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Sonntags-Blatt. Nr. 9. Berlin, 1. März 1868.

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Album. [Beginn Spaltensatz]
Amerikanisches Gedicht.
All is action, all is motion.
Thatendrang, ein ew'ges Wogen
Jst es, was der Weltgeist schafft;
Wie der Meerstrom fortgezogen
Wird der Mensch von dunkler Kraft.
Vorwärts mit gewalt'gem Schreiten
Ringt das Leben immerdar;
Mit der Frucht vergangner Zeiten
Schmückt sich jedes neue Jahr.
"Auf! Du bist zur That verbunden!" --
Spricht die Macht, die dich erschuf --
"Fluch dem Geist, der träg' befunden!"
Vorwärts, vorwärts! ist der Ruf.
[Spaltenumbruch]
Laß der Feinde Siegsruf schmettern,
Noth und Tod bedräu'n die Saat:
Klarer nur aus Sturm und Wettern
Stets das Recht der Menschheit trat.
Aus der schwersten Nacht der Sorgen,
Aus der blutdurchweichten Flur
Ringt sich doch ein bess'rer Morgen,
Strahlt der Sieg der Wahrheit nur.
Vorwärts, vorwärts ohne Wanken!
Nur im Kampf die Freiheit reift.
Schmachvoll stürzt, wer dem Gedanken
Hemmend in die Speichen greift.

( Das vorstehende Gedicht stärkte und erwärmte viele Herzen nord-
amerikanischer Freiheitskrieger während des blutigen Sezessionskampfes in
den Jahren 1861--65; möge es in deutscher Uebertragung auch den Freunden
und Vorkämpfern deutscher Einheit und Freiheit in der gegenwärtigen
schweren Zeit willkommen sein. )     Rudolph Döhn.

[Ende Spaltensatz]

Aus der Zeit.
[Beginn Spaltensatz]
Zur Geschichte der geheimen politischen Gesellschaften
in Rußland.

( Fortsetzung. )

