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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 22. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 210
[Beginn Spaltensatz] der diesmal die Gerichtssitzung leitete, stellte zuerst die That-
sache auf, dann ermahnte er den Ankläger, nur mit Mäßigkeit
anzuklagen; den Angeklagten, sich ohne Furcht zu vertheidigen;
die Augenzeugen, ohne Lüge zu zeugen; die Geschworenen, auf
Gewissen zu antworten und die Richter, das Gesetz ohne Partei-
lichkeit anzuwenden. Der junge Ankläger äußerte Bedauern,
seinen Mitbrüder anklagen zu müssen, und hoffte, derselbe werde
sich als unschuldig herausstellen; doch sei das Schülergesetzbuch
ein Buch, an welchem die gesammte Schülerschaft des Staats,
[Spaltenumbruch] und nicht minder der Angeklagte, gearbeitet; alle Vorschriften,
Maßregeln, Verbote und Gebote in diesem Buch, so wie die
Strafen, seien im Jnteresse von Allen und Jedem aufgepflanzt
worden, vor Aller Blicken und mit Aller Einwilligen und Ver-
ständniß; durch den Sprung von dreißigfüßiger Höhe habe der
Angeschuldigte sich sehr füglich verletzen, ja tödten können, und
es liege jetzt klärlich im allgemeinen Jnteresse, ihn zu strafen,
wofern er schuldig; und mehr noch, ihn freizusprechen, wofern er
unschuldig.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



[Beginn Spaltensatz]
Der Schreiber.

Während einer Geschäftsreise berührte ich eine Provinzial-
stadt Pommerns. -- Das Hotel, in welchem ich logirte, schien
sich an jenem Tage eines außerordentlichen zahlreichen Besuchs
zu erfreuen, denn ununterbrochen strömte gegen Abend eine bunte
Menschenmenge in den Saal desselben.

Jch frug den Kellner nach der Ursache dieser ungewöhnlichen
Frequenz.

Morgen ist die Wahl, war seine Antwort. Der Abgeord-
nete für unsern Kreis wird gewählt und nun wollen einige
Wahlkandidaten heute noch diverse Reden halten. Demnächst soll
zur Wahl geschritten werden.

Dies interessirte mich. Jch ließ den Vorsitzenden dieser
Versammlung um eine Eintrittskarte bitten und begab mich nach
deren Empfang in das bereits gefüllte Local. Ein etwas ält-
licher Herr und Advokat, wie ich später erfuhr, den man nach-
mals zu den Koryphäen des Fortschrittlerthums zählte, hielt bei
meinem Eintritt einen feurigen Vortrag, der von den Wählern
mit unverhehltem Beifall aufgenommen wurde. Oft von dem
Rufe: Hört! Hört! unterbrochen, beschloß der Redner sein Plai-
doyer unter dem donnernden Bravoruf der erregten Anwesenden.
Er hatte von dem übermäßigen Steuerdruck in dem preußischen
Staate gesprochen und dabei einige Lichtblicke auf den großen
Nothstand der niederen Volksklassen, soweit dies zu seinem Zwecke
erforderlich war, fallen lassen.

Ein Gutsbesitzer hatte indeß das Wort zur Beantwortung
jener Rede ergriffen, und da er als einer der heftigsten
Gegner des Vorredners bekannt war, lauschte man begierig seinem
Vortrage.

Die ganze Entgegnung beschränkte sich jedoch nur auf die
einfache Erklärung, daß Vorredner seinen Zuhörern weiter nichts
als handgreifliche Lügen aufgetischt und die drückende Lage der
ärmeren Klassen mit zu grellen Farben geschildert habe.

Als der letztere Redner sich jedoch auf eine speciellere Er-
widerung der angeführten Beschuldigungen des Vorredners ein-
lassen wollte, mußte er schleunigst dem überlegenen oratorischen
Talente seines Gegners weichen, der ihn schließlich derart in die
Enge trieb, daß der unglückliche Gutsbesitzer sich nach einem
heftigen Wortwechsel mit seinem allerdings winzigen Anhange
unter dem Hohngeschrei aller Anwesenden aus dem Saale entfernte.

