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Sonntags-Blatt. Nr. 8. Berlin, 23. Februar 1868.

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Album. [Beginn Spaltensatz]
Gold und Eisen
Gold.
Wer ist der Stärkere
Von uns Beiden?
Jch bin's, der Rothe!
Thürme zerbrech' ich
Wie Wort' und Eide;
Bündnisse kitt' ich,
Bündnisse lös' ich,
Feil mach' ich Alles.
Heiligstes höhn' ich.
Dich, Eisen, schmied' ich
Zum Dolch, zur Fessel --
Jch bin Dein Herr!
Eisen.
Der Eine hat Dich,
Ein Andrer nimmt Dich
Jhm aus den Händen;
Ein Dritter lauert
Schon hinter diesem.
Wer hat Dich sicher,
Dem ich nicht helfe,
Gewalt verleihend,
Besitzrecht schaffend?
Kronen zerschlag' ich
Und Kronen schmied' ich,
Aus Dir, dem Gold.
[Spaltenumbruch]
Gold.
Als sie mich fanden,
Ungeboren schliefest
Du noch im Erdschoß.
Jch war's -- ich rief Dich,
Daß du mich theiltest
Unter die Finder.
Du theiltest also,
Daß Keiner froh ward,
Daß Streit aus Streit wuchs,
Todtschlag aus Todtschlag.
Seit du ans Licht kamst,
Warst du mein Söldling,
Bliebst du mein Knecht.
Eisen.
Verblendet riefst du
Mich aus der Tiefe;
Denn hurtig lernt' ich's,
Dich zu gewinnen.
Geh' hin und wirke!
Mach' Freundschaft, Frieden!
Mach' reich, mach' gierig!
Du säest die Saaten --
Schneiden werd' ich sie.
Frohlockend wart' ich
Des Erntemorgens,
Der bald mich ruft!
[Ende Spaltensatz]

Aus der Zeit.
[Beginn Spaltensatz]
Zur Geschichte der geheimen politischen Gesellschaften
in Rußland.

( Fortsetzung. )

Für einen so ehrgeizigen, zum Befehlen geneigten und zu jeder Gewalt-
that aufgelegten Mann wie Pestel fand sich bei diesen Gesellschaften
kein fruchtbarer Boden. Er wendete daher auch seine Blicke bald dem
Süden des Reiches zu und suchte in der zweiten Armee Proselyten zu
werben. Nachdem er unmittelbar unter den Augen seines Chefs, des Ge-
nerals Grafen von Wittgenstein in der Stadt Tultchin, wo dieser sein
Hauptquartier hatte, ein sogenanntes Direktorium gegründet, suchte er auf
seine jüngeren Kameraden dadurch einzuwirken, daß er ihnen wiederholt
erklärte, es sei der, vorläufig allerdings noch geheim zu haltende Wille des
Kaisers Alexander, daß der Jugend seines Reiches und seinen Truppen
Reform=Jdeen eingeflößt würden, um hierdurch eine neue Ordnung der
Dinge herbeizuführen. Mancher Leser wird mit Recht zu einer solchen
Leichtgläubigkeit den Kopf schütteln, und in jedem andern Theile des ge-
bildeten Europa's würde man auf derartige Behauptungen ohne Bei-
bringung der erforderlichen Beweise gewiß auch keinen Werth gelegt
haben; allein da es zur Genüge in Rußland bekannt war, daß der Czar
mehrfach den Willen, wenn auch nicht die Kraft an den Tag gelegt hatte,
großartige, dem Fortschritt huldigende Reformen in seinem Reich ins Leben
treten zu lassen, da ferner dort das politische Bewußtsein selbst unter den
gebildeten Klassen nur erst sehr unvollkommen ausgebildet war, und da
man endlich wußte, daß selbst der sonst allmächtige Autokrat sein Leben
aufs Spiel setzte, wenn er es unvorsichtig gewagt hätte, das an Sklaverei
gewöhnte und zum Eigenthum nur weniger Herren herabgesunkene Volk
der Freiheit näher zu führen, so läßt es sich wohl erklären, wie es
Pestel gelang, als Emissär und geheimer Sendbote des Czaren angesehen
zu werden. Genug, sein Einfluß erweiterte sich von Tag zu Tag, und
obgleich fast der ganze Generalstab des Fürsten Wittgenstein zu den Ver-
schwornen gehörte, so hatte dieser doch nicht die entfernteste Ahnung da-
von, daß die überwiegende Mehrzahl der Offiziere der ersten und zweiten
Armee für die Pläne Pestels gewonnen war. Dieser Letztere verfuhr bei
