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Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868.

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Wissenschaft, Kunst und Literatur. [Beginn Spaltensatz]
Aus dem Leben des Kardinals Mazarin.
( Fortsetzung. )
III.

In den letzten Jahren gestaltete sich ein mehr freundschaftliches
Verhältniß zwischen Mazarin und dem Könige. Jener suchte sich
des Monarchen Gunst zu erwerben, und dieser begriff, wie wichtig
die Dienste des Kardinals für den Staat gewesen.

Mazarin starb auf der Höhe seiner Macht, aber gerade zur rechten
Zeit; denn Ludwig XIV. sehnte sich, endlich selber zu regieren.

Die langwierigen Heirathskonferenzen auf der ungesunden Fasanen-
insel hatten ihn bedenklich angegriffen und warfen ihn schon auf dem
Rückwege nach Paris zu Sibourre auf das Krankenlager. Jn Fon-
tainebleau, wohin er, in seine Sänfte gebettet, gebracht worden war,
hatte er einen neuen Anfall. Man behauptete, durch Bäder, die er
genommen, sei eine Versetzung des Podagra veranlaßt worden. Er
hatte Fieber, Krämpfe und heftiges Delirium. Jn einem dieser
Augenblicke kam der König, ihn um Rath zu fragen.

"Ach, Sire", sagte er, "Sie verlangen Rath von einem Manne,
der seiner Sinne nicht mächtig ist."

So kam er im Louvre an, wo er nichtsdestoweniger dem Könige
ein prachtvolles Ballet geben wollte. Er ließ zu diesem Zweck in der
Galerie, wo die Bildnisse der Könige sich befanden, eine Dekoration
von der größten Pracht anbringen, wo die kostbarsten Stoffe, Ver-
goldungen und Malereien die Marmorsäulen bedeckten und Blumen-
stücke auf rothem und grünem Grunde die Decken und Wände
zierten, als plötzlich Feuer entstand und alle diese kostbaren Sachen
verzehrte.

Dies war ein sehr schlimmer Vorfall für den Kardinal. Er
verließ, von dem Hauptmann seiner Leibwache unterstützt, sein Zim-
mer, wo er Gefahr lief, lebendig zu verbrennen; er zitterte dermaßen
und war so hinfällig, daß Jeder, der ihn in diesem Zustande sah,
von der Nähe seines Endes überzeugt war.

Kaum hatte er sein Zimmer verlassen, so ging es in Flammen
auf. Er wurde nach dem Palast Mazarin gebracht und Guenaud,
sein Arzt, augenblicklich gerufen.

Dieser berief eilf seiner Kollegen und hielt mit denselben eine Be-
rathschlagung, welche man die der zwölf Apostel genannt hat, und in
Folge deren Guenaud zum Kardinal ging und ihm sagte:

"Gnädiger Herr, es würde Unrecht sein, Euer Eminenz zu täu-
schen; unsere Mittel können Jhre Tage verlängern, aber sie können
die Ursache des Uebels nicht heben, und sie werden jedenfalls an
dieser Krankheit sterben, jedoch nicht sogleich; bereiten Sie sich also
vor zu dieser schrecklichen Reise. Jch habe es für meine Pflicht ge-
halten, freimüthig mit Euer Eminenz zu reden."

Der Kardinal hörte diese Eröffnung mit viel mehr Ruhe an, als
man hätte erwarten sollen; er sah seinen Arzt an und sagte:

" Guenaud, weil Sie einmal im Zuge sind, mir die Wahrheit
zu sagen, so sagen Sie sie nur ganz; wie viel Tage habe ich noch zu
leben?"

"Zwei Monate höchstens", antwortete Guenaud.

"Das ist genug", erwiderte der Kardinal. "Adieu; besuchen Sie
mich oft, ich bin Jhnen so dankbar, wie ein Freund nur immer sein
kann; benutzen Sie die kurze Zeit, die mir noch bleibt, zu Jhrem
Vortheil, wie ich meinerseits Jhre heilsamen Fingerzeige benutzen will.
Nochmals Adieu; überlegen Sie, womit ich Jhnen dienen kann."

Darauf verschloß er sich in sein Kabinet und begann, sich auf seinen
Tod vorzubereiten.