Als man demnächst die Vorwahl abhielt, wurde der Advokat
bei einer Wählerzahl von 220 mit 207 Stimmen gewählt. -- --

Nach etwa einem Jahre hatte ich in derselben Stadt einen
wichtigen Prozeß zu führen. Da es mir damals jedoch unmög-
lich war, denselben persönlich wahrzunehmen, übertrug ich die
ganze Angelegenheit jenem Advokaten, dessen weitverbreiteter Ruf
mir einen günstigen Ausgang meiner Streitsache versprach.

Bei meinem ersten Besuch war es besonders das Bureau
desselben, welches meine Neugier auf sich zog.

Dasselbe war fast immer düster, da die Lichtseite dem Hofe
zugekehrt war und machte deshalb auf jeden Beobachter einen
recht unheimlichen Eindruck, welcher durch eine Unmasse von
staubigen Akten noch erhöht wurde. Jn dem nur mäßig großen
Zimmer waren 4 Tische aufgestellt, an denen etwa zwölf schwarz
gekleidete bebrillte Gestalten den Marionetten ähnlich unablässig
mit ihren Federn auf dem Papier Buchstaben nachmalten.

Das thaten diese Bedauernswerthen Jahr aus Jahr ein,
vom Morgen bis zum Abend, d. h. von 8 bis 1 und von 2 bis
7 Uhr; das thaten sie vielleicht bis zu ihrer Todesstunde.

[Spaltenumbruch]

Es machte immer einen schrecklichen Eindruck auf mich, diese
unglücklichen Menschen in ihrer langweiligen Beschäftigung zu
betrachten, sie, die vom Leben nichts weiter als dessen Mühen
genossen!

Besonders erregte ein junger Mann von etwa 26 Jahren,
Namens Friedrich Hiller, meine Aufmerksamkeit. Seine hin-
fällige Gestalt entsprach diesem Alter, das ich erst später erfuhr,
nicht im geringsten. Er hatte graue Haare, blöde Augen,
wankende Kniee und einen gekrümmten Rücken; es war eines
jener unglücklichen Wesen, die man mit dem Namen "junge
Greise" bezeichnet. Aver sein kläglicher Zustand wurzelte nicht
in einer Laune der Natur, es war die Folge übermäßiger An-
strengungen, Folge durchwachter Nächte, Folge des Mangels an
Erhohlung. Das hatte diesen Jüngling vorzeitig gebeugt, vor-
zeitig für's Grab reif gemacht, das hatte seine Sinne geschwächt
und seinen Sinn abgestumpft gegen alle anderen Gefühle.

Während ich noch in * weilte, erhielt ich einen Brief von
dem Jnspektor meines Gutes, der mir den Tod seines Sekretairs
anzeigte und mich ersuchte, ihm einen recht brauchbaren Menschen
desselben Fachs vorzuschlagen.

Jch dachte an Fritz Hiller. Daß er ein fleißiger und treuer
Arbeiter war, wußte ich bestimmt und voller Freude, diesem
armen Menschen helfen zu können, begab ich mich in seine
Wohnung.

Wie ich hier bemerkte, führte ihm die Mutter seine Wirthschaft.

Es war eine greise, aber noch immer rüstige Frau, die das
Stübchen gut in Ordnung zu halten schien.

Jhren Sohn traf ich noch nicht an, aber sie versicherte mir,
einen Blick auf die Uhr werfend, daß er nun bald kommen müßte.

-- Wann kommt ihr Sohn gewöhnlich? frug ich.

-- Um 7 Uhr des Abends. Wenn aber viel zu thun ist,
so wird es manchmal auch 8 oder 9.

-- Kommt dies oft vor?

-- Nun in jeder Woche 2 bis 3 mal.

-- Seit wann ist er bei seinem jetzigen Vorgesetzten be-
schäftigt?

