Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sonntags-Blatt. Nr. 17. Berlin, 26. April 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] ist sie der stumme Zeuge kindlicher Spiele, der Gegenstand kindlich
naiver Neugier, und welche schönen Lehren kann eine aufmerksame Mutter
bei ihrer Erklärung in das leicht empfängliche, wißbegierige Herz des
Kindes pflanzen! Denn giebt es wohl ein schöneres Muster für Fleiß,
Sauberkeit und Akkuratesse, als die Nähmaschine? Bedarf es noch eines
sprechenderen Zeugen für die reiche Phantasie des menschlichen Geistes,
als ihren einfachen und doch so fein gegliederten Organismus? Schauen
wir ein Paar Schritte weiter in das menschliche Leben: das weiße Kleid
der Unschuld, in dem das Mädchen am letzten Tage der Kindheit vor den
Altar tritt, sowie die elegante Ballrobe sind bereits von ihr gefertigt, und
zieht nun gar der süße Engel der Liebe in das jungfräuliche Herz, wie
klingt dann doppelt anheimelnd das eintönige Prickeln ihrer Räder und
Rädchen -- gilt es doch, den schönsten Schmuck des Lebens, das Braut-
gewand, herzustellen. Die erste Ausstattung für dieses Dasein empfangen
wir von ihrem Fleiß, aber auch die letzte giebt sie uns mit in das Grab.

( Schluß folgt. )



Giuseppe Mazzini's Schriften.
Aus dem Jtalienischen, mit einem Vorwort von Ludmilla Assing.
Zwei Bände. Hamburg, 1868.
( Schluß. )

Italien war zur Ruhe gebracht; die österreichischen Heere hatten
das aufrührerische Piemont besiegt, die Franzosen zogen in Rom
ein. Mazzini war wieder im Exil. Er trug den Haß gegen die
Unterdrücker seines Vaterlandes mit sich fort, der sich jetzt beson-
ders gegen Napoleon richtete. Alles hatte er aufgeopfert, jedem
menschlichen Glück entsagt, um ganz und gar für das Eine wirken
zu können, das ihm am Herzen lag, die Auferstehung seines Volks.
Jetzt saß er wieder in seiner Kammer, die nicht größer als seine Ge-
fängnißzelle, und von Neuem nahm er den Kampf für sein Jdeal
auf. Aber in Jtalien selbst vollzog sich allmälig ein Umschwung der
Gedanken und Hoffnungen. Man sah die Nothwendigkeit ein, sich
um einen Kern der Macht zu schaaren, einen sicheren Anhaltpunkt
für die nationalen Bestrebungen zu gewinnen. "Von vielen Seiten
aus dem Jn= und Ausland", schreibt er, "gehen uns Briefe von
Männern zu, welche, indem sie erklären, an unser Jdeal zu glauben,
gleichzeitig erklären, daß, ehe man es zur Ausführung bringen könne,
man Jtalien für die Jtaliener wiedererobern müsse; daß das Ge-
heimniß, dies zu erreichen, darin bestände, zu diesem Zweck die größte
Zahl aller möglichen Elemente zusammenströmen zu lassen, daß unter
diesen Elementen die ersten, weil bereits geordnet, die achtzigtausend
Mann sind, welche die piemontesische Monarchie gegen Oesterreich auf-
stellen könnte, nnd daß wir folglich in einen schweren Jrrthum ver-
fallen, wenn wir, gegen die Monarchie predigend, diese mögliche Hülfe
dem künftigen nationalen Krieg entziehen". So schreibt er noch im
Jahre 1858. Der Umschwung aber war bereits geschehen. Ein
großer Theil seiner Parteigenossen war zu Victor Emanuel und
Cavour übergetreten; von Piemont hoffte man, was man bisher von
der Fahne der Republik vergeblich erhofft hatte.

Mit den eindringlichsten Mahnungen warnte er vor diesem Ver-
lassen der republikanischen Fahne. "Das italienische Volk ist heut in
einer Täuschung befangen, die es dazu verleitet, die materielle Einheit
an die Stelle der sittlichen Einheit und seiner eigenen Wiedergeburt
zu setzen; ich habe diese Täuschung nicht. Jch beuge traurig das
Haupt; aber die Monarchie wird mich weder als Beamten noch als
Diener haben, und die Zukunft wird lehren, ob mein Glauben sich
auf die Wahrheit gründet". Er nennt es einen Verrath an der na-
tionalen Sache, wenn das Geschick Jtaliens an das Piemonts ge-
knüpft werde. Er eifert gegen die Sekte von Männern, welche sich
praktisch nennen, die mit geheimen Absichten und Einfluß auf Mäch-
tige prahlen, welchen es gelegen ist, sie zu benutzen, die sich für die
Besitzer einer tiefen politischen Weisheit ausgeben und eine gläubige,
unerzogene Masse hinter sich herschleppen. Da die piemontesische Po-
litik darauf ausgeht, für sich einen Zuwachs an Macht zu suchen, da
nicht auf eine allgemeine Erhebung Jtaliens das Ziel derselben ge-
richtet ist, verwirft er jede Annäherung seiner Partei an Cavour.
"Piemont wird uns nimmermehr Rom geben können. Kann ein
König zu jenem Alten, welcher jenen Sitz ohne Sendung einnimmt,
aber die höchste Formel der Vergangenheit vertritt, sagen: Steige von
jenem Sitz herab, vor welchem auch heut noch die Regierungen
Europa's die Miene annehmen, sich ehrfurchtsvoll zu verbeugen, vor
welchem auch ich mich noch gestern beugte; ich steige nun anstatt
Deiner hinauf! Kann ein König sich zu einem politischen Revolutionär
und religiösen Reformator zu gleicher Zeit machen, in sich Cromwell
und Heinrich VIII. vereinigen?"