Dieser Tag, der 26. Dezember, war jetzt erschienen. Anfangs berichtete
man dem ungeduldig harrenden Kaiser, daß die Eidesleistung bei den
meisten Regimentern ruhig und ohne Widerstand erfolgt sei; aber bald
liefen Nachrichten ein, welche erkennen ließen, daß man auch auf mehr-
seitigen Widerstand gestoßen sei. Jn der That war es den Verschworenen
unter dem Vorwand, daß Constantin nicht auf die Krone verzichtet habe,
gelungen, zunächst das Regiment Moskau zum Aufstand zu bringen. Die
Soldaten schraubten ihre beim Exerziren gebräuchlichen Holzsteine von den
Gewehrschlössern, eilten nach den Regimentskammern und versahen sich dort
mit Munition und Feuersteinen. Der Regiments=Kommandeur, General
Friedrichs, wurde, als er die Ordnung wiederherstellen wollte, durch Alexander
Bestucheff mittels eines Pistolenschusses schwer verwundet, und ebenso
streckte der Fürst Chtchepin den herbeieilenden General Chenchin zu seinen
Füßen nieder. Jetzt ergriff er eine Fahne, und gefolgt von der Mehrzahl
des Regiments und unter dem Ruf "Es lebe der Kaiser Constantin!" zog
er mit seiner Abtheilung im Sturmschritt nach dem Senatsplatz, wo er
sich hinter dem Standbild Peters des Großen aufstellte. Später gesellten
sich zu dieser Truppe noch das Marine=Bataillon und einige Kompagnien
des Grenadier=Korps, sowie ein Theil des Regiments Moskau. Wäh-
rend dessen faßte auch Nicolaus seine Entschlüsse. Er ließ sogleich
an das Regiment Semenoff und an die reitende Garde=Artillerie den Be-
fehl zum Ausrücken, respektive zum Auseinandertreiben der Aufständischen
ergehen. Den jungen achtjährigen Großfürsten Alexander übergab er dem
Regiment Finnland, welches die Wache im Winterpalast hatte, indem er
sagte: "Jch vertraue Euch meinen Sohn an, Jhr werdet ihn vertheidigen!
Es ziehen Rebellen gegen das Schloß; gehört Jhr etwa auch zu ihnen,
nun, so feuert auf Eures Kaisers Brust!" Ein Jubelruf antwortete ihm,
und unter den Worten: "Er sei Euer Kaiser, wenn ich falle!" sprengte er
in Begleitung des General=Gouverneurs von Petersburg, General Milo-
radowitsch, und eines kleinen Gefolges zum Thore hinaus, dem Jsaaks-
platze zu. Dort hatte sich der Oberst Alexis Orloff bereits mit mehreren
Schwadronen der reitenden Garde aufgestellt, während die Meuterer sich
zwischen der Jsaakskirche und dem englischen Quai in Schlachtordnung
aufgestellt hatten, wobei sich ihre Anzahl durch stets neu hinzuströmende
Soldaten vermehrte und der Ruf: "Es lebe Constantin!" auch aus den
dichtgedrängten Volksmassen ertönte. Nun ertheilte Nicolaus dem ersten
Bataillon des Regiments Preobrazenski den Befehl zum Vorrücken. Schon
als sich die ersten Trommelschläge vernehmen ließen, zerstob die Volks-
masse. Der Platz zwischen dem Kaiser und den Aufständischen war
jetzt frei. Aus den Reihen der Letzteren sprengte plötzlich ein Offizier mit
verhängten Zügeln auf den Czaren zu, mit der rechten Hand eine Schuß-
waffe unter seiner Uniform verbergend. Schon umringt die Umgebung
Nicolaus' denselben ängstlich, um ihn zu schützen, da winkt dieser und
sprengt dem Nahenden bis auf eine Pferdelänge entgegen. "Halt! -- Was
bringst Du mir?" fragt er den Offizier, ihm fest ins Auge sehend, und
dieser, bestürzt, parirt sein Pferd, bleibt einen Augenblick zweifelnd halten
und kehrt dann, sein Thier herumreißend, zu den Seinen zurück. Jnzwi-
schen nahte sich die Katastrophe ihrem Ausgange. Ein Theil der Auf-
ständischen bildete Quarree, als die dem Kaiser treu gebliebenen Truppen
anrückten. Ein Angriff des Regiments Moskau auf das Senatsgebäude
war abgeschlagen worden; ein anderer Versuch des Lieutenants Panoff,
sich der Citadelle von Petersburg zu bemächtigen, war ebenfalls mißglückt.
[Spaltenumbruch] Jetzt rückte der Großfürst Michael mit einem Theil des Regiments Moskau*)
gegen die verführten und von ihren Führern theilweise verlassenen Soldaten
heran, während sich gleichzeitig Kavallerie=Abtheilungen in Bewegung
setzten, um die Empörer von allen Seiten einzuschließen. Erst als der
General Miloradowitsch bei einem Versuch, die verführten Soldaten zur
Pflicht zurückzuführen, von Kakhofski durch einen Pistolenschuß tödtlich
verwundet worden war, erst als die niedrigste, vom Branntwein auf-
geregte Volksmasse Anstalt machte, sich mit den Meuterern zu verbinden,
und die Dunkelheit völlig einzutreten drohte, erst dann, als alle Mittel
des Zuredens sich nutzlos zeigten, gab der Kaiser den Befehl zum Angriff,
und zwar zunächst erst zu einem Scheinangriff. Da dieser aber nicht den
gewünschten Erfolg hatte, sondern die Kavallerie vielmehr mit einer
Salve empfangen wurde und sich ein lebhafter Widerstand seitens der
Angegriffenen zeigte, so wurde, als bereits die Nacht hereingebrochen war,
der Befehl zum Auffahren der Artillerie ertheilt. Auch jetzt erließ der
Kaiser noch einmal die Aufforderung an die Empörer, sich zu unterwerfen,
und erst da als Antwort hierauf abermals der Ruf: "Es lebe Constantin!
Es lebe die Konstitution!" ertönte, machte man Ernst, und bald rasselten
die Kartätschen in die Reihen der Aufständischen. Die Wirkung hiervon in
den dichtgedrängten Reihen der Angegriffenen war eine verheerende, und
als die zweite Salve erfolgt war, zerstreuten sich Soldaten und Matrosen
in wilder Flucht nach allen Seiten. Von der reitenden und der Adels-
garde verfolgt, nahm man Trupps bis zur Stärke von fünfhundert Mann
gefangen, Viele wurden niedergehauen oder durch die nachgesandten Kugeln
getödtet. Wie groß die Zahl der Letzteren war, ist nie bekannt geworden,
da dieselben sogleich in weite Oeffnungen geworfen wurden, welche man
in das Eis der Newa gehauen hatte.