-- Zu Ostern werden es 13 Jahre sein. Da Fritz sehr
gut schrieb, so nahm ihn mein seliger Mann ein Jahr früher aus
der Schule, denn wir waren nicht im Stande, ihn ganz ohne
alle Beihülfe zu ernähren, und der Thaler, den er bekam, reichte
wenigstens zu Stiefel

-- Einen Thaler bekam er?

-- Einen Thaler; in den ersten 3 Monaten aber gar nichts,
denn das war seine Probezeit.

Armer, armer Knabe, dachte ich, für ein Paar Stiefel wurde
von deiner schönsten Zeit ein kostbares Jahr abgekürzt.

-- Warum schickten Sie ihn denn nicht lieber zu einem ge-
schickten Meister, damit er ein ordentliches Handwerk lernte?

-- Ach lieber Herr, wir konnten das Lehrgeld nicht er-
schwingen, und das Freilernen hätte doch so an 6 Jahre gedauert.
Und dann die schlechte Behandlung. Nein, das ging -- -- aber
ich glaube mein Sohn kommt.

Wirklich öffnete sich die Thür und der Erwartete trat ein.

Er wollte grüßen, aber ein hohler Husten raubte ihm die
Sprache.

-- Er hat sich gewiß erkältet! meinte die Mutter ängstlich.

-- Jedenfalls müßten Sie einen Arzt consultiren! warf
ich ein.

-- Achherrje! kicherte die Alte. Einen Arzt. Da hätten
wir gerade das Geld dazu. Nein, nein, das wird nicht so ge-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 210
[Beginn Spaltensatz] der diesmal die Gerichtssitzung leitete, stellte zuerst die That-
sache auf, dann ermahnte er den Ankläger, nur mit Mäßigkeit
anzuklagen; den Angeklagten, sich ohne Furcht zu vertheidigen;
die Augenzeugen, ohne Lüge zu zeugen; die Geschworenen, auf
Gewissen zu antworten und die Richter, das Gesetz ohne Partei-
lichkeit anzuwenden. Der junge Ankläger äußerte Bedauern,
seinen Mitbrüder anklagen zu müssen, und hoffte, derselbe werde
sich als unschuldig herausstellen; doch sei das Schülergesetzbuch
ein Buch, an welchem die gesammte Schülerschaft des Staats,
[Spaltenumbruch] und nicht minder der Angeklagte, gearbeitet; alle Vorschriften,
Maßregeln, Verbote und Gebote in diesem Buch, so wie die
Strafen, seien im Jnteresse von Allen und Jedem aufgepflanzt
worden, vor Aller Blicken und mit Aller Einwilligen und Ver-
ständniß; durch den Sprung von dreißigfüßiger Höhe habe der
Angeschuldigte sich sehr füglich verletzen, ja tödten können, und
es liege jetzt klärlich im allgemeinen Jnteresse, ihn zu strafen,
wofern er schuldig; und mehr noch, ihn freizusprechen, wofern er
unschuldig.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



[Beginn Spaltensatz]
Der Schreiber.

Während einer Geschäftsreise berührte ich eine Provinzial-
stadt Pommerns. — Das Hotel, in welchem ich logirte, schien
sich an jenem Tage eines außerordentlichen zahlreichen Besuchs
zu erfreuen, denn ununterbrochen strömte gegen Abend eine bunte
Menschenmenge in den Saal desselben.

Jch frug den Kellner nach der Ursache dieser ungewöhnlichen
Frequenz.

Morgen ist die Wahl, war seine Antwort. Der Abgeord-
nete für unsern Kreis wird gewählt und nun wollen einige
Wahlkandidaten heute noch diverse Reden halten. Demnächst soll
zur Wahl geschritten werden.

