und bequem. Wirth und Wirthin stehen hinter der Theke;beide sind wiederholt bestrafte Diebe, als Hehler und Verkäufec gestohlener Sachen bekannt, allein trotzdem haben sie ihre Bier- koncession, weil die Accise eben nicht auf die moralische, sondern nur auf die financielle Seite der Sache sieht. Die Wirthsstube ist groß, hübsch möblirt mit buntem Bilderschmuck an den Wänden und einigen acht bis neun Personen in auständiger Kleidung an den Tischen, welche sich zu ihrem Bier und ihrer Cigarre mit einander unterhalten. Jn ihrem Aeußern unterscheiden sie sich durch nichts von den Spaziergängern, wie man sie täglich in den aristrokratischen Straßen sieht; aber von jedem weiß der Polizist zu erzählen, daß er mehrere Male wegen Straßenraub verur- theilt wurde und dergleichen. Wenn die Polizei diese Herren Jndustrieritter alle auf's genaueste kennt, so kennen diese die Diener des Gesetzes gleichfalls, was sich deutlich durch die bei deren Eintreten entstehende Stockung im Gespräche und die all- gemeine Verlegenheit ausdrückt. Nach und nach steht der eine und der andere mit dem Bemerken, daß es für ehrliche Leute Zeit sei, zu Bett zu gehen, auf, wünscht seinen Genossen wie auch den anwesenden Geheimpolizisten höflichst guten Abend und entfernt sich; die andern thun desgleichen, nur auf eine andere Weise; dieser giebt vor, eine Cigarre, jener, ein Glas Bier holen zu wollen. Ganz ähnlich ist es mit den Bierkneipen untersten Ranges, nur daß sie in an und für sich schon lebens- gefährlichen Gassen liegen, sich inwendig und auswendig durch Schmutz und Gestank auszeichnen, daß ein Knäul halbtrunkener Weiber die Thüren versperrt und vernachlässigte Kinder im Jnnern umherlärmen. Auch die Herren Gäste gehören einer anderen Sorte an: falsche Spieler, Taschendiebe, Preisboxer , alles von der niedrigsten und verkommensten Sorte. Sobald die auch hier gekannten geheimen Polizisten eintreten, entfernt sich Alles auf der Stelle und ohne noch erst, wie ihre feineren Herren Collegen nach einer Ausrede zu suchen. Zuweilen kommt es allerdings vor, daß die Polizisten hier ein Gesicht zum ersten Male sehen, aber das beweist noch nichts, denn in ganz London und weit darüber hinaus stehen die Diebe mit einander in einem Verbande, und wird's ihm in seinem Revier einmal zu heiß, nun dann stattet er den Kartellbrüdern in einem anderen Stadt- theile oder einer anderen Stadt einen längeren Besuch ab, wo er mit unbeschränkter Gastfreundschaft gepflegt wird, bis die größte Gefahr vorüber ist und er zu seinen Penaten zurückkehren kann. Ueber die sogenannten "Leaving Houses" ist nicht nur auf dem Kontinente, sondern auch in London selber nur sehr wenig be- kannt, obgleich sie gerade das wirksamste Förderungsmittel des Verbrechens sind. Wenn sich für irgend einen Jndustriezweig kein Markt finden läßt, so wird es bald genug absterben, und so würde eine Razzia unter den "Leaving Houses", in welchen die Spitzbuden ihre Beute zu Markte bingen, dem Verbrechen eine seiner hauptsächlichsten Lebensadern öffnen. Sie sind nämlich nichts anderes, als eine Art Pfandhaus für gestohlene Sachen, dessen Kunden der Mehrzahl nach aus den jugendlichen Misse- thätern bestehen. Jhre Zahl ist unglaublich groß und es wird dem hoffnungsvollen jungen Jndustrieritter