Nachdem der Friede von Villafranca geschlossen ist, erhebt er
[Spaltenumbruch] wieder seine Stimme, um den Verrath Napoleons an Jtalien zu
konstatiren. Er klagt den König Victor Emanuel heftig an, daß er
das gemeinsame Geschick Mailands und Venedigs habe zerreißen
lassen. Aber als dann im Süden die Volkserhebung erfolgt, als
Garibaldi mit seinen Freischaaren nach Sizilien hinübersegelt und das
für die Monarchie zu erreichen sucht, was diese selbst wünscht und
nicht wagt, da tönt sein begeisterter Ruf: "Jtalien ist nicht todt.
Es sucht, wartet, ruft die Jnitiatoren." --

Jndem wir in dieser Reihe der Ereignisse die Stellung Mazzini's
zu denselben durch Einschiebung seiner eigenen Worte darzuthun
suchten, haben wir zugleich den Jnhalt der zwei Bände zum größten
Theil bezeichnet. Kleine Aufsätze und Bruchstücke aus größeren
Schriften wechseln mit längeren Abhandlungen -- Flugschriften, welche
seine Jdeen in ihren Konsequenzen erörtern. Einen Theil des zweiten
Bandes füllt sein Manifest an die Arbeiter, "die Pflichten des Men-
schen ", 1860 geschrieben. Mazzini selbst betont es in dem Brief,
welcher an die Uebersetzerin gerichtet und dem Werk vorgedruckt ist,
daß seine Schriften immer durch einen unmittelbaren Zweck veranlaßt
wurden. "Jch mußte schreiben, als wenn ich kämpfte, und der Ge-
danke wurde immer von der Thatsache beschränkt, von dem, was in
der Jugend meiner Nation zerstört werden mußte. Dessenungeachtet
ist es vielleicht nicht überflüssig, daß man sehe, wie ein Ziel zu dem
Streben veranlaßt, den Gedanken der That dienen zu lassen, dem
einzigen Ziel, welches in der Zeitepoche, in welcher wir geboren wur-
den, wahrhaft wichtig ist."

So kann es nicht anders sein, als daß diese Schriften Mazzini's
für uns einen sehr verschiedenen Werth habeu. Die große Summe
der republikanischen Lehren, wie sie in denselben entwickelt sind, hat
bereits in Deutschland, namentlich in den Bewegungsjahren, mannich-
fache Vertreter gefunden. Aus dem Umsturz des Bestehenden baut
er sich eine neue Welt auf, eine Welt des Gedankens, ohne faßbare
Grundlage. Darum war es ihm unmöglich, in dem neuen Jtalien
für seine Jdeen eine Stätte zu gründen, darum auch ist für ihn selbst
keine Stätte in seinem Vaterland. Und dennoch -- Mazzini's Name
ist mit der Erweckung der italienischen Nation eng verflochten. Man
mag ihm einen Antheil geben, so gering man wolle, an den that-
sächlichen Fortschritten, welche dort die Einigung gemacht hat: die
mächtige Wirkung seiner Schriften hat viel dazu beigetragen, diese
Einigung möglich zu machen. Es braucht nicht des Einverständnisses
mit seinen Jdeen, um mit dem höchsten Erstaunen in die Blätter
seiner Schriften zu blicken und von der glühenden Auffassung aller
der Rechte und Pflichten, welche eine Nation in sich faßt, ergriffen
zu werden, um vor dieser idealistischen Kraft eines Mannes Achtung
zu hegen, der sein Leben daran gesetzt hat, sein Volk zu höherer,
edler Anschauung zu erheben. Denn er ist ein Jdealist, wie er uns
aus diesen Schriften entgegentritt. Er streut die Begeisterung aus,
weil er selbst tief innerlich für seine Zwecke begeistert ist. Die heiße
Sonne Jtaliens hat in ihm eine Beredsamkeit erweckt, welche wir
vergeblich in unseren nordischen Volksschriften suchen würden.

Die Art und Weise, wie er auf das Volk zu wirken strebt, giebt
ihm vor Allem eine hervorragende Bedeutung. Wenn er ihm zuruft,
daß es selbst der Jnbegriff aller Rechte, aller Macht, alles Willens,
Schiedsrichter, Mittelpunkt, lebendiges Gesetz der Welt sei, thut er
es nicht, ohne die beredtesten Ermahnungen vorausgehen zu lassen,
erst in sich selbst einen Läuterungsprozeß zu vollziehen. Als Grund-
bedingung für die Erfüllung seiner Wünsche stellt er die Erziehung
des Volkes auf. Dahin zu wirken, daß das lang unterdrückte Volk
sich aus seinem Schmutz erhebe, gilt ihm als heilige Pflicht. Er
weist den Arbeiter auf seine Familie hin, auf die sittlichen Bande,
welche den Menschen zum Vorwärtsstreben begeistern müssen. "Gebt
Acht", ruft er ihm zu, "und glaubt dem Wort eines Mannes,
welcher seit dreißig Jahren den Gang der Dinge in Europa studirt
und, schon im sicheren Hafen, die heiligsten und nützlichsten Unter-
nehmungen scheitern sah. Jhr werdet keinen Erfolg haben, wenn
Jhr nicht besser werdet. Jhr werdet nicht anders die Ausübung
Eurer Rechte erlangen, als dadurch, daß Jhr sie verdient, durch
Opfer, Thätigkeit und Liebe. Wenn Jhr im Namen einer erfüllten
oder zu erfüllenden Pflicht strebt, werdet Jhr erreichen, was Jhr
wollt; wenn im Namen des Egoismus, im Namen ich weiß nicht
welches Rechtes auf Wohlsein, welches die Männer des Materia-
lismus Euch lehren, so erreicht Jhr nichts, als Triumphe einer
Stunde, auf welche entsetzliche Täuschungen folgen. Diejenigen, die
zu Euch im Namen des Wohlseins, des materiellen Glücks sprechen,
verrathen Euch. Auch sie suchen ihr Wohlsein; sie werden sich mit
Euch verbrüdern, wie mit einem Element der Kraft, so lange sie
Hindernisse zu überwinden haben, um es zu erobern; kaum werden
sie es durch Euch erlangt haben, so werden sie Euch verlassen, um
ruhig ihre Eroberung zu genießen. Das ist die Geschichte des letzten
halben Jahrhunderts. Und der Name dieses letzten halben Jahrhunderts
ist Materialismus". Dem Volk in der Uniform des Elends und
des politischen Helotenthums stellt er das Volk seiner Visionen gegen-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ist sie der stumme Zeuge kindlicher Spiele, der Gegenstand kindlich
naiver Neugier, und welche schönen Lehren kann eine aufmerksame Mutter
bei ihrer Erklärung in das leicht empfängliche, wißbegierige Herz des
Kindes pflanzen! Denn giebt es wohl ein schöneres Muster für Fleiß,
Sauberkeit und Akkuratesse, als die Nähmaschine? Bedarf es noch eines
sprechenderen Zeugen für die reiche Phantasie des menschlichen Geistes,
als ihren einfachen und doch so fein gegliederten Organismus? Schauen
wir ein Paar Schritte weiter in das menschliche Leben: das weiße Kleid
der Unschuld, in dem das Mädchen am letzten Tage der Kindheit vor den
Altar tritt, sowie die elegante Ballrobe sind bereits von ihr gefertigt, und
zieht nun gar der süße Engel der Liebe in das jungfräuliche Herz, wie
klingt dann doppelt anheimelnd das eintönige Prickeln ihrer Räder und
Rädchen — gilt es doch, den schönsten Schmuck des Lebens, das Braut-
gewand, herzustellen. Die erste Ausstattung für dieses Dasein empfangen
wir von ihrem Fleiß, aber auch die letzte giebt sie uns mit in das Grab.