Dies interessirte mich. Jch ließ den Vorsitzenden dieser
Versammlung um eine Eintrittskarte bitten und begab mich nach
deren Empfang in das bereits gefüllte Local. Ein etwas ält-
licher Herr und Advokat, wie ich später erfuhr, den man nach-
mals zu den Koryphäen des Fortschrittlerthums zählte, hielt bei
meinem Eintritt einen feurigen Vortrag, der von den Wählern
mit unverhehltem Beifall aufgenommen wurde. Oft von dem
Rufe: Hört! Hört! unterbrochen, beschloß der Redner sein Plai-
doyer unter dem donnernden Bravoruf der erregten Anwesenden.
Er hatte von dem übermäßigen Steuerdruck in dem preußischen
Staate gesprochen und dabei einige Lichtblicke auf den großen
Nothstand der niederen Volksklassen, soweit dies zu seinem Zwecke
erforderlich war, fallen lassen.

Ein Gutsbesitzer hatte indeß das Wort zur Beantwortung
jener Rede ergriffen, und da er als einer der heftigsten
Gegner des Vorredners bekannt war, lauschte man begierig seinem
Vortrage.

Die ganze Entgegnung beschränkte sich jedoch nur auf die
einfache Erklärung, daß Vorredner seinen Zuhörern weiter nichts
als handgreifliche Lügen aufgetischt und die drückende Lage der
ärmeren Klassen mit zu grellen Farben geschildert habe.

Als der letztere Redner sich jedoch auf eine speciellere Er-
widerung der angeführten Beschuldigungen des Vorredners ein-
lassen wollte, mußte er schleunigst dem überlegenen oratorischen
Talente seines Gegners weichen, der ihn schließlich derart in die
Enge trieb, daß der unglückliche Gutsbesitzer sich nach einem
heftigen Wortwechsel mit seinem allerdings winzigen Anhange
unter dem Hohngeschrei aller Anwesenden aus dem Saale entfernte.

Als man demnächst die Vorwahl abhielt, wurde der Advokat
bei einer Wählerzahl von 220 mit 207 Stimmen gewählt. — —

Nach etwa einem Jahre hatte ich in derselben Stadt einen
wichtigen Prozeß zu führen. Da es mir damals jedoch unmög-
lich war, denselben persönlich wahrzunehmen, übertrug ich die
ganze Angelegenheit jenem Advokaten, dessen weitverbreiteter Ruf
mir einen günstigen Ausgang meiner Streitsache versprach.

Bei meinem ersten Besuch war es besonders das Bureau
desselben, welches meine Neugier auf sich zog.

Dasselbe war fast immer düster, da die Lichtseite dem Hofe
zugekehrt war und machte deshalb auf jeden Beobachter einen
recht unheimlichen Eindruck, welcher durch eine Unmasse von
staubigen Akten noch erhöht wurde. Jn dem nur mäßig großen
Zimmer waren 4 Tische aufgestellt, an denen etwa zwölf schwarz
gekleidete bebrillte Gestalten den Marionetten ähnlich unablässig
mit ihren Federn auf dem Papier Buchstaben nachmalten.

Das thaten diese Bedauernswerthen Jahr aus Jahr ein,
vom Morgen bis zum Abend, d. h. von 8 bis 1 und von 2 bis
7 Uhr; das thaten sie vielleicht bis zu ihrer Todesstunde.

[Spaltenumbruch]

Es machte immer einen schrecklichen Eindruck auf mich, diese
unglücklichen Menschen in ihrer langweiligen Beschäftigung zu
betrachten, sie, die vom Leben nichts weiter als dessen Mühen
genossen!

Besonders erregte ein junger Mann von etwa 26 Jahren,
Namens Friedrich Hiller, meine Aufmerksamkeit. Seine hin-
fällige Gestalt entsprach diesem Alter, das ich erst später erfuhr,
nicht im geringsten. Er hatte graue Haare, blöde Augen,
wankende Kniee und einen gekrümmten Rücken; es war eines
jener unglücklichen Wesen, die man mit dem Namen „junge
Greise“ bezeichnet. Aver sein kläglicher Zustand wurzelte nicht
in einer Laune der Natur, es war die Folge übermäßiger An-
strengungen, Folge durchwachter Nächte, Folge des Mangels an
Erhohlung. Das hatte diesen Jüngling vorzeitig gebeugt, vor-
zeitig für's Grab reif gemacht, das hatte seine Sinne geschwächt
und seinen Sinn abgestumpft gegen alle anderen Gefühle.