leicht das seinem Vater gestohlene Werkzeug oder die halbe Garderobe seiner Mutter aufs schnellste in sichere Verwahrung zu bringen, um da- für. wenn er sie verkaufen will -- dies ist häufiger als ver- pfänden -- den zehnten Theil ihres Werthes zu bekommen; aber auch diesen nicht einmal in baarem Gelde, denn die "Leaving Houses" sind in der Regel ( schon des äußeren Scheines wegen ) mit kleinen schmutzigen Spezereien und Gemüsekramen verbunden, deren Eigenthümer seinen Profit an den angekauften Sachen noch dadurch vermehrt, daß er sie theilweise durch Tabak, Eier, Speck u. s. w. abbezahlt. Das Geschäft ist, wie sich leicht denken läßt, recht einträglich und die Besitzer sind zumeist noch Eigen- thümer einer Anzahl benachbarter Häuser, welche sie, abgesehen von den Mietherträgnissen, in Fällen der Noth als ausgezeichnete Schlupfwinkel für ihre Contrebanden verwerthen können. Ge- stohlene Sachen, welche einmal die Schwelle dieser Spelunken überschritten haben, kommen schwerlich je wieder an ihren recht- mäßigen Eigenthümer zurück; jede Spur von ihnen geht um so mehr verloren, als der Zugang zu dem Jnnern außerordentlich schwer ist und die Polizei so lange beide Hände gebunden hat, als sie nicht gradezu mit Gewißheit die Beute eines bestimmten, in letzter Zeit dort verübten Diebstahls versteckt weiß. Der An- blick des Jnnern ist unbeschreiblich. Ein Zimmer nach dem andern enthält ringsum Holzgestelle mit allen Arten von Kleidern, Schuhen, Eisenwaaren u. dergl., auf welche Summen von 1 1 / 2 d. [Spaltenumbruch] bis zu 15 sh. ( 5 Thlrn. ) ausgeborgt sind. Die Mehrzahl der Artitel zeigt Spuren von früherem Gebrauche, aber mindestens ein Drittel ist neu und ganz zweifelsohne gestohlen. Auch von den übrigen zwei Dritteln macht die Polizei sich anheischig, die rechtmäßigen Eigenthümer in Zeit von einer Woche aufzufinden, wenn sie die Macht hätte. Allein zunächst hat sie nach dem jetzigen Stande des englischen Gesetzes diese Macht nicht, und selbst wenn sie zu einem derartigen Verfahren ermächtigt wäre, so bliebe es eine sehr schwierige Arbeit, der gestohlenen Sachen habhaft zu werden, denn mit erstaunlicher Schnelligkeit wird ein erwarteter Ueberfall der Polizei von einem "Leaving House" zum andern signalisirt und die "Depositen" in Sicherheit ge- bracht. Wenn nur verpfändet, werden letztere -- natürlich gegen ungeheure Wucherzinsen -- einen Monat lang verwahrt, sind sie aber dann noch nicht abgeholt worden, so gehen sie mit den ver- kauften Gegenständen nach der sogenannten Diebsbörse, wo sie noch immer sehr billig, aber doch mit einigen 200--300 Prozent Profit losgeschlagen werden. Aus dem Gesagten erhält zur Ge- nüge, daß an ein wirksames Einschreiten gegen das Verbrechen nicht zu denken ist, so lange die Polizei keine Controle über diese "Leaving Houses" hat. Etwas größer, obwohl noch immer sehr unbedeutend, ist die Macht der Polizei über die billigen Logier- häuser, in denen ausschließlich Reinlichkeit und Ventilation unter ihre Controle fallen. Es giebt ihrer solche, welche einen durch- aus ehrbaren Charakter haben, vollständige Arbeiterhotels, in denen strenge Zucht und Ordnung herrscht und in welche Spitz- buben oder liederliche Weibsbilder keine Aufnahme finden. Sie sind für die 4 d. ( 40 Pf. ) , welche