den geheimen Zusammenkünften, welche man hatte, durchaus absolut und
ließ neben seiner Meinung keine andere aufkommen. Trotzdem gelangte man
zu keinem festen Plan; denn während Einige der Verschworenen nichts
Anderes beabsichtigten, als das Haus Romanof gänzlich auszurotten, hielten
Andere an den Grundsätzen von 1789 fest, während noch ein anderer Theil
wieder von einer Diktatur oder von einem Triumvirat sprach. Mit Un-
geduld bemerkte der ehrgeizige Pestel, daß, trotz der vielen Reden und der
häufigen Zusammenkünfte kein Resultat zu erlangen war, und wohl schon
im Voraus mit der Absicht umgehend, sich der Halben und Unentschlossenen
zu entledigen, schrieb er sowohl für die nördliche wie für die südliche Ver-
bindung eine Zusammenkunft zu Moskau aus, in welcher beide Gesellschaf-
ten durch Abgeordnete vertreten sein sollten. Eine erhebliche Anzahl von
[Spaltenumbruch] Generalen und Obersten fand sich dort ein, aber bald trat der Zwiespalt
offen hervor. Orloff, Turghenieff und andere hervorragende Häupter
erklärten ihren Austritt aus den geheimen Gesellschaften, und zu Ende
Februar 1821 wurde die Auflösung des "Bundes des öffentlichen Wohls",
der zu Petersburg seinen Sitz hatte, ausgesprochen. Nun verständigte sich
Pestel mit dem Staatsrath Juschuneffski über einen neuen Plan, und der
Mittelpunkt der Verschwörung wurde jetzt nach Tultchin verlegt. Dort
tagte das Direktorium, während diesem zwei Ausschüsse, und zwar der
rechte unter Dawidof zu Kamenka, der linke unter Murawieff=Apostol und
unter Bestucheff=Rumin zu Wassilkoff zur Seite standen. Die Revolu-
tionen in Spanien, Neapel und Piemont trieben die Verschworenen zu
noch größerer Eile in Betreff der Ausführung ihrer Pläne an. Jm Ja-
nuar 1823 hatten sie eine Zusammenkunft zu Kiew, und dort legte Pestel
einen Verfassungs=Entwurf unter dem Titel "Russisches Grundgesetz"
vor, wobei zum Theil die neue spanische Konstitution zum Vorbild ge-
nommen worden war, in welchem gleichzeitig aber auch das ganze Reich in
Provinzen getheilt wurde, die ihre eigenen Regierungen haben und unter
sich eine Konföderation von Republiken bilden sollten. Hierbei kam auch
die Frage zur Sprache, was aus der kaiserlichen Familie werden sollte,
und Pestel, welcher sich wahrscheinlich schon im Geist als Diktator sah,
antwortetete ohne Bedenken: "Sie muß ausgerottet werden!", ließ sich
aber später zu der Konzession herab, dieses Todesurtheil in ewige Ver-
bannung aus Rußland zu verwandeln. So weit war man einig, und es
handelte sich nur noch um die Frage, wann der große Schlag ausgeführt
werden sollte. Zuerst lag es in der Absicht, sich des Kaisers Alexander
und des ihn begleitenden Großfürsten Nicolaus bei einer Musterung der
neunten Division zu Bobruisk im Gouvernement Minsk mit Hülfe des
Jnfanterie=Regiments Saratoff und einer Anzahl verkleideter Offiziere zu
bemächtigen; da der Plan aber auf zu große Schwierigkeiten stieß, so
wurde er wieder aufgegeben. Auch ein anderer Entwurf, nach welchem
der Kaiser bei einer Revue über die dritte Abtheilung der ersten Armee
in dem Schlosse Belaja=Tserkof in dem Augenblick der Ablösung der Posten
von, als gemeine Soldaten verkleideten Offizieren überfallen und ermordet
werden sollte, gelangte nicht zur Ausführung, weil die Revue überhaupt
unterblieb. Jnzwischen hatte sich in Petersburg unter dem Vorsitz des
Fürsten Eugen Obolenski und des Hauptmanns Nikita Murawieff die
"Gesellschaft des öffentlichen Wohls" rekonstituirt und namentlich in den
Garde=Regimentern Filial=Abtheilungen errichtet.