Jndessen verschwand diese scheinbare Resignation zuweilen, und
nicht immer zeigte der Sterbende sich so ganz als Held, daß der
schwache Mensch nicht auch zuweilen zum Vorschein gekommen wäre.

Eines Tages war Brienne, sein Sekretär, in einer Galerie, wo
Mazarin seine schönsten Gemälde, seine schönsten Statuen und Vasen
hatte aufstellen lassen. Plötzlich hörte Brienne, daß Jemand schwer
athmend mühsam in Pantoffeln sich näherte, und nicht zweifelnd,
daß es der Kranke sei, verbarg er sich hinter einer köstlichen Tapete.

Wirklich war es der Kardinal selbst, der eintrat, sich allein glaubte
und sich mühsam von einem Stuhl zu dem andern [unleserliches Material - 9 Zeichen fehlen]schleppte.

"Wie viel Mühe habe ich gehabt, o mein Gott, diese Sachen zu
erwerben, die ich nun verlassen muß! Denn, ach! wo ich hingehe,
werde ich sie nicht mehr sehen."

Diese Klagen eines Mannes, der so mächtig gewesen, rührten
Brienne; auch er seufzte. Mazarin hörte es.

"Wer ist da?" rief er. "Wer ist da?"

"Jch bin es, gnädiger Herr", sagte Brienne; "ich kam, um mit
[Spaltenumbruch] Ew. Eminenz über einen sehr wichtigen Brief zu sprechen, der so eben
eingegangen ist."

"Kommen Sie, Brienne", sprach der Kardinal, "kommen Sie und
geben Sie mir Jhren Arm, ich bin sehr schwach; aber ich bitte Sie,
reden Sie mir nicht von Geschäften, ich bin nicht im Stande, es zu
hören; wenden Sie sich an den König und thuen Sie, was er Jhnen
sagt; was mich anbetrifft, ich habe jetzt andere Dinge im Kopf."
Dann kam er auf seine früheren Gedanken zurück. "Sehen Sie,
mein Freund", sagte er, "dieses schöne Gemälde von Correggio und
diese Venus von Titian und diese unvergleichliche Sündflut von
Antonio Carracci; nun wohl, mein Freund, das Alles muß ich ver-
lassen! -- O, meine Gemälde, meine lieben Gemälde, die mich so
viel gekostet haben!"

"Gnädiger Herr", sagte Brienne, "Sie halten Jhren Zustand
für schlimmer, als er ist; Sie sind gewiß nicht so krank, als Sie
glauben."

"Nein, Brienne, nein, ich bin sehr krank; übrigens warum sollte
ich zu leben wünschen, da alle Welt meinen Tod wünscht?"

"Sie irren sich, gnädiger Herr, die Zeit der Aufgeregtheit ist
vorüber; während der Fronde war es wohl der Fall, aber jetzt hegt
Niemand mehr solche Wünsche."

"Niemand?" Mazarin versuchte zu lächeln. "Sie wissen recht
wohl, daß ein Mann ihn wünscht, diesen Tod; aber sprechen wir
nicht mehr davon, sterben muß ich, lieber heut als morgen. -- Ach!
Er wünscht ihn, meinen Tod, ich weiß es."

Brienne widersprach nicht mehr; er begriff, daß der Minister den
König meinte.

Einige Tage darauf geschah etwas, worüber alle Welt erstaunte
und woraus sogar die Ungläubigsten schlossen, daß der Kardinal von
der Nähe seines Todes überzeugt sei. Seine Eminenz berief Monsieur,
den Bruder des Königs, zu sich, und schenkte ihm auf der Stelle von
Hand zu Hand fünfzigtausend Thaler.

Die Freude Seiner königlichen Hoheit, der, Dank dem Geize des
Premier=Ministers, niemals dreitausend Livres auf einmal besessen,
war durch Worte nicht auszudrücken; der junge Mann fiel dem Kar-
dinal um den Hals, zerdrückte ihn fast vor Entzücken und entfernte
sich, vor Freude springend.

"Ach", sagte Mazarin seufzend, "ich wollte vier Millionen darum
geben, wenn ich solche Freude damit erkaufen könnte."