( Schluß folgt. )



Giuseppe Mazzini's Schriften.
Aus dem Jtalienischen, mit einem Vorwort von Ludmilla Assing.
Zwei Bände. Hamburg, 1868.
( Schluß. )

Italien war zur Ruhe gebracht; die österreichischen Heere hatten
das aufrührerische Piemont besiegt, die Franzosen zogen in Rom
ein. Mazzini war wieder im Exil. Er trug den Haß gegen die
Unterdrücker seines Vaterlandes mit sich fort, der sich jetzt beson-
ders gegen Napoleon richtete. Alles hatte er aufgeopfert, jedem
menschlichen Glück entsagt, um ganz und gar für das Eine wirken
zu können, das ihm am Herzen lag, die Auferstehung seines Volks.
Jetzt saß er wieder in seiner Kammer, die nicht größer als seine Ge-
fängnißzelle, und von Neuem nahm er den Kampf für sein Jdeal
auf. Aber in Jtalien selbst vollzog sich allmälig ein Umschwung der
Gedanken und Hoffnungen. Man sah die Nothwendigkeit ein, sich
um einen Kern der Macht zu schaaren, einen sicheren Anhaltpunkt
für die nationalen Bestrebungen zu gewinnen. „Von vielen Seiten
aus dem Jn= und Ausland“, schreibt er, „gehen uns Briefe von
Männern zu, welche, indem sie erklären, an unser Jdeal zu glauben,
gleichzeitig erklären, daß, ehe man es zur Ausführung bringen könne,
man Jtalien für die Jtaliener wiedererobern müsse; daß das Ge-
heimniß, dies zu erreichen, darin bestände, zu diesem Zweck die größte
Zahl aller möglichen Elemente zusammenströmen zu lassen, daß unter
diesen Elementen die ersten, weil bereits geordnet, die achtzigtausend
Mann sind, welche die piemontesische Monarchie gegen Oesterreich auf-
stellen könnte, nnd daß wir folglich in einen schweren Jrrthum ver-
fallen, wenn wir, gegen die Monarchie predigend, diese mögliche Hülfe
dem künftigen nationalen Krieg entziehen“. So schreibt er noch im
Jahre 1858. Der Umschwung aber war bereits geschehen. Ein
großer Theil seiner Parteigenossen war zu Victor Emanuel und
Cavour übergetreten; von Piemont hoffte man, was man bisher von
der Fahne der Republik vergeblich erhofft hatte.

Mit den eindringlichsten Mahnungen warnte er vor diesem Ver-
lassen der republikanischen Fahne. „Das italienische Volk ist heut in
einer Täuschung befangen, die es dazu verleitet, die materielle Einheit
an die Stelle der sittlichen Einheit und seiner eigenen Wiedergeburt
zu setzen; ich habe diese Täuschung nicht. Jch beuge traurig das
Haupt; aber die Monarchie wird mich weder als Beamten noch als
Diener haben, und die Zukunft wird lehren, ob mein Glauben sich
auf die Wahrheit gründet“. Er nennt es einen Verrath an der na-
tionalen Sache, wenn das Geschick Jtaliens an das Piemonts ge-
knüpft werde. Er eifert gegen die Sekte von Männern, welche sich
praktisch nennen, die mit geheimen Absichten und Einfluß auf Mäch-
tige prahlen, welchen es gelegen ist, sie zu benutzen, die sich für die
Besitzer einer tiefen politischen Weisheit ausgeben und eine gläubige,
unerzogene Masse hinter sich herschleppen. Da die piemontesische Po-
litik darauf ausgeht, für sich einen Zuwachs an Macht zu suchen, da
nicht auf eine allgemeine Erhebung Jtaliens das Ziel derselben ge-
richtet ist, verwirft er jede Annäherung seiner Partei an Cavour.
„Piemont wird uns nimmermehr Rom geben können. Kann ein
König zu jenem Alten, welcher jenen Sitz ohne Sendung einnimmt,
aber die höchste Formel der Vergangenheit vertritt, sagen: Steige von
jenem Sitz herab, vor welchem auch heut noch die Regierungen
Europa's die Miene annehmen, sich ehrfurchtsvoll zu verbeugen, vor
welchem auch ich mich noch gestern beugte; ich steige nun anstatt
Deiner hinauf! Kann ein König sich zu einem politischen Revolutionär
und religiösen Reformator zu gleicher Zeit machen, in sich Cromwell
und Heinrich VIII. vereinigen?“

Nachdem der Friede von Villafranca geschlossen ist, erhebt er
[Spaltenumbruch] wieder seine Stimme, um den Verrath Napoleons an Jtalien zu
konstatiren. Er klagt den König Victor Emanuel heftig an, daß er
das gemeinsame Geschick Mailands und Venedigs habe zerreißen
lassen. Aber als dann im Süden die Volkserhebung erfolgt, als
Garibaldi mit seinen Freischaaren nach Sizilien hinübersegelt und das
für die Monarchie zu erreichen sucht, was diese selbst wünscht und
nicht wagt, da tönt sein begeisterter Ruf: „Jtalien ist nicht todt.
Es sucht, wartet, ruft die Jnitiatoren.“ —