ein Nachtlogis kostet, sehr bequem eingerichtet, mit Schlafstuben und einem Lesezimmer, und wer eine Woche lang sein Logis täglich bezahlt hat, braucht, Sonntags nichts zu zahlen. Hier findet man nicht selten Leute, die ihr Bett seit 20 Jahren inne haben, oder Ehepaare, welche in ihrem kleinen Stübchen schon 5 Kindtaufen gefeiert haben. Allein die Zahl dieser Häuser ist verschwindend klein gegen die der fast ganz dicht nebenan liegenden Schlafstätten alles möglichen schlechten Gesindels. Hier findet man vorzugsweise diejenigen Diebe und die liederlichen Dirnen, welche ihr wahres Gewerde hinter der Maske des Bettlers verbergen. Blumenmädchen, Zündholzverkäuferinnen, Straßengaukler, Blinde von Profession, Krüppel desgleichen, kurz, alle Arten von Bettlern, wie man sie auf den Straßen Londons sieht; die Frauenzimmer mit zwei oder mehr Kindern nicht zu vergessen, welche "den ganzen Tag nichts gegessen" haben, deren "Mann im Hospital liegt" oder "die keine Nachtherberge haben." Hier sitzen oder stehen sie in Gruppen beisammen, lachen über obscöne Späße oder berathen sich heim- lich mit einander, während sie ein gutes Mahl einnehmen, oder während die Männer ihr Pfeifchen zur Kanne Bier rauchen und die Frauenzimmer ein dampfendes Glas Grog vor sich auf dem Tische stehen haben. Jm Bagno von Toulon. ( Fortsetzung. ) -- Jch komme -- so fuhr der unangenehme Gast fort, -- Kerl, seid ihr wahnsinnig? Jch verstehe von Eurem Aber wie bleich der Herr Graf bei dem Namen Coignard -- Coignard, sei vernünftig! Darius will nicht Dein Zur Unterhaltung und Belehrung. 194 [Beginn Spaltensatz]
reinlich und bequem. Wirth und Wirthin stehen hinter der Theke;beide sind wiederholt bestrafte Diebe, als Hehler und Verkäufec gestohlener Sachen bekannt, allein trotzdem haben sie ihre Bier- koncession, weil die Accise eben nicht auf die moralische, sondern nur auf die financielle Seite der Sache sieht. Die Wirthsstube ist groß, hübsch möblirt mit buntem Bilderschmuck an den Wänden und einigen acht bis neun Personen in auständiger Kleidung an den Tischen, welche sich zu ihrem Bier und ihrer Cigarre mit einander unterhalten. Jn ihrem Aeußern unterscheiden sie sich durch nichts von den Spaziergängern, wie man sie täglich in den aristrokratischen Straßen sieht; aber von jedem weiß der Polizist zu erzählen, daß er mehrere Male wegen Straßenraub verur- theilt wurde und dergleichen. Wenn die Polizei diese Herren Jndustrieritter alle auf's genaueste kennt, so kennen diese die Diener des Gesetzes gleichfalls, was sich deutlich durch die bei deren Eintreten entstehende Stockung im Gespräche und die all- gemeine Verlegenheit ausdrückt. Nach und nach steht der eine und der andere mit dem Bemerken, daß es für ehrliche Leute Zeit sei, zu Bett zu gehen, auf, wünscht seinen Genossen wie auch den anwesenden Geheimpolizisten höflichst guten Abend und entfernt sich; die andern thun desgleichen, nur auf eine andere Weise; dieser giebt vor, eine Cigarre, jener, ein Glas Bier holen zu wollen. Ganz ähnlich ist es mit den Bierkneipen untersten Ranges, nur daß sie in an und für sich schon lebens- gefährlichen Gassen liegen, sich inwendig und auswendig durch Schmutz und Gestank auszeichnen, daß ein Knäul halbtrunkener Weiber die Thüren versperrt und vernachlässigte