Jndessen wurde er mit jedem Tage schwächer. Jener Ausspruch
Guenauds, daß er nur noch zwei Monate zu leben habe, nagte ihm
unablässig am Herzen; wachend dachte er daran, schlafend träumte er
davon. Als Brienne einst vorsichtig und auf den Zehen in sein
Zimmer kam, weil Bernouin, der Kammerdiener des Kardinals, ihm
gesagt hatte, sein Herr sei, im Lehnstuhl am Feuer sitzend, ein-
geschlafen, fand der junge Mann ihn, obgleich schlafend, in einer auf-
fallenden Bewegung. Mazarin bewegte sich bald vor= bald rückwärts;
sein Kopf flog von der Rücklehne des Stuhls bis auf die Kniee
herab, er warf sich unaufhörlich von der Rechten zur Linken, und
während fünf Minuten, in denen Brienne ihn betrachtete, bewegte der
Perpendikel der Uhr sich nicht so schnell, als sein Körper; es sah aus,
als werde er von einem Dämon gerissen; er sprach, aber seine dumpfen,
hohlen und erstickten Worte waren unverständlich; man fühlte, daß
das physische Leben in ihm gegen die herannahende Auflösung kämpfte.
Brienne, der fürchtete, der Kardinal könne ins Feuer fallen, rief Ber-
nouin, welcher herbei eilte und den Kranken heftig schüttelte.

"Was giebt's? Was giebt's?" rief dieser erwachend. " Guenaud
hat's gesagt!"

"Zum Teufel Guenaud und was er gesagt hat!" rief Bernouin.
"Werden Sie denn immer dasselbe wiederholen, gnädiger Herr?"

"Ja, Bernouin, ja", erwiderte der Kardinal, "ja, ich muß sterben,
es hilft nichts, Guenaud hat's gesagt, Guenaud hat's gesagt!"

Das waren die schrecklichen Worte, die der Kardinal im Schlaf
gemurmelt hatte, und die Brienne nicht hatte verstehen können.

"Gnädigster Herr", sagte Bernouin, bemüht, den Kardinal von
dem ihn quälenden Gedanken abzubringen, "hier ist Herr von
Brienne."

"Herr von Brienne?" antwortete Mazarin. "Lassen Sie ihn näher
kommen."

Brienne näherte sich und küßte ihm die Hand.

"Ach, mein Freund", sagte Mazarin, "ich sterbe -- ich sterbe!"

"Ohne Zweifel", antwortete Brienne; "aber Sie selbst tödten sich;
hören Sie doch nicht auf jene grausamen Reden, die Jhnen mehr
Schaden thun, als Jhre Krankheit selbst."

"Es ist wahr, mein lieber Brienne, es ist wahr; aber Guenaud
hat es gesagt, und Guenaud versteht sein Fach."

[Ende Spaltensatz]

Wissenschaft, Kunst und Literatur. [Beginn Spaltensatz]
Aus dem Leben des Kardinals Mazarin.
( Fortsetzung. )
III.

In den letzten Jahren gestaltete sich ein mehr freundschaftliches
Verhältniß zwischen Mazarin und dem Könige. Jener suchte sich
des Monarchen Gunst zu erwerben, und dieser begriff, wie wichtig
die Dienste des Kardinals für den Staat gewesen.

Mazarin starb auf der Höhe seiner Macht, aber gerade zur rechten
Zeit; denn Ludwig XIV. sehnte sich, endlich selber zu regieren.

Die langwierigen Heirathskonferenzen auf der ungesunden Fasanen-
insel hatten ihn bedenklich angegriffen und warfen ihn schon auf dem
Rückwege nach Paris zu Sibourre auf das Krankenlager. Jn Fon-
tainebleau, wohin er, in seine Sänfte gebettet, gebracht worden war,
hatte er einen neuen Anfall. Man behauptete, durch Bäder, die er
genommen, sei eine Versetzung des Podagra veranlaßt worden. Er
hatte Fieber, Krämpfe und heftiges Delirium. Jn einem dieser
Augenblicke kam der König, ihn um Rath zu fragen.