Während es sich in der für den Süden entworfenen Verfassung um die
Konföderation einer Anzahl kleiner Republiken handelte, wurde für den
Norden zwar die monarchische Regierungsform beibehalten, jedoch mit
solchen Einschränkungen, daß dem Kaiser nicht einmal die Macht eines
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika verblieb. Die Ver-
bindung beider geheimer Gesellschaften, des Nordens und des Südens,
blieb übrigens nur eine sehr lose, doch rechneten Beide auf gegenseitige
Mitwirkung, wenn der von ihnen beabsichtigte Schlag zur Ausführung
kommen würde. Später trat auch noch Rylejeff in das Direktorium der
[Ende Spaltensatz]


Album. [Beginn Spaltensatz]
Gold und Eisen
Gold.
Wer ist der Stärkere
Von uns Beiden?
Jch bin's, der Rothe!
Thürme zerbrech' ich
Wie Wort' und Eide;
Bündnisse kitt' ich,
Bündnisse lös' ich,
Feil mach' ich Alles.
Heiligstes höhn' ich.
Dich, Eisen, schmied' ich
Zum Dolch, zur Fessel —
Jch bin Dein Herr!
Eisen.
Der Eine hat Dich,
Ein Andrer nimmt Dich
Jhm aus den Händen;
Ein Dritter lauert
Schon hinter diesem.
Wer hat Dich sicher,
Dem ich nicht helfe,
Gewalt verleihend,
Besitzrecht schaffend?
Kronen zerschlag' ich
Und Kronen schmied' ich,
Aus Dir, dem Gold.
[Spaltenumbruch]
Gold.
Als sie mich fanden,
Ungeboren schliefest
Du noch im Erdschoß.
Jch war's — ich rief Dich,
Daß du mich theiltest
Unter die Finder.
Du theiltest also,
Daß Keiner froh ward,
Daß Streit aus Streit wuchs,
Todtschlag aus Todtschlag.
Seit du ans Licht kamst,
Warst du mein Söldling,
Bliebst du mein Knecht.
Eisen.
Verblendet riefst du
Mich aus der Tiefe;
Denn hurtig lernt' ich's,
Dich zu gewinnen.
Geh' hin und wirke!
Mach' Freundschaft, Frieden!
Mach' reich, mach' gierig!
Du säest die Saaten —
Schneiden werd' ich sie.
Frohlockend wart' ich
Des Erntemorgens,
Der bald mich ruft!
[Ende Spaltensatz]

Aus der Zeit.
[Beginn Spaltensatz]
Zur Geschichte der geheimen politischen Gesellschaften
in Rußland.