Kinder im Jnnern umherlärmen. Auch die Herren Gäste gehören einer anderen Sorte an: falsche Spieler, Taschendiebe, Preisboxer , alles von der niedrigsten und verkommensten Sorte. Sobald die auch hier gekannten geheimen Polizisten eintreten, entfernt sich Alles auf der Stelle und ohne noch erst, wie ihre feineren Herren Collegen nach einer Ausrede zu suchen. Zuweilen kommt es allerdings vor, daß die Polizisten hier ein Gesicht zum ersten Male sehen, aber das beweist noch nichts, denn in ganz London und weit darüber hinaus stehen die Diebe mit einander in einem Verbande, und wird's ihm in seinem Revier einmal zu heiß, nun dann stattet er den Kartellbrüdern in einem anderen Stadt- theile oder einer anderen Stadt einen längeren Besuch ab, wo er mit unbeschränkter Gastfreundschaft gepflegt wird, bis die größte Gefahr vorüber ist und er zu seinen Penaten zurückkehren kann. Ueber die sogenannten „Leaving Houses“ ist nicht nur auf dem Kontinente, sondern auch in London selber nur sehr wenig be- kannt, obgleich sie gerade das wirksamste Förderungsmittel des Verbrechens sind. Wenn sich für irgend einen Jndustriezweig kein Markt finden läßt, so wird es bald genug absterben, und so würde eine Razzia unter den „Leaving Houses“, in welchen die Spitzbuden ihre Beute zu Markte bingen, dem Verbrechen eine seiner hauptsächlichsten Lebensadern öffnen. Sie sind nämlich nichts anderes, als eine Art Pfandhaus für gestohlene Sachen, dessen Kunden der Mehrzahl nach aus den jugendlichen Misse- thätern bestehen. Jhre Zahl ist unglaublich groß und es wird dem hoffnungsvollen jungen Jndustrieritter leicht das seinem Vater gestohlene Werkzeug oder die halbe Garderobe seiner Mutter aufs schnellste in sichere Verwahrung zu bringen, um da- für. wenn er sie verkaufen will — dies ist häufiger als ver- pfänden — den zehnten Theil ihres Werthes zu bekommen; aber auch diesen nicht einmal in baarem Gelde, denn die „Leaving Houses“ sind in der Regel ( schon des äußeren Scheines wegen ) mit kleinen schmutzigen Spezereien und Gemüsekramen verbunden, deren Eigenthümer seinen Profit an den angekauften Sachen noch dadurch vermehrt, daß er sie theilweise durch Tabak, Eier, Speck u. s. w. abbezahlt. Das Geschäft ist, wie sich leicht denken läßt, recht einträglich und die Besitzer sind zumeist noch Eigen- thümer einer Anzahl benachbarter Häuser, welche sie, abgesehen von den Mietherträgnissen, in Fällen der Noth als ausgezeichnete Schlupfwinkel für ihre Contrebanden verwerthen können. Ge- stohlene Sachen, welche einmal die Schwelle dieser Spelunken überschritten haben, kommen schwerlich je wieder an ihren recht- mäßigen Eigenthümer zurück; jede Spur von ihnen geht um so mehr verloren, als der Zugang zu dem Jnnern außerordentlich schwer ist und die Polizei so lange beide Hände gebunden hat, als sie nicht gradezu mit Gewißheit die Beute eines bestimmten, in letzter Zeit dort verübten Diebstahls versteckt weiß. Der An- blick des Jnnern ist unbeschreiblich. Ein Zimmer nach dem andern enthält ringsum Holzgestelle mit allen Arten von Kleidern, Schuhen, Eisenwaaren u. dergl., auf welche Summen von 1 1 / 2 d. [Spaltenumbruch] bis zu 15 sh. ( 5 Thlrn. ) ausgeborgt sind. Die Mehrzahl der Artitel zeigt Spuren von früherem Gebrauche, aber mindestens ein Drittel