Jndem wir in dieser Reihe der Ereignisse die Stellung Mazzini's
zu denselben durch Einschiebung seiner eigenen Worte darzuthun
suchten, haben wir zugleich den Jnhalt der zwei Bände zum größten
Theil bezeichnet. Kleine Aufsätze und Bruchstücke aus größeren
Schriften wechseln mit längeren Abhandlungen — Flugschriften, welche
seine Jdeen in ihren Konsequenzen erörtern. Einen Theil des zweiten
Bandes füllt sein Manifest an die Arbeiter, „die Pflichten des Men-
schen “, 1860 geschrieben. Mazzini selbst betont es in dem Brief,
welcher an die Uebersetzerin gerichtet und dem Werk vorgedruckt ist,
daß seine Schriften immer durch einen unmittelbaren Zweck veranlaßt
wurden. „Jch mußte schreiben, als wenn ich kämpfte, und der Ge-
danke wurde immer von der Thatsache beschränkt, von dem, was in
der Jugend meiner Nation zerstört werden mußte. Dessenungeachtet
ist es vielleicht nicht überflüssig, daß man sehe, wie ein Ziel zu dem
Streben veranlaßt, den Gedanken der That dienen zu lassen, dem
einzigen Ziel, welches in der Zeitepoche, in welcher wir geboren wur-
den, wahrhaft wichtig ist.“

So kann es nicht anders sein, als daß diese Schriften Mazzini's
für uns einen sehr verschiedenen Werth habeu. Die große Summe
der republikanischen Lehren, wie sie in denselben entwickelt sind, hat
bereits in Deutschland, namentlich in den Bewegungsjahren, mannich-
fache Vertreter gefunden. Aus dem Umsturz des Bestehenden baut
er sich eine neue Welt auf, eine Welt des Gedankens, ohne faßbare
Grundlage. Darum war es ihm unmöglich, in dem neuen Jtalien
für seine Jdeen eine Stätte zu gründen, darum auch ist für ihn selbst
keine Stätte in seinem Vaterland. Und dennoch — Mazzini's Name
ist mit der Erweckung der italienischen Nation eng verflochten. Man
mag ihm einen Antheil geben, so gering man wolle, an den that-
sächlichen Fortschritten, welche dort die Einigung gemacht hat: die
mächtige Wirkung seiner Schriften hat viel dazu beigetragen, diese
Einigung möglich zu machen. Es braucht nicht des Einverständnisses
mit seinen Jdeen, um mit dem höchsten Erstaunen in die Blätter
seiner Schriften zu blicken und von der glühenden Auffassung aller
der Rechte und Pflichten, welche eine Nation in sich faßt, ergriffen
zu werden, um vor dieser idealistischen Kraft eines Mannes Achtung
zu hegen, der sein Leben daran gesetzt hat, sein Volk zu höherer,
edler Anschauung zu erheben. Denn er ist ein Jdealist, wie er uns
aus diesen Schriften entgegentritt. Er streut die Begeisterung aus,
weil er selbst tief innerlich für seine Zwecke begeistert ist. Die heiße
Sonne Jtaliens hat in ihm eine Beredsamkeit erweckt, welche wir
vergeblich in unseren nordischen Volksschriften suchen würden.