„Ach, Sire“, sagte er, „Sie verlangen Rath von einem Manne,
der seiner Sinne nicht mächtig ist.“

So kam er im Louvre an, wo er nichtsdestoweniger dem Könige
ein prachtvolles Ballet geben wollte. Er ließ zu diesem Zweck in der
Galerie, wo die Bildnisse der Könige sich befanden, eine Dekoration
von der größten Pracht anbringen, wo die kostbarsten Stoffe, Ver-
goldungen und Malereien die Marmorsäulen bedeckten und Blumen-
stücke auf rothem und grünem Grunde die Decken und Wände
zierten, als plötzlich Feuer entstand und alle diese kostbaren Sachen
verzehrte.

Dies war ein sehr schlimmer Vorfall für den Kardinal. Er
verließ, von dem Hauptmann seiner Leibwache unterstützt, sein Zim-
mer, wo er Gefahr lief, lebendig zu verbrennen; er zitterte dermaßen
und war so hinfällig, daß Jeder, der ihn in diesem Zustande sah,
von der Nähe seines Endes überzeugt war.

Kaum hatte er sein Zimmer verlassen, so ging es in Flammen
auf. Er wurde nach dem Palast Mazarin gebracht und Guénaud,
sein Arzt, augenblicklich gerufen.

Dieser berief eilf seiner Kollegen und hielt mit denselben eine Be-
rathschlagung, welche man die der zwölf Apostel genannt hat, und in
Folge deren Guénaud zum Kardinal ging und ihm sagte:

„Gnädiger Herr, es würde Unrecht sein, Euer Eminenz zu täu-
schen; unsere Mittel können Jhre Tage verlängern, aber sie können
die Ursache des Uebels nicht heben, und sie werden jedenfalls an
dieser Krankheit sterben, jedoch nicht sogleich; bereiten Sie sich also
vor zu dieser schrecklichen Reise. Jch habe es für meine Pflicht ge-
halten, freimüthig mit Euer Eminenz zu reden.“

Der Kardinal hörte diese Eröffnung mit viel mehr Ruhe an, als
man hätte erwarten sollen; er sah seinen Arzt an und sagte:

„ Guénaud, weil Sie einmal im Zuge sind, mir die Wahrheit
zu sagen, so sagen Sie sie nur ganz; wie viel Tage habe ich noch zu
leben?“

„Zwei Monate höchstens“, antwortete Guénaud.

„Das ist genug“, erwiderte der Kardinal. „Adieu; besuchen Sie
mich oft, ich bin Jhnen so dankbar, wie ein Freund nur immer sein
kann; benutzen Sie die kurze Zeit, die mir noch bleibt, zu Jhrem
Vortheil, wie ich meinerseits Jhre heilsamen Fingerzeige benutzen will.
Nochmals Adieu; überlegen Sie, womit ich Jhnen dienen kann.“

Darauf verschloß er sich in sein Kabinet und begann, sich auf seinen
Tod vorzubereiten.

Jndessen verschwand diese scheinbare Resignation zuweilen, und
nicht immer zeigte der Sterbende sich so ganz als Held, daß der
schwache Mensch nicht auch zuweilen zum Vorschein gekommen wäre.

Eines Tages war Brienne, sein Sekretär, in einer Galerie, wo
Mazarin seine schönsten Gemälde, seine schönsten Statuen und Vasen
hatte aufstellen lassen. Plötzlich hörte Brienne, daß Jemand schwer
athmend mühsam in Pantoffeln sich näherte, und nicht zweifelnd,
daß es der Kranke sei, verbarg er sich hinter einer köstlichen Tapete.

Wirklich war es der Kardinal selbst, der eintrat, sich allein glaubte
und sich mühsam von einem Stuhl zu dem andern [unleserliches Material – 9 Zeichen fehlen]schleppte.

„Wie viel Mühe habe ich gehabt, o mein Gott, diese Sachen zu
erwerben, die ich nun verlassen muß! Denn, ach! wo ich hingehe,
werde ich sie nicht mehr sehen.“

Diese Klagen eines Mannes, der so mächtig gewesen, rührten
Brienne; auch er seufzte. Mazarin hörte es.