Während ich noch in * weilte, erhielt ich einen Brief von
dem Jnspektor meines Gutes, der mir den Tod seines Sekretairs
anzeigte und mich ersuchte, ihm einen recht brauchbaren Menschen
desselben Fachs vorzuschlagen.

Jch dachte an Fritz Hiller. Daß er ein fleißiger und treuer
Arbeiter war, wußte ich bestimmt und voller Freude, diesem
armen Menschen helfen zu können, begab ich mich in seine
Wohnung.

Wie ich hier bemerkte, führte ihm die Mutter seine Wirthschaft.

Es war eine greise, aber noch immer rüstige Frau, die das
Stübchen gut in Ordnung zu halten schien.

Jhren Sohn traf ich noch nicht an, aber sie versicherte mir,
einen Blick auf die Uhr werfend, daß er nun bald kommen müßte.

— Wann kommt ihr Sohn gewöhnlich? frug ich.

— Um 7 Uhr des Abends. Wenn aber viel zu thun ist,
so wird es manchmal auch 8 oder 9.

— Kommt dies oft vor?

— Nun in jeder Woche 2 bis 3 mal.

— Seit wann ist er bei seinem jetzigen Vorgesetzten be-
schäftigt?

— Zu Ostern werden es 13 Jahre sein. Da Fritz sehr
gut schrieb, so nahm ihn mein seliger Mann ein Jahr früher aus
der Schule, denn wir waren nicht im Stande, ihn ganz ohne
alle Beihülfe zu ernähren, und der Thaler, den er bekam, reichte
wenigstens zu Stiefel

— Einen Thaler bekam er?

— Einen Thaler; in den ersten 3 Monaten aber gar nichts,
denn das war seine Probezeit.

Armer, armer Knabe, dachte ich, für ein Paar Stiefel wurde
von deiner schönsten Zeit ein kostbares Jahr abgekürzt.

— Warum schickten Sie ihn denn nicht lieber zu einem ge-
schickten Meister, damit er ein ordentliches Handwerk lernte?

— Ach lieber Herr, wir konnten das Lehrgeld nicht er-
schwingen, und das Freilernen hätte doch so an 6 Jahre gedauert.
Und dann die schlechte Behandlung. Nein, das ging — — aber
ich glaube mein Sohn kommt.

Wirklich öffnete sich die Thür und der Erwartete trat ein.

Er wollte grüßen, aber ein hohler Husten raubte ihm die
Sprache.

— Er hat sich gewiß erkältet! meinte die Mutter ängstlich.

— Jedenfalls müßten Sie einen Arzt consultiren! warf
ich ein.

— Achherrje! kicherte die Alte. Einen Arzt. Da hätten
wir gerade das Geld dazu. Nein, nein, das wird nicht so ge-
[Ende Spaltensatz]