Während noch an dem nämlichen Abend in der Kapelle des Winter-
palastes für die glückliche Niederwerfung des Aufstandes ein Tedeum ge-
sungen wurde, hatten sich die aufständischen Truppen in ihre Kasernen
zurückgezogen und erwarteten dort die Gnade des Siegers, welche denn
auch, den Umständen angemessen, für die Gemeinen milde genug ausfiel,
indem man sich damit begnügte, sie nachträglich den verweigerten Eid
schwören zu lassen. Anders behandelte man natürlich die Leiter dieser
unüberlegten und planlosen Verschwörung. Rylejeff, einer der Direktoren,
kehrte in seine Wohnung zurück, wo sich noch eine Anzahl anderer Ver-
schworener einfanden; sie konnten zu keinem Entschluß gelangen und fielen
bald in die Hände der Behörden. Der Fürst Trubetzkoi, den man seines
Namens wegen an die Spitze des verunglückten Unternehmens gestellt
hatte, benahm sich feig, ohne deßhalb seinem Schicksal entgehen zu können.
Schon beim Beginn der Revolte hatte er sich, statt auf den Senatsplatz
zu eilen, nach der Kanzlei des Generalstabes begeben und dort dem Kaiser
den Eid der Treue abgelegt. Von dort begab er sich zu seiner Schwester,
dann zu seiner Schwiegermutter, der Gräfin Laval, und schließlich zu
seinem Schwager, dem österreichischen Gesandten, Herrn von Lebzeltern.
Hier glaubte er sich sicher, doch auf Verlangen des Ministers der aus-
wärtigen Angelegenheiten, Graf Nesselrode, wurde er an die russische Re-
gierung ausgeliefert. Da er alle auf das Komplott bezüglichen Papiere
in der Eile in seiner Wohnung zurückgelassen hatte, so stürzte er dadurch
seine Freunde, die ihr ganzes Vertrauen in ihn gesetzt hatten, ins Ver-
derben. Was er sowohl, wie diese, für ein Ende genommen haben, werden
wir später berichten, für jetzt müssen wir uns mit der Süd=Armee beschäf-
tigen, die sich, der Verabredung gemäß, gleichzeitig mit den Regimentern
in Petersburg erheben sollte. Wie wir wissen, befand sich dort der
[Ende Spaltensatz]

*) Ein Theil des Regiments hatte sich bekanntlich dem Aufstand an-
geschlossen.

Album. [Beginn Spaltensatz]
Amerikanisches Gedicht.
All is action, all is motion.
Thatendrang, ein ew'ges Wogen
Jst es, was der Weltgeist schafft;
Wie der Meerstrom fortgezogen
Wird der Mensch von dunkler Kraft.
Vorwärts mit gewalt'gem Schreiten
Ringt das Leben immerdar;
Mit der Frucht vergangner Zeiten
Schmückt sich jedes neue Jahr.
„Auf! Du bist zur That verbunden!“ —
Spricht die Macht, die dich erschuf —
„Fluch dem Geist, der träg' befunden!“
Vorwärts, vorwärts! ist der Ruf.
[Spaltenumbruch]
Laß der Feinde Siegsruf schmettern,
Noth und Tod bedräu'n die Saat:
Klarer nur aus Sturm und Wettern
Stets das Recht der Menschheit trat.
Aus der schwersten Nacht der Sorgen,
Aus der blutdurchweichten Flur
Ringt sich doch ein bess'rer Morgen,
Strahlt der Sieg der Wahrheit nur.
Vorwärts, vorwärts ohne Wanken!
Nur im Kampf die Freiheit reift.
Schmachvoll stürzt, wer dem Gedanken
Hemmend in die Speichen greift.