„Wer ist da?“ rief er. „Wer ist da?“

„Jch bin es, gnädiger Herr“, sagte Brienne; „ich kam, um mit
[Spaltenumbruch] Ew. Eminenz über einen sehr wichtigen Brief zu sprechen, der so eben
eingegangen ist.“

„Kommen Sie, Brienne“, sprach der Kardinal, „kommen Sie und
geben Sie mir Jhren Arm, ich bin sehr schwach; aber ich bitte Sie,
reden Sie mir nicht von Geschäften, ich bin nicht im Stande, es zu
hören; wenden Sie sich an den König und thuen Sie, was er Jhnen
sagt; was mich anbetrifft, ich habe jetzt andere Dinge im Kopf.“
Dann kam er auf seine früheren Gedanken zurück. „Sehen Sie,
mein Freund“, sagte er, „dieses schöne Gemälde von Correggio und
diese Venus von Titian und diese unvergleichliche Sündflut von
Antonio Carracci; nun wohl, mein Freund, das Alles muß ich ver-
lassen! — O, meine Gemälde, meine lieben Gemälde, die mich so
viel gekostet haben!“

„Gnädiger Herr“, sagte Brienne, „Sie halten Jhren Zustand
für schlimmer, als er ist; Sie sind gewiß nicht so krank, als Sie
glauben.“

„Nein, Brienne, nein, ich bin sehr krank; übrigens warum sollte
ich zu leben wünschen, da alle Welt meinen Tod wünscht?“

„Sie irren sich, gnädiger Herr, die Zeit der Aufgeregtheit ist
vorüber; während der Fronde war es wohl der Fall, aber jetzt hegt
Niemand mehr solche Wünsche.“

„Niemand?“ Mazarin versuchte zu lächeln. „Sie wissen recht
wohl, daß ein Mann ihn wünscht, diesen Tod; aber sprechen wir
nicht mehr davon, sterben muß ich, lieber heut als morgen. — Ach!
Er wünscht ihn, meinen Tod, ich weiß es.“

Brienne widersprach nicht mehr; er begriff, daß der Minister den
König meinte.

Einige Tage darauf geschah etwas, worüber alle Welt erstaunte
und woraus sogar die Ungläubigsten schlossen, daß der Kardinal von
der Nähe seines Todes überzeugt sei. Seine Eminenz berief Monsieur,
den Bruder des Königs, zu sich, und schenkte ihm auf der Stelle von
Hand zu Hand fünfzigtausend Thaler.

Die Freude Seiner königlichen Hoheit, der, Dank dem Geize des
Premier=Ministers, niemals dreitausend Livres auf einmal besessen,
war durch Worte nicht auszudrücken; der junge Mann fiel dem Kar-
dinal um den Hals, zerdrückte ihn fast vor Entzücken und entfernte
sich, vor Freude springend.

„Ach“, sagte Mazarin seufzend, „ich wollte vier Millionen darum
geben, wenn ich solche Freude damit erkaufen könnte.“

Jndessen wurde er mit jedem Tage schwächer. Jener Ausspruch
Guénauds, daß er nur noch zwei Monate zu leben habe, nagte ihm
unablässig am Herzen; wachend dachte er daran, schlafend träumte er
davon. Als Brienne einst vorsichtig und auf den Zehen in sein
Zimmer kam, weil Bernouin, der Kammerdiener des Kardinals, ihm
gesagt hatte, sein Herr sei, im Lehnstuhl am Feuer sitzend, ein-
geschlafen, fand der junge Mann ihn, obgleich schlafend, in einer auf-
fallenden Bewegung. Mazarin bewegte sich bald vor= bald rückwärts;
sein Kopf flog von der Rücklehne des Stuhls bis auf die Kniee
herab, er warf sich unaufhörlich von der Rechten zur Linken, und
während fünf Minuten, in denen Brienne ihn betrachtete, bewegte der
Perpendikel der Uhr sich nicht so schnell, als sein Körper; es sah aus,
als werde er von einem Dämon gerissen; er sprach, aber seine dumpfen,
hohlen und erstickten Worte waren unverständlich; man fühlte, daß
das physische Leben in ihm gegen die herannahende Auflösung kämpfte.
Brienne, der fürchtete, der Kardinal könne ins Feuer fallen, rief Ber-
nouin, welcher herbei eilte und den Kranken heftig schüttelte.