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[210/0006] Zur Unterhaltung und Belehrung. 210 der diesmal die Gerichtssitzung leitete, stellte zuerst die That- sache auf, dann ermahnte er den Ankläger, nur mit Mäßigkeit anzuklagen; den Angeklagten, sich ohne Furcht zu vertheidigen; die Augenzeugen, ohne Lüge zu zeugen; die Geschworenen, auf Gewissen zu antworten und die Richter, das Gesetz ohne Partei- lichkeit anzuwenden. Der junge Ankläger äußerte Bedauern, seinen Mitbrüder anklagen zu müssen, und hoffte, derselbe werde sich als unschuldig herausstellen; doch sei das Schülergesetzbuch ein Buch, an welchem die gesammte Schülerschaft des Staats, und nicht minder der Angeklagte, gearbeitet; alle Vorschriften, Maßregeln, Verbote und Gebote in diesem Buch, so wie die Strafen, seien im Jnteresse von Allen und Jedem aufgepflanzt worden, vor Aller Blicken und mit Aller Einwilligen und Ver- ständniß; durch den Sprung von dreißigfüßiger Höhe habe der Angeschuldigte sich sehr füglich verletzen, ja tödten können, und es liege jetzt klärlich im allgemeinen Jnteresse, ihn zu strafen, wofern er schuldig; und mehr noch, ihn freizusprechen, wofern er unschuldig. ( Fortsetzung folgt ) . Der Schreiber. Während einer Geschäftsreise berührte ich eine Provinzial- stadt Pommerns. — Das Hotel, in welchem ich logirte, schien sich an jenem Tage eines außerordentlichen zahlreichen Besuchs zu erfreuen, denn ununterbrochen strömte gegen Abend eine bunte Menschenmenge in den Saal desselben. Jch frug den Kellner nach der Ursache dieser ungewöhnlichen Frequenz. Morgen ist die Wahl, war seine Antwort. Der Abgeord- nete für unsern Kreis wird gewählt und nun wollen einige Wahlkandidaten heute noch diverse Reden halten. Demnächst soll zur Wahl geschritten werden. Dies interessirte mich. Jch ließ den Vorsitzenden dieser Versammlung um eine Eintrittskarte bitten und begab mich nach deren Empfang in das bereits gefüllte Local. Ein etwas ält- licher Herr und Advokat, wie ich später erfuhr, den man nach- mals zu den Koryphäen des Fortschrittlerthums zählte, hielt bei meinem Eintritt einen feurigen Vortrag, der von den Wählern mit unverhehltem Beifall aufgenommen wurde. Oft von dem Rufe: Hört! Hört! unterbrochen, beschloß der Redner sein Plai- doyer unter dem donnernden Bravoruf der erregten Anwesenden. Er hatte von dem übermäßigen Steuerdruck in dem preußischen Staate gesprochen und dabei einige Lichtblicke auf den großen Nothstand der niederen Volksklassen, soweit dies zu seinem Zwecke erforderlich war, fallen lassen. Ein Gutsbesitzer hatte indeß das Wort zur Beantwortung jener Rede ergriffen, und da er als einer der heftigsten Gegner des Vorredners bekannt war, lauschte man begierig seinem Vortrage. Die ganze Entgegnung beschränkte sich jedoch nur auf die einfache Erklärung, daß Vorredner seinen Zuhörern weiter nichts als handgreifliche Lügen aufgetischt und die drückende Lage der ärmeren Klassen mit zu grellen Farben geschildert habe. Als der letztere Redner sich jedoch auf eine speciellere Er- widerung der angeführten Beschuldigungen des Vorredners ein- lassen wollte, mußte er schleunigst dem überlegenen oratorischen Talente seines Gegners weichen, der ihn schließlich derart in die Enge trieb, daß der unglückliche Gutsbesitzer sich nach einem heftigen Wortwechsel mit seinem allerdings winzigen Anhange unter dem Hohngeschrei aller Anwesenden aus dem Saale entfernte. Als man demnächst die Vorwahl abhielt, wurde der Advokat bei einer Wählerzahl von 220 mit 207 Stimmen gewählt. — — Nach etwa einem Jahre hatte ich in derselben Stadt einen wichtigen Prozeß zu führen. Da es mir damals jedoch unmög- lich war, denselben persönlich wahrzunehmen, übertrug ich die ganze Angelegenheit jenem Advokaten, dessen weitverbreiteter Ruf mir einen günstigen Ausgang meiner Streitsache versprach. Bei meinem ersten Besuch war