Die Art und Weise, wie er auf das Volk zu wirken strebt, giebt
ihm vor Allem eine hervorragende Bedeutung. Wenn er ihm zuruft,
daß es selbst der Jnbegriff aller Rechte, aller Macht, alles Willens,
Schiedsrichter, Mittelpunkt, lebendiges Gesetz der Welt sei, thut er
es nicht, ohne die beredtesten Ermahnungen vorausgehen zu lassen,
erst in sich selbst einen Läuterungsprozeß zu vollziehen. Als Grund-
bedingung für die Erfüllung seiner Wünsche stellt er die Erziehung
des Volkes auf. Dahin zu wirken, daß das lang unterdrückte Volk
sich aus seinem Schmutz erhebe, gilt ihm als heilige Pflicht. Er
weist den Arbeiter auf seine Familie hin, auf die sittlichen Bande,
welche den Menschen zum Vorwärtsstreben begeistern müssen. „Gebt
Acht“, ruft er ihm zu, „und glaubt dem Wort eines Mannes,
welcher seit dreißig Jahren den Gang der Dinge in Europa studirt
und, schon im sicheren Hafen, die heiligsten und nützlichsten Unter-
nehmungen scheitern sah. Jhr werdet keinen Erfolg haben, wenn
Jhr nicht besser werdet. Jhr werdet nicht anders die Ausübung
Eurer Rechte erlangen, als dadurch, daß Jhr sie verdient, durch
Opfer, Thätigkeit und Liebe. Wenn Jhr im Namen einer erfüllten
oder zu erfüllenden Pflicht strebt, werdet Jhr erreichen, was Jhr
wollt; wenn im Namen des Egoismus, im Namen ich weiß nicht
welches Rechtes auf Wohlsein, welches die Männer des Materia-
lismus Euch lehren, so erreicht Jhr nichts, als Triumphe einer
Stunde, auf welche entsetzliche Täuschungen folgen. Diejenigen, die
zu Euch im Namen des Wohlseins, des materiellen Glücks sprechen,
verrathen Euch. Auch sie suchen ihr Wohlsein; sie werden sich mit
Euch verbrüdern, wie mit einem Element der Kraft, so lange sie
Hindernisse zu überwinden haben, um es zu erobern; kaum werden
sie es durch Euch erlangt haben, so werden sie Euch verlassen, um
ruhig ihre Eroberung zu genießen. Das ist die Geschichte des letzten
halben Jahrhunderts. Und der Name dieses letzten halben Jahrhunderts
ist Materialismus“. Dem Volk in der Uniform des Elends und
des politischen Helotenthums stellt er das Volk seiner Visionen gegen-
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Naeh1" type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0007" n="135"/><fw type="pageNum" place="top">135</fw><cb type="start"/>
ist sie der stumme Zeuge kindlicher Spiele, der Gegenstand kindlich<lb/>
naiver Neugier, und welche schönen Lehren kann eine aufmerksame Mutter<lb/>
bei ihrer Erklärung in das leicht empfängliche, wißbegierige Herz des<lb/>
Kindes pflanzen! Denn giebt es wohl ein schöneres Muster für Fleiß,<lb/>
Sauberkeit und Akkuratesse, als die Nähmaschine? Bedarf es noch eines<lb/>
sprechenderen Zeugen für die reiche Phantasie des menschlichen Geistes,<lb/>
als ihren einfachen und doch so fein gegliederten Organismus? Schauen<lb/>
wir ein Paar Schritte weiter in das menschliche Leben: das weiße Kleid<lb/>
der Unschuld, in dem das Mädchen am letzten Tage der Kindheit vor den<lb/>
Altar tritt, sowie die elegante Ballrobe sind bereits von ihr gefertigt, und<lb/>
zieht nun gar der süße Engel der Liebe in das jungfräuliche Herz, wie<lb/>
klingt dann doppelt anheimelnd das eintönige Prickeln ihrer Räder und<lb/>
Rädchen &#x2014; gilt es doch, den schönsten Schmuck des Lebens, das Braut-<lb/>
gewand, herzustellen. Die erste Ausstattung für dieses Dasein empfangen<lb/>
wir von ihrem Fleiß, aber auch die letzte giebt sie uns mit in das Grab.</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#c">
            <ref target="nn_sonntagsblatt18_1868#Naeh2">( Schluß folgt. )</ref>
          </hi> </p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head><hi rendition="#fr">Giuseppe Mazzini's Schriften.</hi><lb/>
Aus dem Jtalienischen, mit einem Vorwort von <hi rendition="#g">Ludmilla Assing.</hi><lb/>
Zwei Bände. Hamburg, 1868.<lb/>
( Schluß. )</head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">I</hi>talien war zur Ruhe gebracht; die österreichischen Heere hatten<lb/>
das aufrührerische Piemont besiegt, die Franzosen zogen in Rom<lb/>
ein. Mazzini war wieder im Exil. Er trug den Haß gegen die<lb/>
Unterdrücker seines Vaterlandes mit sich fort, der sich jetzt beson-<lb/>
ders gegen Napoleon richtete. Alles hatte er aufgeopfert, jedem<lb/>
menschlichen Glück entsagt, um ganz und gar für das Eine wirken<lb/>
zu können, das ihm am Herzen lag, die Auferstehung seines Volks.<lb/>
Jetzt saß er wieder in seiner Kammer, die nicht größer als seine Ge-<lb/>
fängnißzelle, und von Neuem nahm er den Kampf für sein Jdeal<lb/>
auf. Aber in Jtalien selbst vollzog sich allmälig ein Umschwung der<lb/>
Gedanken und Hoffnungen. Man sah die Nothwendigkeit ein, sich<lb/>
um einen Kern der Macht zu schaaren, einen sicheren Anhaltpunkt<lb/>
für die nationalen Bestrebungen zu gewinnen. &#x201E;Von vielen Seiten<lb/>
aus dem Jn= und Ausland&#x201C;, schreibt er, &#x201E;gehen uns Briefe von<lb/>
Männern zu, welche, indem sie erklären, an unser Jdeal zu glauben,<lb/>
gleichzeitig erklären, daß, ehe man es zur Ausführung bringen könne,<lb/>
man Jtalien für die Jtaliener wiedererobern müsse; daß das Ge-<lb/>
heimniß, dies zu erreichen, darin bestände, zu diesem Zweck die größte<lb/>
Zahl aller möglichen Elemente zusammenströmen zu lassen, daß unter<lb/>
diesen Elementen die ersten, weil bereits geordnet, die achtzigtausend<lb/>
Mann sind, welche die piemontesische Monarchie gegen Oesterreich auf-<lb/>
stellen könnte, nnd daß wir folglich in einen schweren Jrrthum ver-<lb/>
fallen, wenn wir, gegen die Monarchie predigend, diese mögliche Hülfe<lb/>
dem künftigen nationalen Krieg entziehen&#x201C;. So schreibt er noch im<lb/>
Jahre 1858. Der Umschwung aber war bereits geschehen. Ein<lb/>
großer Theil seiner Parteigenossen war zu Victor Emanuel und<lb/>
Cavour übergetreten; von Piemont hoffte man, was man bisher von<lb/>
der Fahne der Republik vergeblich erhofft hatte.</p><lb/>
        <p>Mit den eindringlichsten Mahnungen warnte er vor diesem Ver-<lb/>
lassen der republikanischen Fahne. &#x201E;Das italienische Volk ist heut in<lb/>