„Was giebt's? Was giebt's?“ rief dieser erwachend. „ Guénaud
hat's gesagt!“

„Zum Teufel Guénaud und was er gesagt hat!“ rief Bernouin.
„Werden Sie denn immer dasselbe wiederholen, gnädiger Herr?“

„Ja, Bernouin, ja“, erwiderte der Kardinal, „ja, ich muß sterben,
es hilft nichts, Guénaud hat's gesagt, Guénaud hat's gesagt!“

Das waren die schrecklichen Worte, die der Kardinal im Schlaf
gemurmelt hatte, und die Brienne nicht hatte verstehen können.

„Gnädigster Herr“, sagte Bernouin, bemüht, den Kardinal von
dem ihn quälenden Gedanken abzubringen, „hier ist Herr von
Brienne.“

„Herr von Brienne?“ antwortete Mazarin. „Lassen Sie ihn näher
kommen.“

Brienne näherte sich und küßte ihm die Hand.

„Ach, mein Freund“, sagte Mazarin, „ich sterbe — ich sterbe!“

„Ohne Zweifel“, antwortete Brienne; „aber Sie selbst tödten sich;
hören Sie doch nicht auf jene grausamen Reden, die Jhnen mehr
Schaden thun, als Jhre Krankheit selbst.“

„Es ist wahr, mein lieber Brienne, es ist wahr; aber Guénaud
hat es gesagt, und Guénaud versteht sein Fach.“