es besonders das Bureau desselben, welches meine Neugier auf sich zog. Dasselbe war fast immer düster, da die Lichtseite dem Hofe zugekehrt war und machte deshalb auf jeden Beobachter einen recht unheimlichen Eindruck, welcher durch eine Unmasse von staubigen Akten noch erhöht wurde. Jn dem nur mäßig großen Zimmer waren 4 Tische aufgestellt, an denen etwa zwölf schwarz gekleidete bebrillte Gestalten den Marionetten ähnlich unablässig mit ihren Federn auf dem Papier Buchstaben nachmalten. Das thaten diese Bedauernswerthen Jahr aus Jahr ein, vom Morgen bis zum Abend, d. h. von 8 bis 1 und von 2 bis 7 Uhr; das thaten sie vielleicht bis zu ihrer Todesstunde. Es machte immer einen schrecklichen Eindruck auf mich, diese unglücklichen Menschen in ihrer langweiligen Beschäftigung zu betrachten, sie, die vom Leben nichts weiter als dessen Mühen genossen! Besonders erregte ein junger Mann von etwa 26 Jahren, Namens Friedrich Hiller, meine Aufmerksamkeit. Seine hin- fällige Gestalt entsprach diesem Alter, das ich erst später erfuhr, nicht im geringsten. Er hatte graue Haare, blöde Augen, wankende Kniee und einen gekrümmten Rücken; es war eines jener unglücklichen Wesen, die man mit dem Namen „junge Greise“ bezeichnet. Aver sein kläglicher Zustand wurzelte nicht in einer Laune der Natur, es war die Folge übermäßiger An- strengungen, Folge durchwachter Nächte, Folge des Mangels an Erhohlung. Das hatte diesen Jüngling vorzeitig gebeugt, vor- zeitig für's Grab reif gemacht, das hatte seine Sinne geschwächt und seinen Sinn abgestumpft gegen alle anderen Gefühle. Während ich noch in * weilte, erhielt ich einen Brief von dem Jnspektor meines Gutes, der mir den Tod seines Sekretairs anzeigte und mich ersuchte, ihm einen recht brauchbaren Menschen desselben Fachs vorzuschlagen. Jch dachte an Fritz Hiller. Daß er ein fleißiger und treuer Arbeiter war, wußte ich bestimmt und voller Freude, diesem armen Menschen helfen zu können, begab ich mich in seine Wohnung. Wie ich hier bemerkte, führte ihm die Mutter seine Wirthschaft. Es war eine greise, aber noch immer rüstige Frau, die das Stübchen gut in Ordnung zu halten schien. Jhren Sohn traf ich noch nicht an, aber sie versicherte mir, einen Blick auf die Uhr werfend, daß er nun bald kommen müßte. — Wann kommt ihr Sohn gewöhnlich? frug ich. — Um 7 Uhr des Abends. Wenn aber viel zu thun ist, so wird es manchmal auch 8 oder 9. — Kommt dies oft vor? — Nun in jeder Woche 2 bis 3 mal. — Seit wann ist er bei seinem jetzigen Vorgesetzten be- schäftigt? — Zu Ostern werden es 13 Jahre sein. Da Fritz sehr gut schrieb, so nahm ihn mein seliger Mann ein Jahr früher aus der Schule, denn wir waren nicht im Stande, ihn ganz ohne alle Beihülfe zu ernähren, und der Thaler, den er bekam, reichte wenigstens zu Stiefel — Einen Thaler bekam er? — Einen Thaler; in den ersten 3 Monaten aber gar nichts, denn das war seine Probezeit. Armer, armer Knabe, dachte ich, für ein Paar Stiefel wurde von deiner schönsten Zeit ein kostbares Jahr abgekürzt. — Warum schickten Sie ihn denn nicht lieber zu einem ge- schickten Meister, damit er ein ordentliches Handwerk lernte? — Ach lieber Herr, wir konnten das Lehrgeld nicht er- schwingen, und das Freilernen hätte doch so an 6 Jahre gedauert. Und dann die schlechte Behandlung. Nein, das ging — — aber ich glaube mein Sohn kommt. Wirklich öffnete sich die Thür und der Erwartete trat ein. Er wollte grüßen, aber ein hohler Husten raubte ihm die Sprache. — Er hat sich gewiß erkältet! meinte die Mutter ängstlich. — Jedenfalls müßten Sie einen Arzt consultiren! warf ich ein. — Achherrje! kicherte die Alte. Einen Arzt. Da hätten wir gerade das Geld dazu. Nein, nein, das wird nicht so ge-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 22. August 1874, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0804_1874/6>, abgerufen am 21.11.2024.