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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 214
[Beginn Spaltensatz] duktion theilzunehmen, in die "natürliche" Bewegung der-
selben einzugreifen. Niemand verabscheut ja mehr ein Ein-
greifen des Staates in die ökonomischen Verhältnisse, als
die Liberalen, und gerade hier haben wir ein solches Ein-
greifen des Staates -- ein Eingreifen freilich, welches von
Niemand gebilligt werden sollte, und welches am wenigsten
mit demjenigen, welches wir verlangen, verwechselt wer-
den darf.

Nach den Lehren der herrschenden Schule soll unter
keiner Bedingung der Staat in die "freie Concurrenz" ein-
greifen, weil dadurch deren "naturgemäße" Wirkungen ver-
fälscht würden. Gerade dies aber thut er durch die Zucht-
hausarbeit zu Ungunsten der Arbeiter und auch zu Ungun-
sten vieler Unternehmer. Ein Liberaler muß also, nach
seinen eigenen Grundsätzen, erst recht gegen die Zuchthaus-
arbeit auftreten.

Ein Bedenken, welches von den Vertheidigern der
Zuchthausarbeit den Gegnern derselben entgegengehalten
wird, besteht in der Frage: Wie denn die Sträflinge be-
schäftigt werden sollten? Man könne sie doch nicht müßig
gehen lassen.

Hierauf ist zunächst zu erwidern, daß wenn, wie es
der Fall ist, einerseits feststeht, daß durch die Zuchthaus-
arbeit ehrliche Arbeiter in ihrer Existenz geschädigt werden,
und wenn andererseits feststände, -- was aber nicht der
Fall ist -- daß für die Sträflinge keine wirkliche Arbeit gefun-
den werden könnte, ohne daß dadurch eine Fortdauer jener
Schädigung bewirkt würde, einfach dahin zu entscheiden
wäre, daß man die Sträflinge mit Scheinarbeit zu be-
schäftigen hätte. Der Staat ist um der ehrlichen Leute,
nicht um der Sträflinge willen da. Man darf vor der
richtigen Folgerung aus diesem richtigen Grundsatze nicht
zurückschrecken: können die Sträflinge nicht zu wirklicher
Arbeit verwandt werden, ohne daß man dadurch den ehr-
lichen Arbeitern Schaden zufügt, so hat man sie einfach
mit Scheinarbeit zu beschäftigen, d h. man hat sie Dinge
herstellen zu lassen, nach denen kein Begehr in der Gesell-
schaft vorhanden ist. Hat man dies ja doch sogar bei den
französischen "Nationalwerkstätten" vom Jahre 1848 --
hier freilich in böswilliger, heimtückischer Weise -- gethan.
Man könnte also auch die Sträflinge Bäume versetzen,
unnöthige Wälle aufwerfen lassen und dergleichen mehr,
nur um sie zu beschäftigen. Oder, falls die Arbeit nicht
im Freien geschehen soll, könnte man sie beliebige Hand-
arbeiten verrichten lassen, die weiter keinen Zweck hätten,
als den der Beschäftigung, Handarbeiten insbesondere an
Modellen, die beliebig zusammengesetzt und wieder ausein-
andergenommen werden könnten.

Allein die Sache steht glücklicherweise nicht so, daß
man durchaus zur Scheinarbeit greifen müßte.

Die Vertheidiger der Zuchthausarbeit behaupten gerne,
auch heute gehe keine unberechtigte Concurrenz aus der-
selben hervor: denn die Fabrikate seien zum Export be-
stimmt.

Zunächst ist hier festzustellen, daß dieser "Export" gar
[Spaltenumbruch] nicht ernstlich gehandhabt zu werden scheint. Jn einer öf-
fentlichen Versammlung von Berliner Arbeitern und
Handwerkern wurde mitgetheilt, daß Fabrikate des
Spandauer Zuchthauses von Spandau nach Berlin " expor-
tirt " wurden.

Aber selbst gesetzt, solche Fabrikate würden immer nur
nach fernen Ländern exportirt, so würde dies, was es be-
weisen soll, nur dann beweisen, wenn die Zuchthäuser es
verständen, sich neue Absatzmärkte im fernen Auslande zu
eröffnen. Dies aber wird Niemand glauben. Die betref-
fenden Fabrikanten haben diese Absatzplätze von vornherein
und ständen ihnen nicht die billigen Zuchthauskräfte zur
Verfügung, so wären sie genöthigt, auf dem Arbeitsmarkte
die Arbeitskraft ehrlicher Arbeiter zu suchen, was den Lohn
nur steigern könnte. Allerdings also liegt eine unberech-
tigte Concurrenz der Zuchthäuser vor.

Trotzdem giebt es ein Mittel, die Sträflinge wirkliche
Arbeit verrichten zu lassen und doch ein Herabdrücken des
Lohnes durch die Zuchthäuser zu verhindern.