( Das vorstehende Gedicht stärkte und erwärmte viele Herzen nord-
amerikanischer Freiheitskrieger während des blutigen Sezessionskampfes in
den Jahren 1861—65; möge es in deutscher Uebertragung auch den Freunden
und Vorkämpfern deutscher Einheit und Freiheit in der gegenwärtigen
schweren Zeit willkommen sein. )     Rudolph Döhn.

[Ende Spaltensatz]

Aus der Zeit.
[Beginn Spaltensatz]
Zur Geschichte der geheimen politischen Gesellschaften
in Rußland.

( Fortsetzung. )

Dieser Tag, der 26. Dezember, war jetzt erschienen. Anfangs berichtete
man dem ungeduldig harrenden Kaiser, daß die Eidesleistung bei den
meisten Regimentern ruhig und ohne Widerstand erfolgt sei; aber bald
liefen Nachrichten ein, welche erkennen ließen, daß man auch auf mehr-
seitigen Widerstand gestoßen sei. Jn der That war es den Verschworenen
unter dem Vorwand, daß Constantin nicht auf die Krone verzichtet habe,
gelungen, zunächst das Regiment Moskau zum Aufstand zu bringen. Die
Soldaten schraubten ihre beim Exerziren gebräuchlichen Holzsteine von den
Gewehrschlössern, eilten nach den Regimentskammern und versahen sich dort
mit Munition und Feuersteinen. Der Regiments=Kommandeur, General
Friedrichs, wurde, als er die Ordnung wiederherstellen wollte, durch Alexander
Bestucheff mittels eines Pistolenschusses schwer verwundet, und ebenso
streckte der Fürst Chtchepin den herbeieilenden General Chenchin zu seinen
Füßen nieder. Jetzt ergriff er eine Fahne, und gefolgt von der Mehrzahl
des Regiments und unter dem Ruf „Es lebe der Kaiser Constantin!“ zog
er mit seiner Abtheilung im Sturmschritt nach dem Senatsplatz, wo er
sich hinter dem Standbild Peters des Großen aufstellte. Später gesellten
sich zu dieser Truppe noch das Marine=Bataillon und einige Kompagnien
des Grenadier=Korps, sowie ein Theil des Regiments Moskau. Wäh-
rend dessen faßte auch Nicolaus seine Entschlüsse. Er ließ sogleich
an das Regiment Semenoff und an die reitende Garde=Artillerie den Be-
fehl zum Ausrücken, respektive zum Auseinandertreiben der Aufständischen
ergehen. Den jungen achtjährigen Großfürsten Alexander übergab er dem
Regiment Finnland, welches die Wache im Winterpalast hatte, indem er
sagte: „Jch vertraue Euch meinen Sohn an, Jhr werdet ihn vertheidigen!
Es ziehen Rebellen gegen das Schloß; gehört Jhr etwa auch zu ihnen,
nun, so feuert auf Eures Kaisers Brust!“ Ein Jubelruf antwortete ihm,
und unter den Worten: „Er sei Euer Kaiser, wenn ich falle!“ sprengte er
in Begleitung des General=Gouverneurs von Petersburg, General Milo-
radowitsch, und eines kleinen Gefolges zum Thore hinaus, dem Jsaaks-
platze zu. Dort hatte sich der Oberst Alexis Orloff bereits mit mehreren
Schwadronen der reitenden Garde aufgestellt, während die Meuterer sich
zwischen der Jsaakskirche und dem englischen Quai in Schlachtordnung
aufgestellt hatten, wobei sich ihre Anzahl durch stets neu hinzuströmende
Soldaten vermehrte und der Ruf: „Es lebe Constantin!“ auch aus den
dichtgedrängten Volksmassen ertönte. Nun ertheilte Nicolaus dem ersten