einer Täuschung befangen, die es dazu verleitet, die materielle Einheit<lb/>
an die Stelle der sittlichen Einheit und seiner eigenen Wiedergeburt<lb/>
zu setzen; ich habe diese Täuschung nicht. Jch beuge traurig das<lb/>
Haupt; aber die Monarchie wird mich weder als Beamten noch als<lb/>
Diener haben, und die Zukunft wird lehren, ob mein Glauben sich<lb/>
auf die Wahrheit gründet&#x201C;. Er nennt es einen Verrath an der na-<lb/>
tionalen Sache, wenn das Geschick Jtaliens an das Piemonts ge-<lb/>
knüpft werde. Er eifert gegen die Sekte von Männern, welche sich<lb/>
praktisch nennen, die mit geheimen Absichten und Einfluß auf Mäch-<lb/>
tige prahlen, welchen es gelegen ist, sie zu benutzen, die sich für die<lb/>
Besitzer einer tiefen politischen Weisheit ausgeben und eine gläubige,<lb/>
unerzogene Masse hinter sich herschleppen. Da die piemontesische Po-<lb/>
litik darauf ausgeht, für sich einen Zuwachs an Macht zu suchen, da<lb/>
nicht auf eine allgemeine Erhebung Jtaliens das Ziel derselben ge-<lb/>
richtet ist, verwirft er jede Annäherung seiner Partei an Cavour.<lb/>
&#x201E;Piemont wird uns nimmermehr Rom geben können. Kann ein<lb/>
König zu jenem Alten, welcher jenen Sitz ohne Sendung einnimmt,<lb/>
aber die höchste Formel der Vergangenheit vertritt, sagen: Steige von<lb/>
jenem Sitz herab, vor welchem auch heut noch die Regierungen<lb/>
Europa's die Miene annehmen, sich ehrfurchtsvoll zu verbeugen, vor<lb/>
welchem auch ich mich noch gestern beugte; ich steige nun anstatt<lb/>
Deiner hinauf! Kann ein König sich zu einem politischen Revolutionär<lb/>
und religiösen Reformator zu gleicher Zeit machen, in sich Cromwell<lb/>
und Heinrich <hi rendition="#aq">VIII</hi>. vereinigen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nachdem der Friede von Villafranca geschlossen ist, erhebt er<lb/><cb n="2"/>
wieder seine Stimme, um den Verrath Napoleons an Jtalien zu<lb/>
konstatiren. Er klagt den König Victor Emanuel heftig an, daß er<lb/>
das gemeinsame Geschick Mailands und Venedigs habe zerreißen<lb/>
lassen. Aber als dann im Süden die Volkserhebung erfolgt, als<lb/>
Garibaldi mit seinen Freischaaren nach Sizilien hinübersegelt und das<lb/>
für die Monarchie zu erreichen sucht, was diese selbst wünscht und<lb/>
nicht wagt, da tönt sein begeisterter Ruf: &#x201E;Jtalien ist nicht todt.<lb/>
Es sucht, wartet, ruft die Jnitiatoren.&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Jndem wir in dieser Reihe der Ereignisse die Stellung Mazzini's<lb/>
zu denselben durch Einschiebung seiner eigenen Worte darzuthun<lb/>
suchten, haben wir zugleich den Jnhalt der zwei Bände zum größten<lb/>
Theil bezeichnet. Kleine Aufsätze und Bruchstücke aus größeren<lb/>
Schriften wechseln mit längeren Abhandlungen &#x2014; Flugschriften, welche<lb/>
seine Jdeen in ihren Konsequenzen erörtern. Einen Theil des zweiten<lb/>
Bandes füllt sein Manifest an die Arbeiter, &#x201E;die Pflichten des Men-<lb/>
schen &#x201C;, 1860 geschrieben. Mazzini selbst betont es in dem Brief,<lb/>
welcher an die Uebersetzerin gerichtet und dem Werk vorgedruckt ist,<lb/>
daß seine Schriften immer durch einen unmittelbaren Zweck veranlaßt<lb/>
wurden. &#x201E;Jch mußte schreiben, als wenn ich kämpfte, und der Ge-<lb/>
danke wurde immer von der Thatsache beschränkt, von dem, was in<lb/>
der Jugend meiner Nation zerstört werden mußte. Dessenungeachtet<lb/>
ist es vielleicht nicht überflüssig, daß man sehe, wie ein Ziel zu dem<lb/>
Streben veranlaßt, den Gedanken der That dienen zu lassen, dem<lb/>
einzigen Ziel, welches in der Zeitepoche, in welcher wir geboren wur-<lb/>
den, wahrhaft wichtig ist.&#x201C;</p><lb/>
        <p>So kann es nicht anders sein, als daß diese Schriften Mazzini's<lb/>
für uns einen sehr verschiedenen Werth habeu. Die große Summe<lb/>
der republikanischen Lehren, wie sie in denselben entwickelt sind, hat<lb/>
bereits in Deutschland, namentlich in den Bewegungsjahren, mannich-<lb/>
fache Vertreter gefunden. Aus dem Umsturz des Bestehenden baut<lb/>
er sich eine neue Welt auf, eine Welt des Gedankens, ohne faßbare<lb/>
Grundlage. Darum war es ihm unmöglich, in dem neuen Jtalien<lb/>
für seine Jdeen eine Stätte zu gründen, darum auch ist für ihn selbst<lb/>
keine Stätte in seinem Vaterland. Und dennoch &#x2014; Mazzini's Name<lb/>
ist mit der Erweckung der italienischen Nation eng verflochten. Man<lb/>
mag ihm einen Antheil geben, so gering man wolle, an den that-<lb/>
sächlichen Fortschritten, welche dort die Einigung gemacht hat: die<lb/>
mächtige Wirkung seiner Schriften hat viel dazu beigetragen, diese<lb/>
Einigung möglich zu machen. Es braucht nicht des Einverständnisses<lb/>
mit seinen Jdeen, um mit dem höchsten Erstaunen in die Blätter<lb/>
seiner Schriften zu blicken und von der glühenden Auffassung aller<lb/>
der Rechte und Pflichten, welche eine Nation in sich faßt, ergriffen<lb/>
zu werden, um vor dieser idealistischen Kraft eines Mannes Achtung<lb/>
zu hegen, der sein Leben daran gesetzt hat, sein Volk zu höherer,<lb/>
edler Anschauung zu erheben. Denn er ist ein Jdealist, wie er uns<lb/>
aus diesen Schriften entgegentritt. Er streut die Begeisterung aus,<lb/>
weil er selbst tief innerlich für seine Zwecke begeistert ist. Die heiße<lb/>
Sonne Jtaliens hat in ihm eine Beredsamkeit erweckt, welche wir<lb/>
vergeblich in unseren nordischen Volksschriften suchen würden.</p><lb/>
        <p>Die Art und Weise, wie er auf das Volk zu wirken strebt, giebt<lb/>
ihm vor Allem eine hervorragende Bedeutung. Wenn er ihm zuruft,<lb/>
daß es selbst der Jnbegriff aller Rechte, aller Macht, alles Willens,<lb/>
Schiedsrichter, Mittelpunkt, lebendiges Gesetz der Welt sei, thut er<lb/>
es nicht, ohne die beredtesten Ermahnungen vorausgehen zu lassen,<lb/>
erst in sich selbst einen Läuterungsprozeß zu vollziehen. Als Grund-<lb/>
bedingung für die Erfüllung seiner Wünsche stellt er die Erziehung<lb/>
des Volkes auf. Dahin zu wirken, daß das lang unterdrückte Volk<lb/>
sich aus seinem Schmutz erhebe, gilt ihm als heilige Pflicht. Er<lb/>