( Fortsetzung. )

Für einen so ehrgeizigen, zum Befehlen geneigten und zu jeder Gewalt-
that aufgelegten Mann wie Pestel fand sich bei diesen Gesellschaften
kein fruchtbarer Boden. Er wendete daher auch seine Blicke bald dem
Süden des Reiches zu und suchte in der zweiten Armee Proselyten zu
werben. Nachdem er unmittelbar unter den Augen seines Chefs, des Ge-
nerals Grafen von Wittgenstein in der Stadt Tultchin, wo dieser sein
Hauptquartier hatte, ein sogenanntes Direktorium gegründet, suchte er auf
seine jüngeren Kameraden dadurch einzuwirken, daß er ihnen wiederholt
erklärte, es sei der, vorläufig allerdings noch geheim zu haltende Wille des
Kaisers Alexander, daß der Jugend seines Reiches und seinen Truppen
Reform=Jdeen eingeflößt würden, um hierdurch eine neue Ordnung der
Dinge herbeizuführen. Mancher Leser wird mit Recht zu einer solchen
Leichtgläubigkeit den Kopf schütteln, und in jedem andern Theile des ge-
bildeten Europa's würde man auf derartige Behauptungen ohne Bei-
bringung der erforderlichen Beweise gewiß auch keinen Werth gelegt
haben; allein da es zur Genüge in Rußland bekannt war, daß der Czar
mehrfach den Willen, wenn auch nicht die Kraft an den Tag gelegt hatte,
großartige, dem Fortschritt huldigende Reformen in seinem Reich ins Leben
treten zu lassen, da ferner dort das politische Bewußtsein selbst unter den
gebildeten Klassen nur erst sehr unvollkommen ausgebildet war, und da
man endlich wußte, daß selbst der sonst allmächtige Autokrat sein Leben
aufs Spiel setzte, wenn er es unvorsichtig gewagt hätte, das an Sklaverei
gewöhnte und zum Eigenthum nur weniger Herren herabgesunkene Volk
der Freiheit näher zu führen, so läßt es sich wohl erklären, wie es
Pestel gelang, als Emissär und geheimer Sendbote des Czaren angesehen
zu werden. Genug, sein Einfluß erweiterte sich von Tag zu Tag, und
obgleich fast der ganze Generalstab des Fürsten Wittgenstein zu den Ver-
schwornen gehörte, so hatte dieser doch nicht die entfernteste Ahnung da-
von, daß die überwiegende Mehrzahl der Offiziere der ersten und zweiten
Armee für die Pläne Pestels gewonnen war. Dieser Letztere verfuhr bei
den geheimen Zusammenkünften, welche man hatte, durchaus absolut und
ließ neben seiner Meinung keine andere aufkommen. Trotzdem gelangte man
zu keinem festen Plan; denn während Einige der Verschworenen nichts
Anderes beabsichtigten, als das Haus Romanof gänzlich auszurotten, hielten
Andere an den Grundsätzen von 1789 fest, während noch ein anderer Theil
wieder von einer Diktatur oder von einem Triumvirat sprach. Mit Un-
geduld bemerkte der ehrgeizige Pestel, daß, trotz der vielen Reden und der
häufigen Zusammenkünfte kein Resultat zu erlangen war, und wohl schon
im Voraus mit der Absicht umgehend, sich der Halben und Unentschlossenen
zu entledigen, schrieb er sowohl für die nördliche wie für die südliche Ver-
bindung eine Zusammenkunft zu Moskau aus, in welcher beide Gesellschaf-
ten durch Abgeordnete vertreten sein sollten. Eine erhebliche Anzahl von
[Spaltenumbruch] Generalen und Obersten fand sich dort ein, aber bald trat der Zwiespalt
offen hervor. Orloff, Turghenieff und andere hervorragende Häupter
erklärten ihren Austritt aus den geheimen Gesellschaften, und zu Ende
Februar 1821 wurde die Auflösung des „Bundes des öffentlichen Wohls“,
der zu Petersburg seinen Sitz hatte, ausgesprochen. Nun verständigte sich
Pestel mit dem Staatsrath Juschuneffski über einen neuen Plan, und der