Bataillon des Regiments Preobrazenski den Befehl zum Vorrücken. Schon
als sich die ersten Trommelschläge vernehmen ließen, zerstob die Volks-
masse. Der Platz zwischen dem Kaiser und den Aufständischen war
jetzt frei. Aus den Reihen der Letzteren sprengte plötzlich ein Offizier mit
verhängten Zügeln auf den Czaren zu, mit der rechten Hand eine Schuß-
waffe unter seiner Uniform verbergend. Schon umringt die Umgebung
Nicolaus' denselben ängstlich, um ihn zu schützen, da winkt dieser und
sprengt dem Nahenden bis auf eine Pferdelänge entgegen. „Halt! — Was
bringst Du mir?“ fragt er den Offizier, ihm fest ins Auge sehend, und
dieser, bestürzt, parirt sein Pferd, bleibt einen Augenblick zweifelnd halten
und kehrt dann, sein Thier herumreißend, zu den Seinen zurück. Jnzwi-
schen nahte sich die Katastrophe ihrem Ausgange. Ein Theil der Auf-
ständischen bildete Quarrée, als die dem Kaiser treu gebliebenen Truppen
anrückten. Ein Angriff des Regiments Moskau auf das Senatsgebäude
war abgeschlagen worden; ein anderer Versuch des Lieutenants Panoff,
sich der Citadelle von Petersburg zu bemächtigen, war ebenfalls mißglückt.
[Spaltenumbruch] Jetzt rückte der Großfürst Michael mit einem Theil des Regiments Moskau*)
gegen die verführten und von ihren Führern theilweise verlassenen Soldaten
heran, während sich gleichzeitig Kavallerie=Abtheilungen in Bewegung
setzten, um die Empörer von allen Seiten einzuschließen. Erst als der
General Miloradowitsch bei einem Versuch, die verführten Soldaten zur
Pflicht zurückzuführen, von Kakhofski durch einen Pistolenschuß tödtlich
verwundet worden war, erst als die niedrigste, vom Branntwein auf-
geregte Volksmasse Anstalt machte, sich mit den Meuterern zu verbinden,
und die Dunkelheit völlig einzutreten drohte, erst dann, als alle Mittel
des Zuredens sich nutzlos zeigten, gab der Kaiser den Befehl zum Angriff,
und zwar zunächst erst zu einem Scheinangriff. Da dieser aber nicht den
gewünschten Erfolg hatte, sondern die Kavallerie vielmehr mit einer
Salve empfangen wurde und sich ein lebhafter Widerstand seitens der
Angegriffenen zeigte, so wurde, als bereits die Nacht hereingebrochen war,
der Befehl zum Auffahren der Artillerie ertheilt. Auch jetzt erließ der
Kaiser noch einmal die Aufforderung an die Empörer, sich zu unterwerfen,
und erst da als Antwort hierauf abermals der Ruf: „Es lebe Constantin!
Es lebe die Konstitution!“ ertönte, machte man Ernst, und bald rasselten
die Kartätschen in die Reihen der Aufständischen. Die Wirkung hiervon in
den dichtgedrängten Reihen der Angegriffenen war eine verheerende, und
als die zweite Salve erfolgt war, zerstreuten sich Soldaten und Matrosen
in wilder Flucht nach allen Seiten. Von der reitenden und der Adels-
garde verfolgt, nahm man Trupps bis zur Stärke von fünfhundert Mann
gefangen, Viele wurden niedergehauen oder durch die nachgesandten Kugeln
getödtet. Wie groß die Zahl der Letzteren war, ist nie bekannt geworden,
da dieselben sogleich in weite Oeffnungen geworfen wurden, welche man
in das Eis der Newa gehauen hatte.