ist neu und ganz zweifelsohne gestohlen. Auch von den übrigen zwei Dritteln macht die Polizei sich anheischig, die rechtmäßigen Eigenthümer in Zeit von einer Woche aufzufinden, wenn sie die Macht hätte. Allein zunächst hat sie nach dem jetzigen Stande des englischen Gesetzes diese Macht nicht, und selbst wenn sie zu einem derartigen Verfahren ermächtigt wäre, so bliebe es eine sehr schwierige Arbeit, der gestohlenen Sachen habhaft zu werden, denn mit erstaunlicher Schnelligkeit wird ein erwarteter Ueberfall der Polizei von einem „Leaving House“ zum andern signalisirt und die „Depositen“ in Sicherheit ge- bracht. Wenn nur verpfändet, werden letztere — natürlich gegen ungeheure Wucherzinsen — einen Monat lang verwahrt, sind sie aber dann noch nicht abgeholt worden, so gehen sie mit den ver- kauften Gegenständen nach der sogenannten Diebsbörse, wo sie noch immer sehr billig, aber doch mit einigen 200—300 Prozent Profit losgeschlagen werden. Aus dem Gesagten erhält zur Ge- nüge, daß an ein wirksames Einschreiten gegen das Verbrechen nicht zu denken ist, so lange die Polizei keine Controle über diese „Leaving Houses“ hat. Etwas größer, obwohl noch immer sehr unbedeutend, ist die Macht der Polizei über die billigen Logier- häuser, in denen ausschließlich Reinlichkeit und Ventilation unter ihre Controle fallen. Es giebt ihrer solche, welche einen durch- aus ehrbaren Charakter haben, vollständige Arbeiterhotels, in denen strenge Zucht und Ordnung herrscht und in welche Spitz- buben oder liederliche Weibsbilder keine Aufnahme finden. Sie sind für die 4 d. ( 40 Pf. ) , welche ein Nachtlogis kostet, sehr bequem eingerichtet, mit Schlafstuben und einem Lesezimmer, und wer eine Woche lang sein Logis täglich bezahlt hat, braucht, Sonntags nichts zu zahlen. Hier findet man nicht selten Leute, die ihr Bett seit 20 Jahren inne haben, oder Ehepaare, welche in ihrem kleinen Stübchen schon 5 Kindtaufen gefeiert haben. Allein die Zahl dieser Häuser ist verschwindend klein gegen die der fast ganz dicht nebenan liegenden Schlafstätten alles möglichen schlechten Gesindels. Hier findet man vorzugsweise diejenigen Diebe und die liederlichen Dirnen, welche ihr wahres Gewerde hinter der Maske des Bettlers verbergen. Blumenmädchen, Zündholzverkäuferinnen, Straßengaukler, Blinde von Profession, Krüppel desgleichen, kurz, alle Arten von Bettlern, wie man sie auf den Straßen Londons sieht; die Frauenzimmer mit zwei oder mehr Kindern nicht zu vergessen, welche „den ganzen Tag nichts gegessen“ haben, deren „Mann im Hospital liegt“ oder „die keine Nachtherberge haben.“ Hier sitzen oder stehen sie in Gruppen beisammen, lachen über obscöne Späße oder berathen sich heim- lich mit einander, während sie ein gutes Mahl einnehmen, oder während die Männer ihr Pfeifchen zur Kanne Bier rauchen und die Frauenzimmer ein dampfendes Glas Grog vor sich auf dem Tische stehen haben. Jm Bagno von Toulon. ( Fortsetzung. ) — Jch komme — so fuhr der unangenehme Gast fort, — Kerl, seid ihr wahnsinnig? 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Jch verstehe von Eurem<lb/> ganzen Gekrächze kein Wort. Jch kenne Euch nicht — ich habe<lb/> Euch nie gesehen. Marsch, hinaus, und untersteht Euch nie<lb/> wieder, mir vor die Augen zu kommen. Ein Wort des Grafen<lb/> Pontis de St. H <hi rendition="#aq">é</hi> l <hi rendition="#aq">è</hi> ne — und Jhr verschwindet für immer im<lb/> Jrrenhause....