weist den Arbeiter auf seine Familie hin, auf die sittlichen Bande,<lb/>
welche den Menschen zum Vorwärtsstreben begeistern müssen. &#x201E;Gebt<lb/>
Acht&#x201C;, ruft er ihm zu, &#x201E;und glaubt dem Wort eines Mannes,<lb/>
welcher seit dreißig Jahren den Gang der Dinge in Europa studirt<lb/>
und, schon im sicheren Hafen, die heiligsten und nützlichsten Unter-<lb/>
nehmungen scheitern sah. Jhr werdet keinen Erfolg haben, wenn<lb/>
Jhr nicht besser werdet. Jhr werdet nicht anders die Ausübung<lb/>
Eurer Rechte erlangen, als dadurch, daß Jhr sie verdient, durch<lb/>
Opfer, Thätigkeit und Liebe. Wenn Jhr im Namen einer erfüllten<lb/>
oder zu erfüllenden Pflicht strebt, werdet Jhr erreichen, was Jhr<lb/>
wollt; wenn im Namen des Egoismus, im Namen ich weiß nicht<lb/>
welches Rechtes auf Wohlsein, welches die Männer des Materia-<lb/>
lismus Euch lehren, so erreicht Jhr nichts, als Triumphe einer<lb/>
Stunde, auf welche entsetzliche Täuschungen folgen. Diejenigen, die<lb/>
zu Euch im Namen des Wohlseins, des materiellen Glücks sprechen,<lb/>
verrathen Euch. Auch sie suchen ihr Wohlsein; sie werden sich mit<lb/>
Euch verbrüdern, wie mit einem Element der Kraft, so lange sie<lb/>
Hindernisse zu überwinden haben, um es zu erobern; kaum werden<lb/>
sie es durch Euch erlangt haben, so werden sie Euch verlassen, um<lb/>
ruhig ihre Eroberung zu genießen. Das ist die Geschichte des letzten<lb/>
halben Jahrhunderts. Und der Name dieses letzten halben Jahrhunderts<lb/>
ist Materialismus&#x201C;. Dem Volk in der Uniform des Elends und<lb/>
des politischen Helotenthums stellt er das Volk seiner Visionen gegen-<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0007] 135 ist sie der stumme Zeuge kindlicher Spiele, der Gegenstand kindlich naiver Neugier, und welche schönen Lehren kann eine aufmerksame Mutter bei ihrer Erklärung in das leicht empfängliche, wißbegierige Herz des Kindes pflanzen! Denn giebt es wohl ein schöneres Muster für Fleiß, Sauberkeit und Akkuratesse, als die Nähmaschine? Bedarf es noch eines sprechenderen Zeugen für die reiche Phantasie des menschlichen Geistes, als ihren einfachen und doch so fein gegliederten Organismus? Schauen wir ein Paar Schritte weiter in das menschliche Leben: das weiße Kleid der Unschuld, in dem das Mädchen am letzten Tage der Kindheit vor den Altar tritt, sowie die elegante Ballrobe sind bereits von ihr gefertigt, und zieht nun gar der süße Engel der Liebe in das jungfräuliche Herz, wie klingt dann doppelt anheimelnd das eintönige Prickeln ihrer Räder und Rädchen — gilt es doch, den schönsten Schmuck des Lebens, das Braut- gewand, herzustellen. Die erste Ausstattung für dieses Dasein empfangen wir von ihrem Fleiß, aber auch die letzte giebt sie uns mit in das Grab. ( Schluß folgt. ) Giuseppe Mazzini's Schriften. Aus dem Jtalienischen, mit einem Vorwort von Ludmilla Assing. Zwei Bände. Hamburg, 1868. ( Schluß. ) Italien war zur Ruhe gebracht; die österreichischen Heere hatten das aufrührerische Piemont besiegt, die Franzosen zogen in Rom ein. Mazzini war wieder im Exil. Er trug den Haß gegen die Unterdrücker seines Vaterlandes mit sich fort, der sich jetzt beson- ders gegen Napoleon richtete. Alles hatte er aufgeopfert, jedem menschlichen Glück entsagt, um ganz und gar für das Eine wirken zu können, das ihm am Herzen lag, die Auferstehung seines Volks. Jetzt saß er wieder in seiner Kammer, die nicht größer als seine Ge- fängnißzelle, und von Neuem nahm er den Kampf für sein Jdeal auf. Aber in Jtalien selbst vollzog sich allmälig ein Umschwung der Gedanken und Hoffnungen. Man sah die Nothwendigkeit ein, sich um einen Kern der Macht zu schaaren, einen sicheren Anhaltpunkt für die nationalen Bestrebungen zu gewinnen. „Von vielen Seiten aus dem Jn= und Ausland“, schreibt er, „gehen uns Briefe von Männern zu, welche, indem sie erklären, an unser Jdeal zu glauben, gleichzeitig erklären, daß, ehe man es zur Ausführung bringen könne, man Jtalien für die Jtaliener wiedererobern müsse; daß das Ge- heimniß, dies zu erreichen, darin bestände, zu diesem Zweck die größte Zahl aller möglichen Elemente zusammenströmen zu lassen, daß unter diesen Elementen die ersten, weil bereits geordnet, die achtzigtausend Mann sind, welche die piemontesische Monarchie gegen Oesterreich auf- stellen könnte, nnd daß wir folglich in einen schweren Jrrthum ver- fallen, wenn wir, gegen die Monarchie predigend, diese mögliche Hülfe dem künftigen nationalen Krieg entziehen“. So schreibt er noch im Jahre 1858. Der Umschwung aber war bereits geschehen. Ein großer Theil seiner Parteigenossen war zu Victor Emanuel und Cavour übergetreten; von Piemont hoffte man, was man bisher von der Fahne der Republik vergeblich erhofft hatte. Mit den eindringlichsten Mahnungen warnte er vor diesem Ver- lassen der republikanischen Fahne. „Das italienische Volk ist heut in einer Täuschung befangen, die es dazu verleitet, die materielle Einheit an die Stelle der sittlichen Einheit und seiner eigenen Wiedergeburt zu setzen; ich habe diese Täuschung nicht. Jch beuge traurig das Haupt; aber die Monarchie wird mich weder als Beamten noch als Diener haben, und die Zukunft wird lehren, ob mein Glauben sich auf die Wahrheit gründet“. Er nennt es einen Verrath an der na- tionalen Sache, wenn das Geschick Jtaliens an das Piemonts ge- knüpft werde. Er eifert gegen die Sekte von Männern, welche sich praktisch nennen, die mit geheimen Absichten und Einfluß auf Mäch- tige prahlen, welchen es gelegen ist, sie zu benutzen, die sich für die Besitzer einer tiefen politischen Weisheit ausgeben und eine gläubige, unerzogene Masse hinter sich herschleppen. Da die piemontesische Po- litik darauf ausgeht, für sich einen Zuwachs an Macht zu suchen, da nicht auf eine allgemeine Erhebung Jtaliens das Ziel derselben ge- richtet ist, verwirft er jede Annäherung seiner Partei an Cavour. „Piemont wird uns nimmermehr Rom geben können. Kann ein König zu jenem Alten, welcher jenen Sitz ohne Sendung einnimmt, aber die höchste Formel der Vergangenheit vertritt, sagen: Steige von jenem Sitz herab, vor welchem auch heut noch die Regierungen Europa's die Miene annehmen, sich ehrfurchtsvoll zu verbeugen, vor welchem auch ich mich noch gestern beugte; ich steige nun anstatt Deiner hinauf! Kann ein König sich zu einem politischen Revolutionär und religiösen Reformator zu gleicher Zeit machen, in sich Cromwell und Heinrich VIII. vereinigen?