Während noch an dem nämlichen Abend in der Kapelle des Winter-
palastes für die glückliche Niederwerfung des Aufstandes ein Tedeum ge-
sungen wurde, hatten sich die aufständischen Truppen in ihre Kasernen
zurückgezogen und erwarteten dort die Gnade des Siegers, welche denn
auch, den Umständen angemessen, für die Gemeinen milde genug ausfiel,
indem man sich damit begnügte, sie nachträglich den verweigerten Eid
schwören zu lassen. Anders behandelte man natürlich die Leiter dieser
unüberlegten und planlosen Verschwörung. Rylejeff, einer der Direktoren,
kehrte in seine Wohnung zurück, wo sich noch eine Anzahl anderer Ver-
schworener einfanden; sie konnten zu keinem Entschluß gelangen und fielen
bald in die Hände der Behörden. Der Fürst Trubetzkoi, den man seines
Namens wegen an die Spitze des verunglückten Unternehmens gestellt
hatte, benahm sich feig, ohne deßhalb seinem Schicksal entgehen zu können.
Schon beim Beginn der Revolte hatte er sich, statt auf den Senatsplatz
zu eilen, nach der Kanzlei des Generalstabes begeben und dort dem Kaiser
den Eid der Treue abgelegt. Von dort begab er sich zu seiner Schwester,
dann zu seiner Schwiegermutter, der Gräfin Laval, und schließlich zu
seinem Schwager, dem österreichischen Gesandten, Herrn von Lebzeltern.
Hier glaubte er sich sicher, doch auf Verlangen des Ministers der aus-
wärtigen Angelegenheiten, Graf Nesselrode, wurde er an die russische Re-
gierung ausgeliefert. Da er alle auf das Komplott bezüglichen Papiere
in der Eile in seiner Wohnung zurückgelassen hatte, so stürzte er dadurch
seine Freunde, die ihr ganzes Vertrauen in ihn gesetzt hatten, ins Ver-
derben. Was er sowohl, wie diese, für ein Ende genommen haben, werden
wir später berichten, für jetzt müssen wir uns mit der Süd=Armee beschäf-
tigen, die sich, der Verabredung gemäß, gleichzeitig mit den Regimentern
in Petersburg erheben sollte. Wie wir wissen, befand sich dort der
[Ende Spaltensatz]