“</p><lb/> <p>Aber wie bleich der Herr Graf bei dem Namen Coignard<lb/> und Darius wurde und wie nervös seine Lippen und seine Nase<lb/> zuckten — und welch eine flammende Röthe jetzt sein Gesicht<lb/> bedeckt!</p><lb/> <p>— Coignard, sei vernünftig! Darius will nicht Dein<lb/> Unglück. Er ist mit 50,000 Francs — ja, wenn Du nicht mehr<lb/> übrig hast, mit 20,000 zufrieden — und dann bis ins Grab<lb/> stumm, wie die Nacht im Baguo zu Toulon. Auf Banditenehre! </p><lb/> <cb type="end"/> </div> </body> </text> </TEI> [194/0006]
Zur Unterhaltung und Belehrung. 194
reinlich und bequem. Wirth und Wirthin stehen hinter der Theke;
beide sind wiederholt bestrafte Diebe, als Hehler und Verkäufec
gestohlener Sachen bekannt, allein trotzdem haben sie ihre Bier-
koncession, weil die Accise eben nicht auf die moralische, sondern
nur auf die financielle Seite der Sache sieht. Die Wirthsstube
ist groß, hübsch möblirt mit buntem Bilderschmuck an den Wänden
und einigen acht bis neun Personen in auständiger Kleidung an
den Tischen, welche sich zu ihrem Bier und ihrer Cigarre mit
einander unterhalten. Jn ihrem Aeußern unterscheiden sie sich
durch nichts von den Spaziergängern, wie man sie täglich in den
aristrokratischen Straßen sieht; aber von jedem weiß der Polizist
zu erzählen, daß er mehrere Male wegen Straßenraub verur-
theilt wurde und dergleichen. Wenn die Polizei diese Herren
Jndustrieritter alle auf's genaueste kennt, so kennen diese die
Diener des Gesetzes gleichfalls, was sich deutlich durch die bei
deren Eintreten entstehende Stockung im Gespräche und die all-
gemeine Verlegenheit ausdrückt. Nach und nach steht der eine
und der andere mit dem Bemerken, daß es für ehrliche Leute
Zeit sei, zu Bett zu gehen, auf, wünscht seinen Genossen wie
auch den anwesenden Geheimpolizisten höflichst guten Abend und
entfernt sich; die andern thun desgleichen, nur auf eine andere
Weise; dieser giebt vor, eine Cigarre, jener, ein Glas Bier
holen zu wollen. Ganz ähnlich ist es mit den Bierkneipen
untersten Ranges, nur daß sie in an und für sich schon lebens-
gefährlichen Gassen liegen, sich inwendig und auswendig durch
Schmutz und Gestank auszeichnen, daß ein Knäul halbtrunkener
Weiber die Thüren versperrt und vernachlässigte Kinder im
Jnnern umherlärmen. Auch die Herren Gäste gehören einer
anderen Sorte an: falsche Spieler, Taschendiebe, Preisboxer ,
alles von der niedrigsten und verkommensten Sorte. Sobald die
auch hier gekannten geheimen Polizisten eintreten, entfernt sich
Alles auf der Stelle und ohne noch erst, wie ihre feineren
Herren Collegen nach einer Ausrede zu suchen. Zuweilen kommt
es allerdings vor, daß die Polizisten hier ein Gesicht zum ersten
Male sehen, aber das beweist noch nichts, denn in ganz London
und weit darüber hinaus stehen die Diebe mit einander in einem
Verbande, und wird's ihm in seinem Revier einmal zu heiß,
nun dann stattet er den Kartellbrüdern in einem anderen Stadt-
theile oder einer anderen Stadt einen längeren Besuch ab, wo
er mit unbeschränkter Gastfreundschaft gepflegt wird, bis die größte
Gefahr vorüber ist und er zu seinen Penaten zurückkehren kann.