Mittelpunkt der Verschwörung wurde jetzt nach Tultchin verlegt. Dort
tagte das Direktorium, während diesem zwei Ausschüsse, und zwar der
rechte unter Dawidof zu Kamenka, der linke unter Murawieff=Apostol und
unter Bestucheff=Rumin zu Wassilkoff zur Seite standen. Die Revolu-
tionen in Spanien, Neapel und Piemont trieben die Verschworenen zu
noch größerer Eile in Betreff der Ausführung ihrer Pläne an. Jm Ja-
nuar 1823 hatten sie eine Zusammenkunft zu Kiew, und dort legte Pestel
einen Verfassungs=Entwurf unter dem Titel „Russisches Grundgesetz“
vor, wobei zum Theil die neue spanische Konstitution zum Vorbild ge-
nommen worden war, in welchem gleichzeitig aber auch das ganze Reich in
Provinzen getheilt wurde, die ihre eigenen Regierungen haben und unter
sich eine Konföderation von Republiken bilden sollten. Hierbei kam auch
die Frage zur Sprache, was aus der kaiserlichen Familie werden sollte,
und Pestel, welcher sich wahrscheinlich schon im Geist als Diktator sah,
antwortetete ohne Bedenken: „Sie muß ausgerottet werden!“, ließ sich
aber später zu der Konzession herab, dieses Todesurtheil in ewige Ver-
bannung aus Rußland zu verwandeln. So weit war man einig, und es
handelte sich nur noch um die Frage, wann der große Schlag ausgeführt
werden sollte. Zuerst lag es in der Absicht, sich des Kaisers Alexander
und des ihn begleitenden Großfürsten Nicolaus bei einer Musterung der
neunten Division zu Bobruisk im Gouvernement Minsk mit Hülfe des
Jnfanterie=Regiments Saratoff und einer Anzahl verkleideter Offiziere zu
bemächtigen; da der Plan aber auf zu große Schwierigkeiten stieß, so
wurde er wieder aufgegeben. Auch ein anderer Entwurf, nach welchem
der Kaiser bei einer Revue über die dritte Abtheilung der ersten Armee
in dem Schlosse Belaja=Tserkof in dem Augenblick der Ablösung der Posten
von, als gemeine Soldaten verkleideten Offizieren überfallen und ermordet
werden sollte, gelangte nicht zur Ausführung, weil die Revue überhaupt
unterblieb. Jnzwischen hatte sich in Petersburg unter dem Vorsitz des
Fürsten Eugen Obolenski und des Hauptmanns Nikita Murawieff die
„Gesellschaft des öffentlichen Wohls“ rekonstituirt und namentlich in den
Garde=Regimentern Filial=Abtheilungen errichtet.

Während es sich in der für den Süden entworfenen Verfassung um die
Konföderation einer Anzahl kleiner Republiken handelte, wurde für den
Norden zwar die monarchische Regierungsform beibehalten, jedoch mit
solchen Einschränkungen, daß dem Kaiser nicht einmal die Macht eines
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika verblieb. Die Ver-
bindung beider geheimer Gesellschaften, des Nordens und des Südens,
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[60/0004] 60 Album. Gold und Eisen Gold. Wer ist der Stärkere Von uns Beiden? Jch bin's, der Rothe! Thürme zerbrech' ich Wie Wort' und Eide; Bündnisse kitt' ich, Bündnisse lös' ich, Feil mach' ich Alles. Heiligstes höhn' ich. Dich, Eisen, schmied' ich Zum Dolch, zur Fessel — Jch bin Dein Herr! Eisen. Der Eine hat Dich, Ein Andrer nimmt Dich Jhm aus den Händen; Ein Dritter lauert Schon hinter diesem. Wer hat Dich sicher, Dem ich nicht helfe, Gewalt verleihend, Besitzrecht schaffend? Kronen zerschlag' ich Und Kronen schmied' ich, Aus Dir, dem Gold. Gold. Als sie mich fanden, Ungeboren schliefest Du noch im Erdschoß. Jch war's — ich rief Dich, Daß du mich theiltest Unter die Finder. Du theiltest also, Daß Keiner froh ward, Daß Streit aus Streit