*) Ein Theil des Regiments hatte sich bekanntlich dem Aufstand an-
geschlossen.
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[68/0004] 68 Album. Amerikanisches Gedicht. All is action, all is motion. Thatendrang, ein ew'ges Wogen Jst es, was der Weltgeist schafft; Wie der Meerstrom fortgezogen Wird der Mensch von dunkler Kraft. Vorwärts mit gewalt'gem Schreiten Ringt das Leben immerdar; Mit der Frucht vergangner Zeiten Schmückt sich jedes neue Jahr. „Auf! Du bist zur That verbunden!“ — Spricht die Macht, die dich erschuf — „Fluch dem Geist, der träg' befunden!“ Vorwärts, vorwärts! ist der Ruf. Laß der Feinde Siegsruf schmettern, Noth und Tod bedräu'n die Saat: Klarer nur aus Sturm und Wettern Stets das Recht der Menschheit trat. Aus der schwersten Nacht der Sorgen, Aus der blutdurchweichten Flur Ringt sich doch ein bess'rer Morgen, Strahlt der Sieg der Wahrheit nur. Vorwärts, vorwärts ohne Wanken! Nur im Kampf die Freiheit reift. Schmachvoll stürzt, wer dem Gedanken Hemmend in die Speichen greift. ( Das vorstehende Gedicht stärkte und erwärmte viele Herzen nord- amerikanischer Freiheitskrieger während des blutigen Sezessionskampfes in den Jahren 1861—65; möge es in deutscher Uebertragung auch den Freunden und Vorkämpfern deutscher Einheit und Freiheit in der gegenwärtigen schweren Zeit willkommen sein. ) Rudolph Döhn. Aus der Zeit. Zur Geschichte der geheimen politischen Gesellschaften in Rußland. ( Fortsetzung. ) Dieser Tag, der 26. Dezember, war jetzt erschienen. Anfangs berichtete man dem ungeduldig harrenden Kaiser, daß die Eidesleistung bei den meisten Regimentern ruhig und ohne Widerstand erfolgt sei; aber bald liefen Nachrichten ein, welche erkennen ließen, daß man auch auf mehr- seitigen Widerstand gestoßen sei. Jn der That war es den Verschworenen unter dem Vorwand, daß Constantin nicht auf die Krone verzichtet habe, gelungen, zunächst das Regiment Moskau zum Aufstand zu bringen. Die Soldaten schraubten ihre beim Exerziren gebräuchlichen Holzsteine von den Gewehrschlössern, eilten nach den Regimentskammern und versahen sich dort mit Munition und Feuersteinen. Der Regiments=Kommandeur, General Friedrichs, wurde, als er die Ordnung wiederherstellen wollte, durch Alexander Bestucheff mittels eines Pistolenschusses schwer verwundet, und ebenso streckte der Fürst Chtchepin den herbeieilenden General Chenchin zu seinen Füßen nieder. Jetzt ergriff er eine Fahne, und gefolgt von der Mehrzahl des Regiments und unter dem Ruf „Es lebe der Kaiser Constantin!“ zog er mit seiner Abtheilung im Sturmschritt nach dem Senatsplatz, wo er sich hinter dem Standbild Peters des Großen aufstellte. Später gesellten sich zu dieser Truppe noch das Marine=Bataillon und einige Kompagnien des Grenadier=Korps, sowie ein Theil des Regiments Moskau. Wäh- rend dessen faßte auch Nicolaus seine Entschlüsse. Er ließ sogleich an das Regiment Semenoff und an die reitende Garde=Artillerie den Be- fehl zum Ausrücken, respektive zum Auseinandertreiben der Aufständischen ergehen. Den jungen achtjährigen Großfürsten Alexander übergab er dem Regiment Finnland, welches die Wache im Winterpalast hatte, indem er sagte: „Jch vertraue Euch meinen Sohn an, Jhr werdet ihn vertheidigen! Es ziehen Rebellen gegen das Schloß; gehört Jhr etwa auch zu ihnen, nun, so feuert auf Eures Kaisers Brust!“ Ein Jubelruf antwortete ihm, und unter den Worten: „Er sei Euer Kaiser, wenn ich falle!“ sprengte er in Begleitung des General=Gouverneurs von Petersburg, General Milo- radowitsch, und eines kleinen Gefolges zum Thore hinaus, dem Jsaaks- platze zu. Dort hatte sich der Oberst Alexis Orloff bereits mit mehreren Schwadronen der reitenden Garde aufgestellt, während die Meuterer sich zwischen der Jsaakskirche und dem englischen Quai in Schlachtordnung aufgestellt hatten, wobei sich ihre Anzahl durch stets neu hinzuströmende Soldaten vermehrte und der Ruf: „Es lebe Constantin!“ auch aus den dichtgedrängten Volksmassen ertönte. Nun ertheilte Nicolaus dem ersten Bataillon des Regiments Preobrazenski den Befehl zum Vorrücken. Schon als sich die ersten Trommelschläge vernehmen ließen, zerstob die Volks- masse. Der Platz zwischen dem Kaiser und den Aufständischen war jetzt frei. Aus den Reihen der Letzteren sprengte plötzlich ein Offizier mit verhängten Zügeln auf den Czaren zu, mit der rechten Hand eine Schuß- waffe unter seiner Uniform verbergend. Schon umringt die Umgebung Nicolaus' denselben ängstlich, um ihn zu schützen, da winkt dieser und sprengt dem Nahenden bis auf eine Pferdelänge entgegen. „Halt! — Was bringst Du mir?