Man braucht nämlich nur Bestimmung und Vorsorge
zu treffen, daß die Arbeitskraft der Sträflinge den Fabri-
kanten nur zu demselben Preise zur Verfügung gestellt
wird, zu welchem sie auf dem Arbeitsmarkt "freie" Arbei-
ter haben könnten. Den betreffenden Lohnsatz richtig zu
ermitteln, mag im einzelnen Fall seine Schwierigkeit haben;
schon darum, weil meistens die Arbeit der Sträflinge unter
sonst gleichen Umständen schlechter ist, als die anderer Ar-
beiter. Aber jedenfalls ist über diese Schwierigkeit durch
Einsetzung sachverständiger, unparteiisch und richtig zusam-
mengesetzter Commissionen hinauszukommen.

Freilich hätten die Sträflinge selbst, da sie -- wenn
auch unfreiwillig -- "freie Kost und Wohnung" haben,
jenen Lohn nur zum kleineren Theile selbst zu beziehen,
während der größere Theil dem Staat anheim zu fallen
hätte.

Zugleich müßte die Zuchthausarbeit auf möglichst viele
Produktionszweige vertheilt werden.

Jst diese Bestimmung und Einrichtung getroffen, so
kann die Zuchthausarbeit nicht mehr auf den Markt ein-
wirken, sondern der Preis derselben wird vielmehr durch
diesen bestimmt. Die Arbeiter haben keinen Grund mehr
sich zu beklagen.

Finden sich unter diesen Umstanden noch Fabrikanten,
die in den Zuchthäusern arbeiten lassen wollen, und wohl
werden sich immer noch welche finden -- desto besser!
Wenn nicht, nun dann bleibt freilich nichts anderes übrig,
als die Scheinarbeit. Denn wir wiederholen es: mögen
noch so Viele weniger durch eigene Bösartigkeit, als viel-
mehr durch die Macht trauriger Verhältnisse in's Zucht-
haus gekommen sein -- so lange die heutigen Gesellschafts-
zustände bestehen, muß angenommen werden, daß die Zucht-
häuser vorzugsweise mit Verbrechern gefüllt sind, und nicht
um der Verbrecher, um der ehrlichen Leute willen ist der
Staat da. --

[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 214
[Beginn Spaltensatz] duktion theilzunehmen, in die „natürliche“ Bewegung der-
selben einzugreifen. Niemand verabscheut ja mehr ein Ein-
greifen des Staates in die ökonomischen Verhältnisse, als
die Liberalen, und gerade hier haben wir ein solches Ein-
greifen des Staates — ein Eingreifen freilich, welches von
Niemand gebilligt werden sollte, und welches am wenigsten
mit demjenigen, welches wir verlangen, verwechselt wer-
den darf.

Nach den Lehren der herrschenden Schule soll unter
keiner Bedingung der Staat in die „freie Concurrenz“ ein-
greifen, weil dadurch deren „naturgemäße“ Wirkungen ver-
fälscht würden. Gerade dies aber thut er durch die Zucht-
hausarbeit zu Ungunsten der Arbeiter und auch zu Ungun-
sten vieler Unternehmer. Ein Liberaler muß also, nach
seinen eigenen Grundsätzen, erst recht gegen die Zuchthaus-
arbeit auftreten.

Ein Bedenken, welches von den Vertheidigern der
Zuchthausarbeit den Gegnern derselben entgegengehalten
wird, besteht in der Frage: Wie denn die Sträflinge be-
schäftigt werden sollten? Man könne sie doch nicht müßig
gehen lassen.

Hierauf ist zunächst zu erwidern, daß wenn, wie es
der Fall ist, einerseits feststeht, daß durch die Zuchthaus-
arbeit ehrliche Arbeiter in ihrer Existenz geschädigt werden,
und wenn andererseits feststände, — was aber nicht der
Fall ist — daß für die Sträflinge keine wirkliche Arbeit gefun-
den werden könnte, ohne daß dadurch eine Fortdauer jener
Schädigung bewirkt würde, einfach dahin zu entscheiden
wäre, daß man die Sträflinge mit Scheinarbeit zu be-
schäftigen hätte. Der Staat ist um der ehrlichen Leute,
nicht um der Sträflinge willen da. Man darf vor der
richtigen Folgerung aus diesem richtigen Grundsatze nicht
zurückschrecken: können die Sträflinge nicht zu wirklicher
Arbeit verwandt werden, ohne daß man dadurch den ehr-
lichen Arbeitern Schaden zufügt, so hat man sie einfach
mit Scheinarbeit zu beschäftigen, d h. man hat sie Dinge
herstellen zu lassen, nach denen kein Begehr in der Gesell-
schaft vorhanden ist. Hat man dies ja doch sogar bei den
französischen „Nationalwerkstätten“ vom Jahre 1848 —
hier freilich in böswilliger, heimtückischer Weise — gethan.
Man könnte also auch die Sträflinge Bäume versetzen,
unnöthige Wälle aufwerfen lassen und dergleichen mehr,
nur um sie zu beschäftigen. Oder, falls die Arbeit nicht
im Freien geschehen soll, könnte man sie beliebige Hand-
arbeiten verrichten lassen, die weiter keinen Zweck hätten,
als den der Beschäftigung, Handarbeiten insbesondere an
Modellen, die beliebig zusammengesetzt und wieder ausein-
andergenommen werden könnten.