wuchs, Todtschlag aus Todtschlag. Seit du ans Licht kamst, Warst du mein Söldling, Bliebst du mein Knecht. Eisen. Verblendet riefst du Mich aus der Tiefe; Denn hurtig lernt' ich's, Dich zu gewinnen. Geh' hin und wirke! Mach' Freundschaft, Frieden! Mach' reich, mach' gierig! Du säest die Saaten — Schneiden werd' ich sie. Frohlockend wart' ich Des Erntemorgens, Der bald mich ruft! Aus der Zeit. Zur Geschichte der geheimen politischen Gesellschaften in Rußland. ( Fortsetzung. ) Für einen so ehrgeizigen, zum Befehlen geneigten und zu jeder Gewalt- that aufgelegten Mann wie Pestel fand sich bei diesen Gesellschaften kein fruchtbarer Boden. Er wendete daher auch seine Blicke bald dem Süden des Reiches zu und suchte in der zweiten Armee Proselyten zu werben. Nachdem er unmittelbar unter den Augen seines Chefs, des Ge- nerals Grafen von Wittgenstein in der Stadt Tultchin, wo dieser sein Hauptquartier hatte, ein sogenanntes Direktorium gegründet, suchte er auf seine jüngeren Kameraden dadurch einzuwirken, daß er ihnen wiederholt erklärte, es sei der, vorläufig allerdings noch geheim zu haltende Wille des Kaisers Alexander, daß der Jugend seines Reiches und seinen Truppen Reform=Jdeen eingeflößt würden, um hierdurch eine neue Ordnung der Dinge herbeizuführen. Mancher Leser wird mit Recht zu einer solchen Leichtgläubigkeit den Kopf schütteln, und in jedem andern Theile des ge- bildeten Europa's würde man auf derartige Behauptungen ohne Bei- bringung der erforderlichen Beweise gewiß auch keinen Werth gelegt haben; allein da es zur Genüge in Rußland bekannt war, daß der Czar mehrfach den Willen, wenn auch nicht die Kraft an den Tag gelegt hatte, großartige, dem Fortschritt huldigende Reformen in seinem Reich ins Leben treten zu lassen, da ferner dort das politische Bewußtsein selbst unter den gebildeten Klassen nur erst sehr unvollkommen ausgebildet war, und da man endlich wußte, daß selbst der sonst allmächtige Autokrat sein Leben aufs Spiel setzte, wenn er es unvorsichtig gewagt hätte, das an Sklaverei gewöhnte und zum Eigenthum nur weniger Herren herabgesunkene Volk der Freiheit näher zu führen, so läßt es sich wohl erklären, wie es Pestel gelang, als Emissär und geheimer Sendbote des Czaren angesehen zu werden. Genug, sein Einfluß erweiterte sich von Tag zu Tag, und obgleich fast der ganze Generalstab des Fürsten Wittgenstein zu den Ver- schwornen gehörte, so hatte dieser doch nicht die entfernteste Ahnung da- von, daß die überwiegende Mehrzahl der Offiziere der ersten und zweiten Armee für die Pläne Pestels gewonnen war. Dieser Letztere verfuhr bei den geheimen Zusammenkünften, welche man hatte, durchaus absolut und ließ neben seiner Meinung keine andere aufkommen. Trotzdem gelangte man zu keinem festen Plan; denn während Einige der Verschworenen nichts Anderes beabsichtigten, als das Haus Romanof gänzlich auszurotten, hielten Andere an den Grundsätzen von 1789 fest, während noch ein anderer Theil wieder von einer Diktatur oder von einem Triumvirat sprach. Mit Un- geduld bemerkte der ehrgeizige Pestel, daß, trotz der vielen Reden und der häufigen Zusammenkünfte kein Resultat zu erlangen war, und wohl schon im Voraus mit der Absicht umgehend, sich der Halben und Unentschlossenen zu entledigen, schrieb er sowohl für die nördliche wie für die südliche Ver- bindung eine Zusammenkunft zu Moskau aus, in welcher beide Gesellschaf- ten durch Abgeordnete vertreten sein sollten. Eine erhebliche Anzahl