“ fragt er den Offizier, ihm fest ins Auge sehend, und dieser, bestürzt, parirt sein Pferd, bleibt einen Augenblick zweifelnd halten und kehrt dann, sein Thier herumreißend, zu den Seinen zurück. Jnzwi- schen nahte sich die Katastrophe ihrem Ausgange. Ein Theil der Auf- ständischen bildete Quarrée, als die dem Kaiser treu gebliebenen Truppen anrückten. Ein Angriff des Regiments Moskau auf das Senatsgebäude war abgeschlagen worden; ein anderer Versuch des Lieutenants Panoff, sich der Citadelle von Petersburg zu bemächtigen, war ebenfalls mißglückt. Jetzt rückte der Großfürst Michael mit einem Theil des Regiments Moskau *) gegen die verführten und von ihren Führern theilweise verlassenen Soldaten heran, während sich gleichzeitig Kavallerie=Abtheilungen in Bewegung setzten, um die Empörer von allen Seiten einzuschließen. Erst als der General Miloradowitsch bei einem Versuch, die verführten Soldaten zur Pflicht zurückzuführen, von Kakhofski durch einen Pistolenschuß tödtlich verwundet worden war, erst als die niedrigste, vom Branntwein auf- geregte Volksmasse Anstalt machte, sich mit den Meuterern zu verbinden, und die Dunkelheit völlig einzutreten drohte, erst dann, als alle Mittel des Zuredens sich nutzlos zeigten, gab der Kaiser den Befehl zum Angriff, und zwar zunächst erst zu einem Scheinangriff. Da dieser aber nicht den gewünschten Erfolg hatte, sondern die Kavallerie vielmehr mit einer Salve empfangen wurde und sich ein lebhafter Widerstand seitens der Angegriffenen zeigte, so wurde, als bereits die Nacht hereingebrochen war, der Befehl zum Auffahren der Artillerie ertheilt. Auch jetzt erließ der Kaiser noch einmal die Aufforderung an die Empörer, sich zu unterwerfen, und erst da als Antwort hierauf abermals der Ruf: „Es lebe Constantin! Es lebe die Konstitution!“ ertönte, machte man Ernst, und bald rasselten die Kartätschen in die Reihen der Aufständischen. Die Wirkung hiervon in den dichtgedrängten Reihen der Angegriffenen war eine verheerende, und als die zweite Salve erfolgt war, zerstreuten sich Soldaten und Matrosen in wilder Flucht nach allen Seiten. Von der reitenden und der Adels- garde verfolgt, nahm man Trupps bis zur Stärke von fünfhundert Mann gefangen, Viele wurden niedergehauen oder durch die nachgesandten Kugeln getödtet. Wie groß die Zahl der Letzteren war, ist nie bekannt geworden, da dieselben sogleich in weite Oeffnungen geworfen wurden, welche man in das Eis der Newa gehauen hatte. Während noch an dem nämlichen Abend in der Kapelle des Winter- palastes für die glückliche Niederwerfung des Aufstandes ein Tedeum ge- sungen wurde, hatten sich die aufständischen Truppen in ihre Kasernen zurückgezogen und erwarteten dort die Gnade des Siegers, welche denn auch, den Umständen angemessen, für die Gemeinen milde genug ausfiel, indem man sich damit begnügte, sie nachträglich den verweigerten Eid schwören zu lassen. Anders behandelte man natürlich die Leiter dieser unüberlegten und planlosen Verschwörung. Rylejeff, einer der Direktoren, kehrte in seine Wohnung zurück, wo sich noch eine Anzahl anderer Ver- schworener einfanden; sie konnten zu keinem Entschluß gelangen und fielen bald in die Hände der Behörden. Der Fürst Trubetzkoi, den man seines Namens wegen an die Spitze des verunglückten Unternehmens gestellt hatte, benahm sich feig, ohne deßhalb seinem Schicksal entgehen zu können. Schon beim Beginn der Revolte hatte er sich, statt auf den Senatsplatz zu eilen, nach der Kanzlei des Generalstabes begeben und dort dem Kaiser den Eid der Treue abgelegt. Von dort begab er sich zu seiner Schwester, dann zu seiner Schwiegermutter, der Gräfin Laval, und schließlich zu seinem Schwager, dem österreichischen Gesandten, Herrn von Lebzeltern. Hier glaubte er sich sicher, doch auf Verlangen des Ministers der aus- wärtigen Angelegenheiten, Graf Nesselrode, wurde er an die russische Re- gierung ausgeliefert. Da er alle auf das Komplott bezüglichen Papiere in der Eile in seiner Wohnung zurückgelassen hatte, so stürzte er dadurch seine Freunde, die ihr ganzes Vertrauen in ihn gesetzt hatten, ins Ver- derben. Was er sowohl, wie diese, für ein Ende genommen haben, werden wir später berichten, für jetzt müssen wir uns mit der Süd=Armee beschäf- tigen, die sich, der Verabredung gemäß, gleichzeitig mit den Regimentern in Petersburg erheben sollte. Wie wir wissen, befand sich dort der *) Ein Theil des Regiments hatte sich bekanntlich dem Aufstand an- geschlossen.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 9. Berlin, 1. März 1868, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt09_1868/4>, abgerufen am 26.06.2024.