[Ende Spaltensatz]
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[46/0006] 46 Wissenschaft, Kunst und Literatur. Aus dem Leben des Kardinals Mazarin. ( Fortsetzung. ) III. In den letzten Jahren gestaltete sich ein mehr freundschaftliches Verhältniß zwischen Mazarin und dem Könige. Jener suchte sich des Monarchen Gunst zu erwerben, und dieser begriff, wie wichtig die Dienste des Kardinals für den Staat gewesen. Mazarin starb auf der Höhe seiner Macht, aber gerade zur rechten Zeit; denn Ludwig XIV. sehnte sich, endlich selber zu regieren. Die langwierigen Heirathskonferenzen auf der ungesunden Fasanen- insel hatten ihn bedenklich angegriffen und warfen ihn schon auf dem Rückwege nach Paris zu Sibourre auf das Krankenlager. Jn Fon- tainebleau, wohin er, in seine Sänfte gebettet, gebracht worden war, hatte er einen neuen Anfall. Man behauptete, durch Bäder, die er genommen, sei eine Versetzung des Podagra veranlaßt worden. Er hatte Fieber, Krämpfe und heftiges Delirium. Jn einem dieser Augenblicke kam der König, ihn um Rath zu fragen. „Ach, Sire“, sagte er, „Sie verlangen Rath von einem Manne, der seiner Sinne nicht mächtig ist.“ So kam er im Louvre an, wo er nichtsdestoweniger dem Könige ein prachtvolles Ballet geben wollte. Er ließ zu diesem Zweck in der Galerie, wo die Bildnisse der Könige sich befanden, eine Dekoration von der größten Pracht anbringen, wo die kostbarsten Stoffe, Ver- goldungen und Malereien die Marmorsäulen bedeckten und Blumen- stücke auf rothem und grünem Grunde die Decken und Wände zierten, als plötzlich Feuer entstand und alle diese kostbaren Sachen verzehrte. Dies war ein sehr schlimmer Vorfall für den Kardinal. Er verließ, von dem Hauptmann seiner Leibwache unterstützt, sein Zim- mer, wo er Gefahr lief, lebendig zu verbrennen; er zitterte dermaßen und war so hinfällig, daß Jeder, der ihn in diesem Zustande sah, von der Nähe seines Endes überzeugt war. Kaum hatte er sein Zimmer verlassen, so ging es in Flammen auf. Er wurde nach dem Palast Mazarin gebracht und Guénaud, sein Arzt, augenblicklich gerufen. Dieser berief eilf seiner Kollegen und hielt mit denselben eine Be- rathschlagung, welche man die der zwölf Apostel genannt hat, und in Folge deren Guénaud zum Kardinal ging und ihm sagte: „Gnädiger Herr, es würde Unrecht sein, Euer Eminenz zu täu- schen; unsere Mittel können Jhre Tage verlängern, aber sie können die Ursache des Uebels nicht heben, und sie werden jedenfalls an dieser Krankheit sterben, jedoch nicht sogleich; bereiten Sie sich also vor zu dieser schrecklichen Reise. Jch habe es für meine Pflicht ge- halten, freimüthig mit Euer Eminenz zu reden.“ Der Kardinal hörte diese Eröffnung mit viel mehr Ruhe an, als man hätte erwarten sollen; er sah seinen Arzt an und sagte: „ Guénaud, weil Sie einmal im Zuge sind, mir die Wahrheit zu sagen, so sagen Sie sie nur ganz; wie viel Tage habe ich noch zu leben?“ „Zwei Monate höchstens“, antwortete Guénaud. „Das ist genug“, erwiderte der Kardinal. „Adieu; besuchen Sie mich oft, ich bin Jhnen so dankbar, wie ein Freund nur immer sein kann; benutzen Sie die kurze Zeit, die mir noch bleibt, zu Jhrem Vortheil, wie ich meinerseits Jhre heilsamen Fingerzeige benutzen will. Nochmals Adieu; überlegen Sie, womit ich Jhnen dienen kann.“ Darauf verschloß er sich in sein Kabinet und begann, sich auf seinen Tod vorzubereiten. Jndessen verschwand diese scheinbare Resignation zuweilen, und nicht immer zeigte der Sterbende sich so ganz als Held, daß der schwache Mensch nicht auch zuweilen zum Vorschein gekommen wäre. Eines Tages war Brienne, sein Sekretär, in einer Galerie, wo Mazarin seine schönsten Gemälde, seine schönsten Statuen und Vasen hatte aufstellen lassen. Plötzlich hörte Brienne, daß Jemand schwer athmend mühsam in Pantoffeln sich näherte, und nicht zweifelnd, daß es der Kranke sei, verbarg er sich hinter einer köstlichen Tapete. Wirklich war es der Kardinal selbst, der eintrat, sich allein glaubte und sich mühsam von einem Stuhl zu dem andern _________schleppte. „Wie viel Mühe habe ich gehabt, o mein Gott, diese Sachen zu erwerben, die ich nun verlassen muß! Denn, ach! wo ich hingehe, werde ich sie nicht mehr sehen.“ Diese Klagen eines Mannes, der so mächtig gewesen, rührten Brienne; auch er seufzte. Mazarin hörte es. „Wer ist da?“ rief er. „Wer ist da?“ „Jch bin es, gnädiger Herr“, sagte Brienne; „ich kam, um mit Ew. Eminenz über einen sehr wichtigen Brief zu sprechen, der so eben eingegangen ist.