von Generalen und Obersten fand sich dort ein, aber bald trat der Zwiespalt offen hervor. Orloff, Turghenieff und andere hervorragende Häupter erklärten ihren Austritt aus den geheimen Gesellschaften, und zu Ende Februar 1821 wurde die Auflösung des „Bundes des öffentlichen Wohls“, der zu Petersburg seinen Sitz hatte, ausgesprochen. Nun verständigte sich Pestel mit dem Staatsrath Juschuneffski über einen neuen Plan, und der Mittelpunkt der Verschwörung wurde jetzt nach Tultchin verlegt. Dort tagte das Direktorium, während diesem zwei Ausschüsse, und zwar der rechte unter Dawidof zu Kamenka, der linke unter Murawieff=Apostol und unter Bestucheff=Rumin zu Wassilkoff zur Seite standen. Die Revolu- tionen in Spanien, Neapel und Piemont trieben die Verschworenen zu noch größerer Eile in Betreff der Ausführung ihrer Pläne an. Jm Ja- nuar 1823 hatten sie eine Zusammenkunft zu Kiew, und dort legte Pestel einen Verfassungs=Entwurf unter dem Titel „Russisches Grundgesetz“ vor, wobei zum Theil die neue spanische Konstitution zum Vorbild ge- nommen worden war, in welchem gleichzeitig aber auch das ganze Reich in Provinzen getheilt wurde, die ihre eigenen Regierungen haben und unter sich eine Konföderation von Republiken bilden sollten. Hierbei kam auch die Frage zur Sprache, was aus der kaiserlichen Familie werden sollte, und Pestel, welcher sich wahrscheinlich schon im Geist als Diktator sah, antwortetete ohne Bedenken: „Sie muß ausgerottet werden!“, ließ sich aber später zu der Konzession herab, dieses Todesurtheil in ewige Ver- bannung aus Rußland zu verwandeln. So weit war man einig, und es handelte sich nur noch um die Frage, wann der große Schlag ausgeführt werden sollte. Zuerst lag es in der Absicht, sich des Kaisers Alexander und des ihn begleitenden Großfürsten Nicolaus bei einer Musterung der neunten Division zu Bobruisk im Gouvernement Minsk mit Hülfe des Jnfanterie=Regiments Saratoff und einer Anzahl verkleideter Offiziere zu bemächtigen; da der Plan aber auf zu große Schwierigkeiten stieß, so wurde er wieder aufgegeben. Auch ein anderer Entwurf, nach welchem der Kaiser bei einer Revue über die dritte Abtheilung der ersten Armee in dem Schlosse Belaja=Tserkof in dem Augenblick der Ablösung der Posten von, als gemeine Soldaten verkleideten Offizieren überfallen und ermordet werden sollte, gelangte nicht zur Ausführung, weil die Revue überhaupt unterblieb. Jnzwischen hatte sich in Petersburg unter dem Vorsitz des Fürsten Eugen Obolenski und des Hauptmanns Nikita Murawieff die „Gesellschaft des öffentlichen Wohls“ rekonstituirt und namentlich in den Garde=Regimentern Filial=Abtheilungen errichtet. Während es sich in der für den Süden entworfenen Verfassung um die Konföderation einer Anzahl kleiner Republiken handelte, wurde für den Norden zwar die monarchische Regierungsform beibehalten, jedoch mit solchen Einschränkungen, daß dem Kaiser nicht einmal die Macht eines Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika verblieb. Die Ver- bindung beider geheimer Gesellschaften, des Nordens und des Südens, blieb übrigens nur eine sehr lose, doch rechneten Beide auf gegenseitige Mitwirkung, wenn der von ihnen beabsichtigte Schlag zur Ausführung kommen würde. Später trat auch noch Rylejeff in das Direktorium der

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 8. Berlin, 23. Februar 1868, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt08_1868/4>, abgerufen am 17.06.2024.