Allein die Sache steht glücklicherweise nicht so, daß
man durchaus zur Scheinarbeit greifen müßte.

Die Vertheidiger der Zuchthausarbeit behaupten gerne,
auch heute gehe keine unberechtigte Concurrenz aus der-
selben hervor: denn die Fabrikate seien zum Export be-
stimmt.

Zunächst ist hier festzustellen, daß dieser „Export“ gar
[Spaltenumbruch] nicht ernstlich gehandhabt zu werden scheint. Jn einer öf-
fentlichen Versammlung von Berliner Arbeitern und
Handwerkern wurde mitgetheilt, daß Fabrikate des
Spandauer Zuchthauses von Spandau nach Berlin „ expor-
tirt “ wurden.

Aber selbst gesetzt, solche Fabrikate würden immer nur
nach fernen Ländern exportirt, so würde dies, was es be-
weisen soll, nur dann beweisen, wenn die Zuchthäuser es
verständen, sich neue Absatzmärkte im fernen Auslande zu
eröffnen. Dies aber wird Niemand glauben. Die betref-
fenden Fabrikanten haben diese Absatzplätze von vornherein
und ständen ihnen nicht die billigen Zuchthauskräfte zur
Verfügung, so wären sie genöthigt, auf dem Arbeitsmarkte
die Arbeitskraft ehrlicher Arbeiter zu suchen, was den Lohn
nur steigern könnte. Allerdings also liegt eine unberech-
tigte Concurrenz der Zuchthäuser vor.

Trotzdem giebt es ein Mittel, die Sträflinge wirkliche
Arbeit verrichten zu lassen und doch ein Herabdrücken des
Lohnes durch die Zuchthäuser zu verhindern.

Man braucht nämlich nur Bestimmung und Vorsorge
zu treffen, daß die Arbeitskraft der Sträflinge den Fabri-
kanten nur zu demselben Preise zur Verfügung gestellt
wird, zu welchem sie auf dem Arbeitsmarkt „freie“ Arbei-
ter haben könnten. Den betreffenden Lohnsatz richtig zu
ermitteln, mag im einzelnen Fall seine Schwierigkeit haben;
schon darum, weil meistens die Arbeit der Sträflinge unter
sonst gleichen Umständen schlechter ist, als die anderer Ar-
beiter. Aber jedenfalls ist über diese Schwierigkeit durch
Einsetzung sachverständiger, unparteiisch und richtig zusam-
mengesetzter Commissionen hinauszukommen.

Freilich hätten die Sträflinge selbst, da sie — wenn
auch unfreiwillig — „freie Kost und Wohnung“ haben,
jenen Lohn nur zum kleineren Theile selbst zu beziehen,
während der größere Theil dem Staat anheim zu fallen
hätte.

Zugleich müßte die Zuchthausarbeit auf möglichst viele
Produktionszweige vertheilt werden.

Jst diese Bestimmung und Einrichtung getroffen, so
kann die Zuchthausarbeit nicht mehr auf den Markt ein-
wirken, sondern der Preis derselben wird vielmehr durch
diesen bestimmt. Die Arbeiter haben keinen Grund mehr
sich zu beklagen.

Finden sich unter diesen Umstanden noch Fabrikanten,
die in den Zuchthäusern arbeiten lassen wollen, und wohl
werden sich immer noch welche finden — desto besser!
Wenn nicht, nun dann bleibt freilich nichts anderes übrig,
als die Scheinarbeit. Denn wir wiederholen es: mögen
noch so Viele weniger durch eigene Bösartigkeit, als viel-
mehr durch die Macht trauriger Verhältnisse in's Zucht-
haus gekommen sein — so lange die heutigen Gesellschafts-
zustände bestehen, muß angenommen werden, daß die Zucht-
häuser vorzugsweise mit Verbrechern gefüllt sind, und nicht
um der Verbrecher, um der ehrlichen Leute willen ist der
Staat da. —

[Ende Spaltensatz]

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Aber jedenfalls ist über diese Schwierigkeit durch Einsetzung sachverständiger, unparteiisch und richtig zusam- mengesetzter Commissionen hinauszukommen. Freilich hätten die Sträflinge selbst, da sie — wenn auch unfreiwillig — „freie Kost und Wohnung“ haben, jenen Lohn nur zum kleineren Theile selbst zu beziehen, während der größere Theil dem Staat anheim zu fallen hätte. Zugleich müßte die Zuchthausarbeit auf möglichst viele Produktionszweige vertheilt werden. Jst diese Bestimmung und Einrichtung getroffen, so kann die Zuchthausarbeit nicht mehr auf den Markt ein- wirken, sondern der Preis derselben wird vielmehr durch diesen bestimmt. Die Arbeiter haben keinen Grund mehr sich zu beklagen. Finden sich unter diesen Umstanden noch Fabrikanten, die in den Zuchthäusern arbeiten lassen wollen, und wohl werden sich immer noch welche finden — desto besser! Wenn nicht, nun dann bleibt freilich nichts anderes übrig, als die Scheinarbeit. 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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0805_1874/2>, abgerufen am 01.06.2024.