“ „Kommen Sie, Brienne“, sprach der Kardinal, „kommen Sie und geben Sie mir Jhren Arm, ich bin sehr schwach; aber ich bitte Sie, reden Sie mir nicht von Geschäften, ich bin nicht im Stande, es zu hören; wenden Sie sich an den König und thuen Sie, was er Jhnen sagt; was mich anbetrifft, ich habe jetzt andere Dinge im Kopf.“ Dann kam er auf seine früheren Gedanken zurück. „Sehen Sie, mein Freund“, sagte er, „dieses schöne Gemälde von Correggio und diese Venus von Titian und diese unvergleichliche Sündflut von Antonio Carracci; nun wohl, mein Freund, das Alles muß ich ver- lassen! — O, meine Gemälde, meine lieben Gemälde, die mich so viel gekostet haben!“ „Gnädiger Herr“, sagte Brienne, „Sie halten Jhren Zustand für schlimmer, als er ist; Sie sind gewiß nicht so krank, als Sie glauben.“ „Nein, Brienne, nein, ich bin sehr krank; übrigens warum sollte ich zu leben wünschen, da alle Welt meinen Tod wünscht?“ „Sie irren sich, gnädiger Herr, die Zeit der Aufgeregtheit ist vorüber; während der Fronde war es wohl der Fall, aber jetzt hegt Niemand mehr solche Wünsche.“ „Niemand?“ Mazarin versuchte zu lächeln. „Sie wissen recht wohl, daß ein Mann ihn wünscht, diesen Tod; aber sprechen wir nicht mehr davon, sterben muß ich, lieber heut als morgen. — Ach! Er wünscht ihn, meinen Tod, ich weiß es.“ Brienne widersprach nicht mehr; er begriff, daß der Minister den König meinte. Einige Tage darauf geschah etwas, worüber alle Welt erstaunte und woraus sogar die Ungläubigsten schlossen, daß der Kardinal von der Nähe seines Todes überzeugt sei. Seine Eminenz berief Monsieur, den Bruder des Königs, zu sich, und schenkte ihm auf der Stelle von Hand zu Hand fünfzigtausend Thaler. Die Freude Seiner königlichen Hoheit, der, Dank dem Geize des Premier=Ministers, niemals dreitausend Livres auf einmal besessen, war durch Worte nicht auszudrücken; der junge Mann fiel dem Kar- dinal um den Hals, zerdrückte ihn fast vor Entzücken und entfernte sich, vor Freude springend. „Ach“, sagte Mazarin seufzend, „ich wollte vier Millionen darum geben, wenn ich solche Freude damit erkaufen könnte.“ Jndessen wurde er mit jedem Tage schwächer. Jener Ausspruch Guénauds, daß er nur noch zwei Monate zu leben habe, nagte ihm unablässig am Herzen; wachend dachte er daran, schlafend träumte er davon. Als Brienne einst vorsichtig und auf den Zehen in sein Zimmer kam, weil Bernouin, der Kammerdiener des Kardinals, ihm gesagt hatte, sein Herr sei, im Lehnstuhl am Feuer sitzend, ein- geschlafen, fand der junge Mann ihn, obgleich schlafend, in einer auf- fallenden Bewegung. Mazarin bewegte sich bald vor= bald rückwärts; sein Kopf flog von der Rücklehne des Stuhls bis auf die Kniee herab, er warf sich unaufhörlich von der Rechten zur Linken, und während fünf Minuten, in denen Brienne ihn betrachtete, bewegte der Perpendikel der Uhr sich nicht so schnell, als sein Körper; es sah aus, als werde er von einem Dämon gerissen; er sprach, aber seine dumpfen, hohlen und erstickten Worte waren unverständlich; man fühlte, daß das physische Leben in ihm gegen die herannahende Auflösung kämpfte. Brienne, der fürchtete, der Kardinal könne ins Feuer fallen, rief Ber- nouin, welcher herbei eilte und den Kranken heftig schüttelte. „Was giebt's? Was giebt's?“ rief dieser erwachend. „ Guénaud hat's gesagt!“ „Zum Teufel Guénaud und was er gesagt hat!“ rief Bernouin. „Werden Sie denn immer dasselbe wiederholen, gnädiger Herr?“ „Ja, Bernouin, ja“, erwiderte der Kardinal, „ja, ich muß sterben, es hilft nichts, Guénaud hat's gesagt, Guénaud hat's gesagt!“ Das waren die schrecklichen Worte, die der Kardinal im Schlaf gemurmelt hatte, und die Brienne nicht hatte verstehen können. „Gnädigster Herr“, sagte Bernouin, bemüht, den Kardinal von dem ihn quälenden Gedanken abzubringen, „hier ist Herr von Brienne.“ „Herr von Brienne?“ antwortete Mazarin. „Lassen Sie ihn näher kommen.“ Brienne näherte sich und küßte ihm die Hand. „Ach, mein Freund“, sagte Mazarin, „ich sterbe — ich sterbe!“ „Ohne Zweifel“, antwortete Brienne; „aber Sie selbst tödten sich; hören Sie doch nicht auf jene grausamen Reden, die Jhnen mehr Schaden thun, als Jhre Krankheit selbst.“ „Es ist wahr, mein lieber Brienne, es ist wahr; aber Guénaud hat es gesagt, und Guénaud versteht sein Fach.“

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 6. Berlin, 9. Februar 1868, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt06_1868/6>, abgerufen am 01.06.2024.