“ Nachdem der Friede von Villafranca geschlossen ist, erhebt er wieder seine Stimme, um den Verrath Napoleons an Jtalien zu konstatiren. Er klagt den König Victor Emanuel heftig an, daß er das gemeinsame Geschick Mailands und Venedigs habe zerreißen lassen. Aber als dann im Süden die Volkserhebung erfolgt, als Garibaldi mit seinen Freischaaren nach Sizilien hinübersegelt und das für die Monarchie zu erreichen sucht, was diese selbst wünscht und nicht wagt, da tönt sein begeisterter Ruf: „Jtalien ist nicht todt. Es sucht, wartet, ruft die Jnitiatoren.“ — Jndem wir in dieser Reihe der Ereignisse die Stellung Mazzini's zu denselben durch Einschiebung seiner eigenen Worte darzuthun suchten, haben wir zugleich den Jnhalt der zwei Bände zum größten Theil bezeichnet. Kleine Aufsätze und Bruchstücke aus größeren Schriften wechseln mit längeren Abhandlungen — Flugschriften, welche seine Jdeen in ihren Konsequenzen erörtern. Einen Theil des zweiten Bandes füllt sein Manifest an die Arbeiter, „die Pflichten des Men- schen “, 1860 geschrieben. Mazzini selbst betont es in dem Brief, welcher an die Uebersetzerin gerichtet und dem Werk vorgedruckt ist, daß seine Schriften immer durch einen unmittelbaren Zweck veranlaßt wurden. „Jch mußte schreiben, als wenn ich kämpfte, und der Ge- danke wurde immer von der Thatsache beschränkt, von dem, was in der Jugend meiner Nation zerstört werden mußte. Dessenungeachtet ist es vielleicht nicht überflüssig, daß man sehe, wie ein Ziel zu dem Streben veranlaßt, den Gedanken der That dienen zu lassen, dem einzigen Ziel, welches in der Zeitepoche, in welcher wir geboren wur- den, wahrhaft wichtig ist.“ So kann es nicht anders sein, als daß diese Schriften Mazzini's für uns einen sehr verschiedenen Werth habeu. Die große Summe der republikanischen Lehren, wie sie in denselben entwickelt sind, hat bereits in Deutschland, namentlich in den Bewegungsjahren, mannich- fache Vertreter gefunden. Aus dem Umsturz des Bestehenden baut er sich eine neue Welt auf, eine Welt des Gedankens, ohne faßbare Grundlage. Darum war es ihm unmöglich, in dem neuen Jtalien für seine Jdeen eine Stätte zu gründen, darum auch ist für ihn selbst keine Stätte in seinem Vaterland. Und dennoch — Mazzini's Name ist mit der Erweckung der italienischen Nation eng verflochten. Man mag ihm einen Antheil geben, so gering man wolle, an den that- sächlichen Fortschritten, welche dort die Einigung gemacht hat: die mächtige Wirkung seiner Schriften hat viel dazu beigetragen, diese Einigung möglich zu machen. Es braucht nicht des Einverständnisses mit seinen Jdeen, um mit dem höchsten Erstaunen in die Blätter seiner Schriften zu blicken und von der glühenden Auffassung aller der Rechte und Pflichten, welche eine Nation in sich faßt, ergriffen zu werden, um vor dieser idealistischen Kraft eines Mannes Achtung zu hegen, der sein Leben daran gesetzt hat, sein Volk zu höherer, edler Anschauung zu erheben. Denn er ist ein Jdealist, wie er uns aus diesen Schriften entgegentritt. Er streut die Begeisterung aus, weil er selbst tief innerlich für seine Zwecke begeistert ist. Die heiße Sonne Jtaliens hat in ihm eine Beredsamkeit erweckt, welche wir vergeblich in unseren nordischen Volksschriften suchen würden. Die Art und Weise, wie er auf das Volk zu wirken strebt, giebt ihm vor Allem eine hervorragende Bedeutung. Wenn er ihm zuruft, daß es selbst der Jnbegriff aller Rechte, aller Macht, alles Willens, Schiedsrichter, Mittelpunkt, lebendiges Gesetz der Welt sei, thut er es nicht, ohne die beredtesten Ermahnungen vorausgehen zu lassen, erst in sich selbst einen Läuterungsprozeß zu vollziehen. Als Grund- bedingung für die Erfüllung seiner Wünsche stellt er die Erziehung des Volkes auf. Dahin zu wirken, daß das lang unterdrückte Volk sich aus seinem Schmutz erhebe, gilt ihm als heilige Pflicht. Er weist den Arbeiter auf seine Familie hin, auf die sittlichen Bande, welche den Menschen zum Vorwärtsstreben begeistern müssen. „Gebt Acht“, ruft er ihm zu, „und glaubt dem Wort eines Mannes, welcher seit dreißig Jahren den Gang der Dinge in Europa studirt und, schon im sicheren Hafen, die heiligsten und nützlichsten Unter- nehmungen scheitern sah. Jhr werdet keinen Erfolg haben, wenn Jhr nicht besser werdet. Jhr werdet nicht anders die Ausübung Eurer Rechte erlangen, als dadurch, daß Jhr sie verdient, durch Opfer, Thätigkeit und Liebe. Wenn Jhr im Namen einer erfüllten oder zu erfüllenden Pflicht strebt, werdet Jhr erreichen, was Jhr wollt; wenn im Namen des Egoismus, im Namen ich weiß nicht welches Rechtes auf Wohlsein, welches die Männer des Materia- lismus Euch lehren, so erreicht Jhr nichts, als Triumphe einer Stunde, auf welche entsetzliche Täuschungen folgen. Diejenigen, die zu Euch im Namen des Wohlseins, des materiellen Glücks sprechen, verrathen Euch. Auch sie suchen ihr Wohlsein; sie werden sich mit Euch verbrüdern, wie mit einem Element der Kraft, so lange sie Hindernisse zu überwinden haben, um es zu erobern; kaum werden sie es durch Euch erlangt haben, so werden sie Euch verlassen, um ruhig ihre Eroberung zu genießen. Das ist die Geschichte des letzten halben Jahrhunderts. Und der Name dieses letzten halben Jahrhunderts ist Materialismus“. Dem Volk in der Uniform des Elends und des politischen Helotenthums stellt er das Volk seiner Visionen gegen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt17_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt17_1868/7
Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 17. Berlin, 26. April 1868, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt17_1868/7>, abgerufen am 02.06.2024.