Ueber die sogenannten „Leaving Houses“ ist nicht nur auf dem
Kontinente, sondern auch in London selber nur sehr wenig be-
kannt, obgleich sie gerade das wirksamste Förderungsmittel des
Verbrechens sind. Wenn sich für irgend einen Jndustriezweig kein
Markt finden läßt, so wird es bald genug absterben, und so
würde eine Razzia unter den „Leaving Houses“, in welchen die
Spitzbuden ihre Beute zu Markte bingen, dem Verbrechen eine
seiner hauptsächlichsten Lebensadern öffnen. Sie sind nämlich
nichts anderes, als eine Art Pfandhaus für gestohlene Sachen,
dessen Kunden der Mehrzahl nach aus den jugendlichen Misse-
thätern bestehen. Jhre Zahl ist unglaublich groß und es wird
dem hoffnungsvollen jungen Jndustrieritter leicht das seinem
Vater gestohlene Werkzeug oder die halbe Garderobe seiner
Mutter aufs schnellste in sichere Verwahrung zu bringen, um da-
für. wenn er sie verkaufen will — dies ist häufiger als ver-
pfänden — den zehnten Theil ihres Werthes zu bekommen; aber
auch diesen nicht einmal in baarem Gelde, denn die „Leaving
Houses“ sind in der Regel ( schon des äußeren Scheines wegen )
mit kleinen schmutzigen Spezereien und Gemüsekramen verbunden,
deren Eigenthümer seinen Profit an den angekauften Sachen noch
dadurch vermehrt, daß er sie theilweise durch Tabak, Eier, Speck
u. s. w. abbezahlt. Das Geschäft ist, wie sich leicht denken
läßt, recht einträglich und die Besitzer sind zumeist noch Eigen-
thümer einer Anzahl benachbarter Häuser, welche sie, abgesehen
von den Mietherträgnissen, in Fällen der Noth als ausgezeichnete
Schlupfwinkel für ihre Contrebanden verwerthen können. Ge-
stohlene Sachen, welche einmal die Schwelle dieser Spelunken
überschritten haben, kommen schwerlich je wieder an ihren recht-
mäßigen Eigenthümer zurück; jede Spur von ihnen geht um so
mehr verloren, als der Zugang zu dem Jnnern außerordentlich
schwer ist und die Polizei so lange beide Hände gebunden hat,
als sie nicht gradezu mit Gewißheit die Beute eines bestimmten,
in letzter Zeit dort verübten Diebstahls versteckt weiß. Der An-
blick des Jnnern ist unbeschreiblich. Ein Zimmer nach dem
andern enthält ringsum Holzgestelle mit allen Arten von Kleidern,
Schuhen, Eisenwaaren u. dergl., auf welche Summen von 1 1 / 2 d.
bis zu 15 sh. ( 5 Thlrn. ) ausgeborgt sind. Die Mehrzahl der
Artitel zeigt Spuren von früherem Gebrauche, aber mindestens
ein Drittel ist neu und ganz zweifelsohne gestohlen. Auch von
den übrigen zwei Dritteln macht die Polizei sich anheischig, die
rechtmäßigen Eigenthümer in Zeit von einer Woche aufzufinden,
wenn sie die Macht hätte. Allein zunächst hat sie nach dem
jetzigen Stande des englischen Gesetzes diese Macht nicht, und
selbst wenn sie zu einem derartigen Verfahren ermächtigt wäre,
so bliebe es eine sehr schwierige Arbeit, der gestohlenen Sachen
habhaft zu werden, denn mit erstaunlicher Schnelligkeit wird ein
erwarteter Ueberfall der Polizei von einem „Leaving House“
zum andern signalisirt und die „Depositen“ in Sicherheit ge-
bracht. Wenn nur verpfändet, werden letztere — natürlich gegen
ungeheure Wucherzinsen — einen Monat lang verwahrt, sind sie
aber dann noch nicht abgeholt worden, so gehen sie mit den ver-
kauften Gegenständen nach der sogenannten Diebsbörse, wo sie
noch immer sehr billig, aber doch mit einigen 200—300 Prozent
Profit losgeschlagen werden. Aus dem Gesagten erhält zur Ge-
nüge, daß an ein wirksames Einschreiten gegen das Verbrechen
nicht zu denken ist, so lange die Polizei keine Controle über diese
„Leaving Houses“ hat. Etwas größer, obwohl noch immer sehr
unbedeutend, ist die Macht der Polizei über die billigen Logier-
häuser, in denen ausschließlich Reinlichkeit und Ventilation unter
ihre Controle fallen. Es giebt ihrer solche, welche einen durch-
aus ehrbaren Charakter haben, vollständige Arbeiterhotels, in
denen strenge Zucht und Ordnung herrscht und in welche Spitz-
buben oder liederliche Weibsbilder keine Aufnahme finden. Sie
sind für die 4 d. ( 40 Pf. ) , welche ein Nachtlogis kostet, sehr
bequem eingerichtet, mit Schlafstuben und einem Lesezimmer,
und wer eine Woche lang sein Logis täglich bezahlt hat, braucht,
Sonntags nichts zu zahlen. Hier findet man nicht selten Leute,
die ihr Bett seit 20 Jahren inne haben, oder Ehepaare, welche
in ihrem kleinen Stübchen schon 5 Kindtaufen gefeiert haben.
Allein die Zahl dieser Häuser ist verschwindend klein gegen die der
fast ganz dicht nebenan liegenden Schlafstätten alles möglichen
schlechten Gesindels. Hier findet man vorzugsweise diejenigen
Diebe und die liederlichen Dirnen, welche ihr wahres Gewerde
hinter der Maske des Bettlers verbergen. Blumenmädchen,
Zündholzverkäuferinnen, Straßengaukler, Blinde von Profession,
Krüppel desgleichen, kurz, alle Arten von Bettlern, wie man sie
auf den Straßen Londons sieht; die Frauenzimmer mit zwei oder
mehr Kindern nicht zu vergessen, welche „den ganzen Tag nichts
gegessen“ haben, deren „Mann im Hospital liegt“ oder „die
keine Nachtherberge haben.“ Hier sitzen oder stehen sie in Gruppen
beisammen, lachen über obscöne Späße oder berathen sich heim-
lich mit einander, während sie ein gutes Mahl einnehmen, oder
während die Männer ihr Pfeifchen zur Kanne Bier rauchen und
die Frauenzimmer ein dampfendes Glas Grog vor sich auf dem
Tische stehen haben.
Jm Bagno von Toulon.
( Fortsetzung. )
— Jch komme — so fuhr der unangenehme Gast fort,
zu gratuliren und zu fragen, ob Du in Erinnerung an
alte, schöne, gemeinschaftlich verlebte Jahre nicht für Deinen un-
glücklichen Kettenbruder, der erst vor wenigen Tagen nach
20 Jahren von Toulon in Paris angekommen ist und nichts zu
brechen und zu beißen und das Einbrechen vorläufig satt hat,
lumpige 100,000 Francs übrig hast....“
— Kerl, seid ihr wahnsinnig? Jch verstehe von Eurem
ganzen Gekrächze kein Wort. Jch kenne Euch nicht — ich habe
Euch nie gesehen. Marsch, hinaus, und untersteht Euch nie
wieder, mir vor die Augen zu kommen. Ein Wort des Grafen
Pontis de St. H é l è ne — und Jhr verschwindet für immer im
Jrrenhause....“
Aber wie bleich der Herr Graf bei dem Namen Coignard
und Darius wurde und wie nervös seine Lippen und seine Nase
zuckten — und welch eine flammende Röthe jetzt sein Gesicht
bedeckt!
— Coignard, sei vernünftig! Darius will nicht Dein
Unglück. Er ist mit 50,000 Francs — ja, wenn Du nicht mehr
übrig hast, mit 20,000 zufrieden — und dann bis ins Grab
stumm, wie die Nacht im Baguo zu Toulon. Auf Banditenehre!
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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung
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